M. Sirac. Bilgin - Wenig Hoffnung Auf Erfolg

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    Wenig Hoffnung auf Erfolg

    Der kurdische Widerstand unter Scheich Sait und die Grnde fr seine Niederlagevon M. Sirac. Bilgin

    Der Kampf der PKK wird oft als der bislang letzte groe Aufstand der KurdInnen bezeichnet. Ein

    viel zitierter Vorgnger war der Scheich Sait-Aufstand. Um dessen Hintergrnde geht es infolgendem Artikel, den wir der Zeitung zgr Politika entnommen haben.

    Vorgeschichte und Ursachen des WiderstandsIn der Zeit des Osmanischen Reichs gab es zwischen den Kurden und dem Sultan ein Bndniszu Bewahrung und Selbststndigleit der kurdischen Identitt. Die osmanischen Sultane erreichtenin der Region berdies eine Kooperation mit kurdischen Beys (Frsten). Diese Zusammenarbeitzielte darauf ab, in Kriegszeiten militrische Untersttzung von den kurdischen Frstentmernfordern zu knnen. Daneben wurde den Kurden jedoch auch ein Widerstandsrecht zugestanden,hnlich dem, das heute im Grndungsprotokoll der UN zu finden ist. Diese Situation bestand bis

    Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Trotz einiger kleinerer Auseinandersetzungen mit denOsmanen blieb die Selbstndigkeit der Kurden von 1514 bis 1806 unangetastet; die kurdischenislamischen Hochschulen und die kurdische Kultur blieben ebenfalls erhalten. Anfang desneunzehnten Jahrhunderts, also in der Zeit, als besonders in Europa einige Nationen ihreUnabhngigkeit errungen hatten und das Osmanische Reich in seinen Kriegen immer mehr Landverlor, beschlossen die osmanischen Herrscher, um nicht noch weitere Verluste hinnehmen zumssen und am Ende mglicherweise vollkommen vernichtet zu werden, eine Reihe vonReformen zur Erneuerung bzw. "Europisierung" zu beginnen; dies geschah zum deutlichenNachteil der kurdischen Frstentmer. Um ein Fortbestehen des osmanischen Reichs zu sichern,

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    wurden zunchst hohe Steuern eingefhrt. Darber hinaus wurde ein Gesetz erlassen, das einenfnfzehnjhrigen Militrdienst vorsah. Die Soldaten des Reichs begannen, in jedem Frhjahr dieDrfer zu berfallen, das Vermgen der Bewohner zu konfiszieren und die Mnner fr das Militrunter Zwang zu rekrutieren. Es grenzte an ein Wunder, wenn auch nur einer von ihnen vomMilitrdienst lebend zurckkam. Die Lage wurde fr die Menschen unertrglich. Unter demEinfluss der in Europa aufkommenden Nationalbewegungen begannen in dieser Zeit dieAufstnde kurdischer Frsten. Einer nach dem anderen endete jedoch erfolglos: Zum einen aufGrund innerer Probleme, wie mangelnder Organisierung, fehlender Einheit oder auch Erfahrung,zum anderen durch Kollaboration anderer Vlker mit den Osmanen, die "auf der Lauer lagen",um auch ein wenig Macht abzubekommen.Seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begannen die Kurden mit einem Kampf, den man"organisiert" nennen konnte. Allerdings entsprachen die damals gegrndeten Organisationen dersozialen Entwicklung der Bevlkerung und glichen noch feudalen Familienzusammenschlssen.In den Jahren des ersten Weltkrieges verbte der osmanische Staat einen Massenmord anArmeniern. Damit nicht genug, fand unter dem trkischen Pascha Halil eine Zwangsumsiedlungvon 700.000 Kurden nach Burdur, Isparta, Ankara, Konya und in andere westliche Regionen undProvinzen statt, wobei viele Menschen schon auf dem Weg umkamen.Einige kurdische Intellektuelle, die meisten von ihnen mit feudalen Wurzeln, versuchten aus derSituation ihren eigenen Nutzen zu ziehen. Mit dem Vertrag von Sevres bekamen sie ihreGelegenheit. In diesem Vertrag stand, Kurdistan solle innerhalb einer gewissen Zeit (nach Erhalt

