Lean und Industrie 4 - Carl Hanser...

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Leseprobe zu Lean und Industrie 4.0 von Markus Schneider ISBN (Buch): 978-3-446-45917-5 ISBN (E-Book): 978-3-446-45986-1 ISBN (ePub): 978-3-446-46020-1 Weitere Informationen und Bestellungen unter https://www.hanser- fachbuch.de/buch/Lean+und+Industrie+40/9783446459175 sowie im Buchhandel © Carl Hanser Verlag, München

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Leseprobe

zu

Lean und Industrie 4.0

von Markus Schneider

ISBN (Buch): 978-3-446-45917-5

ISBN (E-Book): 978-3-446-45986-1

ISBN (ePub): 978-3-446-46020-1

Weitere Informationen und Bestellungen unter

https://www.hanser-

fachbuch.de/buch/Lean+und+Industrie+40/9783446459175

sowie im Buchhandel

© Carl Hanser Verlag, München

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Meine Vision ist „die perfekte Produktion“. Dieses Ziel motiviert mich seit über 15  Jahren bei der Suche nach organisatorischen und technischen Lösungen zur Optimierung von Produktions- und Logistikabläufen. Meine Mission ist es, mit Wissens- und Technologietransfer Unternehmen in Deutschland dabei zu helfen, in einem Hochlohnland wettbewerbsfähig zu produzieren. Unser Ziel muss es sein, Wertschöpfung und Arbeitsplätze bei uns zu erhalten. Dies bildet die Basis für Wohlstand und ein angenehmes Leben in unserem Land.

Um dies umsetzen zu können, habe ich 2008 das Kompetenzzentrum PuLL (Pro-duktion und Logistik Landshut) gegründet. Aus dieser Keimzelle sind inzwischen das Technologiezentrum PULS (Produktions- und Logistiksysteme) in Dingolfing und die PuLL Beratung GmbH in Landshut hervorgegangen. Am Technologiezen-trum PULS erforschen und entwickeln wir Methoden und Werkzeuge rund um die „Intelligente Produktionslogistik“. Den Kern bildet eine 900 m² große Lern- und Musterfabrik, die optimale Basis für anwendungsbezogene Forschung und praxis-nahe Aus- und Weiterbildung. Mit der PuLL Beratung GmbH habe ich ein Vehikel geschaffen, um unser Wissen in Form von Beratungs-, Coaching- und Schulungs-angeboten den Unternehmen effizient und zielführend zur Verfügung zu stellen. Unterstützt werde ich bei meiner Mission durch ein enges Netzwerk aus über 40 Unternehmen, die größtenteils im Bereich der Fabrikausrüstung tätig sind, und ein stetig wachsendes Team aus kompetenten Mitarbeitern.

Mein Wissen habe ich in Form des umfassenden Konzeptes „Lean Factory Design“ strukturiert. Den Kern bildet ein auf einer kollaborativen Softwarelösung auf-gebautes Produktionssystem, das uns zum internen Wissensmanagement dient. Das Leistungsportfolio umfasst den ausgereiften Methodenbaukasten „CoMIC“ zur ganzheitlichen Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen. CoMIC setzt sich aus folgenden Bausteinen zusammen:

� Co munication Flow Design (CoFD) � M aterial Flow Design (MFD) � I nformation Flow Design (IFD) � C apital Flow Design (CFD)

Vorwort

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VI Vorwort

CoFD fokussiert das für einen Projekterfolg enorm wichtige Thema der Kommuni-kation. Es wird strukturiert eine Kommunikation zu und zwischen verschiedenen Ebenen des Kunden aufgebaut. Von zentraler Bedeutung sind die gemeinsame Vi-sion, die Führungsmethode KATA und verschiedene Boards als Kommunikations-werkzeuge.

MFD umfasst eine Top-down-Betrachtung des gesamten Kundenstandortes mit Hilfe der Wertstrommethode und eines softwarebasierten Materialflussplanungs-systems, das wir Lean-kompatibel einsetzbar gemacht haben. Ergänzt wird dies durch eine Bottom-up-Methodik, die den einzelnen Arbeitsplatz optimiert. Den be-sonderen Mehrwert für den Kunden bildet hier unsere ausgefeilte, über viele Jahre methodisch entwickelte Vorgehensweise.

CFD ist ein völlig neuartiger Ansatz für ein Controlling for Lean. Dieser Ansatz wurde von H. Mathias Michalicki im Rahmen seiner Promotion am TZ PULS in Kooperation mit der Firma ebm papst entwickelt und richtet den Kapitalfluss am Wertstrom aus. H. Michalicki ist inzwischen Geschäftsführer der PuLL Beratung GmbH.

Im Rahmen von LFD ist dieses Buch dem immer wichtiger werdenden Bereich der Informationsflussgestaltung gewidmet. Information Flow Design stellt die Me-thoden und Werkzeuge zur Verfügung, um den Material- und Informationsfluss in einem Unternehmen zu synchronisieren. Das Alleinstellungsmerkmal von CoMIC ist, dass alle vier Leistungsbereiche über EINE Methode, das Wertstromdesign, aufeinander ausgerichtet werden. Dies bietet enorme Vorteile bezüglich der Kon-sistenz der mit diesem Methodenbaukasten erarbeiteten Strategien und Maßnah-men – es ist alles aus einem Guss.

Ich würde mich sehr freuen, wenn mein ganzheitliches Optimierungskonzept Lean Factory Design weite Verbreitung finden und von vielen Unternehmen genutzt werden würde, um noch besser zu produzieren und weiter zu wachsen. Ich möchte allen Unternehmern in unserem Land für ihren Mut und ihr Engagement danken. Mit Lean Factory Design möchte ich einen Beitrag zu sicheren Arbeitsplätzen und Wohlstand in Deutschland leisten.

Für die Unterstützung bei der Erarbeitung der Inhalte und als Sparringspartner möchte ich mich bei Herrn Sven Rittberger bedanken. Für die Unterstützung bei der Recherche und der Erstellung der Abbildungen gilt mein Dank den Herren Maximilian Langewort und Patrick Rannertshauser.

Prof. Dr. Markus Schneider, September 2018

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Prof. Dr. Markus Schneider

Derzeitige TätigkeitProfessur für Logistik, Material- und Fertigungswirtschaft an der Hochschule Landshut – www.haw-landshut.deLeiter Technologiezentrum PULS (Produktions- und Logistiksysteme) – www.tz-puls.deGeschäftsführender Gesellschafter PuLL Beratung GmbH – www.pull-beratung.de

Prokurist und Gesellschafter der Technologiezentrum Dingolfing GmbH (An-Insti-tut der Hochschule Landshut) – www.tzding.deLeiter KIP (Kompetenznetzwerk Intelligente Produktionslogistik) – www.tz-puls.de

Über den Autor

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VIII Über den Autor

Spezialgebiete � Lean Management � Intelligente Produktionslogistik � Materialfluss-, Produktions- und Logistikoptimierung � Prozessoptimierung � Fabrikplanung und Lean Factory Design � Industrie 4.0, Digitale Produktion und Digitale Fabrik

BerufserfahrungUmfangreiche Beratungserfahrung in zahlreichen Unternehmen und verschiede-nen Branchen und Schulung von über 3000 Teilnehmern rund um Lean in Produk-tion und Logistik, Aufbau und Einführung von Produktionssystemen und Fabrik- und Materialflussplanung (siehe www.pullberatung.de).

