Krise als Chance?

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Pastor Prof. Dr. Udo Krolzik bei seiner Key Speach zum Thema Krisenpräsenz – Lei- tungshandeln zwischen Kairos und Alarmismus Warme Sonnenstrahlen locken viele Menschen in den Innenhof. Wie nobel die geschlossenen Ja- cketts aussehen, davon hat man sich schon zur Eröffnung des KVI Kongresses rund um Kirche, Verwaltung und Informations- technologien überzeugen können. Nun nutzt man mit erleichterter Anzugsordnung die seltene Chan- ce, bei einer Tasse Kaffe im infor- mellen Rahmen mit Anbietern, Fachexperten aus Wirtschaft und Forschung sowie potentiellen Kunden aus kirchlichen Einrich- tungen und Verwaltungen ins Ge- spräch zu kommen. Die Verzahnung von Vertretern aus der Praxis mit den Anbietern pas- sender Softwarelösungen ist dabei ebenso reizvoll wie der Austausch zwischen den einzelnen professi- onalisierten Fachrichtungen. Vom Facilitymanagement bis zum Rech- nungswesen, von der Gebäudeklas- sifizierung bis zum Einsatz von Ge- oinformationssystemen hatte auch der 4. Kongress wieder ein breit aufgestelltes Programm und bot eine Fülle von Fachvorträgen, inte- ressanten Workshopangeboten und Infoständen. Und so wie sich im vergangenen Jahr eine Fachgruppe zum Thema „Kirchliche Tagungs- häuser“ gefunden hatte, wurden auf dem diesjährigen Kongress vier weitere Fachgruppen ins Leben gerufen. Zu den Themenbereichen „Energie & Umwelt“, „Geoinfor- mation“ und „Rechnungsprüfung & Controlling“ gesellte sich als viertes auch eine Fachgruppe „Per- sonalmanagement“, zu deren The- matik das Netzwerk Kirchenreform auf dem zurückliegenden Kongress ein Symposium organisiert hatte Auch in diesem Jahr beteiligte sich das Netzwerk Kirchenreform und bettete seine Jahrestagung in den bewährten Rahmen des KVI-Kon- gresses ein, der nun schon zum zweiten mal im Erbacher Hof, dem kirchlichen Tagungszentrum des Bistums Mainz, unweit des altehr- würdigen Doms stattfand. Zum Einstieg in das diesjährige Thema „Leitungs- und Führungs- kultur in der Kirche“ referierte kein geringerer als der Vorstandsvorsit- zende der Führungsakademie für Kirche und Diakonie (FAKD) und Geschäftsführer der Bundesakade- mie für Kirche und Diakonie gG- mbH (BAKD), Prof. Dr. Udo Krol- zik aus Berlin. Zur Eröffnung des vierten Kongresses vermittelte er einen Input zur Krisenpräsenz und bereicherte die aktuelle Debatte um diverse tatsächliche oder herbei ge- redete Krisen mit der religionswis- senschaftlichen Dimension eines „Leitungshandeln zwischen Kairos und Alarmismus“. Dabei unter- strich er seine Grundthese, dass der Alarmismus in der gegenwärtige Finanz- und Wirtschafts-Krise nur bewirke, dass mögliche Chancen verkannt werden: „Schwarzmale- rei führt dazu, dass Menschen resi- gniert die Hände in den Schoß le- gen“. Er verglich die vieldiskutierte Wirtschaftskrise mit einer Epide- mie, die ihre bestimmten Phasen in Form von Ausbruch, Höhepunkt und Abklingen mit sich bringt und in verschieden stark ausgeprägter Intensität wellenförmig immer wieder auftritt. Es wird nicht im- mer die gleiche Krise sein, sondern neue Welle der Krise werden neue Gesichter haben. Sie werden aus neuen Gründen entstehen und be- dürfen deshalb immer wieder neue und besondere Therapien. Zum Auftakt der Netzwerktagung stand Prof. Krolzik im ersten Pro- grammblock für Fragen und Dis- kussion zu seiner Key Speach zur Verfügung und bekräftigte, dass die Krisen in der Kirche dadurch ent- stehen, weil die Führungsstrukturen innerhalb der Kirchen nicht mehr stimmen würden. Zudem dauere das Verändern einer Führungskultur in der Wirtschaft rund sechs bis acht Jahre, in der Kirche könne man für den gleichen Fortschritt mit einem Zeitraum von 25 Jahren rechnen. Eine entscheidende Veränderung werde dabei sein müssen, dass man die zentrale Steuerung zugunsten Krise als Chance? Bericht von der Jahrestagung des Netzwerks Kirchenreform Ein Beitrag von Stefan Bölts Abb.: Patricia C. Lucas KVI ID 08-2009 22 KVI IM DIALOG KVI Kongress 2009 Special NETZWERK KIRCHENREFORM