    eines entsprechenden Mandats) seine Unabhngigkeit erhalten. Mustafa Kemals Absicht warjedoch, mit diesen und anderen Versprechungen die wichtige Gruppe der fortschrittlichen Kurdenauf seine Seite zu ziehen und weitere Diskussionen ber eine Unabhngigkeit zu verhindern.Wenn man sich ansieht, mit welchen Aussagen Mustafa Kemal diese fortschrittlichen Kurdenberzeugen wollte, wird man die Lage besser verstehen (hier nur ein Beispiel):Mustafa Kemal sagte am 22. Juni 1919 zum Gouverneur von Sivas, Rasit Pascha: "... Die, dieeine Unabhngigkeit Kurdistans fordern, wurden auf dem Gesprchsweg fr unseregemeinsamen Ziele mit Kalifat und Sultanat gewonnen...". (Zeitschrift der Geschichtsdokumente,Ankara 1949)Der Rahmen dieses Abkommens war sehr wichtig: Ein Zusammenleben unter der Fahne desKalifats. Aber dieses Abkommen war hinterhltig und nichts anderes als eine Brcke, die Atatrkzu zerstren beabsichtigte, sobald er sein Ziel erreicht hatte.Ferner hat Atatrk, der sich spter wie kein anderer fr den Laizismus einsetzen sollte, die

    Religion bis zum Letzten benutzt, um die anderen Vlker, die neben den Trken im OsmanischenReich lebten, auf seine Seite zu ziehen. Auch hierfr ein Beispiel, ein Auszug aus einem dervielen Telegramme, die Atatrk an Frst Raschit, den Bruder von Cerkez Ethem (Ethem derTscherkesse), am 7. Januar 1920 schickte: "...Unsere tscherkessischen Brder, Staatsbrger, diesich Religion und Staat gegenber loyal verhalten, nehmen bei uns einen Ehrenplatz ein. Umunsere Ehre und unser Leben zu bewahren, ist es heute ein Muss fr Trken, Kurden,Tscherkessen und andere Religionsbrder, Hand in Hand eine unerschtterliche Einheit gegenunsere Feinde zu bilden..."Whrend das Telegramm geschickt wurde, war Ethem, selbst ein Tscherkesse, dabei, einentscherkessischen Aufstand in der Gegend von Bolu niederzuschlagen. Das aber wurde nach demAbkommen von Lausanne absolut vergessen.Mustafa Kemal ging noch weiter, indem er dem Kommandanten der El-Cizre Front,Brigadegeneral Nihat Pascha, ein Telegramm schickte, in dem er erklrte, "... man muss das

    Selbstbestimmungsrecht der Vlker anerkennen..." und "...die Kurden eine eigene Fhrung bildenlassen..." Der erste Artikel das Protokolls von Amasya beginnt mit folgenderVerpflichtungserklrung:"Im ersten Artikel der Erklrung heit es, die anerkannten Grenzen des Osmanischen Reichesschlieen die Siedlungsgebiete der Trken und Kurden mit ein. Und nachdem die Unmglichkeiteiner Trennung der Kurden von der osmanischen Gesellschaft erklrt wurde, uerte man auchden Wunsch, die bestehenden Grenzen des Osmanischen Reiches zu erhalten. (...)"Wie der trkische Schriftsteller Sabahattin Selek in seinem Werk "Nationaler Kampf" schreibt, warMustafa Kemal in den Tagen des Abkommens von Amasya nicht tatenlos geblieben. ber denInspektor der 3. Armee schickte er den Intellektuellen in Istanbul ein Telgramm, in dem er ihnen

