Leseprobe · 2020. 4. 30. · Es scheint, dass Mias und. Laurenz‘ Leben stärker miteinander...

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  • Leseprob

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  • Die Autorin

    Julia Rogasch, geboren 1983, lebt mit ihrem Ehemann und ihren Töch-tern in Hannover. Seit 2010 sorgt ihr Leben als Mama mit Job täglich fürInspirationen.Ihr großes Glück ist die Familie, welche sie nun mit der Arbeit und derLeidenschaft fürs Schreiben vereinbaren kann, da man ihr die Chancebot, im Marketing via Homeoffice für das Autohaus ihre Kreativität aus-zuleben, für das sie bis 2010 Autos verkaufte. Wann immer der Famili-entrubel es zulässt, widmet sie sich privat dem Schreiben.

    Das Buch

    Mia ist am Boden: Ihr Verlobter hat eine Neue, ihr Job ist weg und siesitzt in der grausten Wohnbausiedlung von Hamburg. Um wieder aufdie Beine zu kommen nimmt sie einen Buchhaltungsjob beim gut aus-sehenden wie mysteriösen Laurenz von Hofbacher in dessen Villa an.Ihr Chef gibt wenig von sich Preis, und doch ist Mia fasziniert von demMann, der niemanden in sein Leben lässt. Nach und nach schafft sie esihn aus der Reserve zu locken und erkennt, dass ein schwerer Schick-salsschlag Laurenz belastet. Und auch Mia selbst bekommt neue Pro-bleme, als jemand bei ihr einbricht und sie Drohungen erhält sich nichtin Familienangelegenheiten einzumischen. Es scheint, dass Mias und

  • Laurenz‘ Leben stärker miteinander verbunden sind, als sie ahnen. Unddie Lösung aller Geheimnisse liegt anscheinend in einem kleinen Hausauf Sylt…//Vor Jahren verließ Ebba völlig überstürtzt ihre Heimat Sylt. Bis heuteist Ebba weder über den Verlust und die nachfolgenden traumatischenEreignisse, noch über ihr schlechtes Gewissen gegenüber Magnus hin-weg. Als sich die Gelegenheit bietet, reist sie mit ihnen nach Jahren wie-der zurück nach Sylt. Es dauert nicht lang und sie trifft Magnus wie-der. Die Anziehungskraft zwischen den beiden ist ungebrochen. DochMagnus scheint ein neues Leben und eine neue Frau an seiner Seitezu haben. Er führt einen kleinen Laden direkt am Strand, ein Traum,den Ebba und er vor ihrer Abreise nicht mehr gemeinsam verwirklichenkonnten. Ebba hadert mit ihrer Entscheidung nach Sylt gekommen zusein und Magnus die Wahrheit über damals zu sagen. Aber dann über-schlagen sich die Ereignisse und Ebba muss sich endlich entscheiden...Von Julia Rogasch sind bei Forever erschienen:HonigmilchtageMit dir am HorizontDas Geheimnis vom StrandhausDer kleine Laden am StrandDas kleine Haus in den DünenDas Glück zwischen den Dünen

  • Julia Rogasch

    Liebe auf SyltZwei Romane in einem Band

  • Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

    Sonderausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMai 2020 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat

    ISBN 978-3-95818-583-8

    E-Book powered by pepyrus.com

    Das Geheimnis vom Strandhaus:Originalausgabe bei Forever.Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinOktober 2018 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018

    Der kleine Laden am Strand:Originalausgabe bei Forever.Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2019 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019

    https://forever.ullstein.de/

  • Das Geheimnis vom Strandhaus

  • Für meine Herzensmenschen

    Für meine wundervollen Leser

  • Die Worte aus dem Brief klangen immer wieder in seinen Gedan-ken nach und wirkten dabei wie scharfe Speerspitzen, die sich insein Herz bohrten.

    Du und dieser Versager, dein Freund, ihr kommt schon zurecht.

