Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und...

38
9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten Worum geht es im 9. Kapitel? „Die Studierenden lesen nicht mehr“, lautet eine häufig geäußerte Kla- ge über die Textarbeit in den Seminaren. „Wir haben wöchentlich Hun- derte von Seiten lesen müssen!“, schwadroniert mancher Professor der Sozial- oder Geisteswissenschaften und macht damit seine Erwartun- gen deutlich. – Die PISA-Studie 2000 hat insbesondere aufgezeigt, dass viele 15-Jährige in Deutschland keine hohe Lesekompetenz aufweisen und ca. 42 % von ihnen ungern lesen. Die Notwendigkeit des Informati- onslesens nimmt aber in immer mehr Berufen zu, sodass Lesen zur zen- tralen Basiskompetenz für immer mehr Menschen wird. Dies war es für die Wissenschaften schon lange: Das Lesen wissenschaftlicher Texte ist die grundlegende Tätigkeit im Studium und im wissenschaftlichen Ar- beitsprozess, die unter gar keinen Umständen vernachlässigt werden darf, weil wissenschaftliche Erkenntnisse erst zu solchen werden durch die Veröffentlichung der Forschungsarbeiten und die damit verbunde- ne Möglichkeit zur Rezeption, Prüfung und Kritik. Nach Kruse (vgl. 2010, S. 12) werden von Studierenden u. a. folgende ty- pische Leseschwierigkeiten benannt: Die Studierenden haben keine Lust, mit dem Lesen anzufangen bzw. überhaupt zum Lesen Sie lesen zu langsam und werden müde beim Lesen Sie haben zu wenig Zeit und Geduld, lesen unsystematisch „mal dies mal das“ Sie verstehen nicht, was sie lesen Sie vergessen vieles schnell wieder 195 F. Rost, Lern- und Arbeitstechniken für das Studium, DOI 10.1007/978-3-531-94088-5_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaſten | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

Transcript of Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und...

Page 1: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9Wissenschaftliche Texte lesen, verstehenund verarbeiten

▸ Worum geht es im 9. Kapitel?„Die Studierenden lesen nicht mehr“, lautet eine häufig geäußerte Kla-ge über die Textarbeit in den Seminaren. „Wir haben wöchentlich Hun-derte von Seiten lesen müssen!“, schwadroniert mancher Professor derSozial- oder Geisteswissenschaften und macht damit seine Erwartun-gen deutlich. – Die PISA-Studie 2000 hat insbesondere aufgezeigt, dassviele 15-Jährige in Deutschland keine hohe Lesekompetenz aufweisenund ca. 42% von ihnen ungern lesen. Die Notwendigkeit des Informati-onslesens nimmt aber in immer mehr Berufen zu, sodass Lesen zur zen-tralen Basiskompetenz für immer mehr Menschen wird. Dies war es fürdie Wissenschaften schon lange: Das Lesen wissenschaftlicher Texte istdie grundlegende Tätigkeit im Studium und im wissenschaftlichen Ar-beitsprozess, die unter gar keinen Umständen vernachlässigt werdendarf, weil wissenschaftliche Erkenntnisse erst zu solchen werden durchdie Veröffentlichung der Forschungsarbeiten und die damit verbunde-ne Möglichkeit zur Rezeption, Prüfung und Kritik.Nach Kruse (vgl. 2010, S. 12) werden von Studierenden u. a. folgende ty-pische Leseschwierigkeiten benannt:

• Die Studierenden haben keine Lust, mit dem Lesen anzufangen bzw.überhaupt zum Lesen

• Sie lesen zu langsam und werden müde beim Lesen• Sie haben zuwenig Zeit und Geduld, lesen unsystematisch „mal dies

mal das“• Sie verstehen nicht, was sie lesen• Sie vergessen vieles schnell wieder

195F. Rost, Lern- und Arbeitstechniken für das Studium,DOI 10.1007/978-3-531-94088-5_9,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

Page 2: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

196 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

• Es fehlen ihnen Hintergrundinformationen und der „Text kann nichtin einen Zusammenhang“ eingeordnet werden

• Es besteht Unklarheit über Fachbegriffe und die Logik von Fachtex-ten

• BeimLesenund Exzerpierenwird fast alles für gleichwichtig erachtet

Bevor jemand selbstwissenschaftlich arbeiten kann,muss er erst einmalviele Texte gelesen und Theorien, Methoden und Ergebnisse gründlichstudiert haben. Dabei macht man es Ihnen nicht gerade leicht, weil diemeisten Texte nicht an Studierende, sondern an die „scientific commu-nity“ gerichtet sind. Die überaus langen, verschachtelten Sätze sind mitFremdwörtern gespickt, beziehen sich auf einen Forschungsstand, denSie meist nicht kennen, beschreiben Theorieansätze und die verwen-dete Methode nur in Grundzügen oder Literaturhinweisen, fassen dieErgebnisse in Tabellen zusammen, deren gebündelte Informationen Sienicht recht zu interpretieren wissen und kommen dann zu einem mehroder minder informativen Ausblick.Dieses Kapitel vermittelt Ihnen Wissenswertes über die komplexe Tä-tigkeit des Lesens wissenschaftlicher Texte sowie unterschiedlicheLesetechniken, zwischen denen, je nach Zweck der Lektüre, gewechseltwerden sollte. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht die „Sechs-Schritt-Methode (PQ4R)“ des lernenden Durcharbeitens von Texten. Darüberhinaus finden Sie Informationen über Textsorten und -strukturen sowieausführliche Hinweise zum Unterstreichen, Randnotizen vornehmenbzw. zum Herausschreiben von Textinformationen. Da das Gehirndenkökonomisch vorgeht, kommt es darauf an, Texte mithilfe einerFragestellung zu lesen, wichtige von unwichtigeren Textinformationenzu unterscheiden, Argumentationsstrukturen nachzuvollziehen und zuprüfen, Ungereimtheiten und Lücken zu suchen sowie das Erarbeitetedurch Umsetzung in eigene Worte und Komprimierung in Zusammen-fassungen, Tabellen und Schaubildern festzuhalten.

9.1 Einiges Wissenswerte über den Lesevorgang

Sie haben soeben links in der Zeile, waagerecht nach rechts fortfahrend, mit demLesen dieses Teilkapitels begonnen, weil das in unserer Kultur die Laufrichtung der

Page 3: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.1 Einiges Wissenswerte über den Lesevorgang 197

Schrift ist, die Sie in der Schule gelernt haben. Sie sehen Buchstaben und Wör-ter, obwohl sich auf dem weißen Blatt eigentlich nur schwarze Flecken befinden.– Wenngleich es bisher keine umfassendeTheorie des Textverstehens gibt, erleich-tern Vorkenntnisse der Leser-Text-Interaktion das Verständnis des Lesevorgangs.Lesen ist kein passiv rezipierenderVorgang, sondern Lesende rekonstruieren imLe-sevorgang aktiv den SinndesGelesenen,wobei sie ihrVorwissenmiteinbringen.Dasist jedem plausibel, der z. B. einmal versucht hat, einen japanischen Text zu lesen.Wenn Sie keine Kenntnis über die Leserichtung und die Bedeutung der Schrift-zeichen haben und Japanisch nicht gelernt haben, werden Sie nur wissen, dass essich um ein Schriftstück handelt, vermutlich mit sinnvollen Informationen, aberSie werden den Inhalt nicht herausfinden. – Beginnen wir nach der Entzifferungder Schriftzeichen mit den Wörtern.

Die Wörter. Sätze bestehen zunächst einmal aus Wörtern. Liegt der Text in IhrerMuttersprache vor und ist vom Schwierigkeitsgrad Ihrem Ausbildungsstand ange-messen, so werden Sie schätzungsweise 80 bis 90% derWörter von ihrer Bedeutungher kennen bzw. aus dem Kontext heraus erschließen. Doch die restlichen 10 bis20% derWörter sind in wissenschaftlichen Textenmeist die Schlüsselwörter, auf diees ankommt: spezielle Fachwörter, ohne deren Kenntnis Sie den wissenschaftlichenText nicht wirklich verstehen werden.

▸ Tipp Jedes Wort, dessen Bedeutung Sie in dem auftretenden Text-zusammenhang nicht hundertprozentig wissen, sollten Sie in einemFachwörter- bzw. Fremdwörterbuch nachschlagen!

Da Sie die meisten dieser Wörter und ihre Bedeutungen später auch ohne denGebrauch von Nachschlagewerken kennen sollten, empfiehlt es sich, eine eigeneFremdwörter-/Definitionskartei aufzubauen, die – wie beimVokabeltraining – auchals Lernkartei benutzbar ist (s. Abschn. 5.3.2). Wenn Sie die Bedeutung der Fach-wörter kennen, laufen semantische Prozesse des Textverstehens schnell und weit-gehend unbewusst ab.

Kennen Sie die genaue Bedeutung von „semantisch“? – Sonst schlagen Sie dasWortbitte nach!

Der Satz. Die nächste Ebene stellen die Sätze dar, die z. B. mit der sokratischenMethode (s. Abschn. 9.2.2) befragt werden können. Beispiel: Der Autor eines Tex-tes hat einen Satz formuliert wie folgenden: „Johann Heinrich Pestalozzi wurde am12.1.1746 in Zürich geboren.“ Die Bedeutung eines Satzes ist eine Funktion der inihm enthaltenen Ausdrücke (hier: Eigenname, Datum, geografischer Ort) und der

Page 4: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

198 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Art ihrer Zusammensetzung (hier: Relation von drei Satzgliedern mittels Passiv-konstruktion). In diesem einfachen Aussagesatz wird eine Behauptung aufgestellt,die sich auf einen Mann bezieht, was an den Vornamen erkennbar ist. Wer von Ih-nen nicht weiß, wer Pestalozzi war,müsste sich nunmithilfe eines Lexikons oder desInternets sachkundig machen. Die o. g. Behauptung bezieht sich offensichtlich aufden berühmten Klassiker der Pädagogik, den Johann Heinrich Pestalozzi. Für die-sen trifft – nach Lage der Quellen, z. B. einigen Lexika – dieser Beispielsatz zu. Diezu Rate gezogenen Nachschlagewerk weisen die gleichen Vornamen, den gleichenGeburtsort, das gleiche Datum aus. Damit gibt man sich normalerweise zufrieden,denn die genauere Quellenüberprüfung wird meist nicht möglich sein; doch be-denken Sie, dass auch Lexika und andere Quellen Fehler enthalten können. Beiwichtigen Fakten sollten zumindest zwei voneinander unabhängige Quellen zu Ra-te gezogen werden. – Falsch wäre der Satz indessen, wenn zu einer anderen ZeitNamensvettern als Verehrer des großen Pädagogen einem ihrer männlichen Nach-kommen möglicherweise die gleichen Vornamen gegeben hätten. Meint der AutorPestalozzi (II), so ist der Satz falsch, weil zumindest das Geburtsdatum auf diesengemeinten Namensträger nicht zutreffen wird. – Die Bedeutung eines Satzes hatman im Grunde erst erfasst, wenn man angeben kann, ob der Satz in seinem Aus-sagegehalt wahr oder falsch ist. Eigentlich müsste jede wissenschaftliche Aussageereignissemantisch bzw. wahrheitswertfunktional überprüft werden, wie dies mit-tels der sokratischen Methode möglich ist (vgl. dazu Abschn. 9.2.2). Doch in denmeisten Fällen geht man allzu oft darüber hinweg. Vieles, was man liest, scheintplausibel und wird schon zutreffen. Leser wissenschaftlicher Texte sollten jedochbesonders auf der Hut sein und viel weniger von dem glauben, was sie so alles le-sen, sondern sich häufig fragen, ob aufgestellte Behauptungen, angegebene Faktenund Relationen stimmen. Zweifelsfälle sollten Sie mit einem Fragezeichen markie-ren und später an anderen Quellen prüfen.

Das Lesen von Sätzen ist ein faszinierender Vorgang, weil nicht nur semanti-sche und syntaktische Relationen hergestellt werden. Das Gelesene wird im Ar-beitsgedächtnis mit dem Vor-, Sprach- und Weltwissen des Lesenden verbundenund durch diesen mit Informationen ergänzt. Zu diesem Phänomen der Kontext-determination und Kohärenz ein einfaches Beispiel:

Karl trägt dieKoffer hinunter und verstaut sie imKofferraum.Gisela gießt noch schnelldie Geranien. Dann fahren sie los.

