Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

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Jubiläumsbildband Mit Leidenschaft für Demokratie 120 Jahre SPD - Landtagsfraktion in Bayern 1893–2013

description

1893 zog die SPD erstmals in den Bayerischen Landtag ein. Zum 120-jährigen Jubiläum erzählt dieser reich bebilderte Sammelband die bewegte Geschichte der Fraktion von den Anfängen in der Kaiserzeit über das Verbot der SPD im Dritten Reich und dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu den aktuellen politischen Geschehnissen. Im Mittelpunkt eines jeden Kapitels stehen sowohl sozialdemokratische Persönlichkeiten als auch die Schwerpunkte ihrer Politik. So zum Beispiel der Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, Georg von Vollmar, der erste bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner, der Bayern zum Freistaat machte oder Wilhelm Hoegner, der Vater der Bayerischen Verfassung und erster Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Nachkriegszeit prägten neben anderen die Vorsitzenden Waldemar von Knoeringen, Volkmar Gabert, Helmut Rothemund, Karl-Heinz Hiersemann, Renate Schmidt, Franz Maget und Markus Rinderspacher die sozialdemokratische Politik im Bayerischen Landtag.

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band1893 zog die SPD erstmals in den Bayerischen

Landtag ein. Zum 120-jährigen Jubiläum erzähltdieser reich bebilderte Sammelband die bewegteGeschichte der Fraktion von den Anfängen in derKaiserzeit über das Verbot der SPD im Dritten Reichund dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkriegbis hin zu den aktuellen politischen Geschehnissen.Das Buch informiert zugleich über die zentralenThemen Bayerischer Politik.Im Mittelpunkt eines jeden Kapitels stehen sowohlsozialdemokratische Persönlichkeiten als auch die Schwerpunkte ihrer Politik. So zum Beispiel derVorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, Georg von Vollmar, der erste bayerischeMinisterpräsident Kurt Eisner, der Bayern zum Freistaat machte oder Wilhelm Hoegner, der Vater der Bayerischen Verfassung und erster Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Nachkriegszeit prägten neben anderen die Vorsitzenden Waldemar von Knoeringen, Volkmar Gabert, Helmut Rothemund, Karl-Heinz Hiersemann, RenateSchmidt, Franz Maget und Markus Rinderspacherdie sozialdemokratische Politik im BayerischenLandtag.

Zahlreiche Abbildungen, Texte, Interviews undZeitdokumente illustrieren diesen kompaktenJubiläumsband und liefern ein anschauliches Bildder Geschichte der bayerischen Politik.

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für Demokratie120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern1893–2013

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Mit Leidenschaft für Demokratie120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern

Herausgegeben im Auftrag der BayernSPD-Landtagsfraktion von Markus Rinderspacher unter Mitarbeit von Gudrun Rapke

Wissenschaftliche Beratung: Hartmut Mehringer (1944–2011)

München, 2013

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© BayernSPD-Landtagsfraktion

Bayerischer LandtagMaximilianeum, Max-Planck-Str. 1D-81627 MünchenE-Mail: [email protected]: www.bayernspd-landtag.de

1. Auflage März 20032. überarbeitete und erweiterte Auflage Oktober 2013

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Wissenschaftliche Beratung: Dr. habil. Hartmut Mehringer (†); Projektleitung: Gudrun RapkeGestaltung, Layout und Satz: © paper-back gmbh, Degerndorfer Straße 12, D-82541 MünsingDruck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Heisinger Straße 16, D-87437 Kempten

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Impressum:

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120 Jahre SPD Landtagsfraktion

Der Kampf um Sozialreformen und elementare Bürgerrechte

Die bayerische SPD während der Weimarer Republik

Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg,Neubeginn

Der Wiederaufbau von Wirtschaft undVerwaltung

Die SPD und die Modernisierung Bayerns1962–2003

Arbeiten für Bayern – Die SPD Landtagsfraktion von 2003–2013

Anhang

INHALT 3

4–7

8–33

34–61

62–93

94–123

124–153

154–173

174–191

Markus Rinderspacher

Robert Hofmann

Bernhard Grau

Hartmut Mehringer

Michael Stephan

Jürgen Seidl

Gudrun Rapke

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Die SPD ist eine geschichtsbewusste Partei,die sich mit Stolz an ihre Vergangenheiterinnern kann! Sozialdemokraten gründeten1918 den Freistaat, erkämpften das Frauen-wahlrecht und bewiesen Rückgrat gegen dieNationalsozialisten. Die bayerische Verfas -sung stammt von einem Sozialdemokraten– Wilhelm Hoegner. Fest steht: die Ge-schichte Bayerns ist auch die Geschichteder SPD-Land tagsfraktion:

2003 erschien auf Initiative meines Vor-gängers Franz Maget die erste Auflage desJubiläumsbands „Mit Leidenschaft für De-mokratie“ zum 110. Geburtstag der SPD-Landtagsfraktion. Das Buch prägte unsereIdentität als Fraktion und erlaubte der Öf-fentlichkeit interessante Einblicke in dieArbeit der bayerischen Sozialdemokratenim Landtag. Zahlreiche Anfragen erreich-ten unsere Geschäftsstelle und der blaueBand wurde häufig als Geschenk überreicht.Das „Fraktionsbuch“ ist bis heute die einzigeumfassende Darstellung der Geschichte derSPD-Landtagsfraktion. 2013 haben wir aufdie letzten zehn Jahre zurückgeblickt unddie Geschichte weitergeschrieben – das Er-gebnis halten Sie in Händen.

Diese Geschichte hat mein Vorgänger alsFraktionsvorsitzender und Mentor FranzMaget maßgeblich geprägt. 2009 zog er sichaus der Fraktionsführung zurück, wurde

Vizepräsident des Bayerischen Landtags undseines geliebten Vereins TSV 1860. Nachder Landtagwahl 2013 schied er aus demLandtag aus. Bis dahin war er 23 Jahre langals Abgeordneter auf die Oppositionsrolleim Bayerischen Landtag abonniert, neunJahre lang als SPD-Fraktionsvorsitzender.Eine lange Zeit. Franz Maget war knapp3300 Tage an der Fraktionsspitze: mit etwa500 Fraktionssitzungen in der ers ten Rei-he, knapp zwanzig mehrtägigen Klausurta-gungen in allen Landesteilen Bayerns undzahlreichen Parlamentsreden. Unter denbayerischen SPD-Fraktionsvorsitzendender Nachkriegszeit waren nur VolkmarGabert (1962–1976) und Helmut Rothe-mund (1976–1986) länger im Amt.

Einige seiner politischen Ziele und Forde-rungen sind Realität geworden - wenn auchohne Regierungsbeteiligung der SPD.Kämpften die Genossen unter Magets Füh-rung mit ihrer Kampagne „Auf Dauerschlauer“ für die Ganztagsschule noch ge-gen ideologische Vorurteile auf konservati-ver Seite an, so muss man 2013 feststellen,dass die Ganztagsschule bei Schülern undEltern, bei Pädagogen und anderen Fach-leuten vollkommen unumstritten ist. DerHaken: Es gibt noch viel zu wenige echteGanztagsschulen im Freistaat. Das Themableibt auf der Agenda. Öffentliche Kinder-betreuung wurde noch vor zehn Jahren oft

GELEITWORT

120 Jahre SPD-Landtagsfraktion

Markus Rinderspacher

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genug als sozialistisches Teufelszeug ver-unglimpft – heute besteht ein Rechtsan-spruch auf einen Betreuungsplatz.

Zu den finanz- und bildungspolitischenIrrtümern der CSU gehörte die Einfüh-rung von Studiengebühren. Die SPD hatdie Unimaut stets abgelehnt und steht fürkostenlose Bildung vom Kindergarten biszur Hochschule. Das bayerische Bildungs-system wird vielfach als ungerecht empfun-den. Kinder aus Akademiker-Familien ha-ben es wesentlich leichter als Arbeiterkin-der. Schon in der vierten Klasse entscheidetsich die Schulkarriere: Gymnasium, Real-schule oder Mittelschule? Die SPD kämpftdafür, dass möglichst wenige Talente verlo-ren gehen und hat mit einer Kampagne dieGemeinschaftsschule im Freistaat bekanntgemacht. Kinder sollen länger gemeinsamund erfolgreich lernen.

Gerechtigkeit ist das Thema der SPD-Landtagsfraktion nicht nur in der Schule,sondern auch auf dem Arbeitsmarkt: UnserLand driftet auseinander. Da gibt es nebenvielen Gutverdienern auch 90 000 Men-schen, die nach einer 40-Stunden-Wocheihr Gehalt vom Staat aufstocken lassenmüssen. Gemeinsam mit den Genossen imBund haben wir Mindestlöhne vorange-bracht – wenn auch noch nicht flächen -deckend. Vom Ziel „gleicher Lohn für glei-

che Arbeit“ für Männer und Frauen sindwir noch weiter entfernt. Hier bleibt nochviel zu tun!

Das Wort Finanzkrise war 2003 noch völligunbekannt – heute bemühen sich Politikerin Europa, im Bund und Bayern darum, ihreAuswirkungen einzudämmen. Die Bayeri-sche Landesbank konnte nur durch eineZehn-Milliarden-Euro-Finanzspritze desStaates und somit der Steuerzahler gerettetwerden. Unter den Augen der CSU-Verwaltungs-räte hatte sich die BayernLB mit amerika-nischen Immobilienverbriefungen (ABS-Papieren) verspekuliert und auch mit demKauf der österreichischen Skandalbank Hy-po Group Alpe Adria (HGGA) danebengegriffen. Die SPD-Landtagsfraktionbrach te mit zwei Untersuchungsausschüs-sen Licht ins Dunkel und die CSU mussteeine Mitverantwortung der CSU-Verwal-tungsräte beim Fehlkauf der HGAA ein-räumen.

Das Unglück im japanischen Atomkraft-werk Fukushima am 11. März 2011 schriebtraurige Geschichte, brachte in Deutsch-land die Energiewende und die Rückkehrzu dem von Bundeskanzler Gerhard Schrö-der bereits im Juni 2001 vereinbartenAtomausstieg. Die Energiewende beschäf-tigte auch den Bayerischen Landtag.

Die SPD kann sich – wie eingangs gesagt -mit Stolz an ihre Vergangenheit erinnern.Einzigartig ist dabei die mutige Haltungder 17 Mitglieder zählenden SPD-Land-tagsfraktion, die am 29. April 1933 ge-schlossen gegen das ErmächtigungsgesetzHitlers gestimmt hatten und dabei die Be-drohung von Leib und Leben in Kauf nah-men. Der Abgeordnete Albert Roßhauptersagte in seiner historischen Rede:„… wir halten deshalb ein Ermächtigungs -gesetz für überflüssig und können ihm ausunserer grundsätzlichen Einstellung her-aus nicht zustimmen“.

Seit 2007 erinnert eine Gedenktafel imBayerischen Landtag an die unbeugsamenbayerischen Sozialdemokraten. Zum 80.Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes am29. April 2013 ehrte die SPD-Landtags-fraktion mit der Verleihung des Wilhelm-Hoegner-Preises drei Organisationen, diesich beispielhaft für die Verteidigung derFreiheits- und Bürgerrechte eingesetzt ha-ben.

In dieser Tradition kämpfen viele SPD-Landtagsabgeordnete gegen Rechtsradika-lismus in Bayern. Zu den traurigen Ereig-nissen des letzten Jahrzehnts gehört, dassNeonazis in Bayern über Jahre unerkanntmorden konnten. Die Neonazi-Taten wur-den als „Döner-Morde“ verharmlost und

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der kriminellen „ausländischen Szene“ zu-gerechnet. Die SPD initiierte den NSU-Untersuchungsunterschuss, der erheblicheVersäumnisse der bayerischen Behördenfeststellte.

Das vorliegende Buch „Mit Leidenschaftfür Demokratie“ umfasst insgesamt 120Jahre der Arbeit der SPD-Landtagsfrak-tion, hat jedoch einen Schwerpunkt in der

Nachkriegszeit. Die „Stunde Null“ 1945 er -möglichte vielen Sozialdemokraten wiederpolitische Arbeit im Bayerischen Landtag.Wie eine Tabelle auf den Seiten 92/93 zeigt,waren zwei Drittel der SPD-Landtagsab-geordneten im ersten Nachkriegslandtagim Widerstand aktiv. Als politisch unbe-lastete Volksvertreter arbeiteten sie amWiederaufbau Bayerns. Ihre Haltung undihr Handeln sollten uns jungen Abgeord-neten Vorbild und Verpflichtung sein.

Identitätsstiftend für Generationen vonSPD-Abgeordneten war Wilhelm Hoegner(1887 bis 1980), der Vater der BayerischenVerfassung, der in seinem Schweizer Exildie Grundzüge einer neuen Lebensord-nung für Bayern niederschrieb. ZentraleAnliegen waren ihm die Sozialpflichtigkeitdes Eigentums und – damals ungemeinweitblickend – der Umweltschutz. Zweimalführte Hoegner eine bayerische Regierung:1945/46 und von 1954 bis 1957.

Auf zwei wegweisende Persönlichkeiten inder Geschichte der SPD-Landtagsfraktionsei hier noch hingewiesen: Waldemar vonKnoeringen, langjähriger Landes- undFrak tionsvorsitzender und der Fraktions-vorsitzende Volkmar Gabert. Von Knoerin-gen, der auch bundespolitisch aktiv war,hat maßgeblich zur Öffnung der SPD alsVolkspartei beigetragen. Auch in der frühen

Fraktionsvorstand mit Generalsekretärin Natascha Kohnen: Volkmar Halbleib, Helga Schmitt-Bussinger, Inge Aures, Markus Rinderspacher, Dr. Simone Strohmayr und Hans-Ulrich Pfaffmann(von links).

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Nachkriegszeit wurden Fortschritte undErfolge aus einer Minderheitenpositionangestoßen, beispielsweise die Einführungder christlichen Gemeinschaftsschule unddie Lernmittelfreiheit. Der Fraktionsvor-sitzende Volkmar Gabert initiierte 1978ein Rundfunkvolksbegehren, das 1978 mitgroßer Mehrheit angenommen wurde.

2013 befindet sich die SPD-Landtagsfrak-tion einmal mehr in der Rolle als stärkstepolitische Kraft in der Opposition. Wir ha-ben aus der Opposition bayerische Politikund Gesellschaft verändert. Vor uns liegtjedoch weiterhin das Ziel, gemeinsam mitunseren politischen Verbündeten die CSUvon der Regierung abzulösen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei denAutoren des Buches bedanken, dass sie einerWiederveröffentlichung ihres Textes zuge-stimmt haben. Das jüngste Kapitel schildernwir aus der Innensicht der SPD-Landtags-fraktion. Autorin ist die stellvertretendePressesprecherin Gudrun Rapke.

Wir trauern um den Autor Dr. habil. Hart-mut Mehringer, den früheren Archivleiterdes Instituts für Zeitgeschichte in München,der für den Beitrag zum Nationalsozialis musverantwortlich zeichnete. Die Produk tionund Gestaltung des Buches war bei derAgentur paper-back (Münsing) wieder inguten Händen.

Markus Rinderspacher, München, Oktober 2013

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Der Kampf um Sozialreformen und elementare Bürgerrechte

1893–1918

Bayerischer Landtag und Wahlrecht ab 1848

Die „El-Dorado-Reden“ 1891 und dasLandtagswahlprogramm 1892

Landtagswahlen 1893: fünf Mandatefür die SPD

Wahlbündnisse mit dem politischenGegner und Verbesserungen desWahlrechts

Wahlerfolge und neue Entwicklungenin Staat und Partei

Katholische Reaktion auf denVormarsch der SPD und die Annäherungan die Liberalen

Aufwärtstrend und Abspaltungen

Reform statt Revolution?

Einführung der parlamentarischenDemokratie per Dekret?

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Kampfum Reformen und Rechte

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Bayerischer Landtag und Wahlrecht ab 1848

Der Weg der Sozialdemokraten in den BayerischenLandtag war schwierig. Das Wahlrecht und das Sozia -listengesetz erschwerten das Vorankommen der jun-gen politischen Partei. Zunächst ein Blick auf das gel-tende Wahlrecht im Königreich Bayern:

Obwohl seit 1808/1818 in Bayern eine geschriebeneVerfassung existierte, die dem Gottesgnadentum desbayerischen Königs zumindest symbolisch den Staatals Gemeinwesen gegenüberstellte, waren die tatsäch-lichen politischen Mitwirkungsmöglichkeiten des„Volkes“ über den Bayerischen Landtag minimal. Voneinem Ausbau der politischen Rechte im Sinne einerDemokratisierung oder Legitimierung von Herr-schaft war unter der reaktionär-autokratischen Herr-schaft Ludwig I. (1825–1848) ohnehin nichts zu spü-ren. Erst der bürgerliche Revolutionsversuch 1848brachte in Bayern einen, wenn auch bescheidenenDe mokratisierungsschub. Das durch den Druck derrevolutionären Ereignisse (Ludwig I. musste abtreten)zustande gekommene Landtagswahlgesetz vom 4. Ju-ni 1848 blieb zwar hinter den Vorstellungen der Lin-ken zurück. Verglichen mit dem anderer deutscherLänder war es vergleichsweise fortschrittlich, beson -ders gegenüber dem für den Preußischen Landtag bis1918 weiter geltenden Dreiklassenwahlrecht.

Doch aus der „Theorie der Sozialdemokratie hervor-gegangen“, wie der Abgeordnete Lucas von Gombartbehauptete, war dieses Wahlgesetz zweifelsohnenicht. Die Sozialdemokratie setzte sich seit ihrem Be-stehen für das „allgemeine, direkte, gleiche und ge-heime Wahlrecht“ ein, seit 1875 auch für das Frauen-wahlrecht. Von diesen Zielen war auch noch 1893, al-

so zu dem Zeitpunkt, als die bayerische Sozialdemo-kratie erstmals in den Landtag einzog, nur eines er-reicht. Als Staatsbürger konnten grundsätzlich nurvolljährige Männer, die direkte Steuern zahlten, dasWahlrecht wahrnehmen (mit 25 Jahren das aktive, ab30 Jahren auch das passive). Daran gebunden war dasGemeindebürgerrecht, von dem Dienstboten undGewerbegehilfen generell ausgeschlossen waren. For-mal Berechtigte mussten für den Erwerb der Bürger-oder Heimatrechte (fällig bei Verehelichung) hoheGebühren von bis zu einem Monatseinkommen be-zahlen. Wer keine direkten Steuern zahlte, erhielt erstnach zehnjährigem ununterbrochenen Aufenthalt dasHeimatrecht, vorausgesetzt, er hatte in dieser Zeitkeine Armenunterstützung bezogen. Insgesamt warendurch die Wahlrechtsbeschränkungen 1890 lediglich17 Prozent der Gesamtbevölkerung Bayerns für den

Geltendes Wahlrecht im Königreich Bayern

Landtagswahlgesetz Juni 1848

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Der Landtag war seit 1884 in derPrannerstraße in München zuHause, in der Nähe des heutigenHotels Bayerischer Hof.

Gremium mit geringen Kompetenzen: der BayerischeLandtag (Kammer der Abgeordneten) um 1864

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Bayer ischen Landtag wahlberechtigt! Die Wahlenselbst waren also nicht annähernd gleich, und sie wa-ren auch nicht direkt, sondern erfolgten über Wahl-männer, die den Eid auf die vom König 1818 aufge -zwun gene Verfassung zu leisten hatten. Da die politi-schen Präferenzen dieser Wahlmänner somit offen la-gen, hatten sie im Falle des Engagements für die So -zial demokratie in vielen Fällen berufliche Nachteilebis hin zu Entlassungen, Aufnahme in schwarze Listenusw. zu gewärtigen, was sehr oft abschreckend wirkte.

Die Wahlkreiseinteilung oblag der unkontrolliert tä-tigen Regierung, was sowohl nationalliberale wie spä-ter zentrumsgeführte Regierungen weidlich zu ihrenGunsten ausnutzten. Im Verbund mit dem Wahlmän-ner-System kam es zu grotesken Benachteiligungender SPD, so z. B. in Nürnberg, wo 1905 die 59,4-pro-zentige Stimmenmehrheit der SPD zu einer „wun-dersamen“ Wahlmänner-Mehrheit der liberalen Par-teien von 58,3 Prozent führte. Als ursprünglich allge-meine Richtschnur, die aber kaum eingehalten wurde,sollte auf 31 500 Einwohner ein Abgeordneter kom-men, insgesamt wurden für die zweite Kammer desLandtags (inkl. der Rheinpfalz) ca. 160 Abgeordnetegewählt – wohlgemerkt nur Männer, die Frauen blie-ben bis 1919 ausgeschlossen.

Ein weiteres gravierendes Problem für eine demokra-tische Mitwirkung des Landtags lag in der Existenzder ersten Kammer, der Reichsrätekammer. War einedemokratische Legitimation durch das Wahlrecht fürdie zweite, die Abgeordnetenkammer, wenigstenseingeschränkt gegeben, so war sie für die gleichbe-rechtigte, mit vollem Vetorecht ausgestattete ersteKammer überhaupt nicht vorhanden. Ihre bis zu

91 Mitglieder wurden durch die auf dem Gottesgna-dentum beruhende Verfassung bzw. durch den Mon-archen selbst bestimmt, ihre Struktur blieb von 1818an hundert Jahre lang unangetastet. Die Reichsräte-kammer vertrat die Interessen des Hochadels, derGroßagrarier, des (geadelten) Großbürgertums undab 1900 auch die der Großindustrie. Eine Gesetzes-vorlage galt nur dann als rechtsgültig verabschiedet,wenn sie beide Kammern des Landtags in Überein-stimmung beschlossen hatten.

Nach einhelliger Ansicht der SPD war eine solche In-stitution wie die Reichsrätekammer nicht zu demo-kratisieren, sondern nur abzuschaffen. Der große So-zialdemokrat Georg von Vollmar beschrieb schon1894 im Landtag die fatale Wirkung der Reichsräte-kammer:

„Es muß doch gerade niederdrückend auf uns wirken[…], wenn wir hier erst Tage und Wochen lang diewichtigsten Gegenstände erörtern, alle möglichen

SPD fordert Abschaffungder Reichsrätekammer

Bayerischer Landtag und Wahlrecht ab 1848 11

Kammer der Reichsräte im Landtag. Die Mitglieder bestimmte der König.

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Gründe dafür darlegen und schließlich sogar ohneUnterschied der sonstigen Parteiverschiedenheitenzu einem einstimmigen Beschlusse kommen, undwenn dann ein paar Herren in einer halben oderViertelstunde einfach die Beschlüsse der Volksver-tretung wieder zunichte machen können.“

Unabhängig von der Bollwerkfunktion der Reichs -rätekammer waren die allgemeinen Kompetenzen derAbgeordnetenkammer eher dürftig. Dazu gehörte einsehr eingeschränktes Recht zur Gesetzesinitiative, dasbeispielsweise alle Bereiche ausschloss, die königlicheRechte berührten. Tabu war vor allem die Änderungder Staats- und Gesellschaftsordnung. Die Parlamen-tarier hatten zwar das Recht, das Budget zu prüfen,dies war aber nach Auffassung von Verfassungsrecht-lern keineswegs mit einem Budgetbewilligungsrecht

gleichzusetzen. Zudem konnten Abgeordnete Anfra-gen an die Regierung stellen, die aber nicht zwingendbeantwortet werden mussten.

Die Strukturen, in denen sich Landtagspolitik be-wegen konnte, wurden außerdem dadurch noch wei-ter beschränkt, dass die Staatsregierung der Kontrolledes Landtags entzogen war. Die Minister waren alleinder Krone verantwortlich.

Unter diesen Bedingungen war der Beschluss der baye -rischen SPD, sich 1893 an den Landtagswahlen zu be-teiligen, nur aus dem vorherrschenden Zukunftsopti-mismus der Partei und aus der Hoffnung erklärbar,die bestehenden politischen und gesellschaftlichenVerhältnisse durch Reformen im Sinne des Parteipro-gramms umgestalten zu können.

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Georg von Vollmar(1850–1922)

Der hochbegabteVollmar war vielseitigtätig: Als 17-Jährigerwurde er Mitglied derpäpstlichen Garde,später arbeitete er alsRedakteur und politischerSchriftsteller, Agitatorund Organisator, Par -lamentarier im Reichstagund im Landtag. Seinebedeutendste Leistunglag darin, dass er sozial -demokratische Reformenauf den Weg brachteund der SPD in Bayerndie ersten Konturen einerVolkspartei gab.Der Münchner Ober -bürgermeister ChristianUde bezeichnete Georgvon Vollmar als einen„Pionier der modernenSozialdemokratie“.

Georg von Vollmar (zweiter von links) in geselliger Runde

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Das Zentrum stimmtzunächst dagegen

332 Vereine verboten

Das Sozialistengesetz

Am 9. September 1878 legte Reichskanzler Bismarckeinen neuen Gesetzentwurf „gegen die gemeingefähr-lichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ vor.Bismarck zog alle rhetorischen Register und zeichnetedie Sozialdemokratie und ihre Absichten in düsterstemLicht. So nannte er den Sozialismus die „Tyrannei ei-ner Gesellschaft von Banditen“ und erklärte, die Opferkünftiger, zu erwartender sozialdemokratischer Meu-chelmorde blieben „zum großen Nutzen (des) Vater-landes auf dem Schlachtfeld der Ehre“.Der Verabschiedung des so genannten Sozialistenge-setzes am 19.10.1878 mit 221 zu 149 stimmten nichtnur die Konservativen zu, sondern auch alle National-liberalen. Das Zentrum war, aufgrund der Erfahrun-gen aus dem Kulturkampf, dagegen. Zusammen mitden Sozialdemokraten stimmten auch die Mehrheitder linksliberalen Fortschrittspartei, die Partikularis-ten und die Polen. Das Gesetz war zunächst zweieinhalb Jahre gültig; eswurde insgesamt vier Mal (1880, 1884, 1886 und 1888)verlängert. 1884 stimmten 39 Zentrumsabgeordneteund 26 Freisinnige zu. 1886 waren die Zentrumsstim-men sogar ausschlaggebend für die weitere Verlänge-rung – die Erinnerungen an den Kulturkampf warenverblasst, das Zentrum entwickelte sich zur staatstra-genden Partei, zum Koalitionspartner für die Konser-vativen.Die unmittelbaren Auswirkungen waren spektakulär.Insgesamt wurden im Reichsgebiet 332 Vereine verbo-ten – keineswegs nur politische, sondern auch zahlrei-che kulturelle, „Vergnügungs“- und Bildungsvereine.Von der Bayreuther „Arbeiter-Liedertafel“ bis zumWormser Gesangverein „Heiterkeit“, vom Altonaer„Allgemeinen Sängerbund“ bis zur Stuttgarter Lieder-tafel „Lassallia“ traf die Gesetzeskeule auch Arbeiter-

bildungsvereine, insgesamt 108 Organisationen. 1299Zeitungen und Druckschriften fielen der Zensur zumOpfer – als einzige sozialdemokratische Zeitungenblieben die „Neue Offenbacher Zeitung“ und die„Fränkische Tagespost“ in Nürnberg/Fürth übrig.Auch 23 Unterstützungsvereine und 95 Gewerk-schaftsorganisationen wurden in die Illegalität ge-drängt oder resignierten.Auf der Basis des § 28 verhängten regionale Justizbe-hörden des Öfteren den „Kleinen Belagerungszu-stand“, so z. B. in Berlin, Hamburg, Leipzig, Frank-furt a. M., und wiesen zahlreiche des Sozialismus ver-dächtige Personen aus, von 1878 bis 1890 fast 900.Dies brachte allerdings nicht immer den von derObrigkeit gewünschten Effekt: In vielen Fällen expor-tierte der Bismarckstaat damit nur die sozialistischeAgitation in neue Regionen. Versammlungen wurdenentweder untersagt oder bespitzelt; als Folge gab es ab1886 zahlreiche Geheimbundprozesse. Insgesamtwurden ca. 1500 Personen zu Freiheitsstrafen verur-teilt. Parallel dazu führten Unternehmer schwarze Lis-ten, sperrten Arbeiter aus und/oder entließen siewegen sozialdemokratischer Agitation.Da es in Bayern nicht zur Verhängung des „KleinenBelagerungszustandes“ wie in Preußen kam, ließensich einige führende Sozialdemokraten nach ihrer Aus-weisung für längere Zeit in München nieder, wo ihnenzumindest keine neue Vertreibung drohte. Als Beispie-le seien der Niederbayer Ignaz Auer sowie der BerlinerLouis Viereck genannt, der von München aus Zeitun-gen für das gesamte Deutsche Reich herausgab. Diese„Emigranten“ trugen dazu bei, dass sich MünchenMitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts zu einemZentrum der deutschen Sozialdemokratie entwickelthatte.

Bayerischer Landtag und Wahlrecht ab 1848

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Die „El-Dorado-Reden“ 1891 und dasLandtagswahlprogramm 1892

Das für die Landtagsarbeit der bayerischen Sozialde-mokratie grundlegende Programm war auf dem ers -ten bayerischen Landesparteitag in Reinhausen beiRegensburg 1892 verabschiedet worden.Es stammte fast ganz aus der Feder Georg von Voll -mars und basierte in Grundzügen auf einer reformis-tischen Taktik, die er in seinen beiden „El-Dorado-Reden“ formuliert hatte. In diesen nach einemMünchner Versammlungslokal benannten Reden von

Juni und Juli 1891 trat Vollmar für eine allmählicheUmwandlung von Staat und Gesellschaft durch fort-schreitende Reformen ein. Nach dem Fall des Sozia-listengesetzes sah Vollmar Möglichkeiten für eine Re-formpolitik, die er in seinem berühmten Ausspruch„Dem guten Willen die offene Hand, dem schlechtendie Faust!“ zum Ausdruck brachte. Auch in Bayern saher unter der nationalliberalen Regierung Crailsheimgute Chancen für soziale Reformen. Er empfahl der

Motto für Reformen:„Dem guten Willen die

offene Hand, demschlechten die Faust!“

Erster Bayerischer Parteitag 1892, Gründungsdatum des Landesverbandes der SPD in Bayern

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

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Partei, insbesondere den Arbeiter-schutz weiter voranzutreiben, sichfür ein uneingeschränktes Vereins -recht einzusetzen, die Neutralitätdes Staates bei Tarifauseinander-setzungen anzustreben, eine Kar -tell gesetzgebung zu entwerfen undfür die Beseitigung der Lebens-mittelzölle zu kämpfen.

Solche Reformziele standen keines -wegs im Widerspruch zur prakti-zierten Politik der Sozialdemokratieim Reich. Gerade zum letztge-nannten Punkt hatte die Gesamt-partei eine große Massenbewegunginitiiert, die die Handelspolitik desneuen Reichskanzlers Caprivi mitbeeinflussen sollte. Provozierendwar jedoch, dass Vollmar der Parteidie Beschränkung auf diese Zieleempfahl und behauptete, so wachsedas Alte allmählich, aber sicher indas Neue hinein. Damit erntete erüberwiegend erbitterten Wider-spruch, August Bebel attestierteihm „einen ganz unhaltbarenStand punkt“.

Ungeachtet der Anwürfe hatte dererste bayerische Landesparteitagfür die Landtagswahlen 1893 ein in21 Artikel gegliedertes Programmverabschiedet, das weitreichendepolitische Reformziele formulierte:

■ Einführung des allgemeinen,gleichen, geheimen unddirekten Landtagswahlrechts

■ Erweiterung derparlamentarischen Rechte

■ Aufhebung des Verbots fürVerfassungs änderungenwährend der Regentschaft [des Prinzregenten Luitpold,1886–1912]

■ Abschaffung der Reichsräte -kammer

■ Uneingeschränkte Vereins- undVersammlungsfreiheit

■ Trennung von Kirche und Staat■ Pflege von Wissenschaft und

Kunst■ Neuordnung des gesamten

Steuer- und Abgabewesens■ Ausdehnung der Selbstver -

waltung■ Verbesserung des Arbeits -

schutzes■ Verbesserung des

Versicherungswesens■ Reformierung des

Kommunalwahl rechts

Föderalistisch und antipreußischwar insbesondere der zweite Arti-kel, in dem die „Anwendung derverfassungsmäßigen Selbständig-keit Bayerns und seines Einflusseszur entschiedenen Abwehr von inder Reichspolitik hervor tre ten den

volks- und frei heits schäd li chen Be-strebungen, ins be son dere der dieLebenshaltung vertheuernden in-direkten Steu ern und der unauf-hörlichen Steigerung der Militär-lasten“ gefordert wurde.

„El-Dorado-Reden“ und Landtagswahlprogramm 1892 15

SPD-Plakat zur Landtagswahl 1893

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Landtagswahlen 1893: fünf Mandatefür die SPD

Ungeachtet vorhandener Skepsis von Teilen der SPDbezüglich der Beteiligung an Landtags- und Reichs-tagswahlen hatte der Nürnberger Karl Grillenbergerschon 1881 ein Reichstagsmandat errungen, Georgvon Vollmar 1884 eines in München. Ein Jahr vorherwar Vollmar bereits die Eroberung eines Mandats imSächsischen Landtag gelungen. Eine – wegen des So-zialistengesetzes notgedrungen geheime – Landesver-sammlung hatte 1885 in Nürnberg eine Kandidaturfür die Landtagswahlen 1887 vorbereitet. Angesichtseiner Krankheit Vollmars, besonders aber wegen des

Scheiterns von Wahlabsprachen mit dem Zentrum(das die Liberalen bevorzugte), schlug dieser ersteVersuch fehl. Bei den Landtagswahlen im Juli 1893gelang es nun aber, mit 3,1 Prozent der Stimmen fünfMandate zu erringen. Georg von Vollmar wurde imMünchner Wahlkreis II gewählt, Karl Grillenberger,Franz Josef Ehrhart, Gabriel Löwenstein und Johan-nes Scherm erhielten ihr Mandat in Nürnberg-Fürth.

Damit war ein erster Brückenkopf der Sozialdemo-kratie im Bayerischen Landtag errichtet. Der kleinen

Fünfer-Fraktion stand je-doch eine erdrückendebür gerliche Mehrheit von154 Abgeordneten gegen-über, in der das katholi-sche Zentrum mit 74 unddas liberale Lager mit 67Mandaten die größtenMachtblöcke bildeten.Ge nauer betrachtet zeich-neten sich aber durchausMöglichkeiten ab, poli-tisch wirksam werden zukönnen. So konnten dieSozialdemokraten ange-sichts der Balance zwi-schen Zentrum und Libe-ralen versuchen, in für siewichtigen Fragen dasZüng lein an der Waage zuspielen. Die großen Lagerim Landtag waren zudemkeine festen Blöcke:

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Die ersten sozialdemokratischen Abgeordneten im Bayerischen Landtag: (von links) Gabriel Löwenstein, Franz Josef Ehrhart, Karl Grillenberger, Johannes Scherm und Georg von Vollmar

Karl Grillenberger

Franz Josef Ehrhart

Gabriel Löwenstein

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■ Das Zentrum hatte zunehmend Probleme mitseiner volksparteilichen Entwicklung, was Gegen -sätze zwischen klerikalem Hochadel und Groß -grund besitz und der bäuerlich-proletarischen Basisaufbrechen ließ. Auf dem Land waren die aufmüp -figen Bauernbündler eine Konkurrenz, in denStädten war es die Sozialdemokratie, die christ ka -tho lischen Gewerkschaftsbestrebungen Paroli bot.

■ Die Liberalen waren vom Spaltpilz infiziert.Schon 1893 waren sie dreigespalten, die größteFraktion stellten die Nationalliberalen mit43 Mandaten.

Bald zeigte sich, dass mit Teilen und Einzelpolitikernin beiden Blöcken zweckgerichtete Bündnisse ge -schlos sen werden konnten. Das bedeutete freilichnicht, dass damit die fundamentalen Unterschiede inder Weltanschauung und den politischen Zielen auf-gehoben wurden oder die Zusammenarbeit eine einfa-che Aufgabe werden würde. Für die übergroße Mehr-heit des bürgerlichen Lagers war die SPD ohnehin ei-ne umstürzlerische Verbrecherpartei. Was z. B. füh-rende Zentrumspolitiker von der Sozialdemokratiehiel ten, hatte der Passauer Domvikar Dr. Pichler (laut„Münch ener Post“ ein „verbissener Sozialistenwür-ger“) anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung inHaar bach am 16. April 1893 unmissverständlich aus-gedrückt:

„… Beseitigung der Religion ist ihre Aufgabe, siepredigen den Atheismus. Sie wollen Beseitigungder Monarchie, Sturz der Throne und Einführungder Republik. Die Sozialdemokraten sind Lügner,Heuchler, gottlose Leute, durch ihre Ideen führen sie

einen Zuchthausstaat, Unordnung, Hungersnoth undVerderben der ganzen Menschheit herbei.“

Neben diesen diffamierenden und hasserfülltenUnte rstellungen gab es noch eine weitverbreiteteArroganz gegenüber der neuen Fraktion: Nach An-sicht führender Liberaler und Zentrumspolitiker

1893: fünf Mandate für die SPD 17

Die Wahlpostkarte Vollmars zeigt den Berliner Reichstag.

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manövrierten sich dieSPD-Politiker durchman gelnde rhetorischeFähigkeiten, sach licheInkompetenz und ideo-logische Verblendungselbst ins politische Ab-seits. Gerade diese Mei-nungen mussten jedochinnerhalb kürzester Zeitrevidiert werden. Schonwenige Monate späterhatten die fünf SPD-Politiker auch nachEinschätzung ihrer po-litischen Gegner bewie-sen, dass sie hohe Kom-petenz in Sachfragenbesaßen und sich akri-bisch und mit großemFleiß (die Fraktion trafsich wochenlang vorBeginn der Landtags-

sessionen) umfassend informierten. Nicht zuletztdurch ihre jahrelange politische Agitationsarbeitüber trafen die rhetorischen Fähigkeiten der Sozial-demokraten die der liberalen und ultramontanenHinterbänkler bei weitem. Besonders der Fraktions-führer Georg von Vollmar hielt beeindruckende Re-den, die in Inhalt, Wortwitz und Gestaltung Höhe-punkte in den Redeschlachten des Landtags dar-stellten.

Die SPD-Fraktion legte auch nicht die befürchteteunversöhnliche Oppositionshaltung an den Tag. Dies

zeigte sich schon anlässlich der ersten Etatberatungen.Da die SPD-Landtagsabgeordneten einige Verbesse-rungen, unter anderem für die kleinen Beamten, hattendurchsetzen können, stimmten sie dem Gesamtbudgetzu. Sie riskierten mit dieser Haltung sogar Konfliktemit der Gesamtpartei, die tatsächlich nicht ausblieben.Rückhalt erhielt die Fraktion vorerst durch den Lan-desparteitag 1894, auf dem zwar von einzelnen Dele-gierten Kritik an dieser Zustimmung geübt, anschlie-ßend aber doch der Landtagsfraktion einstimmig dasVertrauen ausgesprochen wurde.

Auf erheblich heftigere Kritik stieß die bayerischeSPD-Landtagsfraktion mit ihrer Budgetzustimmungbei der Gesamtpartei. Der Frankfurter Parteitag derSPD 1894 forderte mehrheitlich entschieden die Ab-lehnung aller Etats auf Reichs-, Länder- und Ge-meindeebene. Dagegen wiesen Vollmar und Grillen-berger darauf hin, dass es inkonsequent sei, einzelneReformen zu unterstützen (was Bebel und seine An-hänger ausdrücklich bejahten), den Gesamtetat aberunter allen Umständen abzulehnen. Sie stellten denAntrag, die Entscheidung über Annahme oder Ableh-nung eines Landesbudgets den jeweiligen Landtags-fraktionen zu überlassen. Dies wurde abgelehnt. Diebayerische Landtagsfraktion hielt sich vorerst daran:Erst 1908 stimmte sie erneut einem Landesetat zu.

Agrarprogramm und Bauernfrage

Der Frankfurter Parteitag 1894 bereitete auch einAgrarprogramm vor, das die selbständige Existenzkleiner und mittlerer Bauern schützen sollte. Zu denInitiatoren gehörte Georg von Vollmar. Obwohl Au-gust Bebel und Karl Liebknecht dies unterstützten,

Keine unversöhnlicheOpposition

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

„Die Socialdemokratischen LandtagsabgeordnetenBayerns“ von 1893

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lehnte der Parteitag von 1895 mehrheitlich ein sol-ches Programm ab: es widerspreche der traditionellensozialistischen Ideologie, der zufolge auch in derLandwirtschaft der Weg über die Bildung von Groß -be trieben zur genossenschaftlichen Wirtschaft ver-laufe. Diese Ablehnung war für die Landagitation

wenig hilfreich, Bauern konnten wohl kaum für dieSozialdemokratie gewonnen werden, indem man ih-nen den sicheren Untergang in Aussicht stellte. Diebayerische Landtagsfraktion erklärte daraufhin, Zielihrer Agrarpolitik bleibe es, einer „größtmöglichenZahl von Bauern den Absturz in das Proletariat zu

1893: fünf Mandate für die SPD 19

Tag der Arbeit: Landmann und Sozialdemokrat gehen aufeinander zu.

Unterstützung derkleinen Bauern

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ersparen“. Sie verabschiedete 1896 eineigenes Agrarprogramm, das die Un -ter stützung der klei nen und mittlerenBauern festschrieb.

Kampf für die Koalitionsfreiheit unddie Änderung des Vereins- undVersammlungsrechts

Eines der wichtigsten Anliegen war fürdie fünf Sozialdemokraten seit ihremEintritt in den Landtag die Schaffungeines freiheitlichen Vereins- und Ver-sammlungsrechts. Das bayerische Ver-eins- und Versammlungsgesetz stamm-te aus dem Jahr 1850, also aus der Reak-tionszeit nach dem Revolutionsversuchvon 1848. Im Wesentlichen enthielt es

zweiRegelungen,derenrestriktiveAus -legung besonders die Politik der Sozial -de mokratie und der mit ihr verbun -denen Gewerkschaften entscheidendbehinderte: zum einen das Verbot für(lokale) politische Vereine, überregio-nal miteinander in Verbindung zu tre-ten (Verbindungs- bzw. Affiliations-verbot); zum anderen die Bestimmung,dass Frauen und Jugendliche politischenOrganisationen nicht angehören undderen Veranstaltungen nicht besuchendurften (wegen angeblicher sittlicherGefährdung!).

Im Jahr 1894 von der Sozialdemokra-tie anhand zweier Versammlungsver-bote in Bamberg und Nürnberg einge -

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Titelblatt einer Rede von Georg von Vollmar zur Bauernfrage

Kämpfte entschlossen für eine Reform des Wahlrechts: Karl Grillenberger

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brach te Verfassungsbeschwerden wegen Verletzungdes Versammlungsrechts wurden allerdings mit gro-ßer Mehrheit durch den Landtag abgewiesen. Biszur nächsten großen Landtagsdiskussion im April1896 setzte sich jedoch, besonders bei Teilen der Li-beralen, die Meinung durch, das Vereins- und Ver-sammlungsgesetz einer „den heutigen Verhältnissenentsprechenden Revision“ zu unterziehen. Trotzdieser Einsichten stand Vollmar im zuständigenAusschuss allein mit der Meinung, dass alle die Ver-eins- und Versammlungsfreiheit betreffenden Rege-lungen aus dem Gesetz getilgt werden sollten.

Dennoch stellte das am 15. Juni 1898 schließlichrechtskräftig gewordene Gesetz einen enormen Fort-schritt für die künftige Arbeit der bayerischen SPDdar. So wurde das Verbindungsverbot aufgehoben undFrauen waren künftig berechtigt, an politischen Ver-sammlungen teilzunehmen und sich in politischenund gewerkschaftlich orientierten Vereinen zu orga-nisieren (für Jugendliche blieb dies allerdings weiter-hin verboten).

Nun konnten die Parteimitglieder in selbständigenOrtsvereinen, die in drei Gauverbänden (mit Sitz inNürnberg, München und Ludwigshafen) zusammen-gefasst wurden, organisiert werden. Der pfälzischeLandtagsabgeordnete Franz Josef Ehrhart kommen-tierte diesen Erfolg zutreffend auf dem WürzburgerParteitag 1898:

„Unter den gegebenen Umständen haben wir alleUrsache, von einem Erfolg zu sprechen. Wenn wirsehen, welcher Geist gegenwärtig in Deutschlandumgeht, wie überall der Drang nach rückwärts sich

bemerkbar macht, so müssen wir sagen, daß das,was im Bayerischen Landtag geschehen ist, eineErrungenschaft bedeutet.“

Eintreten für eine Wahlrechtsreform

Der hohe Stellenwert, den die sozialdemokratischeLandtagsfraktion der Reform des Landtagswahlrechtsbeimaß, geht auch daraus hervor, dass sich der ersteAntrag, den sie in die konstituierende Sitzung des neugewählten Landtags am 29. September 1893 ein-brachte, genau mit diesem Thema befasste. DerNürnberger Lokalmatador der SPD, Karl Grillenber-ger („Grillo“), erläuterte die wichtigsten Forderungendes Antrags:

■ Neueinteilung der Wahlkreise, auf der Grundlageder letzten Volkszählung

■ Allgemeines und direktes Wahlrecht, auch fürFrauen

■ Aktives Wahlrecht ab 21, passives ab 25 Jahren■ Einführung des Verhältniswahlrechts

Karikatur zur Landtagswahl 1898: Die bayerische Regierung nimmt die Huldigung desKapitals entgegen.

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Obwohl künftig auch Liberale und Bauernbündler, ja sogar einzelne Zentrumspolitiker wenigstens für eine An-gleichung des Landtagswahlrechts an das Reichstagswahlrecht plädierten, war die notwendige Zweidrittelmehr-heit für eine grundlegende Reform nicht in Sicht. Das Zentrum, besonders seine führenden Politiker Orterer undGeiger, verschanzte sich hinter der Ansicht, dass eine nötige Verfassungsänderung unter der Regentschaft prinzi-piell gar nicht möglich sei. Eine so weitgehende sozialdemokratische Forderung wie die nach dem Frauenwahl-recht war ohnehin selbst bei den Linksliberalen eher eine Lachnummer als ein ernst zu nehmendes politischesZiel. Die SPD-Fraktion hielt dennoch mit Anträgen 1895 und 1897 das Thema weiter in der Diskussion. Ihr drit-ter Antrag 1897 schraubte allerdings die Forderungen auf ein Mindestmaß zurück und konzentrierte sich nur aufdie Einführung der direkten Wahl und die Neueinteilung der Wahlkreise. Auf der Basis dieser Minimalforde-rungen erklärte sich die zweite Kammer dann bereit, die Regierung zu bitten, einen entsprechenden Gesetzent-

wurf einzubringen. Das war für die Reichsrätekammer allerdings schon zuviel: Sie lehnte dieses Ansinnen ab und brachte damit den Beschluss der Ab-geordnetenkammer zu Fall.

Wahlbündnisse mit dem politischen Gegner und Verbesserungen des Wahlrechts

Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ab, dass trotz der re-alistischen programmatischen Ansätze in der Agrarpolitik die bayerischeSPD auf dem Land kaum Fuß fassen konnte: Die Konkurrenz des Zentrumsmit seinen christlichen Bauernver einen und Konsum- und Verkaufsgenos-senschaften war zu stark. Umgekehrt hatte das Zentrum in den städtischenund industriellen Ballungsgebieten ähnliche Probleme. Die eigentlicheKonkurrenz der Sozialdemokratie in diesen Gebieten waren deswegen eherdie Liberalen, gegen die sich Wahlbündnisse mit dem Zentrum anboten –wenigstens in der Theorie. Trotz aller politischen Gegensätze war ja vonSeiten Vollmars schon 1887 ein erster Versuch gestartet worden, der aller-dings scheiterte, da das Zentrum damals die Liberalen als das deutlich klei-nere Übel betrachtete. Zwölf Jahre später hatte sich Grundlegendes geän-dert. Mit dem Erstarken eines linken Zentrumsflügels um Georg Heim kames auch zu politisch-inhaltlichen Annäherungen in der Politik beider Par-teien, so etwa im Agieren „gegen den preußischen Unitarismus und Milita-rismus, besonders die ‚Flottenschwärmerei‘, die imperialistische Außenpoli-

Ungewöhnliche Allianz: Zentrum und Sozialdemokraten schließenein Wahlbündnis.

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

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tik und den kapitalistisch-nationalliberalen bauern-und arbeiterfeindlichen Regierungsstil“. Darüberhinaus ergaben sich Berührungspunkte in sozialpoliti-schen Fragen. Da zudem die Liberalen sowohl durchdie Wahlkreiseinteilung wie auch durch das Wahl-männer-Verfahren bevorzugt waren, lag ein Wahl-bündnis von Zentrum und SPD in gegenseitigemInteresse, um die Liberalen zu schwächen und jeweilseigene Mandate hinzuzugewinnen. Die entsprechen-den Verhandlungen führten Vollmar und Ehrhart sei-tens der SPD, Dr. Jäger (Wahlkreis Dillingen) undder Speyrer Domkapitular Dr. Zimmern für das Zen-trum.

