Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

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Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift Professor Uwe R¨ osler 31. Januar 2017

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Martingaltheorie

Vorlesungsmitschrift

Professor Uwe Rosler

31. Januar 2017

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Table of Contents

1 Zeitdiskrete Martingale 3

1.0.1 Meine Martingalfavoriten . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

2 Martingaltransformierte 13

2.0.2 Filtrationwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.0.3 Raumtransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.0.4 Raum der Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.0.5 Doob Zerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.1 Martingaldifferenzfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.1.1 Transformierte durch vorhersehbare Prozesse . . . . . . 17

2.2 Stoppzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2.2.1 Optional Sampling Theorem revisited . . . . . . . . . . 22

3 Fast sichere Konvergenz 27

3.1 Doob Upcrossing Lemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

3.1.1 Fast sichere Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3.2 Klassische Resultate zur fast sicheren Martingalkonvergenz. . . 30

3.2.1 Kolmogoroff drei Reihen Satz* . . . . . . . . . . . . . . 32

4 L1−Martingale 37

4.1 L1−konvergente Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

4.1.1 Zeitabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4.1.2 Regulaere Stoppzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.1.3 Diverses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

5 Ruckwartsmartingale 45

6 Quadratintegrierbare Martingale 47

1

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2 (31. Januar 2017) Table of Contents

7 Exponentielle Martingale 49

7.1 Irrfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

7.2 Exponentielle Martingale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8 Konvergenz und Topologie 53

8.1 Konvergenz von W-maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

8.1.1 Gleichgradige Integrierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 56

8.1.2 Weitere Metriken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

8.2 Konvergenz von Zufallsgroßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

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1 Zeitdiskrete Martingale

Sei (Ω,A, P ) stets der zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsraum.

Ein stochastischer Prozess ist eine Familie Xt : Ω → E, t ∈ T von Zgn

mit Werten in einem meßbarem Raum (E, σ(E)). E heißt der Zustandsraum

und die Indexmenge T heißt Parameterraum oder auch Zeitparameterraum.

Hintergrund ist, dass T als Teilmenge der reellen Zahlen totalgeordnet ist und

dann die Interpretation Zeit erhalt. Wir benutzen die Notation X = (Xt)t∈T

bzw. (Xt)t bzw. (Xt) fur die Familie.

Sei E eine Eigenschaft von Zgn. Wir sagen ein Prozess X hat die Eigen-

schaft E wenn alle Xn die Eigenschaft haben. Ein Beispiel ist Positivitat oder

Integrierbarkeit.

Ein stochastischer Prozess (Xt)t∈T heißt zu einer Familie At, t ∈ T, von

σ-Algebren adaptiert, falls fur alle t ∈ T die Zg Xt : Ω 7→ E meßbar ist

bezuglich At − σ(E).

Eine Filtration zu einer geordneten Menge (T,≤) ist eine isotone Familie

F = (Ft)t∈T von σ-Algebren aus A. In Formeln, s ≤ t ∈ T ⇒ Fs ⊂ Ft. Ein

filtrierter W-Raum ist ein Tupel (Ω,A,F , P ) wie oben. Die kanonische

Filtration oder naturliche Filtration eines Prozesses X ist die Filtration

Ft := σ(Xs, s ≤ t), t ∈ T gegeben wird durch die kleinste σ-Algebra erzeugt

von allenXs, s ≤ t. Dies ist die kleinste Filtration bzgl. der der Prozeß adaptiert

ist.

Ein Martingal, Submartingal, Supermartingal ist ein Tupel (X,F) =(Xt,Ft)t∈T . Hierbei ist T eine Teilmenge der reellen Zahlen mit der naturli-

chen Ordnung und X ein reellwertiger, integrierbarer stochastischer Prozess

adaptiert zur Filtration F . Es gilt die Martingaleigenschaft (Super-, Sub-)

Xs = E(Xt | Fs) Martingal (1.1)

Xs ≤ E(Xt | Fs) Submartingal (1.2)

Xs ≥ E(Xt | Fs) Supermartingal (1.3)

3

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4 (31. Januar 2017) Zeitdiskrete Martingale

f.s. fur alle s ≤ t ∈ T. Die Angabe der Filtration wird haufig weggelassen,

insbesondere wenn immer dieselbe Filtration benutzt wird.

X ist Supermartingal genau dann, wenn −X ein Submartingal ist. Ein

Prozess ist ein Martingal genau dann, wenn er gleichzeitig ein Sub- und ein

Supermartingal ist.

Man unterscheidet zwischen diskreter Zeit, T ⊂ ZZ und stetiger Zeit an-

derenfalls. Die wesentliche mathematische Argumentationslinie ist ersichtlich

fur T ⊂ IN. Daher, ein Standardmartingal (Sub-,Super-) ist ein Martingal

(Sub-,Super-) mit Zeitparameter T = IN0, X0 = E(X1) und A0 die trivia-

le σ-Algebra ∅,Ω.Ist T endlich oder in den naturlichen Zahlen enthalten und X ein Martingal

dazu, so konnen wir X einbetten in ein Standardmartingal Y. Dies geschieht

durch Yn = Xm mit m das Maximum der t ∈ T mit t ≤ n oder t das kleinste

Elment in T. Ebenso verfahre mit der Filtration. Resultate fur das Standard-

martingal ubertragen sich dann auf das Originalmartingal. Ist T nicht von

obiger Struktur, so geschieht die Zuruckfuhrung auf Standardmartingalargu-

mente in der Regel via Stoppzeiten. Dies ist eher technischer Natur und wir

uberschlagen es hier.

Die Martingaleigenschaft (1.1) bzw. die Submartingal- bzw. Supermartin-

galeigenschaft ist im Standardfalle aquivalent zu

Xn = E(Xn+1 | Fn) (1.4)

bzw. ≤,≥ fur alle n ≥ 1. Verwende zum Beweis die Projektionseigenschaft

E(Xn+2 | Fn) = E(E(Xn+2 | Fn+1) | Fn) = E(Xn+1 | Fn) = Xn.

1.0.1 Meine Martingalfavoriten

Wir verwenden stets IN0 als Zeitparameter.

Beispiele 1 (Irrfahrt) Seien Xn, n ∈ IN, unabhangig, identisch verteilte,

integrierbare Zufallsgroßen, Sn =∑n

i=1 Xi die n-te Partialsumme. Dann ist

(Mn)nMn := Sn − nEX1

ein Standardmartingal bezuglich der naturlichen Filtration Fn = σ(S1, . . . , Sn) =

σ(X1, . . . , Xn).

E(Mn+1 | Fn) = Mn + E(Xn+1 − EX1 | Fn) = Mn.

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Beispiele 2 (Exponentielle Martingale) Seien Xn, n ∈ IN, unabhangig,

identisch verteilte Zufallsgroßen mit Sn die n-te Partialsumme. Definiere

Mn(λ) := exp(λSn)/Φn(λ)

mit Φ(λ) := EeλX1 , λ ∈ IR. Die Folge (Mn(λ))n ist ein Standardmartingal

bzgl. der naturlichen Filtration wie eben.

Beispiele 3 (Regulare Martingale) Sei F eine Filtration und X eine inte-

grierbare Zufallsvariable. Dann ist Mn := E(X | Fn) ein Martingal in n.

E(Mn+1 | Fn) = E(E(X | Fn+1) | Fn) = E(X | Fn) = Mn.

Spater werden wir sehen, daß genau die L1-konvergenten Martingale so dar-

stellbar sind.

Beispiele 4 ( Das Martingal) In einem Kasino spielt ein Spieler die Ver-

doppelungsstrategie, in Spielerkreisen auch als Martingalstrategie bekannt. Der

Spieler startet mit einem Einsatz von einem Chip auf einfache Chance (rot-

schwarz oder gerade-ungerade) im ersten Spiel. Verliert er, so verdoppelt er

seinen vorherigen Einsatz im nachsten Spiel. Gewinnt er irgendwann einmal,

so hort er auf. Zu diesem Zeitpunkt n hat er −1− 2− 4− 8− . . .− 2n−1 Ein-

heiten verloren und gewinnt im n-ten Spiel 2n Einheiten. Insgesamt hat er eine

Einheit gewonnen. Da er fast sicher irgendwann einmal gewinnt, erscheint dies

als eine sichere Strategie.

Mathematisches Modell: Seien Yn, n ∈ IN uiv Zg mit Werten in 1,−1und p = P (Y = 1) im offenen Einheitsintervall (0, 1). Sei Sn =

∑ni=1 2

i−1Yi.

Yi = 1 wird interpretiert als Gewinn im i-ten Spiel, Sn als Kapital nach dem

n-ten Spiel bei Anfangskapital 0, sofern der Spieler das n-te Spiel gespielt hat.

Sn ist ein Martingal im Fall p = 1/2, ein Supermartingal im Fall p < 1/2

und anderenfalls ein Submartingal. Sei τ der erste Wert m mit Ym = 1. Auf

der Menge n < τ ist Sn der Gewinn (negative Werte bedeuten Verlust) bis

einschliesslich des n-ten Spieles. Da τ fast sicher endlich ist, gilt Sτ = 1. Zu

dem Zeitpunkt kann er das Kasino mit einer Einheit Gewinn verlassen.

Beispiele 5 (Likelihoodquotient fur Munzwurf) SeienX1, X2, . . . uiv Zgn

mit diskreter Verteilung P = (p(x))x∈E . Sei Q = (q(x))x∈E ein anderes W-maß.

Dann ist

Mn :=

n∏

i=1

q(Xi)

p(Xi),

p(x) > 0 fur alle x vorausgesetzt, ein Martingal bezuglich dem W-mas P und

der naturlichen Filtration

E(Mn+1 | Fn) = MnE(q(Xn+1)

p(Xn+1)| Fn) = Mn.

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6 (31. Januar 2017) Zeitdiskrete Martingale

Dieses Beispiel hat Anwendung in der Statistik. Wir wollen entscheiden, ob

die Zgn X1, X2, . . . , Xn eine Verteilung P oder Q haben, P,Q bekannt. Dazu

betrachten wir die Teststatistik Mn : IRn 7→ IR wie oben. lnMn ist eine Sum-

me von uiv Zgn. Nach dem starken Gesetz der Großen Zahl, anwendbar falls

E| ln q(Xi)p(Xi)

| <∞ gilt, konvergiert 1n lnMn gegen EP (ln

q(Xi)p(Xi)

) =∑

x lnq(x)p(x)p(x)

unter P bzw. gegen EQ(lnq(Xi)p(Xi)

) =∑

x lnq(x)p(x)q(x) unter Q. Sind diese Grenz-

werte verschieden, so konnen wir P und Q unterscheiden. Die Grenzwerte sind

verschieden fur P 6= Q, da nach Jensen gilt

EP lnq(Xi)

p(Xi)< lnEP

q(Xi)

p(Xi)= 0

EQ lnq(Xi)

p(Xi)= EQ(− ln

p(Xi)

q(Xi)) > − lnEQ

p(Xi)

q(Xi)= 0.

In der sequentiellen Statistik trifft man bereits eine Entscheidung, wenn lnMn

gewisse Schranken uberschreitet. Damit erreicht man gute Entscheidungen bei

moglichst wenig Beobachtungen.

Beispiele 6 (Radon-Nikodym Ableitung) Seien Q,P zwei W-Maße. Eine

(meßbare) Partition φ von Ω ist eine disjunkte Zerlegung von Ω in (meßbare)

Mengen. (φ ⊂ Pot(Ω),⋃ A∈φA = Ω.) Eine Partition φ1 ist feiner als φ2,

geschrieben φ1 φ2, falls jedes A ∈ φ1 in einem B ∈ φ2 enthalten ist.

Sei φ1 φ2 φ3... eine Folge von verfeinerten, meßbaren Partitionen.

Definiere

Mn :=∑

A∈φn

Q(A)

P (A)1A

n ∈ IN. Der Einfachheit nehmen wir stets P (B) > 0 an. Dann ist M = (Mn)nein Martingal bezuglich P und der Filtration Fn erzeugt von der Partition φn.

EP (Mn+1 | Fn) =∑

A∈φn+1

Q(A)

P (A)EP (1A | Fn)

=∑

B∈φn

B⊃A∈φn+1

Q(A)

P (A)EP (1A | Fn)

=∑

B∈φn

B⊃A∈φn+1

Q(A)

P (A)11BP (A | B)

=∑

B∈φn

B⊃A∈φn+1

Q(A)

P (B)11B

=∑

B∈φn

Q(B)

P (B)11B = Mn

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(31. Januar 2017) 7

Beispiele 7 (Polya Urnen Modell) Gegeben sei eine Urne mit S schwarzen

und W weißen Ballen. Es wird zufallig mit Gleichverteilung ein Ball gezogen.

Dann werden insgesamt c ∈ −1, 0, 1, . . . Balle dieser gezogenen Farbe zuruck-

gelegt. Kein Ball wird zuruckgelegt entspricht c = −1, der gezogene Ball wird

zuruckgelegt entspricht c = 0 usw..

Sei Sn,Wn, n ∈ IN, die Anzahl der schwarzen bzw. weißen Kugeln nach der

n-ten Ziehung einschließlich eventuellem Zurucklegen. Dann ist

Mn =Sn

Wn + Sn

ein Martingal bezuglich der naturlichen Filtration. (Fur c = −1 mussen wir

nach W +S Ziehungen stoppen, da kein Ball mehr in der Urne ist.) Mn ist die

bedingte Wahrscheinlichkeit, daß bei der nachsten (= n+ 1-ten) Ziehung eine

schwarze Kugel gezogen wird, bedingt auf der Kenntnis der bisher gezogenen

Kugeln.

Mathematisches Modell: Sei Xn die Farbe, kodiert als 1 fur ’schwarz’

und 0 fur ’weiß’, der gezogenen Kugel in der n-ten Ziehung. Die Filtration ist

Fn = σ(X1, . . . , Xn). Die Zg Mn schreibt sich als, Zn :=∑n

i=1 Xi,

Mn = P (Xn+1 = 1 | An) =S + cZn

W + S + nc.

Mn ist ein Martingal, da

E(Mn+1 | Fn) =S + cZn + cE(Xn+1 | Fn)

W + S + (n+ 1)c

=S + cZn + c S+cZn

W+S+nc

W + S + (n+ 1)c= . . . = Mn.

Das Polya Urnen Modell laßt sich auch fur c ∈ [−1,∞) spielen. Es werden

stets ⌊c⌋ Balle der gezogenen Farbe zuruckgelegt und, abhangig von einem

unabhangigen Bernoullizufallsexperiment zum Parameter c− ⌊c⌋, eine weitere

der Farbe.

Beispiele 8 (Verzweigungsprozesse) Historischer Ausgangspunkt fur die

Verzweigungsprozesse war die Genealogie, insbesondere die Uberlebenswahr-

scheinlichkeit eines Familiennamens. Als Nachkommen (Kinder) zahlen wir hier

nur die mannlichen Nachkommen, die den Familiennamen tragen und weiterge-

ben konnen. Die Anzahl dieser Nachkommen sei unabhangig mit stets gleicher

Verteilung. Uns interessiert die Große der n-ten Generation.

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8 (31. Januar 2017) Zeitdiskrete Martingale

Mathematisches Modell: Seien Xi,j , i, j ∈ IN0, uiv Zgn mit Werten in IN0,

0 < E(X•) =: m < ∞. Der Bienayme-Galton-Watson (BGW) Prozess Z wird

rekursiv definiert durch Z0 = 1,

Zn+1 =

Zn∑

j=1

Xn,j .

Dann ist ( Zn

mn )n ein Martingal bezuglich der Filtration Fn = σ(Xi,j , i < n, j ∈IN, ) (oder auch der naturlichen Filtration).

Die Große Xn,j gibt die Anzahl der Nachkommen des j-ten Individuums

der n-ten Generation an. Zn entspricht der Anzahl der Namensvertreter in der

n-ten Generation. Ein ’typischer’ Stammbaum sieht etwa folgendermaßen aus:

s s s s s s s s s s s

s s s s s

s ss

s

s

PPPPPPPPPPPPPq21 3

11 12 13 31 32

312

Beispiele 9 (Gewichteter Verzweigungsprozess) Jedes Individuum eines

Verzweigungsprozesses tragt zusatzlich ein zufalliges Gewicht. Dies ist das Ge-

wicht der Mutter multipliziert mit einer Zufallsgroße.

Mathematisches Modell: Wir betrachten einen gerichteten Graphen (V,E).

Die Knotenmenge ist

V :=

∞⋃

n=0

INn, IN0 := ∅.

Wir benutzen fur v = (v1, ..., vn) ∈ V die Notation vi = (v1, ..., vn, i) und |v| =n, |∅| = 0, v|m = (v1, . . . , vm). (Die Kanten e ∈ E sind die Tupel e = (v, vi).)

Seien T (v) : Ω → IRIN , v ∈ V , uiv Zgn. Beachte fur festes v konnen

die Koordinaten T1(v), T2(v), . . . voneinander abhangig sein. Definiere rekursiv

L(v) : Ω 7→ IR durch L(∅) = 1 und

L(v, i) = L(v)Ti(v).

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(31. Januar 2017) 9

Hieraus ergibt sich die Produktdarstellung

L(v) =n∏

i=1

Tvi(v|i−1) = Tv1

(∅)Tv2(v1)...Tvn

(v1, . . . , vn−1).

Sei Zn =∑

v||v|=n L(v). Dann ist fur m 6= 0

Wn :=Zn

mn,

0 6= m := E∑

i Ti(.) wohldefiniert, ein Martingal.

V gibt eine naturliche Indizierung des Baumes mit unendlich vielen Asten.

Die Großen L(v) geben das Gewicht des Individuums v an. Der BGW-Verzweigungsprozess

ist ein Spezialfall mit L(v) = 1 oder L(v) = 0. In der Zeichnung haben wir In-

dividuen mit Gewicht Null weggelassen.