Sie als Leser vermuten richtig, dass es sich um Vorbereitungen für eine Ab-reise handelt, aber nicht die der Blumen, sondern eines Mannes und einer Frau(worauf die Vornamen schließen lassen), wahrscheinlich in einem PKW (in dessenKofferraum Gepäckstücke verstaut wurden). Geranien sind keine Zimmerpflanzen,

Page 5: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.1 Einiges Wissenswerte über den Lesevorgang 199

sodass in derKombinationmit demHinuntertragen,wasmit einerTreppe assoziiertwird, spekuliert werden kann, dass die Blumen auf einem Balkon gegossen werden.Die Beschreibung der Szene ist zudem unvollständig, denn wahrscheinlich werdendie beiden vor der Abfahrt Türen geschlossen haben, die der Wohnung oder desHauses, auf jeden Fall die des Autos. – Um diese drei einfachen Sätze zu verste-hen, müssen in Interaktion mit dem Text mithilfe des eigenenWissens umfassendekontextuelle Ergänzungen vorgenommen und Lücken geschlossen werden. Dies al-les erfolgt bei einfachen Texten flexibel und weitgehend automatisiert. Treten beiwissenschaftlichen Texten dagegen Verstehensprobleme auf, z. B. durch unbekann-te Wörter oder komplizierten Satzbau, so ist mehrfaches Lesen bzw. eine bewussteLesesteuerung erforderlich.

Anschlussfähigkeit. Die Denkbewegungen der Textarbeit gehen über die auto-matische Buchstaben- und Worterkennung und Satz(teil)analyse hinaus, insofernals Satz- und Absatzbestandteile auf übergeordnete Sinneinheiten Bezug nehmen,beispielsweise auf Fachbegriffe und -wissen, stützende Argumente, Kontexte undDiskurse. Zugleich vergewissern wir uns aber – insbesondere bei schwierigen Text-passagen – auch umgekehrt aus der Satzfolge bzw. größeren Sinneinheiten, ob wiruntergeordnete Einheiten (z. B. einschränkende Randbedingungen) richtig verstan-den haben (vgl. Rittelmeyer und Parmentier 2007). Kruse (2010, S. 32) hat diesegegenläufigen hermeneutischen Denkbewegungen des Textverstehens in einer Ab-bildung visualisiert (vgl. Abb. 9.1).

Ein wissenschaftlicher Text verbindet uns mit einem kulturellen und fachdiszi-plinären Kontext und lässt uns, wenn wir ihn denn verstehen wollen, lernend teil-haben an diesen Kontexten im Sinne einer Horizonterweiterung. Dazu muss selbst-verständlich einMindestmaß an Anschlussfähigkeit gegeben sein, das sich vielleichterst durch das gemeinsame Besprechen eines Textes in einer Lehrveranstaltung her-stellen lässt oder durch Erläuterungen einer schriftlichen Interpretationshilfe, einesExperten oder einer Expertin bzw. derDiskussion in einerArbeitsgruppe. Viele Stu-dierende „fremdeln“ aber solchen Texten gegenüber und haben nicht den Willen,sich durch schwierige Texte durchzubeißen.

Widerspruchsfreiheit der Sätze? Wenngleich sich Human- und Kulturwissen-schaften zunehmend mit Paradoxien in ihren Forschungsbereichen beschäftigen,sind unaufgeklärte Widersprüche in den Behauptungen und Aussagen eines Textessicherlich ein Faktum, das viele Wissenschaftler, deren eines Ideal das der Wi-derspruchsfreiheit ist, nicht akzeptieren können, wenn diese nicht im Verlauf desTextes aufgelöst werden (vgl. dazu z. B. Roth 1997). Falls Sie solche Widersprüch-lichkeiten in einem Text finden, müssen Sie sich mit ihnen auseinandersetzen und

Page 6: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

200 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.1 Denkbewegungen beim Lesevorgang (Quelle: Kruse 2010, S. 32)

sich Ihr eigenes Urteil bilden, z. B. durch eigene Nachforschungen oder die Sucheneuerer/besserer Quellen.

Absätze undÜberschriften. WeitereMerkmale einfacher Textstrukturen sind Ab-sätze und (Zwischen-)Überschriften sowie eine Abfolge von Einleitung, mehr oderweniger breitemMittelteil und einem Schluss. In der Einleitung eines wissenschaft-lichenTexteswerden–meist von einemProblemoder einer Forschungslücke ausge-hend–die Fragestellung unddasmethodischeVorgehenüberblicksartig angerissen.Im Hauptteil wird die Untersuchung mehr oder minder ausführlich und aufein-ander bezogen dargestellt, während im Schlussteil die Ergebnisse zusammengefasstwerden. – Bei guten Texten sind Einleitung, Hauptteil und Schluss klar voneinan-der getrennt, meist durch aussagekräftige Überschriften in größerer oder dickererSchrift (Fettdruck). So unterstützt eine gute Typografie auch wissenschaftliche Tex-te durch Absatzbildung an den richtigen Stellen sowie die Hervorhebung wichti-ger Textstellen durch die Verwendung von GROSSBUCHSTABEN, Kapitälchen,Fettdruck, Kursivsatz,Unterstreichungen oder S p e r r u n g e n.

Page 7: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.1 Einiges Wissenswerte über den Lesevorgang 201

Abbildungen, Tabellen. Schenken Sie Schaubildern, Statistiken, Flussdiagram-men u. ä. besondere Aufmerksamkeit! Abgesehen davon, dass die Präsentation vonZahlen manchmal dazu angelegt ist, wissenschaftliche Exaktheit vorzugaukeln,die z. T. gar nicht gegeben ist (vgl. Krämer 2011), sind Abbildungen und Tabellenwichtige Bestandteile des Textes. Auf deren Aussagekraft wird im Text meist Bezuggenommen. Vergleichen Sie deshalb die Aussagen des Textes mit denen der Ab-bildungen und Tabellen. Diese Strategie erhöht auch den Behaltenseffekt. WalterKrämer (vgl. 2010, 2011) hat hervorragend lesbare Bücher geschrieben, in denen eran anschaulichen Beispielenmehr oder weniger seriöser Statistiken deutlichmacht,wann Sie misstrauisch werden sollten, wie Sie Zahlenmaterial interpretieren lernenund wie man es selbst richtig macht. Mithilfe welcher Kriterien empirische Unter-suchungen zu analysieren und zu bewerten sind, führt Detlef H. Rost (vgl. 2007)glänzend vor.

Die bisherigenAusführungen haben vielleicht deutlichmachen können, dass oh-neVorwissen kein Text richtig verstanden werden kann. Vorinformation ist deshalbso wichtig, weil wir das Bestreben haben, nur die Informationen aufzunehmen, diefür uns Sinnmachen und nicht allzu fremd sind.Wenn Sie beispielsweise durch eineRelevanzprüfung (s. Abschn. 8.5) bestimmte Informationen aufgenommen haben(nach denen Sie aktiv gesucht haben, um herauszufinden, ob der Text für Sie wich-tige Informationen enthält), tritt beimwiederholten Lesen einWiedererkennungsef-fekt ein. Wenn Sie beispielsweise Fragen zu den Textüberschriften generieren, dannhaben Sie Erwartungen an den Text, nach denen Sie aktiv suchen.

Genau so wichtig wie die oben genannten Vorkenntnisse zur Leser-Text-Interaktion sind aber vielleicht auch folgende Hinweise: Manche

• tragen – trotz Fehlsichtigkeit – keine Brille oder Kontaktlinsen• sorgen nicht für eine reflexfreie, ausreichend helle Beleuchtung• lesenWort für Wort und nicht in Wortgruppen• lesen zu langsam oder mit Unterbrechungen, was der Konzentration und dem

Verstehen abträglich ist, weil Informationen des Textanfangs nicht mehr im Ar-beitsgedächtnis verfügbar sind

• gehen ohne sachliche Vorinformation und Fragestellung an einen Text heran

Beim Lesevorgang wandern die Augen nicht kontinuierlich, sondern ruckweisedurch die Zeilen. Die Anzahl der Fixationen kann man verringern, indemmanmitdem Finger als Schrittmacher unter der Lesezeile in Leserichtung entlangstreicht.Außerdem soll damit ein Zurückgehen derAugen vermiedenwerden, was nicht nurbeimLesenaufhält, sondern auch ein ZeichenmangelnderKonzentration ist.Wenndas nach ca. 45min auftritt, ist eine Pause angebracht (s. Abb. 3.5). Bemerken Sie ein

Page 8: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

202 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Zurückschweifen der Augen schon nach 10min, ist vielleicht eine Unterbrechunghilfreich, in der Sie sich fragen,warumdies geschieht (z. B., weil Sie an etwas anderesdenken).Wenn Sie weiterlesenwollen odermüssen – sollten Sie Ihre Konzentrationund Motivation stärken, gerade diesen Text jetzt lesen zu wollen, z. B., indem Siesich eine kleine Belohnung ausloben (s. Abschn. 3.7).

Falls Sie auchbeimLesenwissenschaftlicherTexteWort fürWort lesenunddabeisubvokalisieren, verlangsamt sich Ihre Lesegeschwindigkeit, denn das Mitsprechenvollzieht sich langsamer als das Lesen. Versuchen Sie diese Angewohnheit durchUmstellung desWahrnehmungsmechanismus vonWortklängen auf Wortbilder ab-zuschwächen. Erhöhen Sie Ihre Konzentration, indem Sie schneller lesen und vor-her bei der Relevanzprüfung (s. Abschn. 8.5) schon Fremdwörter nachgeschlagenhaben, die Sie nicht kennen. Solche Fachtermini sollte man wie Vokabeln lernen(s. Abschn. 5.3.2), weil sich dadurch langfristig die Lesegeschwindigkeit erheblichsteigern lässt. Darüber hinaus können Sie

• die Anpassungsfähigkeit Ihrer Augen durch Augengymnastik verbessern, indemSie z. B. eine längere Zeit abwechselnd in die Ferne schauen und dann ein Nah-ziel in etwa 30 cm Abstand fixieren. Nach einiger Zeit werden Sie AnzeicheneinesMuskelkaters bemerken.Da die Sehschärfe durchMuskelkontraktionen ander Augenlinse herbeigeführt wird, stärkt diese Übung die Augenmuskeln sowiedie Elastizität der Linsen und damit deren Anpassungsfähigkeit, fixierte Stellenscharf abzubilden.

• Ihr Blickfeld beim Lesen erweitern, sodass Sie mehrere, nebeneinanderstehendeWörter als Wortgruppe auf einen Blick erfassen können. Dafür gibt es spezi-elle Übungen in Schnelllesebüchern (vgl. Michelmann und Michelmann 2010;Schmitz et al. 2011).

• angepasst lesen lernen. Bei Unterhaltungslektüre liest man durchschnittlich ca.250 Wörter pro Minute, bei einfachen Informationstexten 180; bei kompli-zierten Texten sinkt die durchschnittlich gelesene Wörterzahl von 135 bis auf75, je nach Schwierigkeitsgrad (vgl. von Werder 1994, S. 39). Das ist vielen zulangsam angesichts der großen Menge Fachliteratur, die während eines Studi-ums gelesen werden soll. Deshalb sind viele bestrebt, schneller lesen zu lernen.Versuchen Sie es doch einmal mit folgender Methode: Nach dem orientieren-den Überfliegen eines Absatzes beginnen sie wieder am Absatzanfang, erhöhenlangsam die Geschwindigkeit innerhalb des Absatzes und verlangsamen diesewieder zum Absatzende hin. Dabei kann der in Leserichtung unterstreichen-de Finger Schrittmacherdienste leisten. Nach dem Absatz legen Sie eine kurzeUnterbrechung ein, in der Sie sich das Gelesene vergegenwärtigen und be-wusst einprägen; zum Schnelllesetraining gibt es zahlreiche Übungsbücher (vgl.

Page 9: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.2 Lesetechniken 203

z. B. Michelmann und Michelmann 2010; Schmitz et al. 2011). Darüber hin-aus bedeutet angepasst lesen zu lernen aber auch, unterscheiden zu lernen, obman einen Text nur zur Kenntnis nimmt, um in etwa zu wissen, was in ihmsteht, ob man auf der Suche nach präzisen Informationen (z. B. Fakten) ist oderob man etwas von A–Z gründlich durcharbeiten und unter die Lupe nehmenwill.