    Das habt ihr doch immer gesagt. Dabei ist schon jetzt klar, dass

    dich mit ihm nur ein erbärmliches Leben erwartet. Wenn das

    deine Vorstellung von der großen Liebe ist, wie du immer wieder

    betonst, so geh diesen Weg. Aber erwarte nicht, dass ich euch

    in irgendeiner Form unterstütze. Ich bin dankbar, dass es deinen

    Bruder gibt für mich. Für dich schämen wir uns. Deine Entschei-

    dung für diesen Mann ist eine Schande für unsere Familie. Und

    jetzt auch noch diese elendige Lüge – sei dir gewiss, dass Laurenz

    und ich uns deine Hirngespinste nicht länger anhören. Begib dich

    in eine Klinik, bevor du noch an deinen Wahnvorstellungen

    zugrunde gehst.

    Er kämpfte mit den Tränen. Die Worte seiner Mutter waren sohart, dass sie ihn tief in seinem Innern trafen. Wie musste Larissasich gefühlt haben, als sie diese Zeilen las?

    Er faltete den anderen Brief auf, er war von seiner Schwesteran ihn gerichtet:

    Du wirst die Frau finden, die deinem Leben einen Sinn geben wird.

    Ich wünsche dir von Herzen, dass es sie gibt und bin mir dessen

    Prolog

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  • ganz sicher. Wenn es dir gelingt, dich von unserer Mutter freizu-

    machen, wird die Liebe für dich da sein. Du musst mir verspre-

    chen, dass niemand sie dir nehmen wird, egal was passiert. Mut-

    ter hat es schon geschafft, mein Leben zu zerstören und hat mir

    meine Liebe nicht gegönnt. Versprich mir, lass es nicht zu. Lass dir

    die Liebe niemals nehmen. Von niemandem! Ich werde dir bewei-

    sen, dass das alles eine abscheuliche Lüge ist. Ich bin nicht ver-

    rückt, bitte glaub’ mir. Gib mir nur ein wenig Zeit. Es tut mir leid,

    dass wir uns so verloren haben.

    »Mir tut es leid. Es tut mir so verdammt leid«, presste er schluch-zend hervor und ballte die Faust um den zerknüllten Briefum-schlag in seiner Hand. Auch sein Herz fühlte sich an, als legesich eine Faust darum. Tränen liefen seine Wange herunter undbrannten dabei wie flüssiges Feuer.

    »Was würde ich dafür geben, dich noch einmal zu sehen?«,flüsterte er.

    Sein Flüstern klang laut in der Stille, die um ihn herumherrschte. Es war kalt und begann zu nieseln. Einzig die auf denBoden fallenden Kastanien lenkten ihn für einen Moment vondem tiefen Schmerz ab, der sich in seinem Hals ausbreitete undseine Brust so eng werden ließ, dass er fürchtete, ohnmächtig zuwerden.

    Kastanien hatte sie geliebt. Handschmeichler hatte sie siegenannt und immer eine davon in der Tasche gehabt, wenn esHerbst wurde. Unter Tränen lächelnd nahm er eine der glänzen-den, braunen Früchte, tastete, wie glatt und weich sie sichanfühlte, umschloss sie mit beiden Händen und legte sie nebenden anthrazitfarbenen Grabstein.

    Heute vor fünf Jahren war es passiert. Und in diesem Momentkam es ihm vor, als wäre es gestern erst geschehen, so präsent

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  • und mächtig war das drückende Gefühl in seiner Brust.

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  • Mia

    Affektiertes Gestikulieren, zur Schau stellen des kugelrundenBabybauches vor einer ansonsten perfekten Figur-Silhouette. Wasich sah, war bühnenreif.

    Die High Heels an langen, schlanken Beinen, eingehüllt inteure Cocktailkleidern. Die Damen waren gestylt wie auf einerDinner-Party, denn man war selbstverständlich schwanger mitStil. Überall teure Geschenke, verpackt in Tragetaschen mitLuxus-Label, die am Handgelenk baumelten, an dem auch die mitBrillanten besetzte Luxusuhr Platz fand. Champagnerglas in deranderen Hand.Diese Bilder trafen mein gebrochenes Herz wie kleine, spitzeGeschosse. Sie versetzten mir deswegen einen Stich, weil das,was ich sah, mein Wohnzimmer war. Im Haus meines Ex-Freun-des. Es waren meine kuscheligen Sessel, meine Küche, in der wirjeden Abend gemeinsam Köstlichkeiten gezaubert hatten, undmein Zuhause. Zum ersten Mal in meinem Leben war es sogar einZuhause gewesen, wie ich es mir immer erträumt hatte.