Beispiele 10 (Zufallige Cantormengen) Als spezielles Beispiel fur einen

gewichteten Verzweigungsprozeß betrachten wir die Hausdorffdimension von

zufalligen Cantormengen.

Eine (die) Cantormenge wird folgendermaßen konstruiert: Aus dem Ein-

heitsintervall entferne das mittlere Drittel. Aus den verbliebenen Intervallen

entferne ebenfalls das mittlere Drittel usw.

t t t t0 a b 1

r r r r r r r r

♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣

♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣

Cantorset Cantorset Can Cantorset Cantorset Can

Es bleibt eine Menge C ubrig, genannt die Cantormenge.

Wir wollen diese Konstruktion nun zufallig machen. Anstelle von 1/3, 2/3

wahlen wir zufallig, aber zu gegebener Verteilung, zwei (oder auch mehrere)

Punkte aus und entfernen das mittlere (einige) Intervall. Fur jedes verbleibende

Intervall wiederholen wir diese Prozedur auf kleinerer Skala unabhangig, aber

mit derselben Verteilung. Die ubrigbleibende Menge C = C(ω) ist eine zufallige

Cantormenge.

Wir denken uns die Prozedur als Baum dargestellt wie oben mit der naturli-

chen Indizierung durch V. Sei L(v) die Lange des Intervalls v. Die Faktoren

T1(v), T2(v), .. geben die jeweilige relative Lange der verbleibenden Intervalle

bei Aufspaltung des Intervalls v. Fur die deterministische Cantormenge gilt

T1(.) ≡ 1/3 = T2(.), T3 = 0 = T4 = ...

Page 11: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

10 (31. Januar 2017) Zeitdiskrete Martingale

t t t t0 T1(∅) 1− T2(∅) 1

Als nachstes klaren wir den Zusammenhang zur Hausdorffdimension und

Hausdorffmaß.

Sei A eine beliebige Menge in IR (metrischer Raum). Eine offene δ- Uber-

deckung von A ist eine Familie Un, n ∈ IN , von offenen Mengen mit Durch-

messer diam(Un) < δ, die A uberdeckt (A ⊂ ⋃

n Un). Fur α > 0, δ > 0,

sei Hαδ (A) = inf∑n diam

α(Un), das Infimum uber alle δ-Uberdeckungen

genommen. Das α-Hausdorffmaß von A ist: Hα(A) = limδ→0Hαδ (A). Das α-

HausdorffmaßHα kann denWert unendlich annehmen. Die Hausdorffdimension

ist das kleinste α mit endlicher α-Hausdorffdimension,

H(A) = infα|Hα(A) <∞.

Fur unsere zufalligen Cantormengen bietet sich als Uberdeckung die n-te

Generation an (modifiziert zur offenen δ-Uberdeckung!). Der Wert

S(α)n :=

|v|=n

Lα(v)

ist eine erste Annaherung (im Grenzwert exakt) an das α-Hausdorfmaß.

Eine besondere Rolle spielt der Wert αmit E(Tα1 +Tα

2 ) = 2. Fur α <(=,>) α

ist S(α)n ein Submartingal (Martingal, Supermartingal). Der Wert α ist (f.s.) die

Hausdorffdimension einer zufalligen Cantormengen C, falls C nicht die Null-

menge ist. Der Grenzwert limn→∞ S(α)n ist das α-Hausdorff-Maß der zufalligen

Cantormenge.

Dieses Ergebnis laßt sich auch auf die Cantormenge selbst anwenden. Die

Zven T. sind deterministisch (1/3, 2/3). Die Hausdorff-Dimension α = ln 2/ ln 3

erhalt man durch Losen der Gleichung(13

)α+(13

)α= 1 nach α.

Beispiele 11 (Aktien) Der Aktienkurs Xn wird gerne als Martingal model-

liert. Ein Handler kauft am n-ten Tag Cn Aktien. Am folgenden Tag hat er den

Wert Cn(Xn+1 −Xn) dazugewonnen. Der Prozess

Mn :=

n−1∑

i=1

Ci(Xi+1 −Xi)

ist ein Martingal, vorausgesetzt jede Handelsentscheidung Cn ist Fn-meßbar.

(Dies ist die mathematische Formulierung fur keine Insiderinformation.)

Page 12: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

(31. Januar 2017) 11

Beispiele 12 (Spielhauser) Ein Spieler geht in ein Kasino mit mehrfachem

Spielangebot wie z.B. Roulette und Black Jack. Zur Einfachheit sei die Zeit

getaktet. Zu Beginn jeden Zeittaktes kann der Spieler frei ein Spiel auswahlen

und es einmal zu erlaubtem Einsatz spielen. Dieser Vorgang einschießlich Aus-

zahlung wird in einem Zeittakt abgeschlossen. Sei Kn das Spielerkapital zum

n-ten Zeitpunkt.

Der Spieler mochte seinen Gewinn KN nach genau N Zeittakten maximie-

ren, z.B im Sinne vom Erwartungswert, oder der Wahrscheinlichkeit minde-

stens einen bestimmten Betrag zu haben. Welche Strategie, d.h. Auswahl der

Teilspiele, ist die beste? Dieses Problem, behandelt in Dubins-Savage, How to

gamble if you must, fuhrt auf die Konstruktion spezieller Martingale. In der

Sektion uber optimales Stoppen behandeln wir den Spezialfall mit nur zwei

Optionen, weiterspielen oder stoppen.

Page 13: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

12 (31. Januar 2017) Zeitdiskrete Martingale

Page 14: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2 Martingaltransformierte

Unser Grundraum ist ein filtrierter W-raum (Ω,A,F , P ) mit einer Filtrati-

on F = (Fn)n∈IN0. Alle betrachteten Prozesse X = (Xn)n∈IN0

sind adaptiert

und integrierbar. Mit M=,M≤,M≥ bezeichnen wir die Menge der Martin-

gale (Sub-, Super-) mit Zeitparameter IN0 zur Filtration F . Da die Filtration

meistens als fest angenommen wird und sich nicht verandert, wird sie in For-

mulierungen haufig weggelassen. Zum Beispiel, ist X ein Submartingal, so ist

−X) ein Supermartingal (zu derselben Filtration).

Wir betrachten und formulieren Resultate meistens fur Submartingale, ent-

sprechendes gilt dann fur Supermartingale.

2.0.2 Filtrationwechsel

Fur einen Wechsel in eine Subfiltration gilt:

Proposition 13 Sei (X,F) ein Martingal (Sub-, Super-). Sei X adaptiert zu

einer Unterfiltration B = (Bn)n mit Bn ⊂ Fn. Dann ist (X,B) ein Martingal

(Super-, Sub-).

Beweis: Fur B ∈ Bn gilt

B

E(Xn+1 | Bn) =∫

B

Xn+1 =

B

E(Xn+1 | Fn) =≥,≤

B

Xn

und damit E(Xn+1 | Bn) =≥,≤ Xn. q.e.d.

2.0.3 Raumtransformationen

Eine lineare Raumtransformation auf den reellen Zahlen belaßt ein Martingal

als ein Martingal und ein Submartingal, wird je nach Vorzeichen der Steigung,

zum Sub- oder Supermartingal. Bei konvexen Funktionen hilft der Satz von

Jensen.

13

Page 15: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

14 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Eine Funktion ϕ : I 7→ IR∪ ∞ mit I ein Intervall heist konvex , falls fur

alle x 6= y ∈ I, t ∈ (0, 1) und tx+ (1− t)y ∈ I gilt

ϕ(tx+ (1− t)y) ≤ tϕ(x) + (1− t)ϕ(y).

Sie heist strikt konvex, falls in obiger Ungleichung stets < gilt.

Eine Funktion ϕ : IR → IR ∪ −∞ heist (strikt) konkav genau dann,

wenn −ϕ (strikt) konvex ist.

i) Im Inneren von I ist eine konvexe Funktion ϕ ist stetig und es existieren

die linksseitige Ableitung ϕ− und die rechtsseitige Ableitung ϕ+. Beide sind

aufsteigend und ϕ− ≤ ϕ+ und verschieden an hochstens abz ahlbar vielen

Punkten.

Satz 14 (Jensen Ungleichung) Sei X eine integrierbare Zg, B ⊂ A eine

Unter-σ-Algebra und ϕ eine konvexe Funktion mit ϕ(X) wohldefiniert und in-

tegrierbar. Dann gilt

ϕ(E(X | B)) ≤ E(ϕ(X) | B)Gleichheit gilt genau dann, wenn ϕ linear ist auf einer Menge D mit P (X ∈D) = 1.

Als Merkregel: Falscher Effee Eϕ ≥ ϕE (wie fur die Jensensche Ungleichung).

Lemma 15 Sei M ein Martingal und ϕ eine konvexe (konkave) Funktion mit

ϕ(Mn) integrierbar fur jedes n. Dann ist ϕ(M) = (ϕ(Mn))n ein Submartingal

bzgl. derselben Filtration.

Sei X ein Submartingal. Sei ϕ eine aufsteigende konvexe Funktion und

ϕ(Xn) integrierbar fur jedes n. Dann ist ϕ(X) ein Submartingal.

Sei X ein Supermartingal. Sei ϕ eine absteigende konvexe Funktion und

ϕ(Xn) integrierbar fur jedes n. Dann ist ϕ(X) ein Submartingal.

Beweis: Fur ein Martingal M und ϕ konvex gilt

E(ϕ(Mn+1) | An) ≥ ϕ(E(Mn+1 | An)) = ϕ(Mn)

Fur ein Submartingal X und ϕ konvex aufsteigend gilt

E(ϕ(Xn+1) | An) ≥ ϕ(E(Xn+1 | An)) ≥ ϕ(Xn)

Fur ein Supermartingal X und ϕ konvex absteigend gilt ebenfalls die obige

Zeile. q.e.d.

Das obige Lemma sieht nach einem Symmetriebruch bzgl. Sub- und Super-

martingalen aus. Dies ist nicht der Fall. Gewisse Symmetrie erhalten wir, wenn

wir eine konvexe Funktion ϕ durch die konkave Funktion −ϕ ersetzen.

X ∈M≤, ϕ konkav ↓⇒ ϕ(X) ∈M≥

Page 16: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

(31. Januar 2017) 15

X ∈M≥, ϕ konkav ↑⇒ ϕ(X) ∈M≥

Notation: Der Positivteil einer Funktion f is f+ = f ∨0 und der Negativteil

f− = (−f) ∨ 0. Beachte f− ist positiv und f = f+ − f , |f | = f+ + f−.

Beispiele: i) Fur ein Martingal M sind M+ := (M+n )n und M− = (M−

n )nSubmartingale zur gleichen Filtration. Fur jedes p ≥ 1 ist |M |p = (|Mn|p)nund fur jedes λ ≥ 0 ist eλM ein Submartingal.

ii) Ist X ein Submartingal, so auch X+ und eλX fur positive λ. Jedoch X−

ist im allgemeinen weder ein Sub- noch ein Supermartingal.

iii) Ist X ein Supermartingal, so sind X− und eλX fur λ ≤ 0 Submartingale.

X+ ist im allgemeinen weder ein Sub- noch ein Supermartingal.

Auch wenn der Positivteil bzw. Negativteil keine schone Martingaleigen-

schaft besitzt, last sich das erste absolute Momente gut abschatzen.

Proposition 16 Fur ein Submartingal X gilt

2EX−n + x0 ≤ E|Xn| ≤ 2EX+

n − x0

und fur ein Supermartingal

2EX+n − x0 ≤ E|Xn| ≤ 2EX−

n + x0.

Beweis: Die erste Abschatzung erhalten wir aus x0 ≤ EXn = EX+n − EX−

n

und E|Xn| = EX+n + EX−

n durch einsetzen. Die zweite folgt analog. q.e.d.

2.0.4 Raum der Martingale

Durch Addition, Supremumsbildung, Infimumsbildung und Anwendung konve-

xer Funktionen lassen sich weitere (Super–, Sub–) Martingale erzeugen.

Lemma 17 i) Der RaumM= der Martingale ist ein reeller Vektorraum.

ii) Der Raum M≤ (M≥) der Submartingale (Super-) ist abgeschlossen

bezuglich Addition, Multiplikation mit positiver Konstanten und dem endlichen

Supremum (Infimum).

Beweis: Leicht nachzurechnen. q.e.d.

2.0.5 Doob Zerlegung

Ein vorhersehbarer Prozeß zu einer Filtration F = (Fn)n∈IN0ist ein adap-

tierter Prozeß X = (Xn+1)n∈IN0. Dies ist zu verstehen mit Xn+1 ist Fn meßbar

fur alle n ∈ IN0. Aus schreibtechnischen Grunden wird manchmal X0 := X1

mit hinzugenommen.

Page 17: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

16 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Lemma 18 (Doob Zerlegung) Sei X ein Submartingal (Super-). Dann exi-

stiert genau ein Martingal M und genau ein vorhersehbarer, monoton aufstei-

gender (absteigender) Prozeß A mit A0 ≡ 0 und

Xn = Mn +An.

Der Prozess A wird rekursiv gegeben durch

An+1 = An + E(Xn+1 | An)−Xn.

Beweis: • An wie oben definiert tut’s.

An ist wohldefiniert, monoton steigend (fallend) und vorhersehbar.

Eine Rechnung zeigt die Martingaleigenschaft von Mn := Xn −An,

E(Mn+1 | Fn) = E(Xn+1−An+1 | Fn) = E(Xn+1 | Fn)−An+1−Xn+Xn = −An+Xn = Mn.

• Eindeutigkeit.Sei Xn = Mn+An eine zweite Zerlegung mit den obigen Eigenschaften. Wir

zeigen durch Induktion nach n Mn = Mn und An = An. Der Induktionsanfang

ist leicht. Wir zeigen den Schritt n→ n+ 1.

• An+1 = An+1.

An+1 = E(An+1 | Fn) = E(Xn+1 −Mn+1 | Fn)

= E(Xn+1 | Fn)−Mn = E(Xn+1 | Fn)−Mn

= E(Xn+1 −Mn+1 | Fn) = E(An+1 | Fn) = An+1

Hieraus folgt sofort Mn+1 = Mn+1. q.e.d.

2.1 Martingaldifferenzfolgen

Eine Martingaldifferenzfolge (Sup-, Super-) zu einer Filtration F ist ei-

ne Folge D = (Dn)n∈IN von adaptierten und integrierbaren Zgn mit 0 =≤,≥

E(Dn | Fn−1), n ∈ IN. Wir verwenden die Kurznotation D = (Dn)n.

Jede Martingaldifferenzfolge (Sup-Super-) D zur Filtration F liefert via

Xn =n∑

i=0

Di +X0 (2.1)

ein Martingal, (Sub-, Super-) bzgl. derselben Filtration. Umgekehrt, sei X ein

Martingal (Sup-,Super-), so ist die Differenzfolge Dn := Xn − Xn−1, n ∈ IN

eine Martingaldifferenzfolge zur selben Filtration und es gilt (2.1). Wir sprechen

von der Martingaldifferenzfolge D (Sub-, Super-) des Martingals (Sub-, Super-)

X.

Page 18: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2.1. Martingaldifferenzfolgen (31. Januar 2017) 17

Satz 19 Sei die Filtration F und eine reelle Zahl x vorgegeben. Es gibt ei-

ne bijektive Abbildung zwischen Martingaldifferenzfolgen (Sub-, Super-) D und

Martingalen (Sub-, Super-) mit Anfangswert x jeweils zur Filtration F . Diese

kann gegeben werden durch

Xn =

n∑

i=1

Di + x.

Beweis: Leicht. q.e.d.

2.1.1 Transformierte durch vorhersehbare Prozesse

Die Martingaltransformierte eines Martingals (Sub-, Super-) X zu einem

vorhersehbaren Prozeß C = (Cn)n∈IN ist der Prozess XC

XCn :=

n∑

i=1

CiDi +X0

n ∈ IN0. Hierbei ist Dn := Xn −Xn−1 die zugehorige Martingaldifferenzfolge.

Einige Autoren benutzen die Notation C ·X bzw. C ∗X fur XC .

Fur reellwertige Funktionen f, g (oder Vektoren) benutzen wir (fg)(x) :=

f(x)g(x).

Satz 20 Sei M ein Martingal und C vorhersehbar. Ist CD integrierbar, so ist

die Martingaltransformierte MC ein Martingal.

Sei X ein Submartingal (Super-) und sei C vorhersehbar und positiv. Falls

CD integrierbar ist, so ist die Martingaltransformierte XC ein Submartingal

(Super-).

Beweis: Die Martingaltransformierte MC ist adaptiert zur Filtration und inte-

grierbar, da die einzelnen Terme CiDi Fi meßbar und integrierbar sind.

Die Martingaleigenschaft wird nachgerechnet

E(MCn+1 | Fn) = E(

n+1∑

i=1

CiDi +M0 | Fn) = MCn + Cn+1E(Dn+1 | Fn) = MC

n .

Eine analoge Argumentation halt fur Sub- und Supermartingale. q.e.d.

Korollar 21 Sei M ein Martingal und C ein vorhersehbarer Prozess mit CD

integrierbar. Dann ist der Erwartungswert der Martingaltransformierten eine

Konstante.

Sei X ein Submartingal (Super-) und C ein positiver vorhersehbar Prozess

mit CD integrierbar. Dann ist der Erwartungswert EXCn monoton steigend

(fallend) in n.

Page 19: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

18 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Beweis: Wir zeigen nur den Martingalfall. Die anderen beiden Aussagen folgen

analog.

EMCn =

i≤n

E(E(CiDi | Fi−1)) +M0 =∑

i≤n

E(CiE(Di | Fi−1)) +M0 = M0.

q.e.d.

Die punktweise Ordnung auf dem Raum der Prozesse ist die Ordnung

(Xt)t∈T (Yt)t∈T ⇔ Xt(ω) ≤ Yt(ω)

fur alle t ∈ T, ω ∈ Ω.