Aufbau und Leitung des TZ PULS mit 2700 m² und 33 Arbeitsplätzen.

Leitung mehrerer Forschungsprojekte (ca. 4,5 Mio. € Drittmittel) zu den Themen Lean (Aufbau eines Referenzproduktionssystems für den Mittelstand/Controlling for Lean etc. ) und Industrie 4.0 (Einsatz eines Real Time Location Systems zur Di-gitalisierung von Bewegungsdaten und ortungsbasierten Produktionssteuerung) als Professor für Logistik, Fertigungs- und Materialwirtschaft.

Autor mehrerer Fachbücher (Logistikplanung in der Automobilindustrie 2008, Pro-zessmanagement & Ressourceneffizienz 2012, Lean Factory Design 2016), zahl-reiche Veröffentlichungen und Vorträge auf Konferenzen.

Aufbau und Leitung (bis 2016) des erfolgreichsten berufsbegleitenden Masters der Hochschule Landshut „Prozessmanagement & Ressourceneffizienz“.

Berufsbegleitende Promotion zum Thema „Logistikplanung in der Automobilindus-trie“. Entwicklung einer Planungsmethodik für die Logistik im Rahmen der Digita-len Fabrik und Konzeptionierung als Software. Die Arbeit bildet heute die Basis für die Logistiklösung im Rahmen der „Siemens PLM Software“.

Mehrjährige Tätigkeit als Logistikplaner für die Fahrzeugmodellreihe A3 bei der AUDI AG an der Schnittstelle zwischen Technischer Entwicklung, Montageplanung und Logistikplanung. Logistikvertreter im SE-Team.

Ausbildung zum Speditionskaufmann.

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Inhalt

1 Einleitung – eine Welt, die sich verändert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2 Der Check-up – wie hoch ist der Bedarf für Lean und Digitalisierung in Ihrem Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2.1 Erläuterung des Check-ups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2.2 Fragebogen zum Check-up . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2.3 Auswertung des Check-ups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3 Lean Production – die bewährte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233.1 Lean – das aktuell wohl beste Produktionskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.2 Die acht Systemischen Prinzipien – Er läuterung anhand der Skigebietanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3.3 Zusammenfassung Lean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

4 Industrie 4.0 – das neue Heilsversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . 314.1 Die Herausforderungen von Industrie 4.0 – wo stehen die meisten

Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.2 Die drei Dimensionen von Industrie 4.0 – Smart Product, Smart Services und Smart Factory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

4.3 Warum Industrie 4.0? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

4.4 Industrie 4.0 – warum gerade jetzt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

4.5 Das beobachtete Muster der Digitalen Transformation – Transparenz, Vernetzung, Kundenmehrwert schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

4.6 Zusammenfassung Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

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X Inhalt

5 Unser Credo – Lean vor Industrie 4.0! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495.1 Potentielle Zielkonflikte zwischen Lean und Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . 49

5.2 Empfehlung zur Vorgehensweise – Lean vor Industrie 4.0 . . . . . . . . . . . . 51

5.3 Lean-kompatible Industrie-4.0-Technologien – die acht Systemischen Prinzipien als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6 Die Herausforderung – eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

6.1 Der Holzweg – ein technikorientiertes Zielbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

6.2 Der Lösungsweg – ein kundenorientiertes Zielbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596.2.1 Das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt stellen . . . . . . . . . . . . . 596.2.2 Startpunkt der Digitalen Transformation – die Smart Factory . . . 60

6.3 Methode zur Beschreibung eines kundenorientierten Zielbildes – das Wertstromdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

7 Die Methode – die Wertstromanalyse 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637.1 Beschreibung der klassischen Wertstrommethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

7.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

8 Die Digitalisierungsstrategie für Lean-Unternehmen – Ableitung mit Hilfe der Wertstrommethode 4.0 . . . . . . . . . . . . . 77

8.1 Ein gemeinsames Verständnis schaffen – Grundlagen der Digitalisierung und der Wertstromanalyse 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798.1.1 Was ist Digitalisierung, Industrie 4.0

und Digitale Transformation – ein gemeinsames Verständnis . . . 798.1.2 Das Basiswerkzeug – Vorstellung der Wertstromanalyse 4.0 . . . . 79

8.2 Die gemeinsame Herausforderung – das Ziel und die Vision verstehen 80

8.3 Den IST-Zustand verstehen – Wertstromanalyse 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . 828.3.1 Sehen lernen – Erstellung der (klassischen) Wertstromanalyse . . 828.3.2 Digital sehen lernen – Erweiterung zur Wertstromanalyse 4.0 . . 848.3.3 Positionsbestimmung – der aktuelle Digitalisierungsgrad

des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

8.4 Das Zielbild beschreiben – das Wertstromdesign erstellen . . . . . . . . . . . 91

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Inhalt XI

8.5 Der Umsetzungsplan auf Basis des Wertstromdesigns – KATA einsetzen 938.5.1 Hindernisse, an denen als Nächstes gearbeitet werden muss –

Kaizen entlang des Wertstromdesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 938.5.2 Der Schleifenplan – Reduzierung der Komplexität

der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 958.5.3 Erst organisieren – dann investieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

8.6 Der Technologieüberblick – Technologiescouting für Lean-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 978.6.1 Aufbau des Technologie-Überblickswissens – Messebesuche

und Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988.6.2 Aufbau eines Technologiekataloges – wie denkt ein Planer? . . . . 998.6.3 Vermittlung eines Technologieüberblicks – der Prozess

in der Lern- und Musterfabrik als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

8.7 Prozessorientierte Technologieauswahl – Erweiterung zum Wertstromdesign 4.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1038.7.1 Das SEE-Frageschema – Stabilität, Effizienz und Effektivität . . . . 1038.7.2 Vernetzung der digitalen Technologien – Auswahl einer

IIoT-Plattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1088.7.3 Prototypenhafte Umsetzung – Process Prototyping

in der Musterfabrik des TZ PULS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1128.7.4 Prozesse radikal neu denken – eine Anleitung . . . . . . . . . . . . . . . 113

8.8 Datenbasierten Mehrwert für den Kunden schaffen – Ausweitung zum Smart Product und Smart Service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