    Von mir ausgesuchte Windlichter standen im Fenster, deko-riert mit einer rosa-weiß karierten Schleife, wie ich es liebte.Duftkerzen darin, die nach Marshmallow-Vanille und Glück duf-teten. Ich erinnerte mich noch daran, wie ich sie in dem kleinenLaden in Eppendorf gekauft hatte, der so besonders liebenswerteDinge führte.

    Kapitel 1

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  • An der Wand meine Fotografien. Sylt im Sommer, Sylt imWinter. Alles Aufnahmen unserer Lieblingsinsel, jedes Motiv einOrt voller zauberhafter Erinnerungen und Glücksmomente.

    Sie da zu sehen war, als zerbrach etwas in mir. Ich konntekaum noch atmen, brachte flüsternd ein paar Worte hervor. »Ichbin im falschen Film, es muss so sein. Das darf einfach nicht wahrsein. Das kann nicht mein Leben sein.« Als ich gerade mit einerTräne kämpfte, wurde im ersten Stock über mir krachend einFenster geschlossen. Mein panisches Zusammenzucken hatte zurFolge, dass ich das Gleichgewicht verlor. Daraufhin landete ichmit nach allen Seiten rudernden Armen und einem satten Platschdirekt im vor dem Haus sprudelnden Springbrunnen.

    Die Gardine im Nachbaranwesen bewegte sich. Mein Atemstand still. Alle Versuche, mich jetzt noch unsichtbar zu machen,würden nur das Gegenteil bewirken und mich Stück für Stücktiefer versinken lassen in meiner Misere, im wahrsten Sinne desWortes. Ich duckte mich hinter die Brüstung des Brunnens. Daswar jedoch sicherlich sowieso zu spät.

    Sie hatte mich gesehen.Frau Biensheim, meine Ex-Nachbarin, war dafür bekannt,

    dass sie über alles und jeden Bescheid wusste und ihre Umgebungwie eine lebendige Überwachungskamera genau im Auge hatteund beobachtete. Tagsüber positionierte sie ihr Kissen so imFensterrahmen, dass ihr nichts entgehen konnte. In den Abend-stunden ertappte ich sie dabei, wie sie hinter der Gardine hervor-lugte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie dazu ein Fernrohrbenutzte.

    Mein Alltag konzentrierte sich dagegen derzeit darauf, vielZeit im Selbstmitleid badend auf dem Sofa zu verbringen. Wennich mich aus meiner Wohnung wagte, dann, um meinem Ex-Freund hinterherzuspionieren, was mir postwendend wieder

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  • genügend Grund geben sollte, in den See voll Selbstmitleid ein-zutauchen. Wie jetzt gerade. Das hatte ich nun davon. Ich warvon oben bis unten klitschnass. Was trieb mich auch dazu, amFenster der Ex-Villa bei der Baby-Shower der Nachfolgerin stillerZuschauer zu sein?

    Mein Gefühlshaushalt und damit auch mein Denken undHandeln befanden sich jedoch im Ausnahmezustand. Dass ichhier im Vorgarten meines Ex herumkrauchte, entbehrte jeder ver-nünftigen Grundlage und ließ Sinn und Verstand vermissen.

    Das Unvorstellbare war geschehen. Er hatte mich verlassen.Nach zwölf Jahren hatte er mich abserviert. Mein Verlobter, der,mit dem ich gedanklich die Traumhochzeit tausendfach durchge-spielt hatte. Eine Feier bei sommerlichen Temperaturen mit wei-ßem Pavillon im Garten und Kutsche zur Kirche. Der Mann, demich meine Gedanken und meine Sorgen anvertraut hatte. Aus vol-lem Herzen und ohne jemals darüber nachgedacht zu haben, ein-fach, weil es sich richtig anfühlte. Der Mann, der für mich dagewesen war nach dem Tod meines Vaters, als meine Welt zusam-menbrach, ließ mich jetzt einfach alleine. Um mich herum war esseitdem dunkel und grau.