Lemma 22 Sei X ein Submartingal (Super-) und A B zwei vorhersehbare

positive Prozesse. Sei D die Differenzfolge und AD, BD integrierbar. Dann

gilt fur alle n ∈ IN0

EXAn ≤ (≥)EXB

n .

Beweis: Der Induktionanfang XA0 = X0 = XB

0 ist einfach. Fur den Induktions-

schritt n→ n+ 1 argumentiere

E(XBn+1−XA

n+1 | Fn) = XBn −XA

n +(Bn+1−An+1)E(Dn+1 | Fn) ≥ (≤)XBn −XA

n

Nehme auf beiden Seiten den Erwartungswert und verwende die Induktionshy-

pothese. q.e.d.

Kasinospieler: Ein Spieler spielt eine endliche Folge von (unabhangigen)

Spielen mit zufalligem Ausgang D1, D2, , . . . , DN in einem Spielkasino. Dabei

gebe Di die positive oder negative Auszahlung im i−ten Spiel bei Einsatz einer

Einheit ab. Der Spieler darf (=mus) den Einsatz Cn fur das n−te Spiel vor demn-ten Spiel bestimmen. Ublicherweise einen positiven Einsatz und nicht mehr

als er besitzt. (Es sei denn, man handelt an der Borse.) Hierbei kennt der Spieler

die σ-Algebra der gesamten Vergangenheit bis vor dem n-ten Spiel. In der Regel

ist dies die kanonische σ-Algebra σ(D1, . . . , Dn−1) = An−1 erzeugt von allen

Spielergebnisse bis zu diesem Zeitpunkt. Der von ihm gewahlte Einsatz Cn ist

daher An−1 mesbar, die Folge (Cn) ist vorhersehbar. Die Folge (Cn) heist auch

Strategie des Spielers.

Sei Kn sein Kapital nach dem n-ten Spiel, K0 ∈ IR+ sein Anfangskapital.

Nach dem n−ten Spiel betragt sein Kapital KCn unter der Strategie C

KCn =

n∑

i=1

CiDi +K0.

Page 20: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2.1. Martingaldifferenzfolgen (31. Januar 2017) 19

Der Spieler mochte moglichst viel gewinnen. Ein Kriterium ware, den Erwar-

tungswert EKCN zu einem festgesetzten Zeitpunkt N zu maximieren. Mathe-

matisch gesehen fuhrt dies auf

supC

EKCN

uber alle erlaubten Strategien C.

Faire Spiele: Alle Spiele Di seien fair, d.h.

E(Di | Ai−1) = 0.

Dann ist (KCn ) eine Martingaltransformierte zur Martingaldifferenz D und dem

vorhersehbaren Prozess C. Der Erwartungswert EKCn ist konstant K0 fur jedes

n und jede Strategie C liefert (20)

EKCn = K0.

Anders formuliert, alle Aktionen des Spielers haben keinen Einfluß auf sein

durchschnittlich erspieltes Kapital!

Bei fairen Spielen spielt der Spieler Dummy.

Nachteilige Spiele: Alle Spiele seien subfair (nachteilig) im Sinne

E(Dn | An−1) ≤ 0

aus Sicht des Spielers gesehen. Das Kapital KCn unter der gewahlten Strategie

C ist jetzt ein Submartingal und das erwartete Kapital E(KCn ) nach der n-ten

Runde fallt in n. Mit der Erhohung der Einsatze sinkt der Erwartungswert.

Im Sinne der Erwartungswertmaximierung von EKCN sollte der Spieler mit

moglichst geringen Einsatzen spielen. Der Einsatz stets Null entspricht garnicht

zu spielen. Selbst das Spielen einer einzigen Runde mit strikt positivem Einsatz

kann schon nachteilig fur ihn sein.

Da dies ein Nullsummenspiel ist, was der eine verliert gewinnt der andere,

profitiert das Spielkasino und wird infolgedessen versuchen den Spieler zum

Spielen zu animieren.

Vorteilhafte Spiel: Alle Spiele seien superfair (vorteilhaft) im Sinne

E(Dn | An−1) ≥ 0

aus Sicht des Spielers gesehen. Das Kapital KCn unter der gewahlten Strategie

C ist jetzt ein Supermartingal und das erwartete Kapital E(KCn ) nach der n-

ten Runde steigt in n. Es steigt auch mit Erhohung der Einsatze. Im Sinne der

Page 21: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

20 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Erwartungswertmaximierung von EKCN sollte der Spieler moglichst viel mit

grosen Einsatzen spielen, namlich stets und alles einsetzen. (Dies fuhrt auf das

Petersburger Spiel, auf unendliche Sicht gesehen geht man pleite.)

Fur das Spielkasino sind solche Spiele nachteilig, aber trotzdem gibt es

solche tatsachlich im Spielkasino [?]. Mehr hierzu in dem Kapitel uber Kasino-

spiele.

Verschiedene Spiele: Und was macht der Spieler, wenn es Spiele Di gibt,

die nachteilig sind und solche die vorteilhaft sind? Er sucht sich die fur ihn

vorteilhaften aus. Bei diesen setzt er moglichst viel (=alles), bei den anderen

moglichst wenig (=nichts). Es reicht ihm, nur bei strikt vorteilhaften Spielen

(EDi > 0) alles zu setzen.

2.2 Stoppzeiten

Wir betrachten Stoppzeiten und Zeittransformationen durch eine Folge von

Stoppzeiten. Stoppzeit ist ein wesentlicher Begriff fur stochastische Prozesse

und Wahrscheinlichkeitstheorie.

Eine Abbildung τ : Ω 7→ IN0 heißt Stoppzeit bzgl. der Filtration F , fallsfur alle n ∈ IN0 gilt:

τ ≤ n ∈ Fn. (2.2)

Wir benutzen in naturlicher Weise erweiterte bzw. beschrankte Stoppzeiten,

falls der Bildbereich erweitert (= N0) oder beschrankt ist. Ergibt sich die Fil-

tration aus dem Kontext oder ist die kanonische Filtration eines bekannten

Prozesses gemeint, so entfallt die Angabe der Filtration. Standardmaıg ver-

wenden wir F0 als triviale σ-Algebra und lassen τ = 0 zu. (Dies impliziert

dann τ ≡ 0 oder τ > 0 f.s..) Stoppzeiten bezeichnen wir stets mit griechischen

Buchstaben wie τ oder σ.

Die konstante Abbildung ist eine Stoppzeit.

Proposition 23 Sei F eine Filtration und τ eine Stoppzeit dazu. Aquivalent

sind

i) τ ist eine erweiterte Stoppzeit.

ii) ∀n ∈ IN0 : τ = n ∈ Fn.

iii) ∀n ∈ IN0 : τ > n ∈ Fn.

Beweis: Einfach. i)⇔ ii) Fur die Hinrichtung benutze τ = n = τ ≤ n\τ ≤n − 1 ∈ Fn, da τ ≤ n ∈ Fn und τ ≤ n − 1 ∈ Fn−1 ⊂ Fn gilt. Die

Ruckrichtung ergibt sich aus τ ≤ n = ⋃ni=0τ = i.

ii) ⇔ iii) Dies ergibt sich aus τ > n = Ω\τ ≤ n ∈ Fn q.e.d.

Page 22: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2.2. Stoppzeiten (31. Januar 2017) 21

Sei T = T (Ω,A, P,F)) die Menge der Stoppzeiten zu der vorgegebenen

Filtration F , T zu den erweiterten Stoppzeiten.

Proposition 24 Der Raum der Stoppzeiten T ist abgeschlossen bezuglich abzahl-

barem Infimum, endlichem Supremum und endlicher Summe. Der Raum der

erweiterten Stoppzeiten T ist abgeschlossen bezuglich abzahlbarem Infimum,

abzahlbarem Supremum und abzahlbarer Summe.

Beweis: Sei τi, i ∈ IN eine abzahlbare Folge von Stoppzeiten. Das abzahlbare

Infimum bzw. Supremum erfullt die Stoppzeiteigenschaft, da gilt

infiτi ≤ n =

i

τi ≤ n ∈ Fn, supi

τi ≤ n =⋂

i

τi ≤ n ∈ Fn.

Es verbleibt nachzuprufen, unter welchen Bedingungen das Infimum oder Su-

premum wieder eine Stoppzeit oder erweiterte Stoppzeit im jeweiligen Raum

ist.

Die Summe von zwei Stoppzeiten τ1, τ2 ist eine Stoppzeit wegen

τ1 + τ2 ≤ n =n∑

i=0

(τ1 = i ∩ τ2 ≤ n− i) ∈ Fn

fur alle n. Fur die abzahlbare Summe argumentiere

i

τi ≤ n = limN→∞

i≤N

τi ≤ n ∈ Fn.

q.e.d.

Warnung: Die Differenz von Stoppzeiten ist im allgemeinen keine Stopp-

zeit. (Ubung mit τ − 1.)

Das Standardbeispiel einer erweiterten Stoppzeit fur einen stochastischen

ProzessX mit Werten in (E, E) sind erste Eintrittszeiten (bzw. Austrittszeiten)

aus einer (meßbaren) Menge B ∈ E aus dem Zustandsraum

τB(ω) := infn : Xn(ω) ∈ B = infn : Xn(ω) 6∈ B.

Wir benutzen die Konvention inf ∅ :=∞.

Heuristik: Eine Stoppzeit ist eine genaue Handlungsanweisung fur jede

auftauchende Situation, die so genau definiert ist, dass ein Rechner diese ausfuhren

konnte. Diese Handlungsanweisung wird gegeben bevor die Situation eintritt.

Aktien: Wann sollte ein Spieler eine Aktie verkaufen? Dies ist ein Stopp-

problem. Abhangig von der Information bis zum Zeitpunkt n, grob gesagt der

Historie der Aktienkurse Xm, m ≤ n bis zu diesem Zeitpunkt, entscheidet sich

der Spieler fur halten oder abstoßen. Der Verkaufszeitpunkt ist eine Stoppzeit,

z.B. wenn der Wert Xn eine vorgegeben Schranke uberschreitet.

Page 23: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

22 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

2.2.1 Optional Sampling Theorem revisited

Sei (X,F) ein adaptierter Prozess und τ eine Stoppzeit bzgl. der gegebenen

Filtration. Der Prozeß

Xτ := (Xn∧τ )n (2.3)

mit a ∧ b = mina, b, (Xτ∧n)(ω) := (Xn∧τ(ω))(ω) heißt gestoppter Prozeß.

Der Prozess Xτ laßt sich auch als transformierter Prozess XCn sehen bzgl.

dem vorhersehbaren Prozess C = (Cn)n definiert durch Cn := 11n≤τ . Der C-

transformierte Prozeß XC erfullt

XCn =

n∑

i=1

CiDi + x0 =n∧τ∑

i=1

Di + x0 = Xτ∧n

mit Di = Xi −Xi−1 die Differenzen und xo = X0.

Korollar 25 (Optional Sampling Theorem 2) Sei (X,F) ein Martingal

(Sub-, Super-) und τ eine erweiterte Stoppzeit. Dann ist ((Xτ∧n)n,F) ein Mar-

tingal (Sub, Super-). Die Funktion

n 7→ E(Xτ∧n)

ist eine konstante (aufsteigende, absteigende) Funktion.

Fur Stoppzeiten τ ≤ σ und Submartingale (Super-) gilt

EXτ∧n ≤≥ EXσ∧n

Beweis: Die erste Aussage folgt aus Theorem 21 mit der Darstellung Xτ∧n =

XCn . Die zweite aus der ersten und die dritte aus Lemma 22. q.e.d.

Kartenraten: Gegeben sei ein verdeckter Stapel gut gemischter Karten

mit je 26 roten und 26 schwarzen Karten, ein normales Bridgeblatt (Rommee-

oder Canasta-). Der Spieler gewinnt genau dann, wenn er eine rote Karte richtig

vorhersagt nach folgender Prozedur:

• Falls er die oberste zugedeckte Karte als”Rot “vorhersagen mochte, be-

kommt er sie. Ist es eine rote, hat der Spieler gewonnen, sonst verloren.

• Falls nicht wird die oberste Karte gezogen, gezeigt und beiseite gelegt.

Neustart mit dem Reststapel.

• Falls der Spieler keine Karte bis zur letzten wahlt, bekommt er die letzte

zugewiesen.

Page 24: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2.2. Stoppzeiten (31. Januar 2017) 23

Gefragt wird nach einer Strategie (=Stoppzeit), die seine Gewinnwahrschein-

lichkeit optimiert bzw. echt großer als 1/2 macht.

Heuristik: Wenn der Spieler die erste Karte vorhersagen mochte, hat er

eine Gewinnwahrscheinlichkeit von genau 12 . Dasselbe gilt fur die letzte Karte

aus Symmetrie. Die letzte Karte bekommt er auch, falls er vorher keine Vorher-

sage machen wollte. Falls der Spieler also keine bessere Wahl vorher findet, so

kann er stets auf diese letzte Karte zuruckgreifen. Was immer auch wahrend der

Ziehphase geschieht, die letzte Karte wird wahrend der Auswahlprozedur nicht

verandert und behalt damit ihre Wahrscheinlichkeit von 1/2, rot zu sein. Der

Spieler kann folglich stets eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 1/2 garantieren.

In einigen Fallen hat der Spieler aber eine bessere Auswahlmoglichkeit. Falls

nach gewisser Zeit, z.B. die erste Karte war schwarz, mehr schwarze Karten als

rote gezogen wurden, verbleiben in dem zugedeckten Stapel relativ mehr ro-

te Karten als schwarze. Wenn der Spieler jetzt die oberste Karte wahlt, ist die

Wahrscheinlichkeit einer roten Karte strikt großer als 1/2, genauer der Quotien-

ten der Anzahl der roten Karten mit der Gesamtanzahl der noch verbliebenen

zugedeckten Karten. Falls sich keine dieser vorteilhaften Situationen ergibt,

kann der Spieler stets auf die letzte zur zuckgreifen. Da gunstige Situationen

wie oben beschrieben mit strikt positiver Wahrscheinlichkeit vorkommen, ist

die Gesamtwahrscheinlichkeit fur eine richtige Vorhersage des Spielers strikt

großer als 1/2. (Diese Strategie ließe sich noch optimieren, aber wir sind zu-

frieden mit strikt großer als 1/2.)

Die Ergebnisse scheinen sich zu widersprechen. Oder gibt es hier ein Lucke

in der Argumentation? Wenn ja, welche?

Mathematische Losung: Seien X1, . . . , X52 Zgn mit Werten in 0, 1. Die

Verteilung entspricht dem zufalligen Ziehen aus einer Urne mit 26 schwarzen

(=0) und 26 roten (=1) Karten ohne zurucklegen (Polya’s Urnenmodell mit

c = −1). Xi = 1 entspricht dem Ziehen einer roten Kugel in der i-ten Ziehung.

Sei

Yn := E(Xn+1 | Fn),

Fn die kanonische σ-Algebra erzeugt von X1, . . . , Xn. Die Zg Yn gibt die Wahr-

scheinlichkeit an, daß die nachste oberste verdeckte Karte rot ist, gegeben die

Kenntnis X1, . . . , Xn der ersten n Karten.

Der Spieler wahlt eine Stoppzeit τ (=Auswahlregel) und erhalt die nachste

Karte mit Gewinnwert Xτ+1. Sein erwarteter Gewinn ist EYτ . Der Spieler

versucht seinen erwarteten Gewinn zu maximieren durch Wahl einer optimalen

Stoppzeit, falls diese existiert. Er erhalt supτ E(Yτ ).

Die Schlusselbeobachtung ist, daß (Yn)51n=0 ein Martingal ist.

E(Yn+1 | Fn) = E(E(Xn+2 | Fn+1) | Fn) = E(Xn+2 | Fn) = Yn.

Page 25: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

24 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Nach dem Optional Sampling Theorem sind alle Stoppzeiten gleich gut, E(Yτ ) =

Y0 = 1/2. Die erwartete Gewinnwahrscheinlichkeit ist stets 1/2, unabhangig

von den Aktionen des Spielers, lieber Dummy.

Wo liegt der Pferdefuß in der heuristischen Argumentation? Er liegt im

Gebrauch von W-keiten und bedingten W-keiten. Es gilt stets Yn = E(Xi | Fn)

fur i = n + 1, . . . , 52, da die verbleibenden Karten austauschbar sind. Die

nachste Karte gewinnt stets mit derselben W-keit wie die letzte, gegeben die

Vorinformation. Also kann ich gleich bei der letzten bleiben. Und wenn ich

Vorabinformationen uber die ersten nKarten besitze, muß ich auch die bedingte

W-keit betrachten, das die letzte Karte gewinnt. Und diese ist nicht immer 1/2.

Wenn ich bis zur letzten nicht vorhergesagt habe und die letzte nehmen muss,

so ist die W-keit fur eine rote 0 oder 1. Die letzte Karte ist zwar unverandert

durch die vorhergehende Prozedur, aber die bedingte W-keit, das die letzte

Karte rot ist, hat sich durch die Vorabinformation geandert, von 12 am Anfang

zu 0 oder 1.

σ-Algebra der τ-Vergangenheit*

Sei (Fn) eine Filtration und τ eine erweiterte Stoppzeit. Das Mengensystem

Fτ := A ∈ A | ∀n ∈ T : A ∩ τ ≤ n ∈ Fn

heißt die σ-Algebra der τ-Vergangenheit. Wie der Name suggeriert, ist dies

eine σ−Algebra.

Proposition 26 Seien τ, σ erweiterte Stoppzeiten.

(i) Fτ ist eine σ-Algebra.

(ii) Fur τ ≡ n gilt Fτ = Fn.

(iii) Fur τ ≤ σ gilt Fτ ⊂ Fσ.

(iv) A ∈ Fτ ⇔ ∀n : A ∩ τ = n ∈ Fn

(v) Fur jedes A ∈ Fτ gilt A =⋃ n(A ∩ τ = n)

(vi) Fur eine Stoppzeit τ gilt E(· | Fτ ) =∑

i∈IN011τ=iE(· | Fi).