Die Rechnung ging auf: Beide Parteien gewannen jesechs Mandate hinzu, was für die bayerische SPD-Landtagsfraktion mehr als eine Verdoppelung, für dasZentrum jedoch mit nunmehr 83 Sitzen die absoluteMehrheit bedeutete. Die gestärkte Position der neu-en SPD-Landtagsfraktion führte dazu, dass erstmalsein Sozialdemokrat in den einflussreichen Finanzaus-schuss gewählt wurde.

Die absolute Mehrheit des Zentrums war zwar vonsozialdemokratischer Seite aus sicher nicht wün-schenswert, da aber durch den Zuwachs vor allem derlinke Flügel des Zentrums gestärkt wurde, ergabensich auch inhaltlich erweiterte Möglichkeiten der Zu-sammenarbeit, wie z. B. im Bereich der Sozialrefor-men. Dass die bayerische SPD-Landtagsfraktion umdie Jahrhundertwende bei großen Teilen des Zen-trums als akzeptabler Bündnispartner galt, verkünde-te der Zentrumsabgeordnete Reeb offen in einerLandtagssitzung. Der Abgeordnete wies darauf hin,dass die Sozialdemokratie

„… im allgemeinen darauf aus [sei], daß sie denMitgliedern des vierten Standes ihre Lebensstellungund ihre Lebenshaltung zu verbessern sucht. Siegeht darauf aus […], die Arbeiter zu heben und zuschützen gegen die Übermacht des Kapitals. DasBrimborium, das sie noch darum macht, läßt sichauf die Dauer nicht halten, […] und dann erscheintdie Sozialdemokratie als eine meinetwegen radi-kale Reformpartei. Wenn sie es heute auch nichtzugesteht, so ist sie es doch oder muß es noch wer-den. […] Ich meinerseits betrachte schon längst dieSozialdemokratie nach dem, was sie leistet. […]Geleistet hat sie schließlich doch auch etwas, siewar hinter den anderen Parteien her und hat sie ge-drängt, die Sozialreform energischer in Angriff zu

Wahlbündnisse und Verbesserungen des Wahlrechts 23

SPD-Landtagsfraktion 1899: Die Zahl der Abgeordneten hat sich gegenüber 1893 mehrals verdoppelt.

Zentrumsmann Georg Heim

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nehmen und das Menschenmögliche durchzufüh-ren […]. Ich leugne nicht, daß die Sozialdemokra-tie auch auf das Zentrum in der Weise eingewirkthat, daß dieses energischer und entschieden dieRegierung zur Durchführung von Reformen drängt.“

Diese bemerkenswerte Charakterisierung der SPD alsReformpartei und – trotz ihrer wenigen Abgeordne-ten – als wesentlicher Motor der Sozialpolitik hatteauch direkte praktisch-politische Konsequenzen. Daszeigte sich 1899, als der Nürnberger SPD-PolitikerKarl Michael Oertel eine Interpellation in den Land-tag einbrachte, die gegen die Zustimmung der bayeri-schen Regierung im Bundesrat zur „Zuchthausvorla-ge“ gerichtet war (diese Vorlage sah härtere Strafenfür die Ausübung von Zwang zur Teilnahme anStreiks oder zum Gewerkschaftsbeitritt vor und schei-terte 1899 im Reichstag). Während die Liberalen dieRegierungshaltung unterstützten (der liberale Abge-ordnete Casselmann sprach sogar vom „Terrorismus“der Arbeiterbewegung), wiesen Zentrumsabgeordne-te den Versuch, das Koalitionsrecht einzuschränken,scharf zurück.

Die politische Annäherung von Zentrum und Sozial-demokratie erstreckte sich auch auf den Bereich derWahlrechtsreform. Als der SPD-Abgeordnete MartinSegitz 1899 erneut den Wahlrechtsreformantrag von1897 einbrachte, signalisierte das Zentrum, dass nun-mehr keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestün-den und auch das Zentrum für direkte Wahlen sei. Be-züglich der neuen Wahlkreiseinteilung ließen jedochführende Zentrumspolitiker keinen Zweifel daran,dass sie einer Regelung, die ihre Stellung auf demLand schwächen würde, nicht zustimmen wollten.

Segitz betonte, dass der eingebrachte Antrag großeKompromisse enthielt:

„Der Antrag, den wir gestellt haben, entsprichtnicht dem, was wir von einem Wahlgesetz verlan-gen: Herabsetzung der Altersgrenze auf das zwan-zigste Lebensjahr, Einführung des Frauenwahlrech-tes, den Proporz [gemeint ist das Verhältniswahl-recht] usw. Auf diese Forderungen verzichten wirnicht. Wir halten es aber nicht für opportun, jetztdamit hervorzutreten, weil wir bei der Zusammen-setzung dieses Hauses keinerlei Aussicht haben,derartige Anträge eventuell durchzubringen. Unsist es darum zu tun, unter allen Umständen eineBesserung des jetzigen Wahlgesetzes herbeizufüh-ren.“

Auch Vollmar bekräftigte, dass die sozialdemokrati-sche Fraktion in hohem Maße kompromissbereit sei,damit „wir endlich dazu kommen, ein Gesetz zu er-halten, das dieser Kammer zum ersten Mal das Rechtgeben wird, sich in Wahrheit eine Volksvertretung zunennen“.

Der sozialdemokratische Antrag wurde an einen Aus-schuss überwiesen, der Vorschläge für ein neuesWahlgesetz formulieren sollte. Er einigte sich auf 14 Punkte, die im Mai 1902 einstimmig von der Ab-geordnetenkammer und der Reichsrätekammer ver-abschiedet wurden. Die drei zentralen Punkte waren:

■ Einführung der direkten Wahl■ Berechnung der Zahl der Abgeordneten auf der

Grundlage der Volkszählung 1900 (auf je 38 000Einwohner sollte ein Abgeordneter kommen)

ErneuterWahlrechtsreform-

Antrag 1899

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

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■ Einführung einer gesetzlichen Wahlkreis -einteilung, räumlich zusammenhängend nachAmtsbezirken (den späteren Landkreisen) oderDistriktsgemeinden (den späteren kreisfreienStädten)

Im September 1903 legte die Regierung dem Landtageinen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Bei denAusschussberatungen zeigte sich jedoch, dass die Libera len nicht gewillt waren, einer Wahlkreiseintei-lung zuzustimmen, die dem Zentrum weiterhin dieabsolute Mehrheit sichern würde. Die notwendigeZweidrittelmehrheit war somit nicht zu erreichen undam 29. Februar 1904 scheiterte das Gesetz an 60 Ge -gen stimmen: Lediglich SPD und Zentrum hatten da-für gestimmt.

Die SPD-Fraktion gab aber dennoch nicht auf undließ sich auch durch eine innerparteiliche Opposition,der der Gesetzentwurf „zu kompromisslerisch“schien, nicht von ihrem Kurs abbringen. Auf demAugsburger Parteitag 1904 erklärte der sozialdemo-kratische Landtagsabgeordnete Segitz die weiter zuverfolgende Strategie. Der Landtagswahlkampf 1905müsse haupt sächlich mit dem Ziel geführt werden,„die Wahlrechtsreform einem glücklichen Ende zu-zuführen“. Dies konnte nach Lage der Dinge nur be-deuten, eine Neuauflage des Wahlbündnisses mit demZentrum gegen die Liberalen anzustreben, da Letz-tere die Gesetzesvorlage nach wie vor zu Fall bringenwollten.

War das Wahlbündnis 1899 seitens des Zentrums voneinzelnen Politikern verhandelt worden, so gab es fürdie Wahl 1905 of fi zielle Verhandlungen zwischen den

Fraktionsführungen, die sogar zu vertraglichen Ab-machungen führten. Ein wesentlicher Erfolg bei denWahlen blieb allerdings aus. Zwar gewann die SPD inder Pfalz Sitze hinzu, verlor aber in Nürnberg alle vierMandate an die Liberalen: Statt bisher 11 verfügte sienun über 12 Mandate. Eindeutiger Gewinner derWahl war das Zentrum, das mit 102 Abgeordnetenden Landtag dominieren konnte. Die Wahlniederlageder Liberalen war desaströs: Ihre Mandatszahl hal -bierte sich auf 22. Der Verabschiedung des Wahl-rechtsgesetzes stand damit nichts mehr im Wege; am10. November 1905 wurde es in der vom Zentrumeingebrachten Form einstimmig verabschiedet undtrat am 9. April 1906 in Kraft.

Landtagswahl 1905: ein Mandat mehr für dieSPD

Wahlbündnisse und Verbesserungen des Wahlrechts 25

Landtagsfraktion 1904 (nicht vollständig)

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Wahlerfolge und neue Entwicklungenin Staat und Partei

Obwohl Teile der bayerischen SPD und auch die Füh-rung der Gesamtpartei das neue Wahlgesetz als eherrückschrittlich betrachteten (August Bebel sprach voneiner „Wahlrechtsverschlechterung nach sächsischemMuster“), zeigten die Wahlerfolge des Jahres 1907doch, dass die bayerische Sozialdemokratie durchausvom neuenWahlrecht profitierte: Sie errang 21Sitze –und das ohne jegliche Wahlabsprachen.Benachteiligungen blieben aber – durch die das Zen-trum begünstigende Wahlkreisaufteilung – nach wievor bestehen. So hatte die Zentrumspartei bei 44 Prozent der abgegebenen Stimmen 98 der 163Mandate erzielt, d. h. 60 Prozent. Die Liberalen ge-wannen bei 24 Prozent der Stimmen nur 15 Prozentder Mandate, die SPD verfügte bei 18 Prozent derStimmen über lediglich 12 Prozent der Sitze. Hierdeuteten sich neue Bündnismöglichkeiten an, vorerstschien aber weiterhin eine Reformpolitik mit demZentrum möglich. So wurde 1908 für alle Gemeindenmit mehr als 4000 Einwohnern die Verhältniswahleingeführt, was zur Folge hatte, dass nach der Ge-meindewahl von 1914 die SPD u. a. in München undNürnberg die stärksten Fraktionen stellte.

Staatsbürgerliche Gleichberechtigung für diebayerischen Sozialdemokraten?

Die Reformpolitik der sozialdemokratischen Land-tagsfraktion hatte dazu geführt, dass die Diffamierungder Sozialdemokraten als Staatsfeinde und Umstürz-ler zurückgedrängt wurde. Dies schien sich 1907 auchseitens des bayerischen Staates zu bestätigen. So er-hielt der neu gewählte Landtagsabgeordnete AlbertRoßhaupter, Arbeiter in der Münchner Zentralwerk-

stätte der bayerischen Staatseisenbahnen und führen-des Mitglied des Süddeutschen Eisenbahnerverban-des, für die Dauer der Landtagssession Urlaub mitLohnfortzahlung – ein Entgegenkommen, zu dem dieRegierung formalrechtlich nicht verpflichtet gewesenwäre (Entsprechendes galt nach Artikel 35 des Land-tagswahlgesetzes nämlich nur für Beamte und Be-dienstete). Proteste gab es lediglich von konservativerSeite, sowohl Liberale wie auch Zentrum hielten die-se Lohnfortzahlung für eine vernünftige Lösung. DieZentrumsregierung unter Staatsminister Podewilsmachte jedoch bald deutlich, wo für sie gegenüber derSozialdemokratie die Grenzen lagen: Als der Volks-schullehrer Johannes Hoffmann im Jahr darauf zumNachfolger des verstorbenen Franz Josef Ehrhart ge-wählt wurde, musste er seinen Dienst quittieren. Indiesem Fall übte aber auch die ZentrumsfraktionDruck aus, da sie nicht dulden wollte, dass ein atheis-tischer Sozialdemokrat für die Kindererziehung zu-ständig sein sollte.

Erfolge im Koalitions- und Tarifvertragsrecht sowie bei der Beamtenbesoldung – Zustimmungzum Etat 1908

Aufgeschlossen zeigte sich die Regierung Podewils ge -genüberdensozialdemokratischen Forderungen nachEinführung von Arbeiterkammern und der Rechtsfä-higkeit von Berufsvereinen. So konnte Albert Roß-haupter im März 1908 als Referent des Arbeiterfür-sorge- und Sozialausschusses im Landtag feststellen:

„Auch die bayerische Staatsregierung hat den Wertder Tarifgemeinschaften anerkannt, indem der Herr

Wahlerfolge im Jahr 1907

NeueBündnismöglichkeiten

in Sicht?

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Erstritt die ersteLohnfortzahlung: Albert Roßhaupter

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Ministerpräsident in einem Erlasse die Fabrik- undGewerbeinspektoren angewiesen hat, auf das Zu-standekommen solcher Verträge hinzuwirken, dasie ein hervorragend geeignetes Mittel seien, einfriedliches Einvernehmen zwischen Arbeitgebernund Arbeitnehmern herbeizuführen und aufrecht-zuerhalten.“

Weniger erfolgreich war ein sozialdemokratischerAntrag von 1907 gewesen, in dem gefordert wurde,die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den staatlichenVerkehrsbetrieben tarifvertraglich festzulegen. DieRegierung und die Zentrumsfraktion wollten zwarden Staatsarbeitern uneingeschränktes Versamm-lungs- und Koalitionsrecht zugestehen, keinesfalls je-doch ein Streikrecht. Unterstützung fanden die Sozi-aldemokraten aber bei einigen Liberalen, was signali-

sierte, dass sich hier tatsächlich künftig neue Bündnis-möglichkeiten eröffneten. Auch als Sachwalter derInteressen von „kleineren“ Beamten verstand sich diesozialdemokratische Landtagsfraktion. So erwirktemaßgeblich sie, dass in dem 1908 verabschiedeten Be-amtenbesoldungsgesetz untere Gehaltsgruppen stär-ker berücksichtigt wurden. Nach diesen Erfolgen er-schien es konsequent, dem bayerischen Gesamtetat1908 zuzustimmen. Martin Segitz begründete dieswie folgt:

„Das vorliegende Budget enthält außer den Mittelnzur Erfüllung einer größeren Anzahl von Kulturauf-gaben, unter anderem für den so wichtigen Ausbauunserer Wasserkräfte und die Elektrisierung von Ei -sen bahnstrecken, auch erhebliche Beträge für dieAufbesserung der Arbeiter in Staatsbetrieben, der

27

SPD-Landtagsfraktion von 1907

Martin Segitz kämpftefür die uneingeschränkteKoalitionsfreiheit.

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Lehrer und Beamten. Wenn nun auch diese Auf -wen dungen in zahlreichen Einzelfällen keineswegsgenügen können, so erblicken wir doch in ihrerGesamtheit einen Fortschritt und haben ihnen des-halb zugestimmt. Obwohl wir keinen Anlaß haben,unsere grundsätzliche Stellung dem herrschendenSystem gegenüber zu ändern und diesem irgend-welches Vertrauen auszusprechen, erkennen wirdoch an, dass durch Errungenschaften wie die desdirekten Wahlrechts für den Landtag, die Verhält-niswahl für die Gemeinden und die Anerkennungder staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der So-zialdemokratie in Bayern sich Ansätze zu einerbesseren Entwicklung zeigen, die wir […] mit allenKräften fördern wollen. Deshalb werden wir, ohnedamit vor dem Volk die Verantwortung für die Re-gierungspolitik oder den Gesamt inhalt des Budgetszu übernehmen und ohne damit unserer künftigenStellung irgendwie vorzugreifen, dem vorliegendenFinanzgesetz unsere Zustimmung geben.“

Die Nürnberger Abgeordneten Josef Simon und MaxSüßheim, auch sonst oft in Opposition zum Landes-und Fraktionsvorstand, verweigerten jedoch demons -trativ ihr Votum.

Kritik der Gesamtpartei und Föderalisierung

Der Nürnberger (Gesamt-)Parteitag der SPD verur-teilte 1908 das Vorgehen der Landtagsfraktionen(auch württembergische und badische Sozialdemo-kraten hatten ihren Landesetats 1907 bzw. 1908 zuge-stimmt). 66 der süddeutschen Delegierten erklärtendaraufhin, dass sie dem „deutschen Parteitag“ nur in„prinzipiellen und taktischen Angelegenheiten, die

das ganze Reich berühren“, eine Entscheidungsbe-fugnis zubilligten, landespolitische Fragestellungenwollten sie alleine durch die entsprechenden Landes-organisationen „auf dem Boden des gemeinsamenProgramms“ entscheiden lassen. Verlesen wurde dieErklärung der „Südstaatler“ durch Martin Segitz, denstellvertretenden Vorsitzenden der bayerischen Land-tagsfraktion.

Führungswechsel in der Fraktions- und Landesspitze

Georg von Vollmar, der wegen seines immer schlech-ter werdenden Gesundheitszustandes nicht am Par-teitag teilnehmen konnte, delegierte im Laufe derZeit immer mehr Führungsaufgaben an andere Funk-tionäre der Landespartei. Neben Martin Segitz über-nahmen nun der aus dem Rheinland stammendeChefredakteur der „Münchener Post“, Adolf Müller,und der 1908 zum hauptamtlichen Landessekretärberufene Erhard Auer Verantwortung in der Frak-tionsführung.

Nach dem Tode des Pfälzer Parteiführers Franz JosefEhrhart im Jahre 1908 – Karl Grillenberger warschon 1897 überraschend verstorben – nahm von den„Gründervätern“ der SPD Bayerns niemand mehr aktiv am politischen Geschehen teil.

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Neu in derFraktionsführung: Erhard Auer

In Opposition zu seinerFraktion: Josef Simon

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Katholische Reaktion auf denVormarsch und die Annäherung derSPD an die Liberalen

Das Zentrum nutzte seine von der Sozialdemokratieerst ermöglichte starke Machtposition ab 1909/10 zueiner reaktionär-katholischen Wendepolitik, was auchmit dem Wiedererstarken des konservativen Flügelsder Partei zusammenhing. Insbesondere kommunaleEinrichtungen in München und Nürnberg, in denenKinder statt am Religionsunterricht an einem konfes-sionslosen Moralunterricht teilnehmen konnten,wurden von der Zentrumsmehrheit erbittert be-kämpft. Noch folgenschwerer waren die Ausein-andersetzungen um die Koalitionsfreiheit bayerischerEisenbahnarbeiter. Um den ihm nahe stehendenBaye rischen Eisenbahnerverband zu stärken, der anMitgliederschwund litt, forderte das Zentrum Maß-nahmen der Regierung gegen den Süddeutschen Ei-senbahnerverband, der politisch der SPD verbundenwar. Den Eisenbahnarbeitern sollte verboten werden,diesem Verband beizutreten. Dass es für das Zentrumnicht allein um den Eisenbahnerverband, sondern umeine grundsätzlich schärfere Bekämpfung der Sozial-demokratie ging, drückte der ZentrumsabgeordneteSchöndorf am 11. November 1911 wie folgt aus:

„Über die akute Frage des Süddeutschen Eisen-bahnerverbandes hinaus erwarten wir von der kö-niglichen Staatsregierung, daß sie auf allen Ge-bieten […] sich gegen die zersetzenden und anti-monarchischen Tendenzen der Sozialdemokratiemit aller Kraft und mit allem Nachdruck stemmt.“

Die Zentrumsfraktion nutzte die Auseinandersetzungzu einer Kraftprobe mit der Regierung und verwei-gerte eine Wiederaufnahme der Etatverhandlungen.

Daraufhin wurde am 14. November 1911 der Landtagvorzeitig aufgelöst. Bei den Neuwahlen 1912 kam eszu einem Bündnis zwischen Liberalen, Sozialdemo-kraten und dem Bayerischen Bauernbund. Obwohlder „Rotblock“ 47 Prozent der abgegebenen Stim-men erhielt, ge wann er wegen der Wahlkreiseintei-lung nur 68 Man date. Dem Zentrum reichten dage-gen 40 Prozent der Stimmen für 87 Mandate und dieerneute absolute Mehrheit. Daraufhin trat die bisheri -ge Regierung Podewils zurück. Neuer Ministerpräsi-dent wurde der konservative Zentrumspolitiker Georgvon Hertling (Reichsrat und Fraktionsvorsitzender),der ab Juni 1913 von Arbeitern der Eisenbahnverwal-tung das Bekenntnis forderte, dass sie Organisationenwie dem Süddeutschen Eisenbahnerverband, die dasStreikrecht für Staatsarbeiter befürworteten, nicht an-gehörten.

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Ministerpräsident Georg von Hertling

Wahlplakat von 1912

Reaktion auf den Vormarsch und Annäherung der SPD an die Liberalen

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01899 1905 1907 1912

Aufwärtstrend und Abspaltungen

Trotz der Benachteiligungen durch die Wahlkreisauf-teilung hatte die SPD bei der Wahl am 5. Februar1912 19,5 Prozent der abgegebenen Stimmen und 30Man date erreicht und war somit zweitstärkste Parteihinter dem Zentrum, das allerdings mit 53,4 Prozentder Mandate wiederum die absolute Mehrheit er-reichte. Der Aufwärtstrend der bayerischen Sozialde-mokratie war jedenfalls nicht gebrochen.

Wahlergebnisse Bayerischer Landtag 1899–1912:

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Landtagsfraktion 1912

15,3

18,1 17,719,5

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Der Beginn des Ersten Weltkrieges hemmte jedochdie weitere Entwicklung der sozialdemokratischenArbeiterbewegung auch in Bayern entscheidend. An-gesichts der Frontstellung der Sozialdemokratie zurkonservativ-klerikalen Regierung verwunderte esnicht, dass die bayerische SPD-Fraktion im Gegen-satz zur Reichstagsfraktion der Änderung des Finanz-gesetzes zum Kriegsbeginn 1914 – der bayerischenVariante der Kriegskreditbewilligung – nicht zu-stimmte. Angesichts der weiteren Bewilligung derKriegskredite kam es ab 1916 zu scharfen Differenzeninnerhalb der SPD-Reichstagsfraktion, die im April1917 zur Abspaltung der „Unabhängigen Sozialdemo-kratischen Partei Deutschlands“ (USPD) führten.Diese reichsweite Spaltung der SPD wirkte sich inBayern allerdings zunächst weniger aus als in anderen

deutschen Ländern. Ausnahmen gab es in Schwein-furt, wo sich der Gewerkschaftsvorsitzende FritzSoldmann zur USPD bekannte, und in Oberfranken:Neben einigen weiteren fränkischen Ortsvereinentrat die Parteiorganisation des ReichstagswahlkreisesHof geschlossen mit ihrem Reichstags- und Land-tagsabgeordneten Josef Simon der USPD bei. Dieserhielt jedoch weiterhin enge Kontakte zu seinen frühe-ren Fraktionskollegen.

In der Landeshauptstadt München blieb die USPDzunächst unbedeutend. Ein führender Politiker derMünchner USPD, nämlich Kurt Eisner, sollte aller-dings für die weitere Entwicklung Bayerns und derbayerischen Sozialdemokratie große Bedeutung er-langen.

Aufwärtstrend und Abspaltungen 31

Kriegsfreiwillige 1914 Führender Vertreter der USPD: Kurt Eisner

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Reform statt Revolution?

Im September 1917 hatte die sozialdemokratischeLandtagsfraktion wiederum einen Antrag einge-bracht, mit dem sie die Einführung der parlamentari-schen Demokratie forderte. Der König sollte künftiglediglich als Staatspräsident fungieren. Alle Vorrechteder Geburt und des Standes sollten abgeschafft, dieReichsrätekammer, in der Adelsfamilien und wenigevom König ernannte Vertreter anderer Stände Sitz

und Stimme hatten, aufgelöst werden. Die jetzigezweite Kammer würde zum alleinigen Landtag wer-den, der auf der Grundlage des allgemeinen Wahl-rechts für alle erwachsenen Staatsbürger gebildet und alleiniger Gesetzgeber sein sollte. Für diesen Antragfand sich keine Mehrheit; außer der SPD-Fraktionunterstützten ihn nur wenige Liberale. Als Mitte Ok -tober 1918 die Verfassungsreform wieder auf der

DER KAMPF UM SOZIALREFORMEN UND BÜRGERRECHTE

Revolution in Bayern 1918/1919

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Tagesordnung stand, warnte der sozialdemokratischeLandtags- und Reichstagsabgeordnete JohannesHoffmann nach ein mal eindringlich vor dem Aus-bruch der Revolution:

„Meine Herren! Überlegen Sie sich die Sache reif-lich. Bayern steht wirklich in einer Schicksalsstunde.Sie bestimmen jetzt innerhalb der nächsten Wochedarüber, ob Reform in Bayern oder Revolution. –Sie haben die Wahl und Sie haben die Entschei-dung!“

Trotz dieser Mahnungen dauerte es bis zum 2. No-vember, ehe es gelang, zwischen Partei- und Regie-rungsvertretern ein Abkommen zur Parlamentarisie-rung zu vereinbaren.

Die – als Erlass des Königs deklarierte – Verfassungs-reform knüpfte Berufung und Abberufung von Minis-tern an die Zustimmungdes Landtags. Für dieWahl zur Abgeordneten-kammer wurde das Ver-hältniswahlrecht ohneEinschränkungen einge-führt. Die erste Kammerblieb zwar bestehen, aberkünftig konnte die Abge-ordnetenkammer derenEntscheidungen rück-gängig machen. Außer-dem wurde die ersteKammer durch Vertreterverschiedener Berufs-gruppen erweitert.

Einführung der parlamentarischenDemokratie per Dekret?

Diese Einführung der parlamentarischen Demokratiefeierte die sozialdemokratische „Münchener Post“ alsden Beginn der Umwandlung Bayerns in den „demo-kratischsten und freiesten Staat des Deutschen Rei-ches“. Kritischer sah dies die – ebenfalls sozialdemo-kratische – „Fränkische Tagespost“. Sie bemängelte,dass sich die „Neuordnung“ durch einen königlichenErlass anstatt durch eine Verfügung des Parlamentsvollzogen habe. Das Volk, so die SPD-Zeitung, lassesich nicht mehr mit einer „allergnädigst zugestande-nen Beteiligung“ an derLei tung der Staats ge -schäf te abspeisen, son-dern fordere die volleSelbstbestimmung undSelbstverwaltung.

Die „Fränkische Tages-post“ sollte Recht behal-ten: Die Einführung derparlamentarischen De -mo kratie per Dekretkonn te eine revolutionä-re Umwälzung und denSturz des Hauses Wit -tels bach nicht mehr auf-halten.

Parlamentarische Demokratie per Dekret? 33

Gebäude der sozialdemokratischen „Fränkischen Tagespost“ in Nürnberg

Warnte weitsichtig vor derRevolution: Johannes Hoffmann

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Weimarer

Der Freistaat Bayern entsteht

Kurt Eisner übernimmt die Regierung

Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der„Provisorische Nationalrat“

Räte oder Nationalversammlung? Die Wahlen vom 12. Januar 1919

Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen

Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen

Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“

Die staatsrechtliche Neuordnung

Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition

Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“

Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus

Der Untersuchungsausschuss zum Hitlerputsch

August 1930: Die BVP verweigert ein Bündnis mitder SPD

Fazit: das Dilemma der bayerischenSozialdemokratie Republik

Die bayerische SPD

Die bayerische SPD während der Weimarer RepublikII

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Der Freistaat Bayern entsteht

Die Revolution des Jahres 1918 kam für die meistenUntertanen der bayerischen Krone überraschend.Die Verfassungsreformen standen unmittelbar vor ih-rem Abschluss und hatten einen friedlichen Übergangzur parlamentarischen Monarchie versprochen (sieheKapitel 1). Die Landtags-SPD war daran beteiligt ge-wesen und sollte auch in der neuen bayerischen Re-gierung vertreten sein. Revolutionäre Unruhe war al-lenfalls in der Landeshauptstadt zu spüren gewesen,wo Kurt Eisner nach seiner Haftentlassung den mitdem Januarstreik 1918 begonnenen Kampf zur Been-

digung des Krieges und zur Beseitigung des seinerAnsicht nach dafür verantwortlichen Herrschaftssys-tems wieder aufgenommen hatte.

Die bayerische USPD (Unabhängige Sozialdemokra-ten) war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr alsein kleines Häuflein von Sektierern, deren Durchset-zungschancen allgemein als äußerst gering galten.Dennoch gelang es Eisner und den Unabhängigen am7. November 1918, die gemeinsame Friedensdemons -tration von MSPD (Mehrheitssozialdemokraten),

Revolution trotzversprochener

Verfassungsreformen

Der Umsturz begann auf der Münchner

Theresienwiese

II DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Eine neue Zeit bricht an: Die sozialistischen Parteien Münchens haben am 7. November 1918 zur Friedenskundgebungaufgerufen.

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USPD und Gewerkschaften auf der Münchner The-resienwiese zum Ausgangspunkt der Revolution zumachen. Mit dabei war der Privatsekretär von KurtEisner, Felix Fechenbach. Aus seiner Schilderung desGeschehens:

„Dort, wo auf der Wiese die Soldaten standen,war nicht alles so programmäßig verlaufen. DreiRedner sprachen an dieser Stelle. Zuerst Kurt Eis-ner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet wor-den, man müsse jetzt handeln! Der BauernführerLudwig Gandorfer verspricht, daß das Landvolkdie Arbeiter nicht im Stich lassen werde. Dann tre-te ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand,erinnere daran, daß die Soldaten in den Kasernenzurückgehalten werden. Und dann: ‚Soldaten! Auf

in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden!Es lebe die Revolution!‘“

Da ernsthafter Widerstand ausblieb, kam es im Ma-thäserbräu umgehend zur Bildung eines Arbeiter- undeines Soldatenrates. Der Landtag wurde gestürmtund umgehend die erste gemeinsame Sitzung der Ar-beiter- und Soldatenräte eröffnet. In einem rasch for-mulierten Aufruf (siehe oben) nahmen diese für sichin Anspruch, die Regierung in sicherer Hand zu ha-ben. Tags darauf, am 8. November 1918, fand die ers -te Tagung des „Provisorischen Nationalrates“ statt.Der alte Landtag galt als nicht mehr existent, obgleicheine offizielle Auflösung nie erfolgte. Formal betrach-tet, hatte damit auch die SPD-Landtagsfraktion zubestehen aufgehört.

Der Landtag wird gestürmt!

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Die Monarchie ist in Bayern Geschichte: Die Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen die Macht.

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Kurt Eisner übernimmt die Regierung

Kurt Eisner (1867–1919) stammte aus bürgerlichenVerhältnissen und entschied sich nach Abbruch desStudiums für den Beruf des Journalisten. Der Sozial-demokratie trat er erst 1898 bei. Wilhelm Liebknecht,der Chefredakteur des „Vorwärts“, holte ihn zumZentralorgan der Partei nach Berlin. 1907 wechselteer nach Nürnberg an die „Fränkische Tageszeitung“,1910 ging Eisner als Landtagsberichterstatter für dieParteipresse nach München. Bei Ausbruch des ErstenWeltkrieges befürwortete er zunächst die Kriegs -kredite, wandelte sich jedoch rasch zu einem derschärfsten Kriegsgegner und zum radikalen Kritiker

des beste henden politischen undgesellschaftlichen Systems. Fürein Landtagsmandat bewarb ersich erstmals bei den Januar -wahlen des Jahres 1919.

Die Revolution vom 7. Novem-ber 1918 hatte nicht nur zumSturz der bayerischen Mo -narchie geführt, sie hatte mitKurt Eisner und seinen Gefolgs-leuten erstmals auch Sozial demo -kraten an die Macht ge bracht.Die revolutionären Ereignisseverdeutlichten allerdings auchdas Dilemma, in dem sich dieSozialdemokraten bereits zu die-sem Zeitpunkt befanden: Diebayerische Mehrheitssozialde-mokratie hatte die Revolutionnicht gewollt, ja sogar aktiv be-kämpft. Wenn ihre Anführersich dennoch dazu bereit fanden,

mit den Unabhängigen eine gemeinsame Regierungzu bilden, so handelte es sich dabei um eine rein prag-matische Entscheidung: Um von der Entwicklungnicht fortgespült zu werden, sondern sie mittragenund mitgestalten zu können, dürfte man nicht abseitsstehen. Davon zeugen die internen Verhandlungen,die der Kabinettsbildung auf Seiten der MSPD vor-ausgingen. Aus den Erinnerungen des späteren Justiz-ministers Johannes Timm:

„In unserem Fraktionszimmer waren alle Kollegenerschienen. Kurt Eisners Aufruf in den Morgenzei-tungen war bekannt, ebenso die Erklärung desMünchener Polizeipräsidenten von Beckh, die ei-ner Abdankung gleichkam. Es stand fest, daß dierevolutionären Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrätemit Kurt Eisner an der Spitze die Macht in Händenhatten. […] Jetzt galt es zu entscheiden, wie unse-re Partei sich in Bayern zu den vollzogenen neuenMachtverhältnissen einzustellen habe. […] Die Be-ratung selbst war von kurzer Dauer. Es bestand nureine Meinung darüber, daß die Beherrschung derneuen Situation Kurt Eisner und seinen Anhängernnicht allein überlassen werden dürfe. Dazu war dieganze Lage zu kritisch.“

An diesen Verhandlungen hatten die Mitglieder derehemaligen Landtagsfraktion, aber auch Vertreter derfreien Gewerkschaften teilgenommen. Um die Kon-trolle über die Ereignisse nicht völlig zu verlieren, vo-tierten die Anwesenden für eine Zusammenarbeit mitEisner. Zugleich erarbeiteten sie einen Vorschlag fürdie Besetzung der Ministerposten, der bei den Ver-handlungen mit Eisner nur noch kleinere Änderun-gen erfuhr.

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Kurt Eisner, Vorsitzenderdes Arbeiter- undSoldatenrates und späterMinisterpräsident

Titelblatt der Zeitschrift „Simplicissimus“ imNovem ber 1918: Die Revolution spült dieFürstenkronen hinweg.

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Dem neuen Kabinett gehörten nur zwei Unabhängi-ge an, Kurt Eisner selbst (Ministerpräsident undAußenminister) sowie Hans Unterleitner (Ministerfür soziale Fürsorge). Diesen gegenüber besaß dieMSPD mit ihren vier Ministern – Johannes Hoff-mann wurde Vizepräsident und Kultusminister, Er-hard Auer Innenminister, Johannes Timm Justizmi-nister, Albert Roßhaupter Minister für militärische

Angelegenheiten – ein klares Übergewicht. AlleMSPD-Minister hatten der früheren SPD-Landtags-fraktion angehört. Vervollständigt wurde das Kabinettdurch zwei bürgerliche Fachminister: Heinrich vonFrauendorfer (Verkehr) und Edgar Jaffé (Finanzen).Am 8. November 1918 stellte Eisner die Mitgliederder neuen Regierung im Provisorischen Nationalratvor. Sie wurden von den Delegierten per Akklamationbestätigt.

Die Sozialdemokraten im Kabinett Eisner

Kurt Eisner übernimmt die Regierung 39

Entwurf für die Ministerliste der Regierung Eisner vom8. November 1918

Erhard Auer (1874–1945) stammte aus ärmlichs -ten Verhältnissen und wuchs elternlos als Dorfar-menkind auf. Dennoch gelang es ihm, aus demkleinbäuerlichen Milieu auszubrechen, eine Be-rufsausbildung zum Kaufmann zu absolvierenund in der sozialdemokratischen Partei rasch auf-zusteigen. Damit verkörperte er beispielhaft denSelbstbehauptungs- und Emanzipationswillender bayerischen Arbeiterbewegung. Als langjäh-riger Sekretär und enger Vertrauter Georg vonVollmars unterstützte er den von Vollmar einge-schlagenen reformorientierten Sonderweg derbayerischen Sozialdemokratie. Aufgrund seinerFixierung auf reformistische Ziele brachte Auerfür die hoch gesteckten Ziele von Kurt Eisnerund dessen Gefolgschaft wenig Verständnis auf.Auf lange Sicht entfremdete er sich damit auchvon vielen seiner eigenen Anhänger. Der SPD-Landtagsfraktion gehörte Auer von 1907 bis1933 an.

Innenminister und Kurt EisnersGegenspieler: Erhard Auer

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Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräteund der „Provisorische Nationalrat“

Im Zuge der Revolution waren die Funktionen desLandtages auf die neu geschaffenen revolutionärenGremien übergegangen. Dabei repräsentierten vorallem die Münchner Arbeiter- und Soldatenräte denMachtanspruch der revolutionären Kräfte. An ihreSeite trat bald darauf ein Bauernrat, der die Verbun-denheit zwischen Stadt und Land verkörpern sollte.Aber auch außerhalb der bayerischen Landeshaupt-stadt kam es im November und im Dezember 1918zur Bildung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrä-ten. In der Mehrzahl waren diese Gremien keines-wegs linksradikal eingestellt. Vielmehr verstanden siesich selbst meist als vorübergehende Einrichtungenzur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowieals Instanzen zur Sicherung der revolutionären Er-rungenschaften. So hieß es im Aufruf des MünchnerArbeiter- und Soldatenrates vom 7. November 1918:

„Bewohner Münchens! Unter dem fürchterlichenDruck innerer und äußerer Verhältnisse hat das Pro-letariat die Fesseln mit gewaltiger Anstrengung zer-rissen und sich jubelnd befreit! Ein Arbeiter- undSoldatenrat ist gegründet, der die Regierung in si-cherer Hand hat. Arbeiter Münchens, Bürger Mün-chens! Ihr müßt zu dem neugewählten Arbeiter-und Soldatenrat, der Euch Friede bringt und Be-freiung von elendem Drucke und jeder Dynastie,wo sie auch sei, volles Vertrauen haben und Euchwillig den Anordnungen fügen. Bewahrt Eure Ruheso wie wir Euch und Euer Leben schützen! Es lebeder Frieden! Nieder mit der Dynastie!“

Als eigentlicher Ersatz für den Bayerischen Landtagfungierte der so genannte Provisorische Nationalrat.

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Kurt Eisner, der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates, bei der ersten Sitzung desProvisorischen Nationalrates: „Bayern ist gestern ein Freistaat geworden und wird einFreistaat bleiben“.

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Im Gegensatz zur früheren Kammer derAbgeordneten ging er allerdings nichtaus Wahlen hervor, sondern präsentiertesich eher als berufsständisches Parla-ment. Darin ähnelte er der Reichsräte-kammer, auch wenn seine Zusam men -setzung eine vollständig andere war.Nach dem Willen Kurt Eisners sollten indiesem Nationalrat nur diejenigen Kräf-te repräsentiert sein, die bereit waren, ak-tiv am Aufbau des demokra ti schen Ge-meinwesens mitzuwirken. Den Grund-stock bildeten daher die Münchner Ar-beiter-, Soldaten- und Bauernräte. Darü-ber hinaus saßen im Provisorischen Na-tionalrat aber auch viele der früherenLandtagsmitglieder. Die ehemalige SPD-Fraktion zog sogar komplett in das Über-gangsparlament ein. Hinzu kamen dieAbgeordneten des Bayerischen Bauernbundes und einige Linksliberale. Außerdem erhielten Vertreterun ter schiedlichster Interessenverbände Sitz und Stim -me. Nicht nur die Gewerkschaften und andere be-rufsständische Organisationen konnten Delegierteentsenden, sondern auch sonstige Zusammenschlüssewie die der Kriegsbeschädigten und die Konsumver-eine.

Fraktionen bildeten sich im Provisorischen National-rat erst allmählich heraus. Doch stellten die Angehö-rigen der ehemaligen SPD-Fraktion von Anfang aneine einheitliche und politisch erfahrene Gruppie-rung dar. Da sich auch unter den Rätemitgliedern undden Delegierten der Interessenverbände zahlreiche

Mehrheitssozialdemokraten befanden, erhielten sierasch weiteren Zuzug. Insgesamt konnten mehr als 70der insgesamt 256 Nationalratsmitglieder der neuenMSPD-Fraktion zugerechnet werden. Mit der USPDsympathisierten knapp 40 Delegierte. Als weitereFraktionen formierten sich die Bauernräte, die De-mokratische Fraktion und die Freie Vereinigung. Da-neben gab es aber auch Nationalratsvertreter, die sicheiner eindeutigen Fraktionszugehörigkeit entzogen.

Die Einflussmöglichkeiten, die die Mitglieder desProvisorischen Nationalrates besaßen, waren freilichbeschränkt. Der Nationalrat trat in den vier Monatenseines Bestehens lediglich zehn Mal zusammen. Auchbesaß er nicht die volle Gesetzgebungsgewalt.

AllmählicheFraktionsbildung imProvisorischenNationalrat

Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und der „Provisorische Nationalrat“ 41

Mitglieder des „Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte“ Anfang 1919 (von links):Max Reuter, Joseph Eisenhut, Joseph Feinhals, Ernst Niekisch, Georg Kandlbinder, Heinrich Süß, Carl Kröpelin, Edwin Steinmetz

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Eisner misstraut denPartei funktio nären

Abweichende Auffassungen von MSPD und USPD

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Die Münchner Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrätestell ten zweifellos den größten Rückhalt für EisnersMacht position dar. Es war jedoch nicht nur Macht be -wusst sein, wenn er eine Verankerung der Räte in derneu en Bayerischen Verfassung anstrebte: Eisner hatteim Ersten Weltkrieg gelernt, den Parteifunktionärenzu misstrauen. In seinen Augen hatten die parlamenta-rischen Vertreter der SPD mit ihrer Burgfriedenspo -litik die wahren Interessen der arbeitenden Bevölke-rung missachtet. Aus diesem Grund suchte er nachneuen Formen der politischen Meinungsbildung, insbesondere nach Möglichkeiten für eine direkte Be-teiligung des Wahlvolkes an der Politik. Die Mehr-heitssozialdemokratie lehnte Eisners Modell rundwegab. Ihren Repräsentanten war in-stinktiv klar, dass das Fortbeste-hen der Räte das Monopol aufdie politische Vertre tung der Ar-beiterinteressen gefährden mus-ste, das Partei und Fraktion bisdahin für sich in Anspruchgenom men hatten. Mehrheitsso-zialdemokraten sahen in den re-volutionären Gremien daher le-diglich Übergangslösungen biszum Zusammentritt des neuenParlamentes.

Die Rätefrage war allerdings nureiner der Punkte, an denen sichMSPD und USPD mit abwei-chenden Auffassungen gegen-überstanden. Eine äußerst heftigepolitische Auseinandersetzungknüpfte sich auch an die Frage

nach der Terminierung von Neuwahlen. Noch in derRevolutionsnacht hatte Eisner versprochen, baldmög-lichst eine konstituierende Nationalversammlung ein-zuberufen, zu der alle mündigen Frauen und Männerdas Wahlrecht haben sollten. Tatsächlich ging Eisnerjedoch von einer längeren Übergangsphase aus, in derdie revolutionären Errungenschaften dauerhaft veran-kert werden sollten. Demgegenüber drängte dieMSPD in Übereinstimmung mit den bürgerlichenParteien auf einen raschen Wahltermin und die baldi-ge Einberufung des neuen Landtages. Die Mehrheits-sozialdemokraten hielten die Regierung Eisner fürnicht ausreichend legitimiert, um weitreichendeGrundsatzentscheidungen zu treffen. Diesem Druck

Räte oder Nationalversammlung? Die Wahlen vom 12. Januar 1919

Demonstration für das Rätesystem am 16. Februar 1919 in München (in der MitteEisner mit Frau)

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musste Eisner schließlich nachgeben, die Wahlen wur-den auf den 12. Januar 1919 festgelegt. In seinem „Re-volutionstagebuch” schreibt Josef Hofmiller über die-sen besonderen Tag:

„Heute Wahl zum Bayerischen Landtag. Gutes, etwasfri sches Wetter, heiter und klar, geeignet zu Demonstra -tionen, von denen aber bis jetzt nicht viel zu bemerken.Auch für gestern Abend waren Putsche erwartet, wirgin gen deshalb sogar um eine halbe Stunde früher ausund von unserem asketischen Dünnbier-Dämmerschop-pen nach Haus, aber alles blieb ruhig. Die Wahlbetei -li gung war sehr stark, die Leute standen an wieum Butter, Ziga retten oder Pferdefleisch. DerAnblick der zahlreichen Frauen und Soldatenin und vor dem Wahllokal fiel auf.“

Die Ergebnisse der Wahlen waren aus Sichtder bayerischen Arbeiterbewegung zwiespäl-tig. Die Mehrheitssozialdemokratie hatte zwar33 Prozent der Stimmen erzielt und gemessenan den Vorkriegswahlen, bei denen ihr Anteilzuletzt 19,5 Prozent betragen hatte, bedeutetedies einen gewaltigen Erfolg. Auch hatte sichdie Zahl ihrer Abgeordneten in dem geringfü-gig vergrößerten Parlament von 30 auf 61mehr als verdoppelt; hinzu kamen noch dreiAbgeordnete der USPD, die landesweit 2,5Prozent der Stimmen erzielte. Aber: Die bei-den sozialdemokratischen Parteien besaßenim neuen Landtag keine Mehrheit. StärkstePartei wurde vielmehr die katholisch-konser-vative Bayerische Volkspartei (BVP), die dieNachfolge des Zentrums angetreten hatte. Siestellte mit 66 Abgeordneten (35 Prozent derabgegebenen Stimmen) die größte Fraktion.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte die SPD-Frak-tion die Ziele der Frauenwahlrechtsbewegung unter-stützt. Eine entsprechende Gesetzesänderung war je-doch am Widerstand der bürgerlichen Parteien ge-scheitert. Erst die Revolution bot die Möglichkeit,diesen nur schwer zu rechtfertigenden Missstand zubeseitigen. Folgerichtig waren schon im Provisori-schen Nationalrat, dessen Zusammensetzung dieFührer von Mehrheitssozialdemokratie und Unab-hängigen weitgehend unter sich ausgemacht hatten,acht Frauen vertreten, darunter Hedwig Kämpfer als

Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen 43

Gleiches Recht im Wahllokal: Dank der Sozialdemokraten durften 1919 endlich auch Frauen an die Urnen.

Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen

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Mitglied des Landesarbeiterrates sowie Anita Augs -purg, Emilie Mauerer und Rosa Kempf als Vertrete-rinnen der bayerischen Frauenbewegung. Die Frau-enrechtlerin und Pazifistin Lida Gustava Heymannschreibt in ihren Erinnerungen „Erlebtes – Erschau-tes: Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht undFrieden“ an die Münchner Novemberrevolution:

„Nun begann ein neues Leben! Zurückdenkend er-scheinen die folgenden Monate wie ein schönerTraum, so unwahrscheinlich herrlich waren sie. DerTag verlor seine Zeiten, die Stunde der Mahlzeitenwurde vergessen, die Nacht wurde zum Tage, manbrauchte keinen Schlaf; nur eine lebendige Flam-me brannte: sich helfend am Aufbau einer besse-ren Gesellschaft zu betätigen. Endlich konntenFrauen aus dem vollen schaffen. Frauenmitarbeitwar auf allen politischen und sozialen Gebieten er-wünscht.“

Obwohl innerhalb der Sozialdemokratie also prinzi-pielle Einigkeit über die Einführung des Frauenwahl-rechts bestand, waren in der Regierung hierüber nocheinmal Bedenken aufgekommen. So befürchtete KurtEisner we gen des starken Ein flusses der Kirche inBayern, dass die Frauen vor wie gend konservativ wäh-len würden. Da aber weder USPD noch MSPD un -glaub wür dig werden wollten, blieb es bei der Einfüh-rung des Frauen stimm rechts. Die Er geb nisse derLand tags wah len im Januar 1919 schienen den Beden-kenträgern Recht zu geben: In den sechs oberbayeri-schen Stimmkreisen, in denen Frauen und Männergetrennt abstimmten, gaben 47,4 Prozent der männ-lichen Wahlberechtigten ihre Stimme den Mehrheits-sozialdemokraten (der USPD 2,3 Prozent), von den

Frauen entschieden sich dagegen nur 32,2 Prozent fürdie MSPD (und gar nur 0,9 Prozent für die USPD).

Gemessen am Stimmenanteil der Frauen war die Zahlder weiblichen Delegierten, die in die Bayerische Na-tionalversammlung einzogen, sehr gering. Unter deninsgesamt 180 Abgeordneten befanden sich lediglichsechs Politikerinnen. Die ersten Frauen in der Land-tagsfraktion der bayerischen Mehrheitssozial demo -kra ten waren Aurelie Deffner und Emilie Mauerer.

Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen

Die Eröffnung des neu gewählten Bayerischen Land-tages sollte am 21. Februar 1919 stattfinden. Im Kabi-nett war beschlossen worden, dass Eisner bei dieserGelegenheit den Rücktritt seiner Regierung erklärenund so den Weg zur Bildung einer neuen Regierungfrei machen würde. Doch dazu kam es nicht: Eisnerwurde auf dem Weg in den Landtag von dem jungenLeutnant Anton Graf von Arco auf Valley ermordet.Kurze Zeit später kam es auch im Landtag zu einerSchießerei, bei der der BVP-Abgeordnete HeinrichOsel sowie ein Major getötet und Erhard Auer schwerverletzt wurden. Auf Auer hatte es der Attentäter AloisLindner, ein Mitglied des Revolutionären Arbeiterra-tes, abgesehen, weil er ihn als Drahtzieher des Eisner-Mordes betrachtete. In seinem Lebensbericht „DerWendepunkt“ denkt Klaus Mann an den Tag der Er-mordung Eisners zurück:

Erschreckend gering: die Zahl weiblicher

Delegierter

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

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„Am 21. Februar 1919 wurde gerade um die Eckevon unserem Schulgebäude der bayerische Minis-terpräsident Kurt Eisner erschossen. Meine Tage-

buchnotizen, diesen Vorfall betreffend, zeichnensich durch ein etwas unbeholfenes Pathos aus. Esheißt da, daß ich um den Ermordeten ‚bittere Trä-nen‘ vergossen hätte […]. Was mich zu diesemrhetorisch stilisierten Erguß veranlaßt hatte, warwohl nicht so sehr mein Kummer über Eisners Todwie mein Ekel vor dem Zynismus, mit dem die Mün-chener Spießer, einschließlich meiner Lehrer undKlassengenossen, die Todesnachricht begrüßten.“

Diese Attentate führten zur Sprengung des Landta-ges, noch ehe er in die Geschäftsordnung eingetretenwar. Es folgten Wochen, die von politischer Instabi-lität und einer wachsenden Radikalisierung geprägtwaren. Die Münchner Räte gewannen nun wiederan Macht und Einfluss. Dieser Umstand erklärt,weshalb die entscheidenden Verhandlungen zur Bil-dung einer neuen Regierung in Nürnberg und inBamberg geführt wurden, wo sich zahlreiche Spit-zenvertreter der verschiedenen Landtagsfraktionennach dem 1. März versammelt hatten. Mit Billigungder bürgerlichen Parteien wurde der Mehrheitssozial -demokrat Johannes Hoffmann als neuer Minister-präsident ausersehen, der einer Minderheitsregie-rung aus MSPD, USPD und Bauernbund vorstehensollte. Aus den Erinnerungen des JustizministersErnst Müller-Meiningen (Deutsche DemokratischePartei) an die politischen Verhältnisse nach der Er-mordung Eisners:

„Wir standen unter größtem Druck der Räte. EinZusammenkommen im Landtag war unmöglich.Die Tagungen in Privatwohnungen konnten natür-lich nur zwischen einer kleinen Anzahl von Führernstattfinden. Die Mehrheitssozialisten fühlten sich

Die Ermordung Kurt Eisners und ihre Folgen 45

In der Promenadestraße (heute: Kardinal-Faulhaber-Straße) in München wurde Kurt Eisner ermordet. Heutebefindet sich dort ein Bodendenkmal.

Johannes Hoffmann wird Nachfolger des ermordeten Eisner

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ganz besonders bedrückt. […] Die alten poli -tischen und Gewerkschaftsführer drohten völlig vonjedem Einflusse ausgeschlossen zu werden. Sobahnte sich zwischen den Mehrheitssozialistenund den sogenannten ‚bürgerlichen Parteien‘ naturgemäß ein einheitlicher Gedankengang an:Ordnung um jeden Preis zu schaffen.“

Die zur Ernennung des neuen Kabinetts erforder -liche Einberufung des Landtages erfolgte unterschwierigen äußeren Bedingungen. In der Sitzungvom 17. März 1919 wurde zunächst das MSPD-Frak-tionsmitglied Franz Schmitt zum neuen Landtagsprä-sidenten gewählt. Die anschließende Wahl von Johannes Hoffmann zum Bayerischen Ministerpräsi-denten erfolgte ohne Gegenstimme. Einen Tag später

stellte er im Plenum sein Kabinett vor. Das Außen-und das Kultusministerium übernahm er selbst. Dieweiteren Regierungsmitglieder waren seine Frak-tionskollegen Fritz Endres (Justiz), Martin Segitz (In-neres) und Ernst Schneppenhorst (Militärische Ange-legenheiten). Außerdem wurden der BauernbündlerMartin Steiner (Land- und Forstwirtschaft) sowie dieUnabhängigen Sozial de mo kraten Hans Unterleitner(Soziale Fürsorge) und Josef Simon (Handel, Indus-trie und Gewerbe) berufen. Dass MSPD und USPDin der neuen Regierung vertreten waren, legte der Ar-beit ihrer Landtagsabgeordneten natürlich Zü gel an.Belohnt wurde die konstruktive Parlamentsarbeitaber mit dem unmittelbaren Einfluss, den sie in dieserPhase auf die Ausgestaltung von Staat und Verfassunggewannen.

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Johannes Hoffmann (1867–1930), ein Volksschullehrer aus der Pfalz, trat1905 der Sozialdemokratie bei. Im früheren Wahlkreis des „roten Pfalzgra-fen“ Franz Josef Ehrhart kandidierte er nach dessen Tod 1908 erfolgreichfür den Einzug in den Bayerischen Landtag; ab 1912 MdR, Stadtrat undstellv. Bürgermeister in Kaisers lautern. Der langjährige bildungspolitischeSprecher der SPD-Landtagsfraktion wurde Eisners Staatsminister für Un -ter richt und Kultus (1918/19) und dessen Nachfolger als Bayerischer Mi-nisterpräsident (1919); ab April 1919 zusätzlich Kultus- und Außenminis-ter. Obwohl er eher dem linken Flügel angehörte, war eine Räteherrschaftauch für ihn nicht vorstellbar. Nach dem Austritt der SPD aus der bayeri-schen Regierung Lehrer in Kaiserslautern, bis zu seinem Tod MdR.

Johannes Hoffmann

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Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“

Es gelang der Regierung Hoffmann nicht, das auf-gewühlte politische Klima in der bayerischen Landes -hauptstadt zu beruhigen. Die Androhung einer zwei-ten Revolution hing wie ein Damoklesschwert überdem Land. Dieser Umsturz wurde traurige Wirklich-keit, als der neu formierte Revolutionäre Zentralratin der Nacht vom 6. zum 7. April 1919 die „Rätere-publik Baiern“ ausrief. Der Ernst der Lage wurdedadurch deutlich, dass sich Regierung und Landtaggezwungen sahen, München zu verlassen und inBamberg Unterschlupf zu suchen. Da ein Kompro-miss ausgeschlossen erschien, die Münchner Räte-republikaner aber trotz ihrer isolierten Stellungnicht zur Kapitulation bereit waren, steuerte alles aufeine gewaltsame Konfrontation zu. Über diese Wo-chen in der Landeshauptstadt schrieb Oskar MariaGraf, selbst ein aktiver Räte republikaner:

„Im Landtag herrschte eine schwirrende Nervo-sität. Im Torgewölbe standen Soldaten und bewaff-nete Zivilisten und schichteten Munition vor die Ma-schinengewehre. Es sah aus, als wolle man sich be-festigen gegen kommende Angriffe. Niemand be-trachtete uns, jeder flitzte wichtig hinum und her -um, Worte wie ‚Weiße Garden! München umzin-gelt! Noske-Truppen im Anmarsch!‘ flogen von Ohrzu Ohr. Gangauf und gangab liefen Menschen,verschwanden in den Sitzungssälen und kamenwieder heraus.“

Nachdem der Versuch, die Münchner Räterepublikdurch die Verhaftung ihrer Anführer zu stürzen, am13. April kläglich gescheitert war, sah sich Hoffmanngezwungen, das Deutsche Reich um Hilfe anzurufenund damit das Schicksal Bayerns in die Hände der

Hilferuf derLandesregierung an dasDeutsche Reich

Die Räterepublik und das „Bamberger Exil“ 47

Die mehrheitssozialdemokratische Regierung Hoffmann und das bayerischeLandtagspräsidium in Bamberger „Exil“

Tagungsort Konzertsaal: Der Landtag kommt in Bamberg zusammen.

Fritz Endres

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Reichswehrgeneralität zu legen. Die Ermordung dervon den Räterepublikanern inhaftierten Geiseln imMünchner Luitpold-Gymnasium lieferte den raschmobilisierten Truppen und Freikorpsverbänden denVorwand, mit gnadenloser Brutalität gegen echte undvermeintliche Rotarmisten vorzugehen – die Beset-zung Münchens endete Anfang Mai 1919 in einemBlutbad.

Am 2. Juni prangerte der oberbayerische MSPD-Ab-geordnete Alwin Saenger im Landtag die Ausschrei-tungen an und betonte, die Grenze des Entschuld-baren sei in München weit überschritten worden.Damit stellte er freilich auch der Regierung Hoff-mann ein negatives Zeugnis aus, hatte sich diese dochvergeb lich darum bemüht, die eskalierende Gewaltzumindest einzudämmen.

Den Ministerpräsidenten veranlassten diese Aus-schreitungen zu einer Regierungsumbildung. EndeMai 1919 zwang Hoffmann die BVP ultimativ zumEintritt in die Regierung, also zur Übernahme derpolitischen Mitverantwortung. Mit im Kabinett saßfortan auch die Deutsche Demokratische Partei,USPD und Bauernbund waren nicht mehr vertreten.Der Bayerische Landtag blieb noch bis zum 16. Au-gust in Oberfranken, erst ab dem 1. Oktober 1919tagte er wieder in München.

Die staatsrechtliche Neuordnung

Noch in der Zeit des „Bamberger Exils“ fanden dieparlamentarischen Beratungen über die neue Bayeri-sche Verfassung statt. Bedingt durch die Mehrheits-verhältnisse stellte diese einen Kompromiss dar, dersowohl den Abgeordneten der Mehrheitssozialdemo-kratie als auch den Vertretern der BVP erhebliche Zu-geständnisse abverlangte. Dennoch gelang es derMSPD, viele ihrer langjährigen Forderungen in derneuen Staatsverfassung zu verankern. Die Umwand-lung Bayerns in eine parlamentarische Demokratiekonnte sie ebenso als ihren Erfolg verbuchen wie dienun festgelegte Verantwortlichkeit der Ministergegenüber dem Landtag. Auch für Abgeordnete wares künftig möglich, ein Ministeramt zu bekleiden. DasRecht zur Einberufung, Vertagung oder gar Auflö-sung des Landtages ging vom König auf das Parla-ment über. Gegen seinen Willen konnte der Landtagnur noch auf dem Wege der Volksabstimmung aufge-hoben werden. Die Beseitigung der Reichsrätekam-mer und die Einführung des Einkammer-Systemsentsprachen ebenfalls sozialdemokratischen Forde-rungen. Ein weiterer Erfolg: Das Verhältniswahlrechtersetzte endlich das Mehrheitswahlrecht, das dieWähler in den dünn besiedelten ländlichen Gebietenbegünstigt hatte. Außerdem wurde die Wahlberechti-gung auf Frauen sowie auf die 20- bis 25-Jährigenausgedehnt. Zudem wurde der Zensus, also die Bin-dung des Wahlrechtes an die Entrichtung einer direk-ten Steuer, beseitigt. Darüber hinaus schufen Volks-begehren und Volksentscheid neue Mitwirkungsmög-lichkeiten für die Staatsbürger.

Auch für das Verhältnis des Freistaates Bayern zumDeutschen Reich wurden in der Amtszeit JohannesHoffmanns wichtige Grundlagen geschaffen. Dies

Hoffmann erzwingt denRegierungseintritt der BVP

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Blutbad bei derBesetzung Münchens

Alwin Saenger (1881–1929), Rechtsanwalt ausMünchen; 1919–1920Staatssekretär imKultusministerium, 1919–1924 MdL, 1919 und1924–1929 MdR.

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erfüllte die öffentliche Meinung in Bay -ern zum Teil mit großer Sorge, da dieSozialdemokratie im Ruf stand, nurgeringes Interesse an der bayerischenEigenständigkeit zu besitzen. Zur all-gemeinen Überraschung hatte aller-dings Kurt Eisner zunächst einen striktföderalistischen Kurs eingeschlagen,der für seine Widersacher auf deräußers ten Linken fast schon an Sepa-ratismus grenzte. Verglichen damitbewies Johannes Hoffmann deutlich

Die staatsrechtliche Neuordnung 49

Unter sozialdemokratischer Regierung legte die Verfassung des Freistaates Bayern fest: „Bayern ist ein Freistaat und Mitglied des Deutschen Reiches. […] Die Landesfarben sind weiß und blau.“

Hoffmann zeigtVerständnis für dieBelange des Reiches

Im „Bayerischen Kurier“ vom 2. Januar 1919: Brandpredigt von Erz -bischof Faulhaber gegen die Trennungvon Kirche und Staat

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mehr Verständnis für die Belange des Reiches. Dassdie Interessen Bayerns in der Weimarer Reichsver-fassung wenig Berücksichtigung fanden, lag freilichauch an den politischen Umständen: In der entschei-denden Phase der Berliner Verfassungsberatungenwar die bayerische Regierung durch den Kon flikt mitder Münchner Räterepublik gelähmt. Die Not -wendigkeit, in dieser Auseinandersetzung das Reichum Hilfe anzurufen, verschlechterte ihre Durch -setzungschancen zusätzlich. Allerdings vermochtesich die bayerische SPD auch in den folgenden Jahrennicht als eine Partei für spezifisch bayerische Belangezu profilieren. Bereits im Dezember 1919 sprach sichder Pfälzer MSPD-Abgeordnete Friedrich Profit un-missverständlich für den deutschen Einheitsstaat aus,eine Aussage, der sich die Abgeordneten der USPDanschlossen. Am 10. November 1920 bekannte sichim Bayerischen Landtag auch der Mehrheitssozialde-mokrat Hans Dill, dessen Wahlkreise im östlichenOberfranken lagen, im Namen seiner Parteifreundeoffen zum Unitarismus:

„Wir Sozialdemokraten sind Unitarier, das heißt,wir wollen die eine einheitliche, unteilbare Repu-blik, die die großen Probleme der Außenpolitik,der Finanz- und Wirtschaftspolitik und der Kultur-politik nach einheitlichen Grundsätzen feststellt.Diese einheitliche, unteilbare Republik wird abernur lebensfähig und stark sein auf der Grundlagedes freiesten Selbstverwaltungsrechts der in ihr ver-einigten Länder, Landesteile und Gemeinden.“

Äußerungen wie diese beeinträchtigten die Akzeptanzder bayerischen Sozialdemokratie nicht nur beimBürgertum, sondern auch bei der Landbevölkerung.

Die Trennung von Staat und Kirche hatte schon imKönigreich zu den Kernforderungen der Landtags-SPD gehört. Unter den Regierungen Eisner undHoffmann kam es vor allem auf dem Gebiet derSchulpolitik rasch zu einschneidenden Neuerungen.Im Provisorischen Nationalrat hatte der damaligeKultusminister Johannes Hoffmann bereits am 3. De-zember 1918 ausgeführt:

„In kurzen Worten kann ich mein Programm zu-sammenfassen: Freier Staat, freie Schule, freie Kir-che. Die neue Zeit verlangt ein neues Geschlecht,und dieses verlangt eine neue Schule. Bisher hat inder Schule der autokratische Geist der Kirche undder autokratische Geist des Militärstaates ge-herrscht. […] Die neue Schule soll erziehen freieStaatsbürger und gute Menschen.“

Durch Verordnung vom 1. Januar 1919 wurde nun diegeistliche Schulaufsicht beseitigt. Wenig später entfielauch der verpflichtende Religionsunterricht; Kinderdurften fortan nicht mehr gegen den Wunsch der Er-ziehungsberechtigten zum Besuch von Religionsstun-den angehalten werden. Die Volksschullehrer wurdennicht nur vom Kirchendienst freigestellt, ihnen wurdeauch der seit langem geforderte Beamtenstatus ge-währt. Darüber hinaus kämpfte Hoffmann für dieEinführung der Gemeinschaftsschule. Sie sollte dieBekenntnisschule ablösen, an der jeweils nur eineGlaubensrichtung geduldet war.

Nach Hoffmanns Rücktritt im März 1920 begannenjedoch sofort die Bemühungen der Christlich-Kon-servativen, zumindest Teile der ursprünglich von ih-nen mitgetragenen Regelungen wieder rückgängig zu

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

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machen. Vergeblich versuchte die MSPD-Fraktionim März 1920, die Aushebelung der Simultanschul-verordnung zu verhindern. Ebenso wenig gelang esihr, die Rückkehr zur Unvereinbarkeit von Ehe undBerufstätigkeit bei Lehrerinnen zu blockieren. DieAuffassungen der Mehrheitssozialdemokraten vertra-ten im Landtagsplenum der Pfälzer Friedrich Acker-mann und Hans Nimmerfall aus Oberbayern.

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1919 1920 1924 1928 1932 1933

Bayerische Volkspartei (BVP)

Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD)

Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP)

Vereinigung von MSPD und USPD zur VSPD (September 1922): Kundgebung imNürnberger Luitpoldhain anlässlich des Wiedervereinigungsparteitages

Ergebnisse der Wahlen zum Bayerischen Landtag 1919 bis 1933

Friedrich Ackermann(1876–1949),Rechtsanwalt ausFrankenthal/Pfalz;1918/19 Referent desKultusministers JohannesHoffmann, 1919–1933MdL und zweiterBürgermeister inAugsburg.

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Rückkehr der bayerischen SPD in die Opposition

Mitte März 1920 wurde in Berlin der Kapp-Putschangezettelt. Während der Umsturzversuch überall imReich am geballten Widerstand der Arbeiterbewe-gung und am passiven Verhalten der staatlichen Ver-waltungen scheiterte, nutzten in Bayern rechtskon-servative Kreise die Gunst der Stunde. In ihrem Na -men forderte General Arnold von Möhl, der Leiterder bayerischen Reichswehr, die Regierung Hoff-mann zur Übertragung der vollziehenden Gewaltauf. Er drohte damit, anderenfalls die Aufrechterhal-tung von Ruhe und Ordnung nicht mehr garantierenzu können. Diese Taktik stürzte die Regierung in ei-nen schweren inneren Konflikt, der im März 1920mit dem Rücktritt Hoffmanns endete.

Damit hatte die Mehrheitssozialdemokratie das Feldpraktisch kampflos preisgegeben. Zermürbt durchdie vorangegangenen politischen Auseinanderset-zungen, waren große Teile der Fraktion nur zu gernbereit, wieder in die gewohnte Oppositionsrolle zu-rückzukehren. Dahingestellt bleibt, ob ein ernsthaf-ter Widerstand den politischen Kurswechsel und dieEtablierung der „Ordnungszelle Bayern“ unter demneuen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahrhätte verhindern können. Für die bayerische Sozial-demokratie sollte sich der Rückzug von der Machtjedenfalls bitter rächen: Während der WeimarerRepublik konnte sie zu keiner Zeit nochmals einenbestimmenden Einfluss auf die Geschicke des LandesBayern gewinnen.

Eine prompte Quittung für ihre unentschiedeneHaltung bekam die MSPD schon bei den Landtags -wahlen am 6. Juni 1920: Statt 33 Prozent der abge-

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Wahlplakat der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) aus dem Jahr 1920

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gebenen Stimmen wie noch 1919 erreichte sie nurnoch einen Wähleranteil von 16,5 Prozent. Vor allemauf dem linken Flügel waren der Mehrheitssozialde-mokratie die Anhänger verloren gegangen. Der Stim-menzuwachs der USPD von 2,5 auf 12,8 Prozent warein deutliches Indiz dafür, dass viele Stammwähler derPartei vorwarfen, zu wenig für die Durchsetzung spe-zifisch sozialistischer Ziele unternommen zu haben.Aber auch insgesamt hatten die sozialdemokratischenParteien mehr als 6 Prozent der Wählerstimmen ein-

gebüßt.Selbst ihreWieder ver einigung, die – mit Wir-kung für das gesamte Deutsche Reich – im September1922 in Nürnberg erfolgte, konnte den Abwärtstrendnicht aufhalten: Bei den Landtagswahlen des Jahres1924 erzielte die Vereinigte Sozialdemokratische Par-tei (VSPD) nur noch 17,2 Prozent der Stimmen. Miteinem hauchdünnen Vorsprung vor der NSDAP warsie damit aber immer noch die zweitstärkste Partei inBayern. Als ernst zu nehmende Konkurrenz auf derLinken erwiesen sich nun die Kommunisten, die 8,3Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigten.

Nach dem Rücktritt der Regierung Hoffmann trat fürdie Partei die Landtagsarbeit wieder stärker in denVordergrund. Auf diese Weise gewann die Fraktion anBedeutung und an Profil. Die Landtagsfraktion derbayerischen Sozialdemokratie führte darüber hinaus in zunehmendem Maße nicht nur die parlamentari-sche Arbeit aus. Vielmehr nahm sie auch die Ge-schäfte eines Landesvorstandes wahr, da es einensolchen nach dem Organisationsstatut von 1924 nichtmehr gab. Die Fraktion war zu dieser Zeit zweifellosdas wichtigste Führungsgremium der Partei.

Die große Bedeutung der Fraktionszugehörigkeit fürden Einfluss innerhalb der Partei sorgte auch für einestarke Kontinuität in ihrer Zusammensetzung. Von den30 Sozialdemokraten, die am Ende des bayerischenKönigreiches Mitglieder der Abgeordnetenkammerwaren, fanden sich 21 auch im 1919 neu gewähltenLandtag wieder. Besonders einflussreiche Parteifüh-rer gehörten der Fraktion während der gesamtenDauer der Weimarer Republik an. Dabei handelte essich um Friedrich Ackermann, Erhard Auer, KarlGiermann, Albert Roßhaupter und Johannes Timm.

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Wahlwerbung der wiedervereinigten SPD

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Auch unter den Abgeordneten, die über vier der ins -ge samt fünf Legislaturperioden dem Parlament an-gehörten, finden sich viele namhafte Parteivertreter,so Lina Ammon, Max Blumtritt (bis 1922: USPD),Hans Dill, Fritz Endres, Clemens Högg, BrunoKörner, Martin Segitz und Julius Steeger. JohannesTimm war in all diesen Jahren Fraktionsvorsitzender.Erst 1933, kurz vor der vollständigen Ausschaltungdes Landtages, trat für kurze Zeit Albert Roßhaupteran seine Stelle.

Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“

Mit dem Regierungsantritt Gustav Ritter von Kahrswurde Bayern zum Hort der Reaktion. Die radikaleRechte und die Einwohnerwehren – deren Entwaff-nung die Reichsregierung unter dem Druck der Sie-germächte erst im Juni 1921 erzwang – konnten un-gestört ihren verfassungsfeindlichen Aktivitätennachgehen, während die politische Linke durchkleinliche Auflagen und Verbote schikaniert wurde.Die Aufklärungsquote bei politisch motiviertenVerbrechen war äußerst gering; Interventionen derReichsregierung wurden nicht beachtet oder sabo-tiert. All dies zog führende Rechtskonservative ausganz Deutsch land nach Bayern und erzeugte eingünstiges Klima für das Gedeihen der völkischenBewegung.

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Johannes Timm (1866–1945), einSchneider aus Schleswig-Holstein,wurde 1898 Mitarbeiter desMünchner Arbeitersekretariats. Ab1904 war er Vorsitzender des Gau-vorstandes der südbayerischen SPD,ab 1905 Mitglied des BayerischenLandtages und ab 1908 Angehöri-ger der zentralen Kontrollkommis-sion des Parteivorstandes der baye-rischen SPD. Schon vor 1918 ge-hörte er zum engsten Führungszir-kel der MSPD. Von 1918 bis 1933

war Timm Vorsitzender der Land-tagsfraktion. Einen seiner wichtigs -ten Auftritte im Landtag hatte er beiden parlamentarischen Verhandlun-gen über den Kapp-Putsch und dendaran geknüpften Regierungswech-sel in Bayern (29. März 1920).

Johannes Timm

Max Blumtritt (1877–1931), Redakteur ausHof, Stadtrat; 1917USPD, 1922 SPD, 1919–1931 MdL sowie Stadtratin Hof.

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Die beiden sozialdemokratischen Parteien brachtendiese Missstände wiederholt im Parlament zur Spra-che. Dabei gingen vor allem die Abgeordneten, diesich mit den illegalen Praktiken der Einwohnerwehrenund deren Fememorden auseinander setzten, ein ho-hes persönliches Risiko ein. So wurde der USPD-Ab-geordnete Karl Gareis, der sich im Landtag mit be-sonderem Nachdruck für die Entwaffnung der Ein-wohnerwehren und die Verfolgung der Fememördereingesetzt hatte, am 9. Juni 1921 auf offener Straße er-mordet. Dieses Verbrechen veranlasste MSPD undUSPD zu einer gemeinsamen Interpellation im Land-tag. Im Plenum griffen Erwin Neumann (USPD) ausMittelfranken und Alwin Saenger (MSPD) die Regie-rung Kahr scharf an und beschuldigten sie schwererUnterlassungssünden. Die Tatsache, dass im MordfallGareis wie in vielen anderen Fällen die Hintermännernie ermittelt wurden, weckte nicht nur bei der Sozial-demokratie Zweifel an einer ernsthaften staatlichenStrafverfolgung. Ungestraft hatte sich auch der „Volks -dichter“ Ludwig Thoma am 3. Juni 1921 im „Miesba-cher Anzeiger“ über Gareis ereifern dürfen:

„Haltet euch bereit, denn, wenn der Gareis auchbloß mit dem Maul droht, so gibt es doch Gesindelgenug, das bloß auf ein Signal wartet. Es ist jetzt ander Zeit, wachsam zu sein. Wenn solche Leute, wieder Gareis, frech werden und im Parlamente selbstmit Umsturz drohen, dann wissen sie, daß sie eineSchar von Lumpen hinter sich haben. Aber, das sollgeschworen sein, sie sollen eine andere Suppe aus-fressen müssen, wie die im Mai 1919.“

Als sich die Regierung Kahr nach der Ermordungdes Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger im

August 1921 gegen die von Reichspräsident FriedrichEbert in dieser Sache erlassene Notverordnung auf-lehnte, hatte sie den Bogen allerdings überspannt.Die BVP entzog ihr nun das Vertrauen und erzwangso im September 1921 ihren Rücktritt. Als General -stabskommissar kehrte Kahr dennoch von Ende Sep -tember 1923 bis Mitte Februar 1924 noch einmal andie Macht zurück. Eine Stabilisierung der politischenVerhältnisse gelang erst nach dem Amtsantritt desMinisterpräsidenten Heinrich Held (BVP). DessenKoalition mit dem Bauernbund und der Deutsch -nationalen Volkspartei (DNVP) hielt bis 1930.

Durch harte Urteile gegen die Anhänger der Münch -ner Räterepublik und milde Strafen gegen Gesetzes -brecher mit völkischen Motiven hatte auch diebayer ische Justiz frühzeitig die harsche Kritik der

Endlich: Die BVP entziehtKahr das Vertrauen

Die Justiz ist auf demrechten Auge blind

Die Auswüchse der „Ordnungszelle Bayern“ 55

Karl Gareis

SPD-Demonstration gegen die politischen Morde in München

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Sozialdemokratie auf sich gezogen. Großes Aufsehenerregte etwa das geringe Strafmaß für den Eisner-Mörder Graf Arco. Unzureichende Ermittlungs-ergebnisse und unverständliche Urteile bei Feme-mordfällen und Einwohnerwehrdelikten untermau-erten den Vorwurf gegen die Justiz, auf dem rechtenAuge blind zu sein. Für die Landtagsfraktion derbayerischen SPD waren diese Missstände ein Dau-erthema. Der für Oberfranken im Landtag sitzendeUSPD-Ab ge ordnete Max Blumtritt sprach 1921 vonzweierlei Recht, das in Bayern zum herrschendenPrinzip erhoben worden sei. Im Jahre 1928 war es derSPD-Fraktionsvorsitzende Johannes Timm, der dieerneute Besetzung des Justiz ministe riums mit demDeutschna tio nalen Franz Gürtner als „Justizschande“bezeichnete.

Dabei beschäftigte sich die Fraktion keineswegs nurmit politischen Strafverfahren, sondern auch mitder Aburteilung zeittypischer Delikte. So zielte etwaeine Landtagsanfrage der MSPD vom August 1921auf die Zahl der Strafverfahren wegen Wucher,

Schleichhandel und Preistreiberei sowie auf dieForm ihrer Aburteilung. Auch in den Folgejahrenforderten die Sozialdemokraten im Landtag wieder-holt Aufklärung über die juristische Urteilspraxis,den Stand von Einzelverfahren sowie über Möglich-keiten zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit.Ganz allgemein hatte Karl Gareis am 16. Dezember1920 im Bayerischen Landtag festgestellt:

„Es fällt uns nun nicht ein, für diesen Charakter dergegenwärtigen Klassenjustiz einzelne Personen wieetwa ein Justizministerium, das nur eine ganz vor-übergehende Erscheinung ist, verantwortlich zumachen. Dagegen machen wir das gegenwärtigeMinisterium und den gegenwärtigen Justizministerdafür verantwortlich, daß die Justiz in Bayern überdiesen allgemeinen Klassencharakter hinausgehendin weitgehendem Maße politisiert ist, und daß inihr mit zweierlei Maß gerechnet wird, je nachdemder vor den Schranken des Gerichts stehende deroder jener politischen Partei oder Richtung ange-hört.“

Zweierlei Maß auch beider Aburteilung

zeittypischer Delikte

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Die „Auergarde“, der Selbstschutzverband der SPD, im Mai 1923 auf der Münchner Theresienwiese

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Kampf gegen den aufkeimendenNationalsozialismus

Die bayerischen Sozialdemokraten mussten sich frü-her als ihre Parteigenossen im Reichstag oder in denanderen Länderparlamenten mit dem Nationalsozia-lismus auseinander setzen. Von Anfang an nutzten siedabei die Tribüne des Landtages, um sich öffentlichvon den nationalistischen, antisemitischen und verfas-sungsfeindlichen Bestrebungen der NSDAP zu dis-tanzieren. Zu heftigen Konfrontationen kam es aberauch außerhalb des Parlamentes, etwa wenn sozialde-mokratische Veranstaltungen durch völkische Kampf-verbände gestört wurden. Da die gegen den rechtenTerror gerichteten Anträge und Interpellationen derSPD-Fraktion keinerlei Abhilfe brachten, sah sich diePartei schon Ende 1922 gezwungen, einen eigenenSelbstschutzverband (die „Auergarde“) ins Leben zurufen. Dieser ging wenig später im „ReichsbannerSchwarz-Rot-Gold“, dieses wiederum in der „Eiser-nen Front“ auf.

Einen ersten Höhepunkt erreichten die Konflikte mitden Nationalsozialisten im Frühjahr 1923, als dieNSDAP die Maifeiern der Münchner Arbeiterbewe-gung verhindern wollte und offen mit Gewaltaktio-nen drohte. Im selben Jahr kam es am 8. und 9. No-vember im Rahmen des Hitlerputsches erneut zumassiven Übergriffen. Das Vorhaben der nationalso-zialistischen Putschisten, von München aus die Reichs -regierung zu stürzen, misslang zwar – die Landespoli-zei stoppte deren Marsch zur Feldherrnhalle, wobei 4Polizeibeamte, ein Passant und 15 Aufrührer den Todfanden. In den Putschtagen wurden jedoch sozialde-mokratische Parteifunktionäre als Geiseln genommenund das Verlagsgebäude der „Münchener Post“ vonHitleranhängern gestürmt und verwüstet.

Kampf gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus 57

Hitlerputsch im November 1923

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Der Untersuchungsausschuss zumHitlerputsch

Mit Datum vom 3. Juni 1924 stellte die SPD-Fraktionden Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsaus-schusses. Dieser sollte die Krawalle vom 1. Mai 1923in München sowie die Vorgänge rund um den Hitler-putsch unter die Lupe nehmen. In diesem Zu-sammenhang verdiente sich ein junger Landtagsabge-ordneter seine ersten Sporen: der spätere BayerischeMinisterpräsident Wilhelm Hoegner. Mit ihm, derselbst als Staatsanwalt beziehungsweise Amtsrichtertätig war, hatte die SPD-Fraktion einen Spezialistenfür Justizfragen gewonnen. Aber auch zu Fragen dervölkischen Bewegung meldete sich Hoegner imLandtag wiederholt zu Wort. Er war es auch, von dem

die Anregung zur Einsetzung des Untersuchungsaus-schusses ausgegangen war. Das damit verbundene An-liegen beschrieb Hoegner am 31. Juli 1924 im Land-tag folgendermaßen:

„Es handelt sich für uns in der Hauptsache darum,folgendes festzustellen: Wie war es möglich, daßdie berühmte ‚Ordnungszelle‘ Bayern nach denWor ten des gegenwärtigen Herrn Ministerpräsiden -ten vom Februar 1924 zu einer ‚Unordnungszelleersten Ranges‘ geworden ist? Das aufzuklären,daran hat auch die gesamte bayerische Öffent -lichkeit, hat das bayerische Volk ein dringendesInteresse. Wir verlangen ferner, daß die gesamteRegie rungstätigkeit des vermeintlichen Retters Bayerns, des Herrn von Kahr, einer genauen Nach-prüfung unterzogen wird. Wir wollen nicht denganzen Hitlerprozeß wieder aufnehmen, wir wol-len lediglich die politischen Vorgänge, die im Hit-lerprozeß nicht aufgedeckt worden sind, klarstellenlassen.“

Der beantragte Ausschuss wurde im Juli 1924 vomLandtag gebilligt, Ende April 1928 legte er dem Ple-num seine Ergebnisse vor. Schon in den Monaten zu-vor war die Arbeit des Ausschusses auf starkes öffent-liches Interesse gestoßen. Besondere Aufmerksamkeitgalt dabei der Frage, weshalb die Justiz nicht schonnach den Unruhen im Frühjahr 1923 gegen die Nationalsozialisten durchgegriffen hatte. Was denHitlerputsch anging, so wollte die Öffentlichkeit vorallem wissen, ob und inwieweit die bayerische Staats-führung und die staatliche Verwaltung in das Gesche-hen verstrickt waren.

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Die Angeklagten im Hitlerprozess (von links): Heinz Pernet, Christian Weber, WilhelmFrick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm,Adolf Wagner

Wilhelm Hoegner (1928)

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Gemessen an der Erwartungshaltung waren die kon-kreten Untersuchungsergebnisse allerdings dürftig.Hoegner warf daraufhin den übrigen Ausschussmit-gliedern im Landtag vor, sich mit der Feststellungdessen begnügt zu haben, was nicht gewesen sei, weildie Wahrheit der Mehrheit nicht in den Kram gepassthabe. Für ihn war das Versagen der bayerischen Be-hörden und der bayerischen Justiz offenkundig. Seinwesentlich schärfer formuliertes Sondervotum kamim Landtag jedoch nicht zur Abstimmung. HoegnersErkenntnisse wurden lediglich in der zweiteiligenDruckschrift „Hitler und Kahr. Die bayerischen Na-poleonsgrößen“ publik gemacht.

August 1930: Die BVP verweigert einBündnis mit der SPD

Ab dem Jahr 1924 kam der SPD die allmähliche Sta-bilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhält-nisse zugute. Dies schlug sich beispielsweise bei denLandtagswahlen 1928 in einem Stimmenanteil vonrespektablen 24,2 Prozent nieder. Damit kehrtenauch der alte Optimismus und die Hoffnung auf eineAblösung der scheinbar unanfechtbaren Regierungs-koalition aus BVP, DNVP und Bauernbund zurück.

Im August 1930 kam die Regierung Held dann tat-sächlich zu Fall. Sie stürzte über einen aus heutigerSicht marginalen Gegenstand, nämlich die Einfüh-rung einer Schlachtsteuer. Der Bauernbund verwei-gerte sich dem Vorhaben und verließ die Regierungs-koalition, was wenig später deren Rücktritt zur Folgehatte. Erstmals seit 1920 bot sich der SPD als der

zweitstärksten Partei im Landtag nun die Möglich-keit einer Rückkehr in die Regierungsverantwortung.Sie nahm den Auftrag des Landtagspräsidenten zurRegierungsbildung an, obwohl ein Kabinett ohne Be-teiligung der BVP kaum vorstellbar war. Diese waraber zu einer Zusammenarbeit nicht bereit. Die Be-mühungen der SPD liefen denn auch ins Leere unddas Kabinett Held blieb geschäftsführend im Amt.Helds Minderheitsregierung war allerdings auf dieTo lerierung durch den Bauernbund und die Sozial-demokratie angewiesen. Tatsächlich trug die SPD,de ren größte Sorge dem Fortbestand der demokrati-schen Grundordnung galt, inden folgenden Jahren wie der -holt dazu bei, den Staats -haushalt und wichtige Geset-zesvorhaben der Regierungdurch den Landtag zu brin-gen.

Ihr Verhalten führte dazu,dass die Spekulationen überein Bündnis aus BVP, SPDund Bauernbund nicht mehrverstummen wollten. Einersolchen Zusammenarbeitstand freilich der ausgepräg-te Antisozialismus im Wege,der auf Seiten der Bayeri-schen Volkspartei intensivgepflegt wurde. Die SPD ih-rerseits sah keinen Ansatz-punkt mehr, um selbst die In-itiative zu ergreifen. Da sie

August 1930: Die BVP verweigert ein Bündnis mit der SPD 59

Regierungsbildung durchSPD scheitert

Wahlplakat aus dem Jahr 1924

NeuerlicheSpekulationen über einBündnis mit der BVP

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gleichzeitig an besagter Tolerierung festhielt, machtesie sich mehr und mehr zum Erfüllungsgehilfen derChristlich-Konservativen.

Dieser geschilderte Umstand war sicher einer derGründe für den katastrophalen Ausgang der Land-tagswahl von 1932: Mit nur 15,4 Prozent der Stimmenfuhr die SPD das schlechteste Ergebnis der WeimarerJahre ein. Sie verlor den Status als zweitstärkste poli-tische Kraft im Landtag und damit das Recht auf denPosten des ersten Vizepräsidenten. Erhard Auer, derdiese Funktion seit 1920 ohne Unterbrechung inne-gehabt hatte, musste sich nun mit dem Amt des zwei-ten Stellvertreters zufrieden geben.

Obwohl ein Zusammengehen von BVP und SPD an-gesichts des erstarkenden Nationalsozialismus auchzu diesem Zeitpunkt noch eine realistische politischeAlternative gewesen wäre, verweigerte die BVP trotzdes Drängens der SPD die Bildung einer mehrheits-fähigen Regierung. Heinrich Held setzte seine Min-derheitsregierung ungerührt fort und konnte sichdennoch der Unterstützung durch die SPD bis zuletztsicher sein: Die Sozialdemokratie betrachtete nämlicheinen Verfassungskonflikt oder gar ein Eingreifen derReichsregierung letztlich als das größere Übel.

Fazit: das Dilemma der bayerischen Sozialdemokratie

Die Revolution des Jahres 1918 führte die bayerischeSozialdemokratie erstmals in die Regierungsverant-wortung. Dies verlieh der Arbeit von MSPD undUSPD im Provisorischen Nationalrat und im neu ge-

wählten Landtag zunächst einen kooperativen An-strich. Im Konsens mit den Regierungen Eisner undHoffmann beteiligten sich beide sozialdemokratischeFraktionen an der Ausgestaltung des Freistaates Bay-ern als demokratisches Gemeinwesen. Die Verdiensteum die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung,der Verzicht auf eine Vergesellschaftung der Produk-tionsmittel und die Orientierung an der parlamentari-schen Demokratie trugen dabei vor allem der MSPDgroße Sympathien ein. Das Resultat war ein beein-druckender Wahlerfolg, der sie knapp hinter der Bayerischen Volkspartei zur zweitstärksten politi-schen Kraft in Bayern machte. Nach dem Rücktrittvon Johannes Hoffmann im März 1920 gelang es derMSPD-Fraktion jedoch nicht mehr, diese Stärke auchin politischen Einfluss umzumünzen. Dieses Unver-mögen hatte nicht allein mit der abnehmenden Zu-stimmung in der Bevölkerung zu tun. Hinzu kam,dass sich die Bayerische Volkspartei, damals der einzi-ge denkbare Koalitionspartner im Kreis der demokra-tischen Parteien, einer Zusammenarbeit bis zuletztverweigerte.

Die bayerische Sozialdemokratie war aber nicht ganzunverschuldet in diese Zwangslage geraten. So war esMSPD und USPD nach dem Ende des Ersten Welt-krieges zunächst nicht gelungen, die unproduktiveSpaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Die-ses Manko war auch durch die Wiedervereinigung imJahr 1922 nicht mehr zu beheben, da zum einen mit dem Einzug der KPD in den Landtag auf der äu-ßersten Linken eine neue Konkurrenz entstanden warund zum anderen bürgerliche Wähler durch die anti-sozialistische Propaganda der Rechtsparteien abge-schreckt wurden. Doch trugen auch das Scheitern der

DIE BAYERISCHE SPD WÄHREND DER WEIMARER REPUBLIK

Weiterhin keinemehrheitsfähige

Regierung im Landtag

Landtagswahl 1932:katastrophales Wahl -ergebnis für die SPD

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Regierung Hoffmann beim Kampf gegen die Münch-ner Rätebewegung und der kampflose Rückzug derSPD aus der Regierungsverantwortung mit dazu bei,die bayerische Sozialdemokratie zu schwächen.

Nach der Rückkehr in die Opposition war die Land-tagsarbeit der SPD in Bayern vor allem darauf gerich-tet, die zuvor erkämpften Errungenschaften zu vertei-digen. Hierzu gehörte in besonderer Weise derKampf gegen die von ganz links wie von rechts ausge-henden Versuche, die demokratische Verfassung wie-der zu beseitigen. Keine andere Partei stemmte sichim Parlament mit vergleichbarem Nachdruck gegendas Anwachsen der völkischen Bewegung. Die Kritikder SPD-Fraktion beschränkte sich dabei keineswegsauf den ideologischen Gegner, sondern richtete sichauch gegen die Untätigkeit von Staatsregierung, Jus-tiz und Polizei. Doch ohne eine enge Zusammenar-beit mit den Parteien der bürgerlichen Mitte war derNationalsozialismus auch von Seiten der Sozialdemo-kratie nicht zu verhindern. Gleichwohl rief noch An-fang Februar 1933 Hans Unterleitner auf der Gene-ralversammlung des Sozialdemokratischen VereinsMünchen mit glühenden Worten zum Kampf auf:

„Die bevorstehende Reichstagswahl ist eine Ent-scheidungsschlacht in des Wortes vollster Bedeu-tung. Es geht um die elementarsten Rechte des Vol-kes, um die Existenz der fortschrittlichen und sozialdenkenden Arbeiterschichten. Die Sozialdemokra-tie steht in diesem Kampf in vorderster Front undwird ihn auf dem Boden des Gesetzes zu führenwissen. Es darf keine Täuschung geben. DieseWahlen werden zu Terrorwahlen werden! Mit demOpfermut, der die vorangegangene Generation

während des Sozialistengesetzes beseelte, wollenauch wir diesen Kampf bestehen. Es ist ein Stückdes gewaltigen geschichtlichen Ringens um dieFreiheit des deutschen Volkes.”

Letztlich scheiterte die Republik auch an der Unfä-higkeit der demokratischen Parteien zu Kompromissund Konsensfindung.

Fazit: das Dilemma der bayerischen Sozialdemokratie 61

Republikaner kämpfen um die Demokratie: Wahlplakatzur Reichstagswahl von 1928

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Widerstand1946

Die nationalsozialistischeMachtergreifung

Ermächtigungsgesetz im Reich und in Bayern

Verfolgung und Widerstand

Ende der Arbeiterbewegung

Die Sopade

Sozialdemokratischer Widerstand inNürnberg und Nordbayern

Sozialdemokratischer Widerstand inMünchen und Augsburg

Waldemar von Knoeringen und die„Revolutionären Sozialisten“

Hat die Arbeiterbewegung das„Tausendjährige Reich“ überlebt?

Rückkehr und Wiederaufbau

Neubeginn 1946 – Bayerische SPD-Abgeordnete der ersten Stunde

Gesamtüberblick Bayerischer Landtag1928–1958

1933

Nationalsozialismus – Zweiter Weltkrieg – NeubeginnIII

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63

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Die nationalsozialistischeMachtergreifung

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichs-kanzler ernannt. Dieses Datum markiert die so ge-nannte Machtergreifung der Nationalsozialisten.Weil die Minister der Deutschnationalen Volksparteiin Hitlers Koalitionskabinett anfangs deutlich in derÜberzahl waren und den Demagogen „einzurahmen“und zu „disziplinieren“ schienen, kam es nicht zuletztauf sozialdemokratischer Seite zu einer erheblichenFehleinschätzung des neuen Regimes. Auch und be-sonders in Bayern wurde die Gefahr verkannt, er-weckte hier doch die weiterhin bestehende Regierungder Bayerischen Volkspartei unter Heinrich Held denEindruck, ein Bollwerk gegen die „braune Flut“ zubilden. Die allgemeine Erwartung war, dass sich Bay-ern gegen den Nationalsozialismus werde halten kön-nen, und sei es um den Preis einer Rückkehr zur Wit-telsbacher Monarchie: Mit dieser Variante spekulier-ten in den Wochen nach dem 30. Januar durchausauch Teile der bayerischen SPD. Da Bayern zunächstalso noch „sicher“ schien, kamen ab Mitte Februar1933 mehrere Parteivorstandsmitglieder und andereführende Sozialdemokraten, unter ihnen Otto Wels,Hans Vogel, Rudolf Breitscheid und Julius Leber, ausBerlin nach München. Hier bildete sich eine Art baye -rischer Ableger des Gesamtparteivorstands, dem Er-hard Auer in den Räumen der „Münchener Post“ so-gar eigene Räume zur Verfügung stellte.

Zumindest in Absichtserklärungen bereiteten sich dieFührungen von bayerischer SPD und SPD-Landtags-fraktion (weitgehend in Personalunion) auf den„Ernstfall“ vor, auch gab es zahlreiche Versuche, dasReichsbanner militärisch einsatzbereit zu machen.Oberstes Gebot war aber immer der Grundsatz strik-

ter Legalität. Es galt, dem Gegner keinen „Vorwand“zu liefern. Maßgeblich für diese Haltung waren vor al-lem die Erinnerungen an die „heroische Zeit“ des So-zialistengesetzes 1878–1890.

Nur zu rasch stellte sich allerdings heraus, dass dasneue Regime gar nicht auf irgendwelche weiteren„Vorwände“ wartete: Nachdem in der Nacht von Ro-senmontag auf Faschingsdienstag (27./28. Februar1933) der Reichstag in Flammen aufgegangen war,nutzten die Nationalsozialisten diese Brandstiftung –mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Protestaktion desEinzeltäters Marinus van der Lubbe – zur raschenDurchsetzung ihrer Machtansprüche. Bereits am 28. Februar erließ Reichspräsident von Hindenburgdie Notverordnung „Zum Schutz von Volk undStaat“, die so genannte Reichstagsbrandverordnung.Sie setzte die von der Weimarer Verfassung garantier-ten Grundrechte wie Freiheit der Person, Meinungs-,Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit außerKraft und ermächtigte die Reichsregierung, die „Be-fugnisse der obersten Landesbehörden“ (also derLänderregierungen) vorübergehend selbst wahrzu-nehmen.

Für den 5. März 1933 hatte die Regierung Hitler er-neute Reichstagswahlen angesetzt. Bei diesen Wahlenerreichte die NSDAP keineswegs die erhoffte absolu-te Mehrheit und die SPD legte in Bayern – andersübrigens als im Reich – gegenüber den Reichstags-wahlen von 1932 sogar deutlich zu. Dennoch rief derWahlausgang auch bei der bayerischen SPD allgemei-ne Enttäuschung hervor. Die Hoffnung war gewesen,dem nationalsozialistischen Spuk mittels Wahlurne

In München entsteht ein „Ableger“ des

Gesamtparteivorstands

Oberstes Gebot warlegales Verhalten

III NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Bayern – ein Bollwerkgegen die „braune Flut“?

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ein schnelles Ende machen zu können; der „Regie-rung der großkapitalistisch-großagrarischen Reak-tion“, als solche wurde die Koalition Hitler-Papen-Hugenberg verstanden, wurden keine längerfristigenÜberlebenschancen eingeräumt. Dementsprechendhatte noch eine Woche vor der Wahl die Schlagzeilesozialdemokratischer Zeitungen in Bayern „NachHitler kommen wir!“ gelautet.