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    mitteilte, unter welchen gemeinsamen Zielen man sich mit den Kurden verstndigen knne:"(...) wie daraus zu ersehen ist, wurde wieder ein Miteinander mit "Kalifat und Sultanat"akzeptiert."Mustafa Kemal hat diese Hinhaltetaktik den Kurden gegenber jahrelang aufrechterhalten, bis zurGrndung der Republik. Prof. Dr. Serafettin Turan belegt das mit einem Dokument, in dem sichKemal am 16. Januar 1923 in Izmir Journalisten gegenber wie folgt uert:"Die kurdische Frage liegt nicht im Interesse der Trkei. Wie Sie wissen, siedeln die in unserenNationalgrenzen lebenden kurdischen Bevlkerungselemente massiv in eingegrenzten Gebieten.Aber wenn sie dieses dichte Beieinander aufgeben und in die trkischen Lebensrumeeindringen, und ihre Bevlkerungszahl wchst, wird das eine Gefahr fr die Trken und dieTrkei. Die Grenze der kurdischen Gebiete mssen wir bis Erzurum, und von Erzincan bis Sivas,bis Harput suchen. Und auch die kurdischen Clans in den Wstengebieten von Konya darf mannicht auer Acht lassen. Wenn an eine unabhngige kurdische Identitt gedacht wird, wird esdafr in unserer Verfassung sowieso eine Art regionaler Autonomie geben. Das heit, wenn dieBevlkerung einer Provinz kurdisch ist, wird sie sich selbst autonom verwalten. Wenn man vom inder Trkei lebenden Volk spricht, schliet das auch die Kurden mit ein. Das Groe TrkischeNationalparlament (TBMM) wird jetzt sowohl aus trkischen als auch aus kurdischen Vertreternbestehen; beide Bevlkerungselemente haben ihre Interessen und ihre Zukunft miteinanderverbunden. Das heit, sie wissen, dass das eine gemeinsame Angelegenheit ist. Eine besondereGrenze zu ziehen ist nicht richtig. ..."

    Als das Osmanische Reich seinem Ende zugeht, ndert Mustafa Kemal seinen Tonfall, sprichtaber immer noch von 'autonomen kurdischen Gebieten'. Sein Waffenbruder, der Vorsitzende dertrkischen Delegation in Lausanne, Ismet Inn, schwor auf der Konferenz, dass man die Kurdennicht abtrennen wolle. (Auszug aus Inons Rede am 23. Januar 1923 in Lausanne):"Die Regierung des Groen Trkischen Nationalparlaments ist ebenso, wie sie die Regierung derTrken ist, auch die Regierung der Kurden. Denn die wirklichen Vertreter der Kurden sitzen imNationalparlament und haben, im gleichen Ma wie die Trken, Teil an der Regierung und derFhrung des Landes. Das kurdische Volk und seine oben genannten Vertreter akzeptieren(jedoch) die Trennung ihrer in der Provinz Mosul lebenden Brder vom Mutterland nicht..."Bei den Verhandlungen in Lausanne, wo man auch von dem 'Mosul-Vorfall' redete, wurde immernoch die kurdisch-trkische Gleichberechtigung betont. Aber derselbe Ismet Pascha (IsmetInn) teilt im Zusammenhang mit einem Zwischenfall dem Staatsanwalt desUnabhngigkeitsgerichts in Amed, Ahmet Sreyya zgeevren, in einem Telegramm folgendes

    mit:"Herr Ahmet Sreyya, Oberstaatsanwalt des Unabhngigkeitsgerichts, es ist unsere Absicht, dieKurden und ihre Anfhrer vollstndig zu vernichten. Verstndige dich mit deinen Richterfreunden.Ich ksse deine Augen. Vizeprsident Ismet."Bei demselben Gericht sollte einen Tag vor Erhalt des Telegramms ein junger Kurde zum Todeverurteilt werden, nur weil er kein Trkisch sprach: "Jemand, der kein Trkisch spricht, wirddiesem Land nicht von Nutzen sein; die Todesstrafe fr ihn..."Kurz gesagt, mit der Unterzeichnung des Vertrags von Lausanne im Juli 1923 endete dieFreundschaft, und die Phase der Verleugnung begann.