Auf jeden Fall kann durch Augenübungen, visuelles Wahrnehmungstraining,insbesondere die Vergrößerung des Blickfelds, durch den Einsatz des Lesefingers,durch Vokabeltraining und vermehrte Lektüre die Lesegeschwindigkeit in gewis-sen Grenzen erhöht werden. Die Lesegeschwindigkeit muss selbstverständlich demLektürezweck und Schwierigkeitsgrad des Textes angepasst sein. Für Prüfungszweckezu Lesendes sollte wiederholt gelesen werden. Begründung: Durch erhöhtes Vor-wissen und den Wiedererkennungseffekt wird nicht nur das Verstehen verbessert,sondern auch der Lernerfolg gefestigt.

▸ Tipp WennSiewissenwollen,wie viel Zeit Sie fürbestimmteTextsortenbrauchen: Schreiben Sie sich zu Beginn der Lektüre die Uhrzeit auf undjeweils zu Beginn einer neuen Seite die Zwischenzeit. – Wer es noch ex-akter wissen will, zählt dann die Buchstaben in 10 beliebigen Zeilen desTextes, addiert die 10 Werte und teilt die Summe anschließend durch10. Damit wäre die durchschnittliche Zeichenzahl pro Zeile ermittelt, diedannmit der genauenZeilenzahl pro Seitemultipliziert wird. DennSeiteist nicht gleich Seite.

9.2 Lesetechniken

Es gibt ganz unterschiedliche Lesetechnikenund -strategien (vgl. Stary undKretsch-mer 2004; vonWerder 1994). Gedichte und belletristische Texte sind anders zu lesenals Sach- oder Fachtexte. Aber auch für die letzteren Textsorten sind die Zwecke derLektüre und die sich daraus ableitenden Strategien höchst variabel. Neben indivi-duell unterschiedlich erfolgreich eingesetzten Lesetechniken sollte nicht vergessenwerden, dass diese etwa von folgenden Zwecken bestimmt werden:

• Muss ich einen Text pflichtgemäß für einen Kurs/für eine Prüfung (gründlich)lesen?

• Handelt es sich um eine mir völlig neue Materie oder ein vertrautes Sachgebiet?

Page 10: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

204 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

• Will ich aus eigenerMotivation meinWissen vertiefen und einen wichtigen Textwirklich verstehen?

• Soll ich zwei Texte unter bestimmten Aspekten vergleichen?• Will/muss ich den Text für eine schriftliche Ausarbeitung verwenden?• Suche ich in Texten nur bestimmte Informationen, die mir noch fehlen?

Die Antworten auf solche Fragen bestimmen den Einsatz unterschiedlicherLesetechniken und dementsprechend verschiedene Arbeitsergebnisse: Exzerptezum ganzen Text oder nur zu den besonders interessierenden Textpassagen, Fak-ten, Informationen. – Wer gar nicht gern liest, muss vor allem das konzentriertekursorische Lesen und die Relevanzprüfung (s. Abschn. 8.5) perfektionieren. Fürdas lernende Lesen wird im Folgenden die „Sechs-Schritt-Methode“ empfohlen.

9.2.1 Die „Sechs-Schritt-Methode“ (PQ4R)

Für das lernende Durcharbeiten von Texten wird neben anderen Methoden (vgl.Stary undKretschmer 2004, S. 60 ff.) die sogenannte „Sechs-Schritt-Methode“ emp-fohlen, die eineWeiterentwicklung der von Francis P. Robinson entwickelten SQ3R-Methode ist (vgl. z. B. Viebahn 1990, S. 253). PQ4R steht für die einzelnen Schritteund deren Abfolge: Preview,Questions, Read, Reflect, Recite, Review.

1. Preview = Übersicht gewinnen. Durch kursorisches Lesen, also das Überfliegendes gesamten Textes, gewinnen Sie einen ersten Eindruck und Überblick. Außer-dem sammeln Sie dabei Informationen, worum es thematisch in dem Text geht undworauf er hinausläuft. Machen Sie sich auch mit der Struktur des Textes und sei-ner Abschnitte vertraut: Bis wohin geht die Einleitung? Wo beginnt und endet derHauptteil, in wie viele (Lese-)Abschnitte kann er sinnvoll eingeteilt werden? Wasgehört zur Zusammenfassung? – Falls diese Abschnitte keine Überschriften tragen,formulieren Sie Zwischenüberschriften und schreiben diese auf.

2. Questions = Fragen an den Text formulieren und niederschreiben. Wer we-nig fragt, bekommt wenige Antworten. Falls Sie mit dem Fragen Schwierigkeitenhaben, können Sie diese mit den sogenannten „W-Fragewörtern“ (Was?, Warum?,Wozu?, Wie?, Wer?, Wo?, Wann?) systematisch generieren und aufschreiben (s. a.Abschn. 7.4). Beispiel:Vor Ihnen liegt ein Aufsatz mit demTitel: „Peter stört“ (Hen-ningsen 2010).Allein schon aus demHaupttitel lassen sich folgende Fragen ableiten:Wer ist Peter? –Wie stört Peter? –Wen stört Peter? –Warum stört Peter? –Was ver-steht der Autor unter „stören“? – usf. Zwischentitel oder Kapitelüberschriften können

Page 11: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.2 Lesetechniken 205

in gleicher Weise in Fragen umgeformt werden. – Durch Fragen werden Interessenund Erwartungen geweckt, die eventuell erfüllt werden, vielleicht aber auch einenÜberraschungseffekt beinhalten. Lernen gelingt leichter, wenn Sie interessiert, neu-gierig und zielgerichtet sind. Zudem stellen Sie leichter fest, ob Ihnen der Text zuIhrer Fragestellung überhaupt etwas zu sagen hat.

3. Read = den Text auf die Fragen hin lesen. Lesen Sie jeden Abschnitt gründlich,indem Sie die erzeugten Fragen zu beantworten suchen. – Wer mit Fragestellungenan einen Text herangeht, liest ihn zielgerichteter und die Antworten des Textes prä-gen sich einem besser ein. Dabei können Sie in eigenen Büchern und Fotokopienbei diesem zweiten, gründlichen Lesegang unterstreichen oder markieren, was Ih-nen in Bezug auf Ihre Fragestellung wichtig ist. Markieren und unterstreichen Siejedoch sparsam (s. Abschn. 9.4).

4. Reflect = Denken Sie nach der Lektüre eines Abschnitts über dessen Inhaltnach. Diese, die ursprüngliche SQ3R-Methode ergänzende Reflexion dient nichtnur demEinprägen im intermediären Gedächtnis, sondern auch der lebhaftenAus-einandersetzung mit dem Text. Versuchen Sie einerseits, den Text in seinen Aussa-gen und seiner Argumentation zu verstehen, bleiben Sie aber andererseits kritisch:Trifft das zu, was der Text behauptet? Wäre das wünschenswert und weshalb? Gibtes (Gedanken-)Experimente, dass das funktioniert, was in diesemAbschnitt vorge-schlagen wird? Nehmen Sie den Dialog mit dem Text auf!

5. Recite =Wiederholen des Gelesenendurch schriftliche Beantwortungdes Ge-lesenen aus demGedächtnis. Ausführliche Notizen auf Texträndern, Zetteln oderKarteikarten sollten Sie erst machen, wenn Sie ein Kapitel eines Buches oder einengrößeren Abschnitt eines Aufsatzes zu Ende gelesen haben. Bringen Sie zentraleAussagen des Textes und – davon getrennt – Ihre eigene Ansicht kurz und präg-nant in Ihren Worten auf das Papier. Wenn Sie nicht weiterwissen, lesen Sie diesePassage im Text noch einmal. Doch danach sollten Sie wieder aus dem Kopf und ineigenenWorten fortfahren, beispielsweise Ihre Fragen an den Text zu beantworten.Lassen Sie dabei ausreichend Platz für spätere Ergänzungen. –Wenn Sie festenWil-lens sind, nach der Lektüre auswendig Ihre Erinnerungen aufzuschreiben, merkenSie sich Inhalte auch besser, als wenn Sie dies nicht wirklich beabsichtigen. DieserSchritt braucht einige Übung und trainiert dabei das Gedächtnis.

6. Review = Rückblick und Überprüfung. Kontrollieren Sie nun am Text nocheinmal Ihre Aufzeichnungen, ob Ihnen Wesentliches entgangen ist. Schreiben Siezuletzt eine kurze, nochmals verdichtete Zusammenfassung oder veranschaulichen

Page 12: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

206 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Sie sich dasGanze durch ein Schaubild, eine Tabelle oder ein Schema, beispielsweiseder Argumentationskette, die den Text durchzieht (s. Abb. 9.6). Die Technik desVisualisierens in Schaubildern wird im Abschn. 9.8.2 erläutert. Doch die schönstenExzerpte und Schaubilder helfen wenig, wenn Sie nicht öftermit ihnen arbeiten, sierekapitulieren und mit neu erworbenemWissen verknüpfen.

9.2.2 Weitere Lesemethoden

Vom lernenden Lesen zu unterscheiden ist das kursorische Lesen, um beispielsweise

• Ausgangspunkt, Fragestellung, methodisches Vorgehen und Ergebnisse einesTextes kennenzulernen,

• die Relevanz eines Textes zu prüfen (s. Abschn. 8.5) oder• sich einen Überblick für die weitere Erarbeitung eines Textes zu verschaffen.

Um eine bestimmte Sachinformation zu finden, ist punktuelles Lesen angebracht(s. a. Brun und Hirsch Hadorn 2009, S. 32 f.); das meint eine gezielte Suche nachder Information, die man benötigt. Alles andere zu lesen wäre in diesem Fall über-flüssig und würde nur aufhalten. Lutz von Werder (1994, S. 26–96) beschreibt ins-gesamt neun „Techniken kreativen Lesens“, von denen einige hier kurz vorgestelltwerden sollen: Beim übersetzenden Lesenwerden die Fachwörter in die Alltagsspra-che, der Fachdiskurs in einen des Alltags transferiert. Dies hilft sicher denjenigen,die noch Schwierigkeiten mit der wissenschaftlichen Fachsprache und Diktion ha-ben. Manche Texte, die mit Fremdwörtern und verschachtelten Satzkonstruktionen„gespickt“ sind, lassen sich auf diese Weise wunderbar entzaubern; und zwar mitGewinn, weil durch die transferierende Bearbeitung das dabei Gelernte besser be-halten wird. Allerdings werden diese alltagssprachlichen Übersetzungen länger alsdie Ursprungstexte.

Als traditionelles Lesen bezeichnet vonWerder die imWissenschaftsbetrieb häu-fig angewandte Lesetechnik, beim ersten Lesen schon Wichtiges zu markieren undbeim zweiten Lesen dasWesentliche herauszuschreiben. Fürungeübte Leserwissen-schaftlicher Literatur ergibt sich hierbei das Problem, dass sie vielleicht beim erstenMal noch nicht sicher entscheiden können, was wichtig sein könnte und darum zuviel anstreichen. Darüber hinaus wird bei dieser Methode dem Text affirmativ ge-folgt, anstatt eigene Fragen an den Text zu richten. Dementsprechend wird wenigervon der Lektüre behalten.

Sokratisches Lesen besteht nach Lutz vonWerder (1994, S. 60–65) darin, so langedie „W-Fragen“ (s. Abschn. 7.4) der griechischen Rhetorik an den Text zu richten,

Page 13: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.2 Lesetechniken 207

:amehT:ehcasrU

Ort:Zeit:Art und Weise: Möglichkeiten: Definitionen: Ähnlichkeiten: Vergleich: Fingierte Annahme: Umstände: Interdisziplinäre Aspekte:

Abb. 9.2 Rhetorisches Kategorienschema mit den sachlichen Suchkategorien (Quelle: vonWerder 1994, S. 72)

bis – durch die prüfende Fragetechnik – hinter dessen konventionellen Behauptun-gen einWahrheitswert deutlich wird. Sokratische Leser werden daher alle Termini,Definitionen, Argumentationen, Hypothesen, Schlussfolgerungen mit Fragen wie„Wasmeint . . . ?“ usw. auf ihre dahinter verborgenen Grundannahmen und Auswir-kungen theoretischer wie praktischer Art hinterfragen. Diese sokratische Methodeder „Hebammenkunst“ (Mäeutik) ist sicherlich anstrengend, jedoch hilfreich, wennman Texte genau auf ihre versteckten Grundannahmen und Implikationen prüfenwill. Insofern leistet diese Technik auch sehr gute Dienste beim Durchdenken eige-ner Texte.