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Tagungsbericht von Stefan Bölts im KVI IM DIALOG

Transcript of Krise als Chance?

Pastor Prof. Dr. Udo Krolzik bei seiner Key Speach zum Thema Krisenpräsenz – Lei-tungshandeln zwischen Kairos und Alarmismus

Warme Sonnenstrahlen locken viele Menschen in den Innenhof. Wie nobel die geschlossenen Ja-cketts aussehen, davon hat man sich schon zur Eröffnung des KVI Kongresses rund um Kirche, Verwaltung und Informations-technologien überzeugen können. Nun nutzt man mit erleichterter Anzugsordnung die seltene Chan-ce, bei einer Tasse Kaffe im infor-mellen Rahmen mit Anbietern, Fachexperten aus Wirtschaft und Forschung sowie potentiellen Kunden aus kirchlichen Einrich-tungen und Verwaltungen ins Ge-spräch zu kommen.

Die Verzahnung von Vertretern aus der Praxis mit den Anbietern pas-sender Softwarelösungen ist dabei ebenso reizvoll wie der Austausch zwischen den einzelnen professi-onalisierten Fachrichtungen. Vom Facilitymanagement bis zum Rech-nungswesen, von der Gebäudeklas-sifizierung bis zum Einsatz von Ge-oinformationssystemen hatte auch der 4. Kongress wieder ein breit aufgestelltes Programm und bot eine Fülle von Fachvorträgen, inte-ressanten Workshopangeboten und Infoständen. Und so wie sich im vergangenen Jahr eine Fachgruppe zum Thema „Kirchliche Tagungs-häuser“ gefunden hatte, wurden auf dem diesjährigen Kongress vier weitere Fachgruppen ins Leben gerufen. Zu den Themenbereichen „Energie & Umwelt“, „Geoinfor-mation“ und „Rechnungsprüfung & Controlling“ gesellte sich als viertes auch eine Fachgruppe „Per-sonalmanagement“, zu deren The-matik das Netzwerk Kirchenreform auf dem zurückliegenden Kongress ein Symposium organisiert hatteAuch in diesem Jahr beteiligte sich das Netzwerk Kirchenreform und bettete seine Jahrestagung in den bewährten Rahmen des KVI-Kon-gresses ein, der nun schon zum

zweiten mal im Erbacher Hof, dem kirchlichen Tagungszentrum des Bistums Mainz, unweit des altehr-würdigen Doms stattfand.

Zum Einstieg in das diesjährige Thema „Leitungs- und Führungs-kultur in der Kirche“ referierte kein geringerer als der Vorstandsvorsit-zende der Führungsakademie für Kirche und Diakonie (FAKD) und Geschäftsführer der Bundesakade-mie für Kirche und Diakonie gG-mbH (BAKD), Prof. Dr. Udo Krol-zik aus Berlin. Zur Eröffnung des vierten Kongresses vermittelte er einen Input zur Krisenpräsenz und bereicherte die aktuelle Debatte um diverse tatsächliche oder herbei ge-redete Krisen mit der religionswis-senschaftlichen Dimension eines „Leitungshandeln zwischen Kairos und Alarmismus“. Dabei unter-strich er seine Grundthese, dass der Alarmismus in der gegenwärtige Finanz- und Wirtschafts-Krise nur bewirke, dass mögliche Chancen verkannt werden: „Schwarzmale-rei führt dazu, dass Menschen resi-gniert die Hände in den Schoß le-gen“. Er verglich die vieldiskutierte

Wirtschaftskrise mit einer Epide-mie, die ihre bestimmten Phasen in Form von Ausbruch, Höhepunkt und Abklingen mit sich bringt und in verschieden stark ausgeprägter Intensität wellenförmig immer wieder auftritt. Es wird nicht im-mer die gleiche Krise sein, sondern neue Welle der Krise werden neue Gesichter haben. Sie werden aus neuen Gründen entstehen und be-dürfen deshalb immer wieder neue und besondere Therapien.

