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  • Leser Ulrich Katzig aus Erfurt berichtet von seinen Erinnerungen an dieZwangsarbeit im Gulag

    Eigentlich htte der Krieg im Mai 1945 auch fr den damals 17-jhrigen Ulrich Katzigvorbei sein sollen. In den letzten Kriegstagen noch verwundet, begibt er sich nach derAuflsung des Lazaretts in Chemnitz auf den Heimweg nach Ostpreuen. Doch er ist zurfalschen Zeit am falschen Ort. Bei Marienburg gert er in die Fnge sowjetischerSicherheitskrfte. Es ist der 15. Juni 1945 ein Tag, den der heute 84-Jhrige nievergessen wird. Drei Monate lang verharrt er in einem Kriegsgefangenenlager inUngewissheit, dann geht es auf Transport. Das Ziel der Gulag.

    Gulag steht fr das weit verzweigte System der russischen Straf- undZwangsarbeitslager, die von Ende der 20er Jahre bis Mitte der 50er Jahre zum Schicksalfr rund 20 Millionen Menschen werden. Unter ihnen sind auch viele Deutsche. IhrSchicksal ist erstmals Thema einer Ausstellung, die von der Gedenksttte Buchenwalderarbeitet wurde. Nach der Premiere auf Schloss Neuhardenberg bei Berlin ist derzeit bis21. Oktober 2012 im Schillermuseum in Weimar zu sehen.

    Ulrich Katzig hat den Gulag berlebt. Nach seiner Entlassung im April 1947 kehrte er zuseiner Familie zurck, die inzwischen in Thringen ein neues Zuhause gefunden hatte. Erhat in der DDR studiert, war Berufsschullehrer und sogar Funktionr bei der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Die Monate in der russischen Taiga waren zu DDR-Zeitentabu. Erst Ende der 90er wurde er durch einen Hinweis in der Thringer Allgemeine draufaufmerksam gemacht, dass man in Russland Nachforschungen zum eigenen Schicksal inAuftrag geben konnte. So erhielt er schlielich nach ber 50 Jahren Kopie undbersetzung seiner Gulag-Akte. Detailliert dokumentiert sind darin sowohl seineVernehmung nach der Verhaftung durch russische Sicherheitskrfte als auch seineLagerstationen und schweren Krankheiten. Auch mit Hilfe dieser Dokumente hat er seineGeschichte aufgeschrieben.

    Am 6. Oktober 1945 erreichte unser Transport das offensichtlich vorgesehene Ziel: Grobgesagt befanden wir uns im Dreieck Ural-Eismeer, genauer gesagt im Lager 101 einerTrasse von Straflagern im Kirover Rajon, offiziell auch als Gulag bezeichnet. Manbefreite uns aus den Gterwagen und fhrte uns in eines dieser Lager. Der ersteEindruck: Das Lager war leer, aber benutzt, besser gesagt abgenutzt, abgewirtschaftet.

    Uns wurden die Unterknfte zugewiesen, Blockhuser im Barackenstil mit kahlenPritschen, verrucherten Decken und Wnden, ohne elektrisches Licht und mit schlechterWasserversorgung, eben Massenunterknfte in der einfachsten, primitivsten Form.Unsere Mitbewohner waren Massen von Wanzen und Rudel von Ratten; die Wanzenfraen uns und die Ratten unsere Seife, Lederteile, Lebensmittel und andere fressbareGegenstnde.

    Wenn wir abends nach unserer schweren Arbeit mde auf die Pritschen fielen, lieen unsdie Wanzen nicht schlafen. Licht konnten wir uns nur fr kurze Zeit, hauptschlich zumEssen, mit Kienspnen oder mit Birkenrinde zaubern. Die Folgen waren verrucherteAtemwege und Krperteile. Beim Essen mussten wir aufpassen, dass wir nicht, anstattBrotkrmel, eine Wanze mit in den Mund steckten.