(vii) Sei (X,F) ein Martingal (Sub-, Super-), σ eine beschrankte Stoppzeit. Es

gilt

E(Xσ | Fτ ) =(≥,≤) Xσ∧τ .

Page 26: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

2.2. Stoppzeiten (31. Januar 2017) 25

Beweis: i) Fτ ist nicht leer und mit A ∈ Fτ gilt auch Ac ∈ Fτ wegen Ac ∩τ ≤n = τ ≤ n\(A ∩ τ ≤ n) ∈ Fn. Fur Ai ∈ Fτ , i ∈ IN, gilt

(⋃

i

Ai) ∩ τ ≤ n =⋃

i

(Ai ∩ τ ≤ n) ∈ Fn.

ii) Die Menge τ ≤ i ist leer oder ganz Ω.

iii) Fur alle ω bis auf eine Nullmenge gilt τ(ω) ≤ σ(ω) und damit σ ≤n ⊂ τ ≤ n. Fur A ∈ Fτ gilt

A ∩ σ ≤ n = A ∩ τ ≤ n︸ ︷︷ ︸

∈Fn

∩σ ≤ n ∈ Fn.

iv)v) Leicht.

vi) Fur jedes A ∈ Fτ und integrierbare Zg Y gilt

A

E(Y | Fτ ) =

A

Y =∑

i

11A∩(τ=i)Y =∑

i

A

11τ=iE(Y | Fi).

Beide Seiten sind Fτ meßbar. Damit sind die bedingten Erwartungen gleich.

vii) E(Xσ | Fτ ) =∑

i 11τ=iE(Xσ | Fi) =(≥,≤)

i 11τ=iXσ∧i = Xσ∧τ . Beide

Seiten sind Fτ meßbar und damit gleich. q.e.d.

Satz 27 Sei (X,F) ein Martingal (Sub-, Super-) und τ eine Stoppzeit. Dann

ist, sofern integrierbar, Xτ+n, n ∈ IN0 ein Martingal (Sub-, Super-) bezuglich

(Fτ+n)n.

Beweis: Wir geben die Argumentation nur fur ein Martingal.

E(Xτ+n+1 | Fτ+n) =∑

j

11τ+n=jE(Xj+1 | Fj) =∑

j

11τ+n=jXj = Xτ+n.

q.e.d.

Korollar 28 Sei τ0 ≡ 0 und τm : Ω→ 1, . . . , N, m ∈ IN, eine aufsteigende

Folge von beschrankten Stoppzeiten bzgl. einer Filtration F und (X,F) ein

Martingal (Sub-, Super-). Dann ist (Xτm)m∈IN0ein Martingal (Sub-, Super-)

bezuglich der Filtration (Fτm)m.

Beweis: Wir geben die Argumentation nur fur ein Martingal. Der Prozess

(Xτ1+n,Fτ1+n)n∈IN0ist ein Martingal. τ2 ist eine Stoppzeit bezuglich der Filtra-

tion (Fτ1+n)n. Folglich ist durch erneute Anwendung von Satz (27)Xτ1 , Xτ2 , Xτ2+1, . . .

ein Martingal bezuglich Fτ1 ,Fτ2 ,Fτ2+1, . . . . Mit Induktion (Ubung) erhalten

wir die Aussage. q.e.d.

Page 27: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

26 (31. Januar 2017) Martingaltransformierte

Warnung: Aus x0 = E(Xτ∧n) fur alle n folgt im allgemeinen nicht x0 =

E(Xτ ), selbst fur Martingale nicht. Das Martingal (verdoppeln des Einsat-

zes bis zum ersten Gewinn) ist ein Gegenbeispiel, Mτ ≡ 1 fast sicher, aber

E(Mτ∧n) = 0 mit τ die Stoppzeit zum ersten Mal die 1 zu erreichen.

Page 28: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

3 Fast sichere Konvergenz

Besonders wichtige Martingalkonvergenzarten sind fast sichere Konvergenz (Doob-

sche Konversatz), die L1-Konvergenz (Regularitat) und die L2-Konvergenz

(Hilbertraum). Wir betrachten alle in getrennten Kapiteln.

Satz 29 (Doob Konvergenzsatz) Sei X ein Submartingal und sei supn∈IN E(X+n ) <

∞. Dann konvergiert Xn fast sicher gegen eine reellwertige Zufallsvariable.

Dreh- und Angelpunkt fur die fast sichere Konvergenz ist das Doob Upcros-

sing Lemma.

3.1 Doob Upcrossing Lemma

Wir zeigen hier die fundamentale Upcrossing-Ungleichung, auf der mehrere

wichtige Konvergenzsatze aufbauen. Die wesentliche Idee ist der Begriff der

aufsteigenden Uberquerungen.

Definition 30 Sei x = (xn)n∈IN eine abzahlbare Folge erweiteter reeller Zah-

len und I = (a, b), a < b ein offenes Intervall. Die Anzahl U = U(I, x) der

aufsteigenden Uberquerungen von I durch die Folge x ist das Supremum aller

naturlichen Zahlen l ∈ IN0, sodaß es Indizes n1 < n2 < n3 < n4 < . . . <

n2l−1 < n2l gibt mit xn2i−1≤ a und xn2i

≥ b fur 1 ≤ i ≤ l.

Das folgende Bild zeigt die geometrische Bedeutung. In dem Bild sind die Punk-

te (n, xn) in der Ebene aufgetragen und durch Geraden verbunden. Die auf-

steigenden Uberquerungen sind fetter eingezeichnet.

27

Page 29: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

28 (31. Januar 2017) Fast sichere Konvergenz

1 2

a

b

n1 n2 n3 n4 n5 n6

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

r

Die Anzahl ist U((4, 8), (6, 3, 2, 6, 5, 9, 10, 4, 8, 7, 5, 3, 6, 2, 8, 9)) = 3.

Eine aquivalente Beschreibung ist via der speziellen Folge, τ1 := infn |xn ≤ a τ2 := infn > τ1 | xn ≥ b τ3 := infn > τ2 | xn ≤ a usw. Allgemein:

τ2i := infn > τ2i−1 | xn ≥ b, τ2i+1 := infn > τ2i | xn ≤ a.

Dann gilt

U(I, x) = supl | n2l <∞.

Die Bedeutung aufsteigender Uberquerungen liegt in folgendes Konvergenz-

kriterium fur Folgen.

• Eine Folge x von erweiterten reellen Zahlen konvergiert in den erweiterten

reellen Zahlen dann und nur dann, falls fur jedes offene, nicht leere Intervall

I = (a, b), a < b ∈ IR die Anzahl der (aufsteigenden) Uberquerungen U(I, x)

endlich ist.

Die folgenden Eigenschaften fur eine endliche Folge x sind einfach beweis-

bar. Sei I = (a, b). Wir verwenden fur c ∈ IR x−c = (xn−c)n, x∨c = (xn∨c)nund weiteres sinngemas. (τi)i ist obige Folge (von Stoppzeiten). Aus schreib-

technischen Grundes sei x∞ = −∞.

• ∀c ∈ IR U(I, x) = U(I − c, x− c)

• U(I, x) = U(I, x ∨ a) = U(I, x ∧ b)

• U(I, x) = U(I, (xτi)i∈IN )

• U(I, (xτi)i) = 1τ2<∞ + U(I, (Xτi)i≥3).

• Fur n2i <∞ gilt ≤ xn2i−xn2i−1

b−a .

Page 30: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

3.1. Doob Upcrossing Lemma (31. Januar 2017) 29

Damit erhalten wir

U(I, x) ≤∑

i|n2i<∞

xn2i− xn2i−1

b− a.

Lemma 31 (Upcrossing Lemma von Doob) Die erwartete Anzahl der auf-

steigenden Uberquerungen eines Intervall I = (a, b), a < b, durch ein Submar-

tingal X ist

E(U(I,X)) ≤ supn

E(Xn − a)+

b− a. (3.1)

Beachte, die Abbildung n 7→ E(Xn − a)+ ist isoton und der Grenzwert fur

n→∞ gleich dem Supremum uber n. Dasselbe gilt fur Stoppzeiten.

Beweis: Alles ist wohldefiniert. U ist eine pfadweise definierte Zg. Der Pro-

zess Y = X ∨ a ist ein Submartingal mit ebensovielen aufsteigenden Uberque-

rungen U(I − a, Y ) von (0, b− a) wie das Submartingal X bzgl. I = (a, b). Aus

schreibtechnischen Grunden sei Y∞ = 0.

Seien die τi rekursiv definiert wie oben fur den Y bzw. X Prozess. Die τisind erweiterte Stoppzeiten. Setze Y∞ = a. Dann ist (Yτi)i ein Submartingal

mit derselben Uberkreuzungsanzahl.

U(I,X) = U(I − a, Y ) =∑

i

1τ2i<∞ ≤∑

i

Yτ2i − Yτ2i−1

b− a

=1

b− alim infN→∞

i

11τ2i≤N (Yτ2i − Yτ2i−1)

≤ 1

b− alim infN→∞

i

(Yτ2i∧N − Yτ2i−1∧N )

(b− a)EU(I,X) ≤ E limN

i

(Yτ2i∧N − Yτ2i−1∧N )

≤ limN

i

(EYτ2i∧N − EYτ2i−1∧N )

≤ limN

i

(EYτ2i∧N − EYτ2i−2∧N11i>1)

≤ limN

(EYN − 0) = limN

E(XN − a)+ = supN

E(XN − a)+

q.e.d.

Das Doobsche Upcroosinglemma gilt auch fur Martingale (Xn)n≤N mit end-

lichem Zeithorizont N ∈ IN. Erweitere den Zeitparameter durch Xn = XN fur

n > N.

Page 31: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

30 (31. Januar 2017) Fast sichere Konvergenz

3.1.1 Fast sichere Konvergenz

Satz 32 (Doob Konvergenzsatz) Sei X ein Submartingal und sei supn∈IN E(X+n ) <

∞. Dann konvergiert Xn fast sicher gegen eine reellwertige Zufallsvariable.

Beweis: Sei A := lim infn Xn < lim supn Xn und Aa,b := lim infXn < a <

b < lim supXn.• P (Aa,b) = 0 fur alle a < b.

Jeder Pfad n 7→ Xn(ω) fur festes ω ∈ Aa,b uberquert aufsteigend unendlich

oft das Intervall (a, b). In Formeln

Aa,b ⊂ U((a, b), X) =∞.

Das Doob Upcrossing Lemma liefert

E(U((a, b), X)) ≤ limn→∞

E(Xn − a)+

b− a<∞.

Dies beides impliziert P (Aa,b) ≤ P (U((a, b), X) =∞) = 0.

• A ist eine Nullmenge.

Beachte A ist enthalten in der Vereinigung aller Aa,b mit rationalen Zahlen

a < b. Damit ist A eine Nullmenge.

• Xn konvergiert fast sicher gegen eine erweiterte Zg Y : Ω 7→ IR

Dies gilt auf dem Komplement von A pfadweise.

• Y ist fast sicher endlich.

Aus Tschebycheff und Proposition (16) erhalten wir fur c > 0,

P (|Y | > c) ≤ lim infn

P (|Xn| > c) ≤ lim infn

E|Xn|c≤ 1

clim inf

n(2EX+

n −x0) =1

c(2 sup

nEX+

n −x0)→c→∞ 0.

q.e.d.

Korollar 33 Jedes positive Supermartingal insbesondere Martingal ist fast si-

cher konvergent.

Beweis: Doobscher Konvergenzsatz.

3.2 Klassische Resultate zur fast sicheren Mar-

tingalkonvergenz.

Um einen kleinen Eindruck von der Starke des Doobschen Konvergenzsatzes zu

gewinnen, wollen wir klassische starke Konvergenzatze fur Summen unabhangi-

ger Zgn ableiten. Die Partialsummen Sn =∑n

i=1 Xi unabhangiger zentrierter

Page 32: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

3.2. Klassische Resultate zur fast sicheren Martingalkonvergenz. (31. Januar 2017) 31

(integrierbarer) Zgn bilden ein Martingal,

E(Sn+1 | An) = Sn + E(Xn+1 | An)︸ ︷︷ ︸

=E(Xn+1)=0

.

Satz 34 (Levy) Seien Xn, n ∈ IN, unabhangige, zentrierte Zufallsgroßen mit∑

n∈IN Var(Xn) <∞. Dann konvergiert die n-te Partialsumme Sn =∑n

i=1 Xi

fast sicher gegen einen endlichen und wohldefinierten Wert genannt∑∞

i=1 Xi.

Beweis: Wir rechnen das Doobsche Kriterium aus Satz 29 nach.

E2(S+n )

Jensen≤ E(S2

n) =n∑

i=1

VarXi ≤∞∑

i=1

VarXi <∞.

Diese Abschatzung ist unabhangig von n. q.e.d.

Beispiel: Seien X1, X2, . . . Zufallsvariablen mit Werten +1 und −1 je-

weils mit Wahrscheinlichkeit 1/2. Sei cn, n ∈ IN eine Folge reeller Zahlen mit∑

n c2n < ∞. Dann ist

n cnXn (in dieser Reihenfolge) fast sicher punktweise

wohldefiniert. Beachte die Summe muß nicht absolut konvergieren,∑

n |cnXn| =∑

n |cn| kann unendlich sein. Das Standardbeispiel ist cn = 1n .

Als nachstes ein wohlbekannter Hilfssatz fur Folgen, das Kronecker-Lemma.

Lemma 35 (Kronecker) Seien an, bn, n ∈ IN zwei Folgen reeller Zahlen.

Die Folge bn sei strikt positiv und strikt steigend gegen ∞. Dann gilt:

n∑

i=1

aibi

konvergent =⇒ limn→∞

1

bn+1

n∑

i=1

ai = 0

.

Beweis: Setze sn :=∑n

i=1 ai/bi und s := limn sn als Grenzwert der sn. Sei

(cn)n eine strikt positive Folge und∑n

i=1 ci →n ∞. Dann konvergiert die Folgec1s1+...+cnsn

c1+...+cnebenfalls gegen s.

Wahle dazu zu vorgegebenem ǫ ein n0 mit |sn − s| < ǫ fur alle n ≥ n0.

Dann gilt∑n

i=1 cisi∑n

j=1 cj= s+

∑n0

i=1 ci(si − s)∑n

j=1 cj+

∑ni=n0+1 ci(si − s)

∑nj=1 cj

Mit n→∞ and anschließend ǫ→ 0 erhalten wir die Behauptung.

Fur die spezielle Folge cn := bn+1 − bn, n ≥ 1 sind die Voraussetzungen

cn > 0 und∑n

i=1 ci = bn+1 − b1 → ∞ erfullt. Wir erhalten

∑n

i=1cisi

bn+1→n s.

Aus der Identitatn∑

i=1

cisi = . . . = bn+1sn +

n∑

i=2

bi(si−1 − si)− b1s1

Page 33: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

32 (31. Januar 2017) Fast sichere Konvergenz

erhalten wir die nach Division durch bn+1

1

bn+1

n∑

i=1

cisi = sn −1

bn+1

n∑

i=1

ai −a1

bn+1.

Mit dem Grenzubergang n→∞ folgt die Behauptung. q.e.d.

Satz 36 (Satz von Kolmogoroff) Sei (bn)n eine strikt positive, gegen un-

endlich aufsteigende Folge. Sei X1, X2, . . . eine Folge unabhangiger, zentrierter

Zgn mit∑∞

n=1Var(Xn)

b2n<∞. Dann konvergiert Sn

bnfast sicher gegen 0.

Beweis: Die Zg Mn :=∑n

i=1Xi

biist eine Partialsumme unabhangiger Zgn. Der

Satz von Levy liefert die fast sichere Konvergenz von Mn gegen eine endliche

Zufallsvariable M∞ :=∑∞

i=1Xi

bi. Aus Kroneckers Lemma erhalten wir fast

sicher Sn

bn→ 0. q.e.d

Die Standardsituation ist die einer Folge von zentrierten uiv Zgn mit end-

licher Varianz und bn = nβ . Der Satz von Kolmogoroff liefert

Sn

f.s.→n→∞ 0

fur jedes β > 1/2. Dies ist eine Verscharfung des Starken Gesetzes der Grosen

Zahl, welches Sn

n

f.s.→n 0 besagt.

Fur β = 1/2 gilt∑

VarXn/n2β =∞ und der Satz von Kolmogoroff ist nicht

anwendbar. Der Zentrale Grenzwertsatz liefert noch Verteilungskonvergenz:

Sn√n

d→n N(0,Var(X1)).

3.2.1 Kolmogoroff drei Reihen Satz*

Dies ist eine Umkehrung des Satzes von Levy 34.

Satz 37 Seien Xn, n ∈ IN, unabhangige, zentrierte und gleichmasig beschrank-

te Zufallsvariablen.

Die Partialsumme Sn =∑n

i=1 Xi konvergiert fast sicher gegen eine Zg dann

und nur dann, wenn die Summe∑

n VarXn der Varianzen der Zuwachse Xn

endlich ist.

Im allgemeinen konvergiert Sn punktweise entweder mit Wahrscheinlichkeit

0 oder mit Wahrsch. 1.

Beweis: Die Ruckrichtung ist der Satz von Levy 34. Nun zur Hinrichtung. Seien

die Xn gleichmaßig beschrankt durch c. Definiere die Stoppzeiten τ = τC =

infn | |Sn| > C fur eine reelle Zahl C.

Page 34: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

3.2. Klassische Resultate zur fast sicheren Martingalkonvergenz. (31. Januar 2017) 33

• |Sτ∧n| ≤ c+ C

Der Fall τ > n ist einfach und im Falle τ ≤ n argumentiere

|Sτ∧n| = |Sτ−1 +Xτ | ≤ |Sτ−1|+ |Xτ | ≤ c+ C.

• Es existiert ein C mit P (τC =∞) > 0.

Da Sn fast sicher konvergiert, folgt supn |Sn| ist beschrankt f.s. und P (τC =

∞)րC 1.