Beim rhetorischen Lesen (vgl. von Werder 1994, S. 66–79) dagegen wird der Le-seprozess über formale Personal-, Sach- oder Gliederungskategorien der griechisch-römischen Rhetoriktradition gesteuert, die nach dem Lesen in einem Arbeitsblatteingesetzt werden (s. Abb. 9.2). Solche Kategorien könnte man für die Konden-sierung der Textinformation in einer Tabelle anwenden. Durch die Vorgabe jenerKategorien kann die Lektüre bzw. die Reflexion der Lektüre Orientierung bekom-men. Allerdings werden die gesammelten Informationen in ein statisches Rastergepresst, das dem Text und seiner Linearität nicht entspricht. Die Bezüge der ein-zelnen Textabschnitte zueinander gehen dabei verloren. Gleiches gilt jedoch fürsämtliche Kategorienschemata.

Wie das sokratische und das rhetorische Lesen geht auch das kritische Lesenüber eine affirmative Textrezeption hinaus. Kritisches Lesen orientiert sich an derPrämisse, dass wissenschaftliche Texte vonMenschen in einemhistorischen und ge-sellschaftlichen Kontext produziert wurden und werden. Rationale Textproduktionist außerdem durchtränkt von Unbewusstem (vgl. von Werder 1994, S. 80). Inso-fern kann mancher Text aus wissenssoziologischer und/oder psychoanalytischerPerspektive hinterfragt werden; im Hinblick auf ein immanentes Gesellschaftsbild

Page 14: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

208 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

bzw. auf möglicherweise in den Text eingeflossene unbewusste Anteile der Auto-renpersönlichkeit.

▸ Tipp Einmaliges Lesen wissenschaftlicher Texte reicht in der Regelnicht aus, zumindest nicht beim lernenden Lesen.

9.3 Textsorten

Wissenschaftliche Texte gehören zur Sorte der Sachtexte; doch auch im Wissen-schaftsbereich gibt es davon höchst unterschiedliche: Zu unterscheiden sind vonder Funktion her fachspezifische, didaktische und journalistische Texte, wobei dieseKategorisierung nicht immer ganz trennscharf ist.

Zur ersten Gruppe gehören: die Monografie (= bibliothekarisch ein Buch, das1–3 Personen gemeinsam geschrieben haben), der wissenschaftliche Zeitschriften-aufsatz, nochmals unterschieden in Reviewartikel, empirische Forschungsarbeit undandere Abhandlungen wie Essay, wissenschaftliche Rezension; Sammelwerksbeitrag,Forschungsantrag, das fachinterne Gutachten und der (Forschungs-)Bericht, das Ab-stract und Protokoll sowie die Replik. Diese Texte richten sich in erster Linie anWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und sind vorwiegend mittels Fachspra-che in den standardisierten Formen der jeweiligen Disziplin verfasst.

Zu den didaktischen Texten werden Vortragsskripte, Lehrbuchtexte und Nach-schlagewerkbeiträge gezählt. Sie dienen vornehmlich dazu, Wissen an Menschenweiterzugeben, die von dem Gegenstand noch nicht sonderlich viel wissen. Zu dendidaktischen Prinzipien gehört es beispielsweise, vom Leichteren zum Schwererenfortzuschreiten, das Wichtigste deutlich hervorzuheben und Unwichtigeres zu ver-nachlässigen, wobei sich ein Lehrbuchtext in seiner Informationsdichte deutlichunterscheidet von einem Nachschlagewerkbeitrag, der hinsichtlich der Informati-onsdichte wiederum einem Reviewartikel nahekommt. (Wie gesagt: Diese sprach-wissenschaftliche Kategorisierung ist nicht ganz trennscharf.)

Zeitungsartikel, Interview, Kommentar und Leserbrief gelten als journalistischeTextsorten, die sich an die breitere Öffentlichkeit wenden. Dort wird zwar immernoch eine Bildungssprache verwendet, nach Möglichkeit aber in noch einfachererWeise.

Weinrich (vgl. 1993) hat aufgezeigt, dass beispielsweise Forschungsarbeitenstrukturell aus vier Textteilen bestehen:

• Erstens ist der aktuelle Forschungsstand darzustellen (d. h. für einen bestimmtenZeitraum vergangener Jahre, die zum Gegenstand gehörige Literatur zu rezipie-

Page 15: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.4 Das Unterstreichen und Markieren 209

ren und ggf. zu kritisieren) und die erkannte Forschungslücke als Frage- bzw.Problemstellung zu nennen.

• Zweitens schließt sich die Darstellung der eigenen Untersuchung an von derHypothesenbildung bis zur Ergebnisniederlegung.

• Drittens erfolgt die Diskussion der Ergebnisse. Die Ergebnisse der eigenen Un-tersuchung werden mit denen der im ersten Teil rezipierten früheren Arbeitenkonfrontiert und in einem fiktiven Dialog argumentativ verteidigt. In der Dis-kussion wird versucht, die Erweiterung des Wissens durch die eigene Untersu-chung darzulegen.

• Viertens folgt ein Ausblick, der weiterhin offene Fragen oder Problembereichebenennt bzw. für die eigene Weiterarbeit reklamiert.

SolcheMakrostrukturpläne zu kennen bzw. durch metasprachliche Bezeichnun-gen (wie „Forschungslücke“, „Fragestellung“, „Hypothese“, „Theorie/Modell“, „Me-thode“, „Ergebnis[darstellung]“, „Anwendung“, . . . ) sich selbst bei der Lektüre vonTexten zu vergegenwärtigen, hilft erheblich bei der geistigen Verarbeitung derThe-men und dazugehörigen Aussagen eines Textes sowie des ihm zugrunde gelegtenArgumentationsschemas (s. Abb. 9.5).

Generelles Ziel des Lesenswissenschaftlicher Texte ist es ja erst einmal, die sach-liche (und argumentative) Struktur eines Textes zu erfassen und nachzuvollziehen,d. h., den Text aus seinem Kontext heraus zu interpretieren und zu verstehen. Auskritischer Distanz und von der eigenen Fragestellung ausgehend, gilt es aber auch,gegebenenfalls Widersprüche und Brüche im Text, offene Fragen und ungeklärteProbleme zu finden sowie die theoretischen, praktischen und innovativen Impli-kationen eines Textes zu überdenken. Dazu muss ein für das Studium zu lesenderText durchgearbeitet werden, wobei Techniken des Markierens, des Herausschrei-bens und der Verdichtung in Tabellen und Schaubildern die wissensmäßige Auf-nahme fördern.

9.4 Das Unterstreichen undMarkieren

Anfängerinnen und Anfänger sollten einen Text einmal überflogen und sich mit-tels eines Fremdwörterbuchs bzw. Fachlexikons Klarheit über die Bedeutung allerwichtigen Wörter verschafft haben, bevor es an die eigentliche Lektüre geht. Nachder kursorischen Lektüre wissen Sie eher, welche Textstellen die wirklich wichtigendes Textes sind, die unterstrichen bzw. markiert werden sollten. Das am Rande An-streichen resp. das Unterstreichen von wichtigen Textstellen mit Stiften bzw. dasMarkieren mit fluoreszierenden Textmarkern fördert zugleich das Behalten; aller-

Page 16: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

210 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

dings nur, wenn Sie sparsam an- oder unterstreichen. Wenn Sie 80% einer Seiteunterstreichen oder gelb markieren, fällt gerade der Teil des Textes ins Auge, dervon Ihnen nicht hervorgehoben wurde.

Selbstverständlich sollte sein, dassmannur inTextenmarkiert undunterstreicht,die einem selbst gehören. In Bibliotheksexemplaren oder privat geliehenenBüchernkann man sehr schön mit Buchstreifen arbeiten (s. Abb. 9.4) oder mit Haftnotizzet-teln, die sich später leicht und ohne Rückstände von den Seitenrändern entfernenlassen (s. Abschn. 9.5). Manche unterstreichen mit Vierfarbstift (z. B.: rot = beson-ders wichtig; schwarz = Schlüsselwörter und Definitionen; grün = Beispiele; blau =was sonst wichtig ist) oder verschiedenfarbigen Leuchtstiften. Solch ein Farbsystemerfordert allerdings, dass die gewählten Farbstifte immer zur Hand sind. Ich selbstgebe dem Bleistift den Vorzug, weil dessen Spuren bei Irrtümern wieder ausradier-bar sind und nicht ständig die Farbe bedacht und gewechselt werden muss.

9.5 Randbemerkungen (Marginalien)

Manche notieren sich bei diesem zweiten Lesegang nach der kursorischen Lek-türe auch schon am Seitenrand wichtige Wörter aus dem Text (= Stichwörter),prägnante Satzteile oder zusammenfassende Schlagwörter zum Inhalt. ZentraleWörter des Textes bzw. des Studiengebietes können dabei abgekürzt werden (z. B.„Erz.“ = Erziehung, „Ki.“ = Kind, Kinder; „Psych.“ = Psychologie). Am besten gehtman absatzweise vor und benennt für jeden Absatz mit einem Stich- oder Schlag-wort dasThema sowie durch Wortkombinationen dessen inhaltliche Aussage (z. B.„Familienkonstellation beachten“). Diese sogenannte Thema-Rhema-Analyse wirdin Abschn. 9.7 ausführlicher erläutert. Zum Schluss der Lektüre sollte eine ver-dichtete Zusammenfassung in eigenen Worten geschrieben werden. Fragen, Kritikund zu prüfende Sachverhalte sollten abschließend davon getrennt aufgelistet wer-den (vgl. Abb. 9.3).

Außerdem kann man die Argumentationskette eines Textes sozusagen aus der„Vogelperspektive“ rekonstruieren, indem man der Orientierung dienliche, meta-sprachliche Begriffe wie „Fragestellung“, „Hypothese“, „Ziel“, „Randbedingungen“u. a. an den Rand schreibt (s. in Abb. 9.3: „Einwand“ sowie „Gegenargument“).Welche metasprachlichen Ausdrücke dafür zweckmäßigerweise infrage kommen,haben Stary und Kretschmer (vgl. 2004, S. 111) aufgelistet. Viele verwenden fürdie am häufigsten vorkommenden metasprachlichen Kennzeichnungen eigene Ab-kürzungen (etwa: B oder Bsp. = Beispiel, D oder Def. = Definition, H oder Hyp. =Hypothese, Q oder Qu. = Quelle,Th =Theorie oderThese, Z = Zusammenfassung,

Page 17: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.5 Randbemerkungen (Marginalien) 211

Abb. 9.3 Beispiel für dasUnterstreichen, für Rand-notizen und verdichteteZusammenfassung (Text-passage aus dem Buch vonAndreas Flitner: Reform derErziehung. München 1992,S. 212 f.) © Piper 1997

Selbständigkeit ermutigen Die Förderung des »Selbst«, der eigenen Persönlichkeit des Kindes, hängt eng mit dem »Verstehen« zusammen und macht ebenfalls eines

Selbstständigkeit zu fördern = 1 Leitthema mod. Erz.

der großen Leitthemen der modernen Erziehung aus. Mindestens drei Dimensionen sind dabei besonders in jüngerer Zeit in den Blick ge-kommen: einmal die immer wieder überraschende Eigenart schon kleinster Kinder, die Individualitäten und Charaktere, die Kinder von früh an sind und die sich, je genauer wir sie beachten, desto deutlicher und vielseitiger zeigen. Dem wachsenden Interesse für die Differenzen, für die Originalität schon im frühen Alter hat eine differenzierende Kinderpsychologie auch mit erstaunlichen Forschungsergebnissen Nahrung gegeben: Je mehr wir über Kinder forschend erfahren, um so reicher und farbiger zeigen sich Originalität und Selbstkompetenz des einzelnen Kindes schon vom Beginn seines Lebens an (vgl. Sto-ne/Smith/Murphy 1974, Kap. I).