    Denn dieser Mann hatte sich kurzfristig umentschieden undmich mit meinen nicht vorhandenen Habseligkeiten vor die Türgesetzt. An sich war das nichts, was nicht hunderttausenden vonanderen Frauen auch passiert, und was noch lange nicht erklärte,warum ich mich jetzt wie ein begossener Pudel aus einem pit-toresken Brunnen aufrichtete und neben der dicken Engelsfigurknietief im Springbrunnen stand. Aber es ist wie mit Krankheitenoder schweren Schicksalsschlägen: Man wiegt sich in einer naivtrügerischen Sicherheit, dass, während um einen herum Bezie-hungen in die Brüche gehen, die eigene die Einzige ist, die fürimmer hält.

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  • Wie eine Dusche aus Eiswürfeln auf einer Sonnenliege amStrand in der Karibik, trifft einen dann die Erkenntnis, dass manplötzlich selbst diejenige ist, die mit zwei Koffern vor der Tür desTraumhauses steht. Oder noch schlimmer, wie in meinem Fall,im Springbrunnen des Traumhauses. Am Boden der Tatsachen.Und nichts, aber auch gar nichts davon hatte ich kommen sehen.

    Frau Biensheim hätte es mir mit hoher Wahrscheinlichkeitsagen können. Sie hatte hinter ihrer Gardine den allumfassendenÜberblick. Sie wird händereibend vor Sensationsgier registrierthaben, dass Paul sich, bevor er zur Tür hereingekommen war, erstnoch die Krawatte geradegerückt und den Lippenstift aus demGesicht gewischt hatte. Vielleicht hatte sie gesehen, wie er sichumgeschaut hat, aus Angst, ich würde etwas davon mitbekom-men. Endlich war was los an ihrem Fensterbrett. Wie viele Jahrehatte hier Harmonie geherrscht – nichts hatte es gegeben, wasihre Freundinnen beim Kaffeeklatsch hätte begeistern können.

    Jetzt hatte sie auf jeden Fall was zu erzählen. Nämlich, dassich samt Sonnenbrille um drei Uhr nachts vom Fenstersims imErdgeschoss gestürzt war, direkt in den Springbrunnen vormWohnzimmer. Einer der Brunnen, in denen sich mehrere dickeEngelsskulpturen räkeln. So in etwa stelle ich mir mein Erschei-nungsbild vor. Ich war plötzlich eine von ihnen. Nur das anmu-tende Räkeln entfiel in meinem Fall.

    Während ich gerade damit beschäftigt war, den Brunnen wie-der zu verlassen, um den Inhalt meiner Handtasche zusammen-zuklauben, die ich in Panik geistesgegenwärtig weit von mir undglücklicherweise nicht direkt ins Wasser geschleudert hatte, gabes einen gewaltigen Knall. Es schepperte ohrenbetäubend undalles um mich herum schien zu beben. Ich sah eine dicke Engels-gestalt auf mich zukommen und ein schrilles Quietschen von Rei-fen, gefolgt von einem berstenden Geräusch von Glas und knar-

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  • zendes Metall durchdrang die Dunkelheit. Mir zog ein Geruchvon verbranntem Gummi in die Nase. So in etwa stellte ich mirden Weltuntergang vor. Auch meine Stimmung passte ganz gut.Im selben Moment knackte es ohrenbetäubend und ich sah eineBaumkrone mitten in den Springbrunnen krachen, woraufhindieser noch ein klägliches Plätschern von sich gab und dann ver-stummte.

    Ich stand fassungslos nur etwa zwei Meter davon entfernt undpresste meine Handtasche an mich. Ich versuchte, das Wirrwarrin meinem Kopf zu sortieren und zu realisieren, was hier geradegeschehen war. Um ein Haar wäre dieser feudale Springbrunnender Ort gewesen, an dem ich das Zeitliche gesegnet hätte.

    War dies vielleicht tatsächlich der Weltuntergang? Schemen-haft erkannte ich ein Auto. Oder wollte mich jemand umbringen?Und wenn ja, warum? Und woher wusste derjenige dann, dass ichheute Nacht hier vor dem Fenster meines Ex rumlungerte – oderbesser gesagt, nachts in dessen Springbrunnen lag? Wenn dasein Mordversuch war, musste es sich wohl um eine Verwechslunghandeln, tröstete ich mich. Hatte der Fahrer es eigentlich auf dieneue Hausherrin abgesehen, bot es sich eventuell sogar an, michmit ihm zu solidarisieren, kam mir der bittere Gedanke. Um einHaar entlockte diese Vorstellung mir ein Lächeln. Ich versuchte,Personen zu erkennen und mit ihnen Blickkontakt aufzunehmen,womöglich war der Fahrer verletzt. Das Fahrzeug stand jedoch soweit entfernt am Baum, dass ich niemanden erkennen konnte.Undeutlich sah ich die Umrisse einer Person hinterm Steuer.