Nur vier Tage nach der Wahl schlug das Regime je-doch auch in der bislang scheinbar noch sicheren„Ordnungszelle Bayern“ zu: Am 9. März 1933 stürm-te die SA das Münchner Gewerkschaftshaus in derPestalozzistraße und das Par-teihaus am Altheimer Eck, indem sich Redaktion und Dru-ckerei der „Münchener Post“und die Partei leitung befan-den. Auch in Nürnberg undFürth besetzte und demolier -te die SA am 9. März und inden folgenden Tagen Partei-räume, Gewerkschaftshäuserund -büros sowie das Gebäudeder „Fränkischen Tagespost“.Ähnliches geschah in Augs-burg und weiteren Städten. Inder Nacht vom 10. auf den 11.März ergingen die Anwei -sungen zur Auflösung vonReichs banner, Eiserner Frontund Sozialistischer Arbeiterju-gend (SAJ) sowie zur Verhaf-tung „sämtlicher kommunisti-scher Funk tionäre und Reichs-

bannerführer“. Am 29. März verbot der neue bayeri-sche Innenminister Adolf Wagner jede Betätigung„von Organisationen, deren eigentlicher Zweck dieWahrnehmung und Förderung der beruflichen, ge-sundheitlichen, gesellschaftlichen, turnerischen,sportlichen und bildungsmäßigen Interessen ihrerMitglieder ist“ – sofern diese und insbesondere ihreleitenden Kräfte der „marxistischen Weltanschauung“nahe stünden. Zu den hiervon betroffenen Organisa-tionen, in einer Anlage zum Erlass eigens aufgelistet,zählten nahezu alle überwiegend sozialdemokrati-schen Arbeitervereine wie Arbeiter-Samariter-Bundund Arbeiter-Turn- und Sport-Bund.

März 1933:Zwangsauflösung vonReichsbanner, EisernerFront und SAJ(SozialistischeArbeiterjugend)

Die nationalsozialistische Machtergreifung 65

Gewalt gegen die Arbeiterbewegung: Am 9. März 1933 wurde das Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße inMünchen von den Nationalsozialisten besetzt.

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Das Ermächtigungsgesetz im Reich undin Bayern

Auf der ersten „regulären“ Sitzung des neu gewähltenReichstages am 23. März 1933 fehlten aufgrund derbrachialen Verfolgungspraktiken nach dem Reichs-tagsbrand alle 81 kommunistischen und auch 26 so zi -al demokratische Abgeordnete; sie waren „in Schutz-haft“ oder „geflohen“. Hitler legte ein „Gesetz zurBehebung der Not von Volk und Reich“ vor, das derneuen Reichsregierung diktatorische Vollmachteneinräumte. Der Reichstag verabschiedete dieses so ge-nannte Ermächtigungsgesetz mit mehr als der erfor-derlichen Zweidrittelmehrheit – auch das Zentrumstimmte zu. Nur die 94 anwesenden sozialdemokrati-schen Reichstagsabgeordneten votierten geschlossendagegen. Wie schrieb Wilhelm Hoegner in seinerAutobiografie „Der schwierige Außenseiter“: „Damitschloß die Sitzung eines Reichstags, der aus Furchtvor dem Tode Selbstmord beging.“

Das Regime nutzte seine neue Machtfülle schnell: Be-reits eine Woche später wurde ein „Vorläufiges Ge-setz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“erlassen, das die Landtage der deutschen Länder unddie gewählten kommunalen Vertretungen auflösteund bestimmte, diese seien nach dem Ergebnis derReichstagswahlen vom 5. März neu zusammenzuset-zen.

Der auf diese Weise neu gebildete Bayerische Land-tag trat am 29. April 1933 zu seiner konstituierendenSitzung zusammen. Sie war als „große nationalsozia-listische Siegesfeier“ organisiert – zu diesem Zweckwurden auch die nach dem 9. März in Schutzhaft ge-nommenen sozialdemokratischen Abgeordneten zurSitzungsteilnahme auf freien Fuß gesetzt. Wilhelm

Hoegner, bis dahin durch Glück und Geschick einerVerhaftung entgangen, beschreibt in seinen Erinne-rungen eine gespenstische Szene:

„In der Fraktionssitzung, die vor der Eröffnung desLandtags stattfand, bekamen wir zum ersten Mal einanschauliches Bild, wie es in den Konzentrationsla-gern des Dritten Reiches zuging. Der sozialdemo-kratische Abgeordnete Poeschke aus Erlangen, dereben aus Dachau entlassen worden war, humpeltemühsam, zerbeult und zerschlagen, ins Zimmer. Wirzogen ihm das blutige Hemd vom Leib. Vom Nackenbis zu den Oberschenkeln und Ellenbogen war dieganze Haut blauschwarz gefärbt, an vielen Stellengeplatzt, das rohe Fleisch mit Blutgerinnsel verklebt.Der Mann war völlig verstört, er zitterte an allen Glie-dern und weinte immer wieder während seiner Er-zählung: Man hatte ihn schon im März in Schutzhaftgenommen, aber erst vor zwei Tagen noch nach Da -chau gebracht, als bereits der Befehl, Abgeordnetefreizulassen, veröffentlicht worden war. [...] ... derGefangene [wurde] in einen abgelegenen Raum desLagers geführt. Dort warteten bereits SS-Kerle, dielange, derbe Stecken in der Hand hatten. [...] Manriß den Opfern die Hosen und Hemden herunter. EinGefangener nach dem anderen wurde auf den Bo-den gelegt und vor den Augen seiner Leidensgefähr-ten ausgepeitscht. Je mehr einer schrie, je wilder sichsein zuckender Leib aufbäumte, um so wütenderschlu gen die Henkersknechte zu. [...] Am folgendenTag wurde Poeschke freigelassen. Lagerkameradenmußten ihn unter die Arme nehmen und stundenlangmit ihm auf und ab gehen, bis er sich frei bewegenkonnte. [...] Der Zustand Poeschkes war so bedenk-

Nur die SPD-Abgeordnetenstimmen gegen das

Ermächtigungsgesetz

NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Michael Poeschke(1901–1959), Redakteuraus Erlangen; Orts -vereins vorsitzenderErlangen, Stadt ratsmit -glied, 1933 MdL Bayern;ab 1933 mehrfachSchutzhaft, ab 1939Kriegsdienst, ab 1946Oberbürgermeister vonErlangen.

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lich, daß wir uns entschlossen, ihn sofort in ein Kran-kenhaus zu überführen.“

Auf dieser konstituierenden Sitzung des Landtagssollte auch in Bayern ein Ermächtigungsgesetz fürHitler beschlossen werden. Und der Vorgang vom23. März im Reichstag wiederholte sich: Die Kom-

munisten waren ausgeschaltet, alle übrigen im Land-tag vertretenen Parteien einschließlich der Bayeri-schen Volkspartei stimmten dem Gesetzentwurf zu –allein die sozialdemokratische Fraktion lehnte dasGesetz ab und begründete dies in einer von demSPD-Altparlamentarier Albert Roßhaupter verlese-nen Erklärung.

Das Ermächtigungsgesetz im Reich und in Bayern 67

Auszüge aus der historischen Rede von Albert Roßhaupter gegen das Ermächtigungsgesetz in Bayern

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Verfolgung und Widerstand

Dem im April 1933 neu gebildeten BayerischenLand tag gehörten nur noch 17 sozialdemokratischeAbgeordnete aus Altbayern und der bayerischen Pfalzan. Es waren dies (in alphabetischer Reihenfolge): Lina Ammon (Arbeiterin aus Nürnberg), Erhard Auer (Redakteur in München), Alfons Bayerer (Par-teisekretär aus Regensburg), Franz Bögler (Angestell-ter aus Ludwigshafen), Josef Dennstädt (Schlosser ausBamberg), Georg Dewald (Tapezierer aus Aschaffen-burg), Konrad Eberhard (Stadtrat aus Fürth), FritzEndres (Geschäftsführer aus München), Hans Gentner(Landwirt aus Pegnitz), Karl Giermann (Parteisekre-tär aus Nürnberg), Clemens Högg (Parteisekretär ausAugsburg), Josef Laumer (Arbeiter aus Straubing),Adolf Ludwig (Angestellter aus Pirmasens), MichaelPoeschke (Redakteur aus Erlangen), Christian Roith(Schlosser aus München), Albert Roßhaupter (Redak-teur aus Olching) und Josef Strobl (Steuersekretär ausIngolstadt). Zwölf von ihnen hatten schon dem letztenregulär gewählten Landtag von 1932 mit insgesamt20 sozialdemokratischen Abgeordneten angehört, le-diglich Bögler, Dennstädt, Poeschke, Roith undStrobl waren neu hinzugestoßen. Ausgeschieden wa-ren die Abgeordneten Friedrich Ackermann (ZweiterBürgermeister aus Augsburg), Karl Fischer (Geschäfts-führer aus Ludwigshafen), Georg Hagen (Oberlehreraus Kulmbach), Erhard Kupfer (Bezirkssekretär ausNürnberg), Jakob Leonhardt (Geschäftsführer ausKaiserslautern), Hans Seidel (Geschäftsführer ausHof), Josef Seifried (Geschäftsführer aus München)und Johannes Timm (Arbeitersekretär aus München).

Anhand dieser kleinen Zusammenstellung von 25Per sonen ergibt sich ein wohl nicht untypischesQuerschnittsbild für Rolle und Schicksal bayerischer

Sozialdemokraten in der Zeit des NS-Regimes: 13 vondiesen 25 Abgeordneten wurden massiv verfolgt, wa-ren zum Teil mehrfach in Haft und im Konzentra-tionslager. Fünf Parlamentarier (nämlich Bayerer,Bögler, Dennstädt, Laumer und Roith) waren wäh-rend der Anfangsjahre des NS-Regimes innerhalb dessozialdemokratischen Widerstands aktiv, zwei von ih-nen (Bögler und Dennstädt) flohen aufgrund drohen-der Verhaftung ins Exil, kehrten aber nach 1945 sobald wie möglich wieder zurück. Für 11 der oben Ge-nannten liegen keine näheren Angaben vor – diesschließt freilich eine Beteiligung am Widerstand bzw.Verfolgungstatbestände keineswegs aus. Sechs Abge-ordnete schließlich (Gentner, Hagen, Laumer, Roith,Roßhaupter und Seifried) gehörten 1946 der Bayeri-schen Verfassunggebenden Landesversammlung bzw.dem ersten Bayerischen Landtag an und bekleidetenzum Teil sogar Ministerämter. Zu den „typischenbaye rischen Sozialdemokraten“ jener Zeit gehörenvor allem noch Rosa Aschenbrenner und WilhelmHoegner, beide Landtagsabgeordnete bis 1932, sowie Matthäus Herrmann.

NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Albert Roßhaupter(1878–1949), Eisen -bah ner aus München,Gewerk schafts funktionär,Redakteur; 1907–1933MdL Bayern, 1918 Mit -glied des proviso rischenBayerischen National -rates und Minister fürmilitärische Angelegen -heiten, 1933 Fraktions -vorsitzender; 1933Gefängnishaft,anschließend bis 1934und erneut ab August1944 Konzen trations -lager Dachau; 1945–1947 Minister für Arbeitund soziale Für sorge,1946 Mitglied derVerfassungsgebendenLandesversammlung,1948 Mitglied Parlamen tarischer Rat.

Rosa Aschenbrenner (1875–1967), Hausgehilfin ausMünchen; 1909 SPD, 1917USPD, 1920 KPD, 1929 KPO,1932 Rückkehr zur SPD,1919–1920 und 1924–1932MdL Bayern; 1933 und 1937mehr monati ge Haft; 1945maß geblich an der Wieder -gründung der Münchner SPDbeteiligt, MdVerfgLV, 1946–1948 MdL, 1948–1956Stadträtin in München.

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Das Ende der Arbeiterbewegung

Am 2. Mai 1933 erfolgte die reichsweite Auflösungder Freien Gewerkschaften – trotz des Versuchs derGewerkschaftsführung, durch Anpassung und Ein-gliederung in die „nationale Einheitsfront“ ihren or-ganisatorischen Bestand auch unter dem NS-Regimezu wahren. Das Parteivermögen der SPD, soweitnicht ins Ausland gerettet, wurde am 10. Mai be-schlagnahmt, am 22. Juni erklärten die neuen Macht-haber sämtliche sozialdemokratischen Mandate aufallen parlamentarischen Ebenen für ungültig unduntersagten der SPD jegliche Betätigung. Am 28. Ju-ni ordnete die Polizei für die Morgenstunden des30. Juni 1933 an, sämt liche sozialdemokratischenReichstags- und Landtagsabgeordneten, alle Kreis-tags- und Bezirkstagsvertreter und alle Stadträte so-wie alle die SPD-Funktionäre, die in der Partei oderim Reichsbanner eine führende Stellung innehatten,in Schutzhaft zu nehmen. Das Regime holte zum letz-ten Schlag gegen die SPD und das gesamte WeimarerParteiensystem aus; in den folgenden Wochen wur-den die noch be stehenden Reste des Vereinswesensaus dem Umkreis der Arbeiterbewegung endgültigaufgelöst und ihr Vermögen konfisziert.

Der Prozess der nationalsozialistischen Machtergrei-fung, angefangen von der Ernennung Hitlers zumReichskanzler bis zum Verbot bzw. der Selbstauflö-sung und -gleichschaltung der Parteien EndeJuni/Anfang Juli 1933, vollzog sich zum einen in be-wusst und gezielt herbeigeführten Einzelschritten,zum anderen über zufällig eingetretene, von der NS-Führung jedoch entschlossen genutzte Gelegenheitenwie den Reichstagsbrand. Dennoch lohnt sich einBlick auf einzelne Stufen dieser Entwicklung, die fürdie Sozialdemokratie mit dem Verbot der Partei am

22. Juni 1933 endete. Den Geschehnissen entsprachnämlich auf sozialdemokratischer Seite in jeweiligerWechselwirkung ein Prozess der zunehmenden Auf-lösung und des organisatorischen Zerfalls. Charakte-ristisch für die pseudolegale Vorgehensweise der NS-Führung scheint der Umstand, dass sich die Repres-sionsmaßnahmen der neuen Machthaber gegenüberder Sozialdemokratie nach den Presse- und Ver-sammlungsverboten des Wahlkampfs vor dem 5. März1933 zunächst nicht gegen die SPD als solche, son-dern gegen ihr Umfeld richteten, also gegen dasReichsbanner und das Arbeitervereinswesen. Neben

Das Ende der Arbeiterbewegung 69

Matthäus Herrmann(1879–1959), Eisen -bahner aus Warmen -steinach/Ober franken;langjähriges Mitgliedund Redakteur im Haupt -vor stand des Deut schenEisen bahnerverbands,1919–1928 MdL Bayern;1933 mehrmonatige Haftim KonzentrationslagerDach au; während desWelt krie ges engeKontakte zu WilhelmLeuschner, von CarlGoerdeler nach einemSturz Hitlers als Ver -kehrsminister vorgese -hen, August 1944 bisKriegs ende Gefängnisund Kon zentrationslager;1946–1950 MdL, 1949–1953 MdB.

Der „Völkische Beobachter“ vom 24. Juni 1933:„Wohlverdientes Ende der marxistischen Landesverrats -partei“

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dem Bemühen, nach außen den Anschein eines de-mokratischen Charakters der nationalsozialistischenMachtübernahme zu wahren, standen dahinter ver-mutlich die für den Nationalsozialismus typischeÜberschätzung (pseudo)militärischer Organisationund die instinktive Erkenntnis, dass der eigentlicheZusammenhalt der Arbeiterbewegung weniger in ih-ren politischen Parteien als vielmehr in ihren Selbst-schutz-, Freizeit-, Bildungs-, Sport-, Jugend- undSelbsthilfeorganisationen begründet lag.

Auf einige besonders bemerkenswerte Schicksale seihier eigens eingegangen:

Antonie „Toni“ Pfülf trat nach Absolvierung ihrerAusbildung zur Lehrerin an einer Münchner Lehrer-bildungsanstalt (Frauen waren im Deutschen Reichnoch nicht zum Universitätsstudium zugelassen) 1902der SPD bei. Zeit ihres Lebens setzte sie sich kämpfe-risch für die Gleichberechtigung der Frauen ein undwar 1919 in der Deutschen Nationalversammlung dieeinzige Sozialdemokratin aus Bayern. Anschließendvertrat sie bis 1933 die Wahlkreise Oberbayern-Schwaben bzw. Niederbayern-Oberpfalz im Reichs-tag. Schon frühzeitig machte sich Toni Pfülf als enga-gierte Gegnerin des Nationalsozialismus einen Na-men. Bei der Reichstagssitzung am 17. Mai 1933, inder die sozialdemokratische Rumpf-Reichstagsfrak-tion in der Illusion, durch ein Arrangement mit demneuen Regime ihr Überleben erreichen zu können,der „Friedensrede“ Hitlers im Reichstag zustimmte,gehörte sie zu den 17 sozialdemokratischen Abgeord-neten, die eine solche Zustimmung verweigerten.Völlig verzweifelt über den Weg und das Schicksal derdeutschen Sozialdemokratie schied Toni Pfülf am 8.

Juni 1933 in ihrer Münchner Wohnung in der Kaul-bachstraße aus dem Leben. Die Veröffentlichung dervon ihr selbst verfassten Todesanzeige mit dem Satz„Sie ging mit dem sicheren Wissen von dem Sieg dergroßen Sache des Proletariats, der sie dienen durfte“wurde untersagt, nur Name und Sterbedatum durftenveröffentlicht werden.

Der Münchner Landgerichtsrat und Landtags- undReichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner hatte sichwie erwähnt im ersten Halbjahr 1933 nur mit Glückund viel Geschick der angeordneten Verhaftung ent-ziehen können. Mitte Juli 1933, nach dem endgülti-gen Verbot der deutschen Sozialdemokratie, floh erzu Fuß über die „grüne Grenze“ im Karwendelgebir-ge nach Österreich, im Februar 1934 in die Schweiz.Bis 1945 lebte er in Zürich mehr schlecht als recht vorallem von schriftstellerischer Tätigkeit. Hoegnerstand mit der Sopade (siehe unten) und zahlreichensozialdemokratischen Emigranten in reger brieflicherVerbindung und beschäftigte sich ab 1939 – zusam-men mit anderen Emigranten und in klarer Voraus-

NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Antonie „Toni“ Pfülf(1877–1933), Lehrerinaus München; 1919–1933 MdR, exponierteFrauen- undSchulpolitikerin sowieengagierte Gegnerin desNationalsozialismus,Vertreterin des linkenFlügels der SPD; Juni 1933 Freitod.

Die Todesanzeige von Toni Pfülf

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sicht der irgendwann eintretenden militärischenNiederlage Hitlerdeutschlands – intensiv mit Pla -nungen für eine deutsche Nachkriegsordnung. An-fang Juni 1945 kehrte der überzeugte Föderalist mitUS-amerikanischer Hilfe nach München zurück undwurde Ende September 1945 von den Amerikanernzum Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt. 1946wurde Wilhelm Hoegner zum „Vater der BayerischenVerfassung“.

Hervorgehoben seien an dieser Stelle auch der großealte Mann der Nürnberger Sozialdemokratie, ErnstSchneppenhorst, Otto Geiselhart, Fritz Sauber, FranzBögler, Matthäus Schneider sowie der langjährigebayerische Reichstagsabgeordnete Hans Unterleit-ner. Der Schwiegersohn von Kurt Eisner und lang-jährige Münchner Parteisekretär konnte erst nachzweijähriger Haft im Konzentrationslager Dachaumit Unterstützung Wilhelm Hoegners 1936 in dieSchweiz fliehen und emigrierte anschließend in dieUSA. Als Bayerischer Ministerpräsident versuchte

Hoegner, Unterleitner als Ministerkandidaten zu-rückzuholen, dieses Vorhaben scheiterte jedoch anbürokratischen Schwierigkeiten.

Das Ende der Arbeiterbewegung 71

Wilhelm Hoegner (1887–1980), Jurist aus München; 1919 SPD, 1924–1932 MdLBayern, Mitberichterstatter des Unter suchungs aus schusses zu den Hintergrün-den des Hitlerputsches 1923, 1930–1933 MdR, ex ponierte sich frühzeitig als NS-Gegner; ab 9. März 1933 zur Fahn dung ausgeschrieben, Juli 1933 Flucht nachÖsterreich, Februar 1934 in die Schweiz; Kritiker der Sopade und der so zial -demo kra ti schen Politik vor 1933, Forderung nach Ge win nung bürgerlicherWähler schichten für eine künftige soziale Demo kratie, ab 1939 Planungen für ei-ne demokratische Nach kriegs ord nung und die Errichtung eines bay erischenStaats im Rah men eines födera lis ti schen Systems; Juni 1945 Rückkehr nach Mün-chen, 28. September 1945 Ernennung zum Bayerischen Minister prä si denten; füh - rend an der Formulierung der neuen Bayeri schen Verfassung be tei ligt, 1946–1970MdL, 1946–1947 stellv. Ministerpräsident und Justizminister, 1950–1954 stellv.Mi nis ter prä sident und In nenminister, 1954–1957 Ministerpräsident der Vier er -koalition, 1962–1970 Vize präsident des Landtags.

Ernst Schneppenhorst (1881–1945), Handwerker ausNürnberg, SPD- und Gewerk schafts funktionär, 1912–1920 MdL Bayern, 1919–1920 Mi nis ter für militärischeAnge legen hei ten, 1932 Vor sitzen der der Eiser nen Front,1932–1933 MdR; nach der NS-Macht über nahme inBerlin in der Firma von Wil helm Leuschner tätig, Septem -ber 1939 und ab August 1944 in Haft, Ende April 1945von der SS ermordet.

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NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Franz Bögler (1902–1976), Ange stell ter aus Speyer; 1921SPD, 1929–1933 Be zirks sekretär Pfalz, 1933 MdL Bayern;1933 Schutz haft, anschließend Flucht ins Saar land, ab1934 Sopade-Grenz se kre tär in der Tschechoslowakei fürSchlesien, ab 1935 mit Walde mar von Knoe rin gen führen-des Mit glied der Or ga ni sa tion „Neu Beginnen“, 1938Flucht nach Frank reich, Haft und Inter nie rung, 1942 Fluchtin die Schweiz, erneute In ter nie rung, 1943 Mit grün der derUnion deut scher Sozialisten in der Schweiz; 1946 auf Initia-tive Wilhelm Hoegners Rück kehr er laub nis, 1946–1961SPD-Vorsitzender Pfalz, 1947–1963 MdL Rhein land-Pfalz,1946–1958 Mitglied SPD-Par tei vor stand.

Fritz Sauber (1884–1949), Gastwirtsgehilfe aus Schwa-bach; 1907 SPD, 1911 Geschäftsführer des Gastwirtsgehil-fen-Ver bands in Nürnberg, Soldat im Ersten Welt krieg,1917 USPD, 1920 SPD, 1920–1924 MdL Bayern; 1933Flucht ins Saarland, 1935 nach Frankreich, 1940 in ter niert,an schlie ßend im Süden Frank reichs in der Illegalität, Ver haf -tung, Auslieferung an die Ge sta po, wegen „Vor be reitungzum Hoch verrat“ bis Kriegsende Zucht haus haft.

Matthäus Schneider (1877–1944), Brauerei arbeiter ausKulmbach; 1900 SPD, 1911–1933 maßgeblicher Gewerk -schafts füh rer in Kulm bach,1919–1920 MdL Bayern, bis1933 Stadt rat in Kulm bach;1933 Schutz haft, August1944 erneute Verhaftung,Kon zen tra tions lager Dachau,dort Tod September 1944.

Otto Geiselhart (1890–1933), Käser aus Günzburg;1919–1920 MdL Bayern,1919–1933 Stadtrat in Bur-gau und Günzburg, 1929–1930 MdR; März 1933 Ver -haftung, nach wenigen Tagenangeblich Selbstmord in derZelle.

Hans Unterleitner (1890–1971), Metall ar bei teraus München; SPD, 1917 USPD, 1918–1919bayerischer Minister für soziale Fürsorge undMdL, 1920 SPD, 1920–1933 MdR; Juni 1933Kon zen tra tions lager Dachau, 1936 nach Haft-entlassung Flucht in die Schweiz, 1939 Emigra-tion USA, Vorstandsmitglied des German-Ame-rican Council for the Liberation of Germanyfrom Nazism.

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Die Sopade

Unmittelbar nach der Ausschaltung der Gewerk-schaften am 2. Mai 1933 beschloss der im April neugebildete Parteivorstand der SPD, insgesamt 6 seiner20 Mitglieder ins Ausland zu entsenden. Die Mitglie-der dieser neu zu gründenden Auslandszentrale, derSopade (Sozialdemokratische Partei Deutschlands),waren die beiden Parteivorsitzenden Otto Wels (3)und Hans Vogel (2), Reichsschatzmeister SiegfriedCrummenerl (5), der Chefredakteur des „Vorwärts“Fried rich Stampfer (4), der SAJ-Vorsitzende ErichOllenhauer (1) sowie als Vertreter des linken Partei-flügels Paul Hertz. Als finanzielle Grundlage für denAufbau der Sopade dienten ein bis zwei MillionenReichsmark, die schon kurz nach dem Reichstags-brand ins Ausland transferiert worden waren. Die So-pade richtete Ende Mai 1933 ihren Sitz in Prag einund begann alsbald mit der Herstellung illegaler Lite-ratur, sprich Tarnbroschüren, Flug- und Klebezettelsowie Zeitungen, deren be deutendste sicher der„Neue Vorwärts“ war.

Der „Schmuggel“ dieser illegalen Literatur ins Deut-sche Reich lief über die so genannten Grenzsekretari-ate, die die Sopade ab Sommer 1933 in den Ländernrings um das Deutsche Reich einrichtete. Als Grenz -sekre täre wirkten meistens ehe malige Funktionäre,die aus den Gebieten stammten, für die sie regionalzuständig waren, und die daher über entsprechendeKenntnisse des Gebiets und seiner Verhältnisse sowieüber persönliche Bekanntschaften und Verbindungenverfügten. Diese Grenzsekretäre transportierten ille-gale Literatur nach Deutschland, unterstützten lokaleWiderstandsgruppen und stellten Kontakte her; desWeiteren bestand ihre Aufgabe darin, möglichst de-taillierte Informationen zu sammeln.

Die Sopade 73

Hans Vogel (1881–1945), Bildhauer ausFürth; 1908–1927Sekretär SPD-BezirkFran ken, 1912–1918MdL Bayern, nachKriegs dienst Mitglied derDeutschen National ver -sammlung, 1920–1933MdR, ab 1927 Partei - vorstands mitglied, ab1931 stellvertretenderPar tei vor sitzender; Mai1933 De le gierung insAusland, Mit gliedSopade, 1938 nachParis, ab 1939 Vor -sitzen der Sopade, nachInter nierung 1940 Fluchtnach London, ab 1941Vor sitzen der derLondoner Union derdeutschen so zia listischenOr ga ni sa tionen in Großbritannien, maßgeblich an der Programm arbeit für dieNach kriegs pla nungbeteiligt; 1945 noch vorgeplanter Rück kehr Todnach Krankheit.

Der Parteivorstand der Sozialdemokratischen ParteiDeutsch lands im Exil, Sopade

„Neuer Vorwärts“ Nr. 1

(1) (2)

(3) (4) (5)

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Grenzsekretär für Nordbayern war Hans Dill. Nachseiner Emigration Ende Juni 1933 hatte Dill seineWohnung und Arbeitsstelle im knapp hinter derdeutsch-tschechoslowakischen Grenze an der Eisen -bahnstrecke Nürnberg-Prag gelegenen Mies einge-richtet. Waldemar von Knoeringen, der Grenzse-kretär für Südbayern, nahm seine Arbeit zunächstvon Österreich aus auf; ab Frühjahr 1934 (Unter-drückung der österreichischen Sozialdemokratie) be-fand sich das Grenzsekretariat für den südbayerischenRaum in Neuern (Nyrsko) an der niederbayerisch-tschecho slowakischen Grenze im Böhmerwald, spä-ter dann in Budweis. Und noch von einer drittenGrenzstelle aus wurde versucht, Verbindungennach Bayern aufzubauen: Ab Anfang 1934 bemühtesich der im Juni 1933 auf Veranlassung des Augs-burger Parteivorsitzenden Clemens Högg in dieSchweiz geflohene Valentin Baur von Rorschach amSchweizer Ufer des Bodensees aus Kontakte in seineHeimatstadt und den bayerisch-schwäbischen Raumzu knüpfen. Baur sandte per Post Exemplare des„Neuen Vorwärts“ und andere illegale Literatur anihm persönlich bekannte Genossen, er ließ dieseverbotene Literatur in Eisenbahnwaggons verstecktnach Bayern schmuggeln und /oder von deutschenPostämtern aus zustellen.

NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Als Reklamebroschüre (Originalgröße) getarnte Fassungdes „Prager Manifests“ der Sopade vom 30. Januar 1934: Auf S. 4 (siehe Pfeil) beginnt ohne typographischen Bruchder eigentliche Text.

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Weich s e l

Elbe

Bern

Wien

Luxemburg

Antwerpen

Brüssel

Arnheim

Mulhouse(Mühlhausen)

Straßburg

Forbach

St.Gallen

MiesPrag

Karlsbad

Reichen-berg

Trautenau

Neuern

Saarbrücken

Bodenbach

O s t s e e

Oder

Elbe

Rhein

N o r d s e e

Donau

Berlin

Hamburg

München

Stuttgart

Köln

Königsberg

Frankf./M.

Bremen

Nürnberg

Breslau

Oldenb.

Schwerin

DresdenChemnitz

Görlitz

Augsburg

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Würzburg

Ulm

Karlsruhe

Freiburg

Kaisers-lautern

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Warschau

Danzig

S a c h s e n

Mecklenburg-

SchwerinOlden-

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P o m m e r n

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Oberpfalz

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(Bayern)

Ober-

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FrankreichTschechoslowakei

P o l e n

Schweiz

I ta l i e n

Ö s t e r r e i c h

S c h w e d e nD ä n e m a r k

Litauen

0 100 200 300km

Bildnachweis: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn;Archiv des Stadtgeschichtlichen Museums Spandau, Berlin

Sozialdemokratische Grenzsekretariate 1933-1938/40

Donau

U n g

Hans Dillfür Franken und

Niederbayern/Oberpfalz

Mies

Waldemar v.Knoeringen("Michel")

für Oberbayern, Schwaben

Neuern

Valentin Baurfür Augsburg/Schwaben

Rorschach/St. Gallen

© Institut für Zeitgeschichte 1999

Franz Bögler("Hertel")

für Mittel- u.Oberschlesien

Trautenau

Sozialdemokratischer Widerstand in Nürnberg und Nordbayern 75

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NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Sozialdemokratischer Widerstand inNürnberg und Nordbayern

Durch den Zerfallsprozess und das Verbot von Parteiund sozialdemokratischem Organisationswesen warendie lokalen Parteisektionen, die Gliederungen derNeben- und Unterorganisationen sowie die Gruppendes verbotenen bzw. gleichgeschalteten Arbeiterver -eins wesens zunächst ganz auf sich selbst zurückge -wor fen. Eine besonders häufige Reaktion auf die neu-en Umstände bestand in den meist unmittelbar folgen -den Versuchen der aktivsten Mitglieder, sich nach derpolizeilichen Auflösung ihrer Organisationen einfachweiterhin zu treffen und das gewohnte Vereins- undOrganisationsleben, nur notdürftig getarnt, wie bisherzu pflegen. Aus solchen Kleingruppen, die sich vor al-lem im dichten Arbeitermilieu der Großstädte fanden,wuchsen die aktiv illegal arbeitenden Gruppen heraus.

So bildete in Regensburg eine Gruppe um den ehe-maligen Landtagsabgeordneten Alfons Bayerer einenersten Knotenpunkt des von Dill und dem nordbaye-rischen Grenzsekretariat ausgehenden Literaturver-teilungsnetzes. Über ihn wurde illegale Literatur auchnach München und Südbayern weiterverteilt.

Kristallisationspunkt der ersten größeren Wider-standsorganisation in Nürnberg und Nordbayern wareine Gruppe aus dem ehemaligen Fürther Reichsban-ner um den Posamentier Heinrich Stöhr und denMetalldrücker Konrad Grünbaum, die beide schon abdem Sommer 1933 mit Hans Dill in Mies in Verbin-dung standen. Stöhr und Grünbaum gewannen zu-dem den späteren Landtagsabgeordneten MartinLoos aus Zirndorf als maßgeblichen Mitarbeiter. MitStöhr, Grünbaum und Loos bestand zu diesem Zeit-punkt eine Art provisorischer Leitung für den Aufbau

Hans Dill (1887–1973), Porzellanmaler aus Nürn berg;SPD-Partei se kretär in Nürnberg, 1919 SPD-Landes sekre tär,bis 1927 Redakteur „Mün chener Post“, 1919–1923 MdLBayern, 1927–1933 Be zirks se kre tär Franken, 1930–1933MdR; 1933 Flucht in die Tschechoslowakei, Sopade-Grenz-sekretär; Ende 1938 nach Großbritannien, während desKrieges nach Kanada, Ende der 60er Jahre Rückkehr nachBayern.

Clemens Högg (1880–1945), Me tall arbeiter aus Augsburg;SPD- und Gewerk schafts funktionär, Kriegs dienst, 1919–1933 MdL Bayern, 1920–1933 Sekretär SPD-Un ter bezirkAugs burg; 1933 Schutzhaft in den Konzentrations lagernDachau und Oranien burg; August 1944 erneut verhaftet,Kon zen trations lager Sachsenhausen und Bergen-Belsen,Tod im März 1945.

Valentin Baur (1891–1971), Schlosser aus Augsburg; SPD-und Ge werkschaftsfunktionär; Kriegs dienst, 1924–1933Stadtrat in Augsburg, bis 1933 Be triebs rats vor sitz en derMAN-Werke Augs burg; 1933 Schutz haft, Juni 1933 Fluchtins Ausland, ab Anfang 1934 Leiter einer sozial demo -kratischen Grenz stelle in Rorschach bzw. St. Gallen; wäh rend des Krieges in der Schweiz Haft und In ter nie rung,nach Entlassung Zusammenarbeit mit Wilhelm Hoegner undanderen Emigranten in der Schweiz; 1945 Rück kehr nachAugsburg, 1946 Mitglied Bay eri sches Vorparlament,1946–1949 MdL Bayern, 1949–1961 MdB.

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eines illegalen Verteilerapparats im Großraum Nürn-berg Fürth. Wenig später stießen der MetallschleiferFritz Gräßler, der Schriftsetzer Franz Haas und wei-tere Genossen aus dem Umfeld von SAJ, Reichsban-ner und SPD zur Gruppe.

Anfang September 1933 fand in Schwarzenberg beiNabburg/Oberpfalz eine Besprechung von Vertrau-ensleuten aus dem Oberpfälzer Raum statt, die inzwi-schen mit Stöhr und Dill in Verbindung standen. Zieldieses Gesprächs waren die organisatorische Verein-heitlichung und Zentralisierung des bislang recht zu-fällig erfolgten Literaturtransports im Raum Ober-pfalz bis nach Nürnberg. Außerdem wurden dieGruppen zu regelmäßiger Berichterstattung an dasGrenzsekretariat angehalten.

In Würzburg konnte Konrad Grünbaum den Zim-mermann und ehemaligen Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Würzburg, Theodor Drey, zur Mitar-beit gewinnen, der im Juli 1933 aus dem Konzentra-tionslager Dachau entlassen worden war. Enge Kon-takte bestanden auch zu dem Schlosser und früherenParteisekretär Josef Dennstädt in Bamberg, dem Re -dakteur Peter Zink in Erlangen, zu Emil Pörschmannin Ansbach sowie zu Vertrauensleuten in Weißenburgund Schweinfurt. In Straubing konnte eine Gruppeum den inzwischen verhafteten ehemaligen Landtags-abgeordneten Josef Laumer angeworben werden; auchin Landshut wurden lokale Vertrauenspersonen mitillegaler Literatur versorgt. Weitere Knotenpunkte indiesem von Hans Dill ausgehenden Literaturvertei-lungsnetz bildeten die oberpfälzischen Städte Weidenund Schwandorf.

Sozialdemokratischer Widerstand in Nürnberg und Nordbayern 77

Alfons Bayerer (1885–1940), Spengler aus Passau; SPDund Gewerkschaft, im Ersten Weltkrieg schwer kriegsbe-schädigt, ab 1919 Bezirksparteisekretär Oberpfalz in Re-gensburg, 1923–1933 MdL Bayern; 1933 Schutzhaft, Kon-zentrationslager Dachau, 1934 aktiv im Widerstand, erneu-te Verhaftung, wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vier -einhalb Jahre Zuchthaus; 1939 krankheitshalber entlassen,Mai 1940 Tod.

Heinrich Stöhr (1904–1958), Posamentier aus Fürth; SAJ,SPD, Gewerkschaft; ab 1933 illegale Arbeit, führender Kopfin der sozialdemokratischen Untergrundorganisation Nord -bayern, 1934 verhaftet, 1935 wegen „Vorbereitung zumHochverrat“ fünfeinhalb Jahre Zuchthaus, anschließendKonzentrationslager Dach au, Pfleger in der Krankenabtei-lung, konnte laut vieler Zeug nisse von Mithäftlingen vor al-lem in der End phase des KZ-Systems zahlreiche Menschen-leben retten; 1945 befreit, wurde Stöhr Bezirksvorstandsmit-glied und Kreisvorsitzender der SPD in Franken, 1946 Mit-glied der VerfgLV und 1946–1958 MdL.

Martin Loos (1904–1978), Metalldrücker aus Zirndorf;1934 führend am Nürnberger Widerstandsnetz beteiligt;1950–1970 MdL.

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NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Josef Laumer (1887–1973), Säger aus Strau-bing; nach Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg Ge-werkschafts- und SPD-Vorsitzender sowie Stadtratin Straubing, 1932–1933 MdL Bayern; 1933–1935 Konzentrationslager Dachau, erneute Ver-haftung we gen des Bezugs illegaler Flugblätter,1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vierJahre Zucht haus, 1940 entlassen und mit Aufent-haltsverbot für Bayern belegt, Bauarbeiter inFrankfurt; 1945 Leiter des Arbeitsamts und Zwei-ter Bürgermeister in Straubing, 1946 MitgliedVerfgLV, 1946–1954, 1956–1958 MdL.

Peter Zink (geb. 1907); SAJ, SPD; 1933 Konzen-trationslager Dachau, 1934 am nordbayerischenWiderstand beteiligt, ab 1946 Betriebsratsvorsit-zender bei Siemens und Stadtrat in Erlangen,1954–1974 MdL.

Emil Pörschmann (1880–1949), Bauschreinerund Glaser aus Ansbach; 1904–1914 SPD-Vor-sitzender Ansbach, 1911–1933 Mitglied Stadtratbzw. Kreistag Unterfranken, 1928–1932 MdLBayern; 1933 Schutzhaft, KonzentrationslagerDachau, Dezember 1933 aufgrund Krankheitentlassen, 1934 am nordbayerischen Wider-standsnetz beteiligt.

Fritz Gräßler (1904–1972), Metall -arbeiter und Elektriker aus Fürth; SAJ,SPD; nach 1933 illegale Arbeit, 1934Haft; 1945 Parteisekretär in Fürth, 1946Stadtrat, Mitglied der VerfgLV, 1946–1970 MdL.

Franz Haas (1904–1989), Schriftsetzeraus Nürnberg; Gewerkschaft, SAJ, 1925SPD; 1933 illegale Arbeit, ab 1934 zweiJahre Haft wegen „Vorbereitung zumHochverrat“, anschl. KonzentrationslagerDachau, 1940–1945 Soldat; 1946 Par-teisekretär und Stadtrat in Nürnberg,Mitgl. VerfgLV, 1946–1957 MdL.

Josef Dennstädt (geb. 1891), Schlosseraus Gunzenhausen bzw. München; 1929 Stadtrat in Bamberg, ParteisekretärBamberg, MdL 1933; 1934 am nord -baye rischen Widerstandsnetz beteiligt.

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Nicht durch den gezielten Einsatz von Spitzeln (wiedies später meist geschah), sondern eher zufällig ge-lang der Polizei die Enttarnung der sozialdemokra-tischen Organisation in Nürnberg. Daraufhin setzteEnde April eine Verhaftungswelle ein, der bis August1934 nahezu der gesamte vom Grenzsekretariat inMies ausgehende Verteilungsapparat zum Opfer fiel.Mehr als 150 Personen wurden verhaftet, gegen 171Personen wurde ein Ermittlungsverfahren eröffnet.In einem Mammutverfahren, aufgeteilt in sieben Pro -zessblöcke, wurden 45 dieser 171 Sozialdemokratenim Januar und Februar 1935 zu insgesamt mehr als50 Jahren Zuchthaus und knapp 35 Jahren Gefängnisverurteilt.

Einen erneuten Versuch der organisierten Literatur -verteilung jenseits der Grenze konnte Dill unter-nehmen, nachdem ihn ebenfalls im Juni 1934 derPorzellanmaler und ehemalige SPD-BürgermeisterHermann Werner aus Schönwald im Kreis Rehauunweit der tschechoslowakischen Grenze aufgesuchthatte. Werner übernahm bzw. organisierte in derFolgezeit den Transport sozialdemokratischer Zei-tungen und Broschüren über die Grenze; von Schön -wald aus wurde das Material dann in einer Reihe vonoberfränkischen Orten weiterverteilt. Verbindungenbestanden unter anderem nach Rehau, Hof, Bayreuthund bis nach Schwarzenbach/Saale; eingebunden wardabei auch der ehemalige ReichstagsabgeordneteFriedrich Puchta.

Dieses Verteilersystem hatte über ein Jahr Bestand;erst Ende Juli 1935 konnte die Politische Polizei –über den wirklichen Umfang des Verteilernetzes of-fensichtlich nicht vollständig informiert – einen

großen Teil der daran Beteiligten verhaften. DerVolksgerichtshof verurteilte Hermann Werner zusechs Jahren Zuchthaus, gegen die Übrigen ver-hängte das Oberlandesgericht München im Dezem-ber 1935 Strafen zwischen drei Monaten Gefängnisund vier einhalb Jahren Zuchthaus.

Sozialdemokratischer Widerstand in Nürnberg und Nordbayern 79

Friedrich Puchta (1883–1945), Textilarbeiter aus Hof; 1903SPD und Gewerkschaft, Redakteur, Kriegsdienst im ErstenWeltkrieg, anschließend USPD, 1922 SPD, 1920–1924und 1928–1933 MdR; 1933 Konzentrationslager Dachau,anschließend Zeitschriftenhändler, illegale Arbeit, 1935 verhaftet, wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zweiein-halb Jahre Gefängnis, August 1944 erneute Verhaftung,Konzentrationslager Dachau, nach EvakuierungsmarschMai 1945 Tod aufgrund der Haftfolgen.

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Sozialdemokratischer Widerstand inMünchen und Augsburg

Ähnlich wie in Nürnberg hatten sich auch in Münchenmehr oder minder lockere Formen des politischenZusammenhalts lediglich im Rahmen der Zugehörig-keit zu bestimmten ehemaligen sozialdemokratischenOrganisationen und auf der Ebene persönlicher Be-kanntschaften und Freundschaften aufrechterhaltenlassen; wie in Franken kam es erst ab Spätsom-mer/Herbst 1933 zu einer tatsächlichen Gruppenbil-dung, als Verbindungen in die Tschechoslowakei zumBezug der dort hergestellten Literatur bestanden.

Im Unterschied zu Nürnberg und Nordbayern voll-zog sich jedoch in München der Aufbau eines illega-len Apparats zur Verteilung sozialdemokratischer Li-teratur nicht von einem einzigen Widerstandskernaus: Ab Sommer 1933 bestanden in München vierGruppen unterschiedlicher Herkunft, die alle einengewissen Organisationsgrad aufwiesen. Jede dieserGruppen verfügte über eine eigene Verbindung zursozialdemokratischen Exilorganisation, erst allmäh-lich konnten auch Querverbindungen zueinander auf-gebaut werden.

Im Münchner Westen hatte sich um den SchreinerHans Fried, den Glasmaler und Zeichner Josef Lin-senmeier und den Schneider Sepp Schober eine sol-che Gruppe gebildet. Alle drei waren ledige, langjäh-rige Mitglieder der SAJ, Schober hatte dem Reichs-banner angehört, Fried und Linsenmeier waren biszur NS-Machtübernahme die beiden letzten Vorsit-zenden der Münchner „Kinderfreunde“ gewesen, dersozialdemokratischen Organisation zur Erziehung,Be treuung und Gemeinschaftsbildung von Arbeiter-kindern.

Fried, Linsenmeier und Schober wurden über Re -gensburg mit illegalen Zeitungen und Broschüren ausdem Kontingent von Hans Dill bzw. Alfons Bayererbeliefert. Sie verteilten diese an ehemalige Genossenaus ihrem Umkreis weiter und versorgten „im Gegen-zug“ via Regensburg Dill mit Berichten. Schoberkonnte sogar Kontakte nach Augsburg knüpfen unddorthin illegale Zeitungen liefern; in Augsburg bilde-te sich daraufhin um Eugen Nerdinger, Schriftsetzerund letzter SAJ-Unterbezirksleiter von Nordschwa-ben, und um den Eisendreher und ehemaligen SAJ-Funktionär Josef „Bebo“ Wager eine ähnlich struktu-rierte Gruppe. Sie bestand vor allem aus ehemaligenSAJ-Mitgliedern und wurde später zentraler Bestand-teil der „Neu Beginnen“-Organisation in Südbayern.

Als es im Frühjahr 1934 zur Zerschlagung des so -zialdemokratischen Literaturverteilungsapparatesin Nordbayern kam, wurden auch Fried, Linsenmeierund Schober verhaftet und zu Gefängnis- und Zucht-hausstrafen verurteilt; nach deren Verbüßung folgtefür alle drei die Einlieferung in das Konzentrationsla-ger Dachau. Den tatsächlichen Umfang ihrer Tätig-keit und vor allem die Verbindung nach Augsburgentdeckte die Gestapo jedoch erst im Jahr 1942.

Eine zweite Gruppe, die vor allem aus Reichspostbe-diensteten bestand, bildete sich im Münchner Ostenum den ehemaligen Reichsbanner-Führer Karl Dör-schuck und um Emil Holzapfel. Sie stand in unmittel-barer Verbindung zu Waldemar von Knoeringen inÖsterreich bzw. später in Neuern und arbeitete –unter strengster Geheimhaltung – bis in die zweiteHälfte der 30er Jahre hinein.

NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Politischer Zusammenhaltin schwieriger Zeit

Münchenssozialdemokratische

Widerstandsgruppen

Widerstand imMünchner Westen

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Eine weitere Gruppe formierte sich in Ramersdorfum den Fräser Anton Aschauer, einen früheren füh-renden Funktionär der bayerischen KPD, der späterin die SPD eingetreten war. Diese Gruppe verbreite-te im Frühjahr 1933 zwei Flugblätter, an deren Herstellung auch der spätere langjährige MünchnerSPD-Vorsitzende Hans Demeter beteiligt war, umden sich ebenfalls eine kleine Gruppe gebildet hatte.Auch der ehemalige und spätere Landtagsabgeordne-te Christian Roith stand mit dieser dritten Gruppe inVerbindung. Die Ramersdorfer Gruppe wurde imSommer 1934 aufgedeckt, die meisten ihrer Mitglie-der verhaftet.

Sozialdemokratischer Widerstand in München und Augsburg 81

Flugzettel „Deutsches Volk!“ (mit handschriftlichen Anmerkungen der Gestapo)

Hans Demeter (1905–1993), Angestellter ausMünchen; SAJ, SPD;1933 im sozialistischenWiderstand in Münchenaktiv, 1948 als Schwer -kriegsbeschädigterRückkehr aus sowjetischerKriegsgefangenschaft,Leiter der MünchnerTierkörperverwertungs -anstalt, 1950–1970 MdL.

Christian Roith (1905–1969), Schlosser ausMünchen; SPD,Gewerkschaft, 1933 MdL;1933 Konzen trationslagerDachau, anschließend anillegaler Arbeit beteiligt; 1945 Stadtrat inMünchen, 1946 MitgliedVerfgLV, 1946–1950MdL.

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Die vierte – und zahlenmäßig zweifellos bedeutendste– Gruppe in München hatte ihre regionalen Schwer-punkte in Haidhausen im Münchner Osten und inNeuaubing westlich von München. Auch sie konstitu-ierte sich zunächst auf der Ebene lockeren persön-lichen Zusammenhalts, und zwar von Mitgliedern desReichsbanners im Osten Münchens und der FreienTurnerschaft Neuaubing. Im Herbst 1933 konnte siedurch den ehemaligen Neuaubinger Reichsbanner-Führer Josef Lampersberger, der wegen drohenderVerhaftung aus München geflohen war, die Verbin-dung zum Grenzsekretariat in Eger herstellen.