8.9 Zusammenfassung – Ableitung einer prozessbasierten Digitalisierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

9 Ein wertstrombasiertes Gesamtkonzept für Ihr Unternehmen – Lean Factory Design . . . . . . . . . . . . . . . . 119

9.1 WOHIN wir mit dem Kunden wollen – der Nordstern . . . . . . . . . . . . . . . . 120

9.2 WIE wir im Rahmen von LFD vorgehen – das LFD-Leistungsportfolio . . 123

9.3 WAS wir dazu einsetzen – das PuLL-Produktionssystem . . . . . . . . . . . . . 126

10 Der Nutzen einer Digitalisierungsstrategie – ein Kommu-ni kations instrument für die Produktion und Logistik . . . . . . . . 129

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

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Wir leben heute in einer VUCA-Welt (Ciesielski, Schutz 2016). Diese Abkürzung steht für

� Volatility (Volatilität) � Uncertainity (Ungewissheit) � Complexity (Komplexität) � Ambiguity (Mehrdeutigkeit)

Unsere Umwelt wird immer volatiler. Kundenwünsche ändern sich immer schnel-ler. Produktionspläne müssen häufig innerhalb eines Tages geändert werden. Neue Produkte müssen häufiger und schneller in unsere vorhandenen Produktions-abläufe integriert werden. Die Kundenwünsche und andere Umfeldänderungen sind zunehmend unvorhersehbar. Kurzzyklische Nachfrage nach individuellen Produkten mit neuen oder verbesserten Leistungseigenschaften und zunehmende Arbeitsteilung führen zur Steigerung der Komplexität in den Wertschöpfungsket-ten. Das Gesetz der Komplexität besagt, dass die Komplexität mit jeder Schnitt-stelle und jedem Zwischenschritt im Quadrat steigt. In komplexen Systemen sind Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge bei Störungen oder Änderungen der Wert-schöpfungskette schwerer nachvollziehbar.

All dies führt dazu, dass Unternehmen händeringend nach Lösungen suchen. Digi-talisierung und Industrie  4.0 erscheinen hier vielen als „Heilsversprechen“. Er-wartungsfroh geht der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, nennen wir ihn Bernd Boss, auf Veranstaltungen mit wohlklingenden Veranstal-tungstiteln. In dem Gewirr der Buzzwords, wie Industrie 4.0, Digitalisierung, Ver-netzung, Big Data, Smart Factory, Internet der Dinge, Cyber-physische Systeme, Echtzeitdaten und Digitaler Transformation, verliert Bernd Boss sehr schnell den Überblick. Die Verwirrung weicht zunehmender Frustration.

Was ist denn nun Industrie 4.0? Vieles, was dabei vorgestellt wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als „alter Wein in neuen Schläuchen“: Technologien im Be-reich der Automatisierung und PPS- und MES-Systeme, die es immer schon gab, und plötzlich sind alle 4.0.

1 Einleitung – eine Welt, die sich verändert

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2 1 Einleitung – eine Welt, die sich verändert

Industrie  4.0 ist ja kein geschützter Begriff. Jeder darf sein Produkt derart be-schreiben und betiteln.

Alle reden von neuen, digitalen Geschäftsmodellen. Dieser digitalen Erfolgsstorys mehr oder weniger bekannter Firmennamen aus Übersee ist er auch bald über-drüssig. Zum einen hat Bernd Boss in seinem Unternehmen ein etabliertes Ge-schäftsmodell mit physischen Produkten. Es wird einfach nicht klar, wie diese Er-folgsstorys auf ein bestehendes Unternehmen übertragen werden sollen. Und mal eben eine Idee für ein neues, digitales Geschäftsmodell hat er auch „nicht in der Tasche“. Er will ja auch sein bestehendes Unternehmen in die Zukunft führen und kein neues Unternehmen aufbauen.

Dann sind da noch die vielen spannenden Technologien. Unternehmerkollegen ex-perimentieren mit kollaborativen Robotern oder schwärmen von den Erfolgen im 3D-Druck. Andere setzen fahrerlose Transportsysteme in der Logistik ein. Wieder andere verstehen unter Industrie 4.0 ohnehin nur Automatisierung. Voller Panik, den Anschluss zu verpassen, setzt auch Bernd Boss auf vereinzelte technische Ex-perimente. Es wird aber schnell klar, dass dahinter jegliche Strategie fehlt. Er fin-det einfach kein Zielbild für Industrie 4.0, das ihn auf seinem Weg in die digitale Zukunft leiten könnte.

Geht es Ihnen ähnlich wie Bernd Boss? Dann finden Sie hier die Lösung. Wir zei-gen Ihnen, wie man kunden- und prozessorientiert mit Hilfe der Wertstrom­methode 4.0 eine Lean­kompatible Digitalisierungsstrategie erstellt.

Zunächst sollen Ihnen aber folgende Fragen helfen, den eigenen Bedarf für eine Lean- und Digitalisierungsstrategie abzuschätzen.

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Lean und Industrie 4.0 verfolgen zunächst sehr ähnliche Ziele. Lean möchte die Anforderungen der Kunden in Bezug auf höchste Qualität, niedrige Kosten und kurze Durchlaufzeit als Voraussetzungen für kurze Lieferzeiten erfüllen. Indus-trie 4.0 will darüber hinaus die Individualisierung der Produkte und Dienstleis-tungen meist im Rahmen neuer Geschäftsmodelle erreichen. So ähnlich die Ziele sind, so sehr unterscheiden sich die Ansätze zur Zielerreichung.

�� 5.1� Potentielle Zielkonflikte zwischen Lean und Industrie 4.0

Im Allgemeinen ist der Lean-Philosophie eine gewisse Technik­ und Automati­sierungsaversion inhärent. Im Mittelpunkt steht die ganzheitliche Betrachtung der Dimensionen Mensch, Technik und Organisation. Es wird durchaus vorsichtig und sehr bewusst mit Technik umgegangen. Industrie 4.0 ist ein ausschließlich technologiegetriebener Ansatz. Dies lässt zumindest potentielle Zielkonflikte mit einer Digitalisierungsstrategie vermuten.

Technologie sollte vor dem operativen Einsatz gründlich ausgetestet sein. Begriffe wie LCIA Low-Cost-Intelligent-Automation (nur kostengünstige, einfache Auto-matisierung, wo es wirklich Sinn macht)- oder Autonomation (automatisierte Pro-zesse müssen bei Qualitätsproblemen autonom, also ohne menschlichen Eingriff anhalten) zeigen, dass es eine durchaus gesunde Skepsis gegenüber der in unse-ren Kreisen häufig als Allheilmittel geltenden Automatisierung gibt.

Die kurzfristige Produktionssteuerung sollte der Lean-Philosophie entsprechend möglichst ohne EDV, nur mit Heijunka- oder Kanban-Boards funktionieren. Es sol-len stabile, standardisierte Prozesse in transparenten Produktionslinien aufgebaut werden. Abweichungen vom Sollzustand müssen transparent und visuell erfassbar sein. Dagegen setzt Industrie  4.0 auf komplexe, sich selbst steuernde Systeme.

5 Unser Credo – Lean vor Industrie 4.0!

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50 5 Unser Credo – Lean vor Industrie 4.0!