    Es war einer dieser schicken Oldtimer. Jedenfalls, bevor derBaum ihm eine neue Form verpasst hatte. Der Fahrer stieg nichtaus. Der Wagen wendete mit quietschenden Reifen und der Fah-rer gab Vollgas und brauste davon. Ich sah die beiden roten Rück-lichter immer kleiner im Dunkeln verschwinden.

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  • Dieser Moment war einer der Sorte, in denen man sich, mitein wenig zeitlichem Abstand, gerne selbst beobachtet hätte. Ichwar überzeugt, dass ich gar nicht so blöd aus der Wäsche schauenkonnte, wie ich mir vorkam.

    Ich bahnte mir durch das am Boden liegende Geäst einen WegRichtung Fußweg, als ich ein verbogenes Kennzeichen am Baum-stumpf entdeckte. Ich griff nach dem völlig deformierten StückBlech.

    Kurz überlegte ich zwar, dass ich es eigentlich der Polizeihätte übergeben müssen, befand dann aber, dass diese Weltun-tergangsstimmung im Vorgarten gerade recht kam. Sollte er sichdoch mit seiner Liebsten darum kümmern und den Unfallflüch-tigen ausfindig machen. Ich rechnete sekündlich damit, dass siezur Tür herausstürzen würden. Augenscheinlich war weder mirnoch dem Fahrer etwas Ernsthaftes passiert, das war erstmal dasWichtigste. Kurzerhand steckte ich das Kennzeichen ein. Außer-dem rettete ich damit auch mich selbst auf eine Art. Wie hätte ichdie Situation rechtfertigen sollen? Wie sollte ich der Polizei erklä-ren, dass ich, als der Unfall geschah, gerade in fahlem Licht beiNieselregen im Springbrunnen unterm Fenster der Villa stand?

    Mein Glück und das des Unfallflüchtigen war, dass im Innerndes Hauses so laute Partymusik lief, dass anscheinend keinGeräusch von außen zu ihnen vordrang. Ich sah zu, so schnell wiemöglich das Weite zu suchen, bevor die Runde der feinen Ladiesdoch noch die Verfolgung aufnehmen würde.

    Über die Schulter warf ich noch einen Blick auf das Trümmer-feld. Der vom Landschaftsarchitekten in mühevoller und kost-spieliger Kleinarbeit angelegte Garten war nicht mehr wieder-zuerkennen. Er glich eher einem Acker, auf dem eine RotteWildschweine gewütet hatte. So absurd die Situation war, gab siemir irgendwie eine gewisse Genugtuung.

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  • Als ich einige Meter entfernt war, sah ich, wie ein heller Licht-strahl vom Inneren des Hauses auf den Weg zur Tür fiel. Ein grel-ler Schrei, der durch Mark und Bein ging, folgte dem Türöffnen.Augenscheinlich hatte meine Nachfolgerin oder eine ihrer Freun-dinnen sich gerade mindestens genauso erschreckt wie ich. DieseErkenntnis ließ mich trotz eines rasenden Pulses schadenfrohschmunzeln.

    Auf die Gefahr hin, dass Frau Biensheim sah, wie ich dasSchild eingesteckt hatte, eilte ich Richtung Bahnstation. Ich warselbst erstaunt, dass ich mir keinerlei Verletzungen zugezogenhatte. Mir war nur recht kühl, weil meine Kleidung größtenteilsnass war. Aber da die Temperaturen noch sommerlich warmwaren, war es auszuhalten.

    Machte ich mich strafbar, weil ich einfach samt Kennzeichendas Weite suchte? Oder war das als Schockreaktion zu werten?Ich sah mich eher als Opfer, weniger als Täter. Aber was hatte ichschon zu verlieren? Wenn ich mir vor meinem inneren Auge überdas Ziel der Stadtbahn Gedanken machte und sich die grauenBetonklötze und das kalte Licht in den Gängen zeigten, kam ichzu dem Schluss: Wenig!