    Vorbereitungen zum WiderstandDie Kurden hatten ihren Zeitpunkt verpasst. Die Menschen, die ihre Mglichkeiten, die ihnenwhrend des ersten Weltkriegs offen standen, auf Grund ihrer Unerfahrenheit verloren hatten,

    wurden jetzt verschmht und in eine Art von Sklaverei gezwungen. Es qulte sie, zu sehen, wiesie von der im Oktober 1923 gegrndeten Regierung ausgeschlossen und, statt als Partnerangesehen zu werden, ausgegrenzt wurden. 1924 wurde schlielich auch das Kalifat, die letztebestehende Verbindung mit dem trkischen Staat, abgeschafft. Die Kurden fhlten sich jetzt indiesem System so fremd wie noch nie zuvor. Sie waren ausgeschlossen. Nur der "Islam" hattedie beiden Vlker noch verbunden, doch nun gab es auch das Kalifat, das als sein Vertreterangesehen wurde, nicht mehr. Jetzt erwartete die Kurden nur noch eine gewaltsame Assimilationin einem System, das "Nationalstaat" oder "Einheitsstaat" genannt wurde, und in dem sie Fremdegeworden waren. Es war absolut verboten, die kurdische Sprache zu benutzen. Zu jener Zeitwurde jedes kurdisch gesprochene Wort mit einer Strafe von 25 Kurusch bedroht. (1920

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    entsprachen ungefhr 90 Kurusch einem Dollar.) Das Ziel der Regierung war, eine trkischeNation zu schaffen, und dafr mussten alle anatolischen Vlker zwangsassimiliert werden. DieseSituation stand sogar im Widerspruch mit dem Vertrag von Lausanne, obwohl dieser die Trkenund ihre Freunde sehr begnstigte und die Kurden als eigenen Teil der Gesellschaft nichtanerkannte. In Artikel 39 des Vertrags heit es: "Fr trkische Staatsangehrige darf kein Verboterlassen werden, das ihnen untersagt, in der von ihnen gewnschten Sprache zu sprechen, seies im Privat- oder Handelssektor, in den Bereichen Religion, Presse und Publikationen oder aufVersammlungen..." Aber wer hielt sich schon daran? Was hatten sie gesagt? Vertrge werdengemacht, um sie zu brechen. Die kurdischen Menschen wurden in jeder Weise erniedrigt. DerZustand wurde unertrglich. Die Welt verschloss jedoch davor ihre Augen und lie die Kurdenallein. Die kurdischen Fhrer mussten selbst etwas unternehmen.Zuerst brauchte man einen geeigneten Apparat, musste man eine Organisation grnden. Dazuwurden Kontakte zwischen den Mitgliedern der alten kurdischen Teali-Gemeinschaft und der inKurdistan gegrndeten Freiheitsgemeinschaft Kurdistans (auch: Azadi) aufgenommen. Mit derKontaktaufnahme wurde seitens der in Kurdistan ansssigen Azadi-Gemeinschaft der SohnScheich Saits, Scheich Ali Riza Sait, beauftragt, der sich dazu nach Istanbul begab. Dort war erSeyyid Abdulkadirs Gast. Scheich Ali Riza stand von Anfang an unter Beobachtung destrkischen Geheimdienstes. Seit seinem Aufbruch nach Istanbul stand die gesamte Bewegungunter Kontrolle. Durch diesen Besuch entdeckte der trkische Staat den Wunsch der Englnder,mit den Kurden in Kontakt zu treten, und bereitete eine Falle vor. Dafr spielte ein Beamter der