Zum Auftakt der Netzwerktagung stand Prof. Krolzik im ersten Pro-grammblock für Fragen und Dis-kussion zu seiner Key Speach zur Verfügung und bekräftigte, dass die Krisen in der Kirche dadurch ent-stehen, weil die Führungsstrukturen innerhalb der Kirchen nicht mehr stimmen würden. Zudem dauere das Verändern einer Führungskultur in der Wirtschaft rund sechs bis acht Jahre, in der Kirche könne man für den gleichen Fortschritt mit einem Zeitraum von 25 Jahren rechnen. Eine entscheidende Veränderung werde dabei sein müssen, dass man die zentrale Steuerung zugunsten

Krise als Chance?Bericht von der Jahrestagung des Netzwerks Kirchenreform

Ein Beitrag von Stefan Bölts

Abb.: Patricia C. Lucas

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KVI IM DIALOG KVI Kongress 2009 Special

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Abb.: Patricia C. Lucas

Die Jahrestagung des Netzwerks Kirchreform zum Thema „Leitung und Führungskultur in der Kirche“ wurde von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Nethöfel moderiert.

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flexibler Steuerung vor Ort mit den entsprechenden dort ausgelagerten Kompetenzen und Entscheidungs-befugnissen aufgebe.

Nach der gemeinsamen Feststel-lung, dass uns schon seit Jahren Krisen in der Kirche beschäftigen und eine Art von Dauerzustand zu sein scheinen, kamen im Publik weitere Fragen auf: Warum reagie-ren wir seit Jahren nur auf Krisen statt aktiv Veränderungen herbei-zuführen? Und warum gelingt es nicht, eine dauerhafte Krisenbewäl-tigung herbeizuführen?

„Die Veränderung ist langwierig, da nicht nur Strukturen, sondern auch Personen verändert werden müssen“, erklärt der Referent der Führungsakademie und kritisiert, dass bei der Besetzung von Füh-rungspositionen häufig nur auf die fachlichen Voraussetzungen, nicht

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aber auf die persönlichen Voraus-setzungen geachtet wird. Ein Bei-spiel ist der oft vollzogene Aufstieg aus einer Sachbearbeiter-Position in eine Führungsrolle. Damit würde man zwar gute und fachlich quali-fizierte Kräfte gewinnen, aber kei-ne Führungspersönlichkeiten. Als weiteres Beispiel führte er aus, dass Führungspersönlichkeiten oft auch narzisstische Züge haben. „Aber ein Übermaß an Narzissmus dis-qualifiziert für eine Führungsrolle. Diese Menschen haben Schwierig-keiten zu delegieren, die Verant-wortung auch dort zu lassen, wo sie hingehört, und sorgen so für frustriere Mitarbeiter. Man braucht in der Krise glaubwürdige, fähige Führungspersönlichkeiten. Nur sie schaffen das notwendige Vertrau-en, das zur Überwindung der Krise führt.“

„Gier frisst Hirn“, kommentierte Dietmar Krüger von der Bank für Sozialwirtschaft nicht nur das Ver-halten seiner Berufskollegen in der Finanzwirtschaft, sondern auch die in den USA lange vorherrschende Mentalität eines „Kaufen auf Pump bis zum Umfallen“. Da die Sozi-alwirtschaft eher konservativ und deshalb auch eher träge auf so man-chem Hype in der Finanzbranche reagiert, sei sie nun ein stabilisie-render Anker in der Gesamtwirt-schaft. Kritisch sieht er aber die Entwicklungen, dass die Spenden-bereitschaft insgesamt sinkt und wichtige Bankengruppen sich aus dem Segment des Sozialwesens zu-rückziehen. Zum Einstieg des zwei-ten Programmblocks unserer Jah-restagung präsentierte er kurz und knapp die entscheidenden Etappen in den zurückliegenden Jahren und Monaten, die zur aktuellen Krisensituation in der Finanz- und Wirtschaftswelt geführt haben und schloss eine Einführung mit den Thesen, dass ein freiwilliges Ra-ting und offene Kommunikations-strukturen das aufkommen neuer „Kreditblasen“ vorbeugen könne: „Der Erfolg liegt im wechselsei-

tigen Vertrauen zwischen Bank und Kunde“.