    Schwerste Zwangsarbeit als Holzfller

    War das Licht aus, marschierten die Wanzen reihenweise an den Wnden zur Deckehoch. Wenn sie ber uns waren, lieen sie sich einfach auf uns fallen und tyrannisiertenuns. Aus dieser Erfahrung heraus zogen wir uns zur Nacht nicht aus, sondern an; Mtzeauf, Kopfschtzer bers Gesicht gezogen, Jacke an und die rmel zugebunden undHandschuhe an. . .

  • Trotz dieser Unzulnglichkeiten besaen wir den Vorteil gegenber vielen anderenKriegsgefangenen, dass wir ein festes Dach ber dem Kopf hatten, heizen konnten undEssen gab es auch regelmig, wenn auch recht knapp.

    Kaum hatten wir von unserem Quartier Besitz ergriffen, wurden wir in unsereArbeitsaufgaben eingewiesen und in Gruppen (Brigaden) eingeteilt. Wir hatten schwersteZwangsarbeit als Holzfller und andere damit zusammenhngende Arbeiten zu leistenund das mit einfachsten Hand-Werkzeugen: Axt, Handsge, Schrotsge und einer langenStange mit einer kurzen Gabel an der Spitze zum Umdrcken des Baumes.

    Kaum einer von uns hatte in seinem Leben schon einmal Bume gefllt, entstet, aufLngen geschnitten, auf den Schultern an einen Waldweg getragen und arten- undsortengerecht zum Vermessen gestapelt. Das zehrte natrlich an unseren Krften.Gearbeitet wurde bei jeder Witterung, im Winter bei tiefem Schnee und Frost bis minus30 Grad Celsius. Da zogen wir im Dunkeln in die Taiga und kehrten im Dunkeln wiederins Lager zurck.

    Kraut-Piroggen als Weihnachts-Essen

    Weihnachten stand vor der Tre, wir brauchten nicht arbeiten, da das Thermometer nochber minus 30 Grad anzeigte.

    Die Russen dachten aber auch an unser Weihnachtsfest, denn wir bekamen zu unserergroen berraschung eine Sonderzuteilung an Essen; man backte fr uns groe Pirogen,vielleicht zweihundert Gramm pro Stck, gefllt mit Reis und Weikraut, fr uns wirklichein Festessen.

    Am Abend erschien ein deutscher Pastor oder Laienprediger in unserer Baracke undzelebrierte einen Weihnachtsgottesdienst, einfacher gesagt, er predigte berWeihnachten zu Hause und in der Ferne, im Krieg und im Frieden, in der Fremde und inheimischer Umgebung, in unseren Familien. Er erbat fr uns Gottes Beistand.

    Keine Nachricht von den Angehrigen

    Einer unserer Kameraden spielte auf einer Geige Stille Nacht, Heilige Nacht . . . zumMitsingen. Da verloren wir endgltig unsere Fassung, mich qulte Heimweh, die Stimmeversagte uns, wir vergruben unsere Gesichter in unsere schwieligen Hnde und lieenden Trnen freien Lauf. Ab und zu hrte man ein verhaltenes Schluchzen. Ich mussberleben, hmmerte ich mir ein! Vielleicht werde ich der einzige der Familie sein, derberhaupt berleben wird! Die Gedanken gingen seltsame Wege. Denkt daran!!

    Im Frhjahr 1946 wurden wir in ein anderes Lager, aber an der gleichen Trasse, verlegt.Wir erfuhren bald, dass es sich um ein sogenanntes Vyatlager, also um einBewhrungslager, handelte. Sicher sollten wir uns durch Arbeit bewhren (Arbeit machtfrei?), aber inwiefern bewhren? Hiee das nicht besser durch Zwang zur Arbeit? Wirwerden sehen.

    Das Lager selbst machte einen solideren Eindruck als im bisherigen Lager. DieUnterknfte waren im gleichen Stil gebaut, die Auenanlagen schienen sauber. Auch dieInnenrume waren gepflegter. Es gab elektrisches Licht, kaum Wanzen und nurvereinzelt Ratten. Dennoch wurde in den ersten Tagen, dann auch immer wiederholt inregelmigen Abstnden, eine Ausrottungsaktion gestartet. In Kipploren wurde heiesWasser gemacht, die Pritschen wurden abmontiert, hinaus getragen und im Wasserausgekocht. Die Unterknfte wurden grndlich gereinigt, Rattenlcher wurdenzugestopft, sogar die Holzfubden haben wir mit Glasscherben abgezogen. Wir fhltenuns fr uns selbst verantwortlich frei nach dem Spruch: So wie wir heute fr Ordnung

  • und Sauberkeit sorgen, werden wir morgen leben, eine Initiative, die sich besonders inFragen der allgemeinen Hygiene und des sich Wohlfhlens positiv auswirkte.