Fließlinien mit Takt und Sequenz werden aufgelöst. Damit fehlen wichtige Be-standteile für das Erkennen von Abweichungen.

Zur Problemlösung stehen im Lean-Denken die Mitarbeiter im Mittelpunkt. Das Ziel ist es, deren Problemlösungsfähigkeit zu nutzen und zu entwickeln. Der Industrie-4.0-Ansatz ist es, möglichst breit nach Korrelationen in Daten zu su-chen.

Die Unternehmen befinden sich in einem Handlungsdilemma. Die Anforderungen der Lean-Philosophie und von Industrie 4.0 erzeugen zunächst eine Reihe von Ziel-konflikten. Es ist in der Praxis zu beobachten, dass viele Unternehmen, die bei der Lean-Einführung bereits sehr weit waren, nun eine „Rolle rückwärts“ vollziehen. Komplett EDV-frei gesteuerte, minimale Shopfloorbestände werden plötzlich wie-der mit enormem Mehraufwand gescannt, nur damit die Daten in einem EDV-Sys-tem vorhanden sind.

Es wird wieder „auf Teufel komm raus“ automatisiert. Es wird nicht mehr ver-sucht, einen Transport zu vermeiden, nein, der Transport wird mit einem FTS (Fahrerlosen Transportsystem) automatisiert und „kostet dann ja nichts mehr“. Leider ist das falsch. Wir beobachten wieder vermehrt die Tendenz Verschwen-dung zu automatisieren. Dieser Fehler, den viele bereits aus Erfahrungen der Ver-gangenheit (Schlagwort CIM) erkannt haben, wird nun unter dem Vorzeichen von Industrie 4.0 wiederholt.

Besondere Beachtung bei der Beurteilung potentieller Zielkonflikte zwischen Lean und Industrie 4.0 verdient die Organisation in den Unternehmen. Es ist nämlich häufig zu beobachten, dass die Lean-Strategie von einer anderen Abteilung ent-wickelt und vorangetrieben wird als die Digitalisierungsstrategie. Die Lean-Initia-tive ist meist der Produktion zugeordnet, während die eher technischen Aspekte einer Digitalisierungsstrategie eher an eine technikaffine und IT-nahe Abteilung gekoppelt werden. Laut einer Studie treibt in über 66 % der befragten Unterneh-men derzeit die IT-Abteilung das Thema Digitalisierung voran (Schmitz 2018). So-mit sind Abstimmungsdefizite und gegenläufige Entwicklungen zwischen beiden Strategien (Lean und Digitalisierung) vorprogrammiert.

Im Folgenden soll ein Vorschlag gezeigt werden, wie das Handlungsdilemma der Unternehmen aufgelöst werden könnte.

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515.3�Lean-kompatible Industrie-4.0-Technologien – die acht Systemischen Prinzipien als Basis

�� 5.2� Empfehlung zur Vorgehensweise – Lean vor Industrie 4.0

Unser ganz klares Credo lautet

Lean vor Industrie 4.0!

Lean beschäftigt sich intensiv mit den Dimensionen Mensch und Prozess. Wir schlagen daher vor, zunächst alle Prozesse und Strukturen eines Unternehmens der Lean-Philosophie entsprechend zu optimieren. Das Ziel sind effiziente und schlanke Prozesse. In einem Folgeschritt kann dann überprüft werden, wie mit Hilfe von Industrie-4.0-Technologie die Unternehmensprozesse noch weiter in Richtung der von Lean vorgegebenen Ziele optimiert werden können. Technologie kann aus unserer Sicht nur ein Enabler, kein Selbstzweck sein. Dies löst die Ziel-konflikte für die Planer bei ihren Entscheidungen.

Wie kann aber nun eine Überprüfung und Auswahl von Lean­konformen In­dustrie­4.0­Technologien aussehen?

Im Rahmen unseres Optimierungskonzeptes „Lean Factory Design“ haben wir als eine wichtige Basis die acht „Systemischen Grundprinzipien von Lean“ heraus-kristallisiert, die beschreiben, wie ein Lean-System optimal aufgebaut sein sollte (Schneider 2016). Im Folgenden wird aufgezeigt, dass Technologien Lean-konform sind, wenn sie einen Beitrag dazu leisten, eines oder mehrere dieser Systemischen Prinzipien besser zu erreichen und damit das betrachtete Produktionssystem nä-her an den Lean-Idealzustand zu bringen.

�� 5.3� Lean-kompatible Industrie-4.0-Techno-logien – die acht Systemischen Prinzipien als Basis

Im Kapitel 3.2 wurden wichtige Grundlagen von Lean anhand der acht Systemi­schen Grundprinzipien Fluss, Takt, Standard, Pull, Integration, Synchronisation, Perfektion und Robustheit in Analogie zu einem Skigebiet erläutert. Diese Analo-gie soll nun um den Ansatz von Industrie 4.0 erweitert werden.

Ein erster Fehler ist meist, dass mit Industrie 4.0 nach einem neuen Zielbild ge-sucht wird. Eine wichtige Erkenntnis ist jedoch, dass das Zielbild allein von den Erwartungen des Kunden bestimmt wird und sich somit durch Industrie 4.0 gar nicht verändern darf. Es mögen nur neue Mittel und Wege zur Verfügung stehen, die Kundenerwartungen zu erfüllen.

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52 5 Unser Credo – Lean vor Industrie 4.0!

Was erwartet unser Kunde also in der Skigebietanalogie? Er möchte im Skigebiet möglichst ungestört und häufig die Piste hinunterfahren und nicht an den Liften warten oder an Engstellen von anderen Skifahrern ausgebremst werden.

Um die Kundenanforderung ergänzend zu den Lean-Ansätzen (siehe Kapitel 3.2) noch besser erfüllen zu können, bietet sich die gezielte Ausstattung unserer Pro-duktion mit Sensorik an, um die Zustände der verschiedenen Produktionsberei-che und Produktionsmittel überwachen zu können. In der Skigebietanalogie be-deutet dies beispielsweise, alle Pisten und auch angrenzende Hänge mit Sensoren auszustatten, die die Schneehöhe und Schneebeschaffenheit, wie die Temperatur etc., überwachen. Kurzfristig könnte damit den Skifahrern die Infor-mation übermittelt werden, dass bestimmte Pisten vormittags nicht mehr ganz so hart oder aber nachmittags andere Pisten noch in einem guten Zustand sind. Pistenraupen könnten gezielt zum Einsatzort gesteuert werden. Mit den Infor-mationen von den Seitenhängen könnten vielleicht die Lawinengefahr und even-tuell notwendige Pistensperrungen besser bewertet werden. Wie in Kapitel 4.5 beschrieben, gilt es zunächst Transparenz zu schaffen und den Zustand des Systems abzubilden.