3 Dimensionen

1. Individualität von Geburt an

Ki.psych. sieht Ki. mittlerweile wesentl. differenzierter

Zum anderen stärkt und entwickelt oder auch versteckt sich das »Selbst« des Kindes in dem Gefüge der frühen Beziehungen, in denen das Kind aufwächst; das »Selbst« als ein dynamisches Konzept, als ein Finden und Entwickeln der geschlechtlichen und emotionalen Identität. Dabei ist die frühere Sicht, die auf die Mutterbeziehung konzentiert war, ergänzt worden und die Familienkonstellation im ganzen mehr in das Blickfeld gekommen (Richter 1963; Bittner u.a. 1981).

2. Bedeutg. d. frühen Bezie-hungen (insbes. Fam.konstell.) wichtig f. Entwickl. d. kindl. Selbstkonzepts

Und schließlich hat man vom Lernen her die Selbständigkeit als eigene, selbst gesteuerte Tätigkeit mit immer größerer Aufmerksamkeit be-dacht. Die generelle reformpädagogische Forderung nach aktivem und »selbsttätigem« Lernen wird gestützt durch die Lernpsychologie und eine kognitiv orientierte Didaktik (Aebli 1975). Aber sie spielt auch im pädagogischen Verständnis des Lernens eine immer größere Rolle.

3. Lernen als selbst gesteuerter Prozess wird zunehm. durch Psych. + Did. gestützt

„In der Regel wird doch rezeptiv gelernt“, wendet mancher Kollege ein; das ABC, der Dreißigjährige Krieg, die Englische Sprache sind doch nicht aktiv hervorzubringen oder neu zu erfinden, sondern sie be-stehen an sich und müssen, mit Lehrer- und Bücherhilfe, angenommen werden. Das bildet die Argumentation, die Macht des traditionellen Lernens. Aber das Lernen wird nun einmal in dem Maße als fremdbe-stimmt und unwichtig erfahren, als es nicht in Beziehung zum Denken, Tun und Fühlen der lernenden Kinder steht. Erst die Verbindung mit dem eigenen Tun und Denken, mit der eigenen Biographie macht das Lernen zur eigenen Sache des Kindes. Erst wenn das Kind Interesse gewinnt und das zu Lernende annimmt als etwas, das es selber wissen und können will und von sich aus in Besitz nehmen kann, bleibt das Lernen nicht mehr nur äußerlich, sondern wird Teil des eigenen Selbst (vgl. Messner 1985).

Einwand: Traditioneller Lern-stoff wird rezeptiv gelernt Gegenargument: Dieses Ler-nen ist bloß aufgesetzt. Ge-lerntes wird erst Teil d. eig. Persönlichk., wenn Lernen in Verbind. tritt m. eigenem Han-deln + Denken (biograf. Bezug)

Daß das Lernen so viel wie möglich zu einer eigenen Aktivität der Lernenden werden und mit ihrer eigenen Aktivität verbunden werden soll, gilt für alle Altersstufen. Aber es gilt für Kinder mit ihrem Hand-lungs- und Bewegungsbedürfnis, ihrem Mitgehen des Körpers und der Sinne in aller geistigen Tätigkeit in höchstem Maße. Gewiß, auch das genaue Zuhören und stille Aufnehmen sollen sie lernen, auch das Arbeiten mit Symbolen will gelernt sein. Es aber von früh an zum herr-schenden Typus des Lernens zu machen, zeugt von wenig Verständnis für Kinder und bleibt in den Ergebnissen bei vielen von ihnen kümmer-lich.

Einbezug d. kindl. Handlungs- + Bewegungsbedürfnisses, aller seiner Sinne wichtiger als abstraktes, theor. ab-gehobenes Lernen

Nochmals verdichtete Zusammenfassung in eigenen Worten: Selbständigkeit zu ermutigen, ist For-derung mod. Erz. Drei Dimensionen werden dabei zunehmend beachtet:

– die Individualität des Menschen von Geburt an – die Bedeutung (familialer) Beziehungen für kindl. Selbstkonzept/Identitätsentwickl. – die Bedeutung des selbsttätigen Lernens, wobei der Lerngegenstand mit eigenem Denken, Han-

deln sowie der eigenen Biografie verbunden wird.

Beim Lernen sollen alle Sinne sowie d. kindl. Handlung- und Bewegungsbedürfnis einbezogen sowie aktivem Lernen der Vorzug gegeben werden vor abstrakter, symbolischer Rezeption.

Zu klären, unbeantwortete und kritische Fragen:

– Was ist eigentlich das „Selbst“ genau? (nachschlagen in psychologischem Wörterbuch) – Beispiele zur Eigenart kleiner Kinder fehlen (bei Stone/Smith/Murphy 1974, Kap. 1 nachlesen,

wenn es Sie stärker interessiert) – Ebenso zu den Auswirkungen der Familienkonstellation (bei Richter 1963 bzw. Bittner u. a. 1981

nachlesen, wenn Sie dieser Aspekt stärker interessiert) – Sind die Begriffe „Selbst“ und „Identität“ Synonyme? (Vergleich in psycholog. Wb.) – Warum bleiben die Ergebnisse rezeptiven und sym bolischen Lernens bei vielen Ki. nach Ansicht

Flitners „kümmerlich“?

Page 18: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

212 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.4 Buchstreifen (Quelle: Theisen 2002, S. 122)

. . . ) oder bestimmte Zeichen und Symbole (! =wichtig, !! = sehrwichtig, ? = fraglich,→← =Widerspruch, ⊙ = Kernthese).

Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass Randbemerkungen nur in eigenen Texteninfrage kommen. Für geliehene Literatur gibt es dieMöglichkeit, entwedermitHaft-notizzetteln aus Papier bzw. mit „Tape flags“ (kleinen, verschiedenfarbigen, selbst-haftenden und beschreibbaren Kunststoff-Fähnchen) zu arbeiten oder mit den alt-bewährten Buchstreifen (vgl. Abb. 9.4): Papier- oder leichte Kartonstreifen (etwa 7–10,5 cm breit) werden in der Länge so zugeschnitten, dass sie als Einlage im Buchetwa 1–2 cm über den Buchblock hinausragen. Auf demAbschnitt ganz unten sollteauf jeden Fall die Seitenzahl notiert werden, auf die sich der Buchstreifen bezieht.Darüber hinaus könnten Stichwörter notiert sein, worum es auf der jeweiligen Dop-pelseite geht, denn die Rückseite des Buchstreifens wird für die rechte Buchseiteverwendet. Die Breite der Streifen sollte je nach eigener Handschrift so gewähltwerden, dass sich Platz für lesbare Randnotizen ergibt, die man so schreibt, dasssie zeilengenau neben dem Text stehen, auf den sie sich beziehen, wenn die untereKante des Buchstreifens mit der unteren Kante des Buchblocks abschließt.Wenn Siedas entliehene Buch zurückgeben müssen, sollten Sie Ihre Buchstreifen entfernenund in einem Briefumschlag aufheben, auf dessen Vorderseite Sie noch einmal diebibliografischen Angaben notieren. Vielleicht benötigen Sie das Buch noch einmalund finden dann die entsprechenden Textstellen schneller (vgl. Abb. 9.4).

Page 19: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.6 Das Argumentationsschema eines Textes analysieren und Aussagen prüfen 213

9.6 Das Argumentationsschema eines Textes analysierenund Aussagen prüfen

Im Abschn. 9.3 ist schon einiges über Textsorten und Textstrukturen gesagt undeingangs von Kap. 9 ist festgestellt worden, dass Studierende Schwierigkeiten damithaben, die Argumentation eines Textes wiederzugeben und zu den ArgumentenStellung zu beziehen. Das Problem liegt m. E. in der fehlenden Verarbeitungstie-fe, die sich erst ergibt, wenn man sich intensiv mit einem Text auseinandersetzt.Der Textaufbau folgt in den Wissenschaften meist formalen Textbauplänen (s. Ab-schn. 9.3) und Argumentationsfiguren (s. Abb. 9.5) und ist mithilfe

• der Gliederung bzw. des Inhaltsverzeichnisses,• derThema-Rhema-Analyse (s. Abschn. 9.7) sowie• der Beachtung der „Gelenkstellen“ eines Textes („. . . Im Folgenden soll das me-

thodische Vorgehen kritisiert werden . . . “) und deren Kennzeichnung mit me-tasprachlichen Wörtern („Methodenkritik“) herauszuarbeiten.

Die Linearität des Textes lässt sich dementsprechend visualisieren (s. Abb. 9.5).Die Argumentationsstruktur kann auch in grafischer Form abgebildet werden, etwamit der Hilfe von Pfeilen (A → B = A führt zu B, B folgt aus A; A ≠ B = A undB sind nicht miteinander vereinbar; A →← B = Widerspruch zwischen A und B).Was immer Sie sich ausdenken, die Zeichen müssen eindeutig sein, sodass Sie dieintendierte Aussage zweifelsfrei rekonstruieren können.

Die verwendeten Aussagen wiederum lassen sich in vier Klassen einteilen, diedie Abb. 9.6 wiedergibt. Für jede dieser Klassen werden Beispielsätze genannt. Da-nach wird die Frage nach dem Geltungsmodus gestellt und es werden die Möglich-keiten der kritischen Überprüfung der vier Aussagetypen benannt.

9.7 Exzerpieren und Texte zusammenfassen

Neben dem Markieren von wichtigen Textstellen, dem Anbringen von Randnoti-zen oder Symbolen am Seitenrand bzw. auf Buchstreifen (s. Abb. 9.4), ist das Ex-zerpt (der Textauszug) ein wichtiges Hilfsmittel, um Gelesenes – möglichst in eige-nen Worten und knapper Form – schriftlich festzuhalten. Dabei muss man unter-scheiden können zwischen wichtigen und unwichtigeren Textinformationen. EinExzerpt sollte auf jeden Fall kürzer sein als der zu exzerpierende Text. Exzerpie-ren sollten Sie alle wichtigen Texte, auf die Sie für die eigene (Examens-)Arbeit

Page 20: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

214 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.5 Beispiele für Argumentationsschemata in Texten (Quelle: Will 2004, S. 28)

Page 21: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.7 Exzerpieren und Texte zusammenfassen 215

/sudomsgnutleG eleipsieB negassuATestfragen

Mittel der kritischen Prüfung

informative Es gibt Quastenflosser. Alle Planetenbahnen sind Ellipsen. Bei irreversiblen Prozessen nimmt die Entropie zu. Wenn Menschen großem Stress aus-gesetzt sind, dann nimmt die Fähig-keit ab, Probleme zu lösen.

WahrheitStimmt die Aussage mit der Wirklichkeit überein?

− logische Prüfung − Vergleiche mit konkurrie-

renden Aussagen − Prüfung an der Realität − Bezug zum Problem− ideologiekritische Aspekte:

geringer Informations-gehalt? Absolutheitsanspruch Vermengung mit normati-ven Aussagen? Schwarz-Weiß-Malerei? Verschwörungsideen? Überzogene Erwartungen?Rekurs auf autoritäre Quellen?

technologische Verwende Kamillentee, um deine Beschwerden zu lindern. Militärische Aktionen außerhalb der Nato sind unverzichtbare Maß-nahmen zur Begrenzung lokaler Konflikte.

GeeignetheitFührt das Mittel wirklich zum Ziel?

− Mutmaßliche Wirkungen herausarbeiten

− Prüfung der zugrunde-liegenden Hypothesen

− Nebenwirkungsanalyse, Kollision mit anderen Zie-len und Werten?

normative Du sollst nicht töten. Den Frieden sollten wir erhalten. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem andren zu. Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun. Leben ist das höchste Gut

Erwünschtheit Sollen wir das tun? Ist dieser Zustand gut so? Wie würde sich die Welt verändern?

− logische Prüfung − Wertkonflikte heraus-

arbeiten − Konsequenzen heraus-

arbeiten − faire Wirkungen für alle? − Realisierbarkeitspostulat

anwenden − Kongruenzpostulat an-

wenden außer- moralische Werturteile

Deine Niere funktioniert gut. − Umformulieren in infor-mative Aussagen

− Kriterien festlegen

Abb. 9.6 Mittel der kritischen Prüfung von Sätzen (Quelle: Alt 2000, S. 63)

auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurückgreifen wollen oder müs-sen, z. B. wenn Modulprüfungen anstehen. Exzerpieren, d. h. das Herausschreiben,dient nicht nur der vertieften Verarbeitung von Gelesenem, sondern das Exzerpthilft später bei der Wiederauffrischung von Gelerntem. Deshalb: Schauen Sie sichIhre Unterlagen – in einigem zeitlichen Abstand – des Öfteren wieder einmal an,um Gelerntes dem Vergessen zu entreißen.

