KRIEG BEGINNT HIER VON DER - Erasmus Schöfer...Um halbvier, die Polizei war eben am Tatort...

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NEUES VON DER KRIEG BEGINNT HIER HEIMAT FRONT WIDERSTAND AUCH

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NEUESVON DER

KRIEG BEGINNT HIER

HEIMAT

FRONTWIDERSTAND AUCH

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Neues von der HeimatfrontKrieg beginnt hier ­ Widerstand auch

Paula Elvira Keller

Erasmus Schöfer

Ein antimilitaristischer Lesekalender

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Paula Elvira Keller

1945 in Meißen zur Welt gekommen, dort aufgewachsen, hat später im

Ruhrgebiet und in Köln gelebt, Volkswirtschaft studiert, als Lehrerin an

Berufkollegs unterrichtet. Während der beruflichen Arbeit wurde sie in

politischen Wissenschaften promoviert und verfasste zahlreiche Features,

Essays und Buchbesprechungen für den Hörfunk.

Die hier versammelten Texte sind teils Zitate aus öffentlichen

Publikationen, teils Ergebnisse ihrer eigenen empörten Einsichten.

Erasmus Schöfer

1931 bei Berlin geboren und dort aufgewachsen, hat später in Köln,

Freiburg, München, Neuss, in Paris und auf den Inseln Patmos und Ithaka

als freier Schriftsteller gelebt. Er arbeitete mehrere Jahre in Berliner und

Kölner Fabriken, promovierte in Bonn in Sprachwissenschaft und

Philosophie, war einer der Gründer und Vorsitzender des „Werkkreis

Literatur der Arbeitswelt“, Mitinitiator und Autor des „Industrietheater Der

Wahre Anton“ und Mitarbeiter im Bundesvorstand des Deutschen

Schriftstellerverbandes (VS). Er ist seit 1980 Mitglied des Deutschen P.E.N.­

Zentrums. Seine zahlreichen literarischen und publizistischen Arbeiten

sind in Theatern, Rundfunkanstalten, Verlagen, Zeitschriften und

Zeitungen veröffentlicht worden. Die Roman­Tetralogie „Die Kinder des

Sisyfos“ erschien zwischen 2001 und 2008.

Die kursiv gedruckten Texte sind wahrhaftige Kalendergeschichten des kölnischen

Widerstandsforschers.

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Einleitende Gedanken

Auch wenn ich stillhalte und wegsehe, verändert sich trotzdem alles

beständig – nur ohne mich! Andere sind am Werk und schaffen neue

Wirklichkeiten, vor Ort in meiner Straße oder weltweit.

Der Kalender macht deutlich, wie andere sich die Zukunft vorstellen, er

zeigt, was sie alles schon in die Wege geleitet haben: Es geht um Krieg!

Deutschland führt Krieg! Das Militär nimmt auf unsere Zukunft immer

mehr Einfluss! Rüstungsindustrie, weltweit Geschäfte betreibende

Konzerne, Militär und PolitikerInnen geben den Takt und die Richtung an.

Wer keinen Krieg will, muss sie aufhalten: sich informieren – verhindern –

selbst gestalten. Der Kalender kann dabei nützlich sein.

Krieg beginnt dort, wo er geplant wird, wo die Waffen dafür hergestellt

werden und junge Menschen das Töten lernen. Wer keinen Krieg will,

muss dort Widerstand leisten. Die Kalendergeschichten von Erasmus

Schöfer erzählen vom Widerstand, den Einzelne tatsächlich geleistet

haben, mit Mut und Phantasie. Sie können ermutigen, können anregen,

allein oder mit Anderen das Verbrechen, das im Namen der deutschen

Bevölkerung geplant und ausgeführt wird, zu verhindern.

Die Sprache der PolitikerInnen und der Militärs ist nicht meine (Paula

Keller) Sprache. Dem bewussten Gebrauch verharmlosender Begriffe

wie „Einsatz“ statt „Krieg“ kann ich nicht folgen. Diesen verschleiernden

Gebrauch fand ich aber in den Informationen, die ich hier

zusammengetragen habe, sehr oft. Um meiner Sprache treu bleiben zu

können, und auch nicht etwa als Propagandistin für Militarisierung

missverstanden zu werden, wollte ich immer dort, wo ich solchen

manipulativen Gebrauch der Sprache vermutete, ein „Sogenannt“

davor setzen. Im Verlauf der Textsammlung wurde mir klar, dass ich das

„Sogenannt“ inflationär gebrauchen müsste, dass wir in einer Welt des

Sogenannten leben. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich es nur bei

bestimmten Begriffen verwendet und überlasse es der Leserin und dem

Leser, weitere Sogenannte zu ergänzen.

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KRIEG BEGINNT HIER

Dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige

Gesellschaft schwer zu ertragen.(Bundespräsident Joachim Gauck, 12. Juni 2012)

Auslandseinsätze der Bundeswehr sind prinzipiell überall möglich.