In der anschließenden Diskussion wurde vor allem seine These hin-terfragt, dass eine Privatisierung in den meisten Fällen die bessere Lösung gegenüber einer kommu-nalen Trägerschaft darstelle. Und so sahen einige Zuhörer eine Pri-vatisierung gerade im Sozialmarkt besonders skeptisch und forderten hier eine gesellschaftliche Soli-darität ein. Krüger sieht hingegen einen Vorteil im Ideenwettbewerb: „Not macht erfinderisch“, und un-terstrich ein anderes Statement aus dem Publikum, dass entsprechende Kompetenzen gebraucht werden, um inhaltliche Signale zu setzen und beispielsweise den Marken-kern von Caritas und Diakonie zu profilieren. In caritativen oder di-akonischen Werken und Einrich-tungen gäbe es oft eine Diskussion um den Spagat zwischen Nächsten-liebe und Profit. Aus seiner Sicht sei dies aber kein großes Thema: „Der Gewinn eines Unternehmens ist kein Selbstzweck, sondern eine notwendige Grundlage für eine ver-nünftige Rücklagenpolitik“.

„Es gibt keine Auferstehung ohne das Sterben“. Das war eines der theologischen Schlaglichter, die Dr. Holger Böckel in seinem Input zur Abschlussrunde der Netzwerk-tagung ausführte. Unter dem Titel „Durch Werte führen - gerade in der Krise?“ griff er dabei verschie-dene biblische Motive auf, um Lei-tungshandeln zu beschreiben. Zum einen gehe es beim Leiten darum, das Säen und Ernten, nicht aber das Wachsen an sich, organisieren zu wollen. Zum anderen könne gerade auch im wirtschaftlichen Handeln Demut und ein Angewiesensein auf Vergebung ein Zeichen der Stärke sein.

Besonders einprägend war in der abschließenden Diskussionsrunde das Statement eines Teilnehmers, dass sich Führung notfalls auch

von unten neu organisieren kann: „Wenn die Leitkuh einer Herde Elefanten stirbt, dann irren die Elefanten zunächst im Kreis und laufen mal der einen oder anderen hinterher, bis sich schließlich eine damit abfindet, dass die gesamte Herde hinter ihr herläuft.“ Führung ist vor allem auch etwas, an dem man wächst und lernt, weshalb eine Kultur des Lernens wieder gestär-kt werden sollte und eine Balance zwischen „Verantwortung tragen und dafür auch einsteigen“ und eine gesunde „Offenheit für Fehler und Lernfähigkeit“ gefunden werden muss. Wer Führung wahrnimmt, sollte Treiber sein und nicht Ge-triebener. Leider wird in der Kirche schnell nur noch über „Macht und Autorität“ diskutiert, wenn man sich an dieses historisch geprägte heiße Eisen einer Führungskultur annähert. Das eine Führung not-wendig ist, sollte aber inzwischen außer Frage stehen. Dabei geht es aber nicht primär im die Frage, wie man eine Entscheidung umsetzt, sondern wie man zu einer Entschei-dung kommt. Hier sind Strukturen von Leitungsgremien ebenso zu hinterfragen wie das Rollenbild von Führungspersönlichkeiten. Diese sollten nicht durch heroische Bilder vom Führen überfordert werden, sondern der Fokus sollte auf die Lern- und Entwicklungsfähigkeit liegen. Dabei kann man sicherlich auch aus Bereichen der Wirtschaft lernen. Eine erste Erkenntnis wird sicherlich sein, dass es nicht „die Wirtschaft“ oder „die Kirche“ gibt, sondern dass sich gerade in der freien Wirtschaft eine Vielzahl an organisatorischen Strukturen und Führungskulturen entfaltet haben. Hier spielen auch Management-methoden, Delegationsinstrumente und die Schulung entsprechender Methodenkompetenzen eine Rol-le, die aber in der Kirche viel zu kurz kommen: „Die Kirche läuft 20 bis 25 Jahren hinter den Entwick-lungen in der Wirtschaft hinterher“, kommentierte ein Teilnehmer die Abschlussdiskussion.

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