    Ich betrachtete die Leute, die in dieselbe Richtung wollten wieich und musste schlucken. Sie schlichen schweren Schrittes in dieBahn, den Kopf gesenkt, einige starrten auf ihr Handy. Die meis-ten trugen eine Plastiktüte eines Discounters mit sich. Ich stelltemir vor, dass darin einzig Bier in Dosen und Zigaretten lagen. Mirkam es vor, als könne mein Kopfkino nur noch graue, traurige Bil-der malen.

    Vielleicht war es eine Auswirkung des Schocks. Womöglichaber auch die traurige Realität, denn ich wohnte jetzt im abso-luten Albtraumviertel. Meine Situation war in jeglicher Hinsichtperspektivlos. Tränen liefen über meine Wangen und der Kloß in

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  • meinem Hals wurde sekündlich dicker. Fast hatte ich das Gefühlzu ersticken.

    Gerade eben noch war ich in der heilen Welt zu Hause, umge-ben von Sorglosigkeit und Leichtigkeit inmitten prachtvollsterAnwesen. In meiner Erinnerung spielte leise Klaviermusik imHintergrund, auf den Terrassen Loungemusik. Im Sommer tanzteman auf Partys in parkähnlichen Gärten, in denen eigens weißePavillons für die nahezu alltäglichen Feiern irgendeines herausra-genden Ereignisses aufgestellt wurden.

    In meiner Erinnerung glänzte diese Welt taghell und sonnig,wie als läge sie auf der anderen Seite der Erde, während da woich jetzt war, dunkle Nacht herrschte. Die Welt, in der ich mitPaul gelebt hatte, war eine Umgebung, in der ich meine Kinder inGedanken hatte aufwachsen sehen wollen – und nun das.

    Ich schlich vorbei an einer Gruppe Jugendlicher, die ein Duftvon Marihuana und Bier umgab, und klammerte mich an meineHandtasche.

    Wie naiv war ich gewesen, tatsächlich an die große Liebe zuglauben? Daran, dass uns eine Zukunft bevorsteht, die unerschüt-terlich ist. Die nächsten Schritte, Hochzeit, Familie – alles schienmir so selbstverständlich. Und ich hatte es mir so gut vorstellenkönnen, hatte mich in diesem Lebensplan so wohlgefühlt. Vorallem, weil ich nicht alleine war. Nie im Traum hätte ich geglaubt,dass das zu Ende geht und ich noch einmal im Leben so einsamund verlassen dastehe. Diesmal ohne meinen geliebten Vater, dermich schützend in den Arm hätte nehmen können.

    Unsere feinen Freunde hatten sich größtenteils auf die Seitemeines Ex-Freundes geschlagen. Man sinnierte lieber auf dergroßzügigen Terrasse seines Anwesens über den Sinn und Unsinneiner festen Beziehung und der großen Liebe. Das Glas teurenRotweins in der Hand in edlem Ambiente zu schwenken, war

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  • angenehmer, als sich selbst in meiner Einzimmerwohnung inspartanischer Atmosphäre mit Wein aus dem Tetra Pak zuzupros-ten. Damit verlor ich nicht nur den Glauben an die Liebe, sondernan nahezu alles Positive im Leben.

    In was für einer oberflächlichen Scheinwelt ich bisher gelebthatte, wurde mir nach und nach bewusst. Womöglich würde dasfrüher oder später ein kleiner Trost werden.

    Dankbar dachte ich an meine neue Freundin. Sabine gab mirHalt in meinem Alltag, der sich anfühlte, als sei ihm der Bodenentrissen worden.

    Ich kam am grauen Wohnblock an, in dem sich meine Wohnungbefand. Mein Blick wanderte Stockwerk für Stockwerk an der tris-ten Fassade bis zu meiner Wohnung im fünften Stock hinauf.Bunte Markisen bildeten den einzigen Farbschimmer in dieserAnsicht. Zunichtegemacht wurde dieser durch Heerscharen vonSatellitenschüsseln, die auf nahezu jedem der beengten Balkoneangebracht waren. Mit hängenden Schultern ging ich auf die Ein-gangstür zu. Kein grüner Zweig umgab das Gebäude, nicht ein-mal eine Rasenfläche brachte einen Hauch von Idylle in das Bild.Seufzend schloss ich die Haustür auf und ignorierte dabei dieüberquellenden Briefschlitze von mehr als vierzig Wohnungen.