Wichtigster Verbindungsmann Lampersbergers wur-de der Reichsbahnarbeiter Franz Faltner, bis 1933Führer des so genannten Turner-Wehrzugs der Eiser-nen Front München-Ost. Faltner war die beherr-schende Figur eines oppositionellen Kreises vor allemehemaliger Reichsbanner-Angehöriger aus demMünchner Osten, der den Zusammenhalt bewahrthatte und stark von aktivistischen Tendenzen geprägtwar. Unmittelbar nach der NS-Machtübernahme warFaltner im Konzentrationslager Dachau inhaftiertworden, hatte aber sofort nach der Haftentlassung sei-ne alten Verbindungen wieder aufgenommen.

Ab dem Frühjahr 1934 stieg die Zahl der von Lam-persberger gelieferten Schriften kontinuierlich an.Die Gruppe um Faltner betrieb mit dieser illegalenLiteratur eine massive, unter konspirativen Gesichts-punkten recht unvorsichtige Agitation und konnteden Kreis der Beteiligten rasch ausdehnen. Selbst dieVerhaftung von Fried, Linsenmeier und Schober unddie Zerschlagung ihres Zirkels, zu dem die Gruppeum Faltner lose Verbindungen besessen hatte, führte

zu keiner Änderung dieser Arbeitsweise. So streutedie Gruppe am Ende eines gut besuchten Fußball-spiels im Stadion an der Grünwalder Straße Faltblät-ter, legte sie zusammen mit Werbezetteln vor Ge-schäften aus oder ließ sie bekannten Münchner Per-sönlichkeiten per Post zukommen. Insbesondere an-lässlich der Wahl und Volksabstimmung vom 19. Au-gust 1934 führten die Gruppe um Franz Faltner undandere sozialdemokratische Widerstandszirkel eineReihe spektakulärer Aktionen durch (s. Seite 81).

Faltner konnte erst Ende April 1935 auf einer Fahrtnach Eger kurz vor der deutschen Grenze verhaftetwerden. Zur gleichen Zeit wurde Josef Lampersber-ger, der sich mit ihm an der Grenze treffen wollte, vonPolizeibeamten in Zivil vom tschechoslowakischenTeil des Grenzbahnhofs Eisenstein auf deutsches Ge-biet verschleppt, verhaftet, nach München transpor-tiert und dort mit brutalem Druck verhört. Nachenergischen Protesten der Tschechoslowakei ließenihn die deutschen Behörden Anfang Juni 1935 wiederfrei. Faltners Organisation, die sich selbst „Rote Re-bellen“ nannte, war inzwischen von der Polizei aufge-deckt, ihre Mitglieder größtenteils verhaftet worden.Im März 1937 wurde Faltner zu zehn Jahren Zucht-haus verurteilt; gegen 47 weitere Angehörige derGruppe wurde ein Verfahren vor dem Oberlandesge-richt München eröffnet. 31 Angeklagte standen imJuli 1936 vor Gericht; von ihnen wurden 18 zu Stra-fen zwischen einem Jahr Gefängnis und drei JahrenZuchthaus verurteilt. Wie üblich, folgte auf die Straf-verbüßung zumeist Konzentrationslager-Haft. In sei-nen Berichten an die Sopade hatte Knoeringen die ak-tivistische und unvorsichtige Arbeitsweise der GruppeFaltner-Lampersberger mehrfach scharf kritisiert.

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Münchens vierteWiderstansgruppe

aus Haidhausen und Neuaubing

Oppositioneller Kreis ehemaliger

Reichsbanner-Angehöriger

Mutig: Faltblätter imStadion, vor Geschäften

und per Post

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Waldemar von Knoeringen und die„Revolutionären Sozialisten“

Der Sopade-Grenzsekretär für Südbayern, Waldemarvon Knoeringen, war kurz nach seiner EmigrationFrühjahr 1933 Mitglied der von Berlin ausgehendenOrganisation „Neu Beginnen“ geworden. Dieser Zu-sammenschluss zeichnete sich durch eine realistischeAnalyse des Faschismus und einen legendären konspi-rativen Praxisanspruch aus und sticht unter den so ge-nannten linken Zwischengruppen in Exil und Wider-stand in der Tat besonders hervor. Die illegalen Grup-pen in Südbayern und Österreich, zu denen Knoerin-gen nach dem Scheitern des sozialdemokratischenMassenwiderstandes 1934/35 Verbindung hielt, sinddurchweg als „Neu Beginnen“-Gruppen zu verste-hen. Es waren dies zunächst vor allem die Gruppe umBebo Wager und Eugen Nerdinger in Augsburg so-wie drei Gruppen in München.

Die erste dieser Gruppen war der bereits genannteZirkel um den ehemaligen Reichsbanner-Führer KarlDörschuck im Münchner Osten, den die Polizei nichtaufdecken konnte. Kristallisationspunkt der zweitenGruppe war Gottlieb Branz. Branz war vor 1933 Sektionsführer der SPD-Sektion München-Obergie-sing 1 und Bibliothekar des Gewerkschaftshauses inder Pestalozzistraße, nach seiner mehrmonatigenHaft im Konzentrationslager Dachau arbeitete er alsVertreter. Er verfügte über gute und zahlreiche Kon-takte zu ehemaligen Parteimitgliedern, zu Genossenaus dem gewerkschaftlichen Umfeld der Partei unddem Arbeitervereinswesen, aber auch zu Vertreternbürgerlicher und monarchistischer Oppositionsgrup-pen. Im Som mer/Herbst 1934 nahm Branz brieflicheVerbindung mit Knoeringen auf, besuchte ihn abFrühjahr 1935 mehrmals in Neuern bzw. Budweis

Waldemar von Knoeringen und die „Revolutionären Sozialisten“ 83

Waldemar von Knoe-ringen (1906–1971),Verwaltungsangestell-ter aus Rosenheim;1926 SPD, Leiter Ar-beiterbildungskartell inRosenheim, später lei-tender SAJ-Funktionärin München, Reichs-banner-Mitglied, expo-nierte sich als bekann-ter Parteiredner frühzeitig gegen den National -sozialismus; März 1933 Flucht nach Österreich, Februar 1934 in die Tschechoslowakei, Leiter desGrenzsekretariats Südbayern, zugleich maßgeblicherAuslandsfunktionär von „Neu Beginnen“, Unter -stützung des innerdeutschen Widerstands, 1938 nachParis, 1939 nach London; 1940 Internierung, anschließend Leiter des von britischen Stellen weitgehend unabhängigen antinationalsozialistschen„Senders der Europäischen Revolution“, ab 1943 Arbeit mit Kriegsgefangenen in Nordafrika undEngland, Hauptmitarbeiter des Elite-Umschulungs-lagers Wilton Park; 1946 Rückkehr nach München,Mitglied VerfgLV, 1946–1970 MdL, 1950–1958SPD-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag,1949–1951 MdB, 1947–1963 Vorsitzender SPD-Landesverband Bayern, Gründer und langjährigerLeiter der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel;gehörte zu den Reformern der Nachkriegs-SPD, alsstellvertretender Bundesvorsitzender der SPD(1958–1962) maßgeblich an Vorbereitung undDurchsetzung des Godesberger Programms von1959 beteiligt.

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und brachte jedes Mal in kleinen Mengen illegaleSchriften nach München; engste Mit arbeiterin warseine Ehefrau Lotte. Anfang 1939 wurde Branz ver-haftet und, weil ihm die Polizei wenig nachweisenkonnte, unmittelbar nach Kriegsausbruch zu einer„nur“ siebenmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.Danach jedoch war Branz bis Kriegsende im Konzen-trationslager Buchenwald inhaftiert.

Größere Bedeutung und Ausdehnung gewann diedritte Münchner Gruppe, die sich zunächst im We-sentlichen aus ehemaligen Mitgliedern und Anhän-gern der SPD in München-Sendling rekrutierte.Kopf dieser Gruppe war der Volkswirtschaftler Her-mann Frieb, der 1934–1935 in Wien und Prag stu-diert hatte und dort zu Waldemar von Knoeringenund „Neu Beginnen“ gestoßen war. Nach seiner Rück -kehr im Herbst 1935 führte er in München eine Steu -er beratungskanzlei. Entsprechend der Praxismaximenvon „Neu Beginnen“ baute Frieb in der Folgezeit äu-ßerst behutsam in und um München ein neues Kon-takt- und Informationsnetz auf, das der Gestapo später,wie es scheint, keineswegs vollständig bekannt wurde.1936 konnte Frieb durch die Vermittlung von Walde-mar von Knoeringen die Verbindung zu Bebo Wagerin Augsburg aufnehmen. Beide waren in den folgen-den Jahren die maßgeblichen Köpfe der entstehenden„Neu Beginnen“-Organisation in Südbayern, die sichab 1938 gezielt auch nach Österreich auswei tete.

Neben den „Neu Beginnen“-Gruppen in Münchenund Augsburg bestanden in Bayern noch weitere Ver-bindungen und Einzelgruppen. Knoeringen selbstsprach später von 13 oder 14 Gruppen mit etwa 200Mitgliedern, unter anderem in Nördlingen, Rosen-

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Lotte Branz (1903–1987), Angestellte aus München; SAJ,SPD; nach 1933 mit ihrem Mann Gottlieb im Widerstand,enge Verbindung zu Waldemar von Knoeringen und „NeuBeginnen“, Kurierdienste über die tschechoslowakischeGrenze; 1945 aktiv beim Wiederaufbau der MünchnerSPD.

Hermann Frieb (1909–1943), Steuerberater aus München;1932–1933 Vorsitzender Sozialistische Studentengruppe inMünchen; 1933 illegale Arbeit, 1934 Verhaftung, als österreichischer Staatsbürger vorübergehend aus Bayernausgewiesen, Fortführung des Volkswirtschaftsstudiums inPrag, 1935 von Waldemar von Knoeringen für „Neu Beginnen“ geworben, anschließend Rückkehr nach München, neben Bebo Wager führender Kopf der „Revolutionären Sozialisten“ in Südbayern und Österreich;bis Kriegsausbruch enge Verbindung zu Knoeringen, 1942 Verhaftung, 1943 wegen „Vorbereitung zum Hoch-verrat“ zum Tod verurteilt und hingerichtet.

Bebo Wager (1905–1943), Elektrotechniker aus Augsburg;SAJ, SPD; ab 1933 illegale Arbeit, stand ab 1935 in engerVerbindung zu Waldemar von Knoeringen, neben HermannFrieb führender Kopf der „Revolutionären Sozialisten“ inSüdbayern und Österreich; 1942 Verhaftung, 1943 wegen„Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tod verurteilt und hin-gerichtet.

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heim, im Bayerischen Wald, in Landshut und Re-gensburg. Laut Knoeringen überwog dabei der Anteilder Arbeiter, es gab aber auch reine Intellektuellen-gruppen. Wie intensiv die Querverbindungen dieserGruppen untereinander und vor allem zu den Haupt-stützpunkten in Augsburg und München sowie späterin Salzburg, Wörgl, Linz und Wien tatsächlich gewe-sen sind, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Auchder Gestapo wurden, als sie 1942 die nach dem „An-schluss“ Österreichs von Neu-Ulm bis Wien reichen-de Organisation aufdecken und zerschlagen konnte,nicht alle Quer- und Einzelverbindungen bekannt.Betrachtet man die Zerschlagung kommunistischerWiderstandsgruppen bis in die letzten Gliederungenin den ersten Jahren des NS-Regimes, so ist dies in derTat bemerkenswert und spricht für ein Höchstmaß ankonspirativer Umsicht und zugleich für eine entspre-chende Verankerung in einem allerdings zunehmendformlosen sozialdemokratischen Milieu.

Knoeringen und die „Neu Beginnen“-Kader in Süd-bayern und Österreich, die sich selbst den Namen„Revolutionäre Sozialisten“ gegeben hatten, legtenweiterhin besonderes Gewicht auf möglichst umfas-sende und vielseitige Information. Daher versuchtensie, das Nachrichtenmonopol des Regimes, das sie alsdie stärkste Waffe gegenüber der illegalen Bewegungbetrachteten, durch „qualifizierte Berichterstattung“zu unterlaufen. Die einzelnen „Stützpunktleiter“ be-dienten sich dabei neuer fotografischer und chemi-scher Techniken, die in der Auslandsorganisation von„Neu Beginnen“ entwickelt worden waren. Auch mitfunktechnischen Möglichkeiten zur Nachrichten-übermittlung an die „Neu-Beginnen“-Zentrale inPrag wurde experimentiert.

Mit Ausbruch des Krieges änderten sich allerdingssehr bald die alten Maximen. Wurde bisher in realis-tischer Einschätzung der Stabilität nationalsozialisti-scher Herrschaft die von „Neu Beginnen“ propagier-te Taktik des „Abwartens“ strikt befolgt, so schien derKriegsausbruch endlich den Untergang des Regimeseinzuläuten. Diese Hoffnung wurde aber durch diedeutschen Blitzkriegserfolge der ersten beidenKriegsjahre immer wieder enttäuscht – umso mehrmussten das Stocken des deutschen Vormarsches vorMoskau und die ersten ernsthaften militärischenSchwierigkeiten der deutschen Armeeführung imWinter 1941/42 den „Neu Beginnern“ in Südbayernund Österreich als der Anfang vom Ende der NS-Herrschaft erscheinen.

Ab 1941 nahmen die Zusammenkünfte von HermannFrieb und Bebo Wager mit den verschiedenen „Stütz-punktleitern“ deutlich zu, es wurden Waffen über-mittelt und Schießübungen veranstaltet. Vor allemaber sollte die personelle Basis erweitert werden, umfür den in Kürze erwarteten Moment des Zusammen-bruchs über entsprechend zahlreiche revolutionäreKader zu verfügen. Somit fand eine Rückkehr zu dertraditionellen Form und Konzeption illegaler Arbeitstatt, die in den Jahren nach 1933 als „unangemessenfür die Verhältnisse unter der faschistischen Diktatur“bekämpft worden war. Ironie des Schicksals: Unterden in Augsburg neu geworbenen Mitgliedern befandsich prompt ein Polizeispitzel.

Die Gestapo arbeitete in gewohnter Weise und warte -te ab, bis sie glaubte, den beteiligten Personenkreisgenau überblicken zu können, zumal es ihr auch inSalzburg gelungen war, Spitzel in die Gruppen

Enttäuschte Hoffnungendurch anfängliche NS-Kriegserfolge

Rückkehr zurtraditionellen Konzeptionillegaler Arbeit

Die Gestapo schlägt zu

Waldemar von Knoeringen und die „Revolutionären Sozialisten“ 85

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einzuschleusen. Ab Mitte April 1942 deckte sie diein München und Augsburg bestehenden Gruppenauf und verhaftete neben Hermann Frieb auch dessenMutter Paula sowie Bebo Wager und weitere Betei-ligte. Nach den ersten Vernehmungen konnte dieGestapo auch den ursprünglichen Organisationszu-sammenhang der Jahre 1933 bis 1935 überblickenund einen großen Teil der damals Beteiligten inHaft nehmen.

Hermann Frieb und seine Mutter Paula, Bebo Wagerund die Mehrzahl der Mitglieder der „RevolutionärenSozialisten“ aus Österreich wurden vom Oberreichs-anwalt beim Volksgerichtshof angeklagt, für die übri-gen Beschuldigten, soweit sie aus dem südbayeri-schen Raum stammten, war das OberlandesgerichtMünchen zuständig. Im Mai 1943 wurden HermannFrieb und Bebo Wager zum Tode verurteilt und imAugust des Jahres hingerichtet, Paula Frieb erhieltzwölf Jahre Zuchthaus. Mit gleicher Härte ging dieJustiz gegen die österreichischen Mitglieder der„Revolutionären Sozialisten“ vor: Acht Beschuldigtewurden zum Tod verurteilt und hingerichtet, die an-deren Beteiligten zu langjährigen Haftstrafen verur-teilt. Milder fielen nur die Urteile gegen die Ange-klagten vor dem Oberlandesgericht München aus.

Durch ihre Persönlichkeit und ihre moralischeKompromisslosigkeit stellten Hermann Frieb undBebo Wager außergewöhnliche Erscheinungen in dersozialdemokratisch geprägten Widerstandsbewegungdar. Zwar konnten auch sie die Rahmenbedingungennicht außer Kraft setzen, die für den aktiven Wider-stand der Arbeiterbewegung nach der Stabilisierung

des NS-Regimes gegeben waren, aber ihre organi-satorische Leistung ist dennoch erstaunlich. Dass esihnen seit 1935, in Augsburg zum Teil sogar von 1933an, gelang, einen illegalen Gruppenzusammenhangaufzubauen und ihn gegenüber einem übermächtigenund allumfassenden Überwachungsapparat überJahre hinweg bis 1942 ohne wirklich substantielleVerluste an Verbindungen und Mitarbeitern auf-rechtzuerhalten, ist sicher einzigartig; kaum eine an-dere Widerstandsgruppe mit Anspruch auf aktivespolitisches Handeln hat während des Dritten Reichesauch nur annähernd so lange existiert.

Doch dieser konspirative Erfolg, der mit der Not-wendigkeit verbunden war, jahrelang unter illegalenBedingungen überleben und eigenes politischesSein und Bewusstsein nach außen sorgsam abschir-men zu müssen, hatte seinen Preis. Infolge des NS-Nachrichtenmonopols – das besonders seit Kriegs-beginn mit dem Wegfall der bislang bestehendenVerbindungen zu Knoeringen nahezu total war undauch durch das Abhören von Feindsendern kaumdurchbrochen werden konnte –, vor allem aber auf-grund ihrer politischen Herkunft und ihrem felsen-festen Glauben an den Sieg der sozialistischen Re-volution glitten die „Revolutionären Sozialisten“mehr und mehr in ein selbst errichtetes Bewusstseins -ghetto ab. Innerhalb dessen war im Bestreben nachder Bewahrung persönlich-politischer Identität dieSelbstverständigung möglich, doch die Eckwerte die-ses Ghettos wichen immer stärker vom realen Gangder historischen Entwicklung ab.

Zehn Todesurteile durch den

Volksgerichtshof

Hermann Frieb und Bebo Wager:

Männer mit Format

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Hat die Arbeiterbewegung das„Tausendjährige Reich“ überlebt?

Die bislang beschriebenen Gruppen bilden nach tra-ditionellem Verständnis den zentralen Strang des so-zialdemokratischen Widerstandes gegen das national-sozialistische Terrorregime. Tatsächlich aber stellensie nur die Spitze eines Eisbergs dar. Denn im Umfeldder ehemaligen Parteiorganisation, unterhalb derEbene politischer Aktionen, gab es viele kleine Grup-pen, Zirkel und Gesinnungsgemeinschaften, die be-züglich Anspruch und Voraussetzungen unterschied-lich und hinsichtlich Umfang, Bestandsdauer und In-tensität des Zusammenhalts verschiedenartig waren.Sie entstanden 1933 als Reaktion auf das Vorgehendes NS-Regimes gegen die Organisationen, Vereineund Verbände der Arbeiterschaft. Viele dieser Zirkelund Gesinnungsgemeinschaften wurden nicht poli-zeibekannt und somit auch nicht aktenkundig.

In diesem Zusammenhang sind zunächst die unzähli-gen Versuche zu sehen, der Auflösung und drohendenGleichschaltung von Arbeitervereinen durch das Ab-tauchen in gleichartige bürgerliche Vereine oderdurch Neugründungen mit ganz unpolitischer Be-zeichnung zu entgehen. So trat die Freie Turnerschaftin Schwabing im Frühjahr 1933 nahezu geschlossen inden bürgerlichen Fußballklub DSC München ein, imWestend schlossen sich die Arbeiterfußballer demBSC Sendling an, die übrigen Arbeitersportler demTurn- und Sportverein München 1880. Im MünchnerOsten fanden sich viele Angehörige der Arbeiterge-sangvereine im „Zitherklub Almröserl“ wieder.

Manche dieser Gruppen und Zirkel gingen früheroder später zu tatsächlicher illegaler Arbeit über – vor allem solche aus SAJ oder Reichsbanner, die mit be-

wusst politischem Vorsatz einen organisierten Zu-sammenhalt aufrechtzuerhalten suchten, sich des-wegen regelmäßig zu Diskussionen trafen und zumTeil bis in die zweite Hälfte der 30er Jahre hinein Be-stand hatten.

Das Bedürfnis, die Kommunikation mit Gleichge-sinnten beizubehalten – oder im Idealfall die Mög-lichkeit zu konspirativen Absprachen –, veranlassteauch viele aus Gefängnis und Konzentrationslagerentlassene und/oder von Berufsverbot betroffene So-zialdemokraten in den 30er Jahren, Wandergewerbe-scheine und Hausiererzulassungsgenehmigungen zubeantragen oder als Handlungsreisende und Vertreterzu arbeiten – als Beispiel hierfür sei der ehemaligeLandtags- und Reichstagsabgeordnete Fritz Sold-mann genannt.

Formen des Überlebens sozialdemokratischer Grup -pen und des Weiterwirkens sozialdemokratischerVereinsfunktionäre und Verbandsvertreter finden sichauch in jenen Randbereichen der Arbeiterbewegung,die einst infolge sozialdemokratischer Initiative ent-standen waren, sich selbst jedoch vielfach nur nochbeschränkt als „sozialdemokratisch“ in einem par-teipolitischen Sinn begriffen. Dies gilt etwa für dasKonsumvereinswesen und die vielfältigen Selbsthilfe -vereine, Genossenschaften und Unterstützungskassen.Deren Zweck und Selbstverständnis als Einrichtungenzur Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter-bevölkerung hatten sich weitgehend professionalisiertund von den allgemeinen ideologisch-politischen Ziel -setzungen der SPD gelöst. Je stärker die Verbands-und Vereinszwecke solcher Arbeiterorganisationen

Hat die Arbeiterbewegung das „Tausendjährige Reich“ überlebt? 87

Fritz Soldmann (1878–1945), Schuhmacher ausSchweinfurt; Gewerk -schaft, SPD, 1917 USPD,1918 stell ver tre tenderVorsitzender der Ar bei -ter-, Bauern- und Solda -ten räte Bayerns, April1919 in München Volks -beauftragter für Inneres,MdL; 1922 SPD, bis1933 Stadtrat inSchweinfurt, 1920–1924und 1928–1932 MdR;1933–1934 Kon zen tra -tions lager Dachau,anschließend als Tabak -warenvertreter illegaleArbeit, 1936–1937 inHaft, 1939–1940 Kon -zen trationslagerSachsen hausen, August1944 Konzen trations -lager Buchenwald, Todzwei Wochen nachBefreiung des Lagers.

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„unpolitisch“ geworden waren, umso leichter konn-ten ihre Mitglieder und Funktionäre in gleichge-schalteten und von den Nationalsozialisten verein-nahmten Parallel- und Nachfolgeorganisationen ver-bleiben oder sich dort neu aufnehmen lassen. Häufigwurde dies wohl auch gefördert, weil ehemalige Ar-beitervereinsfunktionäre mit ihren Erfahrungen imKassieren, bei der Gestaltung und der organisatori-schen Abwicklung des Vereinswesens als willkomme-ne Verstärkung des zum Zeitpunkt der NS-Macht-übernahme knappen nationalsozialistischen Fach-personals betrachtet wurden – sofern sie sich nur,zumindest nach außen hin, „gleichschalten“ ließenund „nationale Gesinnung“ zur Schau trugen. Indiesem Zusammenhang ist auch die bedeutende,meist informelle Rolle zu sehen, die viele ehemaligefreigewerkschaftliche Betriebsräte trotz der gewähl-ten NS-Vertrauensräte innerhalb der Betriebeweiterhin einnahmen und die von den Betriebslei-tungen weithin toleriert werden musste.

Schließlich sind auch jene Gruppen anzuführen, diees in Form von Tischgesellschaften und Stammti-schen, mehr oder minder losen und zufälligen Dis-kussionszirkeln, Abhörgemeinschaften, Cliquenund Freundeskreisen in „Arbeiterstädten“ und In-dustrieregionen offensichtlich in Hülle und Füllegab und die sicherlich nur zum kleinsten Teil akten-kundig geworden oder als Erinnerung überliefertsind. Hierher gehören vor allem die von „ehemali-gen“ Sozialdemokraten betriebenen Läden undWirtschaften, deren alte sozialdemokratische Kund-schaft sich dort weiterhin ein Stelldichein gab. Diesekonnte sich hier wenigstens noch eine Zeit lang ohneFurcht vor Denunziation kritisch über das Regime

und Einzelne seiner Repräsentanten äußern oder überdie Zeitläufte im Allgemeinen räsonieren und sich,falls „unsichere Kunden“ anwesend waren, mit einemAugenzwinkern darüber verständigen, dass es bessersei, über das Wetter anstatt über Politik zu reden. Sobetrieb etwa der ehemalige Nürnberger Landtags-abgeordnete Franz Xaver Büchs in der zweiten Hälf-te der 30er Jahre in Nürnberg ein Zigarrengeschäft,das sich zu einem kleinen Zentrum oppositionellerGesinnung entwickelte; zu seinem Kreis gehörte auchdie bekannte Nürnberger Landtagsabgeordnete LinaAmmon. Ebenso zu nennen ist hier der frühereLandtagsabgeordnete Arthur Tübel, der in Naila eine„oppositionelle“ Gaststätte betrieb und dies mitmehr facher Haft zu büßen hatte.

Ähnliche Formen eines lockeren Zusammenhaltsdürfte es in den meisten Städten und Gemeinden ge -geben haben, in denen während der Weimarer ZeitSPD-Ortsvereine und lokale Gruppen von Arbei-tervereinen bestanden hatten. Die Polizei registriertediese Organisationsstrukturen zwar aufmerksam, sahaber nur selten die Möglichkeit zum Einschreiten.

Diese Form sozialdemokratischer Milieubewahrungschwächte sich freilich schon ab, als aufgrund derVollbeschäftigung und der zunehmenden Leistungs-und Arbeitszeitanforderungen für die vorher auchdurch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit gefördertenMännerzusammenkünfte im heimischen Stadtviertelweniger Raum blieb. Noch stärkere Beeinträchti-gungen brachten freilich die Auswirkungen desKrieges ab 1939 – Einberufung der wehrfähigenMänner und Arbeitskräfte- und Bevölkerungsver-schiebungen – mit sich. Vielfach reduzierte sich nun

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Franz Xaver Büchs(1889–1940), Maschi-nenschlosser aus Nürn-berg; 1919 KPD, 1926SPD, 1924–1932 MdLBayern; 1933 mehrfachverhaftet, ab 1934 Tabakwarenhändler inNürn berg, 1940 erneuteVerhaftung, angeblichSelbstmord in der Gesta-pozelle.

Lina Ammon (1889–1969), Bleistiftarbeiterinaus Nürnberg; SPD,1920–1933 MdL Bayern;nach 1933 mehrfach ver-haftet; 1946 Mitglied derVerfgLV.

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die oppositionelle Haltung nach wie vor bestehenderZirkel und Gesinnungsgemeinschaften auf den Mei -nungs- und Erinnerungsaustausch an Rentner- undInvalidenstammtischen. Unter den „uk“ („unab -kömm lich“) gestellten Facharbeitern sozial demo -kra tischer Herkunft in zahlreichen großen Rüs-tungsbetrieben scheint allerdings ein loser und ohnekonspirative Absprachen bestehender Zusammen-halt auch während des Krieges durchaus weiter be-standen zu haben. In seinen unveröffentlichten Er-innerungen berichtet Martin Albert anschaulich vonentsprechenden Strukturen in der NürnbergerSchraubenfabrik und Elektrowerke (NSF).

Im Gegensatz zu den aktiv handelnden und nach au-ßen wirksamen illegalen Gruppen, die meist schonnach kurzer Zeit dem Zugriff der Polizei zum Opferfielen, sollten sich langfristig genau solche Vereine,Stammtische und Gesinnungsgemeinschaften alsdie eigentlich tragenden Elemente des oppositio-nellen sozialdemokratischen Milieus und als Rück-zugsräume für die geschlagene Arbeiterbewegungwährend des Dritten Reiches erweisen.

Die Substanz des Widerstandsverhaltens dieser Zirkelmit sozialdemokratischem Hintergrund bestand indem vielfach mehr instinktiven als bewussten Bestre-ben, im weiteren Kontakt mit ehemaligen Gesin-nungsgenossen an den erlernten politisch-morali-schen Normen festzuhalten: Gewissermaßen passivsollte der gewohnte, zum Teil über Generationenhinweg eingeübte Zusammenhalt trotz Zerstörungseiner organisatorischen Strukturen nach Möglich-keit bewahrt werden. Die vielfältigen Kommunika-tionsformen, die sich dabei innerhalb wie außerhalb

der Betriebe bildeten, waren sehr oft ein wirksamerErsatz für die verlorene Organisationsmöglichkeitund geradezu unentbehrlich für die Aufrechterhal-tung eines oppositionellen Bewusstseins. Hier lagendie Wurzeln für die Immunität und Nichtverführbar-keit vieler Sozialdemokraten durch das NS-Regime.Die Betrachtung der aus den historischen Quellenrekonstruierbaren Versuche bayerischer Sozialde-mokraten, das Dritte Reich „bewusstseinsmäßig zuüberdauern“, zeigt eine bemerkenswerte Tragfähig-keit dieser Überlebensstrategien.

Die eigentlichen Siegelbewahrer sozialdemokrati-scher Tradition und Bewusstheit waren also die milieu -spezifischen Zusammenhänge und nicht die vor allemin der Frühzeit des Dritten Reiches aktiven Wider-standsgruppen. Diese Aussage soll jedoch keines-wegs die Opferbereitschaft, den Mut und die mora-lische Haltung der aktiven Illegalen schmälern, son-dern lediglich deutlich machen, dass auch derenLeistung nur auf dem Fundament von formellemund informellem Zusammenhang von sozialdemo-kratischer Partei und Bewegung aufbauen konnte.

Hat die Arbeiterbewegung das „Tausendjährige Reich“ überlebt? 89

Martin Albert (1909–1991); Schlosser ausNürnberg; SAJ; 1933 imWiderstand, Anklagewegen „Vor bereitung zumHoch verrat“, Gefängnis -haft, KonzentrationslagerDachau; 1945 SPD-Orts -vorsitzender in Nürnberg,1946–1958 MdL, zeit -weise Landes- und Frak -tionssekretär, Vors. derArbeitsgemeinschaft ver -folgter SozialdemokratenNürnberg.

Arthur Tübel (1880–1957); 1904 SPD, 1917 USPD, 1922SPD, Stadtrat in Naila, 1919 –1924 und 1931–1932 MdLBayern; 1933–1934 Konzentrationslager Dachau, 1939wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ sechs Monate Ge-fängnis, August 1944 erneut Konzentrationslager Dachau;1945 kommissarischer Landrat, 1949–1950 MdL, 1949–1957 Zweiter Bürgermeister in Naila.

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Rückkehr und Wiederaufbau

Von Mitte 1933 an war die Sozialdemokratie imDeutschen Reich für zwölf Jahre gewaltsam unter-drückt. Ganz wesentliche Kapitel sozialdemokrati-scher Geschichte wurden daher in der Emigration ge-schrieben, in den (westlichen) Asylländern sowie inder Schweiz. Viele bayerische Sozialdemokraten, diedem Bayerischen Landtag vor 1933 angehört hattenund/oder ihm (auch) nach 1945 angehörten, musstendie Emigration wählen, um das „TausendjährigeReich“ zu überleben. Sie lebten im Exil „mit demGesicht nach Deutschland“ und befassten sich vorallem während des Zweiten Weltkrieges intensiv mitPlanungen für eine demokratische deutsche Nach-kriegsordnung. Nach Kriegsende kehrten sie meistbei der ersten sich bietenden Gelegenheit in die zer-störte Heimat zurück, um beim Wiederaufbau undder demokratischen Neugestaltung Deutschlands ih-re Erfahrungen aus den demokratisch verfassten Asyl-ländern einzubringen. Auf den zweimaligen Bayeri-schen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner wurdebereits verwiesen: Der „Vater der Bayerischen Verfas-sung“ kehrte als überzeugter Föderalist nach Bayernzurück und geriet deswegen mit seinen bis in die An-fangsjahre der Bundesrepublik Deutschland nochganz überwiegend „reichisch“ gesinnten Genossenzeitweise in erhebliche Konflikte.

Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammen-hang auch auf Waldemar von Knoeringen, denlangjährigen bayerischen SPD-Landesvorsitzendenund Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag.Knoeringen verbrachte die Kriegsjahre in Londonund beteiligte sich ab 1941 intensiv an den Diskus-sionen der „Londoner Union der deutschen sozialis-tischen Organisationen in Großbritannien“, dem Zu-

sammenschluss der Sopade mit den linken Zwischen -gruppen im britischen Exil. Diese Union schuf we-sentliche Voraussetzungen für die Bildung einer so-zialdemokratischen Einheitspartei unter Ausschlussder Kommunisten und für eine programmatischeNeuorientierung der deutschen Nachkriegssozial-demokratie auf ihrem Weg von der Klassen- zurVolkspartei. Daher ist es kein Zufall, dass Waldemarvon Knoeringen in den 50er Jahren zu einem maß-geblichen Exponenten jenes Prozesses wurde, der1957–1959 zur Erneuerung der deutschen Sozialde-mokratie im Programm von Bad Godesberg führte.

Neubeginn 1946 – Bayerische SPD-Abgeordnete der ersten Stunde

Der Bayerischen Verfassunggebenden Landesver-sammlung 1946 und/oder dem im gleichen Jahr ge-wählten ersten Bayerischen Landtag nach dem Krieggehörten 68 sozialdemokratische Abgeordnete an.20 dieser Abgeordneten hatten sich vor allem in deners ten Jahren des NS-Regimes aktiv am Widerstandbeteiligt, einige von ihnen, wie Waldemar von Knoe-ringen, Heiner Stöhr, Fritz Gräßler und Josef Lau-mer, sogar an maßgeblicher Stelle. In „Schutzhaft“genommen wurden 47, 23 kamen in Konzentrations-lager, 8 wurden vom Oberlandesgericht Münchenoder dem Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zumHochverrat“ zu teils langjährigen Haftstrafen verur-teilt. Fünf sozialdemokratische Abgeordnete des Bay-erischen Landtages von 1946, nämlich Valentin Baur,Heinz Beck, Arno Behrisch, Wilhelm Hoegner und

Zwölf JahreUnterdrückung sind

endlich vorbei

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Waldemar von Knoeringen, hatten nach HitlersMachtergreifung ins Ausland fliehen müssen undnahmen von dort aus aktiv an der Unterstützung desinnerdeutschen Widerstands bzw. am Kampf gegendie deutsche Besatzung teil. Nur für 13 SPD-Abge-ordnete der ersten Stunde liegen keine Angaben überjuristische oder staatspolizeiliche Verfolgung bzw.über eine Beteiligung am Widerstand vor. Dabei istallerdings eine gewisse Dunkelziffer anzunehmen: Imrestaurativen Klima der ersten Nachkriegsjahre war esnicht jedermanns Sache, sich in diesen Fragen mögli-cherweise öffentlichen Angriffen auszusetzen („Lan-desverräter“).

In den folgenden Legislaturperioden kamen noch vie-le Abgeordnete in die sozialdemokratische Landtags-fraktion, die ebenfalls Widerstand gegen das NS-Re-gime geleistet hatten, verfolgt worden waren bzw.emigrieren mussten. Neben den oben bereits Ge-nannten seien hier noch Volkmar Gabert, MariaGünzl, Georg Hagen, Hannsheinz Bauer, ElisabethKaeser und Claus Pittroff besonders erwähnt.

Gesamtüberblick Bayerischer Landtag1928–1958

Der folgende tabellarische Überblick über die 164 so-zialdemokratischen Abgeordneten des BayerischenLandtages zwischen 1928 und 1958 (ohne die Jahre1933–1946) spricht für sich: Nicht weniger als 100 der164 Mandatare, also fast zwei Drittel, hatten sich ak-tiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus be-

teiligt, wurden verfolgt und/oder mussten emigrieren.Wie bereits erwähnt, ist bei den restlichen 64 Abge-ordneten eine gewisse Dunkelziffer zu berücksichtigen,etwa wegen fehlender Angaben in den Landtagshand-büchern und in wissenschaftlichen Untersuchungen,wegen Veränderungen hinsichtlich der baye rischenPfalz, deren Abgeordnete nach 1945 nicht mehr zuBayern gehörten, oder auch wegen bestimmter Al-terskategorien („zu alt“, „zu jung“).

Die Übersicht berücksichtigt auch keine Entlassun-gen, keine bloßen Berufsverbote nach dem Gesetz zurWiederherstellung des Berufsbeamtentums von April1933 und keine sonstigen, sich lebensgeschichtlichnegativ auswirkenden Maßnahmen des NS-Regimes.Eine Leerstelle in Spalte 3 („Widerstand, Verfolgung,Emigration“) besagt also nur, dass entsprechende In-formationen seitens der Abgeordneten nicht gemachtwurden oder nicht vorliegen bzw. unter dem AspektLebensalter gar nicht vorliegen können. Bei elf Abge-ordneten, in deren Biografie trotz fehlender Angabenein entsprechender Tatbestand zu vermuten ist, wur-de ein Fragezeichen gesetzt.

Die vorliegenden Zahlen belegen eine stolze Tradi-tion: Wiederaufbau und Neubeginn der bayerischenSozialdemokratie nach der Katastrophe des „Tau-sendjährigen Reichs“ fanden nicht in der unpoliti-schen Atmosphäre einer so genannten „Stunde Null“statt. Vielmehr konnte an die emanzipatorischen Er-fahrungen der politischen und sozialen Kämpfe inKaiserreich und Weimarer Republik angeknüpft wer-den – im Bewusstsein, einer totalitären Diktatur un-geachtet allen repressiven Drucks widerstanden zuhaben.

Neubeginn 1946 – Bayerische SPD-Abgeordnete der ersten Stunde 91

Elisabeth Kaeser (1882–1953)

Claus Pittroff (1896–1958)

Hannsheinz Bauer (geb. 1909)

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NATIONALSOZIALISMUS, ZWEITER WELTKRIEG, NEUBEGINN

Friedrich Ackermann x ?Franz Aenderl x xMartin Albert x xLina Ammon x x xRosa Aschenbrenner x x xErhard Auer x xHannsheinz Bauer x xAnton Baur xValentin Baur x xAlfons Bayerer x xHeinz Beck x xArno Behrisch x xFranz Beier x xGeorg Bezold ? xEwald Bitom x xDionys Bittinger xMax Blumtritt xFranz Bögler x xFranz Xaver Büchs x xHans Demeter x xJosef Dennstädt x xGeorg Dewald x ?Hans Dietl x xHans Dill x xEwald Drechsel xMax Drechsel x xFerdinand Drechsler xLudwig Dreifuß x xKonrad Eberhard x ?Christian Endemann x x xFritz Endres x xErwin Essl x xAnton Falb xFranz Fendt xLorenz Fichtner x xOtto Fink xKarl Fischer x xWilly Fischer x xFranz Förster xHeinrich Franke xAlfred Frenzel xAnton Fribl x

Hans Friedrich xVolkmar Gabert x xJosef Gareis xHans Gasteiger x ?Hans Gentner x x xKarl Giermann x ?Hermann Götz xFritz Gräßler x xGeorg Grosch x xMaria Günzl x xErnst Gumerum xFranz Haas x xFranz Hader x xGeorg Hagen x x xLorenz Hagen x xHerbert Hauffe xMatthäus Herrmann x xArnold Hille ? xRosa Hillebrand x xMartin Hirsch xClemens Högg x xHans Högn x xWilhelm Hoegner x x xJulius Hofer x xLeopold Hofmann x xFranz Josef Huber x xElisabeth Kaeser x x xGeorg Kerner x xJosef Kiene x xFranz Klingler xWaldemar Kluge xWaldemar von Knoeringen x xKarl Köglsperger xErnst Körner x xHans Kramer x xJosef Kriegisch xGertrud Krüger xHans Kunath x xErhard Kupfer x xWalter Langebeck xGerda Laufer xJosef Laumer x x x

SPD-Landtags-abgeordnete

LT1928–33

WiderstandVerfolgungEmigration

Verfg. LV,LT

1946–58

SPD-Landtags-abgeordnete

LT1928–33

WiderstandVerfolgungEmigration

Verfg. LV,LT

1946–58

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Gesamtüberblick Bayerischer Landtag 1928–1958 93

Jakob Leonhardt x xRobert Lindig x xMartin Loos x xGeorg Martin Lowig xAdolf Ludwig x xJohann Maag xRudolf Machnig xKarl Mader xFranz Marx x xLudwig Meyer x xChristian Müller x xBernhard Muhr x xEva Narr xRichard Oechsle x xGeorg Oeckler xFranz Op den Orth x xHermann Ospald xMax Peschel x xAndreas Piehler xRichard Piper x xClaus Pittroff x xEmil Pörschmann x xMichael Poeschke x xAnton Prandl x xOtto Priller x xKurt Renk xLorenz Riedmiller x xWenzel Rippel xFranz Röll x xLudwig Roiger x xChristian Roith x x xAlbert Roßhaupter x x xHeinrich Rottenberger xLudwig von Rudolph x xBernhard Sang xHans Sauer xAndreas Scherber x xGustav Schiefer x xFriedl Schlichtinger xRudolf Schlichtinger xPeter Schöllhorn xGeorg Schöpf x x

Georg Schütte ? xChristian Paul Schwartz xJosef Sebald x xHans Seidel x ?Franz Peter Seifert xJosef Seifried x x xWalter Seitz x xFranz Sichler x xGeorg Sittig x xOskar Soldmann xEduard Staudt x xJulius Steeger xJean Stock x xHeinrich Stöhr x xJosef Strobl x x xMax Strohmayer xWilly Thieme xJohannes Timm x xGeorg Tragesser xJosef Tröger x xArthur Tübel x x xJosef Ungermann xSimon Vogl ? xErnst Vogtherr ? xLudwig Walch xAugust Wallner xMax Walther xJosef Weber xKarl Weishäupl xFranz Wilhelm x xThomas Wimmer x xAnton Wittmann xFranz Wolf x xGünter Wolff xFranz Zdralek x xSiegfried Ziegler xFriedrich Zietsch xWilhelm Zimmerer x x xPeter Zink x x

SPD-Landtags-abgeordnete

LT1928–33

WiderstandVerfolgungEmigration

Verfg. LV,LT

1946–58

SPD-Landtags-abgeordnete

LT1928–33

WiderstandVerfolgungEmigration

Verfg. LV,LT

1946–58

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Neuanfang unter amerikanischer Flagge

Wiederbelebung sozialdemokratischer Ortsvereine

Wilhelm Hoegners erste Regierungszeit

Die Wiedergründung des bayerischenLandesverbandes der SPD

Der Bayerische Beratende Landesausschuss

Der Weg zur Bayerischen Verfassung

Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU

Bayerns SPD erstmals in der Opposition (1947–1950)

Streitfall Grundgesetz – Wahlen zum erstenDeutschen Bundestag

Zweiter Bayerischer Landtag 1950: erneute Koalitionmit der CSU

Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende

Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in derOpposition

Die bayerische SPD und das Godesberger Programm

Fünfter Bayerischer Landtag 1962:Generationswechsel in der SPD Verwaltung

WirtschaftWiederaufbau

Der Wiederaufbau von Wirtschaft und VerwaltungIV

Page 96: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

95

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Neuanfang unter amerikanischerFlagge

Die Einnahme Bayerns durch US-amerikanischeTruppen vollzog sich innerhalb weniger Wochen; siebegann am 25. März 1945 nördlich von Aschaffen-burg und endete am 4. Mai mit der Übergabe vonBerchtesgaden. Mit der bedingungslosen Kapitula-tion des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 war diezwölfjährige nationalsozialistische Diktatur zu Ende.

Die US-Militärbehörden begannen sofort mit demAufbau einer entnazifizierten Verwaltung und Wirt-schaft. Von Anfang an wirkten dabei auch bayerischeSozialdemokraten entscheidend mit, sei es in öffent-lichen Ämtern, in betrieblichen oder in partei- undverbandspolitischen Positionen.

Insbesondere bei der Ver gabe der höchsten Äm tergriffen die amerikanischen Befreier auf politisch un-belastete Personen mit Regierungs- und Verwal-tungspraxis aus der Zeit vor 1933 zurück. So wurdeam 28. Mai 1945 Fritz Schäffer, der von 1931 bis 1933geschäftsführender Leiter des bayerischen Finanzmi-nisteriums und Vorsitzender der Bayerischen Volks-partei (BVP) gewesen war, zum „Temporary Minister-Präsident for Bavaria“ ernannt. Damit besaß Bayernals erstes deutsches Land wieder einen Regierungs-chef. Schäffer war zwar nicht parlamentarisch legiti-miert und an die Weisungen der Militärregierung ge-bunden, er hatte jedoch das Vorschlagsrecht bei derBerufung der Kabinettsmitglieder.

Bei der Regierungsbildung bevorzugte Schäffer seinealten Parteifreunde, führte aber auch Gespräche mitKommunisten und – bereits am 19. Mai 1945 – mitdem führenden Gewerkschaftsfunktionär Gustav

Schiefer und mit Thomas Wimmer, dem späterenOberbürgermeister von München. Die beiden Sozial-demokraten sandten Schäffer am 22. Mai 1945 eineListe mit Personalvorschlägen „ministrabler“ SPD-Kandidaten, auf der unter anderem die früherenLandtagsabgeordneten Albert Roßhaupter, WilhelmHoegner und Georg Hagen notiert waren. Schäffer

Das Ende dernationalsozialistischen

Diktatur

IV DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Beim Schutträumen half auch der MünchnerOberbürgermeister Thomas Wimmer (Mitte). Rechtsneben ihm Stadtrat Gottlieb Branz

Gustav Schiefer(1876–1956)

Albert Roßhaupter(Arbeitsminister 1945–1947)

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empfahl der Militärregierung jedoch lediglich die Be-rufung des allseits angesehenen 67-jährigen AlbertRoßhaupter, der als ehemaliger Minister für militäri-sche Angelegenheiten im Kabinett Eisner 1918/19 alsEinziger der Genannten über Regierungserfahrungaus der Zeit vor der Diktatur verfügte. Roßhaupterübernahm zunächst die Leitung der Abteilung „Arbeitund Fürsorge“ im Staatsministerium des Innern; mitder Verselbständigung dieser Abteilung zu einem ei-genen Ressort am 20. Juni 1945 wurde RoßhaupterArbeitsminister.

An den Ministerratssitzungen, die bereits seit dem 8. Juni 1945 wieder regelmäßig stattfanden, nahmenspäter noch zwei weitere Sozialdemokraten teil: Wil-helm Hoegner, der am 6. Juni aus seinem SchweizerExil nach Bayern zurückgekehrt war und von Schäffermit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betrautwurde, sowie der Münchner Stadtrat Karl SebastianPreis als Wohnungs- und Siedlungsreferent.

Schäffers Regierungszeit dauerte aber nur 123 Tage:Auf Befehl von General Dwight D. Eisenhower, demMilitärgouverneur der US-Zone, wurde Schäffer am28. September 1945 entlassen. Ausschlaggebend hier-für waren zum einen die auch in der amerikanischenÖffentlichkeit vorherrschende Kritik an der bayeri-schen Entnazifizierungspraxis, zum anderen die ein-seitig katholisch-konservative Ausrichtung des vonSchäffer gebildeten Kabinetts. Noch am selben Tagwurde Wilhelm Hoegner zum neuen BayerischenMinisterpräsidenten ernannt. Er blieb dies bis zurWahl des ersten regulären bayerischen Nachkriegs-Landtags im Dezember 1946.

Wiederbelebung sozialdemokratischerOrtsvereine

Die amerikanische Militärregierung hatte am 25. Mai1945 zunächst ausdrücklich alle Parteien und Organi-sationen verboten. Ziel der Besatzungsbehörden wares, politische Parteien von unten nach oben aufzubau-en. Der Wiederaufbau der SPD in Bayern beganndenn auch in der Regel dort, wo bis 1933 Ortsvereinebestanden hatten. Meist ließen die früheren Vorsit-zenden – wie etwa Thomas Wimmer in München –ihre alten Ämter einfach wieder aufleben. Auch pro-grammatisch konnte nahtlos an die Weimarer Zeitangeknüpft werden. So formulierte der NürnbergerSozialdemokrat Josef Simon in der Präambel des ört-lichen SPD-Programms:

„Die Sozialdemokratische Partei brauchte wederihren Namen noch ihr Programm zu ändern. Siebekannte sich von jeher zur demokratischen Staats-auffassung, zur Völkerverständigung und zur inter-nationalen Zusammenarbeit.“

In vielen bayerischen Städten wurden Sozialdemokra-ten aufgrund ihrer anerkannten antifaschistischenHaltung mit öffentlichen Ämtern betraut; in Ansbach,Augsburg und Nürnberg stellten sie den Oberbürger-meister. Auch in Aschaffenburg wurde mit Jean Stockein Sozialdemokrat als Oberbürgermeister eingesetzt,später Regierungspräsident von Unterfranken undSPD-Fraktionsvorsitzender im ersten Nachkriegs-landtag.