    stdtischen Polizei, der wie ein Englnder aussah, die Rolle eines englischen Vertreters mitNamen Mr. Templen. Kr Sadi aus Palu, der mit dem 'Englnder' Kontakt aufnahm, informiertediesen ber alle Plne. Damit waren das Abkommen und der geplante Aufstand der kurdischenTeali-Gemeinschaft und Azadi entdeckt, und der trkische Staat hatte leichtes Spiel.Auf der anderen Seite war Scheich Saits Schwager, Major Kazim, ein Agent Mustafa Kemals.Kazim, der gleichzeitig ein geheimes Mitglied von Azadi war, teilte der trkischen Fhrung mit,dass der Aufstand am 21. Mrz (Newroz) beginnen sollte. Als Hauptmann wurde Ishan Nuribenannt, der die Aufstnde in Beytsebbab und spter in Agri leitete. So konnten Mustafa Kemalund seine Freunde die Aufstndischen noch Ende desselben Jahres festnehmen und in Bitliseinsperren mit der Begrndung, sie htten Ishan Nuri untersttzt. Anfang 1925 wurden dann auchweitere kurdische Fhrer, darunter Seyyid Abdulkadir und sein Sohn, Kemal Fevzi, in Istanbulverhaftet.Trotz allem begann der fast allein zurckgebliebene Scheich Sait die Bevlkerung zu mobilisieren

    und Propaganda zu machen. Das Volk hrte ihm mit Interesse zu: Die Menschen waren bereit.

    WiderstandDer Aufstand hatte als Antwort auf eine Provokation des trkischen Staates begonnen. Es warnoch zu frh; er htte erst im Frhjahr beginnen sollen. Aber die Gendarmerie-Leutnants Mustafaund Hsn Beg hatten Scheich Sait erniedrigend behandelt, damit er ihnen einige beschuldigtePersonen ausliefern sollte. Scheich Saits Bruder, Scheich Abdurahim, der eine solcheBehandlung seines Bruders nicht hinnehmen wollte, nahm die beiden als Geisel. Damit war manauf einem Weg, von dem es kein Zurck gab. Scheich Sait sagte: "Was sollen wir tun? DasSchicksal hat es so gewollt," und er begann den Aufstand, obwohl mit wenig Hoffnung. Dasrhrte vor allem daher, dass die fhrenden Persnlichkeiten, die fhig waren, an der Spitze desKampfes zu stehen, bereits vorher festgenommen worden waren. So etwas wie eineOrganisierung war nicht vorhanden. Vielleicht wrde auch die Beteiligung auf Grund des

    verfrhten Beginns nicht so hoch sein, wie erwartet. Es wrde sehr schwer werden, die Krftebeim Betreten der Stdte diszipliniert zu halten und an Plnderungen zu hindern. Das knnte denWeg fr einen Gegenwiderstand erffnen.Trotz aller Unzulnglichkeiten zwangen die Bedingungen und das Regime Scheich Sait, dieOperation zu beginnen.Am 13. Februar begann der Aufstand und breitete sich innerhalb kurzer Zeit auf ein weites Gebietaus. Es wrde zu weit fhren, auf Einzelheiten einzugehen. Aber wir knnen sagen, dass vonPiran bis Siverek und von dort aus bis Silvan alle Kommandanturen der sdlichen Gebiete in dieHnde der Kurden fielen. Im Norden war es ebenso: Varto war eingenommen worden, und dieWiderstandskmpfer zogen ber Mus nach Amed. In der Mitte wurden das Zentrum der Provinz

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    Dareyeni und die Kreise Cewlig, Palu und Xarpet eingenommen. Man zog weiter RichtungMalatya. Allerdings waren groe Fehler gemacht worden: Plnderungen hatten nicht verhindertwerden knnen - immerhin waren die Aufstndischen ungebildete, kriegsunerfahrene Mnnerohne Kommandanten - und so schlug sich die Stadtbevlkerung auf die Gegenseite.