• Mn := S2n −An mit An :=

∑ni=1 Var(Xi), ist ein Martingal.

E(Mn+1 −Mn | An) = E(X2n+1 − 2Xn+1Mn −VarXn+1 | An) = 0.

• E(Aτ∧n) = E(S2τ∧n) ≤ (c+ C)2 <∞.

Mτ∧n ein Martingal und das Optinal Sampling Theorem liefert 0 = E(Mτ∧n) =

E(S2τ∧n)− E(Aτ∧n).

• A∞ :=∑

n∈IN VarXn <∞Fur C mit P (τC =∞) > 0 argumentiere

AnE11τ=∞ ≤ E(Aτ∧n) ≤ (c+ C)2 <∞

und damit An ist gleichmasig beschrankt.

Zur letzten Aussage konvergiere Sn auf einer Menge von strikt positivem

Maß. Auf dieser Menge gelten die obigen Behauptungen und analog zum obigen

konnen wir A∞ <∞ schließen. Dies impliziert seinerseits fast sichere Konver-

genz der Partialsummen via dem Satz von Levy. q.e.d.

Beispiel: Seien X1, X2, . . . unabhangige Zufallsgroßen mit Werten +1 und

−1 jeweils mit Wahrscheinlichkeit 1/2 und sei cn, n ∈ IN, eine Folge reeller

Zahlen.∑∞

n=1 cnXn ist fast sicher punktweise wohldefiniert dann und nur dann,

wenn∑∞

n=1 c2n <∞ gilt. Die Reihe

n cnXn konvergiert absolut genau dann,

wenn∑∞

n=1 |cn| < ∞ gilt. Im Falle cn = 1/n konvergiert die Folge∑

i≤n ciXi

fast sicher, aber nicht absolut.

Satz 38 (Dreireihensatz von Kolmogoroff) Sei Xn, n ∈ IN, eine Folge

unabhangiger Zgn. Dann konvergiert Sn =∑n

i=1 Xi fast sicher dann und nur

dann, wenn es eine Konstante c > 0 gibt bzgl. der alle folgenden drei Reihen

gegen einen endlichen Grenzwert konvergieren

n

P (|Xn| > c) (3.2)

n

E(Xn11|Xn|≤c) (3.3)

Page 35: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

34 (31. Januar 2017) Fast sichere Konvergenz

n

Var(Xn11|Xn|≤c) (3.4)

Konvergieren die Reihen fur eine Konstante c > 0, so fur alle Konstanten.

Konvergiert Sn auf einer Menge von strikt positivem Maß, so fast sicher uberall.

Beweis: Wir zeigen die Hinrichtung. Sei c > 0 beliebig. Betrachte die abge-

schnittenen Zufallsgroßen X(c)n := 11|Xn|≤cXn. Wir verwenden auch S

(c)n =

i≤n X(c)i .

• Konvergenz der ersten Reihe.

Da Sn fast sicher konvergiert treten die Ereignisse |Xn| > c nur endlich oft

ein mit Wahrscheinlichkeit 1. Der Satz von Borel-Cantelli impliziert Konvergenz

der ersten Reihe.

• Sn konvergiert f.s. genau dann wenn S(c)n f.s. konvergiert.

Die Differenz Sn−S(c)n =

i≤n Xi11|Xi|>c <∞ ist stets endlich, da |Xn| > c

nur endlich oft eintritt.

• Die dritte Reihe konvergiert.

Wir benutzen jetzt einen Symmetrisierungtrick von Levy. Wahle weitere un-

abhangige Zgn Xn, n ∈ IN mit Xn habe dieselbe Verteilung wie Xn und

verwende S(c)

n analog. Dann konvergiert S(c)n − S

(c)

n wegen dem vorherigen

fast sicher. Dies ist auch die Partialsumme von unabhangigen zentrierten Zgn

X(c)n − X

(c)

n . Nach der Umkehrung des Satzes von Levy, 37 schließen wir auf∑

n Var(X(c)n −X

(c)

n ) <∞. Mit Var(X(c)n −X

(c)

n ) = 2Var(X(c)n ) folgt die Kon-

vergenz der dritten Reihe.

• Die zweite Reihe konvergiert.

Die Konvergenz der dritten Reihen impliziert laut dem Satz von Levy 34 die

Konvergenz von∑n

i=1(X(c)i −EX

(c)i ) = S

(c)n −

∑ni=1 EX

(c)i .Mit der Konvergenz

von S(c)n ergibt sich die Teilbehauptung.

⇐ Die Konvergenz der dritten Reihe liefert nach dem Satz von Levy 34

die Konvergenz von∑n

i=1(X(c)i − EX

(c)i ). Dies zusammen mit der Konver-

genz der zweiten Reihe impliziert die Konvergenz von S(c)n . Dies zusammen mit

der Konvergenz der ersten Reihe impliziert nach Borel-Cantelli die fast sichere

Konvergenz von Sn.

Konvergiert Sn nur auf einer Menge von strikt positivem Maß, so zeige die

Konvergenz der Reihen nur auf dieser Menge. Da die Reihen deterministisch

sind, gilt die Konvergenz uberall. Damit auch die fast sichere Konvergenz von

Sn.

Konvergieren die Reihen fur ein c > 0, so konvergiert Sn fast sicher und

dann konvergieren die Reihen fur jedes c > 0. q.e.d.

Zur Anwendung noch einmal fast sichere Konvergenz von Partialsummen

von uiv Zgn.

Page 36: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

3.2. Klassische Resultate zur fast sicheren Martingalkonvergenz. (31. Januar 2017) 35

Satz 39 Seien Xn, n ∈ IN uiv zentrierte Zgn mit endlichem α-Moment E|X1|α <

∞ fur ein 1 < α < 2. Dann gilt∑

i≤nXi

i1/αkonvergiert fast sicher gegen eine

Zgn undSn

n1/α

f.s.→n 0.

Bew: Wegen dem Lemma von Kronecker reicht es nur die fast sichere Konver-

genz des ersten Ausdrucks zu beweisen. Wir verwenden den Drei-Reihen-Satz

von Kolmogoroff mit c = 1. Sei bn = n1/α und C generische Konstanten.

n

P (|Xn|bn≥ 1) =

n

P (|X1|α ≥ n) ≤ E|Xn|α <∞

n

|EXn

bn11|Xn|≤bn | =

n

|EX1

bn11|X1|≤bn |

=∑

n

|EX1

bn11|X1|>bn | ≤

n

E|X1|bn

11|X1|>bn |

= E|X1|∑

n

n−1/α11|X1|α>n

≤ E|X1|(C +

∫ |X1|α

1

x−1/αdx)

≤ E|X1|(C + C|X1|α(−1/α+1))

≤ C + CE|X1|α <∞∑

n

VarXn

bn11|Xn|≤bn ≤

n

EX2

n

b2n11|Xn|≤bn

=∑

n

EX2

1

b2n11|X1|≤bn ≤ EX2

1

n

n−2/α11|X1|α≤n

≤ EX21 (

∫ ∞

|X1|α−1

x−2/αdx)

≤ CEX21 (|X1|α(−2/α+ 1)) = CE|X1|α <∞

q.e.d.

Page 37: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

36 (31. Januar 2017) Fast sichere Konvergenz

Page 38: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

4 L1−Martingale

Der zweite großere Konvergenzsatz fur Martingale betrifft die L1-Konvergenz.

Diese kann nur vorliegen, wenn der Erwartungswert des Absolutbetrages be-

schrankt ist. Dann liegt nach Doob 29 auch fast sichere Konvergenz vor. Damit

reduziert sich die Fragestellung auf: Wann ist eine fast sicher konvergente Folge

auch L1-konvergent? Dies fuhrt auf gleichgradige Intergrierbarkeit.

Hier ein Beispiel fur ein Martingal, welches fast sicher konvergiert aber nicht

in L1.

Multiplikative Irrfahrt: Sei Xn, n ∈ IN eine Folge unabhangiger Zgn mit

Bernoulli Verteilung zum Parameter 1/2. Betrachte das positive Martingal

Kn :=n∏

i=1

(2Xi)

Dieses konvergiert f.s. gegen Null (Ubung). Kn konvergiert nicht in L1, da 0 der

einzig mogliche Grenzwert ist (der L1-Grenzwert ist gleich dem stochastischen

Grenzwert) und ‖Kn − 0‖1 ≡ 1 6= 0 gilt. Die Interpretation ist Kn als Kapital

eines Spielers der Martingalstrategie.

Eine verfeinerte Version ist das Petersburger Spiel.

Petersburger Spiel: SeiXn, n ∈ IN, eine Folge uiv Zgn mit strikt positiven

Werten. Wir wollen E(X1) > 1 und E(lnX1) < 0 annehmen. Definiere K0 = 1

und

Kn =n∏

i=1

Xi.

(Kn)n ist ein Submartingal. Der Erwartungswert E(Kn) = (E(X1))n konver-

giert exponentiell schnell gegen unendlich. Andererseits wissen wir nach dem

starken Gesetz der Großen Zahl lnKn

n konvergiert f.s. gegen E(lnX1) < 0,

lnKn

n=

1

n

n∑

i=1

lnXif.s.→n E(lnX1) < 0.

37

Page 39: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

38 (31. Januar 2017) L1−Martingale

Dies bedeutet Kn konvergiert f.s. gegen Null, aber Kn konvergiert nicht in L1.

Spielinterpretation: Dieser Effekt hat eine schone Interpretation. Ein

Spieler spiele obiges, fur ihn langfristig gunstiges Spiel. Kn ist sein Kapital

nach dem n−ten Teilspiel. Vor dem (n + 1)−Spiel darf er sich entscheiden,

das Kapital Kn als endgultigen Gewinn zu akzeptieren oder alles riskierend

weiterzuspielen um dann Kn+1 = KnXn+1 nach dem (n+ 1)−ten Spielzug zu

besitzen. (Mehr zur kuhnen Spielweise siehe die Sektion uber Kasinospiele.)

Um seinen erwarteten Gewinn zu maximieren, sollte der Spieler stets weiter-

spielen. Der bedingte erwartete Zugewinn Kn(E(Xn+1)−1) > 0 ist stets strikt

positiv. Andererseits wird der Spieler mit dieser Entscheidungsregel fast sicher

bankrott gehen (und dies relativ schnell). Dies laßt sich dadurch erklaren, daß

der Spieler fur große n mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit ein sehr großes Ka-

pital ansammeln wird, mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch das kleine Kapital

0.

Die Erwartung allein macht nicht glucklich!

4.1 L1−konvergente Martingale

Im folgenden wird der Begriff gleichgradige Integrierbarkeit, siehe Anhang, vor-

ausgesetzt.

Proposition 40 Sei X integrierbar. Dann ist die Familie E(X | B), mit Beine Unter-σ-Algebra, gleichgradig integrierbar.

Bew: Sei Y = E(X | B)

P (|Y | > c) ≤ E|Y |c≤ E|X|

c→c→∞ 0

|Y |>c

|Y | ≤∫

|Y |>c

|X| →c 0

Die Abschatzungen sind gleichmaßig. q.e.d.

Zur Wiederholung, es gilt fur Zgn Yn, n ∈ IN

YnL1

→n Y ⇔ Yns→n Y und ‖Yn‖ →n ‖Y ‖ <∞

⇔ Yns→n Y und gleichgradige Integrierbarkeit

Hierbei steht s fur stochastische Konvergenz, d.h. dem Maße nach.

Satz 41 Aquivalent fur ein Submartingal oder Supermartingale X sind:

Page 40: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

4.1. L1−konvergente Martingale (31. Januar 2017) 39

(i) Xn konvergiert in L1.

(ii) (Xn)n∈IN0ist gleichgradig integrierbar.

(iii) supn ‖Xn‖1 ist endlich und ‖Xn‖1 →n ‖X∞‖1 mit X∞ der fast sichere

Grenzwert von X.

(iv) Es existiert eine symmetrische positive Funktion ϕ mit ϕ(x)x →x→∞ ∞

und supn Eϕ(Xn) <∞.

Beweis: i)⇒ ii) Siehe die obigen allgemeinen Aquivalenzen.

ii) ⇒ iii) Aus der gleichgradigen Integrierbarkeit folgt supn ‖Xn‖1 < ∞.

Nach Doob konvergiert die Folge (Xn)n fast sicher und damit auch stochastisch.

Fur den Rest siehe oben.

iii)⇒ i) Verwende Doob und siehe oben.

iii)⇔ iv) Dies gilt allgemein, d.h. ohne die Martingalstruktur. q.e.d.

Von der obigen Funktion ϕ konnen noch mehr schone Eigenschaften gefor-

dert werden, wie z.B. konvex und unendlich oft differenzierbar.

Bsp: Lp-Martingale sind regular fur p > 1 (Satz 41iv).

4.1.1 Zeitabschluss

Zeitabschluß: Von Zeitabschluß sprechen wir, wenn wir den Prozess (X,F) =(Xn,Fn)n∈IN0

erweitern konnen zu einer Folge (Xn,Fn)n∈IN0unter Beibehal-

tung der Struktur.

Es gibt mehrere solche Erweiterungen. Eine besondere Rolle spielt die ’klein-

ste’ Erweiterung. Hierbei wird F∞ als kleinste σ-Algebra erzeugt durch alle

Fn, n ∈ IN gewahlt und X∞ als meßbar bzgl. F∞, d.h. bestimmt bereits durch

die Folge (X,F).Jedes L1-konvergente Martingal (Sub-,Super-) (X,F) laßt sich erweitern zu

einem Martingal (Sub-, Super- ) (Xn,Fn)n∈IN0durch den L1-Grenzwert X∞.

Dies ist gleichzeitig die kleinste Erweiterung.

Lemma 42 Fur eine integrierbare Zg Y ist X mit

Xn := E(Y | Fn)

ein regulares Martingal. Dieses konvergiert fast sicher und in L1 gegen densel-

ben Grenzwert X∞ = E(Y | F∞).

Beweis: • ‖Xn‖1 ≤ ‖Y ‖1 fur n ∈ IN.

‖Xn‖1 = E(|E(Y | Fn)|) ≤ E(E(|Y | | Fn)) = E(|Y |) = ‖Y ‖1 <∞.

• Xn ist gleichgradig integrierbar.

Page 41: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

40 (31. Januar 2017) L1−Martingale

Siehe Proposition (40)

• (X,F) ist ein Martingal.

Xn ist adaptiert, integrierbar und die Martingaleigenschaft wird mit der

Tower-Property nachgerechnet,

E(Xn+1 | Fn) = E(E(Y | Fn+1) | Fn) = E(Y | Fn) = Xn.

• Xn konvergiert fast sicher gegen eine Zg genannt X∞.

Dies folgt aus supn ‖Xn‖1 ≤ ‖Y ‖1 <∞ und dem Doob Konvergenzsatz 29.

• Xn konvergiert gegen X∞ in L1.

Aus gleichgradiger Integrierbarkeit und der fast sicheren Konvergenz von

Xn gegen X∞ folgt die L1-Konvergenz.

• Xn = E(X∞ | Fn) fast sicher.

Aus fast sicherer Konvergenz Xn → X∞ und gleichgradiger Integrierbarkeit

erhalten wir fast sicher

E(X∞ | Fn) = E(limi

Xi | Fn) = limi

E(Xi | Fn) = Xn.

• X∞ = E(Y | F∞) f.s.

Sei Z = E(Y | F∞. Aus E(X∞ | Fn) = E(Z | Fn) f.s. erhalten wir∫

AX∞ =

AZ fur alle A ∈ Fn, n ∈ IN. Damit auch fur die von Fn, n ∈ IN erzeugte

σ-Algebra F∞. Da beide Zgn X∞ und Z F∞ meßbar sind, folgt Gleichheit f.s..

q.e.d.

Satz 43 (Levy) Es gibt eine bijektive Abbildung zwischen integrierbaren F∞

meßbaren Zgn Y und L1−konvergenten Martingalen (X,F). Diese kann gege-

ben werden durch

Xn = E(Y | Fn).

Xn konvergiert fast sicher und in L1 gegen Y .

Beweis: Betrachte die Abbildung Y 7→ X = (E(Y | Fn))n. Diese Abbildung ist

wohldefiniert nach dem Lemma 42. Ferner konvergiert E(Y | Fn) in n fast sicher

gegen Y. Hieraus ergibt sich sofort die Injektivitat und auch die Surjektivitat

der Abbildung. q.e.d.

Wir benutzen L1-konvergente Martingale mit dem Zeitbereich IN0.

Korollar 44 Jedes L1−konvergente Martingal ist darstellbar als die Differenz

zweier positiver L1−konvergenter Martingale.

Bew: Sei X ein regulares Martingal. Zerlege X∞ = X+∞−X−

∞ in den Positivteil

und Negativteil und setze Yn = E(X+∞ | Fn), Zn = E(X−

∞ | Fn). Dann gilt

Xn = Yn − Zn. q.e.d.

Page 42: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

4.1. L1−konvergente Martingale (31. Januar 2017) 41

Bemerkung: Der Raum der L1−konvergenten MartingaleM1 versehen mit

der Norm ‖X‖1 = supn ‖Xn‖1 ist ein normierter Vektorraum, siehe die Bijek-

tion zu L1(F∞). Allgemeiner, wegen der Bijektivitat konnen wir den Raum

Lp(F∞), p ≥ 1 identifizieren mit einer Menge von Martingalen versehen mit

der Norm ‖X‖p = supn ‖Xn‖n.

Satz 45 (Kolmogoroff 0-1 Gesetz) Seien Xn, n ∈ IN uiv Zgn. Dann ist

die terminale σ-Algebra F∞ = ∩nFn, Fn := σ(Xn, Xn+1, . . .) trivial.

Bew: Sei Fn = σ(X1, X2, . . . , Xn) die kanonische Filtration und F ∈ F∞ ⊂F∞. Beachte Fn und F∞ sind unabhangig.