Neuaufbau der Parteienvon unten nach oben

Wiederbelebung sozialdemokratischer Ortsvereine 97

Jean Stock (1893–1965),ab 1919 MdL, 1946Mitglied VerfgLV, 1946–1950 SPD-Fraktionsvorsitzender.

Josef Simon (1865–1949)Nürnberger Sozial -demokrat

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Wilhelm Hoegners ersteRegierungszeit

Die Ernennung von Wilhelm Hoegner zum „Minis-ter President of the State of Bavaria“ (also ohne daseinschränkende Attribut „temporary“) am 28. Sep-tember 1945 durchkreuzte die Bemühungen desCSU-Mitbegründers Josef Müller, der selbst FritzSchäffer nachfolgen wollte. Wie seitens der Militärre-gierung gewünscht, saßen im neu gebildeten KabinettHoegners, der seit dem 18. Oktober 1945 auch als Jus-tizminister fungierte, mehr Politiker des linken Par-teienspektrums als zuvor. So leitete Josef Seifried, derschon 1932 der SPD-Fraktion im Bayerischen Land-tag angehört hatte, das Innenministerium, der frühe-

re Lehrer und Schulexperte Franz Fendt führte dasKultusministerium und Albert Roßhaupter bliebweiterhin an der Spitze des Arbeitsministeriums.Trotz dieses sehr uneinheitlichen Kabinetts aus SPD-,CSU- und KPD-Mitgliedern spielten in der tägli chenRegierungsarbeit weltanschauliche Unterschiede kaumeine Rolle.

Am Beginn seiner Amtszeit definierte Hoegner in ei-ner im Rundfunk verlesenen Regierungserklärungvom 22. Oktober1945 die primäre Aufgabe seines Ka-binetts: Überwunden werden sollten der Nationalso-zialismus im öffentlichen und wirtschaftlichen Lebensowie dessen weltanschauliche Hinterlassenschaft, diezu einer „sittlichen Verwahrlosung“ geführt habe. DieBewältigung der Entnazifizierung stand für Hoegnerdaher an erster Stelle. In seine Amtszeit fiel die defini-tive gesetzliche Regelung in der US-Zone durch dasam 5. März 1946 in München feierlich in Kraft ge-setzte „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismusund Militarismus“. Weitere wichtige Schwerpunkteseiner ersten Regierungstätigkeit bildeten die Wohn-raumbeschaffung, die Unterbringung von Flüchtlin-gen, die Sicherung der Versorgungslage sowie derpersonelle und strukturelle Wiederaufbau der bayeri-schen Verwaltung.

Zudem mussten die rechtlichen Grundlagen für dieersten Kommunalwahlen in Bayern geschaffen wer-den; die Wahlen in Gemeinden mit bis zu 20.000 Ein-wohnern am 27. Januar 1946 sollten nach dem Willender Militärregierung den Anfang machen. Vorausset-zung hierfür war aber die rechtzeitige Zulassung vonParteien auch auf Landesebene.

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Erste Regierung Hoegner 1945: Der aus dem Schweizer Exil zurückgekehrte WilhelmHoegner (sitzend) und das Kabinett (von links): Hans Meinzolt (Staatssekretär), AlbertRoßhaupter (Arbeitsminister), Anton Pfeiffer (Staatssekretär), Hans Ehard (Staatssekretär), Ludwig Erhard (Wirtschaftsminister), Josef Seifried (Innenminister), Franz Fendt(Kultusminister), Fritz Terhalle (Finanzminister), Heinrich Krehle (Staatssekretär), Joseph Baumgartner (Landwirtschaftsminister), Heinrich Schmitt (Sonderminister fürEntnazifizierung) und Hans Müller (Staatssekretär)

Page 100: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

Die Wiedergründung des bayerischenLandesverbandes der SPD

Die amerikanische Genehmigungspolitik formte dieneue Parteienlandschaft in Bayern. Denn nach derZulassung von CSU und SPD (beide am 8. Januar1946), KPD (27. Januar 1946), WAV (WirtschaftlicheAufbauvereinigung, 25. März1946) und FDP (15. Mai1946) auf Landesebene verweigerte die Militärregie-rung weitere Zulassungen, um eine Parteienzersplit-terung wie in der Weimarer Republik zu verhindern.Der Bayernpartei blieb aus diesem Grund bis zum 29. März 1948 ein landesweites Auftreten verwehrt.

Der Aufbau des Landesverbandes der Sozialdemo-kratischen Partei hatte lange vor der offiziellen Li-zenzierung eingesetzt. Zur ersten vorbereitendenBesprechung zwischen süd- und nordbayerischenSozialdemokraten war es schon im Sommer 1945 inPfaffenhofen gekommen. Organisiert vom sozialde-mokratischen Landrat Ernst Vetter fand dort am 11.und 12. November 1945 im „Moosburger Hof“ dieerste inoffizielle Landestagung statt. Zwar warennoch keine gewählten Delegierten entsandt worden,aber die wichtigen Parteizentren Augsburg, Ansbach,Nürnberg und München (vertreten durch ThomasWimmer und Wilhelm Hoegner) nahmen daran teil.

Nicht nur wegen seines Ministerpräsidentenamtes fielHoegner dabei die parteipolitische Führungsrolle zu.Er hatte bereits im September 1945 ein Aktionspro-gramm zur Zulassung der SPD in München verfasst.Mit seiner an erster Stelle stehenden Forderung nacheiner „föderalistischen Gliederung des Reichs“ stelltesich Hoegner bewusst in die Tradition der „königlich-bayerischen Sozialdemokratie“ eines Georg von Voll-mar. Diese Überzeugung brachte ihn später zuneh-

mend in Gegensatz zur deutschen Sozialdemokratieunter Kurt Schumacher, der weiter den zentralisti-schen Denkmustern der Weimarer SPD folgte.Hoegner plädierte darüber hinaus (noch) für eine ge-nossenschaftlich-sozialistische Wirtschaftsweise, dieer als Gegenkonzept zu Nationalsozialismus undStaatssozialismus stalinistischer Prägung verstand.Zukunftsweisend war dagegen Hoegners deutlicheAbsage an die SPD als Klassenpartei: „Wir müssenVolkspartei werden!“

99

Auf dem Weg zur Volkspartei: Großkundgebung der SPD mit Kurt Schumacherund Wilhelm Hoegner

„Wir müssen Volksparteiwerden!“

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DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Wilhelm Hoegner (1887–1980), Vater der Bayerischen Verfassung

Zu den bedeutendsten Politikern der bayerischenSPD im 20. Jahrhundert gehört zweifellos WilhelmHoegner, der dem Landtag insgesamt 32 Jahre langangehörte (1924–1932 und 1946–1970). Seine histo-rische Leistung in der Zeit als Ministerpräsident derJahre1945/46 liegt in der entscheidenden Mitwirkungan der Wiedererrichtung eines lebensfähigen unddemo kratischen bayerischen Staates. Dessen zukunfts -weisende Ausgestaltung prägte er – auch dies einma-lig in der Ge schichte der SPD – ein zweites Mal alsMinisterpräsident der so genannten Viererkoalition(1954–1957).

Wilhelm Hoegner wurde am 23. September 1887als siebtes von dreizehn Kindern einer MünchnerEisenbahnerfamilie geboren. Er besuchte Gymnasienin Burghausen und München. Seine juristischen Stu-dien in Berlin, Erlangen und München schloss er1917 – nach der bereits 1912 erfolgten Promotion zumDoktor der Jurisprudenz – mit der Großen Juristi -schen Staatsprüfung ab. Von 1920 bis 1933 arbeiteteer als Staatsanwalt und Richter in München (zuletztals Landgerichtsrat). Aus seiner 1918 geschlossenenEhe mit Anna Woock (1892–1984) gingen zweiKinder hervor.

Hoegner, der 1919 Mitglied der SPD geworden war,machte sich bereits als Landtagsabgeordneter1924 ei-nen Namen, als er einen Untersuchungsausschussüber die Hintergründe des Hitlerputsches vom 9. No-vember 1923 beantragte, in dem er dann die Verbin-dungen von Polizei, Reichswehr und Schwerindustriezum Nationalsozialismus aufdeckte (siehe Kapitel 2).Von 1930 bis 1933 war Hoegner auch Mitglied desReichstages. Wegen seiner Gegnerschaft zum Natio-nalsozialismus wurde Hoegner aus dem Staatsdienstentlassen und musste im Juni 1933 nach Tirol fliehen,im Februar 1934 in die Schweiz (vgl. Kapitel 3). Dortarbeitete er die Grundzüge einer neuen BayerischenVerfassung aus, wobei er Anregungen aus dem föde-ralistischen Staatsrecht seines Gastlandes übernahm.

Nach seiner Rückkehr im Juni1945 wurde er zunächstmit dem Wiederaufbau der bayerischen Justizverwal-tung betraut. Am 28. September 1945 ernannte ihndie amerikanische Militärregierung zum Minister-präsidenten, gleichzeitig führte er das Justizministe-rium. In seine Amtszeit fiel das Inkrafttreten der

Gehört zu den bedeutendsten bayerischenPolitikern des 20. Jahrhunderts: Wilhelm Hoegner

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Wilhelm Hoegner (1887–1980), Vater der Bayerischen Verfassung 101

Bayerischen Verfassung, die er in verschiedenenGre mien – vor allem in der VerfassunggebendenLandesversammlung – mitgestaltet hatte. Unter seinerFederführung wurden auch die bayerischen Kom-munalgesetze ausgearbeitet. Im August 1946 wurdeHoegner zum Honorarprofessor für Bayerisches Ver -fassungsrecht an der Universität München berufen.

Eine führende Rolle spielte Hoegner auch in derbaye rischen SPD, zu deren Landesvorsitzenden er am2. Februar und erneut am 4. Mai 1946 gewählt wurde.Nach der ersten Landtagswahl behielt Hoegner (zu-nächst Stimmkreis Burg hausen-Altötting, späterMünchen XI) in der am 22. Dezember 1946 gebil-deten Koalitionsregierung das Justizministerium undwurde stellvertretender Ministerpräsident im Kabi-nett von Hans Ehard. Sein unbedingtes Festhalten ander Koalition mit der CSU führte zu seiner Abwahlaus dem Parteivorstand am 11. Mai 1947, neuer Lan -des vorsitzender wurde nun Waldemar von Knoerin-gen. Am 20. September 1947 trat Hoegner mit denanderen sozialdemokratischen Ministern aus der Re -gierung Ehard aus. Bereits einen Tag später übernahmer das Amt eines Senatspräsidenten am Oberlandes-gericht München, ein Jahr später war er Staatsratund Generalstaatsanwalt beim Baye rischen OberstenLandesgericht. Nach der Land tagswahl 1950 kehrteHoegner als stellvertretender Ministerpräsident undInnenminister in das Kabinett Ehard zurück.

Im Jahr 1954 wurde Hoegner nach der LandtagswahlChef einer aus SPD, BHE (Bund der Heimatvertrie-benen und Entrechteten), Bayernpartei und FDPgebildeten Regierungskoalition. Wegen Differenzenin den eigenen Reihen geriet er in eine schwere Krise

und trat am 8. Oktober 1957 als Bayeri-scher Ministerpräsident zurück. DemBayerischen Landtag gehörte er weiter-hin als SPD-Fraktionsvorsitzender undVorsitzender des Ausschusses für Sicher-heitsfragen an (1958–1962), in der 4. und5. Legislaturperiode amtierte er als Vize-präsident (1962–1970). Nach derBundes tagswahl 1961 übernahm er fürein Jahr auch ein Mandat im BonnerBundestag.Außer seinem fachwissenschaftlichenKommentar zur Bayerischen Verfassungim Jahr 1965 veröffentlichte Hoegnerunter dem Titel „Der schwierige Außen -seiter“ seine sehr lesenswerten Erinne-rungen eines Abgeordneten, Emigrantenund Minister präsidenten. Am 5. März1980 ist Wilhelm Hoegner in Münchengestorben.

Zur Erinnerung an Wilhelm Hoegnerverleiht die SPD-Fraktion im Bayeri-schen Landtag alljährlich einen nachihm benannten Preis, der 1987 zu seinem100. Geburtstag gestiftet wurde. Mit die -sem Wilhelm-Hoegner-Preis wird dasgesellschaftliche und politische Engage-ment von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebensgewürdigt. Zu den bisherigen Preisträgern zählenHubert Weinzierl (Ehrenvorsitzender des BundesNaturschutz), Kabarettist Dieter Hilde brandt, dieMusiker Hans, Michael und Christoph Well („Bier-mösl Blosn“) sowie die Politiker Hildegard Hamm-Brücher und Hans-Jochen Vogel.

Ministerpräsident in charmanter Begleitung:Hoegner mit der persischen Kaiserin Sorayabeim Galadiner (1955)

Alphornbläser-Ständchen zum Geburtstag:Am 23. September 1967 wurde WilhelmHoegner 80 Jahre alt. Mit ihm freut sichseine Frau Anna.

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Auf der Grundlage dieses Aktionsprogramms hattedie bayerische SPD ihre Zulassung als Landesparteierlangt. Die erste Landestagung nach der Zulassungam 8. Januar 1946 fand am 2.Februar 1946 wiederumin Pfaffenhofen statt. Zum Landesvorsitzenden wur-de unangefochten Wilhelm Hoegner gewählt. DieAufgabe des provisorischen Landesvorstandes war esvor allem, eine aus Delegierten bestehende Landes-konferenz vorzubereiten, die dann am 13. und 14.April 1946 in Erlangen stattfand. Der dort durchWahl bestimmte Landesvorstand wählte in seiner

ers ten Sitzung am 4. Mai 1946 WilhelmHoeg ner erneut zum Landesvorsitzenden.

Damit war die Wiedergründung des baye -ri schen Landesverbandes abgeschlossen,nicht aber die Neuorganisation der Orts-vereine. Hierbei halfen die vielen Sozial-demokraten unter den mehr als zweiMillionen Heimatvertriebenen, die vorallem aus dem Sudetenland und aus Schle-sien nach Bayern gekommen waren: Siegründeten, wo immer sie angesiedeltwurden, neue Ortsvereine. Durch dieseNeugründungen hat sich damals die Zahlder sozialdemokratischen Ortsvereinegegenüber der Zeit vor 1933 fast verdop-pelt. Bis Ende 1948 stieg die Zahl derSPD-Mitglieder in Bayern auf über120 000 an, ein Viertel davon waren Sude-tendeutsche. Bis 1954 sank die Mitglieder-zahl des Landesverbandes allerdings auf81000, danach stieg sie kontinuierlich anund überschritt 1962 wieder die 100 000.

Vorparlament: der BayerischeBeratende Landesausschuss

Obwohl auch Hoegners Regierung nicht parlamenta -risch legitimiert war, versuchte er doch eine De mo -kratisierung seiner Politik. Ein erster Schritt hier zuwar die Schaffung des Bayerischen Beratenden Lan-desausschusses. Allerdings wies ein am1. Februar1946in Kraft getretenes Gesetz diesem Gremium nur eineberatende Funktion vor dem Erlass wichtiger Gesetzeund vor der Festlegung des Haushaltsplanes zu. DerLandesausschuss sollte aus nicht mehr als 130 Mitglie-dern bestehen, was in etwa der Größe des letztenBaye rischen Landtages vor 1933 entsprach. Die vomMinisterpräsidenten ernannten Mitglieder (darunter31 Sozialdemokraten) setzten sich aus Vertretern derzugelassenen politischen Parteien, der Berufsstände,der Hochschulen, der Kirchen sowie der Städte, Land -kreise und ländlichen Gemeinden zusammen. ZumPräsidenten dieses „Vorparlamentes“ berief Hoegnerden letzten Bayerischen Landtagspräsidenten der Wei -marer Republik, den früheren BVP-Politiker GeorgStang; Vizepräsident wurde Georg Hagen, sozialde-mokratischer Oberbürgermeister von Kulmbach undbereits vor 1933 Mitglied des Bayeri schen Landtages.

Da das alte Parlamentsgebäude an der Prannerstraßeim Krieg völlig zerstört worden war, fanden die insge-samt drei Tagungen des Gremiums in der Aula derMünchner Universität (26.–28. Februar und 12./13.Ju ni 1946) und im Hotel „Bayerischer Hof“ (9. April)statt. Die Beratungen im Februar und im Juni standenim Zeichen der politischen Berichterstattung des Mi -nis terpräsidenten sowie der einzelnen Minister undStaats sekretäre, die zweite Tagung befasste sich aus-schließlich mit der Durchführung des Entnazifizie-rungsgesetzes.

HeimatvertriebeneSozialdemokraten

gründen vieleOrtsvereine

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Das Vorparlament tagte im Februar und Juni1946 in der Aula der Münchner Universität.

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Der Weg zur Bayerischen Verfassung

Parallel zum Bayerischen Beratenden Landesausschussbildete Hoegner auf Initiative der Militärregierungim Februar 1946 einen neunköpfigen Vorberei ten denVerfassungsausschuss. Neben drei Delegierten derCSU (darunter Justizstaatssekretär Hans Ehard) undHeinrich Schmitt von der KPD war die SPD mitInnenminister Josef Seifried, Arbeitsminister AlbertRoß haupter und dem Zweiten Münchner Bürgermei -ster Thomas Wimmer vertreten. Auf der konstituie -ren den Sitzung des Gremiums am 8. März 1946 legteHoegner einen Entwurf der „Verfassung des Volks-staates Bayern“ vor, der auf seine Arbeiten im Exil zurückging. Die nun folgenden Beratungen in15 Sit -zungen dauerten bis zum 24. Juni 1946. Der er ar bei -te te Verfassungsentwurf ging zwar auch an die Mit glie -der des Bayerischen Beratenden Landesausschusses,wurde dort jedoch nicht diskutiert. Diese Auf gabekam der Bayerischen Verfassunggebenden Landes ver -samm lung zu, die am 30. Juni 1946 gewählt wurde.

Bei diesen ersten freien landesweiten Wahlen nach14 Jahren erreichte die SPD 28,8 Prozent der Stim-men und erlangte 51 der 180 Mandate. (Zum Ver-gleich: Von den 128 Abgeordneten des BayerischenLandtages 1932/33 waren nur 20 Mitglieder der SPD-Fraktion.)13 der 51SPD-Abgeordneten hatten bereitsdem Bayerischen Landtag zwischen 1919 und 1933angehört, 15 Mitglieder waren auch im BayerischenBeratenden Landesausschuss vertreten gewesen. Mitdrei Frauen (unter ihnen Rosa Aschenbrenner) stelltedie SPD-Fraktion die Hälfte aller weiblichen Abge-ordneten in der Landesversammlung. Vorsitzenderder SPD-Fraktion wurde zunächst Albert Roß haup -ter, der die sozialdemokratische Parlamentstradition

Der Weg zur Bayerischen Verfassung 103

Entwurf für die Bayerische Verfassung mit handschriftlichen Änderungen von Wilhelm Hoegner

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in Bayern personifizierte: Noch am 29. April 1933hatte Roßhaupter als Fraktionsvorsitzender die ableh-nende Haltung der Landtagsfraktion gegen das baye-rische Ermächtigungsgesetz begründet (vgl. Kap. 3).

Die Beratungen der Verfassunggebenden Landes-versammlung fanden vom15. Juli bis zum 26. Okto ber1946 wieder in den Räumen der Münchner Uni versi -tät statt. Den Vorsitz hatte Michael Horlacher (CSU)inne; die SPD stellte mit dem Nürnberger Gewerk-schafter Matthäus Herrmann den Vizepräsidenten.Zentrales Gremium der Verfassunggebenden Lan des - versammlung war jedoch der aus 21 Mitgliedern be-stehende Verfassungsausschuss. Ihm gehörten aus derSPD-Fraktion – wie schon im Vorbereitenden Ver-fassungsausschuss – Wilhelm Hoegner als Mei nungs -füh rer und die beiden Minister Roßhaupter undSeifried sowie der Münchner Bürgermeister Wim-mer an, hinzu kamen aus Franken Wilhelm Fischerund Claus Pittroff.

Bei einigen Verfassungsfragen gab es unter den Abge-ordneten der Landesversammlung – auch innerhalbihrer jeweiligen Parteien – heftige Konflikte. So plä-dierte etwa Wilhelm Hoegner vehement für das Amteines Bayerischen Staatspräsidenten, lehnte aber – diesein weiterer Streitpunkt – die Errichtung einer Zwei-ten Kammer ebenso entschieden ab. Die SPD-Frak-tion rückte dabei immer stärker von der politischenLinie der SPD-Regierungsmitglieder ab. Dies kamauch durch einen Wechsel an der Fraktionsspitze zumAusdruck: Ab der vierten Plenumssitzung übernahmder Nürnberger Parteisekretär Franz Haas den Frak-tionsvorsitz.

Die zentrale Frage eines Bayerischen Staatspräsiden-ten gelangte im Plenum am 12. September 1946 zurAbstimmung und wurde mit 85 zu 84 Stimmen abge-lehnt. Aus der SPD-Fraktion stimmten nur die vier

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung

So konnten Bayerns Bürgerinnen und Bürger am 30. Juni1946 über die Verfassunggebende Landesversammlungabstimmen.

Georg Hagen (1887–1958), Lehrer inKulmbach, SPD-Vors.,1932–33 MdL, 1933und Aug. 1944Verhaftung, ab 1945Oberbürgermeister vonKulmbach, 1946 Mit -glied VerfgLV, bis 1958MdL, erster Vizepräsi -dent des Landtags.

Der Nürnberger Partei -sekretär Franz Haaswurde Fraktions -vorsitzender in derLandesversammlung.

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Regierungsmitglieder (also Hoegner, Roßhaupter,Sei fried und Fendt) sowie der Abgeordnete HansGentner für die Schaffung dieses Amtes.

Erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischenCSU und SPD gab es auch in der Frage des Wahl-rechts und bei der Formulierung des Schulartikels.Ob wohl die SPD in der Landesversammlung nichtdie Mehrheit hatte, konnte sie aufs Ganze gesehenzusam men mit der CSU etwa die Hälfte ihrer Vor-stellungen in die Verfassungsberatungen einbringen.Eindeutig so zialdemokratisch geprägt sind beispiels-weise der Ver fassungsabschnitt „Wirtschaft und Ar-beit“, dem – ganz zeitgemäß – ein lenkungs-, keinplanwirtschaftliches Ordnungskonzept zugrundeliegt (Art. 152), die Bestimmungen über die Sozial-pflichtigkeit des Eigentums (Art. 158) und ebensodas Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer (Art.175). Beson ders erwähnt sei auch der von Hoegnerformulierte Art. 141 über den Natur- und Denkmal-schutz, der in Absatz 3 den Genuss der Naturschön-heiten, die Erholung in der freien Natur und denfreien Zugang zu den Bergen, Flüssen und Seen fürdie Allgemeinheit sicherstellt (siehe Kapitel 5).

Bei der Schlussabstimmung am 26. Oktober 1946wurde der ausgearbeitete Verfassungsentwurf mit 136gegen 14 Stimmen angenommen. Beim anschließen-den Volksentscheid am 1. Dezember 1946, bei demerstmals in der bayerischen Geschichte das „Staats-volk“ selbst über seine Verfassung entscheiden konn-te, erhielt die Bayerische Verfassung bei einer Wahl-beteiligung von rund 75 Prozent die Zustimmungvon 70,6 Prozent der Bevölkerung.

Erster Bayerischer Landtag 1946:Koalition mit der CSU

Zugleich mit dem Verfassungsrefe-rendum fand am 1. Dezember 1946auch die erste freie Landtagswahl seit14 Jahren statt. Mit 52,3 Prozent derStimmen gewann die CSU die abso-lute Mehrheit (104 von 180 Sitzen),die SPD erzielte 28,6, die WAV 7,4,dieKPD6,1 unddieFDP5,7Prozent.

Die 54 Mitglieder der SPD-Land-tagsfraktion – unter ihnen übrigenskeine einzige Frau – wählten denAschaffenburger Jean Stock zum Vor -sitzenden, sein Stellvertreter wur deWaldemar von Knoeringen, der innerhalb vonFraktion und Partei zunehmend an Ansehen gewann.

In der konstituierenden Sitzung des BayerischenLandtages am 16. Dezember 1946 in der Aula derMünchner Universität trat das Kabinett von WilhelmHoegner zurück. Obwohl er rechtlich nur der Mili-tärregierung gegenüber verantwortlich war, legteHoegner dem Landtag in Form einer Regierungser-klärung einen Rechenschaftsbericht vor. DiesesVorgehen stellte einen weiteren Schritt der von ihmbewusst herbeigeführten, gleitenden Parlamentari-sierung dar.

Der erste Bayerische Landtag wählte den CSU-Abge-ordneten Michael Horlacher zu seinem Präsidenten,Stellvertreter Horlachers wurde der KulmbacherSPD-Oberbürgermeister Georg Hagen, der diesesAmt bis zu seinem Tod am 18. November 1958 inne -hatte. Die folgenden SPD-Abgeordneten leiteten

Ein Rechenschaftsberichtals Regierungserklärung

Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU 105

Erste Landtagswahl in Bayern nach dem Krieg.Wilhelm Hoegner gibt seine Stimme ab. Zugleichwurde über die Bayerische Verfassung abgestimmt.

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5 der 16 Landtagsausschüsse: der Münchberger Land - rat Friedrich Zietsch (Ausschüsse für Wahlprüfungund Entnazifizierungsfragen), der Traunsteiner JosefKiene (Ernährung und Landwirtschaft) und derMünch ner Staatswissenschaftler Arnold Hille (Ge - schäfts ordnung sowie Rechts- und Verfassungsfragen).

Bei der Ministerpräsidentenwahl am 21. Dezember1946 konnte sich die in zwei Flügel gespaltene CSUnicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen.Daraufhin wurde der bis dahin eher unbekannteCSU-Politiker Hans Ehard mit den Stimmen derge samten SPD-Fraktion gewählt. Für Ehard lag esnicht nur wegen dieses Vertrauensbeweises der SPDnahe, eine große Koalition zu bilden: Er war genauwie Hoegner davon überzeugt, dass angesichts derdrängenden Probleme der Nachkriegszeit die beidengroßen Volksparteien in die Pflicht der Regierungs-verantwortung genommen werden sollten. WilhelmHoegner, dem Hans Ehard als ebenso überzeugterFöderalist zeitlebens auch menschlich sehr verbunden

war, gehörte dessen erstem Kabinett als Justizministerund stellvertretender Ministerpräsident an – dieseKonstellation wiederholte sich im dritten KabinettEhards nach 1950 ein weiteres Mal.

Außer mit Hoegner war die SPD in Ehards erstemKabinett wieder mit Josef Seifried als Innen- und mitAlbert Roßhaupter als Arbeitsminister vertreten.Neuer Wirtschaftsminister wurde – auf AnratenKnoeringens – der erst im Herbst 1946 nach Bayerngekommene Rudolf Zorn, der Leiter des Amtes fürVermögensverwaltung. Da Zorn kein Landtagsman-dat besaß, war er zu dieser Zeit vielen Mitgliedern derSPD-Fraktion noch unbekannt. Später trug ZornsPolitik viel zum marktwirtschaftlichen Denken auch

Die SPD-Vorsitzendender Landtagsausschüsse

Vertrauensbeweis der SPD für CSU-Mann

Hans Ehard

NeuerWirtschaftsminister:

Rudolf Zorn

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Die einzige bekannte (Teil)aufnahme des Kabinetts Ehardzeigt Ministerpräsident Hans Ehard nach der Vereidigungam 21. Dezember 1946. Die Mitglieder von links: JosephBaumgartner (CSU), Staatsminister für Ernährung,Landwirtschaft und Forsten; Albert Roßhaupter (SPD),Staatsminister für Arbeit und soziale Fürsorge, AloisHundhammer (CSU), Staatsminister für Unterricht undKultus; Ministerpräsident Hans Ehard (CSU); Josef Seifried(SPD), Staatsminister des Innern; Wilhelm Hoegner (SPD),Staatsminister der Justiz; Alfred Loritz (WAV),Staatsminister für Sonderaufgaben

Rudolf Zorn (1893–1966),Verwaltungsjurist ausKempten; als Student Beitrittzur SPD, vor 1933 im bayer.Innenmini ste rium und in derKommu nal verwaltung tätig,zuletzt rechtskundiger Bürger -meister in Oppau/Pfalz;1933 Entlassung und Schutz -haft, ab 1934 Industriean ge -stellter in Dresden; Herbst1946 Flucht nach Bayern,1946–1947 und 1950–1951 bayerischer Wirtschafts -minister, ab 1949 Vorsitzender des BayerischenSparkassen- und Giroverbands.

Hans Gentner (1877–1953),1908–1920 und1928–1933 MdL, 1946–1947 Staats sekretär.

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innerhalb der SPD bei. Die drei sozialdemokratischen StaatssekretäreClaus Pittroff (Kultusministerium), Hans Gentner (Landwirtschaftsmi-nisterium; dort war er als Staatsrat bereits 1918/19 Mitglied der RegierungEisner gewesen) und Arthur Höltermann (Sonderministerium) vervoll-ständigten das Koalitionskabinett.

Unter gegenseitiger Anerkennung des von der SPD-Landeskonferenzam 14./15. Dezember 1946 beschlossenen Aktionsprogramms und eines„30-Punkte-Programms“ der CSU entwarfen beide Parteien am 23. De-zember 1946 eine Koalitionsvereinbarung. Die Fraktionsvorsitzendenvon SPD und CSU unterzeichneten diesen Vertrag am 28. Januar 1947.

Da in der Koalition jedoch statt der Umsetzung von Parteiprogrammen vielmehr ein konstruktives und pragmatisches Arbeiten im Vordergrund stand,fehlte innerhalb der Anhängerschaft von CSU und SPD auch noch nacheinigen Monaten jegliche Regierungsakzeptanz. Zudem misstraute derSPD-Bundesvorsitzende Kurt Schumacher dem föderalistischen KursHoegners schon seit längerem und hätte die bayerische SPD lieber in derOpposition gesehen, um eine sozialdemokratische Politik besser verdeut -lichen zu können. Auf der Landeskonferenz der bayerischen SPD am10./11. Mai 1947 in Landshut bekam Hoegner die innerparteiliche Ableh -nung zu spüren: Die Delegierten wählten statt seiner Waldemar von Knoe-ringen zum Landesvorsitzenden. Zwar musste sich Knoeringen noch aufdem Parteitag einer heftigen Diskussion über die von ihm – wenn auchnicht bedingungslos – befürwortete Regierungsbeteiligung stellen, aber miteiner vom Landesvorstand beantragten Resolution konnte der Austritt ausder Koalition gegen 52 Stimmen noch einmal abgewendet werden. Drei Ta-ge später sandte Knoeringen ein neues Arbeitsprogramm der SPD-Fraktionan Ministerpräsident Ehard und forderte ultimativ neue Koalitionsgesprä-che. Diese fanden zwar am 15. und 17. Juli statt, verliefen jedoch völlig unbefriedigend.

In jenen Tagen läu te ten auch die Ent wick lungen im vereinigten Wirtschafts gebiet der amerikanischen und briti-schen Zone das Ende der Koalition mit der CSU in Bayern ein. In Frankfurt/M. war im Juni 1947 ein 52-köpfi-ger Wirtschaftsrat als Parlament der Bizone ins Leben gerufen worden. Dieser Wirtschaftsrat bestand aus von denAbgeordneten der verschiedenen Länderparlamente gewählten Parteivertretern und war eine der entscheidenden

Erster Bayerischer Landtag 1946: Koalition mit der CSU 107

Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CSU vom 23. Dezember 1946

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Stationen auf dem Weg zur Bildung eines Weststaates.Der Bayerische Landtag hatte am 20. Juni 1947 diezwölf ihm zustehenden Vertreter gewählt, unter ihnendie SPD-Abgeordneten Valentin Baur und GerhardKreyssig (beide später Bundestagsabgeordnete) sowieGeorg Reuter. Bei einer am 23./24. Juli 1947 statt fin -denden Debatte im Wirtschaftsrat, in der es um diepersonelle Besetzung der Direktorenposten der fünfZentralämter – der eigentlichen Exekutive der Bizo-ne – ging, gelang es der SPD-Fraktion nicht, einensozialdemokratischen Wirtschaftsdirektor durchzu-setzen. Unter dem Druck Kurt Schumachers über-ließ die SPD daraufhin die Exekutive völlig derCDU/CSU und entschied sich für die Rolle einer„praktischen, konstruktiven Opposition“.

Die Auswirkungen dieser Haltung auf die bayerischeSPD ließen nicht lange auf sich warten. Formulie-rungen von Ministerpräsident Ehard in seiner Grund -satzrede am 30. August 1947 vor der Landesversamm -lung der CSU in Eichstätt, in denen er Sozialismusmit Kommunismus gleichgesetzt und als unvereinbarmit der Demokratie bezeichnet hatte, boten den An-lass für die SPD-Fraktion, die Koalition aufzukündi-gen – allerdings gegen den Willen Wilhelm Hoeg-ners. Der Landesvorstand der bayerischen SPD be-fürwortete auf seiner Sitzung am 13./14. Septemberden Koalitionsaustritt, und am 15. Sep tember über-reichten die sozialdemokratischen Regierungsmit-glieder ihre Rücktrittsgesuche, denen der Landtagam 20. September zustimmte. Der Antrag der SPD-Fraktion auf Landtagsauflösung wurde jedoch vonder CSU-Mehrheit mit 129 zu 49 Stimmen abge-lehnt.

Bayerns SPD erstmals in derOpposition (1947–1950)

Für die restlichen drei Jahre der ersten Legislatur-periode verblieb die SPD-Fraktion gegenüber derCSU-Regierung unter Ministerpräsident Ehard inder Opposition. In seiner Stellungnahme zur Regie-rungserklärung des Ministerpräsidenten verzichteteder SPD-Fraktionsvorsitzende Jean Stock am 30.Ok tober 1947 aber weitgehend auf Polemik. Ange-sichts der besonderen Notlage der bayerischen Be-völkerung vor dem dritten Nachkriegswinter sicher-te er der Regierung sogar die Solidarität der Oppo-sition zu, die generell ihre Aufgabe darin sehe, „dieRegierung zu größter Anstrengung zur Überwin-dung aller Schwierigkeiten anzuspornen“.

Tatsächlich hatte sich die bayerische SPD jedochdurch ihren Rückzug aller konkreten Einfluss- undGestaltungsmöglichkeiten beraubt. Die vielen pro-gressiven Gesetzesvorschläge, Interpellationen, An-träge und Anfragen, die die SPD-Fraktion in diesendrei Jahren einbrachte, verpufften zumeist als „bloßpropagandistische Luftblasen“. Die größte politischeWirkungsmöglichkeit bot in dieser Situation das par-lamentarische Mittel des Untersuchungsausschusses– die Mehrzahl der zehn bewilligten Anträge kam vonSeiten der SPD-Fraktion.

Obwohl formell nur stellvertretender Fraktionsvor-sitzender, wurde in dieser Zeit Waldemar von Knoe -ringen eindeutig zur bestimmenden Persönlichkeitinnerhalb der SPD-Landtagsfraktion, zumal JeanStock im August 1948 in den Parlamentarischen Ratin Bonn gewählt worden war. Innerparteilich ist mitKnoeringen der Beginn der intellektuellen Erneue-rung der bayerischen SPD anzusetzen: Auf seine

Auf Druck Kurt Schumachers in die Opposition

Auswirkungen auf diebayerische SPD

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

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Initiative zurück geht etwa die Gründung der Ge-org-von-Vollmar-Schule (ab 1968: -Akademie), dieam 25. Juli 1948 ihren Seminarbetrieb auf SchlossAspenstein am Kochelsee aufnahm.

Den entscheidenden Hebel, mit dem die SPD in Bay-ern schnell wieder mehrheitsfähig werden könnte, sahKnoeringen in der „Beseitigung des Wohnungselen-des“ (Artikel 13 des Aktionsprogramms der SPD vomDezember 1946) durch sozialen Wohnungsbau. Inenger Zusammenarbeit mit dem ehemaligen bayeri-schen Wirtschaftsminister Rudolf Zorn entwickelte erein eigenes Wiederaufbauprogramm. Der so genann-te „Aufbauplan A“, mit dem die Vorstellungen derbayerischen SPD bezüglich demokratischer Planungund regulierter Marktwirtschaft realisiert werden soll-ten, wurde mit zwei im Mai und August1948 in hohenAuflagen erscheinenden Broschüren und zahlreichenWerbekampagnen publik gemacht. Dieses Programmerschien denn auch so erfolgversprechend, dass es aufRegierungsseite hektische Aktivitäten auslöste.

Streitfall Grundgesetz – Wahlen zumersten Deutschen Bundestag

Die Ausarbeitung eines Grundgesetzes für die Bun -des republik Deutschland oblag dem von den west-lichen Länderparlamenten gewählten und aus 65 Mit-gliedern bestehenden Parlamentarischen Rat inBonn. Der Bayerische Landtag bestimmte am 25. Au-gust 1948 die dreizehn auf den Freistaat entfallendenVertreter. Die sozialdemokratische Landtagsfraktionhatte zunächst einstimmig Wilhelm Hoegner und Jo-sef Seifried nominiert, die dann aber beide wegen derzu erwartenden Differenzen mit der Gesamtpartei aufihre Wahl verzichteten. Als bayerische SPD-Vertreterwurden (der spätere Bundestagsabgeordnete) Willi-bald Mücke, Hannsheinz Bauer, Jean Stock und Albert Roßhaupter (nach dessen Erkrankung rückte Seifried doch noch nach) gewählt. Nach der

Bayerische SPD-Abgeordnete imParlamentarischen Rat

Streitfall Grundgesetz – Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag 109

Die Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel geht auf eineInitiative Waldemar von Knoeringens zurück.

Vorstellung des Aufbauplans A auf einer Kundgebung in Nürnberg am 13. Juni 1948

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Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rates am 1.September 1948 bildeten diese vier mit 23 weiterenSozialdemokraten aus den anderen Länderparlamen-ten unter dem Vorsitz des Tübinger JustizministersCarlo Schmid eine Fraktion.

Wegen der un ter schied lichen verfassungspolitischenVorstellungen der Parteien zogen sich die Beratun-gen über das Grund gesetz länger hin als ursprünglichgeplant. Vor allem um die Ausgestaltung der bundes -staat lichen Ordnung gab es hitzige Debatten. DieCSU konnte zwar den aus Vertretern der Länderre-gierungen bestehenden Bundesrat als föderativesOrgan im Grundgesetz durchsetzen, musste sichaber bei der Regelung der Finanzfragen, die zu Un-gunsten der Länder ausfiel, geschlagen geben. Des-wegen stimmten am 8. Mai 1949 sechs CSU-Mit-glieder (mit sechs anderen Abgeordneten) dem imParlamentarischen Rat ausgehandelten Kompro-missentwurf nicht zu, der jedoch mit 53 Stimmenangenommen wurde.

Diese Ablehnung durch die CSU ließ auch für diebevorstehende Ratifizierung des Grundgesetzes durchdas bayerische Parlament nichts Gutes erwarten. Vordieser Abstimmung am 20. Mai 1949 fand im Baye -ri schen Landtag – der übrigens am 11. Januar 1949als Mieter in das Maximilianeum eingezogen war –eine aufsehenerregende zweitägige Debatte statt.Waldemar von Knoeringen betonte, die SPD bringedurch die Zustimmung zum Grundgesetz ihre Be-reitschaft zum Ausdruck, „Westdeutschland auf demBoden der Demokratie aufzubauen“. Er bewertetedas Grundgesetz als entscheidenden Beitrag auf dem

Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands, dessenWirkung umso eindrucksvoller sei, je geschlossenerdie Zustimmung dazu ausfalle. Bei der Abstimmungstimmten alle Abgeordneten der SPD für dasGrund gesetz, die Landtagsmehrheit mit 101 Stimmenjedoch dagegen. Die zweite Abstimmung über dieAnerkennung der Rechtsverbindlichkeit des Grund-gesetzes für den Fall des Zustandekommens dernotwendigen Zweidrittelmehrheit in den anderenLänderparlamenten erachtete die SPD-Fraktion nachihrem eindeutigen Votum für sich als überflüssigund enthielt sich aus Protest der Stimme (Ergebnis:97 Jastimmen, 70 Enthaltungen und 6 Neinstimmen).

Bei der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag am14. August 1949 gehörte die CSU mit nur noch 29,2 Pro zent der abgegebenen Stimmen zu den Ver-lierern. Die großen Sieger hießen Bayernpartei undWAV mit 20,9 bzw. 14,4 Prozent. Doch auch dieSPD hatte gegenüber der Landtagswahl von 1946(damals 28,6 Prozent) Stimmenverluste zu verzeich-nen (nunmehr 22,8 Prozent). Knoeringen musste ineiner Wahlanalyse feststellen: „Die SPD ist bis zumAugenblick noch keine Volkspartei, die die breitenMassen des arbeitenden Volkes gewonnen hat.“

Nur 18 der 78 bayerischen Abgeordneten im erstenDeut schen Bundestag gehörten der SPD an. Von ih-ren 11 Direktmandaten wurden drei von Mitgliedernder SPD-Landtagsfraktion gewonnen: Franz Marx(München-Ost), Matthäus Herrmann (Bayreuth)und Arno Behrisch (Hof). Über die Landeser gän -zungsvorschläge kamen neben der späteren Bun -desfami lien ministerin Käte Strobel aus Nürnberg

Hitzige Debatten um die bundesstaatliche

Ordnung

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

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auch die SPD-Landtagsabgeordneten Valentin Bauraus Augsburg und Waldemar von Knoeringen in denBundestag. Der in Rosenheim angetretene SPD-Lan -desvorsitzende behielt als Einziger sein Landtagsman-dat und wurde in Bonn zudem in den Fraktionsvor-stand gewählt. Nach seiner Wahl zum Vorsitzendender SPD-Landtagsfraktion Ende 1950 gab Knoerin-gen aber am 3. April 1951 sein Bundestagsmandatwegen der zu großen Arbeitsbelastung wieder auf.

Kurz nach der Bundestagswahl musste die bayeri-sche SPD den Verlust einer großen politischen Per-sönlichkeit beklagen: Albert Roßhaupter starb am14. Dezember 1949 und wurde in Olching beerdigt.Im Nachruf des Landesvorstandes der SPD heißt es:

„Seine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Ratund seine Mitarbeit am Bonner Grundgesetz warseine letzte politische Funktion, die er im Auftragseiner Partei ausgeübt hat. Als handelnder Politikerhat er drei Staatsumwälzungen miterlebt und hatnoch teilgenommen an der Schaffung eines neuenStaates auf den Trümmern der nationalsozialisti-schen Welt. So ist Albert Roßhaupter nicht nur einSymbol der geschichtlichen Entwicklung der Sozial -demokratie, sondern auch ein Wegbereiter in dieZukunft.“

Zweiter Bayerischer Landtag 1950:erneute Koalition mit der CSU

Das schlechte Abschneiden der CSU bei der Bundes-tagswahl 1949 wiederholte sich am 26. November1950 bei der Landtagswahl in Bayern: Sie erhielt auf-grund der starken Gewinne der Bayernpartei und derneuen Flüchtlingspartei Deutsche Gemeinschaft/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten(DG/BHE) nur noch 27,4 Prozent. Die SPD dage-gen wurde mit 28,0 Prozent der abgegebenen Stim-men (63 Sitze) stärkste Partei. Infolge von zwei Über-hangmandaten stellte die CSU jedoch am Ende einenAbgeordneten mehr als die SPD, so dass die Initiativezur Regierungsbildung beim bisherigen Ministerprä-sidenten und CSU-Vorsitzenden (seit 1949) HansEhard lag.

Zweiter Bayerischer Landtag 1950: Erneute Koalition mit der CSU 111

Landtagswahl 1950: SPD wird stärkste Partei in Bayern.Durch zwei Überhangmandate erhält die CSU dennochdie Mehrheit.

1,92,87,1

12,3

17,9

27,428,0

SPD CSU BP BHE FDP WAV KPD

Die SPD wird Bayernsstärkste Partei!

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Obwohl Bundeskanzler Konrad Adenauer, Bundes -finanzminister Fritz Schäffer und nicht zuletzt derbisherige CSU-Kultusminister Alois Hundhammerein Bündnis mit der Bayernpartei favorisierten, ent-schloss sich Ehard zu einer Neuauflage der Koalitionmit der seiner Ansicht nach verlässlicheren SPD unddem BHE. Auch der SPD-Landesvorsitzende Walde-mar von Knoeringen setzte sich für eine große Koali-tion ein, wobei er bei den Verhandlungen seine Be-dingung durchsetzen konnte, dass Hundhammernicht wieder Kultusminister werden sollte. ImGegenzug lehnte die CSU den von der SPD vorge-schlagenen heimatvertriebenen Schlesier FranzZdralek als Finanzminister ab, worauf der früherebayerische Wirtschaftsminister Rudolf Zorn für eineÜbergangszeit erneut ins Kabinett eintrat. Am 18.Dezember 1950 stellte Hans Ehard seine neue Regie-rung vor: Stellvertretender Ministerpräsident wurdewieder Wilhelm Hoegner (diesmal als Innenminis-ter), die anderen sozialdemokratischen Kabinettsmit-glieder waren neben Rudolf Zorn der Ministerialdi-rektor Richard Oechsle als Arbeitsminister sowie dieStaatssekretäre Fritz Koch (Justiz), Eduard Brenner(Kultus) und Johann Maag (Landwirtschaft). ZweiStaatssekretäre stellte der BHE, wobei es gegen The-odor Oberländer, den späteren Bundesminister fürVertriebene, wegen seiner Tätigkeit während des Na-tionalsozialismus große öffentliche Proteste gab.

Die 63 Mitglieder der SPD-Fraktion, darunter alsNeuzugang der 27-jährige Volkmar Gabert, hattenmit Maria Günzl, Rosa Hillebrand, Gertrud Krügerund Eva Narr erstmals auch Frauen in ihren Reihen.In den 14 Landtagsausschüssen dominierten jedochnach wie vor die Männer. Aus der SPD-Fraktion wur-

den Jean Stock (Rechts- und Verfassungsfragen),Heinrich Stöhr aus Weißenburg (Sozialpolitische An-gelegenheiten), der oberpfälzische GewerkschafterLeopold Hofmann (Besoldungsfragen) und wiederumFriedrich Zietsch (Wahlprüfung) zu Ausschussvorsit-zenden gewählt.

Bei der Neuwahl des SPD-Fraktionsvorstandes wech-selten der SPD-Landesvorsitzende Waldemar vonKnoeringen und Jean Stock nun auch offiziell ihreFraktionsposten, Knoeringen hatte jetzt also beideFührungsämter inne. Der neue SPD-Fraktionsvor-sitzende umriss am 23. Januar1951 in seiner Stellung -nahme zur Regierungserklärung des Ministerpräsi-denten das Profil der SPD im Rahmen der Koalitionund betonte dabei besonders die Meinungsunter-schiede zur CSU hinsichtlich Schulreform und Leh-rerbildung. Die Aufstellung eines Landesentwick-lungsplans („Bayernplan“) war eine Kernforderungder SPD aus Oppositionszeiten und sollte von derRegierung zügig in Angriff genommen werden. ImBereich der inneren Verwaltung setzte Knoeringenwegen der damit verbundenen stärkeren Demokrati-sierung große Erwartungen in die rasche Verabschie-dung der Gemeinde-, Landkreis- und Bezirksord-nung.

Diese Kommunalgesetze, die alle unter der Schirm-herrschaft von Innenminister Hoegner ausgearbeitetwurden, zählen zur positiven Bilanz der Regierungs-koalition. Bei der Abstimmung über die neue Bayeri -sche Gemeindeordnung nahm der Landtag am 21.Dezember 1951 den von Hoegner verfassten Gesetz-entwurf (unter anderem mit Volkswahl der Bürger-meister auf sechs Jahre) jedoch nur in Teilen an; das

Die bayerischenSozialdemokraten im

zweiten Kabinett Ehard

Neu im Landtag:Volkmar Gabert

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

CSU-Ehard trotzinnerparteilicherWiderstände für

Koalition mit der SPD

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von Hoegner vorgesehene demokratische Elementeines Volksentscheides auf kommunaler Ebene lehntedie CSU zusammen mit der oppositionellen Bayern-partei ab. (Das „Bürgerbegehren“ wurde erst 1995durch einen Volksentscheid Wirklichkeit.) Rei-bungsloser verliefen die Verabschiedungen derLandkreisordnung (mit Hoegners Vorschlag derDirektwahl der Landräte) am 6. Februar 1952 undder Bezirksordnung am 7. Mai 1953.