    Abgeschreckt vom beißenden Gestank im Fahrstuhl unddavon, dass mir der Weg in den fünften Stock darin vorkam, alsreise ich zum Mond und bei jedem Halt stiegen gruselige Außer-irdische ein, wählte ich lieber die Treppe. An die Wand hattenJugendliche obszöne Sprüche geschmiert und es roch ekelerre-gend nach Urin und Zigarettenqualm.

    Ich rannte fast bis zu meiner Wohnungstür und sank matt undaußer Atem zu Boden, als ich mich von innen gegen die geschlos-sene Tür lehnte.

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  • Ich weinte, weil ich hier nicht sein wollte. Weil das alles sichwie ein schlechter Scherz anfühlte. Wie ein böser Traum, aus demich einfach nur erwachen wollte. Vielleicht weinte ich aber auchaufgrund des einsetzenden Schocks nach diesen dramatischenSzenen im Vorgarten.

    Ich weinte, weil Paul mir fehlte. Die Abende mit ihm, dieSorglosigkeit, die ich bei ihm verspürt hatte. Auch, wenn er michseit Monaten belogen hatte, es war das Nicht-Alleinsein, dasGefühl von Zukunft, welches mir so sehr fehlte. Dass er mich ver-lassen hatte, hatte mich in ein tiefes Loch fallen lassen. Wort-wörtlich. Mehr als ein Loch war diese Einzimmerwohnung nicht.Ich war aber hier eingezogen, damit mein Erspartes aufgrund derniedrigen Miete so lange wie möglich ausreichen würde.

    Die mickrige Küchenzeile lud nicht gerade zum Kreieren kuli-narischer Gaumenfreuden ein. Ein innenliegendes Badezimmermit grauenerregend lindgrünen Kacheln und einem Duschvor-hang mit Blütenmuster machten die banale tägliche Dusche zueinem Martyrium. Es handelte sich um einen Plastikvorhang derSorte, die sich penetrant an einen klebt, wenn man ihm beimDuschen zu nahekommt. Nicht, dass ich zwingend die Sechs-Quadratmeter-Dusche mit Vollverglasung und die Whirlpool-Funktion meiner Ex-Badewanne zum Glücklichsein brauchte. Eswar eher der himmelweite Unterschied, der mich immer wiederschlucken und mich das Ausmaß meiner Misere spüren ließ. Undunabhängig aller Unzufriedenheit über diese Wohnung, gönnteich es einfach Madame Bilderbuch-Babybauch ums Verreckennicht, dass sie jetzt in dieser Wanne vorgeburtlichen Kontakt zumKind meines Ex-Freundes aufnehmen würde, während ich mitmeinem anhänglichen Duschvorhang kämpfte. Der Vorhangstand symbolisch für die erbärmliche Umgebung, die sich anmich geheftet hatte und die ich nicht mehr loswurde, seit dem

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  • Tag, an dem ich herausgefunden hatte, dass Paul mich betrog undich daraufhin ausgezogen war.

    Nachdem ich heiß geduscht hatte, fühlte ich mich trotz desaufdringlichen Duschvorhanges wohler. Ich schaute mich imscheußlichen Bad um.

    Als meine Welt in Scherben lag, dachte ich alle Gedanken,fühlte Emotionen von Wut über Verzweiflung bis hin zu Hysterieund Trauer. Es war mir im ersten Moment egal, wohin ich kam.Ich wollte einfach nur weg. Weg von dem Mann, der mich hin-terhältig belogen hatte, und weg von den wohlhabenden Nach-barsdamen, die sich spätestens von nun an über mich ihre aufge-spritzten Mäuler zerreißen würden.

    Und da saß ich nun. Abserviert.Im Nachhinein war ich der Überzeugung, ich habe an seiner

    Seite nach außen hin ein ganz passables Bild abgegeben. MeinAuftreten war ausgeglichen unspektakulär. So repräsentativ, dassman mit mir nicht negativ auffiel und so unauffällig, dass ich nie-mand anderen faszinierte. Den Kick schien er sich dann woan-ders geholt zu haben.