    Wir waren nun in einem Lager, in dem seit etwa Juli 1941 wolgadeutsche Mnnereingesperrt, interniert, zur Zwangsarbeit verbannt wurden. Daraus ergab sich fr unswieder die Frage, sind wir damit auch Verbannte? Zwangsarbeiter auf alle Flle! Immerwieder erhlt unsere Frage nach dem Gefangenenstatus neue Nahrung! Das fr uns nunvorgesehene Vyatlager wurde vor unserem Eintreffen von den Wolgadeutschen gerumt.Sie mussten sich auerhalb des Lagers, aber innerhalb der "Zone" ansiedeln. In ihreangestammte Heimat an der Wolga kamen sie nicht.

    Diese Mnner wurden zum Teil unsere "Chefs", sie waren mit Funktionen betraut, dieeine gewisse Vertrauensstellung darstellten; Waldinspektoren, Holzvermesser,Magaziner, Instrumentaler (Werkstattleiter, der verantwortlich fr dieFunktionstchtigkeit der xte, Sgen und anderes Werkzeug war), Kchenchef,Brotschneider, Kanzleimitarbeiter fr die Aufnahme und Abrechnung unsererProduktionsergebnisse, Werkstattleiter der Schneiderei, Schuhmacherei, Leiter der Banjausw. Sie waren sich ihrer Vertrauensstellung bewusst, hatten aber mit uns"Reichsdeutschen" nichts im Sinn, da gab es keine persnlichen Kontakte, man beachteteuns einfach nicht.

    Ich htte mich zu gerne mit diesem und jenem unterhalten, hatte ich doch in Gilgenburgim Umsiedlerlager viele freundliche Kontakte knpfen und meine Erfahrungen mitAuslandsdeutschen aus anderen Regionen der Sowjetunion sammeln knnen. Fr michwar es deshalb zunchst unfassbar, dass sie sich uns gegenber so ablehnend verhielten,ja, dass sie uns gegenber einen unbeschreiblichen Hass hatten, wie ich es selbst vonRussen nicht kannte. Ich erinnere mich noch gut an eine uerung eines dieserAuslandsdeutschen: "Wenn ich knnte wie ich wollte wrde kein Deutscher mehr unterGottes Sonne leben!" Wir waren entsetzt und fragten nach der Ursache. Weil Deutschlandgegen die UdSSR Krieg fhrte, wurden alle Mnner deutscher Nationalitt in dergesamten Sowjetunion isoliert, interniert, verbannt, aus der Roten Armee verjagt und zurZwangsarbeit deportiert.

    Wenn ich das Wort "alle" benutze, so entspricht das der Stalinschen Direktive, muss aberfr die Praxis dieser Politik relativiert werden. In den Gebieten, in denen die DeutscheWehrmacht schneller vorgestoen war, als die offiziellen sowjetischen Stellen diesenBefehl durchsetzen konnten, hatte man ja die "Deutschstmmigen" "heim ins Reich"gefhrt. Das galt aber nicht fr die Deutschen, die im Gebiet um Rostow am Don, imWolgagebiet, auf der Krim und stlich des Dnjepr lebten. Sie wurden in der Regel weiterstlich, meist hinter den Ural, deportiert, oder kamen in andere "sichere" Gebiete, wieunsere Wolgadeutschen. Man beschuldigte zum Beispiel die Wolgadeutschen derKollaboration mit den deutschen Truppen, bevor diese berhaupt in ihremSiedlungsgebiet waren, und dieses erreichten sie bekanntlich auch nicht.

    Vielleicht noch eine Bem