Insgesamt zeichnete sich die zweite Wahlperiode desBayerischen Landtages durch eine von Pragmatismusgekennzeichnete Regierungspolitik aus, deren Erfolgauf dem harmonischen Gespann der beiden Persön-lichkeiten Hans Ehard und Wilhelm Hoegner beruh-te. Auch schwierige Situationen wie etwa im Januar1952 der Rücktritt von CSU-Justizminister JosefMüller wegen einer Parteispendenaffäre oder derMetallarbeiterstreik im August 1954 konnten die Ko-alition nie gefährden.

Auf schul- und kulturpolitischem Gebiet, vor allemim Bereich der Lehrerbildung, konnte die SPD-Frak-tion jedoch aufgrund „des konservativen Grundcha-rakters bayerischer Politik“ (Zitat aus ihrem Bericht„Halbzeit in der bayerischen Koalition“) so gut wiegar keine Fortschritte erzielen. Diesbezüglich gelan-gen der SPD erst in der von ihr nach der Landtags-wahl 1954 gebildeten Viererkoalition entscheidendeWeichenstellungen.

Voraussetzung hierfür war auch, dass sich die bayeri-sche SPD unter Waldemar von Knoeringen verstärktsolchen gesellschaftlichen Gruppierungen öffnete, diebislang nicht zu den traditionellen SPD-Wählern

gehört hatten. Nicht zufällig entstand 1952 auf Initi-ative Knoeringens unter dem Vorsitz des Staatsse-kretärs und späteren Justizministers Fritz Koch dieArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Akade-miker. Geschäftsführer dieses Zusammenschlusseswar übrigens der junge Amtsgerichtsrat Hans-JochenVogel, den Hoegner später als Ministerpräsidentmit der Sammlung und Bereinigung des bayerischenLandesrechts betraute.

Zweiter Bayerischer Landtag 1950: Erneute Koalition mit der CSU 113

Die SPD-Landtagsfraktion 1950 bis 1954. WilhelmHoegner ist der Fünfte, Waldemar von Knoeringen derSiebte von links.

Aus den 50ern: Derjunge AmtsgerichtsratHans-Jochen Vogel

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Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende

Nach der Bundestagswahl des Jahres 1953 rückte dieCSU wieder nahe an die absolute Mehrheit heran(Stimmenanteil 47,9 Prozent), während die SPD stag-nierte (23,3 Prozent). Die CSU richtete sich darauf-hin in Bayern auf das Alleinregieren ein und betonteim folgenden Landtagswahlkampf die alten, auchweltanschaulichen Gegensätze zwischen CSU undSPD. Der SPD-Landes- und FraktionsvorsitzendeKnoeringen kämpfte unter dem Schlagwort „Lichtübers Land“ mit aufklärerischem Ansatz gegen Kon-servativismus und Klerikalismus.

Bei der Landtagswahl am 28. November 1954 wurdedie CSU stärkste Partei (38,4 Prozent der abgege-benen Stimmen, 83 Mandate), während die SPD ihraltes Ergebnis nur leicht (auf 28,1 Prozent) steigernkonnte. Die Bayernpartei (BP) erreichte 13,2, der Ge-samtdeutsche Block (GB)/BHE 10,2 und die FDP 7,2Prozent der Stimmen.

Doch statt einer zunächst auch von Knoeringen undHoegner beabsichtigten Neuauflage der Koalitionvon SPD und CSU – oder auch einer Koalition ausCSU und BP, die starke Kräfte in der CSU favorisier-ten – kam es zur Bildung einer Viererkoalition ausSPD, BP, GB/BHE und FDP, die im Landtag über121 Sitze verfügte. Die Initiative zu dieser ungewöhn-lichen und bundesweit als Sensation empfundenenKombination ging von Waldemar von Knoeringenaus. Der wesentliche gemeinsame Nenner der vierParteien war die Ablehnung der auf den Status quozielenden kulturpolitischen Positionen der CSU be-züglich Volksschullehrerbildung und Bekenntnis-

schule. Den Kontakt zwischen Knoeringen und derBayernpartei unter ihrem Vorsitzenden Joseph Baum-gartner hatte der ebenfalls an einer Veränderunginteressierte Vorsitzende des Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Wilhelm Ebert,hergestellt. Bereits am 10. Dezember 1954 unter-zeichneten die vier Parteien eine zehn Punkte umfas-sende Koalitionsvereinbarung sowie ein vertraulichesZusatzprotokoll (darunter Punkt 1: „Die Bayernparteierklärt, daß sie nicht daran denkt, einen wilden Baju-warismus zu betreiben“).

Am 14. Dezember 1954 wählte der Bayerische Land-tag Wilhelm Hoegner mit 112 von 197 Stimmen zumMinisterpräsidenten. Er bekleidete damit dieses Amtzum zweiten Mal nach1945. Die SPD stellte mit Fried -rich Zietsch den Finanzminister und mit Fritz Kochden Justizminister. Knoeringen, der Architekt derViererkoalition, trat nicht ins Kabinett ein, blieb aberVorsitzender der 61 Mitglieder zählenden SPD-Frak-tion, zu denen nur drei Frauen (unter ihnen alsNeuzugang die spätere kulturpolitische SprecherinGerda Laufer aus Würzburg) gehörten. Des Weiteren

Die CSU denkt bereitsans Alleinregieren …

… doch die Sensation ist perfekt:

die Viererkoalitionentsteht

Initiator derViererkoalition:Waldemar von

Knoeringen

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Ministerpräsident Wilhelm Hoegner an seinemSchreibtisch

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übernahm Knoeringen den Vorsitz im Landtagsaus-schuss für Sicherheitsfragen. Jean Stock und HeinrichStöhr behielten den Vorsitz ihrer Ausschüsse; an derSpitze zweier weiterer Ausschüsse (von insgesamt 16)standen der neu gewählte Landtagsabgeordnete undbisherige Staatssekretär Richard Oechsle (Wirtschaftund Verkehr) und der bereits seit 1946 im Landtagsitzende Schlesier Ewald Bitom (Angelegenheiten derHeimatvertriebenen).

Im Mittelpunkt der Regierungserklärung Hoegnersam 11. Januar 1955 standen kulturpolitische Refor-men, vor allem die künftige Ausbildung der Volks-schullehrer in „hochschulmäßiger Form“. Weil diesesReformziel – es stellte die bisher nach Bekenntnissengetrennte Ausbildung der Volksschullehrer in Frage –offensichtlich das Verhältnis zu den großen christ-lichen Kirchen belasten würde, betonte Hoegner aus-drücklich die Einhaltung des Konkordates und desKirchenvertrages mit der Evangelisch-LutherischenKirche in Bayern. Doch gerade am Widerstand derkatholischen Kirche scheiterte dann die Umsetzungdes am 14. Juli 1955 beschlossenen neuen Lehrerbil-dungsgesetzes. Im Januar1956 entschied Hoegner ge-gen manche Widerstände in seiner Koalition, die Re-form der Lehrerbildung nicht weiterzuverfolgen. Sowurde erst nach dem Ende der Viererkoalition einallerdings nicht mehr den Vorstellungen der SPD-Fraktion entsprechendes Lehrerbildungsgesetz end-gültig verabschiedet (am 2. Juni 1958).

In einem 17-Punkte-Programm stellte WilhelmHoeg ner am 17. Januar 1956 im Bayerischen Landtag

Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende 115

Auch so genannte Volksschullehrer sollten nach dem Willen der SPD endlich eineHochschul ausbildung erhalten. Doch erst nach Ende der Viererkoalition konnte dasLehrerbildungsgesetz verabschiedet werden.

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die Ziele seiner Regierung vor: Mit der Erschließungvon Bodenschätzen (insbesondere von Öl und Uran)und dem Ausbau von Kraftwerken (auch dem vonAtomkraftanlagen) sollten die Voraussetzungen fürdie weitere Industrialisierung geschaffen werden.Auch der von Knoeringen bereits Anfang 1951 ange-mahnte Landesentwicklungsplan fand sich unter denProgrammpunkten. Weitere Ziele waren der sozialeWohnungsbau und der Ausbau des Fremdenverkehrs,verbunden mit einem Aufruf zum Naturschutz.Schließlich kündigte Hoegner die Schaffung vonEinrichtungen der Politischen Bildung an, um „dendemokratischen Gedanken“ in der Bevölkerung un-widerruflich zu verankern.

Auch und gerade diese kulturpolitische Offensive imBereich der Politischen Bildung trug zur Erfolgsbi-lanz der Viererkoalition bei. So war bereits am 11.November 1955 die Errichtung einer Bayerischen

Landeszentrale für Heimatdienst beschlossen worden(seit 1964: Bayerische Landeszentrale für PolitischeBildungsarbeit), die der Staatskanzlei unterstand. Am27. Mai 1957 wurde per Gesetz und gegen die Stim-men der CSU die Akademie für Politische Bildunggeschaffen, die im Oktober 1958 ihre Arbeit in Tut-zing aufnahm. Der im November 1956 dem Landtagvorgelegte „Rucker-Plan“ des Kultusministers war derBeginn einer staatlichen Politik, die Hochschulen undWissenschaft förderte, um international wettbewerbs-fähig zu bleiben. Im Zusammenhang mit der Vor lagedieses ersten Bedarfsplanes stand auch Hoegners In-itiative zur Schaffung eines Wissenschaftsrates, deram 5. September1957 als ein Bund-Länder-Gremiumzur bundesweiten Koordination und Finanzierungder wissenschaftlichen Forschung errichtet wurde.

Als Hoegner genau ein Jahr nach der Vorlage seines17-Punkte-Programms im Landtag Bilanz zog, konn-te er noch weitere Erfolge nennen. Dazu zählten imBereich Wissenschaft die Übersiedlung des von Wer-ner Heisenberg geleiteten Max-Planck-Instituts fürPhysik und Astrophysik von Göttingen nach Mün-chen und die in Aussicht stehende Inbetriebnahmedes Forschungsreaktors („Atom-Ei“) in Garching. Injenen Jahren bestand noch ein Grundkonsens über diefriedliche Nutzung der Kernenergie – insbesonderedie SPD verband damit die Erwartung einer „ZweitenIndustriellen Revolution“ (Waldemar von Knoerin-gen am 6. November 1955 auf der Landeskonferenzin Kempten; siehe im Übrigen auch Kapitel 5). So be-schloss der Bayerische Landtag am 9. Juli 1957 trotzder mittlerweile einsetzenden Diskussion um dieAtom bewaffnung der Bundeswehr einstimmig dasers te Atomgesetz der Bundesrepublik.

Regierungsziele: Abbau von

Bodenschätzen,Kraftwerksausbau,Sozialwohnungen,

Fremdenverkehr

Kulturpolitische Offensive

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Die SPD-Fraktion (1954–1958) stellt sich im Senatssaal des Landtags den Fotografen:Wilhelm Hoegner sitzend in der Mitte, links neben ihm Waldemar von Knoeringen

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Eine sehr persönliche Initiative des Ministerpräsiden-ten war der mit großer Mehrheit des Landtages am15.Mai 1957 geschaffene Bayerische Verdienstorden, denHoegner als Symbol bayerischer Souveränität undAusdruck der Staatlichkeit Bayerns bezeichnete.

Während der Viererkoalition entschieden sich auchdie seit Kriegsende offen gebliebenen territorialenFragen: Seit dem 1. September 1955 gehörten Stadtund Landkreis Lindau, die nach 1945 zunächst Teilder französischen Besatzungszone gewesen waren,wieder zu Bayern. Dagegen kehrte die seit 1816 zuBayern zählende linksrheinische Pfalz – seit 30. Au-gust 1946 Bestandteil des von der französischen Mili-tärregierung geschaffenen Landes Rheinland-Pfalz –trotz intensiver Bemühungen aller Ministerpräsiden-ten nicht nach Bayern zurück. Ein entsprechendesVolksbegehren verfehlte im April1956 ungeachtet dervon Ministerpräsident Hoegner am 31. Januar 1956vor dem Landtag verkündeten Zusagen („Pfalz-Ma-nifest“) die vorgeschriebene Zahl von 10 Prozentder abgegebenen Stimmen.

Getrübt wurde die erfolgreiche Arbeit der Viererkoa-lition durch die so genannte Spielbankenaffäre. AufAntrag der Koalitionsparteien (federführend war dieBayernpartei) genehmigte der Landtag am 21. April1955 die Errichtung von Spielbanken in Bayern. Mitder Opposition dagegen stimmten auch zwei sozialde-mokratische Abgeordnete und MinisterpräsidentHoegner, der noch 1951 und 1952 als Innenministereinschlägige Anträge hatte abwehren können. Wegenangeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe derKonzessionen an die neuen Spielkasinos beantragtedie CSU daraufhin den einzigen Untersuchungsaus-

schuss dieser Wahlperiode, der am 27. Oktober 1955unter dem Vorsitz von Martin Hirsch (SPD) seine Ar-beit aufnahm. Die Korruptionsvorwürfe gegen diebeiden Spitzenpolitiker der BP, den stellvertretendenMinisterpräsidenten und Landwirtschaftsminister Joseph Baumgartner und den Innenminister AugustGeislhöringer, konnte der Untersuchungsausschussin seinem Abschlussbericht vom 20. Mai 1957 jedochnicht bestätigen. Ihre Aussagen im Untersuchungs-ausschuss wurden den beiden Ministern, und damitletztlich auch der Bayernpartei, zwei Jahre späterzum Verhängnis: Auf erneutes Betreiben der CSUwurde ein politischer Meineidsprozess inszeniert, indem am 8. August 1959 Baumgartner zu zwei Jahren

Korruptionsvorwürfegegen Funktionäre derBayernpartei

Dritter Landtag 1954: die Viererkoalition und ihr Ende 117

Mitglieder des Kabinetts der Viererkoalition im Sommer 1956 in Wilhelm HoegnersUrlaubsdomizil im österreichischen Hintersee. Von links: Hans Meinzolt (Staatssekretär),Albrecht Haas (Leiter der Bayerischen Staatskanzlei), Otto Bezold (Wirtschaftsminister),Kurt Eilles (Staatssekretär), Wihelm Hoegner (Ministerpräsident), Joseph Panholzer(Staatssekretär), August Geislhöringer (Innenminister), Friedrich Zietsch (Finanzminister),Joseph Baumgartner (Landwirtschaftsminister), Karl Weishäupl (Staatssekretär) und Willi Guthsmuths (Staatssekretär)

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Zuchthaus und Geislhöringer zu15Monaten Gefängnis verurteilt wur-den. Die später in erhebliche Zwei-fel gezogene Aussage des damali-gen CSU-Generalsekretärs Frie-drich Zimmermann spie lte dabeieine wesentliche Rolle.

Der Ausgang des Spielbankenpro-zesses besiegelte die politische Be-deutungslosigkeit der Bayernpartei.Vorbote hierzu war der in groberFehleinschätzung der politischenLage bewusst herbeigeführte, vor-zeitige Austritt der BP aus der Vie-rerkoalition. Den Auslöser stellteder sensationelle Ausgang der Bun -des tagswahl vom 15. September1957 dar, bei der die CDU/CSUbun desweitmit50,2 Pro zent die ab -solute Stimmenmehrheit erreichte.Die CSU kam im Freistaat auf57,2, die SPD auf 26,4 Prozent,während die BP auf 3,2, die FDP auf 4,5 und derGB/BHE auf 6,8 Pro zent zurück fielen. Da vor allemdie Bayernpartei befürchtete, bei der Landtagswahl1958 wegen ihrer Koalition mit der SPD abgestraft zuwerden, beschlossen am 27. September1957 Vertretervon CSU, GB/BHE und BP – Letztere allerdingsohne Autorisierung durch Fraktions- oder Parteigre-mien – einen Vorvertrag über eine neue Koalition.Nach dem Austritt von GB/BHE und BP aus derRegierung trat Ministerpräsident Hoegner am 8.Ok tober 1957 von seinem Amt zurück.

Am 16. Oktober 1957 wählte derLandtag Hanns Seidel (CSU) zumneuen Bayerischen Ministerpräsi-denten. Seidel ging entgegen allenErwartungen keine Koalition mitder Bayernpartei ein, sondern ver-bündete sich mit GB/BHE undFDP. In der Debatte über die Re gie - rungserklärung schlug Oppo si tions -sprecher Knoeringen am 4. De -zember 1957 im Landtag moderateTöne an: Seidels Programm setzedie praktische Arbeit der Viererkoa-lition fort, die „zu den fruchtbarstenPerioden des Aufbaus nach 1945zählt“. Für die – wie Knoeringenseinerzeit annahm – nur vorüberge-hende Zeit der Opposition bot erdie konstruktive Mitarbeit der Sozi-aldemokraten an, mahnte allerdingsden „Vorrang der Kulturpolitik aufallen Ebenen“ an.

Am 28. Mai 1958 übergab Waldemar von Knoerin-gen, der kurz zuvor als stellvertretender Vorsitzenderin den SPD-Bun des vorstand gewechselt war, denVorsitz der Landtagsfraktion an Wilhelm Hoegner.Zum Stellvertreter Hoegners wurde der gebürtigeSudetendeutsche Volkmar Gabert gewählt, der nachder Landtagswahl 1958 auch den stellvertretendenVorsitz im Landtagsausschuss für Staatshaushalt undFinanzfragen innehatte und sich so für weitere Spitzen funktionen innerhalb der SPD qualifizierenkonnte.

Falsches Spiel von „Old Schwurhand“?

Austritt der Bayernpartei aus der

Viererkoalition

Im Oktober 1957 tritt Wilhelm Hoegner

zurück

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Wahlbrief von Waldemar von Knoeringen

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Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in der Opposition

Auch nach der Landtagswahl am 23. November 1958blieb die bayerische SPD in der Opposition. SowohlCSU (45,6 Prozent, 101 Sitze) als auch SPD (30,8Prozent, 64 Sitze) steigerten zwar ihren Stimmenan-teil, der am 9. Dezember 1958 wiedergewählte Minis-terpräsident Hanns Seidel setzte jedoch die bisherigeKoalitionsregierung fort.

Die neu gewählte SPD-Fraktion (erneut nur mit dreiFrauen) bestätigte Wilhelm Hoegner als Vorsitzen-den und Volkmar Gabert als Stellvertreter. In 4 der 12Landtagsausschüsse behielten Jean Stock (Verfas-sungs- sowie Rechtsfragen) und Richard Oechsle(Wirtschaft, Verkehr) den Vorsitz, im Sozialpoliti-schen Ausschuss ersetzte Karl Weishäupl den im De-zember 1958 verstorbenen Heinrich Stöhr, WilhelmHoegner übernahm von Knoeringen den Ausschussfür Sicherheitsfragen. Auch im Landtagspräsidiumhatte es einen Wechsel gegeben: An die Seite vonLandtagspräsident Hans Ehard, der das Amt schonseit der Viererkoalition ausübte, rückte als einstimmiggewählter Vizepräsident der Hofer Oberbürgermeis-ter Hans Högn (der bisherige Amtsinhaber GeorgHagen war kurz vor der Landtagswahl verstorben).

In der Aussprache nach Seidels Regierungserklärungerinnerte Hoegner am 28. Januar 1959 an den de -struktiven Konfrontationskurs der Opposition zu sei-nen Regierungszeiten, den er seinerseits aber nichtfortsetzen wolle:

„Wir Sozialdemokraten werden die Regierung Sei-del unterstützen, soweit sie gewillt ist, die RechteBayerns zu wahren, den kulturellen und sozialen

Fortschritt zu fördern, eine unparteiische Justiz zugewährleisten und überhaupt im Geiste der demo-kratischen Bayerischen Verfassung zu regieren.“

Bayerische Landtagswahl 1958: SPD wieder in der Opposition 119

Wahlplakat aus dem Jahr 1958

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Die Arbeit der SPD-Fraktion ist in den jährlichenArbeitsberichten dokumentiert. Nur ein Beispiel:Im Jahresbericht für das Jahr 1959 sind 34 Frak-tionsvorstandssitzungen notiert, 43 Fraktionssitzun-gen, 9 Arbeitstagungen, 301 Sitzungen in den 12Ausschüssen sowie 37 Plenumssitzungen. Im Be-richtszeitraum reichte die SPD-Fraktion 14 Gesetz-entwürfe, 6 Dring lich keitsanträge, 41 Anträge derFraktion, 87 Einzelanträge von Abgeordneten, 25interfraktionelle Anträge, 24 schriftliche und 29mündliche Anfragen sowie zwei Interpellationen ein.

Die bayerische SPD und dasGodesberger Programm

Das für die SPD verheerende Ergebnis der Bundes-tagswahl 1957, bei der die Union – bisher einmaligin der Parlamentsgeschichte der BundesrepublikDeutschland – mehr als 50 Prozent der Stimmen er-hielt, hatte nicht nur das Ende der Viererkoalition inBayern zur Folge, sondern führte auch zu weitrei-chenden Veränderungen innerhalb der Gesamt-SPD.Ihr Vorsitzender Erich Ollenhauer, der seit dem Todvon Kurt Schumacher 1952 die Partei führte (bis1963), änderte nach langem Zögern die Führungs-struktur, indem der geschäftsführende Vorstand in derlegendären Bonner Parteizentrale („Baracke“) durchein elfköpfiges Präsidium ersetzt wurde. Auf demStuttgarter Parteitag von 1958 kam überdies WillyBrandt in den Parteivorstand, nachdem er auf denParteitagen 1954 und 1956 (in München) noch„durchgefallen“ war. Stellvertretende Parteivorsitzen-de wurden in Stuttgart Herbert Wehner, der sich zumeigentlichen Parteiführer entwickelte, und Waldemarvon Knoeringen (bis 1961).

Knoeringen leistete einen wesentlichen Beitrag zurgroßen programmatischen Wende der SPD, die mitden strukturellen und personellen VeränderungenHand in Hand ging. Er wirkte bei den kulturpoliti-schen Aussagen des neuen Grundsatzprogramms mitund verteidigte dieses Programm zusammen mit Her-bert Wehner auf dem außerordentlichen Parteitag inBad Godesberg (13.–15. November 1959). Das dortbeschlossene „Godesberger Programm“ bedeuteteden Abschied von der bisherigen Orientierung anKlassenkampf und Marxismus. Konkret stellte dasneue Programm ein Bekenntnis zur sozialen Markt-wirtschaft, zur Westorientierung und zur vorsichtigen

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Der langjährigeFraktionsvorsitzendeVolkmar Gabert warunter HoegnerFraktionsvize.

Das Wahlziel wurde nur teilweise erreicht: Der frühereKulturminister Alois Hundhammer (CSU) wurde nach derLandtagswahl 1958 nur noch Landwirtschaftsminister.

Neuorganisation der Bundes-SPD

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Öffnung nach Osten dar. In wirtschaftsprogrammati-scher Hinsicht bestätigte es den Sonderweg, den diebayerische SPD bereits zehn Jahre früher vor allemunter dem Einfluss von Rudolf Zorn und seinem Mo-dell der „regulierten Marktwirtschaft“ beschrittenhatte.

Auch Wilhelm Hoegner fühlte sich durch das Godes-berger Programm mit seinen früheren Äußerungenanerkannt. Das galt in besonderer Weise für seineForderung nach einer sozialdemokratischen Volks-partei und hinsichtlich seines Kampfes für eine föde-ralistische Gliederung der Bundesrepublik: Der zen-tralistische Einheitsstaat wird im Godesberger Pro-gramm ausdrücklich abgelehnt.

Fünfter Bayerischer Landtag 1962:Generationswechsel in der SPD

In Bayern hatte der Landtag am 26. Januar 1960 denseit 1954 amtierenden Landtagspräsidenten HansEhard zum Nachfolger des aus gesundheitlichenGründen zurückgetretenen MinisterpräsidentenHanns Seidel gewählt. Als Ehard ein Jahr später, am17. Januar 1961, eine Regierungserklärung abgab,unterstrich der SPD-Fraktionsvorsitzende Hoegnerin seiner Antwort am 7. Februar 1961 die Gemein-samkeiten von Regierung und sozialdemokratischerLandtagsopposition.

Nach der Bundestagswahl am 17. September 1961, beider die SPD mit Willy Brandt erstmals – allerdings ver - geblich – mit einem eigenen Kandidaten für das Amtdes Bundeskanzlers angetreten war, bemühte sich

Die bayerische SPD und das Godesberger Programm 121

SPD-Parteitag 1959: Godesberger Programm

Auch Hans Ehard wird zum zweiten MalMinisterpräsident

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auch die bayerische SPD um eine stärkere Personali-sierung. So wurde im Hinblick auf die bevorstehendeLandtagswahl am 18. November 1961 ein Landesratmit zwölf sozialdemokratischen Persönlich kei tenvorgestellt. An seiner Spitze standen der Landes vor -sitzen de Waldemar von Knoeringen, der Fraktions-vorsitzende Wilhelm Hoegner und sein StellvertreterVolkmar Gabert; ferner gehörten dem GremiumLandtagsabgeordnete an, die über Regierungserfah-

rung verfügten, so Richard Oechsle, Friedrich Zietsch,Johann Maag und Gerda Laufer; als Repräsentant desBayerischen Senats fungierte Ludwig Linsert, derLandesvorsitzende des Deutschen Gewerkschafts-bundes; die Städte waren durch vier Oberbürger-meister vertreten: Hans-Jochen Vogel (München),An dreas Urschlechter (Nürnberg), Rudolf Schlichtin-ger (Regensburg) und Hans Högn (Hof).

Diese Personalisierung der Landespolitik ging miteiner durch Waldemar von Knoeringen angeregtenanspruchsvollen programmatischen Erneuerungeinher, die auch über den Wahltag hinaus Bestandhaben sollte. Das „Bayernprogramm“ – es umfassteunter der Überschrift „Mehr Gerechtigkeit“ 108Seiten und enthielt 20 pointiert zugespitzte Forde-rungen – präsentierte die SPD am 4. April 1962 derÖffentlichkeit. Im Vorwort schrieb Knoeringen:

„Demokratie ist mehr als Stimmabgabe am Wahl-tag. Der einzelne Bürger – und das ist neu an un-serem Beginnen – soll bereits bei der Entwicklungkonkreter Vorschläge mitwirken können. Wir ha-ben uns deshalb für einen Programmentwurf ent-schieden, der eine offene Diskussionsgrundlagesein soll für das Gespräch mit jedermann.“

Bei der Landtagswahl am 25. November 1962 wurdendie Bemühungen der bayerischen SPD nur teilweisebelohnt. Zwar konnte sie den stärksten Stimmenzu-wachs seit 1946 verzeichnen, nämlich um 4,5 aufnunmehr 35,3 Prozent (79 Sitze). Aber die CSU er-reichte trotz einer bescheidenen 1,9-prozentigenStimmensteigerung mit 47,5 Prozent die absoluteParlamentsmehrheit von 108 Sitzen. Obwohl sie

DER WIEDERAUFBAU VON WIRTSCHAFT UND VERWALTUNG

Schaffung desLandesrates im

November 1961

Waldemar von Knoeringen

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allein hätte regieren können, nahm die CSU die zu-sammengeschrumpfte Bayernpartei (8 Abgeordnete)mit in die Regierung. Von den bisherigen Koalitions-partnern FDP (9 Sitze) und BHE war Letzterer garnicht mehr im Landtag vertreten.

Für die SPD-Landtagsfraktion bedeutete diese Wahleine große Zäsur: 25 ihrer 79 Abgeordneten zogenerstmals in den Landtag ein. Zudem lag ein Wechselin der Führung nahe, da der FraktionsvorsitzendeWilhelm Hoegner bereits 75 Jahre alt war. Sein un-umstrittener Nachfolger wurde Volkmar Gabert(siehe nächstes Kapitel); Hoegner wiederum über-nahm nun die wichtigste parlamentarische Funktion,die die SPD damals zu vergeben hatte: das Amt desLandtagsvizepräsidenten.

Der Generationswechsel wurde aber auch in der Lan-despartei vollzogen. Bereits vor der Landtagswahl1962 hatte Knoeringen sich entschlossen, das Amt desLandesvorsitzenden abzugeben. Da sich die Personal-union von Landes- und Fraktionsvorsitz bewährthatte, konnte er vor der am 28./29. September1963 inLandshut stattfindenden 14. Landeskonferenz densich zunächst sträubenden Volkmar Gabert für dieKandidatur gewinnen. Auf dem Parteitag konnte sichder jüngere Gabert gegen den früheren MinisterFriedrich Zietsch durchsetzen und blieb bis zum Jahr1972 SPD-Landesvorsitzender.

Für einen harmonischen Übergang sorgte auch Wil-helm Hoegner, der bereits seit 1958 als stellvertreten-der SPD-Landesvorsitzender amtiert hatte und nunfür weitere vier Jahre seine Erfahrungen einbrachte.Auch Knoeringen arbeitete weiter im Landesvorstand

mit und konzentrierte sich ganz auf den Bereich derGesellschafts- und Kulturpolitik. Weitere eigenver-antwortliche Vorstandsmitglieder wurden Willi Rei-land (Arbeits bereich Jugendpolitik), Hans-JochenVogel (Kommunalpolitik), Johann Maag (Agrarpoli-tik), Karl Weishäupl (Sozialpolitik und Gesundheits-wesen) und Richard Oechsle (Arbeit und Wirtschaft).Mit Gabert an der Spitze wurde also die bisher starkvon der Person Knoeringens geprägte Führung desLandesverbandes durch eine eher kollektive Führungabgelöst.

Der Waldemar-von-Knoe-ringen-Preis wurde 1981von der Georg-von-Voll-mar-Akademie gestiftet. Diebayerische Sozialdemokratiezeichnet mit ihm besondereLeistungen in Politik, Bil-dung, Wissenschaft, Jour -nalismus, schriftstellerischerund anderer künstlerischerTätigkeit aus, die den Zielendes demokratischen Sozia-lismus und der Tradition derArbeiterbewegung entspre-chen. Der Preis wurde bis-her 14 Mal verliehen,Preisträger sind Georg Le-ber (sie he Foto), Hans-Pe-ter Dürr, Hans Koschnick,Helga Grebing, Dieter Hilde brandt, Richard Löwen-thal, Volkmar Gabert, Karl Anders und Emil Werner,Hermann Glaser, Peter Glotz, Senta Berger, MaxMannheimer, Käthe Strobel und Hans-Jochen Vogel.

Fünfter Bayerischer Landtag 1962: Generationswechsel in der SPD 123

Preisverleihung an Georg Leber (von links: HolgerBörner, Renate Schmidt, Georg Leber, Hedda Jungfer,Ulrike Mascher)

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ModernisierungBayerns

Neue Oppositionsrolle in einer parlamentarischenDemokratie

Volksbegehren und -entscheide als politische Instrumente

Der erfolgreiche Volksentscheid zur Schulpolitik

Ohne SPD keine vernünftige Schulpolitik in Bayern

Die Rundfunk- und Medienpolitik

Die bayerische SPD ist Vorreiter in Natur- und Umweltschutz

Landesplanung und -entwicklung für gleichwertigeLebenschancen

Untersuchungsausschüsse – ein Kontrollinstrument der Opposition

Die SPD kämpfte erfolgreich gegen die WAA inWackersdorf

Gegen Amigosysteme und Filz – Aufklärungs -arbeit im Landtag

Modernisierung des politischen Systems in Bayern

Für ein wirtschaftlich starkes und soziales Bayern

Die SPD und die Modernisierung Bayerns, 1962–2003V

Die

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125

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V DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Volkmar Gabert wird 1962 zumFraktionsvorsitzendengewählt.

Waldemar vonKnoeringen prägt denneuen Oppositions -begriff.

Neue Oppositionsrolle in einerparlamentarischen Demokratie

Mit dem besten Wahlergebnis, das die bayerischeSPD bis dahin jemals erzielt hatte, ging die Landtags-fraktion 1962 mit neuem Selbstvertrauen an die Ar-beit. Zum neuen Fraktionsvorsitzenden wählten die79 Abgeordneten Volkmar Gabert, der die Nachfolgevon Wilhelm Hoegner antrat und einen Generations-wechsel in der Partei symbolisierte (siehe Seite 123).

Es ist bezeichnend für parlamentarische Demokra-tien, dass die Kontrolle der Exekutive nicht mehrhauptsächlich durch die gesamte Legislative, also dasParlament, sondern durch die im Parlament vertrete-ne Opposition erfolgt. Faktisch übernahm die SPD-Fraktion demnach die wichtigste Kontrollfunktiongegenüber der Staatsregierung. Und die SPD war sichihrer Bedeutung als Opposition im BayerischenLandtag bewusst! So erklärt sich auch der Tenor desSPD-Landesvorsitzenden Waldemar von Knoerin-gen bei seiner Antwort auf die Regierungserklärungdes Ministerpräsidenten Alfons Goppel am 15. Januar1963:

„Der entscheidende Träger der Opposition ist nunnicht mehr das Parlament im Ganzen, sondern dieMinderheit, die nicht an der Regierung beteiligt ist.Ihre Aufgabe sollte es sein, eine ständige Alternati-ve zur Regierung zu bilden, sie zu kontrollierenund dafür zu sorgen, daß jene Spannung zwischenHerrschaft und Freiheit erhalten bleibt, eine Span-nung, ohne die lebendige Demokratie nicht denk-bar ist.“

Diese konstruktive Haltung verschaffte der SPD-Landtagsfraktion auch innerhalb der Partei eine

stärkere Position. Nach dem Stuttgarter SPD-Bun -desparteitag 1958 hatte sich die Stellung der Fraktiongegenüber der bayerischen Parteiorganisation ent-scheidend verbessert. Die in Stuttgart beschlosseneÄnderung des Organisationsstatuts beendete denVorrang der Parteiorganisation vor den Parlaments-fraktionen – und sie war gleichzusetzen mit der „Par -lamentarisierung“ der deutschen Sozialdemokratie.

Mit Volkmar Gabert als Fraktionsführer ergriff dieSPD vielfach die Initiative und gestaltete so einekonstruktive Oppositionspolitik. Trotz der konser-vativen Mehrheit im Landtag gelang es immer wie-der, wichtige sozialdemokratische Politikinhaltedurchzusetzen. So erreichte die SPD zusammen mitder FDP vor dem Bayerischen Verfassungsgerichts-hof eine Revision des Landeswahlgesetzes, das inseiner ursprünglichen Form die Vorherrschaft derCSU zementiert hätte.

Fraktionsführer Volkmar Gabert im Plenum des Landtags

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Volksbegehren und -entscheide alspolitische Instrumente

Mitte der 60er Jahre „entdeckte“ die SPD-Landtags-fraktion unter Volkmar Gabert ein effektives Mittelder politischen Auseinandersetzung: den Volksent-scheid. In Anbetracht der großen CSU-Mehrheitenab 1962/1966 gab es bei den umstrittenen Themenzur gesellschaftlichen Modernisierung kaum Aussich-ten auf parlamentarische Erfolge der SPD. Somitmusste ein anderer Weg beschritten werden. Dieseneröffnete die Bayerische Verfassung in ihrem Artikel74 mit den beiden Instrumenten Volksbegehren undVolksentscheid als Alternative zum Landtag im Ge-setzgebungsverfahren.

Der erfolgreiche Volksentscheid zur Schulfrage

Einmal mehr wurde nun das bayerische Schulwesenzum Thema der politischen Auseinandersetzung.Nach wie vor war ja im Freistaat die Konfessions-schule der bestimmende Schultyp und stand einerModernisierung der Schulorganisation im Weg. Sobesuchte noch im Jahrgang 1965/66 nur knapp einDrittel aller Schüler eine voll ausgebaute Schule. DieMehrzahl der Kinder wurde in so genannten Zwerg-schulen unterrichtet, die häufig nur einklassig struk-turiert waren: Alle acht Volksschulklassen waren hierin einem Raum untergebracht und wurden von einereinzigen Lehrkraft unterrichtet. Auch das Postulat ei-ner bekenntnishomogenen Konfessionsschule warMitte der 60er Jahre überholt, denn in 4 428 von 6 604Schulen waren Bekenntnisminderheiten vorhanden.

Die schulpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion,Franz Förster und Anton Hochleitner, hatten in ihrenReden schon seit längerem auf die Notwendigkeit

Volksbegehren und -entscheide als politische Instrumente 127

Große und kleine Kinder drücken gemeinsam dieSchulbank – Noch in den 60er Jahren war dieZwergschule in Bayern keine Seltenheit.

Anton Hochleitner,schulpolitischer Sprecher

Franz Förster,schulpolitischer Sprecher

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DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

einer Schulreform hingewiesen. Die von der CSU imJahr 1966 durchgeführte Reform ging jedoch an denInteressen der SPD vorbei. Innerhalb der SPD einig-te man sich daher im Mai 1966 darauf, eine Änderungdes Schulartikels der Bayerischen Verfassung anzu-streben. Ende August 1966, also kurz vor der nächstenLandtagswahl, überraschte die FDP mit einem eige-nen Volksbegehren zu diesem Thema. Da es auswahltaktischen Gründen und daher sehr kurzfristig

organisiert worden war, scheiter-te die FDP-Initiative. Die SPDlehnte eine Unterstützung ab, daihr die Änderungen nicht weitgenug gingen. Volkmar Gabertstellte dann am 17. April 1967 imneuen Landtag eine Gesetzesini-tiative vor, wobei er für den Falleiner Ablehnung mit einemVolks begehren drohte. Der da-malige Fraktionsvorsitzende imSchlagabtausch mit der CSU-Mehrheit:

„Ich weiß, die Mehreren sinddie Schwereren, wie es LudwigThoma schon so treffend gesagthat. Die Mehreren werden un-seren Entwurf genauso kurzsich-tig ablehnen, wie sie vieles an-dere bisher abgelehnt haben.Aber in einigen Jahren werdensie selbst mit ähnlichen Vorschlä-gen kommen. Es ist zu ernst, umdie Schulpolitik allein der CSUzu überlassen.“

Trotz inhaltlicher Unterschiede: Hildegard Hamm-Brücher (FDP) und Volkmar Gabert wer bengemeinsam für die „Christliche Gemeinschaftsschulein Bayern“.

Interview mit Volkmar Gabert:

„Wenn Opposition nur klagt, kommt sienicht weiter“

Volkmar Gabert wurde 1923 im Sudeten-land geboren. 1948 begann sein Weg in derbayerischen Sozialdemokratie, in der erzahl reiche Mandate und Führungsfunktio-nen innehatte: Vorsitzender der Jungsozia-listen in Bezirk und Landesverband, Land-tagsabgeordneter, SPD-Fraktions vor sit zen - der und schließlich Landesvorsitzender.Gaberts Aufstieg vollzog sich im Umfeldvon Wilhelm Hoegner und Waldemar vonKnoeringen, die er beide in ihren Ämternbeerbte: Hoegner 1962 im Fraktionsvorsitzund Knoeringen ein Jahr später in der Par-teiführung.

Ausgewählte Antworten aus GesprächenHildegard Kronawitters mit Volkmar Ga-bert gewähren einen Einblick in das Füh-rungs- und Politikverständnis des Mannes,der von 1962 bis 1976 Vorsitzender derSPD-Landtagsfraktion war. Das folgendeGespräch ist dem Buch „Ein politisches Le-ben – Gespräche mit Volkmar Gabert“ ent-nommen (Buchendorfer Verlag 1996).

Was macht gute Führung aus?Wenn ich zurückdenke, sehe ich zwischenFraktions- und Parteiführung keinenUnterschied. Für die praktische Politik istdie Fraktionsarbeit ganz wichtig. Eine er-folgreiche Parteiführung ist aber notwen-dig, damit ruhige und erfolgreiche Frak-

CSU-Reform geht nicht weitgenug

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tionsarbeit geleistet werden kann. […] Mirkam es in beiden Positionen darauf an, dieKolleginnen und Kollegen an der Arbeitteilhaben zu lassen. Ich sorgte dafür, dassihnen Aufgaben übertragen und sie zuLeistungen herausgefordert wurden. […]Außerdem achtete ich sehr auf einen Aus-gleich innerhalb der Fraktion. Zum Bei-spiel wurden bei der Wahl 1966 circa 40Prozent unserer Abgeordneten erstmalsgewählt. Voller Selbstvertrauen glaubtendiese: Jetzt beginnt die Zeit, wo etwasdurchgesetzt wird. Die Fraktionsmehrheitwar aber von der vorhergehenden Wahlpe-riode ernüchtert. Und jetzt die Symbiosezu finden, den Schwung der Neuen mit denErfahrungen der Alten zusammenzubrin-gen und mit beiden Gruppen gemeinsamnach vorne zu gehen, so etwas muss gelin-gen, damit sich politischer Erfolg einstellt.Es ist uns gelungen.

Das Los der Opposition im parlamentarischenLeben ist doch sehr hart.In der Tat, Oppositionsarbeit ist ein hartesBrot. Als Fraktionsvorsitzender habe ichdeshalb immer großen Wert darauf gelegt,den Frust unserer Abgeordneten, der sichnaturgemäß aus der Minderheitspositionergibt, durch Aktivitäten zu überwindenund kleine Erfolgserlebnisse möglich zumachen. Wenn die Opposition nur klagt,kommt sie nicht weiter. Sie muss aus derMinderheit heraus offensiv sein und dieRegierungsmehrheit angreifen, das wirkt

überzeugend. […] Wenn die Abgeordnetenunterwegs waren, Kontakte zur Bevölke-rung knüpfen konnten, wurden sie moti-viert und aktiviert. Veränderungen könnendann auch aus der Opposition heraus er-reicht werden, damit wird der Frust in deneigenen Reihen schwächer. Frust ist ge-fährlich, weil er die Aktivitäten der Parteilähmt. Letztlich braucht man in Bayerneine Doppelstrategie, das heißt, bei den

Mehrheitsverhältnissen ist die parlamenta-rische Arbeit nur eine Seite. Der Druck aufdie Regierung muss auch von der Bevöl-kerung her kommen; sie muss mobilisiertwerden. Wenn eine Opposition das nichtbegreift, dann wird sie nicht viel erreichen.

Wie beurteilen Sie vom Podest des nicht mehraktiven Politikers aus das heutige innenpoliti-sche Geschehen?Mit einer gewissen Wehmut stelle ich fest,dass es Rückschläge gegeben hat. Ich mei-ne Rückschläge für die Demokratie unddamit für all das, was wir schon für immergesichert glaubten. Das Problem beganndamit, dass jene Generation weggestorbenist, die das Dritte Reich und den anschlie-ßenden Aufbau bewusst erlebt hatte. Vordem Hintergrund dieser bitteren Erfah-rung haben alle gewusst: Demokratenmüssen zusammenstehen.

Die Demokratie muss von Demokratenverteidigt werden. Das ist die Basis der Po-litik. Diesen Grundkonsens vermisse ichheute manchmal. Der politische Kampfsteht mir zu oft im Vordergrund. In der Po-litik darf man sich nicht nur gegenseitigbefetzen. Ich glaube auch, dass die Men-schen Konfrontation allein nicht habenwollen. Freilich wollen sie auch nicht Frie-de, Freude, Eierkuchen. Letztlich schätzensie eine sachliche Auseinandersetzung derParteien und nicht die persönlichen Be-schimpfungen und Herabsetzungen.

Volksbegehren und -entscheide als politische Instrumente 129

Volkmar Gabert: „Offensiv dieRegierungsmehrheit angreifen.“

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Die Worte Gaberts sollten sich bewahrheiten. DerLandtag lehnte die Initiative ab, die SPD startete mitUnterstützung von FDP und Bayernpartei ein letzt-lich erfolgreiches Volksbegehren und die CSU legteeinen eigenen Entwurf vor. Jetzt war es plötzlich derCSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, der eine inter-fraktionelle Lösung und damit eine Einigung mit derSPD anstrebte. Die Verhandlungen mit der CSUführten Volkmar Gabert, Hans-Jochen Vogel undHelmut Rothemund sehr erfolgreich. Sie konnten ihre Ansichten weitgehend durchsetzen. Der neu aus-gearbeitete Vorschlag wurde dem Volksentscheid als

dritte Alternative beigefügt. Am 7. Juli 1968 stimmteschließlich die Bevölkerung dem gemeinsamen Vor-schlag mit überragender Mehrheit zu und bewilligtedamit folgenden Schulartikel in Art. 135 der Bayeri-schen Verfassung:

„Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsameSchulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ih-nen werden die Schüler nach den Grundsätzen derchristlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen.[…]“

Dieser sozialdemokratische Triumph schürte bei derCSU offensichtlich die Angst vor weiteren „unliebsa-men“ Verfassungsänderungen und so versuchte sienoch im gleichen Jahr, das politische Mittel des Volks-entscheids ganz abzuschaffen. Aber die Sperrmino-rität der SPD im Landtag verhinderte, dass die ent-sprechende CSU-Initiative Rechtskraft erlangenkonnte.

Schulvolksbegehren: Die überwältigendeMehrheit sagt „Ja“

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Provisorische Abstimmungsmöglichkeit im VW-Bus

Mitarbeiterin Ingrid Burkert erhält von Dr. WilhelmHoegner die Anstecknadel zum Schulvolksbegehren.

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Ohne SPD keine vernünftigeSchulpolitik in Bayern

Das Thema Schule konnte und durfte allerdings nochlängst nicht ad acta gelegt werden. Erst mussten dieKirchenverträge den neuen Inhalten angepasst wer-den. Die evangelische Kirche stimmte relativ schnellzu. Die katholische Kirche sträubte sich jedoch zu-nächst gegen die Änderung des bayerischen Konkor-dats. In schwierigen Verhandlungen aller politischenParteien Bayerns mit dem päpst-lichen Nuntius Corrado Bafiledrängte die bayerische Seite ge-schlossen auf eine Aktualisierungder Kirchenvereinbarung. Docherst nach einer Denkpausestimmte der Vatikan schließlichzu, wohl auch, weil er sich nichtgegen die Mehrheit der bayeri-schen Katholiken stellen wollte.

Freilich blieb die Schulpolitikauch in den folgenden Jahren einHauptanliegen der SPD-Land-tagsfraktion, wenn auch nichtmehr an so exponierter Stelle. Einletzter großer Erfolg gelang ihrMitte der 70er Jahre, als dieStaatsregierung aus Spargründendie Lernmittelfreiheit aufhob undauch die Schulwegkosten nichtmehr vollständig ersetzen wollte:Zwei Jahre später, im Jahr 1977,musste die CSU jene Entschei-dung revidieren, um eine Nieder-lage in einem erneuten Volksbe-gehren zu verhindern.

Auch in der Gegenwart engagiert sich die SPD-Frak-tion nach wie vor für die Erweiterung und Verbesse-rung des Schulangebotes, beispielsweise durch dieGanztagsschule, um dem bayerischen Nachwuchsmöglichst gute Startbedingungen ins Leben bieten zukönnen.

Ohne SPD keine vernünftige Schulpolitik 131

Lange keine Selbstverständlichkeit in Bayern: kostenlose Schulbücher

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Erfolg in der Rundfunk- undMedienpolitik

Am Ende der 60er Jahre begannen mehr und mehrSendungen in Hörfunk und Fernsehen, sich mitrück ständigen konservativen gesellschaftspolitischenPositionen kritisch auseinander zu setzen. Diese Ent-wicklung war weiten Teilen der CSU ein Dorn im Auge. Daher versuchte sie zum einen, die Gremiendes Bayerischen Rundfunks nach ihrem Gusto zu be-setzen, zum anderen wollte sie den Privatfunk in Bay-ern einführen. Die SPD dagegen lehnte die beidenVorschläge rundweg ab. Da die CSU wegen der für1973 erwarteten Bundestagswahl die Änderungen vordem Ende der Wahlperiode des Rundfunkrates am

29. Februar 1972 unter Dach und Fach bringen woll-te, wurde das Gesetzgebungsverfahren in knapp sechsWochen im Parlament „durchgepeitscht“. VolkmarGabert fasste die Kritik der SPD am 22. Februar 1972in seiner Rede vor dem Plenum wie folgt zusammen:

„Die freie Information und die freie Meinungsbil-dung, die öffentliche Kritik und das Äußern allerMeinungen sind das Wesen der Demokratie. WasSie von der CSU vorhaben, ist ein Anschlag auf diejournalistische Freiheit, auf die Informationsfreiheitund auf die Meinungsfreiheit.“

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Die CSU will mehrEinfluss auf dasöffentlich-rechtlicheFernsehen. Die SPD kämpfterfolgreich gegen dieseBegehrlichkeit. Die CSU muss sich demVolkswillen beugen.