    GegenoperationEs bereitete dem trkischen Staat groe Sorge, dass sich der Aufstand, trotz aller von ihmgetroffenen vorsorglichen Manahmen, so schnell und erfolgreich ausbreiten konnte. Sollte esden Kurden trotz aller Vorkehrungen etwa gelingen, erfolgreich zu sein? Kurze Zeit dachte mansogar daran, die Forderungen der Aufstndischen zu akzeptieren; das wurde jedoch alsbaldwieder verworfen. Jedoch hatte die Regierung zu dieser Zeit wenig Handlungsfreiheit und wardaher nicht in der Lage, den Aufstand niederzuschlagen. Das wurde sofort gendert, indem manMustafa Kemal und seinem Freund Ismet Pascha alle notwendigen Vollmachten erteilte und siebeauftragte, eine neue Regierung zu bilden. Ismet Pascha konnte so ungehindert alle ihm wichtigerscheinenden Manahmen ergreifen.Diese waren zuerst:a) Das Takrir-i Sukun Gesetz (Gesetz zur Sicherung der ffentlichen Ruhe) wurde erlassen, mitdem die gesamte Presse und auch Privatpersonen zum Schweigen verurteilt wurden. Nachdiesem Gesetz gengte bereits die geringste Beschuldigung oder irgendeine Denunziation, umeine Person ins Gefngnis zu bringen. Im gesamten Land wurde ein Staatsnotstand mit brutalen

    Auswirkungen praktiziert.

    b) Es wurden Istiklal-Gerichte (Sondergerichte) eingerichtet. Diese Gerichte hatten eine solcheFlle an Befugnissen wie niemals zuvor irgend ein anderes Gericht. Es war nicht mglich, gegenvon ihnen gefllte Urteile Berufung einzulegen oder Revision zu beantragen. Todesurteilekonnten am Tag nach der Verkndung vollstreckt werden. Fr die Vollstreckung war weder dieZustimmung des Parlaments, noch der Regierung notwendig. Die Urteile des Vorsitzenden AliSaip und seiner Beisitzer wurden sofort ausgefhrt.

    c) Eine allgemeine Mobilmachung wurde erklrt und jeder Brger zwischen dem zwanzigsten undsechzigsten Lebensjahr zum Dienst mit der Waffe zwangsverpflichtet.

    d) Beginnend mit dem 7. Armeekorps wurden alle regionalen Einheiten auf Befehl der Regierung

    mobilisiert, um den Aufstand niederzuschlagen.

    e) Nach dem 1920 in Kraft getretenen Abkommen mit den Franzosen durfte die Regierung dieEisenbahnlinien fr ihre Interessen benutzen und konnte so die Aufstndischen hinterrcksangreifen.

    f) Staatstreue Clanfhrer, wie z.B. Cemile Ceto, wurden ebenfalls mobilisiert und fielen denAufstndischen in den Rcken.

    Diese Manahmen zeigten nach kurzer Zeit Erfolge. Fr die Aufstndischen begann eine Phasedes Rckzugs. Gleichzeitig wurden der in Istanbul festgenommene Seyyid Abdulkadir und seineFreunde nach Amed gebracht. Die in Bitlis inhaftierten Kader von Azadi wurden auf dieBehauptung hin, "um sie zu befreien, solle Bitlis angegriffen werden", sofort erschossen. Auf

    diese Weise wurden alle militrischen und politischen Kader mit einem Mal vernichtet. Den inAmed eingeschlossenen kurdischen Einheiten blieben keine Mglichkeiten mehr. Die Westfrontwar auf Grund der Plnderungen auf groen Widerstand gestoen und auseinandergebrochen.berall begann man in Panik zu flchten. Der Aufstand endete damit, dass sein Anfhrer ScheichSait infolge der letzten Denunziation Kazim Bags, der von Anfang an ein enger VertrauterMustafa Kemals war, festgenommen wurde. (14. April 1925) Die Istiklal-Gerichte wurden sofortttig und lieen die Istanbuler Gruppe um Seyyid Abdulkadir, Kemal Fevzi und Kr Sadihinrichten. Danach wurden am 29. Juni Scheich Sait und 47 seiner Anhnger ebenfallshingerichtet. (Genau an diesem Datum verurteilte das Gericht auf Imrali im vergangenen Jahrauch Abdullah calan zum Tode...)