Man unterscheidet komplettes und auszugsweises, an einer speziellen Fragestel-lung orientiertes Herausschreiben, wobei die eigene Fassung in beiden Fällen zumgrößeren Teil das Wichtigste des gelesenen Textes in eigenen Worten umschreibt

Page 22: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

216 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

(= paraphrasiert), zum Teil aber – und dieses dann unbedingt mit An- und Ab-führungszeichen – wortwörtlich wiedergibt wie Zitate (s. Abschn. 10.5). Für beideFormen des Herausschreibens ist wichtig, dass Sie zumindest einmal die genauebibliografische Angabe (s. Abschn. 10.5.5) notiert haben und die jeweils dem Ur-sprungstext entsprechende Seitenzahl fortlaufend in Ihrem Exzerpt festhalten. DieSeitenzahl ist ebenso für die Paraphrase wie für daswortwörtliche Zitat erforderlich,wenn Sie später die Passagen für Ihre (Examens-)Arbeit verwenden wollen. AchtenSie also darauf anzugeben, wo ein Seitenwechsel in einem Zitat oder Paraphraseteilvorliegt, sonstmüssen Sie dieses bei spätererVerwendung eventuell amOriginaltextnoch einmal nachprüfen!

Inhaltlich ist ein Exzerpt ausführlicher als die Randbemerkungen (s. Abb. 9.3);besonders dann, wenn es sich um ein häufig verliehenes Buch aus der Bibliothekhandelt und der Originaltext später nicht zusätzlich zum Exzerpt vorliegt. Wie beidenRandnotizen gehtman beim vollständigen Exzerpieren absatzweisemithilfe derThema-Rhema-Analyse vor: Als erstes wird dasThema des Absatzes ermittelt und alsWort oderWörterkombinationniedergeschrieben.Davongetrennt sollte zumindestdie Kernaussage zu diesem Thema notiert werden (Beispiel: [Thema:] Lehrerrolle(LR) [Rhema:] keine Erweiterung der LR, sond. Konzentration auf Kernkompe-tenz). – Jedes Komprimieren eines Absatzes (s. a. Abschn. 10.4.4) beginnt auf einerneuen Zeile. Kapitelüberschriften werden wortwörtlich abgeschrieben und durchUnterstreichung als solche kenntlich gemacht. Achten Sie insbesondere auf Schlüs-selbegriffe und deren Definition sowie die Abfolge der Argumentation. Und bittedie Seitenzahlen nicht vergessen, die den Bezug zur Originalseite herstellen (wich-tig für Paraphrase und Zitat! – s. Abschn. 10.5.1).

Will ich den Text nur unter einer bestimmten Fragestellung exzerpieren (Bei-spiel: Es liegt ein Buch vor mit dem Titel: „Das Bildungswesen der BundesrepublikDeutschland“, aus demmich nur die Aussagen über die „Gesamtschule“ interessie-ren), so überfliege ich den Text, sofern das Buch kein gutes Sachregister hat, undschreibe nur die Angaben heraus – sinngemäß oder wortwörtlich (im letzteren Fallmit An- und Abführungszeichen) –, die Aussagen über die „Gesamtschule“ betref-fen.

▸ Tipp Ein Exzerpt taugt allerdings nur dann, wenn Sie auch ohnedie Textvorlage Ihre Zusammenfassungen für weitere Arbeitsgängeverwenden können, also auch irrtumsfrei Ihre Schrift lesen bzw. Abkür-zungen auflösen können. Und lassen Sie bitte Platz für spätere Zusätzeund Anmerkungen.

Page 23: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.7 Exzerpieren und Texte zusammenfassen 217

Blatt n des Exzerptes

Bibliografische Angabe des exzerpierten Textes, auf der 1. Seite komplett, auf den Folgeseiten gekürzt

Platz für Sach-gruppenangabe, Exzerptnr.

Lochrand (Seitenzahlen des exzerpier-ten Textes)

S. 173

Kapitelüberschrift wortwörtlichThema des Absatzes 1 Kernaussage in eigenen Worten zu Absatz 1 Darunter ein „Zitat in An- und Abführungszeichen“

....

Thema des Absatzes 2 Kernaussage in eigenen Worten zu Absatz 2

....

.... usf.

Ihre Leitworte,

Kommentare,

Ergänzungen

nochmals verdichtete Zusammenfassung in eigenen Worten Evtl. Hinweis auf Folgeblatt n + 1

Abb. 9.7 Exzerptpapier DIN-A4 (Ausschnitt)

9.7.1 Formales zu den Exzerpten

Exzerpte kann man auf Karteikarten (DIN A5 quer) niederschreiben oder auf ein-seitig zu beschreibenden DIN-A4-Blättern. (Einseitig nur deshalb, weil manchmalSchere und Klebstoff der schnellste Ausweg sind, Textteile zu übernehmen, anstellesie abschreiben zumüssen. Das geht nicht bei beidseitig beschriebenenBlättern. Fürhandschriftliche Exzerpte verwende ich die Rückseiten von nicht mehr benötigtenComputerausdrucken als Konzept- bzw. Exzerptpapier.) Lochen Sie einen Papier-stapel vorher mit einem Locher (mit richtig eingestellter Anschlagschiene), damitkeine wichtigen Informationen beimnachherigen Lochen ausgestanzt werden. Kni-cken Sie sich für den Anfang an allen Seiten etwa 4 cm breite Ränder, sodass Sieneun unterschiedlich große Flächen haben, die für unterschiedliche Informationenvorzusehen sind (s. Abb. 9.7).

Page 24: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

218 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

▸ Tipp Wer einen PC an seinem Leseplatz zur Verfügung hat, sollte sei-ne Exzerpte nicht erst mit der Hand schreiben, sondern gleich in denPC eintippen. Dazu sollte man sich eine Dokumentvorlage in Tabellen-form anlegen. In die Kopfzeile der Datei (nicht der Dokumentvorlage)kommen die bibliografischen Angaben, die dann auf jeder ausgedruck-ten Seite stehen werden. Eine Seitennummerierung der Exzerptseitenkanndagegen schon inderDokumentvorlagevorgesehenwerden. –Beider Weiterverarbeitung des mit PC geschriebenen Exzerptes hat manbesondere Vorteile: Ergänzungen, Kürzungen und Verbesserungen sindjederzeit möglich. Mit der Suche nach einem markanten Wort in allenTextdateien werden einem die Dateien aufgelistet, die dieses Suchwortenthalten. IndenTextenkannmandieentsprechendenTextstellendannebenfalls mit der Suchfunktion leicht auffinden. Will man Teile des Ex-zerptes für die eigene Arbeit verwenden, so kopiertman nach demMar-kieren den entsprechenden Teil aus der Exzerptdatei in die neue Textda-tei. Auch die dazugehörige bibliografische Angabe kannman gleich ausdem Exzerpt in den neuen Text übernehmen. (Ablage in einem getrenn-ten Dateiordner und Datensicherung nicht vergessen!)

Darüber hinaus stellt sich die Frage der Aufbewahrung der Exzerpte. An eigeneFotokopien von Texten kann man die dazugehörigen Exzerpte anheften, in eige-ne Bücher die Zettel gefaltet einlegen. Doch sollen ja gerade Exzerpte für wichtigeBücher aus der Bibliothek angefertigt werden, die dann, wenn man dringend aufdie Bücher zurückgreifen möchte, meist ausgeliehen sind. Solche Exzerpte kön-nen Sie in Archivboxen, Stehsammlern, Ordnern oder Karteikästen aufbewahren(s. Abschn. 5.4). Ich hefte meine Exzerpte fortlaufend nummeriert (z. B. „E46“ =Exzerpt 46) in Exzerpte-Ordnern ab und notiere mir inmeiner Literaturdatenbank,dass es zu dem Buch aus der Bibliothek mit der Signatur „AP 15640 W689(5)“ einExzerpt mit der Standort-Nr. „E46“ gibt. Das Ein- und Rücksortieren nach laufen-denNummern hat sich bewährt, weil erst ein neuerOrdner beschafftund eingerich-tet werdenmuss, wenn der alte gefüllt ist. Selbstverständlich kannman handschrift-liche Exzerpte auch einscannen und elektronisch speichern. Als Dateinamenwürdeich dann „E46_Will.pdf “ vergeben und die Datei im (elektronischen) Verzeichnis„Exzerpte“ speichern.

Führt man darüber hinaus noch ein Verweissystem (elektronisch z. B. mit-tels „CUEcards“ – s. Abb. 5.8), können auch dort Hinweise auf entsprechendeExzerpte vermerkt werden. – Karteikarten für Exzerpte sollten mindestens DIN-

Page 25: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.7 Exzerpieren und Texte zusammenfassen 219

Handeln, soziales (Definition) Sozialpsych.

S. 321 „Zusammenfassend definieren wir Handeln als das bewusst s. H = Verhalten eines Aktors,zielgerichtete und geplante, gewollte und von Emotionen begleitete, sozial gesteuerte und kontrollierte Verhalten ei- nes Handelnden (Aktors).“

und zwar: 1. bewusst zielgerichtet 2. geplant 3. gewollt 4. von Emotionen begleitet 5. sozial gesteuert & kontrolliert

CRANACH, Mario von/KALBERMANN, Urs: Soziales Handeln. In: Sozialpsychologie. Dieter Frey/Siegfried Greif (Hrsg.). – München 1983, S. 321-325

Hinweis auf mögliche Folgekarten

Abb. 9.8 Beispiel einer Definitions- oder Zitationskarteikarte

A5-Querformat haben, sonst geht zu wenig Text auf eine Karte. – Die Karteikar-tentechnik eignet sich allerdings besser für eine Definitions- oder Zitatenkartei aufDIN-A6-Karteikarten (s. Abb. 9.8), die dann – nach Schlagwörtern geordnet – ineinem Karteikasten abgestellt werden, der so auch als Lernkartei dienen kann, z. B.für eine Klausurvorbereitung.

Ein weiteres Karteikarten-Verfahren besteht darin, einseitig beschriebene DIN-A4-Exzerptblätter (diesmal die Rückseite unbedruckt bzw. unbeschrieben) so aufDIN-A6-Format zu falten (s. Abb. 9.9), dass der Exzerpt-Text nicht mehr zu sehenist. Dieses nun zweimal gefaltete Blatt kann wie eine Karteikarte nahe des Faltrandsbeschriftet werden, indem die vollständige bibliografische Angabe (bei Büchern auseiner Bibliothek mit Signatur) auf dieser „Karteikarte“ notiert wird. Handelt es sichnicht um allzu viele Folgeblätter, z. B. eines auszugsweisen Exzerptes, können diesegemeinsam in der beschriebenen Weise gefaltet (s. Abschn. 5.3.1) und in die Lite-raturkartei einsortiert werden.

Diese Methode kann auch für eine tabellarische Auswertung eines Buches oderAufsatzes genutzt werden (s. Abschn. 9.8.1). Hat man ein unbeschriebenes DIN-A4-Blatt zweimal so gefaltet, dass die längere Strecke jeweils halbiert wird, sind aufder Vor- und Rückseite insgesamt acht gleich große Flächen gegeben. Die durchFaltung entstandenen vier Innenflächen könnten jeweils links oben Überschriftentragen wie: „Ziel des Textes:“, „Inhalt:“, „Problem-/Fragestellung:“, „Problemlö-sung/Antworten:“. Bei der Beschriftung der Außenseite muss darauf geachtetwerden, dass nahe am Faltrücken die Ordnungszeile angelegt wird, unter derdie „Karteikarte“ alphabetisch/systematisch in den Kasten einsortiert werden soll

Page 26: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

220 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.9 Von DIN-A4 auf DIN-A6 gefaltetes Karteiblatt für Lektürenotizen oder auszugs-weise Exzerpte

(s. Abb. 9.9). Unter der Ordnungszeile sollten die vollständigen bibliografischenInformationen stehen einschließlich der Bibliothekssignatur, wenn Sie die Literaturentliehen haben. Auf die übrigen Flächen Ihres gefalteten Blattes können Sie Text-auszüge als Zitate oder Paraphrasen eintragen oder die Kategorien der Rhetorik(s. Abb. 9.2) nutzen. Empfehlenswert ist auf der „Rückseite“ eine „Zusammen-fassung zum Inhalt“ und/oder Ihre persönliche Einschätzung des Aufsatzes oderBuches (z. B.: „sehrwichtiges Buch für dieKlausur in Soziologie!“, „+ neueste Litera-tur verarbeitet“, „– implizit normativ“), sodass Sie nach dem Ziehen dieser „Karte“eine schnelle Übersicht haben. Wenn Sie solche Blätter dann mit dem Faltrückennach oben in einen Karteikasten stellen, kann man sich aus DIN-A4-Blättern einekostengünstige und informative Kartei schaffen, die z. B. auf 1–2 weiteren Seitenzusätzliche Ausarbeitungen aufnimmt oder die zwischen Karteikarten sortiert wer-den können, entweder in der Literaturkartei oder in der Lern-/Arbeitskartei (wennbeide im Format DIN-A6 geführt werden).