Mittelfristig könnten die Hänge gezielter künstlich beschneit werden, wenn die Schneedeckenhöhe flächendeckend bekannt ist. Dies ließe sich auch mit der Wet-tervorhersage koppeln. Angenommen, in den nächsten Tagen ist ein warmer Süd-wind angekündigt, so ließe sich ableiten, welche Pistenteile dadurch besonders von der Schneeschmelze betroffen sind, und diese Teile könnten schon Tage vorher intensiver künstlich beschneit werden. Diese Informationen würden hauptsächlich helfen Verschwendungen zu vermeiden, beispielsweise durch schlechte Pisten ver-ursachte Wartezeit oder Überproduktion von künstlichem Schnee am falschen Ort. Die Informationen könnten durch den Einsatz von KI (Künstlicher Intelligenz) automatisiert verarbeitet und Entscheidungen abgeleitet werden. Natürlich ist die Schneeproduktion bereits heute fast vollständig automatisiert. Durch entspre-chende Roboter ließe sich vielleicht auch die Verteilung des Schnees und die Pis-tenpflege noch automatisieren. Durch die Vernetzung der Daten lässt sich die Effi-zienz unseres Skigebietes steigern und Teile der Tätigkeiten können intelligent automatisiert werden (vgl. Kapitel 4.6).

Auf eine Produktion übertragen, bedeutet dies, dass Bestände vielleicht besser überwacht und gezielt hochgefahren werden könnten. Ebenso können Personal- und Maschinenkapazitäten frühzeitiger und genauer geplant werden (Achtung auf Lean). Eine Automatisierung aus Lean-Sicht, wie bereits unter dem Begriff LCIA angesprochen, von einfachen repetitiven Tätigkeiten mag auch unter Lean-Ge-sichtspunkten Sinn machen. Zur Beurteilung von Automatisierungslösungen ist besonders auf die Beachtung des Prinzips der Integration zu verweisen. Viele Automatisierungslösungen in der Praxis betrachten nämlich nur Systemaus-

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535.3�Lean-kompatible Industrie-4.0-Technologien – die acht Systemischen Prinzipien als Basis

schnitte. Bei einer gesamtheitlichen Betrachtung des Prozesses ist schnell fest-zustellen, dass die Automatisierung völlig überflüssig ist.

Ein Beispiel aus der Praxis mag dies verdeutlichen: Bei einem Audit wurden uns stolz ein FTS (Fahrerloses Transportsystem) und ein Roboter als Beispiel für die technologischen Fähigkeiten und den hohen Grad an Industrie 4.0 im Unterneh-men gezeigt. Aufgrund einiger Nachfragen konnten wir sehr schnell herauskris-tallisieren, dass der sehr teure Roboter nur nötig war, um die Halbfertigteile über die Fahrstraße in der Halle zu heben, also an sich keinerlei Wertschöpfung am Produkt erbringt. Warum war die Fahrstraße überhaupt nötig? Die Antwort war, damit das FTS auf die andere Seite der Montagelinie fahren konnte. Warum musste das FTS überhaupt diese Strecke fahren? Die Antwort war, weil die Vormontage auf der falschen Seite der Montagelinie geplant war!

Sie sehen, einzeln betrachtet macht jeder Automatisierungsschritt Sinn. Wenn man den ganzen Prozess integriert betrachtet und fünfmal nach dem Warum fragt (5 W-Methode), stellt jeder Automatisierungsschritt eine vollkommen überflüssige Verschwendung dar. Und glauben Sie uns, das genannte Beispiel ist alles andere als ein Einzelfall.

Als einen weiteren Schritt könnten die Skifahrer selbst, also die Kundenauf­träge, mit Sensoren ausgestattet werden. Mit Hilfe der Ortungstechnologie ist je-derzeit bekannt, wo sich die Skifahrer befinden und wie schnell sie sich gerade bewegen. Hieraus lassen sich sicher interessante Schlüsse aufgrund von Bewe-gungsmustern oder bestimmten Stauungen, sei es an Skiliften oder unfallgefähr-deten Stellen, ziehen. Hier wären sicher automatisierte Analysen und die Ansätze von Big Data hilfreich. Aber auch diese Ansätze machen eine vorherige intelligente Problemanalyse nicht überflüssig. Schließlich finden auch automatisierte Systeme nur, wonach überhaupt gesucht wird.

Richtig interessant wird diese Ortungsinformation, wenn man die Kundenaufträge kurzfristig steuern kann. Stellen Sie sich vor, der Skifahrer bekäme ständig ak-tuelle Informationen zu Wartezeiten an bestimmten Skiliften oder in den Hütten kurz vor dem Mittagessen, beispielsweise über Tafeln an den Skiliften oder noch besser über seine Skibrille, wie mit einem Head-up-Display im Auto, eingeblendet. Heute ist das Problem, dass Sie zu irgendeinem Lift abfahren und erst ganz unten bemerken, wie lang die Schlange ist. Sie würden sich vielleicht die Talabfahrt spa-ren und eine andere Piste nehmen. Noch schlimmer ist es bei der Suche nach der Hütte für das Mittagessen. Hier merken Sie erst, wenn Sie die Skier abgeschnallt haben und in der Hütte sind, wie lange Sie wohl werden warten müssen. Die Aus-lastung der Hütten und Skilifte könnte nivelliert werden. Der Skifahrer passt seine Strecke durch das Skigebiet unter gewissen Randbedingungen an und wählt weni-ger ausgelastete Lifte oder Hütten oder passt sich zeitlich an, verschiebt also das Mittagessen um eine gewisse Zeit.

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54 5 Unser Credo – Lean vor Industrie 4.0!

Aufbauend auf den gesammelten Daten könnte also ein Kundenmehrwert erzeugt werden, in dem der Nutzen eines Skitages erhöht wird, da geringere Wartezeiten anfallen (vgl. Kapitel 3.2).

Bild 5.1  Erweiterung der Skigebietanalogie um den Industrie-4.0-Ansatz

Auf eine reale Produktion übertragen, wird häufig davon gesprochen, dass „sich das Produkt selbst den Weg durch die Produktion sucht“. Dieses Bild mag viel-leicht etwas zu weit gehen. Nach Meinung der Autoren wird das so nicht stattfin-den. Vielmehr mag dem Kundenauftrag auf dem Weg durch die Produktion dezen-tral auf Basis von zentral vorgegebenen Randbedingungen ein gewisser Optimierungsspielraum gegeben werden. Wenn der Skifahrer bereits eine be-stimmte Piste gewählt hat, kann er noch zwischen der weiteren Abfahrt 1a und 1b wählen. Die Abfahrten 2, 3 und 4 sind nicht mehr möglich. Ebenso sind auf der gewählten Abfahrt nur die Hütten A und B erreichbar. Die Hütten C bis F liegen außerhalb der Wahlmöglichkeit. Der Skifahrer kann das Mittagessen sicher eine halbe Stunde vorziehen oder verschieben, aber er wird es vermutlich nicht ausfal-len lassen oder gleich auf 9 Uhr morgens verlegen, da dann noch nichts in den Hütten los ist.