11F = E(11F | F∞) = limn

E(11F | Fn) = E(1F ) = P (F )

P (F ) ist eine Konstante und kann nur 0 oder 1 sein. q.e.d.

4.1.2 Regulaere Stoppzeiten

Eine der wesentlichen Anwendungen liegt im Optional Sampling Theorem EXτ =

EX1 fur Martingale X und regulare Stoppzeiten.

Eine Stoppzeit τ zur der Filtration F heißt regular bzgl. dem Martingal

(X,F) falls das Martingal (Xτ∧n,Fτ∧n)n L1−konvergent ist.Bem: L1−konvergente Martingale werden auch regular genannt.

Lemma 46 Sei X ein regulares Martingal bzgl. der Filtration F , X∞ der L1-

Grenzwert. Dann ist jede erweiterte Stoppzeit τ regular. Xτ hat die Darstellung

Xτ = E(X∞ | Fτ )

fur n ∈ IN. Fur jede Folge τm, m ∈ IN, von aufsteigenden Stoppzeiten ist

(Xτm ,Fτm)m ein regulares Martingal.

Beweis: Fur eine erweiterte Stoppzeit τ gilt

Xτ∧n =n∑

m=0

Xm11τ=m +Xn11τ>n

=n∑

m=0

11τ=mE(X∞ | Fm) + 11τ>nE(X∞ | Fn)

=

n∑

m=0

E(11τ=mX∞ | Fτ∧m) + E(11τ>nX∞ | Fτ∧n)

= E(X∞ | Aτ∧n).

Page 43: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

42 (31. Januar 2017) L1−Martingale

(Bedingt auf die Menge τ = m sind die σ−Algebren Fm und Fτ gleich.)

Hieraus folgt die Regularitat von τ, Satz 41. Mit n→∞ ergibt sich

Xτ = E(X∞ | Fτ ).

Der zweite Teil der Aussage folgt nach dem Satz 43 fur die Filtration (Fτm)m.

q.e.d.

Korollar 47 Sei X ein Martingal und τ eine regulare Stoppzeit. Dann ist jede

kleinere Stoppzeit σ ≤ τ regular und

Xσ∧n = E(Xτ | Fσ∧n).

Wann ist eine Stoppzeit regular? Das folgende Lemma beantwortet diese

Frage.

Lemma 48 Sei X ein Martingal und τ eine Stoppzeit. Aquivalent sind

(i) τ ist regular.

(ii) ‖Xτ∧n‖1 →n ‖Xτ‖1.

(iii) (Xτ∧n)n ist gleichgradig integrierbar.

Beweis: Dieses Lemma ist eine Jagd durch die vorhergenhenden Satze. Wir

uberlassen es dem Leser als Ubungsaufgabe und zur Kontrolle.

Korollar 49 (Optional Sampling Theorem) Sei τ eine regulare Stoppzeit

bzgl. dem Martingal (X,F). Dann gilt

EXτ = EX1.

Der nachste Abschnitt 7.1 bringt ein Beispiel.

Waldsche Identitat

Lemma 50 (Waldsche Identitat) Seien Xn, n ∈ IN , uiv Zgn, Sn die n−tePartialsumme

∑ni=1 Xi und τ eine integrierbare Stoppzeit.

i) Ist X1 integrierbar, so ist τ regular fur das Martingal (Sn−E(Sn))n. Es

gilt

E(Sτ ) = E(τ)E(X1) (4.1)

ii) Ist X1 quadratintegrierbar, so ist τ regular fur das Martingal ((Sn−E(Sn))2−

Var(Sn))n. Ferner gilt

E((Sτ − τE(X1))2) = E(τ)Var(X1). (4.2)

Page 44: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

4.1. L1−konvergente Martingale (31. Januar 2017) 43

Beweis: OEdA sei EX1 = 0.

Wir beginnen mit der L1−Konvergenz Sτ∧nL1

→n→∞ Sτ

‖Sτ∧n − Sτ‖1 = E|∑

m>n

Xm11τ≥m| ≤ E∑

m>n

|Xm|11τ≥m

=∑

m>n

E(11τ≥mE(|Xm| | Fm−1)) =∑

m>n

E(|X1|)E(11τ≥m)

= E(|X1|)E(τ11τ≥n)→n→∞ 0.

Obige bewiesene Eigenschaft zeigt die Regularitat von τ und damit ESτ = 0.

Nun zur zweiten Aussage. Der Einfachheit halber seien die X-Zgn zentriert.

Sei Mn := S2n − nσ2 mit σ2 die Varianz von X1.

• M ist ein Martingal.

Mn ist integrierbar und die Martingaleigenschaft wird nachgerechnet.

E(S2n | An−1) = E(S2

n−1 +X2n + 2Sn−1Xn | An−1) = S2

n−1 + E(X2n)

• τ ist regular.

Das Optional Sampling Theorem (OST) liefert EMτ∧n = M0 = 0 und

damit ES2τ∧n = σ2E(τ ∧ n). Dies impliziert die Teilaussage wegen

supn

E|Mτ∧n| ≤ 2σ2E(τ ∧ n) ≤ 2σ2Eτ <∞

• ES2τ = σ2Eτ

Dies erhalten wir aus dem OST fur regulare Stoppzeiten, EMτ = 0. q.e.d.

Bemerkung: Die Waldsche Identitat laßt vermuten, daß es ein ahnlich

gebautes Martingal gibt mit S3n, S

4n, . . . . Wie sehen diese aus? Das nachste ist

S3n−nσ2Sn−nEX3 fur zentrierte Zgn. Und dann? (Die Losung ist im Abschnitt

exponentielle Martingale.)

Folgerung 51 Seien Xn, n ∈ IN, uiv Zgn mit Werten −1 oder +1 mit Wahr-

scheinlichkeit 1/2. Sei Sn die Partialsumme und τc := infn | Sn ≥ c. Dann

gilt E(τ1) =∞.

Beweis: Ware Eτ1 <∞ so ergibt die Waldsche Identitat 1 = ESτ1 = E(τ1)E(X1) =

0 einen Widerspruch. q.e.d.

Bemerkung: Seien Xn, n ∈ IN, uiv integrierbare Zgn, c > 0.

Im Fall EX1 > 0 gilt P (τc <∞) = 1 und Eτc <∞.

Im Fall EX1 = 0 gilt P (τc <∞) = 1 und Eτc =∞.

Im Fall EX1 < 0 gilt P (τc <∞) < 1 und Eτc =∞.

Mit Hilfe der Abschneidetechnik lassen sich einige Resultate fur nicht integrier-

bare X−Zgn zeigen, sofern deren Positiv- oder Negativteil integrierbar ist.

Page 45: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

44 (31. Januar 2017) L1−Martingale

Spielstrategie: Einfache Chance Ein Spieler am Roulettetisch setzt stets

eine Einheit auf einfache Chance, sagen wir stets auf Rot (Gewinnchance p <

1/2). Er spielt solange, bis er insgesamt eine Einheit gewonnen hat. Er darf

beliebig viel Kredit aufnehmen. Die Wald Identitat besagt, daß dieser Spieler

eventuell sehr lange spielen muß, der Erwartungswert seiner Spielzeit ist ∞.

Mit strikt positiver Wahrscheinlichkeit muß der Spieler sogar lebenslang spielen.

Selbst wenn wir die fur den Spieler nachteilige grune Zahl nicht berucksichtigen

(p = 1/2), bleibt der Erwartungswert der Spieldauer unendlich. Wird dem

Spieler nur begrenzter Kredit gegeben, so spielt er nur endlich oft, bis er pleite

ist oder eine Einheit gewonnen hat.

Verdoppelungsstrategie oder Martingalstrategie: Der Spieler spielt

am Roulette die Martingalstrategie. Er setzt jeweils auf einfache Chance, sagen

wir stets auf Rot, die mit W-keit p ∈ (0, 1) kommt.

• Gewinnt er, so verlaßt er mit seinem Gewinn den Spieltisch.

• Hat er in der letzten Spielrunde verloren, so verdoppelt er in der neuen

Spielrunde seinen Einsatz.

Er darf beliebig viel Kredit aufnehmen.

Mit dieser Strategie kann der Spieler sicher sein, genau eine Einheit zu

gewinnen (und dann noch eine und noch eine......). Irgendwann kommt Rot

und dieses Ereignis tritt sogar nach endlicher Erwartungszeit ein. Wenn der

Spieler zum ersten Mal in der n−ten Spielrunde gewinnt, so hat er bis dahin

20+21+ . . .+2n−2 = 2n−1−1 Einheiten verloren und gewinnt nun 2n−1 hinzu.

Dies macht einen Gewinn einer Einheit. Wo liegt der Pferdefuß in der Realitat?

Mathematisch ist die Argumentation sauber, die Martingalstrategie ist tatsachlich

erfolgreich. Sie mussen nur genugend viel Geld parat haben, um diese Strategie

spielen zu konnen.

4.1.3 Diverses

Page 46: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

5 Ruckwartsmartingale

EinRuckwartsmartingal ist ein adaptierter Prozess (Xn,An)n∈IN0mit (Mt,Ft)t∈−IN0

ein Martingal, wobei M−n = Xn,F−n = An fur n ∈ IN0. Ausfuhrlicher ge-

schrieben, An, n ∈ IN ist eine fallende Folge von σ-Algebren und es gilt die

Martingaleigenschaft

E(Xn | An+1) = Xn+1

Analog definiere Ruckwartsub- und Ruckwartssupermartingale durch ≤ bzw.

≥ in obiger Gleichheit.

Die Doobsche Argumentation mit aufsteigenden bzw. absteigenden Uber-

kreuzungen und die Grenzwertbetrachtung durch Monotonie halt allgemein

auch fur Ruckwartsmartingale. Die Bedingung supn EX+n < ∞ ist fur Sub-

martingale trivialerweise erfullt, da das Supremum angenommen wird durch

E(X+0 ) und dieses ist endlich. Weiterhin sind die Ruckwartsmartingale stets

regular.

Hier ist das Standardbeispiel fur Irrfahrten.

Proposition 52 Seien Xn, n ∈ IN, uiv integrierbare Zgn, Sn die n-te Par-

tialsumme. Dann ist Sn−nE(X1)n , n ∈ IN, ein Ruckwartsmartingal bzgl. der

Filtration (An)n∈IN , An := σ(Sn, Sn+1, . . .) = σ(Sn, Xn+1, Xn+1, . . . und kon-

vergiert fast sicher und in L1.

Beweis: OEdA sei EX1 = 0.

• E(Xi | An) = E(Xi | Sn) fur 1 ≤ i ≤ n.

BeachteAn = σ(Sn, Xj , j > n) und die Unabhangigkeit vonXi und σ(Xj , j >

n).

• E(Xi | Sn) = E(X1 | Sn) fur i ≤ n.

Die Verteilung von (Xi)ni=1 ist dieselbe wie von (Xπ(1))

ni=1 fur eine Permuta-

tion π der ersten n Zahlen. Der Wert Sn andert sich unter π nicht. Insbesondere

ist (Xi, Sn) genauso verteilt wie (X1, Sn).

• (Sn

n ,An) ist ein Ruckwartsmartingal.

45

Page 47: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

46 (31. Januar 2017) Ruckwartsmartingale

Die Integrierbarkeit ist offensichtlich.

E(Sn−1

n− 1| An) =

1

n− 1

n−1∑

i=1

E(Xi | An) = E(X1 | An) = E(1

n

n∑

i=1

Xi | An) =Sn

n.

Der Rest folgt aus Doob und Levy. q.e.d.

Um die Starke dieses Satzes zu demonstrieren, beweisen wir das starke Ge-

setz der Großen Zahl.

Satz 53 (Starke Gesetz der Großen Zahl) Seien Xn, n ∈ IN, uiv Zgn

und Sn die n-te Partialsumme.

Ist X1 integrierbar, so konvergiert Sn

n fast sicher gegen EX1.

Ist X1 nicht integrierbar, so gilt lim supn|Sn|n =∞.

Beweis: Sei X1 integrierbar und oEdA EX1 = 0. Dann konvergiert das

Ruckwartsmartingal Sn

n , n ∈ IN fast sicher und in L1 gegen eine Zg Z. Z ist

meßbar bzgl. der terminalen σ-Algebra A∞ = ∩nAn. Nach dem Kolmogoroff

0−1-Gesetz (45) istA∞ trivial. Z ist eine Konstante. Wegen der L1-Konvergenz

ist E(X1) = 0 = E(Z) = Z.

Sei jetzt X1 nicht integrierbar. Betrachte die Mengen An := |Xn| > cnfur eine positive Konstante c. Nach Borel-Cantelli treten fast sicher unendlich

viele der Ereignisse An ein, da die Mengen unabhangig sind und

n

P (An) =∑

n

i≥n

P (i ≤ |Xn|c

< i+ 1) =∑

i

n≤i

P (i ≤ |Xn|c

< i+ 1)

=∑

i

iP (i ≤ |X1|c

< i+ 1) ≥ E|X1|c− 1 =∞.

• Fur ω ∈ An gilt |Sn(ω)n | ∨ |Sn−1(ω)

n | > c2 .

Sei oEdA |Sn−1(ω)n | ≤ c

2 . Es gilt

∣∣∣∣

Sn(ω)

n

∣∣∣∣=

∣∣∣∣

Xn(ω)

n+

Sn−1(ω)

n

∣∣∣∣≥

∣∣∣∣

∣∣∣∣

Xn(ω)

n

∣∣∣∣−

∣∣∣∣

Sn−1(ω)

n

∣∣∣∣

∣∣∣∣>

∣∣∣c− c

2

∣∣∣ =

c

2.

Damit folgt lim supn|Sn|n ≥ c

2 fur jedes vorgegebene c > 0. q.e.d.

Page 48: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

6 Quadratintegrierbare

Martingale

Sei M ein quadratintegrierbares (EM2n < ∞) Martingal. Wir benutzen der

Einfachheit halber Standardmartingale. Mn hat die Darstellung

Mn = M0 +

n∑

i=1

Di

mit den Martingaldifferenzen Di = Mi −Mi−1. Eine einfache Rechnung ergibt

Proposition 54 Sei M ein quadratintegrierbares Martingal. Die Doob-Meier

Zerlegung des Submartingals (M2n) lautet M

2n = Xn+An mit An =

∑ni=1 E(D2

i |Fi−1) und Xn = M2

n−An. Die Varianz berechnet sich zu Var(Mn) =∑n

i=1 Var(Di).

Bew: Berechne E(M2n − M2

n−1 | Fn−1) = E(D2n | Fn−1) und die Varianz

entsprechend. q.e.d.

Satz 55 Sei M ein quadratintegrierbares Martingal. Dann konvergiert M in

L2 genau dann, wenn limn VarMn endlich ist.

Im L2-Konvergenzfall konvergiert Mn auch fast sicher gegen den L2-Grenzwert

M∞ und es gilt

VarM∞ =∑

i∈IN

VarDi.

Bew: OEdA sei M0 = 0.′ ⇒′ Das Martingal M konvergiere in L2 gegen einen Grenzwert genannt

M∞. Dann gilt ‖Mn‖2 →n ‖M∞‖2 <∞ und damit

EM2n =

n∑

i=1

VarDi →n→∞

i∈IN

VarDi = EM2∞ <∞.

′ ⇐′ Die Folge (Mn)n ist eine Cauchyfolge, da fur m < n gilt

‖Mn −Mm‖22 = E(

n∑

i=m+1

Di)2 =

n∑

i=m+1

Var(Di) ≤∑

i>m

Var(Di)→m 0.

47

Page 49: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

48 (31. Januar 2017) Quadratintegrierbare Martingale

Die fast sichere Konvergenz folgt aus Doob, supn E|Mn| ≤ supn ‖Mn‖2 <

∞. Der f.s. Grenzwert und der L2 Grenzwert sind gleich. q.e.d.

Page 50: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

7 Exponentielle Martingale

7.1 Irrfahrt

Seien X1, X2, . . . uiv zentrierte Zgn nicht identisch 0. Sei Sn =∑n

i=1 Xi die n-

te Partialsumme. Wir nehmen die naturliche Filtration Fn := σ(S1, . . . , Sn) =

σ(X1, . . . , Xn).

• Falls |X1| integrierbar ist, so ist Sn ein Martingal.

• Falls X21 integrierbar ist, so ist S2

n − nE(X21 ) ebenfalls ein Martingal.

• Falls |X1|3 integrierbar ist, so ist S3n − 3SnnE(X2

1 ) − nE(X1)3 ein Mar-

tingal.

Und so weiter... (Bildungsgesetz? siehe hierzu 7.2)

Alle diese Martingale sind nicht regular. Zeige hierfur: E| Martingaln| −→n

∞.

7.2 Exponentielle Martingale

Seien X1, X2, . . . uiv Zgn und Sn =∑n

i=1 Xi die n-te Partialsumme. Der Ein-

fachheit habe Xi Erwartungswert 0 und sei nicht fast sicher eine Konstante.

Wir wollen das Martingal

Mn(t) := exp(tSn − n lnΦ(t)) = Φn(t) exp(n∑

i=1

(tXi)) (7.1)

mit n ∈ IN, t ∈ IR

Φ(t) := E(exp(tX)) (7.2)

betrachten.

Die erweiterte Funktion Φ : IR → IR+ ∪ ∞ wie oben definiert ist die

Laplacetransformierte.

Proposition 56 Der Logarithmus lnΦ der Laplacetransformierten ist eine kon-

vexe, unterhalb stetige erweiterte Funktion. Sie ist strikt konvex, falls X keine

Konstante ist. Es gilt stets Φ(0) = 1.

49

Page 51: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

50 (31. Januar 2017) Exponentielle Martingale

Beweis: Fur u 6= v ∈ IR, λ ∈ (0, 1), verwende die Holdersche-Ungleichung p =

1/λ, q = 1/(1− λ):

lnΦ(λu+ (1− λ)v) = ln ‖ exp(λuX) exp((1− λ)vX)‖1Holder≤ ln ‖ exp(λuX)‖p‖ exp((1− λ)vX)‖q= ln((E exp(uX))λ(E exp(vX))1−λ)

= λ lnΦ(u) + (1− λ) lnΦ(v).