Grundsätzlich gibt es keine Regionen, in denen deutsche Soldaten

nichts zu suchen haben.(Sogenannter Verteidigungsminister Thomas de Maizière im MDR 30.6.2012)

Ein wesentlicher Teil unseres Wohlstandes beruht auf dem Umgang mit

der Welt.(Sogenannter Verteidigungsminister Thomas de Maizière)

Entweder man steht dazu, dass im Krieg auch Unschuldige getötet

werden (...) oder man hält sich von Anfang an raus aus dem Scheiß. Für

mich ist klar, lieber vor Gericht wegen zehn toter Zivilisten, als nur einmal

zu wenig geschossen und dadurch einen Kameraden verloren zu

haben.(Ein Bundeswehr­Soldat im Comicstrip „Wave and Smile“ von Arne Jysch)

Der Staatsbürger in Uniform hat ausgedient. Für die Zukunft braucht man

den archaischen Kämpfer und den, der High­Tech­Krieg führen kann.(H.­O. Budde, ehemaliger Heeres­Inspekteur)

Die Bundeswehr ist als Einsatzarmee auf den Rückhalt in der

Gesellschaft angewiesen. Die Auslandseinsätze sollten von einer großen

Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen werden. In einigen

Bevölkerungsgruppen gibt es erkennbare Vorbehalte für den offensiven

Gebrauch militärischer Mittel. Durch pro­aktive Kommunikation sollte die

Bundeswehr diese Bedenken zerstreuen.(Aus: reader sicherheitspolitik 06/2007)

Die Presse ist Teil des Schlachtfeldes.(Wesley Clark, US­General)

Diese Art von Foto wird vom Feind benutzt, um zu Gewalttaten

aufzustacheln. Manche haben als Ergebnis ihr Leben verloren. Das ist

der Krieg. Ich weiß, dass Krieg hässlich und gewalttätig ist.(US­Verteidigungsminister Leon Panetta zu den Fotos, veröffentlicht in der LA Times, die

mehr als ein Dutzend US­Soldaten in triumphierender Pose mit den Leichen getöteter

Afghanen und abgetrennter Körperteile zeigen.)

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WIDERSTAND AUCH

Das Geheimnis des Glücks liegt im Widerstand.(Alice Walker, US­amerikanische Schriftstellerin)

Damals im Jahr 1994 sagten uns die Zapatisten, dass sie gegen den

Vierten Weltkrieg kämpften (der Dritte war der Kalte Krieg). Zehn Jahre

später haben Menschen auf der ganzen Welt verstanden, dass wir diese

Schlacht gemeinsam führen.(Aus: Notes from Nowhere. Wir sind überall)

Wir sind kein Markt – zuallererst sind wir Menschen.(Erklärung der südamerikanischen Chemie­ und Papierarbeiter)

Es ist besser, stehend eine Torte zu werfen, als auf den Knien zu leben.(Aus: Wir sind überall)

General, der Mensch ist sehr brauchbar. Er kann fliegen und kann töten.

Aber er hat einen Fehler. Er kann denken.(Bertolt Brecht)

Letztendlich brauchst du keine speziellen Fähigkeiten, um eine Torte zu

werfen. Jeder mit einer Torte und der Vision von einer besseren Welt

kann durch einen Tortenwurf mit der Macht sprechen.

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Die Trutzin

Der Dichter Bertolt Brecht hat einmal gesagt: Wohl dem Land, das keine Helden

nötig hat! Das war gesagt in einer Zeit, als in den Ländern Mitteleuropas noch

jedes Dorf seinen Heldenfriedhof samt Denkmal hatte, womit den Menschen

eingebläut wurde, die auf den Schlachtfeldern Geschlachteten seien einen

großartigen Tod gestorben. Es kam niemand, nicht einmal den Frauen, in den Sinn,

dass auch Menschen weiblichen Geschlechts Taten vollbringen, die von Kühnheit

und Weitsicht zeugen, so dass sie den Titel Heldin und ein DenkMal verdienen.

Vielleicht sollten wir so sich auszeichnende Frauen aber eher Hirtin nennen. Oder

Menschenfreundin. Oder, da diese Worte eher an Sanftmut und Nachgiebigkeit

denken lassen, während ich starke, wagemutige Frauen im Sinn habe, für die das

deutsche Lexikon keinen passenden Begriff mitteilen kann, sollten wir für sie

vielleicht ein neues Wort bilden? Ein solches wäre etwa: Trotzin. Oder: Trutzin.

Ich denke, dass die Frau, von der ich hier berichten will, mit einem solchen Titel

eher einverstanden wäre als wenn ich sie Heldin nennte. Hanna P., die schon durch

verschiedene Widerstandstaten Aufsehen erregt hatte, war eben 22 Jahre jung, als

sie eines Nachts im kalten Februar 2008, mit nur drei oder vier Helfern, sich auf

den Gleisen einer Bahnstrecke in Nordfriesland anketten ließ, um einen Zug an der

Weiterfahrt zu hindern, der Militärfahrzeuge der Bundeswehr zu einem Manöver

an der polnischen Grenze transportieren sollte. Die herbei zitierte Feuerwehr und

das Technische Hilfswerk benötigten vier Stunden, um mit einer Flex ein Stück

Schiene herauszutrennen, weil sie nur auf diese Weise Hanna, die Trutzin, aus dem

Gleis entfernen konnten. Die Strecke blieb bis zum Morgen acht Uhr gesperrt.

Um halbvier, die Polizei war eben am Tatort eingetroffen und notierte die

Personalien der Demonstranten, da wurde schon von andern Helfern die Nachricht

ins Netz gestellt, dass sie mit dieser Aktion gegen die kriegerischen Einsätze der

Bundeswehr im Ausland protestierten. Hanna P. wurde mit dem Satz zitiert:

„Heute heißt so ein Vorgehen Krisenintervention – dabei ist schlicht und einfach

Krieg gemeint!“

Dafür wurde sie zu neunzig Tagessätzen verurteilt. Trotzig sagte sie dem Richter:

Ich werde nicht zahlen. Ich gehe ins Gefängnis.

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