9.8 Gelesenes verarbeiten

Da das Behalten verbessert wird, indem Sie sich immer wieder in Abständen mitbereits Gelerntem beschäftigen, sollten Sie wichtige Literatur nicht nur exzerpieren,sondern Texte weiter verdichten bzw. mit IhremVorwissen und dem neu Gelerntenvernetzen. Die Komprimierungstechniken helfen, die Verarbeitungstiefe im Rah-men der Rekapitulation des Gelesenen (vgl. Kretzenbacher 1990) zu erhöhen, weil

Page 27: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.8 Gelesenes verarbeiten 221

Abb.9.10 FlussdiagrammRelevanzprüfung bei einemBuch (Quelle: Franck undStary 2006,S. 46)

Page 28: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

222 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

man sich etliche Gedanken bezüglich der Zusammenfassung bzw. zu den einzel-nen Kategorien machen muss, die man darstellen will, und zu möglichen Relatio-nen zwischen den Begriffen. Bei der Relationendarstellung gibt es unterschiedlicheMöglichkeiten wie z. B. Flussdiagramme (s. Abb. 9.10) oder die Netzwerk-Technik(s. Abb. 9.13) (vgl. dazu auch Stary und Kretschmer 2004, S. 120–129).

9.8.1 Tabellen

Gelesenes kann auch in eine Tabellenform gebracht werden, was besonders bei Un-terscheidungen von zeitlichen Phasen oder Epochen (s. Abb. 9.11) oder bei Verglei-chen von Standpunkten, alternativen Lösungswegen bzw. hinsichtlich bestimmterMerkmale oder Kategorien angebracht sein kann (s. Abb. 9.12).

Solche Tabellen eignen sich nicht nur für einen wichtigen Text, sondern auchfür ein größeresThemengebiet, wozu Sie „thematische Zwischenbilanzen“ (Püschel2010, S. 45) z. B. für Prüfungen zusammenstellen: Sie verarbeiten Ihre Exzerpte wei-ter, indem Sie Aussagen verschiedener Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnenzu einem prüfungsrelevanten Thema tabellarisch auflisten. Über die Kernbegriffelösen Sie sich von den einzelnen Texten und kommen so zu – möglicherweise ei-genen – Konzepten (ebd.), die später in Concept- oder in Cluster-Maps visualisiertwerden können (s. Abschn. 9.8.2).

Durch die intensive, wiederholte Beschäftigung mit dem Lernstoff werdenmithilfe von didaktischen Prinzipien wie Einfachheit bzw. Übertreibung/Kontrast-verstärkung die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Selbstver-ständlich müssen die Schemata und Tabellen noch die notwendige wissenschaft-liche Differenzierung aufweisen, aber durch die Elaboration wird das Gelerntehervorragend in das vorhandene Wissen integriert und das Ganze kann bei derVorbereitung auf Prüfungen sehr hilfreich sein.

9.8.2 Texte visualisieren

Eine weitere Verdichtung von Textinformationen kann in Schaubildern erfolgen.Deren Erarbeitung erfordert zwar auf der einen Seite eine noch intensivere Ausein-andersetzungmit demText, auf der anderen Seite kann der Inhalt solcher Schaubil-der schneller erfasst und wiederholt werden als durch das Durchlesen von Exzerp-ten. Schaubilder bleiben im Gedächtnis viel besser haften, weil solche Schemata, sosie denn übersichtlich sind, ganzheitlich erinnert bzw. rekonstruiert werden kön-nen, zumindest von eher visuell Lernenden. – Deshalb soll an dieser Stelle noch

Page 29: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.8 Gelesenes verarbeiten 223

1. Phase: 1779 – ca. 1890 2. Phase: ca. 1890 – 1963 3. Phase: seit 1963

Wurzeln d. Päd: Theologie u. prakt. Philoso-phie Gesellschaftserwartungen an Päd.: Deutungsmuster + Handlungsorientierungen Schriften alltagsfixiert, stark normativ Begriffe aus der Erz.praxis in päd. Wiss. übernommen

bestandskrit. Phase durch 2 Provokationen:

(1) Reformpäd. + (2) Historismus

zu 1.: Gegenbewegung zur bürokrat. + entfremdeten Schule; Kritik am Herbartia-nismus

zu 2.: geschichtsphilosoph. Relativierung; Diltheys Grundlegung d. Geistes-wiss. + Ausbau d. Herme-neutik → Geisteswiss. Päd. Relativierung der Erzie-hungswirklichkeit Begriffe aus der Erz.praxis in päd. Wiss. übernommen

(vereinzelte erfahrungswiss. Vorläufer ab 1900: Meumann, Lochner) 1963 „realistische Wendung“ (Heinrich Roth, Göttingen) Entwickl. zur sozialwiss. orientierten Erziehungs-wissenschaft; starke Anlehnung an US-amerikanische Psychologie und Soziologie

Neue Paradigmen: Empir.-analyt. Erzwiss. und Kritische Erzwiss., orientiert an psycholog. Unter-richtsforschung resp. Frankfurter Schule (Hork-heimer/Adorno);

Auslöschung geisteswiss. Terminologie, Einset-zung neuer, weniger nationalsprachl. Termini; charakteristische Differenz zw. handlungswiss. u. analytischem Selbstverständnis

Begriffe aus der Erzwiss. z. Teil in die Erz.praxis diffundiert

Textsorten: fiktionale Lit. erziehungstheoret. Monografien 200 Jahrbücher/Zs./ Reihen Kompendien (= kurz-gefasste Lehrbücher) staatl. Richtlinien Nachschlagewerke

Textsorten: wie 1. Phase + Polemiken und Streitschrif-ten

Textsorten: – erzwiss. Lit. (Monografien, Abhandlungen) – Lehrbuch – Praxisanleitung – Einführungen, Grundkurse – Propädeutiken – Geschichten der Päd. – kasuistische Lit. – Streitschriften + Polemiken – empir. Untersuchungen

weitere Charakteristika:

keine rein wiss. Semantik, kaum nichtsprachl. Mittel; Sprechakttypus der Auffor-derung sehr häufig; positi- vistische Faktendarstellung, Behauptungen von Bewer-tungen nicht getrennt; Interjektionen, indoktrinärer Stil, aber auch Ausnahmen: z. B. Herbart (differenziert, konditional, argumentativ)

weitere Charakteristika:

vertikale Schichtung zw. (A) Lebenspraxis u. (B) akadem. Literatur nicht immer durchgehalten

zu A: futurische Form, tendenziell prophetisch, religiös bekehrend; Meta-phern, Semantik antiszienti-fisch; performatorischer Sinn indoktrinär; Behaup-tungssätze mit implizitem Aufforderungscharakter

zu B: Ausbildung der geis-teswiss. Fachterminologie; Präteritum anstelle Futur, dennoch stark affirmativ; ungebrochene Semantik, Interpretation im herme-neut. Zirkel; wenig nichtsprachl. Mittel, stattdessen Metaphern

weitere Charakteristika:

Syntax schwer klassifizierbar; hochkomplex und oft unverständlich. Nichtsprachl. Mittel haben beträchtl. Stellen-wert.

Im Streit zw. geistesw. Päd., krit. Erzwiss. u. empir.-analyt. Erzwiss. spielten Begriffe als Leitformeln wichtige Rolle zur Erkennung von In- und Outgroup – Dennoch: gemeinsame Orien-tierung an Rationalität

Fazit: diskontinuierliche Entwicklung; schwindende nationalsprachl. Terminologie, wenig terminolog. Eigenständigkeit, rascher Modenwechsel, semantisch selten trennscharf; von Berufspraxis zurückhaltend rezipiert. Polit. Teilung Dtschl. in Terminologie bemerkbar, muss noch erforscht werden

Ausblick: Postmoderne-Diskussion: „anything goes“

Abb. 9.11 Die Fachsprache der Erziehungswissenschaft seit dem Ende des 18. Jahrhunderts(zu dem Text Lenzen und Rost 1998)

Page 30: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

224 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb

.9.12

Differenzierun

genun

dRe

latio

nzw

ischen

Sprachform

en

Page 31: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.8 Gelesenes verarbeiten 225

Abb. 9.13 Visualisierungsbeispiel zum Netzwerk Lernen (Quelle: Vester 2001, S. 176)

einmal daran erinnert werden, dass Sie beim Lesen auch den Abbildungen in Tex-ten Beachtung schenken sollten!

Stary und Kretschmer (vgl. 2004, S. 121–129) stellen Texte und deren Bear-beitung mithilfe der Netzwerk-Technik und des Mindmappings vor (vgl. auchBuzan 2006; Hertlein 2010). Während bei der Netzwerktechnik oftmals Begriffein Kästchen, Kreisen oder Rauten und Relationen durch verschiedene Pfeilfor-men dargestellt werden (s. Abb. 9.10), geht die „Mindmap-Technik“ von einemzentralen Thema aus, das in die Mitte der Seite geschrieben wird. Von dort auswerden dicke „Äste“ und dünnere Zweige angelegt, die für zusammenhängendebzw. gesonderte Aspekte stehen (s. Abb. 9.14). Gerade das „Mindmapping“ eignetsich für die Strukturierung von Inhalten zu einer Wissenslandkarte oder für dieExposition eines Textes (s. a. Abb. 11.4), bevorman ihn schreibt. DasMindmappingist weiterentwickelt worden zum Verfahren des Cluster-Mappings (s. Abb. 9.15).Hierbei wird nicht von einem zentralen Thema in der Mitte des Blattes ausgegan-gen, sondern ein Cluster- oder Concept-Map (s. Abb. 9.16) kann mehrere Zentren

Page 32: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

226 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.14 Mindmap zum Thema Mindmapping (Quelle: http://www.zeitzuleben.de/zzlwp1892/wp-content/uploads/2010/12/1Of9gcKfbs.gif)

auf dem Blatt haben, die miteinander in Relationen stehen (vgl. Nückles et al.2004). – Anhand einiger Beispiele soll nachhaltig demonstriert werden, dass solcheSchaubilder Aussagekraft haben (s. die Abb. 9.13 bis 9.16). Die Auseinandersetzungmit ihnen hilft besonders, Lerninhalte zu Superzeichen zu verdichten und länger-fristig zu behalten. Noch besser ist es, selbst solche Tabellen oder Schaubilder zuerstellen.

9.8.3 Begriffe klären, Sachverhalte prüfen,aufgeworfenen Fragen nachgehen

Bei allen diesen Lese- und Verarbeitungsprozessen dürfen Sie es nicht versäumen,

• Wörter nachzuschlagen, die Sie nicht verstanden haben. Dazu sollten Sie vonBeginn an zumindest ein Fremdwörterbuch sowie je ein Fachwörterbuch mitmöglichst vielen Fachtermini zu jedem Ihrer Studienbereiche an IhremArbeits-platz zur Verfügung haben.

Page 33: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.8 Gelesenes verarbeiten 227

Abb. 9.15 Cluster Map zu verschiedenen Ökologien (Quelle: http://this-clonic-earth.blogspot.com/2010_10_24_archive.html)

• Sachverhalte bei den geringsten Zweifeln zu prüfen. Sind Verweise auf Quellenangegeben, sollten Sie diese als Erstes prüfen. Darüber hinaus können natür-lich auch andere Quellen und Informationen zur Verifikation gesucht werden(s. Abschn. 8.1.3).