Die Holderungleichung ist strikt, da Φ strikt ist. (Der Fall X1 identisch eine

Konstante ist ausgeschlossen.) Der Rest ist einfach. q.e.d.

Die Konvexitat liefert Φ−1(IR) = t | Φ(t) < ∞) ist ein Intervall. Die

Funktion Φ ist stetig im Inneren des Endlichkeitsintervalls und stetig an den

Randern.

Bem: Eine erweiterte Funktion f : IR → IR heißt konvex, falls die Menge

(x, y) ∈ IR2 | y > f(x) konvex ist. Fur f : IR → IR ∪ ∞ entspricht diese

Definition der ublichen Konvexitatsdefinition f(tx + (1 − t)y) ≤ tf(x) + (1 −t)f(y) fur alle x, y ∈ IR und t ∈ (0, 1).

Lemma 57 Sei Φ(t) endlich fur ein t ∈ IR. Dann ist (Mn(t))n ein positives

Martingal bezuglich der naturlichen Filtration mit Anfangswert 1. Fur t 6= 0

konvergiert dieses Martingal fast sicher gegen 0.

Beweis: Die Zgn Mn(t) sind wohldefiniert, strikt positiv und adaptiert zur Fil-

tration Fn = σ(X1, . . . , Xn) = σ(M1, . . . ,Mn). Die Zgn sind integrierbar mit

Erwartungswert 1 (Nachrechnen). Nun die Martingaleigenschaft

E(Mn | Fn−1) = E(exp(t(Sn−1 +Xn)− n lnΦ(t)) | Fn−1)

= Mn−1E(exp(tXn)) exp(− lnΦ(t)) = Mn−1.

• Mn(t)n → 0 fast sicher fur t 6= 0.

lnMn(t) ist die n-te Partialsumme der uiv Zgn Yi = tXi − lnΦ(t). Die Yi

sind integrierbar und nach Jensen, X1 ist keine Konstante,

EY1 = EtXi − lnEetX < 0.

Nach dem starken Gesetz der Großen Zahl konvergiert lnMn(t)n fast sicher gegen

E(Y1) < 0. Dies impliziert die Teilausage. q.e.d.

Aus Mn(t) lassen sich durch Summierung uber t viele neue Martingale kon-

struieren. Wir geben einige Beispiele.

Proposition 58 Sei µ ein Maß auf IR. Dann ist∫

exp(tSn − n lnΦ(t))µ(dt) (7.3)

Page 52: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

7.2. Exponentielle Martingale (31. Januar 2017) 51

ein Martingal, vorausgesetzt die Zgn sind integrierbar.

Beweis: Verwende Fubini.

Mit obiger Konstruktion konnen wir auch eine Folge von Zgn konstruieren,

die die Martingaleigenschaft erfullt, aber nicht integrierbar sind. Als Beispiel

nehmen wir normal N(0, 1) verteilte, unabhangige Zgn Xn, n ∈ IN und µ sei

das Lebesguemaß. Eine Rechnung ergibt lnΦ(t) = t2

2 und

Mn =

exp(tSn−n

2t2)dt = exp(

S2n

2n)

exp(−n

2(t−Sn

n)2)dt =

nexp

(S2n

2n

)

ist wohldefiniert und endlich.Mn ist nicht integrierbar fur n = 1, aber integrier-

bar fur n > 1. Daher ist Mn kein Martingal nach der gegebenen Definition. Die

Martingaleigenschaft E(Mn+1 | Fn) = Mn ist erfullt fur alle n ≥ 1. Bedingt

auf den Anfangswert M1 ist (Mn)n ein Martingal. Das bedingte Martingal

konvergiert fast sicher gegen 0. Damit konvergiert auch Mn fast sicher gegen

0. (Ubung: Welches Problem mit Nullmengen tut sich auf und wie laßt es sich

umgehen?)

Korollar 59 Sei Φ : IR→ IR endlich in einer offenen Umgebung U der 0. Sei

exp(tx− nΦ(t)) =

∞∑

k=0

tk

k!M(k, n, x)

die Reihenentwicklung der analytischen Funktion in t ∈ U fur x ∈ IR, n ∈ IN,

fest. Dann ist fur jedes k ∈ IN die Folge M(k, n, Sn), n ∈ IN, ein Martingal.

Insbesondere

M(0, n, Sn) ≡ 1

M(1, n, Sn) = Sn

M(2, n, Sn) = (Sn)2 − nE(X2

1 )

usw.

Beweis: Wir haben bereits bewiesen

E(exp(tSn − n lnΦ(t)) | Am) = exp(tSn−1 − (n− 1) lnΦ(t)).

Eine Reihenentwicklung in t liefert

∞∑

k=0

tk

k!E(M(k, n, Sn) | An−1) =

∞∑

k=0

tk

k!M(k, n− 1, Sn−1)

Ein Koeffizientenvergleich liefert die Aussage. q.e.d.

Regulare Stoppzeiten Die exponentiellen Martingale Mn(t) = etSn−nΦ(t)

t 6= 0 sind nicht regular. Jedoch haben sie interessante regulare Stoppzeiten.

Page 53: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

52 (31. Januar 2017) Exponentielle Martingale

Satz 60 Seien die X-Zgn gleichmaßig beschrankt. Dann ist fur jedes a < 0 < b

die Stoppzeit des ersten Verlassens des Intervalls (a, b),

τ = infn ∈ IN | Sn < a oder Sn > b

eine regulare Stoppzeit fur das Martingal Mn(t) = exp(tSn−n lnΦ(t)), n ∈ IN .

Insbesondere:

EMτ = 1.

Beweis: Sei t 6= 0. Mτ∧n ist ein beschranktes Martingal. Mτ∧n konvergiert

fast sicher und in L1 gegen einen Grenzwert. Diesen nennen wir Mτ . Es folgt

EMτ = EM1 = 1. q.e.d.

τ nimmt in der Regel den Wert∞ an mit strikt positiver W-keit. Dies folgt

aus Mn(t) konvergiert f.s. gegen 0 fur t 6= 0.

Umgekehrt, ist EMτ (t) = M0(t) = 1 so ist die Stoppzeit regular.

Page 54: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8 Konvergenz und Topologie

Wir betrachten verschiedene Konvergenzarten auf dem Raum der Maße und

auf dem Raum der Zufallsgroßen.

Beachte, daß fast jede Konvergenzart eine Konvergenz im topologischen

Sinne ist und umgekehrt, (Pedersen [?]). (Ein topologischer Raum ist ein Tupel

(E, τ), wobei E eine Menge ist und τ eine Teilmenge der Potenzmenge ist, die E

enthalt und abgeschlossen ist bezuglich endlichem Durchschnitt und beliebiger

Vereinigung. Eine Folge en ∈ E, n ∈ IN, konvergiert gegen e ∈ E, falls fur

alle U ∈ τ mit e ∈ U es ein n0 gibt, sodaß fur alle n ≥ n0 gilt en ∈ U.)

Die fast sichere Konvergenz ist eine Aussnahme, dies ist keine topologische

Konvergenzart.

8.1 Konvergenz von W-maßen

Fur ein Maß µ und eine Funktion f benutzen wir µ(f) :=∫fdµ, falls dies

wohldefiniert ist.

Eine Folge µn von Maßen konvergiert bzgl. einer Klasse F von Funktionen,

falls fur alle f ∈ F gilt

µn(f)→n µ(f).

Notation: µnF→n µ.

Die zugehorige Topologie wird erzeugt von den Mengen

Uǫ,f (µ) := ν |∣∣∣∣

fdν −∫

fdµ

∣∣∣∣< ǫ,

ǫ > 0, f ∈ F .Fur F bestehend aus den Treppen 11A, A ∈ A, erhalten wir die punktweise

Konvergenz von Maßen.

Ab jetzt sei (Ω, τ) ein topologischer Raum. Wir sprechen von schwacher

Konvergenz fur die Konvergenz bezuglich aller stetigen beschrankten Funk-

tionen.

53

Page 55: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

54 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

Notation: µnw→n µ oder µn

d→n µ oder µnCb→n µ. Hierbei steht w fur weak , d

fur distribution und Cb fur die Funktionenklasse. (Die W-theoretische schwache

Konvergenz ist die funktionalytische schwach* Konvergenz.)

Wir sprechen von vager Konvergenz fur die Konvergenz bzgl. allen stetigen

Funktionen mit kompaktem Trager. (Der Trager supp(f) einer Funktion ist die

kleinste abgeschlossene Menge f 6= 0 enthaltend.)

Notation: µnv→n µ.

Eine FamilieM von Maßen heißt straff, falls es fur alle ǫ > 0 eine kompakte

Menge K gibt mit µ(Kc) ≤ ǫ fur alle µ ∈M.

Lemma 61 Eine Folge von W-maßen konvergiert schwach genau dann, wenn

sie vage konvergiert und die Familie straff ist.

µnd→n µ⇔ µn

v→n µ und µn, n ∈ IN straff.

Beweis:’⇒‘ Sei K ein kompaktes Intervall und Kǫ := x ∈ IR | ∃y ∈ K :

|x− y| ≤ ǫ. Es gibt eine stetige Funktion f, die auf dem Kompaktum K stets

1 ist, außerhalb von Kǫ stets 0 und ansonsten von unten durch 0, von oben

durch 1 beschrankt ist (Lemma von Urysohn, [?]). Es gilt

µn(Kcǫ ) ≤ µn(1− f)→n µ(1− f) ≤ µ(Kc).

Wahlen wir K mit µ(K) ≥ 1− ǫ so gilt µn(Kcǫ ) < ǫ bis auf endlich viele n.

Wir vergroßern K entsprechend, um die restlichen n’s mit einzuschließen.

’⇐‘ Sei g stetig, beschrankt, und f,K wie oben. Argumentiere g = fg +

(1− f)g,

|µn(g)− µ(g)| = |µn(fg)− µn(fg)|+ |µn((1− f)g)− µ((1− f)g)|.

Der erste Term wird klein fur n hinreichend groß. Der zweite Term wird ab-

geschatzt durch ≤ ‖g‖∞(µn(Kc) + µ(Kc)) und klein fur K hinreichend groß.

q.e.d.

Beispiel: µn = δn auf den reellen Zahlen konvergiert vage (gegen Null),

aber nicht schwach.

Fur eine Verteilungsfunktion F sei F−1 die linksstetige Inverse

F−1(u) := infx | F (x) ≥ u.

Lemma 62 Seien µ, µn, n ∈ IN, W-maße auf den reellen Zahlen. Aquivalent

sind die Aussagen

i) Die Folge µn konvergiert schwach gegen µ.

ii) Die Folge konvergiert bezuglich einer der Klassen Cc, C∞b , C∞

c .

Page 56: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.1. Konvergenz von W-maßen (31. Januar 2017) 55

iii) Die zugehorigen Verteilungsfunktionen Fn konvergieren gegen F fur alle

Stetigkeitspunkte von F.

iv) Die Inversen F−1n konvergieren gegen F−1 fur alle Stetigkeitspunkte von

F−1.

Beweis: i) ⇔ ii). Konvergenz bzgl. Cb ist hier gleichbedeutend, Lemma 61,

mit Konvergenz bzgl. Cc. Jede Funktion aus Cc laßt sich in Supremumsnorm

beliebig gut durch eine C∞c Funktion approximieren. Dies reicht.

i)⇒ iii) Sei fa diejenige stetige Funktion,die 1 auf (−∞, a], 0 auf [a+ ǫ,∞)

und sonst linear ist. Es gilt

F (a− ǫ) ≤ µ(fa−ǫ)←n µn(fa−ǫ) ≤ Fn(a) ≤ µn(fa)→n µ(fa) ≤ F (a+ ǫ).

Anders geschrieben,

F (a− ǫ) ≤ lim infn

Fn(a) ≤ lim supn

Fn(a) ≤ F (a+ ǫ).

Dies gilt fur alle ǫ > 0.

iii)⇐ i) Die Menge S der Stetigkeitspunkte von F ist dicht. (Eine monoton

steigende Funktion hat hochstens abzahlbar viele Unstetigkeitspunkte und ides

sind Sprungstellen.) Betrachte die Menge aller meßbarer beschrankter Funk-

tionen f mit µn(f) →n µ(f). Diese Menge ist abgeschlossen bzgl. Addition

und gleichmaßiger Konvergenz. Sie enthalt alle Treppen 11(−∞,s] mit s ∈ S

ein Stetigkeitspunkt. Die Menge enthalt alle stetigen Funktion mit kompaktem

Trager, da diese sich gleichmaßig durch Treppenfunktionen obiger Treppen ap-

proximieren lassen. Folglich konvergiert µn vage. Zusammen mit Straffheit der

Folge, siehe gleich, folgt schwache Konvergenz.

• µn, n ∈ IN, ist straff.

Wahle Stetigkeitspunkte s1, s2 mit F (s1) < ǫ, F (s2) > 1 − ǫ. Fur K = [s1, s2]

gilt

µn(Kc) ≤ Fn(s1) + 1− Fn(s2)→n F (s1) + 1− F (s2) < 2ǫ.

Daher gilt µn(Kc) < 2ǫ bis auf endlich viele n. Wir vergroßern jetzt K ent-

sprechend, um diese n mit einzuschließen.

iii) ⇔ iv) Dies ist einfach fur F stetig und strikt steigend. Der allgemeine

Fall ist eine unschone Ubung. q.e.d.

Eine Familie F von Funktionen heißt separabel oder trennend bzgl. einer

FamilieM von Maßen, falls je zwei Maße aus der Familie sich fur mindestens

eine Funktion f aus der Funktionenfamilie unterscheiden. (∀µ 6= ν ∈ M∃f ∈F : µ(f) 6= ν(f).)

Cc ist W-maß trennend, Lemma 62 und Eindeutigkeit der Verteilungsfunk-

tion.

Page 57: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

56 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

8.1.1 Gleichgradige Integrierbarkeit

Gleichgradige Integrierbarkeit ist eine Eigenschaft von Maßen bzw. Verteilun-

gen. Wir werden die w-theoretische Sprache mit Zgn verwenden, da hier die

meisten Anwendungen sind. Die Verbingung ist: Sei µ ein W-maß auf den reel-

len Zahlen mit der Borel σ-Algebra. Dann hat F−1(U) die Verteilung µ, wobei

F die zugehorige Verteingsfunktion ist und U gleichmaßig verteilt auf dem

Einheitsintervall.

Eine Familie F von Zgn heißt gleichmaßig integrierbar oder gleichgradig

integrierbar, falls gilt

g(c) := supX∈F

|X|>c

|X| −→c→∞ 0.

Fur eine Funktion f heißt die Familie F gleichmaßig f -integrierbar oder gleich-

gradig f -integrierbar, falls f(X) gleichgradig integrierbar ist. Sie heißt p-gleichmaßig

integrierbar fur 1 ≤ p <∞, oder gleichmaßig p-integrierbar , falls sie gleich-

gradig f -integrierbar ist fur die Funktion f(x) = |x|p.Bem: Eine Familie gleichgradig integrierbarer Zgn erfullt stets

supX

E|X| ≤ c+ g(c) <∞

Fur eine Zg X definiere H = HX : [0, 1] 7→ IR

HX(t) := sup∫

A

|X|dP | P (A) ≤ t.

Fur eine Familie F von Zgn benutzen wir

HF (t) := supX∈F

HX(t).

Falls der W-raum reichhaltig genug ist und eine gleichformig verteilte Zg be-

sitzt, (was wir stets annehmen,) so gilt

HX(t) =

∫ 1

1−t

F−1(u)du,

mit F die Verteilungsfunktion zu |X|. (Ubung)Bem: Genaugenommen ist H fur Verteilungen definiert.

Satz 63 Fur eine Familie F von Zgn sind die folgenden beiden Aussagen aqui-

valent:

(i) F ist gleichgradig integrierbar.

Page 58: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.1. Konvergenz von W-maßen (31. Januar 2017) 57

(ii) Fur alle ǫ > 0 gibt es eine integrierbare Zg Y mit supX∈F

|X|>Y|X|dP <

ǫ.

(iii) HF : [0, 1]→ IR ist stetig in 0.

(iv) Es gibt eine aufsteigende Funktion ϕ : IR+ → IR+ mit limx→∞ϕ(x)x =∞

und F ist gleichgradig ϕ| · |-integrierbar.

Beweis: OEdA sind alle Zgn positive.

i)⇒ ii) Wahle Y als eine Konstante.

ii) ⇒ iii) In der Zerlegung∫

A

X =

A∩X>Y

X +

A∩X≤Y

X ≤∫

X>Y

|X|+∫

A

Y

ist der erste Term klein durch Wahl des Y glm. in X. Der zweite Term ist klein

in P (A) klein glm. in X.

iii) ⇒ i) Zu vorgegebenem ǫ > 0 wahle ein p > 0 mit HF (p) < ǫ. Wahle

eine Partition (Ai)Ni=1 von Ω in N ≤ 1

p + 1 Mengen vom Maß ≤ p. Dann gilt

gleichmaßig in X ∈ F∫

X ≤∫

∪iAi

X ≤∑

i

Ai

X ≤ HF (p)N <∞.

Die Markoffungleichung liefert

supX∈F

P (X > c) ≤ supX

∫X

c≤ ǫN

c→c→∞ 0

Es folgt

supX∈F

X>c

X ≤ supX

HX(P (X > c) ≤ supX

HF (P (X > c)) ≤ HF (supX

(P (X > c))→c→∞ 0

iv) ⇒ i)∫

X>c

X =

X>c

X

ϕ(X)ϕ(X) ≤ sup

x≥c

x

ϕ(x)Eϕ(X).

Der erste Faktor konvergiert mit c→∞ gegen 0 glm. in X ∈ F und der zweite

ist endlich gleichmaßig fur X ∈ F .i) ⇒ iv) Wahle aufsteigende Folge 0 = e0 < en →n ∞ mit g(en) ≤ 2−n.