Dies wird auch für eine Produktion gelten. Für einen bestimmten Kundenauftrag sind bestimmte Produktionsschritte abzuarbeiten. Hier wird es in der Bearbei-tungsreihenfolge nur sehr bedingte Abweichungsmöglichkeiten geben, da bei-spielsweise erst geschweißt, dann geschliffen und dann lackiert werden muss. Sollten mehrere Ressourcen, beispielsweise Maschinen, zur Verfügung stehen, die nicht in einen Fluss integrierbar sind, dann könnte sich der Kundenauftrag an der Ressource mit der geringsten Wartezeit einreihen.

Absolut richtig und zu begrüßen ist aus Lean-Sicht jedenfalls die Tendenz, den Kundenauftrag als wichtigstes Optimierungskriterium für den Produktionsdurch-lauf zu sehen und nicht mehr die Auslastung einzelner Ressourcen. Diese sind nur noch das Resultat und werden (außer am Engpass) nicht mehr aktiv geplant. Hiermit haben die meisten existierenden PPS sicher noch ein größeres Problem, aber dies entspricht absolut der Lean-Philosophie.

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555.4�Zusammenfassung

�� 5.4� Zusammenfassung

Im vorherigen Kapitel wurde anhand beispielhafter Technologien gezeigt, wie überprüft werden kann, ob eine Technologie aus Lean-Sicht geeignet erscheint, nämlich dann, wenn die zu bewertende Technologie das Produktionssystem näher an den durch die acht Systemischen Prinzipien beschriebenen Idealzustand bringt.

Ein gewisses Potential für Zielkonflikte zwischen Industrie 4.0 und Lean ist sicher nicht wegzudiskutieren, zumal Industrie 4.0 kein geschützter Begriff ist. Jeder darf seine Technologie und sein Produkt als „Industrie 4.0“ bezeichnen. Wir stellen auf den Messen und Kongressen rund um die Produktion mit Erstaunen fest, dass viele Produkte und Ansätze, die wir mit der Lean-Philosophie über 30  Jahre als obsolet und nicht zielführend entlarvt haben, unter dem Vorzeichen von „Indus-trie 4.0“ plötzlich wieder „Oberwasser“ haben und tatsächlich immer noch oder wieder Abnehmer finden.

Um es nochmals zu wiederholen: Unser ganz klares Credo lautet

Lean vor Industrie 4.0!

Daher wollen wir im Folgenden von „Lean-konformer Industrie-4.0-Technologie“ sprechen. Den Weg, dies zu bewerten, haben wir in diesem Kapitel gezeigt: die Überprüfung anhand der acht Systemischen Prinzipien.

Diese Vorgehensweise bildete die methodische Basis beim Aufbau des Techno-logiekataloges mit 180 Lean­konformen Technologien für den Bereich der Pro-duktion und Logistik und dem darauf aufbauenden Technologiescouting (siehe Kapitel 8.6).

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Nachdem in vorherigen Kapiteln aufgezeigt wurde, dass Lean und Industrie 4.0 zwar ähnliche Ziele verfolgen, aber dazu grundsätzlich andere Wege gehen, ist auch nachvollziehbar, dass sich die beiden Ansätze durchaus gegenseitig unter-stützen, jedoch auch zu vielen Zielkonflikten und kontraproduktiven Effekten in Unternehmen führen können.

Eine Digitalisierungsstrategie soll einem Unternehmen den Weg zur digitalen Transformation des eigenen Geschäftsmodells weisen. Gemäß unserem Credo Lean vor Industrie 4.0! wollen wir Ihnen im Folgenden einen erfolgversprechen-den Lösungsweg aufzeigen.

�� 6.1� Der Holzweg – ein technikorientiertes Zielbild

„Vielleicht der größte Irrtum, dem viele Unternehmen aufsitzen. Schnellere Rech-ner, eine anständige App und eine aktuelle Homepage sind notwendige Bedingun-gen für den Wandel. Für sich genommen aber bedeuten sie gar nichts. Viel ent-scheidender ist die Erkenntnis, was die Technik mit sich bringt: Informationen über Produkte, deren Qualität und Preise sind universell verfügbar, und zwar zu jeder Zeit und sofort.“ (Kreimeier 2017).

Dieses Zitat spiegelt aus unserer Sicht sehr passend den Denkfehler vieler Unter-nehmen auf dem Weg zur Digitalen Transformation wider. Es wird das in der Ver-gangenheit erfolgreiche analoge Geschäftsmodell mit etwas Industrie-4.0-Technik einfach weitergedacht.

Die Unternehmen suchen nach einem „Zielbild oder einer Technologielandkarte zur Digitalisierung“. Auch wir sind diesem Denkfehler für einige Zeit gefolgt und haben versucht ein „Zielbild für Industrie 4.0“ aufzubauen.

Beispielhaft für ein technologiegetriebenes Zielbild sei hier die Einteilung nach Kollmann/Schmidt angeführt, die als zentrale Gebiete der Technologie 4.0 das „In-

6 Die Herausforderung – eine eigene Digitalisie-rungsstrategie entwickeln

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58 6 Die Herausforderung – eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln

ternet der Dinge“, „Robotik“, die „Künstliche Intelligenz (KI)“ und den „3D-Druck“ identifizieren. Im Hintergrund werden als Infrastrukturtechnik noch „Cloud-Com-puting“ und „Big Data“ aufgezählt (Kollmann, Schmidt 2016).

Diese Systematisierungen der Digitalisierungstechnologien sind unbestreitbar hilfreich und nützlich, um sich einen Überblick über die vielfältigen technologi-schen Möglichkeiten zu verschaffen. Dies soll auch absolut nicht in Abrede gestellt werden. Allerdings taugen diese Systematisierungen, egal in welcher Form und Tiefe, leider nicht zur Ableitung einer Digitalisierungsstrategie für Unternehmen. Wir konnten in mehreren Unternehmen beobachten, wozu ein derart technologie­getriebenes Vorgehen führen kann.

Wenn Sie sicherstellen wollen, dass ihre Digitalisierungsstrategie garantiert „in die Hose geht“, können wir folgendes Vorgehen empfehlen:

Geben Sie eine Technologieauswahl vor und fordern Sie jeden Ihrer funktionalen Organisationsbereiche wie Produktion, Logistik, Einkauf usw. auf, mögliche Ein-sparungen durch den Einsatz von Industrie-4.0-Technologien auszuweisen.

Diese Vorgehensweise vereint gleich mehrere „Vorteile“:

� Sie gehen streng technologiegetrieben vor. Einzelne Technologien sollen auf Einsparmöglichkeiten hin (auf welcher Basis auch immer) bewertet werden. Der Prozess spielt eine untergeordnete Rolle.

� Sie stellen sicher, dass die eigentliche Aufgabe – durch die funktionsübergrei-fende Vernetzung von Informationsflüssen einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen – im Keim erstickt wird. Das „gesunde“ Abteilungsdenken bleibt er-halten. Etwas interner Wettbewerb hat ja noch nie geschadet.