    Die Vorstellung, dass mein Ex mit einer anderen Frau ins Bettstieg, wirkte wie ein Sturz aus tausenden von Metern. Mir wurdeeiskalt. Vielleicht aber auch, weil die Kälte dieser Wohnung Besitzvon mir nahm und mich anwiderte. Der miefige Geruch aus über-füllten Mülltonnen, das Panorama aus kargen Hochhäusern, zwi-schen denen lieblose Spielplätze dahinvegetierten, weil schonlange niemand sich mehr darum scherte, erdrückten mich. Wieein Fremdkörper hockte ich in diesem Loch und verharrte diemeiste Zeit wie in einer Schockstarre.

    Ich war bei meinem alleinerziehenden Vater aufgewachsen,der als freiberuflicher Autor für ein philosophisches Magazinnicht viel besaß, wohl aber ein großes Herz. Unsere Wohnung

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  • war ähnlich meiner jetzigen gewesen. Sie bestand aus nur zweiZimmern. Mein Vater schlief auf dem Schlafsofa im Wohnzim-mer, ich hatte mein eigenes Zimmer. Oft hatten wir abends bisspät in die Nacht gemeinsam gelesen oder uns Geschichtenerzählt. Noch heute spürte ich die wohlige Wärme seines Armes,den er liebevoll um mich legte, wenn er mir mit weisem Blick überden Rand seiner Brille hinweg aus seinen Büchern vorlas.

    Mit der Wärme und der Herzlichkeit meines Vaters ausgestat-tet, fühlte sich unsere Wohnung damals trotz ähnlicher Merk-male aber anders an. Sie war unser kleines feines Reich und fürmich das schönste Zuhause der Welt. In Gedanken träumten wiruns damals von dort aus so oft an unseren Strand auf Sylt. MeinVater hatte eine Cousine, die auf der Insel lebte. Manches Malhatte sie uns ermöglicht, sie für ein paar Tage zu besuchen. Eswaren mit die schönsten Tage in meinem Leben, die ich dort mitmeinem Vater träumend und philosophierend im Schneidersitzim Sand sitzend verbracht hatte. Beim Gedanken daran spürte ichförmlich den Sand zwischen meinen Zehen und den immerwäh-renden leichten Wind im Haar. Ein Lächeln huschte über meinGesicht.

    All das lag Welten von meiner jetzigen Realität entfernt. MitPaul war ich ein paar Mal nach Sylt gereist, und obwohl meinVater mir unsagbar fehlte, waren es Tage, an denen ich ihmbesonders nah war. Jetzt war auch Paul fort und es erschüttertemich, so einsam zu sein. Einerseits war ich froh, ausgebrochen zusein aus dem Dunst aus Lügen und falschem Spiel. Andererseitskam ich nun mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass ich auf Paulfokussiert war.

    Erst einmal sollte ich mir einen Job suchen, mit dem ich einpaar Taler verdienen konnte. Denn als wäre es noch nicht frus-trierend genug, dass mein Freund mich verlassen hatte und schon

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  • so bald Papa werden würde, dass ich gar nicht genauer darübernachdenken mochte, wie lange ich schon das Abendessen für ihnzubereitet hatte, während er sich seiner schwangeren Freundingewidmet hatte. Ich hatte mit der Trennung auch meinen Arbeits-platz verloren.

    Ich war in einem gut gehenden Unternehmen für Beauty undWellness in der Buchhaltung beschäftigt gewesen, Paul im Ver-trieb. Im Job hatten wir uns kennen- und lieben gelernt. UnsereGeschichte glich einem Film. Wie im Film war es noch immer,nur war es weniger ein Kassenschlager mit Happy End, sonderneher ein Anwärter für die goldene Himbeere.

    Ich hätte unmöglich noch einen Tag in der Firma bleiben kön-nen, in der ich ihm und womöglich seiner neuen Freundin täglichüber den Weg stolperte. Das hätte ich nicht überlebt. Oder dasfrisch verliebte Pärchen hätte es nicht überlebt und das nächst-beste Schreibtischutensil wäre zur Mordwaffe mutiert.

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    Die AutorinDas BuchLiebe auf SyltDas Geheimnis vom StrandhausPrologKapitel 1Mia