Definiere die Funktion ϕ durch ϕ(x) =∑

n∈IN0(|x| − en)

+. ϕ ist symmetrisch

und auf IR+ strikt monoton steigend gegen unendlich. Es gilt

limx→∞

ϕ(x)

x= lim

x

n

(x− en)+

x≥

n≤n0

lim infx

(x− en)+

x= n0 →n0

Page 59: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

58 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

Zu vorgegebenem n0 sei c gross mit ϕ(en0) < c

ϕX>c

ϕ(X) =∑

n

ϕ(X)>c

(|X| − en)+

≤∑

n≥n0

X>en0

(X − en)+ +

n<n0

ϕ(X)>c

X

≤∑

n≥n0

X≥en

Xn +∑

n<n0

g(ϕ−1(c))

≤∑

n≥n0

2−n +∑

n<n0

g(ϕ−1(c))→c→∞ 0

gleichmaßig fur X ∈ F . q.e.d.

Bemerkung: Die hier konstruierte Funktion ϕ ist eine Orlicz Funktion (ϕ

ist positiv, konvex und ϕ(0) = 0). Zusatzlich ließe sich ϕ glatt wahlen, eventuell

unendlich oft differenzierbar und ϕ(x) > 0 fur x > 0.

Der wesentliche Einsatz gleichgradiger Integrierbarkeit besteht in folgendem

Lemma, welches im Beweis wesentlich Zgn benutzt.

Lemma 64 Die Folge (Xn)n konvergiere in Verteilung gegen X. Dann ist

gleichgradige Integrierbarkeit der Familie Xn, n ∈ IN aquivalent zu∫|Xn| →n

∫|X| <∞.

Bew: Sei fc die Funktion fc(x) = 11|x|≤c−1 + (|x| − c+ 1)+ = (|x| − c)+ ∧ 1

•∫|X| ≤ lim infn

∫|Xn| <∞

|X| = limc→∞

|X|fc(X) = limc

limn

|Xn|fc(Xn) ≤ limc

lim infn

|Xn| <∞

• lim supn∫|Xn| ≤

∫|X|

|X| ≥∫

|X|fc(X) = limn

|Xn|fc(Xn) = limn(

|Xn| −∫

|Xn|(1− fc(X))

≥ lim supn

|Xn| − lim supn

|Xn|fc(X) ≥ lim supn

|Xn| − g(c)

Mit c → ∞ erhalten wir lim sup∫|Xn| ≤

∫|X∞| ≤ lim inf

∫|Xn| und damit

die Hinrichtung.

Nun zur Ruckrichtung mit f = fc−1.

|Xn|>c

|Xn| ≤∫

|Xn|(1− f(Xn)) =

|Xn| −∫

|Xn|f(Xn)

Page 60: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.1. Konvergenz von W-maßen (31. Januar 2017) 59

≤ |∫

|Xn| −∫

|X∞||+∫

|X|(1− f(X) + |∫

|X|f(X)−∫

|Xn|f(|Xn)|

= I + II + II

Zu vorgegebem ǫ wahle ein c hinreichend gross mit II < ǫ. Dann wahle ein

n0so dass fur alle n ≥ n0 sowohl I als auch III kleiner ǫ sind. Dies ergibt

supn≥n0

∫|Xn| > c|Xn| < 3ǫ. Durch Wahl eines noch großeren c konnen wir

g(c) < 3ǫ erreichen. ǫ war beliebig. q.e.d.

Korollar 65 Sei Xn, n ∈ IN eine gegen X in Verteilung konvergierende Folge

von Zgn. Ist die Familie (Xn)n gleichgradig integrierbar, so vertauschen fur

jede stetige Funktion f mit

lim sup|x|→∞

|f(x)||x| <∞ (8.1)

das Integral und der Limes,

limn

f(Xn) =

f(X).

Bew: Die Familie f(Xn), n ∈ IN ist gleichgradig integrierbar und konvergiert

in Verteilung. q.e.d.

Jetzt kommen wir zu w-theoretischen Aussagen. Die Verbindung ist: Kon-

vergiert Xn gegen X in Verteilung, so konvergiert F−1Xx

(U) fast sicher gegen

F−1X (U).

Korollar 66 Die L1-Konvergenz einer Folge (Xn)n von Zgn ist aquivalent zur

stochastischen Konvergenz und gleichgradiger Integrierbarkeit. Beide Grenzwer-

te stimmen fast sicher uberein.

Bew: Hinrichtung: Die L1-Konvergenz impliziert stochastische Konvergenz und

diese Konvergenz in Verteilung. Das obige Lemma liefert wegen ‖Xn‖ → ‖X‖1die gleichgradige Integrierbarkeit.

Fur die Ruckrichtung argumentiere

|Xn −X| ≤∫

|X−Xn|<ǫ

. . .+

ǫ≤|X−Xn|<c

. . .+

c≤|X−Xn|

. . .

≤ ǫ+ cP (|X −Xn| ≥ ǫ) + 2

|Xn|<c/2

|Xn|+ 2

|X|>c/2

|X|

alle drei Terme werden beliebig klein fur kleine ǫ, große c und n hinreichend

groß. q.e.d.

Page 61: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

60 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

Korollar 67 Seien Xn, n ∈ IN , p-integrierbare Zgn, 1 ≤ p < ∞. Dann sind

aquivalent

• Xn konvergiert in Lp.

• Xn → X stochastisch und ‖Xn‖p → ‖X‖p <∞.

• Xn konvergiert stochastisch und die Familie Xn, n ∈ IN ist gleichgradig

p-integrierbar.

Im Konvergenzfalle sind der stochastische und der Lp-Limes gleich.

Der Beweis ist einfach aus Obigem.

..........................................................................

8.1.2 Weitere Metriken

Metriken fur Verteilungsfunktionen: Weitere Metriken lassen sich aus den

Verteilungsfunktionen konstruieren. Hintergrund ist die eineindeutige Zuord-

nung von Maßen und Verteilungsfunktionen. Beispiele auf dem Raum der Ver-

teilungsfunktionen sind

d(F,G) := ‖F −G‖∞d(F,G) = inf ǫ | ∀x ∈ IR : |F (x)−G(x+ ǫ)| < ǫ und |F (x)−G(x− ǫ)| < ǫ

d(F,G) =

|F (x)−G(x)|dx.

Diese Metriken auf den Verteilungsfunktionen sind auch Metriken auf W-maßen,

durch Identifizierung von Verteilungsfunktion undW-maß. (d(µ, ν) = d(Fµ, Fν).)

Wasserstein Metrik: Sei d eine Metrik auf dem Werteraum E und µ, ν

W-maße auf (E,B(E)). Definiere

D(µ, ν) := inf Ed(X,Y ).

Hierbei wird das Infimum uber alle X mit Verteilung µ und alle Y mit Vertei-

lung ν auf einem beliebigen W-raum genommen. Dies ist eine Metrik auf dem

Raum der W-maße.

Mallows Metrik: Ein Abstandsbegriff fur Maße impliziert in naturlicher

Weise einen Abstandsbegriff fur Zgn via der Verteilung. Umgekehrt, haben

wir einen Abstandsbegriff d fur Zufallsgroßen gegeben, so definieren wir einen

(potentiellen) Abstandsbegriff d auf Maßen durch

d(µ, ν) := inf d(X,Y ).

Page 62: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.2. Konvergenz von Zufallsgroßen (31. Januar 2017) 61

Hierbei wird das Infimum uber alle X mit Verteilung µ und alle Y mit Vertei-

lung ν auf einem beliebigen W-raum genommen.

Ein Beispiel ist die Mallows Metrik lp : Mp ×Mp 7→ IR, 1 ≤ p ≤ ∞,

lp(µ, ν) = inf ‖X − Y ‖p

auf dem Raum Mp := µ |∫|x|pµ(dx) < ∞ der p-fach integrierbaren Maße

auf IR. Ohne Beweis sei angefuhrt, das Infimum wird angenommen mit

lp(µ, ν) = ‖F−1µ (U)− F−1

ν (U)‖p,

U eine gleichformig verteilte Zg (siehe [?]).

Satz 68 Der Raum (Mp, lp), 1 ≤ p ≤ ∞, ist ein vollstandiger, metrischer

Raum. Er ist separabel fur 1 ≤ p <∞.

Beweis: • Separabilitat.Sei D eine dichte abzahlbare Teilmenge in Lp. Dann ist die Menge aller Vertei-

lungen dazu dicht in Mp.

• Vollstandigkeit.Fur die Vollstandigkeit sei µn eine Cauchyfolge in lp-Mallow Metrik. Dann ist

F−1µn

(U), U gleichformig verteilt, eine Lp-Cauchyfolge. Diese konvergiert punkt-

weise gegen ein F−1(U). Das zugehorige W-maß µ tut’s. q.e.d.

Eine Folge Xn ist lp konvergent, falls die Verteilungen in Mallows lp Metrik

konvergieren.

Notation: Xnlp→n X.

Proposition 69 lp Konvergenz ist aquivalent zur schwachen Konvergenz plus

Konvergenz des p-ten absoluten Momentes. (=p-gleichmaßige Integrierbarkeit.)

Beweis: Wir benutzen die Version F−1n (U) = Xn und d(Fn, Fm) = ‖F−1

µ (U)−F−1ν (U)‖p. Dann verwende den Satz 71.

Bemerkung: Beachte auch die gleichmaßige Integrierbarkeit, Korollar 66.

8.2 Konvergenz von Zufallsgroßen

Konvergenzen der Verteilungen: Viele Eigenschaften ubertragen sich von

den Verteilungen nach folgendem allgemeinen Prinzip: Eine Folge, bzw. Familie

von Zgn Xn hat die Eigenschaft ∗, falls die zugehorigen Verteilungen die Ei-

genschaft ∗ besitzt. In diesem Sinne sprechen wir von schwacher und vager

Page 63: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

62 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

Konvergenz oder von einer straffen Familie von Zgn. Wir verwenden diesel-

ben Symbole, z.B.

Notation: Xnd→ X ⇔ PXn

d→ PX .

Konvergenzen der Zgn: Nun zu Konvergenzarten der Zgn selbst. Eine

Folge Xn, n ∈ IN, von Zgn konvergiert stochastisch oder in Wahrscheinlichkeit

gegen eine Zg X, falls

limn

P (|Xn −X| > ǫ) = 0

fur alle ǫ > 0 gilt. Wir schreiben Xns→n X oder Xn

P→n X. s steht fur

stochastic und P fur probability.

Diese Konvergenz entspricht Konvergenz bzgl. der Topologie auf den Zgn

erzeugt durch die Metrik

d1(X,Y ) := infǫ ∈ IR | P (|X − Y | > ǫ) < ǫ

oder der Metrik

d2(X,Y ) := E( |X − Y |1 + |X − Y |

).

Eine Folge Xn von Zgn konvergiert fast sicher, falls

P (limn

Xn = X) = 1

gilt.

Notation: Xnf.s.→n X.

Eine Folge Xn ist Lp konvergent bzw. konvergiert im p-ten Mittel, 1 ≤ p ≤∞, gegen X, falls ‖Xn − X‖p →n 0. Wir schreiben Xn

Lp→n X und sprechen

auch von Konvergenz im p-ten Mittel.

Hier eine Ubersicht. p-te Moment steht fur Konvergenz des p-ten absoluten

Moments.

Page 64: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.2. Konvergenz von Zufallsgroßen (31. Januar 2017) 63

Satz 70

L∞

Lp, 1 ≤ p <∞

L1fast sicher

stochastisch

schwach

vage

+ p-te Moment

+ 1-te Moment

Version

+ 1-te MomentVersion

Version

straff

W-theorie

Maßtheorie

Der Beweis erfogt in einer Reihe von Aussagen.

• Stochastische Konvergenz impliziert schwache Konvergenz.

Wir zeigen zuerst Xnv→ X. Sei f ∈ Cc.

|Ef(Xn)− Ef(X)| ≤ E(|f(Xn)− f(X)|(11|Xn−X|≥ǫ + 11|Xn−X|<ǫ))

≤ 2‖f‖∞P (|Xn −X| ≥ ǫ) + sup|x−y|<ǫ

|f(x)− f(y)|.

Der erste Term ist klein fur n groß, der zweite ist klein in ǫ, da eine stetige

Funktion auf einem Kompaktum gleichmaßig stetig ist.

Page 65: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

64 (31. Januar 2017) Konvergenz und Topologie

Als nachstes zeigen wir Straffheit.

P (|Xn| > c) ≤ P (|Xn| > c, |Xn −X| < ǫ) + P (|Xn| > c, |Xn −X| ≥ ǫ)

≤ P (|X| > c− ǫ) + P (|Xn −X| ≥ ǫ).

Beide Terme sind klein fur ǫ, c, n geeignet.

• Fast sichere Konvergenz impliziert stochastische Konvergenz.

P (|Xn −X| > ǫ) ≤ P (∃N ≥ n : |XN −X| > ǫ)→n 0.

• L1-Konvergenz impliziert stochastische Konvergenz.

Dies folgt aus der Markoff Ungleichung

P (|Xn −X| > ǫ) ≤ E|Xn −X|ǫ

→n 0.

• Lq-Konvergenz impliziert Lp-Konvergenz fur 1 ≤ p ≤ q ≤ ∞.

Die Jensen Ungleichung ergibt ‖Y ‖p ≤ ‖Y ‖q.• L∞-Konvergenz impliziert fast sichere Konvergenz. Einfach.

Gegenbeispiele: Alle Beispiele sind auf dem W-raum ([0, 1],B, λ).• Schwache Konvergenz impliziert nicht stochastische Konvergenz.

SeienXn, n ∈ IN, uiv Zgn und keine Konstante. Diese Folge konvergiert schwach.

Wurde sie auch stochastisch konvergieren, so wurde gelten,

P (|Xn −Xm| > ǫ) ≤ P (|Xn −X| > ǫ/2) + P (|Xm −X| > ǫ/2)→n,m 0.

Andererseits P (|Xn−Xm| > ǫ) = P (|X1−X2| > ǫ) > 0 ist eine strikt positive

Konstante fur n 6= m und ǫ hinreichend klein. Widerspruch.

• Stochastische Konvergenz impliziert nicht fast sichere Konvergenz.

X1 = 11[0,1], X2 = 11[0,1/2], X3 = 11[1/2,1], X4 = 11[0,1/4], X5 = 11[1/4,1/2], ..., X8 =

1[0,1/8], ... usw. Formaler Xn := 11[i/2m,(i+1)/2m] mit n = 2m + i, 0 ≤ i < 2m.

(Zeichnung machen!). Diese tut’s.

• Lp-Konvergenz, 1 ≤ p <∞ impliziert nicht fast sichere Konvergenz.

Siehe oben.

• Fast sichere Konvergenz impliziert nicht Lp-Konvergenz.

Die Folge Xn := an11[0,1/n] konvergiert fast sicher gegen 0, aber nicht in Lp fur

geeignet gewahlte an.

• Lp-Konvergenz impliziert nicht Lq-Konvergenz, 1 ≤ p < q ≤ ∞.

Wahle eine Folge Xn =∑n

i=1 11( 1i+1

, 1i ]ai mit ai geeignet. Ubung.

Nun zu den verbleibenden positive Aussagen mit Zusatzbedingungen.

Version: Eine Version einer Zg ist eine Zg mit derselben Verteilung. Be-

liebt ist folgende Konstruktion. Sei U eine Zg mit gleichmaßiger Verteilung auf

[0, 1]. Dann ist F−1(U) eine Version von X. Ubung.

Page 66: Martingaltheorie Vorlesungsmitschrift

8.2. Konvergenz von Zufallsgroßen (31. Januar 2017) 65

• Sei Xn schwach konvergent gegen X. Dann existiert eine Version Yn der

Xn mit Yn ist fast sicher konvergent gegen eine Version von X.

Seien Fn, F die zugehorigen Verteilungsfunktionen und U eine gleichmaßig ver-

teilte Zg. Dann tut’s die Folge Yn = F−1n (U). Die Aussage beruht auf Lemma

62. (F bzw F−1 hat hochstens abzahlbar viele Unstetigkeitspunkte.) q.e.d.

Bemerkung: Schwache und stochastische Konvergenz stimmen uberein fur

Zgn Xn, die gegen eine Konstante konvergieren. Auf diskreten W-raumen stim-

men stochastische Konvergenz und fast sichere uberein.

Teilfolgenprinzip: Jede stochastisch konvergente Folge hat eine fast sicher

konvergente Teilfolge. Der Grenzwert ist derselbe. (Ubung)

Den folgenden Satz vergleiche mit dem Korollar 66.

Satz 71 Seien Xn, n ∈ IN , p-integrierbare Zgn, 1 ≤ p < ∞. Xn konvergiert

in Lp gegen X genau dann, wenn Xn stochastisch gegen X konvergiert und

‖Xn‖p → ‖X‖p <∞ gilt.

XnLp→ X ⇔ Xn

s→ X und ‖Xn‖p →n ‖X‖p <∞.

Beweis:’⇒‘ Lp Konvergenz impliziert stochastische Konvergenz. Die umge-

kehrte Dreiecksungleichung liefert

|‖Xn‖p − ‖X‖p| ≤ ‖Xn −X‖p →n 0.

’⇐‘ Sei A die Menge |Xn−X| > ǫ konvergiert mit n dem Maße nach gegen

0.

‖Xn −X‖ ≤ ‖(Xn −X)11A‖+ ‖Xn −X11Ac‖≤ ‖Xn11A‖+ ‖X11A‖+ ǫ

≤ ‖Xn‖ − ‖Xn11Ac‖+ ‖X11A‖+ ǫ

≤ ‖Xn‖ − ‖X11Ac‖+ ‖X11A‖+ 2ǫ

≤ ‖Xn‖ − ‖X‖+ 2‖X11A‖+ 2ǫ→n 2ǫ→ǫ→0 0