• Fragen nachzugehen, die der Text offenlässt und die Sie interessieren. Aussolchen Fragen kann sich beispielsweise das Thema für eine schriftliche (Ab-schluss-)Arbeit ergeben.

• eigene Textauszüge, selbsterstellte Tabellen und Schaubilder in der Gruppenar-beit (s. Kap. 4) anderen zu erläutern und ihre Richtigkeit in der Diskussion zuüberprüfen. Dazu sollten sich andere genauso viel Mühe geben wie Sie bei derErstellung dieser Materialien. Oft kommen in diesem Gedankenaustausch nochgute Ideen hinzu.

Page 34: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

228 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Abb. 9.16 Concept Map zumThema Französische Revolution (Quelle: Seel 2000, S. 177)

9.9 Kritik an Texten üben

Textkritik und Sachkritik sollten nach Möglichkeit getrennt werden (vgl. zum Fol-genden u. a. Hackenbroch-Krafft und Parey 2003). Textkritik legt den Augenmerkauf den Aufbau, die Textstruktur, den Stil und die verwendete Sprache, etwa mitden Fragen:

• Von welchen Voraussetzungen geht der Text aus?• Werden diese Voraussetzungen im Blick behalten?• Wie wird argumentiert?• Gibt es Widersprüche oder Brüche in der Argumentation?• Stehen Voraussetzungen, Argumentation und Schlussfolgerung in einem stim-

migen, d. h. widerspruchsfreien Zusammenhang?

Die Sachkritik hingegen kann nicht so formal erschlossen werden. Der Schwer-punkt liegt nun auf der inhaltlichen Reflexion des Textes mithilfe des eigenen Vor-wissens; d. h. seiner Prüfung an der je eigenen Erfahrung bzw. an der sekundär ver-mittelten Erfahrung anderer. Im Wissenschaftsbereich setzt dies Fachwissen bzw.

Page 35: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.9 Kritik an Texten üben 229

die Bereitschaft voraus, sich fehlendes Fachwissen anzueignen. Folgende Fragenführen zu einer Sachkritik eines Textes:

• Werden Probleme angemessen bzw. sachlich richtig dargestellt?• Wie ist der methodische Ansatz einzuschätzen?• Können Aussagen des Textes kritisiert werden, indem sie mit Aussagen, Hypo-

thesen, Theoremen anderer Texte verglichen oder durch sie ergänzt werden?• Welche Quellen wurden herangezogen?

ZusammenfassungSelbst wenn man lieber empirisch oder praktisch arbeiten würde: Am Lesenführt keinWeg vorbei, weil wissenschaftliche Ergebnisse zumeist schriftlich vor-liegen. Wer nicht so gerne liest, sollte einerseits seine Motivation zum Studiumüberprüfen, andererseits vielleicht mit kleinen Belohnungen versuchen, seineAbneigung gegen das Lesen zu überwinden. Vor allem sollten jene die Methodeder Relevanzprüfung (s. Abschn. 8.5) anwenden, umherauszufinden, ob ein Textfür sie und ihre Fragestellungwichtig ist oder nicht. Danach kommt eswiederumauf die richtige Lesestrategie an, je nachdem,wasmit demText bezweckt wird. Inder Regel reicht jedoch einmaliges Lesen eines wissenschaftlichen Textes nicht aus.Da Sie die meistenWörter aus dem alltäglichen Sprachgebrauch kennen, kommtdenjenigen Termini besondere Aufmerksamkeit zu, deren Bedeutung Sie nichtoder nur vage kennen. Dies sind meist die Schlüsselwörter, die Sie nachschlagenund deren Bedeutung Sie lernen sollten. Danach laufen semantische Prozesseautomatisch ab. (Na, wissen Sie noch die Bedeutung von „semantisch“?) – Fürdas lernende Durcharbeiten empfehle ich die „Sechs-Schritt-Methode“ (PQ4R).Hier kommt es besonders darauf an, Themen und Aussagen des Textes zu iden-tifizieren und später aus dem Kopf niederzuschreiben. Wichtig ist jedoch dieabschließende Überprüfung am Text, umWahrnehmungsfehler richtigzustellenund Erinnerungslücken zu füllen. Zwingen Sie sich dazu, das Gelesene in eige-ne Worte zu fassen, weil dadurch ebenso eine bessere Verarbeitungsqualität er-reicht wird wie durch die Verdichtung von Gelerntem in Exzerpten, Kategorien-schemata oder Schaubildern.

▸ Tipp Wer sich noch ausführlicher mit dem Lesen und Durcharbeitenvon wissenschaftlichen Texten beschäftigen will, greife zu dem Buchvon Georg Brun und Gertrude Hirsch Hadorn (vgl. 2009). Wer seineKenntnisse zum komplexen Vorgang des Textverstehens noch vertie-fen möchte, der lese nach bei Jürgen Grzesik (vgl. 2005) oder Heiner

Page 36: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

230 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Willenberg (1999). Wer schneller lesen möchte, sollte sich das Buchvon Rotraut und Walter U. Michelmann (vgl. 2010) ansehen. Strategi-en zur Zusammenfassung wissenschaftlicher Fachtexte finden Sie indem Werk von Kretzenbacher (vgl. 1990). Wichtiger für Anfänger als dieletzte Empfehlung ist jedoch das Buch von Detlef H. Rost (vgl. 2007)zur Interpretation von empirischen Untersuchungen. Das Erkennenvon empirischen Fehlinformationen durch Querdenken vermittelt sehrunterhaltsam das Buch „Der Hund, der Eier legt: Erkennen von Fehlin-formation durch Querdenken“ von Dubben und Beck-Bornholt (2010).

Literaturverzeichnis

Alt, J. A. (2000). Richtig argumentieren oder wie man in Diskussionen Recht behält. München:Beck.Brun, G., & Hirsch Hadorn, G. (2009). Textanalyse in den Wissenschaften. Inhalte und Ar-gumente analysieren und verstehen. Zürich: vdf Hochschulverl. UTB Schlüsselkompetenzen,Arbeitshilfen, 3139.Buzan, T. (2006).Kopftraining. Anleitung zum kreativenDenken; Tests undÜbungen, 20., völligüberarb., aktualisierte und erw. Aufl. München: Mosaik bei Goldmann. Goldmann, 10926.Dubben, H.H., & Beck-Bornholdt, H. P. (2010). Der Hund, der Eier legt. Erkennen vonFehlinformation durch Querdenken, 5. Aufl. vollst. überarb. und erw. Neuausg. Reinbek beiHamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. rororo Sachbuch, 62196.Flitner, A. (1992). Reform der Erziehung. Impulse des 20. Jahrhunderts. Mit e. Beitrag von D.Knab. München: Piper. Serie Piper, 1546.Franck, N., & Stary, J. (2006). Gekonnt visualisieren. Medien wirksam einsetzen. Paderborn:Schöningh. UTB Arbeitshilfen, 2818.Grzesik, J. (2005). Texte verstehen lernen. Neurobiologie und Psychologie der Entwicklung vonLesekompetenzen durch den Erwerb von textverstehenden Operationen. Münster: Waxmann.Habermas, J. (1978). Umgangssprache, Wissenschaftssprache, Bildungssprache. Merkur, 32,327–342.Hackenbroch-Krafft, I., & Parey, E. (2003).TrainingUmgangmit Texten. Fachtexte erschließen,verstehen, auswerten [Sekundarstufe II], 4. Aufl. Stuttgart: Klett-Verl.Henningsen, J. (2010). Peter stört. In A. Flitner &H. Scheuerl (Hrsg.) Einführung in pädagogi-sches Sehen und Denken, 3. Aufl. (S. 46–66). Weinheim: Beltz. Beltz-Taschenbuch Pädagogik,68.Hertlein, M. (2010).Mind mapping – die kreative Arbeitstechnik. Spielerisch lernen und orga-nisieren, 6. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. rororo Sachbuch, 61190.Krämer, W. (2010). Statistik verstehen. Eine Gebrauchsanweisung, 9. Aufl. München: Piper.Serie Piper, 3039.

Page 37: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

9.9 Kritik an Texten üben 231

Krämer, W. (2011). So lügt man mit Statistik. Überarb. Neuaufl. der ungekürzten Taschen-buchausg. München: Piper. Serie Piper, 6413Kretzenbacher, H. L. (1990). Rekapitulation. Textstrategien der Zusammenfassung von wissen-schaftlichen Fachtexten. Tübingen: Narr.Kruse,O. (2010). Lesen und Schreiben. Der richtige Umgangmit Texten im Studium. Konstanz:UVK Verl.-Ges. UTB, Studieren, aber richtig, 3355.Lenzen, D., & Rost, F. (1998). Die neuere Fachsprache der Erziehungswissenschaft seit demEnde des 18. Jahrhunderts. Fachsprachen – Languages for special purposes. Ein internationa-les Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft, Bd. 1, 1. Halbbd.(S. 1313–1321). New York, Berlin: de Gruyter.Michelmann, R., & Michelmann, W.U. (2010). Effizient und schneller lesen. Mehr Know-howfür Zeit- und Informationsgewinn. Köln: Anaconda.Nückles, M., Gurlitt, J., Pabst, T., & Renkl, A. (2004). Mind Maps und Concept Maps.Visualisieren, Organisieren, Kommunizieren. München: Dt. Taschenbuch-Verl. DTV Beck-Wirtschaftsberater, 50877.Püschel, E. (2010). Selbstmanagement und Zeitplanung. Paderborn: Schöningh. UTB, Uni-Tipps, 3430.Rittelmeyer, C., & Parmentier, M. (2007). Einführung in die pädagogische Hermeneutik. Miteinem Beitrag von Wolfgang Klafki, 3., unveränd. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft.Rost, D.H. (2007). Interpretation und Bewertung pädagogisch-psychologischer Studien. EineEinführung, 2. Aufl. Weinheim: Beltz PVU.Roth, G. (1997). Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philo-sophischen Konsequenzen, 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Suhrkamp-TaschenbuchWissenschaft, 1275.Schmitz,W., Hasse, F., & Sösemann, B. (2011). Schneller lesen – besser verstehen, 6. Aufl. Rein-bek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. rororo, 62378.Seel, N.M. (2000). Psychologie des Lernens. Lehrbuch für Pädagogen und Psychologen. Mün-chen: Reinhardt.Stary, J., & Kretschmer, H. (2004). Umgang mit wissenschaftlicher Literatur. Eine Arbeitshilfefür das sozial- und geisteswissenschaftliche Studium, 3. Aufl. Berlin: Cornelsen Scriptor. Studi-um kompakt.Terhart, E. (1992). Reden über Erziehung. Umgangssprache, Berufssprache, Wissenschafts-sprache.Neue Sammlung, 32(2), 192–214.Theisen, M. R. (2002). Wissenschaftliches Arbeiten. Technik, Methodik, Form, 11., akt. Aufl.München: Vahlen. WiSt-TaschenbücherWirtschaftswissenschaftliches Studium.Vester, F. (2001). Denken, Lernen, Vergessen. Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt dasGehirn, und wann lässt es uns im Stich? 33. Aufl., aktualisierte Sonderausg. München: Dt.Taschenbuch-Verl. dtv Wissen, 33045.Viebahn, P. (1990). Psychologie des studentischen Lernens. Ein Entwurf der Hochschulpsycho-logie. Weinheim: Dt. Studien-Verl. Blickpunkt Hochschuldidaktik, 88.

Page 38: Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

232 9 Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten

Weinrich, H. (1993).Wissenschaftssprache, Sprachkultur und Einheit der Wissenschaften. InH. Mainusch & R. Toellner (Hrsg.) Einheit der Wissenschaft. Wider die Trennung von Naturund Geist, Kunst undWissenschaft. (S. 111–127). Opladen: Westdt. Verl.Werder, L. von (1994).Wissenschaftliche Texte kreativ lesen. KreativeMethoden für das Lernenan Hochschulen und Universitäten. Berlin: Schibri-Verlag.Will, H. (2004). Mini-Handbuch Vortrag und Präsentation. Für Ihren nächsten Auftritt vorPublikum, 5. Aufl. Weinheim: Beltz.Willenberg, H. (1999). Lesen und lernen. Eine Einführung in die Neuropsychologie des Textver-stehens. Heidelberg: Spektrum Akad. Verl.