� Die Konzentration auf finanzielle Einsparungen je Bereich bewirkt zuverlässig, dass nach innen, ins Unternehmen, anstatt nach außen in Richtung Kunde fo-kussiert wird. Kosten sind Hard Facts; was man dem Kunden Schönes bieten kann, ist nur Spekulation.

� Auf Basis der „fehlenden Wirtschaftlichkeit“ lässt sich schließlich dann ganz einfach jegliche Initiative „in den Boden stampfen“. Was sich nicht „rechnen“ lässt, wird auch nicht gemacht, Mehrwert für den Kunden hin oder her.

Das hier beschriebene Vorgehen ist für die Herausforderung einer Digitalen Transformation nicht zielführend. Ein weiteres zu beobachtendes Vorgehen, um zu einem „Digitalen Unternehmen“ zu werden, ist es, aus der Zentrale die Vor-gabe zu machen, dass bis zum Zeitraum x in jedem Werk mindestens x kollabo-rative Roboter und x Fahrerlose Transportsysteme im Einsatz sein müssen. Dieses Vorgehen birgt die erhebliche Gefahr, dass Technologie eingeführt und „schöngerechnet“ wird, ohne die Sinnhaftigkeit aus Sicht des Prozesses zu be-rücksichtigen. Unserer Meinung nach ist immer zuerst der Prozess aus Kunden-sicht zu betrachten und die Technologie muss diesen Prozess unterstützen, nicht umgekehrt.

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596.2�Der Lösungsweg – ein kundenorientiertes Zielbild

Ein schon wesentlich vielversprechenderes Vorgehen ist, aus mehreren der ge-nannten Felder Technologien zu erwerben, vornehmlich kollaborative Roboter, Fahrerlose Transportsysteme und verschiedene Sensor- und kamerabasierte Sys-teme, und damit Experimente durchzuführen.

Viele meinen, die in Kalifornien wüssten schon, was in 15 oder 20  Jahren sein wird und wie dem zu begegnen ist. Und dieser Vorsprung sei auch nicht einzuho-len. „Die Wahrheit ist: Google weiß auch nicht mehr über die Zukunft als irgendein Maschinenbauer von der Schwäbischen Alb. Aber Google probiert aus, und zwar sehr viel, und zwar deshalb, weil das Unternehmen es sich leisten kann. Das ist das wichtigste Prinzip der Stunde. Es heißt Trial-and-Error, und auch das ist alles andere als neu.“ (Kreimeier 2017).

Gegen dieses Vorgehen, zu experimentieren, ist zunächst auch nichts einzuwen-den. Es spricht einiges dafür, Experimente durchzuführen und die neuen Techno-logien kennen und einschätzen zu lernen. Unser Kritikpunkt bezieht sich aller-dings darauf, dass bei den von uns beobachteten Unternehmen kein gezielter Auswahlprozess der Technologien stattfindet. Dem Handeln liegt keine kunden­orientierte Digitalisierungsstrategie als richtungsgebendes Element zu Grunde. Es besteht somit zumindest die Gefahr, dass durch die nicht zielgerichtete Techno-logieauswahl Zeit und Geld verschwendet wird.

�� 6.2� Der Lösungsweg – ein kundenorientiertes Zielbild

Die zentrale Erkenntnis nach Monaten des Recherchierens und des Erstellens ver-schiedenster Ansätze, um ein „Zielbild Industrie 4.0“ aufzubauen, war, dass sich das Zielbild des Unternehmens durch Industrie  4.0 gar nicht verändern darf. Das Zielbild wird alleine von unserem Kunden und dessen Anforderungen bestimmt. Digi-talisierung und Industrie 4.0 bieten lediglich (neue) technische Bausteine, diese Kun-denanforderungen noch besser erfüllen zu können, nicht mehr und nicht weniger.

6.2.1� Das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt stellen

Auch das Wirtschaftsmagazin Capital kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Im Kern allerdings geht es auch in dieser schönen neuen Welt um ein uraltes betriebs-wirtschaftliches Prinzip: Der Unternehmer muss herausbekommen, was seine Kunden möchten und wie er sie für sein Produkt interessieren kann. Und wenn ihm das nicht gelingt, dann ist er früher oder später weg, ob er nun ein .com hinter seinem Namen hat oder nicht.“ (Kreimeier 2017). Was uns die in Kalifornien, die

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60 6 Die Herausforderung – eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln

Vorreiter der Digitalisierung, bisher voraushaben, ist es, tatsächlich das Kunden-bedürfnis in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen. „Das aber zeigt allenfalls, dass einige der Alteingesessenen aus dem Blick verloren haben, was sie einst großgemacht hat.“ (Kreimeier 2017).

Wie können wir aber nun das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt stellen und auf dieser Basis eine Digitalisierungsstrategie entwickeln?

Zunächst ist die Frage zu stellen, wo Sie Ihre Digitalisierungsstrategie beginnen sollten. Als Einstiegspunkte dienen uns die drei Dimensionen der Industrie 4.0, das Smart Product, die Smart Services und die Smart Factory (siehe Kapitel 4.2).

6.2.2� Startpunkt der Digitalen Transformation – die Smart Factory

Viele Start-ups beginnen ihren Digitalisierungsweg mit einem innovativen Pro-dukt oder Service. Von dieser Seite in die Digitale Transformation einzusteigen fällt vielen alteingesessenen Unternehmen mit etablierten Geschäftsmodellen un-endlich schwer und führt nicht selten nach einem kurzen Versuch zur frustrierten Aufgabe des gesamten Vorhabens „Digitalisierung“: „Wir haben eben kein Smart Product und wissen auch nicht, wie wir das machen sollten!“

Hier nun die Empfehlung:

Starten Sie dort, wo Sie sich am wohlsten fühlen – warum nicht in der Smart Factory.

Beginnen Sie die Digitalisierung dort, wo Ihre Kernkompetenzen liegen, bspw. in der Produktion und Logistik.

Der kritische Leser mag an dieser Stelle einwerfen: „Was bringt es einer Bank, über das papierlose Büro nachzudenken, wenn ein FinTech mit einem komplett neuen Geschäftsmodell an ihr vorbeizieht?“

Das ist völlig richtig. Das Ziel unserer vorgeschlagenen Vorgehensweise ist es aber, die etablierten Unternehmen überhaupt erst einmal ins digitale Denken und zum Handeln zu bekommen. Es ist ein Vorschlag, die oft zu beobachtende Schockstarre oder Handlungsblockade zu durchbrechen. Hat sich das Team in einem bekannten Bereich dann erst an die Muster und Denkweisen der Digitalen Transformation gewöhnt, kann man viel leichter zu den Smart Services und potentiellen neuen Geschäftsmodellen übergehen. Wie lange dieser Übergang dauert, ist jedoch sehr unterschiedlich. Kann dieser „Reifungsprozess“ in einem Unternehmen sehr schnell, also in wenigen Monaten mit aufeinander folgenden Workshops, durch-laufen werden, ist das eingangs genannte Gefahrenpotential überschaubar. Diese Vorgehensweise hat sich in einigen Pilotprojekten bisher sehr gut bewährt.