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    Zur gleichen Zeit hatte die grausame Regierung Ismet Paschas, laut Dr. Bletch Chirguh (Kairo1930) in 206 Drfern 8758 Huser zerstren lassen. Dabei wurden 15.206 Menschen ermordet.Die Istiklal-Gerichte arbeiteten wie Schlachthuser.Aus diesem erfolglosen Widerstand konnten die Kurden wichtige Lehren ziehen. Die erste davonist, dass man alle zu organisierenden Krfte in Kurdistan unter Beachtung ihrer Klassenstrukturzu einer disziplinierten Organisation htte aufbauen mssen. Es ist nicht mglich, dass dieHauptorganisation in Istanbul sitzt und in Kurdistan ein disziplinierter Aufstand vorbereitet wird.Sowieso war das, was in der Zeit von 1920 bis 1930 Organisierung genannt wurde, eine Art von"Familienpakt". Darber hinaus waren smtliche ranghohen Azadi-Mitglieder, die den Verlauf desWiderstands planen sollten, im Vorfeld festgenommen worden. (...) Aber sogar heute verhaltensich einige Kreise innerhalb Kurdistans gem dem Fingerzeig von USA und NATO. Sie wrensogar bereit, fr ihre eigenen Interessen ihre eigenen Brder zu opfern: ein Beispiel frmangelnde politische Weitsicht. (...) Nachdem das Versprechen aus dem Vertrag von Sevres,den Kurden einen eigenen Staat zuzubilligen, in Lausanne vergessen war, begannen diekurdischen Fhrer 1925 ihren Widerstand. Denn sie hatten gesehen, wie wenig sie vergessenenVersprechen und gebrochenen Vertrgen vertrauen konnten.Man muss genau betrachten, was die Kurden durch ihren Widerstand berwinden und was neuaufbauen wollten. Denn darber waren sich die Fhrer 1925 gar nicht so ganz klar. Die Fhrervon Azadi hatten ein bestimmtes Programm, aber sie waren ja festgenommen worden. Ob derber siebzigjhrige Scheich Sait einem festen Programm verhaftet war, ist fraglich.

    Der Hauptwiderstand wurde 1925 geleistet. Die nachfolgenden Aufstnde von 1926 bis 1938waren eher Reaktionen der kurdischen Clanfhrer auf Provokationen des trkischen Staates.Diese Art der Reaktion fhrte spter auch zu der Niederlage in Mahabad. (1946, nach dem 2.Weltkrieg fr einige Monate bestehende kurdische Republik im iranischen Teil Kurdistans;Anm.d.bers.)Die Lehren aus dem schwachen aber legitimen Kampf gegen Gewalt, nationale Leugnung undZwangsassimilation, dem Aufstand von 1925, begann man erst in den 60er Jahren umzusetzen.Das hatte seinen Hhepunkt mit dem Entstehen der PKK. Heute erleben wir einen groen,organisierten, stark wissenschaftlichen Widerstand der von politisch erfahrenen Persnlichkeitenangefhrt wird. Jedoch machen einige unserer Kreise bei der Kommentierung diesesWiderstandes Fehler ber Fehler. Der Erfolg ist davon abhngig, ob es gelingt eine nationaleEinheit zu schaffen. Heute gibt es viele, die dieses Ziel vergessen haben aber der VorsitzendeApo ist in diesem Punkt eine groe Chance fr die Kurden.

    Quelle:Kurdistan Report Nr.99, 2000