Wenn also für Sie die Smart Factory der beste Startpunkt der Digitalen Transfor-mation ist, sollten Sie sich die Frage stellen: „Wie wird aus einem Kundenauf­trag ein fertiges Produkt und wie wird es ausgeliefert?“

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616.3�Methode zur Beschreibung eines kundenorientierten Zielbildes – das Wertstromdesign

Durch die schrittweise Vernetzung der Maschinen und Objekte auf dem Shopfloor entwickelt man das Verständnis und die Kompetenzen dafür, was Digitalisierung für die eigene Firma bedeutet. Folglich muss der Weg zu Industrie 4.0 für jedes Unternehmen individuell sein.

Es fehlt auch nach weitreichender Recherche bisher schlicht und ergreifend eine entsprechende Methodik für die beschriebene Herausforderung, die Digitale Transformation über die Smart Factory zu beginnen.

Wir müssen uns auf das zurückbesinnen, was wir im Lean­Umfeld seit jeher ge-lernt haben – das Zielbild weiterhin alleine vom Kunden zu denken.

Wie bereits erwähnt lautet unser Credo: Lean vor Industrie 4.0!

�� 6.3� Methode zur Beschreibung eines kundenorientierten Zielbildes – das Wertstromdesign

Zunächst sollte daher die Unternehmensführung eine Vision, also ein langfristi-ges Idealbild, festlegen, das beschreibt, wie ein Wert für den Kunden optimal er-bracht werden kann. Diese Vision dient als Nordstern zur Ausrichtung allen Han-delns. Für das tägliche Arbeiten ist eine Vision jedoch meist zu abstrakt. Diese muss in Form eines Zielbildes enger gefasst werden. Ein Zielbild beschreibt übli-cherweise einen Zustand, der in ein bis drei Jahren in der Zukunft erreicht werden soll. Dieses Zielbild sollte auf Organisations- und Wertstromebene vorhanden sein.

Aktueller Ist-Zustand

Nordstern (langfristige Vision)

Nächster Zielzustand

Zielbild

StrategieFührung legt die übergeordnete Ausrichtung der Organisation

fest (Herausforderung) = anspruchsvolles

Bild dessen, wo man in 1-3 Jahren sein will

UmsetzungFührung coacht in Richtung der Herausforderung anhand realer

Prozesse

Bild 6.1  Der Weg zum Nordstern (in Anlehnung an (Aulinger, Rother 2017))

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62 6 Die Herausforderung – eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickeln

Die Wertstrommethode dient dazu, den aktuellen IST-Zustand zu analysieren und einen zukünftigen SOLL-Zustand für sämtliche Ereignisse zu entwickeln, die ein Produkt bis zum Kunden hin durchläuft. Mittels des SOLL­Wertstroms wird das vorher genannte Zielbild beschrieben und alle Verbesserungsaktivitäten werden auf ein Durchbruchsziel hin ausgerichtet. Der SOLL-Wertstrom ermöglicht die For-mulierung von auf das Gesamtoptimum bezogenen Anforderungen an die Einzel-prozessgestaltung und individuelle Verbesserungsaktivitäten.

Sollte die Geschäftsführung noch keine geeignete Vision für eine Digitale Trans-formation haben, was aktuell vermutlich bei sehr vielen Unternehmen der Fall sein dürfte, so ist die Empfehlung, keinesfalls zu warten, sondern sehr pragma-tisch mit der Formulierung eines SOLL-Wertstroms zu beginnen und dies als die Herausforderung für die nächsten Jahre anzusehen (Aulinger, Rother 2017).

�� 6.4� Zusammenfassung

Äußerst wichtig war für uns die Erkenntnis, dass es kein Zielbild für Industrie 4.0 gibt. Keine Auflistung von Technologien, die Sie dann versuchen in Ihrem Unter-nehmen einzusetzen, wird Sie wirklich auf Ihrem Weg zur Digitalen Transforma-tion weiterbringen. Das Zielbild, darf sich durch Industrie 4.0 NICHT verändern und weiterhin nur vom Kunden her gedacht werden. Die Industrie-4.0-Techno-logien sind lediglich weitere Bausteine, um den Kundennutzen zu steigern.

Eine weitere wichtige Erkenntnis betrifft den Startpunkt einer Digitalisierungs-strategie. Dies muss nicht unbedingt gleich das neue Geschäftsmodell oder das smarte Produkt sein. Wenn Ihre Kompetenzen heute in der Produktion liegen, dann starten Sie mit der Smart Factory. Wenn Sie sich erst an die Denkweisen der Digitalen Wirtschaft gewöhnt haben, fällt es viel leichter, Ihr Denken in Richtung Smart Product und Smart Service auszuweiten. Empfehlenswert wäre hier nur, diesen „Reifeprozess“ in einem überschaubaren Zeitraum zu durchlaufen.

Die richtige Methode, um ein Zielbild zu beschreiben, ist die Wertstrommethode. Diese muss jedoch noch etwas erweitert werden, um für die Digitale Transforma-tion einsetzbar zu sein.

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Symbole

3P-Workshop 95

A

acht Systemische Grundprinzipien 26, 51

C

Check-up 3

D

datenbasierter Mehrwert 115Digitale Transformation 35Digitalisierungsgrad 90Digitalisierungslücken 90Digitalisierungsstrategie 57, 77Digital sehen lernen 89drei Dimensionen der Digitalen Trans-

formation 35

E

Erweiterung zur Wertstromanalyse 4.0 70

F

Fließfertigung 25

I

Industrie 4.0 31, 38Information Flow Design 119

K

KATA 93kontinuierliche Verbesserung (KVP) 24

L

Lean 23, 29, 30Lean Factory Design 119Lean vor Industrie 4.0 51, 61, 91Lern- und Musterfabrik 64

M

Methodenbaukasten „CoMIC“ 124Muster der Digitalen Transformation 45

N

Nordstern 80

O

Organisation, Technologie und Mensch 123

P

Potenziale der Digitalisierung 73

Index

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142 Index

Process Prototyping 112Proof-of-Concept 113Prozessinnovation 118Prozessorientierte Technologie-

auswahl 103PuLL-Produktionssystem 126

R

Reduzierung der Komplexität 95

S

Schleifenplan 95SEE-Frageschema 73, 103sieben Hebel zur Produktions-

optimierung 120Skigebietanalogie 27, 54soziotechnisches System 123Startpunkt der Digitalen Transforma-

tion 60

T

Technologiekatalog 99Technologiescouting 97Toyota-Produktionssystem 24

V

Vermeidung von Verschwendung 24Vernetzung 110Verschwendung 4vier Schritte zur Digitalen Transforma-

tion 80

W

Wertstromanalyse 63Wertstromanalyse 4.0 82Wertstromdesign 61, 66, 91Wertstromorientierte Materialfluss-

optimierung 124