Demonstration für freie Presse und freien Rundfunk

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Dieser Kritik schlossen sich inseltener Einmütigkeit nahezualle gesellschaftlichen Grup -pen an. Ein breiter Konsenszeichnete sich ab, der von denKirchen bis zu den Gewerk-schaften reichte und der dieparteipolitische Unabhängig-keit des Rundfunks bewahrenwollte. Gabert gewann Ver-bände und einflussreiche Per-sönlichkeiten für die Mitwir-kung in einem so genannten„Bürgerkomitee Rundfunkfrei -heit“. Dieses sollte ein neuesVolksbegehren initiieren undso eine Verfassungsänderungherbeiführen. Mit großemAuf wand, besonders von Sei-ten der SPD, gelang die er-folgreiche Abhaltung desVolks begehrens und damit dieEinleitung eines entsprechen-den Volksentscheids. Nachdem die rechtlichen Be-denken der CSU wenig Gehör fanden und sie eineerneute Niederlage befürchtete, versuchte die Re-gierungspartei, einen Konsens mit dem Bürgerkomi-tee zu erreichen. In den darauf folgenden Verhand-lungen stimmte die CSU schließlich allen wesent-lichen Inhalten das Volksbegehrens zu. Demnach

■ sollten der Rundfunk in öffentlicherVerantwortung und in öffentlich-rechtlicherTrägerschaft verbleiben,

■ durften die Vertreter derStaatsorgane in denKontrollorganen desRundfunks nicht mehr alsein Drittel der Stimmeneinnehmen,

■ konnten die anderenGruppen ihre Abgesandtenselbst wählen und berufenund

■ blieben privateRundfunkanstaltenverboten.

Im Volksentscheid vom 8. Mai1973 wurde der gemeinsameVorschlag mit einer überragen-den Mehrheit von 87,1 Prozentangenommen.

Ein Jahrzehnt später, im No-vember 1984, führte das „Me-dienerprobungs- und Entwick-

lungsgesetz“ zu heftigen Kontroversen im Landtag.Unter der Aufsicht einer neu zu schaffenden „Bayeri-schen Landeszentrale für neue Medien“ sollten priva-te Programme über Breitbandkabel und Satellit ange-boten werden können. Im Landtag befürchtete derSPD-Abgeordnete Jürgen Böddrich den Einzug von„mehr Einseitigkeit und Seichtheit“. Trotz aller Ein-wände verabschiedete die CSU-Mehrheit dieses Gesetz. Daraufhin klagte die SPD beim BayerischenVerfassungsgerichtshof, der jedoch die Verfassungs -mäßig keit des neuen Medienrechts bestätigte.

Kontroversen um das„Medienerprobungs- undEntwicklungsgesetz“

Erfolg in der Rundfunk- und Medienpolitik 133

Kämpfer für Medienfreiheit: Jürgen Böddrich

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Der infolge dieses Gesetzes von der Staatsregierungpropagierte Ausbau privater Rundfunk- und Fernseh -anstalten machte München zu einem der größten Me-dienstandorte in Deutschland. Die SPD wandte sichdabei häufig gegen die allzu einseitige Abhängigkeitvon Medienmogul Leo Kirch – und sie sollte Rechtbehalten: Nachdem Kirchs Firmenimperium im April2002 unter einem Schuldenberg von über sechs Milli-

arden Euro zusammenbrach, stehtder bayerischen Medienlandschafteine umfangreiche Neuordnungnoch bevor. Dementsprechendsagte der FraktionsvorsitzendeFranz Maget am 9. April 2002 ineiner Sondersitzung des Bayeri-schen Landtages:

„Die Kirch-Pleite ist in der Tat dieFolge einer Kette unternehmeri-scher Fehlentscheidungen, beru-hend auf den eklatanten Fehlein-schätzungen des Marktes undgepaart mit einer zunehmendenHybris, die alle Warnungen –die es zuhauf gegeben hat – be-denkenlos in den Wind schlug.[…] Doch hier geht es um Ar-beitsplätze und um die beruflicheExistenz Tausender von Men-schen. Übrigens geht es auch umdie Existenz von vielen kleinenProduktionsgesellschaften, für diejetzt Lösungen gesucht und ge-funden werden müssen.“

Die bayerische SPD ist Vorreiter inNatur- und Umweltschutz

Ebenfalls Ende der 60er Jahre rückte langsam einProblemfeld ins Blickfeld der Menschen, das bishernoch kaum artikuliert und wahrgenommen wordenwar: der Umweltschutz. Ausgehend von internationa-len Entwicklungen vor allem in Schweden und in denUSA, die diesem Thema einen immer größerenStellenwert beimaßen, beschäftigte sich nun auchdie Politik in Deutschland mit ökologischen Ge-sichtspunkten. Eine Vorreiterrolle übernahm dabeidie bayerische SPD, die rasch den Schutz und die Be-wahrung einer intakten Umwelt als drängendes po-litisches Ziel erkannte.Als einer der Ersten hatte Wil-helm Hoegner die Bedeutung ei-ner intakten Landschaft für einehohe Lebensqualität erfasst unddieses Ziel schon Jahrzehnte vor-her in seinen Verfassungsentwurfaufgenommen. Seine Ansichtsetzte sich in der Verfassungge-benden Versammlung durch undwurde in Artikel 141 der Bayeri-schen Verfassung festgehalten:

„Absatz 2. Der deutsche Wald, kennzeichnendeOrts- und Landschaftsbilder und die einheimischenTier- und Pflanzenarten sind möglichst zu schonenund zu erhalten.Absatz 3. Der Genuß der Naturschönheiten unddie Erholung in der freien Natur, insbesondere dasBetreten von Wald und Bergweide, das Befahrender Gewässer und die Aneignung wildwachsenderWaldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermanngestattet. […]“

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

„Medienpark“ in Ismaning

Die SPD warnte voreinseitiger Abhängigkeit

von Leo Kirch

Früher Umwelt schützer:Wilhelm Hoegner

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Dieser Artikel war im damaligen Verfassungsrechteinzigartig und verpflichtete erstmals den Staat, sichfür eine unversehrte Umwelt einzusetzen. Der BundNaturschutz würdigte 1957 den besonderen Einsatzdes scheidenden Ministerpräsidenten für die Umwelt,Hoegner habe „die Interessen des Naturschutzes mitseltenem Verständnis vertreten“.

In den 60er Jahren hatte sich das Bemühen der SPDim Landtag zunächst darauf konzentriert, der Bevöl-kerung das freie Betreten der bayerischen Seeuferrechtlich zuzusichern. Hierbei war staatlichen Stel-len und Naturschutzverbänden ein Vorkaufsrecht fürGrundstücke an Seeufern zugedacht. Damit sollteverhindert werden, dass der Seezugang durch Pri-vatbesitz blockiert wird und so die Freizeit- und Er-holungsmöglichkeiten der breiten Bevölkerung ein-geschränkt werden. Die von Hoegner und Gabert ein -gebrachten Initiativen scheiterten jedoch allesamt ander CSU-Mehrheit im Landtag, zuletzt im Jahr 1970.

Es gelang dem Landtagsabgeordneten ReinholdKaub jedoch, dieses Thema von 1967 an in der Öf-fentlichkeit sehr bekannt zu machen und damit Druckauf die Regierung auszuüben. Damals wie heute„flüchteten“ bekanntlich viele „Hauptstädter“ an denWochenenden in das bayerische Oberland mit seinenvielen Seen und hatten daher ein großes Interesse andiesem Thema. Daher war Kaubs Einsatz für einenunbeschränkten Seeuferzugang vor allem im Münch-ner Raum sehr erfolgreich und trug ihm den Namen„Seeufer-Doktor“ ein.

Für das freie Betreten derbayerischen Seeufer!

Die bayerische SPD ist Vorreiter in Natur- und Umweltschutz 135

Jedermann soll freien Zugang zu den Ufern der oberbayerischen Seen haben: Dr. Reinhold Kaub, hier mit Manfred Schmidt (links), Vorsitzender der Landesgruppe,wird liebevoll der „Seeufer-Doktor“ genannt. Sein politisches Anliegen setzte er durch.

Sitzung der Landtagsfraktion 6. Wahlperiode in den 60erJahren

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Der Weg bis zum ersten bayerischen und damit auchzum ersten bundesdeutschen Naturschutzgesetz warjetzt nicht mehr weit. Den äußeren Anlass bildete dieAusrufung des ersten Europäischen Naturschutzjah-res durch den Europarat, das in Bayern am 19. März1970 mit einem Festakt in München eröffnet wurde.Pünktlich zu diesem Anlass hatten die drei SPD-Ab-geordneten Reinhold Kaub, Wilhelm Hoegner undGeorg Kronawitter am 17. März den Entwurf eines„Bayerischen Naturschutzgesetzes“ im Landtag ein-gereicht. Der Entwurf nahm Einflüsse und Anregun-gen von nationalen und internationalen Gremien,Kommissionen und Verbänden auf und setzte unteranderem folgende Schwerpunkte:

■ Schutz von Flora und Fauna sowie der kulturellenWerte der Landschaft

■ Erhaltung und nachhaltige Pflege vonNaturgütern und des Naturhaushalts

■ Rechtsgewähr auf Erholung in der Natur undGenuss der Naturschönheiten

■ Schaffung von Institutionen für Natur- undUmweltschutz sowie Mitwirkung von Kommunenund Verbänden in diesen Gremien

Innerhalb eines Monats reichten der Bund Natur-schutz unter seinem Vorsitzenden Hubert Weinzierlsowie die CSU weitere Gesetzesentwürfe ein. Sämt-liche Initiativen kamen jedoch nicht mehr zur Um-setzung, da Ende 1970 ein neuer Landtag gewähltwurde. Der wiedergewählte Ministerpräsident AlfonsGoppel trug der Bedeutung und Aktualität des Um-weltschutzes Rechnung, indem er dem neuen Landtagdie Schaffung eines neuen Ministeriums für Landes-

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Erholung am See nicht nur für Reiche

Georg Kronawitter – der spätere MünchnerOB arbeitet 1970zusammen mit WilhelmHoegner und ReinholdKaub an einem Entwurffür ein Natur schutz -gesetz.

Politik-Ziel: Schutz von Flora und Fauna

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entwicklung und Umweltfragen vorschlug. Für dieSPD befürworteten Volkmar Gabert und HelmutRothemund die Initiative und verwiesen auf die vonder SPD seit langem verfolgten Naturschutzakti-vitäten. Das Parlament genehmigte demgemäß dasneue Ministerium mit den Stimmen von SPD undCSU gegen die der FDP.

Jedoch fehlte noch ein entsprechendes Umwelt-schutzgesetz. Aus einer Vielzahl von Entwürfen vonSPD, CSU, Bund Naturschutz und Bayerischem Se-nat setzte sich der Entwurf der Staatsregierung durch.Nach einer mehr als einjährigen Beratungs- und Än-derungsphase wurde das Bayerische Naturschutzge-setz am 17. Juli 1973 verabschiedet. Obwohl die SPDeinige Punkte gerne nachgebessert hätte, waren die

wichtigsten Forderungen des ersten eigenen Ge-setzentwurfes verwirklicht worden. Daher konntedas Gesetz von der SPD grundsätzlich unterstütztwerden.

Im folgenden Jahrzehnt wurden Fragen rund um dieUmwelt und Umweltschäden zu einem immer wich-tigeren Thema der gesellschaftlichen Diskussion. AlsWegmarken seien hier nur die Ölkrise, der Bericht„Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, diedamals aufkommende Diskussion über die Nutzungder Atomkraft sowie das Waldsterben genannt.

Aufgrund innerparteilicher Widerstände unterließ esdie SPD jedoch, dieses Thema weiter als Meinungs-führer zu verfolgen.

Die bayerische SPD ist Vorreiter in Natur- und Umweltschutz 137

Hubert Weinzierl,langjähriger Vorsitzenderdes Bundes Naturschutz.2002 erhält er denWilhelm-Hoegner-Preisfür sein Umwelt-Engagement.

Ölkrise: Autofreier Sonntag auf der Münchner LudwigstraßeDas Waldsterben wird zum Umweltproblem

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Ende 1983 war es dann der Landes- und Fraktions-vorsitzende Helmut Rothemund, der dem Umwelt-schutz eine neue Bedeutungsebene geben wollte.Nach seinem Konzept sollte der Kampf gegen dasWaldsterben und für einen umfassenden Umwelt-schutz Verfassungsrang erhalten. Zu diesem Zwecklegte die SPD Anfang 1984 einen Entwurf für eineVerfassungsänderung vor und drohte der Regierungmit einem Volksbegehren. Trotz anfänglicher Ableh-nung erkannte die CSU mit Franz Josef Strauß an derSpitze die Brisanz des Themas. Doch wurde der ersteVerfassungsentwurf der SPD rundweg abgelehnt. DieKompromissbereitschaft der CSU wuchs erst, nach-dem die SPD tatsächlich erste Maßnahmen für einVolksbegehren eingeleitet hatte. In den nun folgen-den Verhandlungen setzte die SPD wichtige Forde-rungen durch.

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Der Umweltschutz erhält Verfassungsrang. Auch die Landwirtschaft wandelt sich.

Helmut Rothemund zieht Bilanz

Helmut Rothemund (Fraktionsvorsitzen-der der bayerischen SPD 1976 bis 1986)zog am 4. Dezember 1980 im Landtag dieBilanz einer Oppositionsarbeit, die vielesozialdemokratische Initiativen und Inhalteverwirklicht sah. Dabei kritisierte er, dassetliche sozialdemokratische Anregungen,Anträge und Gesetzentwürfe von derCSU-Mehrheit zunächst abgelehnt undspäter als eigene CSU-Vorschläge imLandtag umgesetzt wurden. Wörtlichsagte Rothemund:

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Die bayerische SPD ist Vorreiter in Natur- und Umweltschutz 139

„Ich weiß, dass Sie das verspätete Eingehenauf unsere Forderungen oder Ihre anfäng-lich immer ablehnende Haltung gegenüberunseren Anträgen – die Sie dann einigeJahre später als CSU-Anträge eingebrachthaben – mit der Begründung rechtfertigen,dass Sie sich auch durch uns nicht hindernlassen, klüger zu werden. Nun, wir wollenSie, meine sehr verehrten Damen undHerren von der CSU, nicht hindern, klügerzu werden. Auch für Sie gilt der Satz, dassman nur durch Schaden klug wird – aberleider nur in der Form, dass der Steuer-zahler und der Bürger dieses Landes denSchaden zu tragen haben.

Da es nötig zu sein scheint, Ihr Gedächtnisetwas aufzufrischen, bringe ich einige Bei-spiele:

■ Sie haben seinerzeit die von unsgeforderte allgemeine Röntgen reihen -untersuchung zur Bekämpfung der Tbcmit der Begründung abgelehnt, dies seiein Eingriff in die Persönlichkeit desMenschen,

■ Sie haben den Mütterpass abgelehnt,■ Sie haben die ein- und zweiklassigen

Dorfschulen verteidigt, als ginge es umdie Bewahrung bayerischer Kultur,

■ Sie waren gegen das 9. Schuljahr,■ Sie verteidigten mit aller Schärfe die

Konfessionsschule, als wären dieGrundlagen unseres christlichenAbendlandes in Gefahr,

■ selbstverständlich haben Sie zunächstein Naturschutzgesetz abgelehnt, weilkein Bedarf dafür vorhanden sei,

■ Sie haben das Landesplanungsgesetzverweigert, weil Sie eine Strangulierungder Wirtschaft erwarteten,

■ Sie verweigerten ein Feiertagsgesetz,■ Sie wollten eigentlich, wenn Sie ehrlich

sind, überhaupt keine Gebietsreformund

■ Sie erweckten den Eindruck, als könnein Bayern Bauer bleiben, wer da Bauerbleiben wolle.

Diese Aufzählung Ihrer Irrtümer, Fehlerund Dummheiten sind keineswegs Ihre ge-sammelten Werke; die Liste erhebt keinenAnspruch auf Vollständigkeit, im Gegen-teil, sie ist ein bescheidener Ausschnitt.

Ein Landespolitiker der CSU aus dem Jahr1957 und noch älteren Datumsmüsste eigentlich heute, wenn er zueiner selbstkritischen Bilanz fähigwäre, feststellen, dass alles, was ihmeinmal hoch und heilig war, für daser in den Wahlkämpfen gegen dieSozialdemokratische Partei auf dieBarrikaden ging, der Vergangenheitangehört: die einklassige Schule, dieBekenntnisschule, die Prügelstrafe,die Kleinstgemeinde und derKleinstlandkreis. Er müsste mitEntsetzen feststellen, dass es nichtnur eine Landesplanung gibt, die für

einen Wirtschaftsminister Schedl undselbst noch für einen MinisterpräsidentenGoppel die Inkarnation des Bösen war, son-dern auch noch ein Ministerium, das fürden Umweltschutz zuständig ist, für denman wenige Jahre zuvor noch nicht einmalein Gesetz für notwendig hielt. Alles Din-ge, meine verehrten Damen und Herren,die wir als Sozialdemokraten Jahre vorheroder Jahrzehnte zuvor forderten; alles Din-ge, die dazu ausreichten, uns des Gesetzes-perfektionismus zu verdächtigen, der Plan-wirtschaft, der Demontage des christlichenAbendlandes, der Zerstörung des Dorfesund der Familie und wie sonst noch IhreFormulierungen gelautet haben, die Ihnenimmer sehr reichlich zur Verfügung stan-den.

Nun, man freut sich über jeden reuigenSünder …“

Helmut Rothemund (l.) und Volkmar Gabert im Plenum

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DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Danach wurde der Staat verpflichtet, sich für denUmweltschutz einzusetzen, sorgsam mit denRessourcen umzugehen und auf den sparsamenUmgang mit Energie zu achten. Die Verfassungsän-derung trat in Kraft, nachdem sie der BayerischeLandtag am 5. April 1984 verabschiedet und einVolksentscheid sie am 17. Juni 1984 gebilligt hatte. Solautet Artikel 141 Absatz 1 der Bayerischen Verfas-sung jetzt wie folgt (Auszug):

„Es gehört auch zu den vorrangigen Aufgaben[…], Boden, Wasser und Luft als natürliche Le-bensgrundlage zu schützen, eingetretene Schäden

möglichst zu beheben oder auszugleichen und aufmöglichst sparsamen Umgang mit Energie zu ach-ten, […].“

Diesem Verfassungsziel fühlen sich die bayerischeSPD und insbesondere ihre Landtagsfraktion bisheute in immer stärkerem Maß verpflichtet. Das zeigtsich zum Beispiel an ihrem Kampf für einen umwelt-gerechten Ausbau der Donau bei Vilshofen, an ihremEinsatz für den Ausstieg aus der Kernenergie sowie ander konsequenten Unterstützung der Programme derBundesregierung für die Nutzung erneuerbarerEnergien.

Der Donau-Ausbau soll umweltgerecht erfolgen.

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Landesplanung und -entwicklung fürgleichwertige Lebenschancen

Die beiden Begriffe Landesplanung und Landesent-wicklung können im Wesentlichen auf ein politischesZiel verdichtet werden: die Schaffung gleichwertigerLebenschancen und Lebensbedingungen im Frei-staat.

Diesem Ziel sah sich die SPD stets verpflichtet, wie esschon in dem von der Viererkoalition 1957 verab-schiedeten Landesplanungsgesetz zum Ausdruck kam.Die Blockadehaltung der CSU verhinderte jedoch,dass SPD-Initiativen zu Landesplanung und -ent-wicklung umgesetzt werden konnten. So versuchtedie SPD-Fraktion bereits in den 60er Jahren mit ih-rem Fachmann und späteren Vorsitzenden HelmutRothemund immer wieder, die Entwicklung auf die-sen Politikfeldern voranzutreiben. Doch erst zumEnde des Jahrzehnts war die CSU in der Lage, sichdieser Herausforderung zu stellen und Reformeneinzuleiten. Diese stießen allerdings auf scharfenWiderstand der SPD, da die Partei weitergehendeNeuerungen und Modernisierungen der Verwal-tungsstrukturen in Bayern wünschte. Schließlichwurden die Landkreis- und Gemeindegebietsrefor-men zwischen1971 und 1979 lediglich mit Mehrheits-beschlüssen vom Landtag verabschiedet.

Neben der verwaltungsrechtlichen Ebe ne ist diestaatliche Wirtschaftspolitik die vielleicht wichtigsteKomponente für eine erfolgreiche Landesentwick-lung. Dabei steht ein Bündel von Maßnahmen zurVerfügung, das von infrastrukturellen Maßnahmenbis hin zu direkten Liquiditätshilfen reicht. Hier ge-lang es den CSU-Regierungen aufgrund der besserenWirkungsmöglichkeiten als Exekutive und ihrer gu-

ten Öffentlichkeitsarbeit regelmäßig, das Gesetz desHandelns an sich zu ziehen. Der Opposition, nament-lich der SPD-Fraktion, fiel es daher schwer, Erfolgefür sich verbuchen zu können. Der Tätigkeitsschwer-punkt der SPD lag meist im Einsatz für benachteilig-te Gebiete und Regionen sowie in der Verringerungder wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ballungs-räumen und ländlichem Raum. So engagierte sie sichbeispielsweise in den 60er Jahren für den danieder -liegenden oberbayerischen Kohlebergbau, später fürdie oberpfälzische Montan- und die unterfränkischeMaschinenbauindustrie. Doch auch ganze Bezirkewie zum Beispiel das krisengeschüttelte Oberfrankenstanden im Blickpunkt und es wurde versucht, dieAktivitäten der Staatsregierung auf diese Problembe-reiche zu lenken und die regionalen Ungleichge-wichte in Bayern endlich zu beseitigen.

Landesplanung und -entwicklung 141

Stahlkocher im ehemaligen oberpfälzischen Stahlwerk Maxhütte

Einsatz für benachteiligteLandesteile

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Untersuchungsausschüsse – einKontrollinstrument der Opposition

Nachdem Ende der 60er Jahre mit Hilfe von Volks-begehren wichtige sozialdemokratische Anliegen inBayern verwirklicht werden konnten, hoffte die baye-rische SPD auf eine Belohnung durch den Wähler.Zudem wollte man von der seit 1969 auf Bundes-ebene regierenden sozialliberalen Koalition unddem gesellschaftlichen Stimmungsumschwung inDeutschland profitieren. Diese Hoffnung schiensich zu erfüllen, als die SPD in Bayern bei den (vor-gezogenen) Bundestagswahlen im Jahr 1972 37,8 Pro-zent der Stimmen erhielt. Doch dieses hervorragendeErgebnis konnte später nicht bestätigt werden: Beider Landtagswahl 1974 fielen sechs Abgeordnetensit-ze weg, in München gingen alle elf Direktmandateder SPD aufgrund von parteiinternen Auseinander-setzungen, Generationskonflikten und Ideologiede-batten verloren.

Nachdem Helmut Rothemund 1976 den Fraktions-vorsitz von Volkmar Gabert übernommen hatte, lages nun an ihm, die Partei wieder in positiveres Lichtzu rücken. Mehrere große Anfragen wurden gestartet,Themen waren 1977 die Bevölkerungsentwicklungund die sich daraus ableitenden staatlichen Planun-gen, im Jahr darauf die Situation der Kinder in Bay-ern.

Parallel dazu belebte die SPD-Fraktion das Kontroll-mittel des Untersuchungsausschusses wieder. In denersten beiden Wahlperioden nach dem Krieg hattensich die Untersuchungsausschüsse schließlich alsaußerordentlich probates Mittel erwiesen, um Miss-stände an die Öffentlichkeit zu bringen und Verände-rungen herbeizuführen.

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Karl-Heinz Hiersemann – Vollblutpolitikeraus Bayern und für Bayern

In den 80er Jahren prägte Karl-HeinzHiersemann die bayerische SPD sehr maß-geblich, auch wenn ihm der politische Er-folg an den Wahlurnen versagt blieb. Der1944 in den Wirren des Weltkriegs inBreslau geborene Hiersemann wuchs inErlangen als Sohn des Geschäftsführersder Inneren Mission auf. Die Tätigkeit desVaters brachte ihn früh in Berührung mitden schwachen Mitgliedern der Gesell-schaft und sensibilisierte ihn für sozialeThemen. Die gesellschaftliche Umbruch-phase Ende der 60er Jahre versuchte er alsführendes Mitglied der Jungsozialisten im

GesellschaftlicherStimmungsumschwung

Helmut Rothemundbelebt das Kontrollmittel

Unter suchungs -ausschuss neu

Wahlplakat von Karl-Heinz Hiersemann

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143Kontrollinstrument Untersuchungsausschüsse

politischen Raum mitzugestalten. Nachdem Studium der Rechtswissenschaften,Geschichte und der Politischen Wissen-schaften ließ er sich 1972 als Anwalt in Er-langen nieder.

Seine politische Karriere machte in denfolgenden Jahren große Fortschritte. Sowar er von 1972 bis 1979 im ErlangerStadt rat vertreten. Als „bekennender 68er“schaffte er es schon 1974 in den Landtag.Rasch erarbeitete er sich in der Fraktiondurch sein rechtliches Fachwissen und seinrhetorisches Talent hohes Ansehen. Bereitsin der folgenden Legislaturperiode wurdeer – mit gerade mal 34 Jahren – zum stell-vertretenden Fraktionsvorsitzenden ge-wählt. Zusammen mit Helmut Rothe-mund strebte er einen Politikwechsel inBayern an. 1986 trat Hiersemann als SPD-Spitzenkandidat gegen den amtierendenMinisterpräsidenten Strauß an. In demdurch den Reaktorunfall in Tschernobylund die Diskussion um die atomareWiederaufbereitungsanlage in Wackers-dorf geprägten Wahlkampf gelang es Hier-semann nicht, sich in der Öffentlichkeit alsAlternative zu Strauß zu präsentieren, erverlor die Wahl deutlich. Verstärkt wurdedie Niederlage noch durch den Aufstiegder Grünen, die viele bisherige SPD-Wäh-ler für sich gewinnen konnten.

Trotz des Misserfolges wurde Hiersemannzum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Gegen die Minister-präsidenten Straußund Streibl setzte erim Landtag bei man-chem Rededuell Aus-rufezeichen für dieSPD.

Beflü gelt von denCSU-Ein bußen beiden vor her gehendenKom mu nal wah lenerhoffte sich die SPDim Herbst 1990, dieabsolute Mehr heit derRegierungspartei zubrechen, was nicht ge-lang: Die SPD erhieltnur 26 Prozent derStim men. Obwohl diese Niederlage sichernicht allein auf sein Konto ging, über nahmHirsemann die Verantwortung. 1992 über-gab er die Fraktionsführung an AlbertSchmid.

Der brillante Redner leitete in der Folge alszweiter Vizepräsident, ab 1994 als ersterVizepräsident des Bayerischen Landtagesdie Debatten im Haus. Federführend ar-beitete er von dieser Stelle aus an der Par-lamentsreform mit und brachte sein großesFachwissen in Rechts- und Verfassungsfra-gen ein. Viel zu früh, mit erst 53 Jahren,verstarb Hiersemann am 15. Juli 1998 nachlanger Krankheit in Erlangen.

In seinem politischen Wirken erwarb sichHiersemann hohes Ansehen über die Par-teigrenzen hinweg, da er trotz aller sach-lichen Gegnerschaft keine persönlicheFeindschaft entstehen ließ. Doch nicht nurim Parlament und im politischen Tagesge-schäft setzte er sich für die Menschen ein.So half er auch Opfern des Faschismus,kümmerte sich um die ehemaligen Häftlin-ge des Konzentrationslagers in Dachauund unterstützte deren Anliegen. Diesesumfassende Verantwortungsbewusstseinfür die Staatsgemeinschaft und die Gesell-schaft zeichnete Karl-Heinz Hiersemannstets aus – er war ein Vollblutpolitiker imbesten Sinne des Wortes.

Begnadeter Redner: Karl-Heinz Hiersemann

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Die skandalösen Vorgänge im Umfeld der Spiel -bankenaffäre 1957 (siehe Kapitel 4) und dem dazuge-hörigen Ausschuss hatten dieses Instrument für zweiJahrzehnte nahezu vollständig von der parlamentari-schen Bild fläche Bayerns verschwinden lassen. Es istdas Verdienst von Helmut Rothemund, den Unter -suchungsausschuss als parlamentarische Kontrollin-stanz erneut etabliert zu haben. Immer wieder nahmdie SPD in den folgenden Jahren Missstände, unkor-rektes Handeln sowie mangelnde Transparenz bei derPolitik der Staatsregierung zum Anlass, um Ermitt-lungen zu starten.

Unter anderem wurde am 27. Januar 1977 auf Antragder SPD ein Untersuchungsausschuss zur Prüfungder Parteispenden des bankrotten TextilkonzernsGlöggler eingesetzt. Die SPD beteiligte sich jedoch

nicht an der diesbezüglichen Abstimmung im Land-tag, da die CSU-Mehrheit eigenmächtig den Unter-suchungsauftrag geändert hatte. Helmut Rothemundkündigte daraufhin die Anrufung des BayerischenVerfassungsgerichtshofes an, der dieses Vorgehenprüfen sollte. Die Ausschussarbeit selbst dauerte mehrals ein Jahr und brachte für die SPD ein unbefriedi-gendes Ergebnis und keine Aufklärung, da die CSU-Mehrheit häufig aus Sicht der SPD vielversprechendeAnträge blockierte.

Vor dem Verfassungsgerichtshof errang die SPD danneinen Teilerfolg: Die Änderungen eines Unter -suchungsauftrags dürften nur vorgenommen werden,„wenn der verbleibende Teil des Untersuchungsan-trages selbständige Bedeutung behält und das Unter-suchungsziel nicht im Kern verändert wird“. Zudemlegte das Gericht vier Merkmale fest, die bei der Ein-setzung von parlamentarischen Untersuchungsaus-schüssen berücksichtigt werden müssen:

1. Die Untersuchungstatbestände müssen in derZuständigkeit des Landtags liegen.

2. Der Antrag muss hinreichend bestimmt undkonkret formuliert sein.

3. Die Untersuchung muss im öffentlichen Interesse liegen.

4. Der Untersuchungsausschuss muss einenzulässigen Beschluss des Landtags vorbereiten.

In den folgenden Legislaturperioden gab es stets ei-nige Untersuchungsausschüsse, die fast ausnahmslosvon der Opposition im Bayrischen Landtag beantragtworden waren.

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Stabwechsel: 1976 übernimmt Helmut Rothemund (r.) vonVolkmar Gabert den Fraktionsvorsitz.

Parteispenden imZwielicht

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Die SPD kämpfte erfolgreich gegen dieWAA in Wackersdorf

Einer der wichtigsten Untersuchungsausschüsse imLandtag beschäftigte sich mit dem Thema „Wieder-aufbereitungsanlage Wackersdorf“. Im Februar 1985beschloss die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufar-beitung von Kernbrennstoffen (DWK), das oberpfäl-zische Wackersdorf zum Standort für die deutscheatomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) zu ma-chen. Im Gegensatz zur Staatsregierung lehnte dieLandtags-SPD die atomare Wiederaufarbeitung als„ökonomisch unsinnig und ökologisch gefährlich“ ab.Auf Wunsch der SPD sollte wenigstens eine Enquete-kommission oder ein Untersuchungsausschuss diesesProjekt parlamentarisch begleiten. Dies wurde vonder Landtagsmehrheit als verfassungswidrig abge-lehnt. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hieltdas Vorgehen der CSU-Mehrheit mit knapper Mehr-heit für rechtmäßig, lediglich einige der ursprünglich17 zu bearbeitenden Fragen seien zulässig. Grund-sätzlich stellte das Gericht fest, dass Untersuchungs-ausschüsse die Exekutive nicht begleitend oder vor-beugend, sondern erst nachträglich kontrollierendürften.

Schließlich kam am 11. Dezember 1985 doch noch einUntersuchungsausschuss zustande, mit den vom Ge-richt erlaubten Fragen. Diese beschäftigten sich unteranderem mit der Auswirkung der atomaren Wieder-aufarbeitung auf die Strompreise, mit dem Einsatzeinheimischer Arbeitskräfte sowie mit den Verpflich-tungen des Freistaats gegenüber der DWK.

Auch außerhalb des Parlaments beteiligte sich dieSPD am Protest gegen das Großprojekt. So war sieMitorganisatorin der Großdemonstration am Oster-

Die SPD kämpfte erfolgreich gegen die WAA in Wackersdorf 145

Demonstrationen gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf

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montag 1986 am Bauzaun des WAA-Geländes in Wa-ckersdorf, was ihr im Landtag heftige Kritik von Sei-ten der Staatsregierung und der CSU einbrachte.Doch nur wenige Wochen später musste die Diskus-sion über die Kernkraft vor einem anderen Hinter-grund geführt werden: Der Reaktorunfall im sowjeti-schen Tschernobyl am 26. April 1986 und die wenigspäter auch nach Bayern ziehende radioaktive Wolkemachten jedem Menschen bewusst, wie gefährlich dieNutzung der Atomenergie sein konnte. Die SPD zogumgehend die Konsequenzen. Nur knapp drei Wo-chen nach dem Unfall forderte der Fraktionsvorsit-zende Karl-Heinz Hiersemann im Landtag den ge-ordneten Ausstieg innerhalb von zehn Jahren. Dieendgültige Kehrtwendung in Sachen friedliche Nut-zung der Atomkraft vollzog die Partei mit ihrer„Augsburger Erklärung“, in der es wörtlich heißt:

„Auch wir Sozialdemokraten haben auf die fried -liche Nutzung der Kernenergie gesetzt. Dazu be-kennen wir uns. Aber wir sind lernfähig. Wir ha-ben die Kraft zur Umkehr, wenn sich ein Weg alsfalsch erweist.“

In der Tat hatte die bayerische SPD den Auf- undAusbau der Energiegewinnung durch Kernkraft nachKräften unterstützt. Erinnert sei hier an den Bau desGarchinger Forschungsreaktors („Atom-Ei“), der sei-nerzeit durch Ministerpräsident Hoegner eingeweihtworden war. Auch in den darauf folgenden Jahren hat-te man den Neubau von Atomkraftwerken befürwor-tet. In den 70er Jahren setzte aber ein Umdenkprozessein, der die Gefahren der Atomenergiegewinnungneu zu bewerten suchte. Die Landtagsfraktion mit

Helmut Rothemund und Hans Kolo an der Spitzenahm zu diesem Thema eine insgesamt kritischeDistanz ein. Bereits 1981 hatte sich der Fraktions-vorsitzende mahnend und prophetisch an seinenVorredner im Landtag gewandt: „Wenn sich dieKernenergie eines Tages als Gefahr herausstellt undes zum größten anzunehmenden Unfall kommt,dann möchte ich wissen, was Sie danach sagen …“

Die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackers-dorf wurde aufgrund des gesellschaftlichen und po-litischen Drucks nicht mehr gebaut, das offizielleProjektende kam 1989. Den geordneten Ausstieg ausder Kernenergie schaffte erst die rot-grüne Bundesre-gierung mit einem Übergangszeitraum von 30 Jahren.

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Die SPD-Fraktion steht für die konsequente Förderungerneuerbarer Energien.

Warnt vor den Gefahrender Atomkraft: HansKolo

Umkehr beim ThemaKernenergie

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Gegen Amigosysteme und Filz –Aufklärungsarbeit im Landtag

Trotz des Todes ihrer Galionsfigur Franz Josef Strauß1988 konnte die CSU zwei Jahre später die Wahlenüberlegen gewinnen, die bayerische SPD hingegenmusste ihr bis dahin schlechtestes Nachkriegsergebnishinnehmen. 1992 wurde Albert Schmid zum Frak-tionsvorsitzenden gewählt. Schmid war zu diesemZeitpunkt bereits ein erfahrener Mann der Exekutive:Mit 28 Jahren war er in Regensburg zweiter Bürger-meister geworden, mit 32 wurde er jüngster Staatsse-kretär im Bundesbauministerium. Dieses Amt hatteSchmid von 1978 bis 1982 inne. 1990 kandidierte erfür den Bayerischen Landtag, wo er sich schnell in derFraktion behauptete. Der allseits anerkannte glänzen-de Administrator hat der Fraktion neues Selbstbe-wusstsein gegeben. Zu den bleibenden strukturellenVeränderungen, die Schmid eingeführt hat, gehörendie Regionalkonferenzen, zunächst auf Bezirks-, spä-ter auf Landkreisebene, sowie die Treffpunktarbeit imLandtag. Die verschiedensten gesellschaftlichenGruppen und Verbände folgten seiner Einladung zumDialog im Landtag. Als Oppositionsführer war er einwirkungsvoller, weil sachlich argumentierender Geg-ner der CSU.

Das scheinbar so glänzende Bild der CSU in Bayernerhielt in den folgenden Jahren merkliche Kratzer.1993 und 1994 deckte die Presse ein System der Ge-fälligkeitswirtschaft auf, in das führende CSU-Politi-ker verwickelt waren. Mehrere Untersuchungsaus-schüsse sollten eine umfassende parlamentarischeAufklärung leisten. Als Konsequenz musste am 27. Mai 1993 Ministerpräsident Max Streibl zurück-treten, der sich unter anderem vom UnternehmerBurkhart Grob zum Urlaub einladen ließ. Dies war

Gegen Amigosysteme und Filz – Aufklärungsarbeit im Landtag 147

Peter Paul Gantzer, stellvertretender Vorsitzender des LWS-Untersuchungsausschusses, mit Franz Maget (r.), seitSeptember 2000 Fraktionsvorsitzender

Albert Schmid: alsOppositionsführerein sachlichargumentieren derGegner

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aber nur die Spitze des Eisbergs. So war der damaligeMünchner CSU-Vorsitzende und UmweltministerPeter Gauweiler gleich in zwei Affären – die „Kanzlei-Affäre“ und die „Spelunken-Affäre“ – verstrickt, inderen Folge er die Münchner Oberbürgermeister-wahl gegen Christian Ude verlor und trotz anfäng-licher Rückendeckung durch den Landtag am 24. Fe-bruar 1994 von seinem Ministeramt zurücktreten

musste. In einer dritten Affärewar der stellvertretende CSU-Vorsitzende und ehemalige Fi-nanzminister Gerold Tandlerdie Schlüsselfigur. Tandler h a t te1990 als Minister dem „Bäder-könig“ Eduard Zwick gegen ei-ne Abschlagszahlung von 8,3Millionen DM die Erledigungseiner Steuerschulden von 63Millionen DM gewährt. Pikantwar dabei, dass diese Maßnahmeanscheinend noch auf die Ein-flussnahme von Strauß zu -rückging und der Minister vonZwick ein Darlehen bekommenhatte. Tandler trat daraufhinvon seinem Amt zurück.

Diese beispiellose Aneinander-reihung von Skandalen und Vet-ternwirtschaft wurde durch dieArbeit der Untersuchungsaus-

schüsse aufgedeckt, die Hintergründe des „Amigosys-tems“ konnten konkretisiert und die Anschuldigun-gen gesichert werden.

Modernisierung des politischenSystems in Bayern

Nach all diesen Skandalen hoffte die SPD 1994 mitihrer neuen Spitzenkandidatin Renate Schmidt ausdem Tief herauszukommen und die absolute Mehr-heit der CSU brechen zu können. Doch bei denWahlen gelang der SPD nur ein Achtungserfolg –die Partei kam wieder auf 30 Prozent – und Mi nis -ter präsident Edmund Stoiber wurde in seinem Amtbestätigt.

Aufdeckung des„Amigosystems“

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Eine SPD-Frau für Bayern: Renate Schmidt

Christian Ude

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Die Landesvorsitzende Renate Schmidt löste nunim Landtag Albert Schmid an der Fraktionsspitze abund übernahm damit die exponierte Stellung alsOppositionsführerin im Landtag. Von 1994 bis 1995hatten beide in einer Doppelspitze zusammengear-beitet. Infolge guter Arbeit und ihrer großen Popu-larität konnte Renate Schmidt das Ansehen der SPDin Bayern stärken und als stellvertretende SPD-Bundes vorsitzende das bayerische Gewicht inner-halb der Bun despartei erhöhen.

Mitte der 90er Jahre starteten von verschiedenenSeiten aus Projekte, durch die die politische Land-schaft in Bayern relativ stark verändert wurde. Zu-nächst initiierte eine Bürgerinitiative das Volksbe-gehren „Mehr Demokratie in Bayern“, mit dem derkommunale Volksentscheid eingeführt werden sollte.Er hatte unter anderem das Ziel, dass

„die Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde so-wie eines Landkreises über bestimmte Angelegen-heiten selber entscheiden können. An Stelle desGemeinderates oder des Kreistages stimmen imEinzelfall die Bürgerinnen und Bürger selber ab.“

Die SPD unterstützte zu Beginn dieses Vorhaben,nahm es doch alte Vorstellungen Wilhelm Hoegnersaus dem Jahr 1951 wieder auf. Doch bald wurden auchablehnende Stimmen laut, die Einschränkungen fürdie Kommunalpolitik befürchteten. Nachdem derVolksentscheid am 1. Oktober 1995 angenommenworden war, relativierte der Bayerische Verfassungs-gerichtshof am 29. August 1997 wesentliche Inhaltedes Entscheids und beauftragte den Gesetzgeber, diekritisierten Bestimmungen bis Anfang 2000 zu aktua-lisieren.

Zum bisher wohl bekanntesten kommunalen Volks-entscheid in Bayern kam es 1996 in München. DieLandeshauptstadt musste in ihrem ersten Bürgerent-scheid über den Bau von drei Tunnels am MittlerenRing abstimmen. Bei einer geringen Wahlbeteili-gung von 32 Prozent entschieden sich die Münchnermit knapper Mehrheit für den Neubau der Tunnel,deren Erster im Juli 2002 für den Verkehr freigege-ben wurde.

Einschränkungen derKommunalpolitik durchVolksentscheide?

149

Die Fraktionsvorsitzende Renate Schmidt bei einerPlenardebatte

Modernisierung des politischen Systems in Bayern

Erster Bürgerentscheid in München

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Am 8. Februar 1998 fanden zwei weitere Volks -entscheide statt. Zum einen ging es um die Abschaf-fung des Senats, zum anderen um die Modernisierungder Verfassung. Das Volksbegehren „Schlanker Staatohne Senat“ brachte eine schon länger schwelendeModernisierungsdebatte um den Bayerischen Senatin die Öffentlichkeit. Die Landtags-SPD hatte ver -geb lich versucht, die CSU und den Bayerischen Senatzu einer effektiven Modernisierung zu bewegen, spä-ter forderte sie im Parlament dann die Auflösung desSenats. Schließlich entschied sich die SPD, das Volks-begehren mitzutragen. Mit dieser Unterstützung er-reichte der Volksentscheid eine Zustimmung von 73,9Prozent.

Im zweiten Volksentscheid konnte die Bevölkerungüber die von SPD und CSU gemeinsam ausgearbeite-te und getragene Verfassungsreform abstimmen. Mitderen Annahme wurden einige von der SPD lange

vertretene Forderungen verwirklicht und zudemlängst überholte Verfassungspassagen gestrichen. DerRechts- und Verfassungsexperte Klaus Hahnzog hathier für die SPD wesentliche Fortschritte erzielt. Zu-gleich wirkten sich viele der Änderungen positiv aufdie Landtagsarbeit aus, sie stärkten die Position desLandtags im Allgemeinen und die der Opposition imBesonderen. Die Verbesserungen im Einzelnen:

■ Die Gleichberechtigung von Landtagsmehrheitund parlamentarischer Opposition wird in derVerfassung herausgestellt.

■ Das Untersuchungsausschussrecht, also daswichtigste Recht der Oppositionsfraktionen, wirddadurch verbessert, dass in Zukunft der Vorsitz ineinem Untersuchungsausschuss unter denFraktionen wechselt und Beweisanträge derMinderheit von der Mehrheitsfraktion nicht mehrso leicht abgelehnt werden können.

■ Auch eine parlamentarische Minderheit kannverlangen, dass eine Enquetekommissioneingerichtet wird.

■ Das Petitionsrecht wird verbessert. Mit stärkerenAufklärungsmöglichkeiten der Abgeordneten wirddas Recht des einzelnen Bürgers, sich mit Bittenoder Beschwerden an den Landtag zu wenden,entschieden gestärkt.

■ Der Präsident des Obersten Rechnungshofes inBayern und der Landesbeauftragte fürDatenschutz werden vom Landtag gewählt.Letzterer ist beim Parlament angesiedelt.

■ Die kommunalen Spitzenverbände werden beiGesetzen oder Rechtsverordnungen zuAngelegenheiten, die Gemeinden oderGemeindeverbände berühren, angehört.

Annahme derVerfassungsreform

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Ergebnis eines Bürgerentscheids: Die Allianz-Arena, hier im Modell

Volksbegehren„Schlanker Staat ohne

Senat“

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■ Die Wahlperiode wird von vier auf fünf Jahreverlängert. Dies bedeutet mehr Kontinuität undhöhere Effizienz der parlamentarischen Arbeit.

Die SPD-Landtagsfraktion um Franz Maget, derRenate Schmidt im September 2000 im Fraktions-vorsitz folgte, verfügte damit über einige sehrwichtige Instrumente. Mit dem parlamentarischenGeschäftsführer Harald Güller übernahm im„Schreiber-Untersuchungsausschuss“ erstmals einOppositionsabgeordneter den Vorsitz in einemUn ter suchungsausschuss. Dieser Ausschuss prüfte,ob in den verschiedenen Ermittlungsverfahren imBestechungs- und Korruptionsskandal um Karl-Heinz Schreiber und die Familie Strauß die Regie-rungsmitglieder oder nachgeordnete Verwaltungs-angehörige Einfluss auf die staatsanwaltschaftliche

Arbeit genommen hatten. Der im Juli 2002 vorge-legte Abschlussbericht verneinte mehrheitlich jeneVorwürfe. Die Minderheitenansicht von SPD undGrünen, auch die des Ausschussvorsitzenden, konn-te dagegen Behinderungen und Beeinflussungen derbayerischen Justiz durch die CSU-Staatsregierungbelegen.

Um weiter eine konstruktive Arbeit leisten und dieExekutive effektiv überwachen zu können, sollte dieaus SPD undGrünenbestehende Land tagsoppositionneben den Untersuchungsausschüssen auch alle an-deren parlamentarischen und von der Verfassungvorgesehenen Kontrollinstrumente sinnvoll einset-zen. So kann dem bayerischen Wähler die SPD alsRegierungsalternative nahe gebracht und eine Re-gierungsbeteiligung schließlich möglich werden.

Gefragt: sinnvollerEinsatz derKontrollinstrumente

Modernisierung des politischen Systems in Bayern 151

Im September 2000 übernahm Franz Maget den Fraktionsvorsitz von Renate Schmidt.

Mit Harald Güller wird erstmals einOppositions abge -ordneter Vorsitzender ineinem Untersuchungs -ausschuss.

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Für ein wirtschaftlich starkes undsoziales Bayern

Der soziale Ausgleich in Bayern ist seit Beginn derparlamentarischen Arbeit ein zentrales Anliegen derArbeit der Sozialdemokraten im Landtag. Mit demvon der SPD-Fraktion Mitte der 90er Jahre eingefor-derten Bericht zur sozialen Lage in Bayern wurdengravierende Defizite deutlich. Nicht alle Bevölke-rungsgruppen konnten auch nur annähernd an derallgemeinen Wohlstandsentwicklung im Land teil-haben. Erschütternd im reichen Bundesland Bayernwaren vor allem die Ergebnisse zur Armut der Be-völkerung: Danach lebten 1998 in 9,3 Prozent derHaushalte Personen in „relativer Einkommensar-mut“, 5,3 Prozent in „strenger Armut“ und weitere4,8 Prozent in „Armutsnähe“. Deutlich gewachsenist auch die Zahl der über-schuldeten Haushalte, nichtnur von Arbeitslosen, sondernauch von Arbeitnehmern. Pa-rallel dazu ist es den Betroffe-nen immer weniger möglich, inBeratungsstellen qualifizierteHil festellung zu erhalten.

Besonders bedenklich erscheintder Anstieg der am stärkstenvon Sozialhilfe abhängigenBevölkerungsgruppe: Es sinddie Kinder bis zu 14 Jahren –mit gravierenden Folgen fürihre Chancen auf eine guteSchul- und Berufsausbildung.Acht Prozent der Schüler einesJahrgangs verließen die Schuleohne jeden Abschluss. Die

SPD-Landtagsfraktion wies auch auf die seit Beginnder 90er Jahre wachsende Arbeitslosigkeit hin undforderte Initiativen für den Beschäftigungsmarkt.Sie konnte aufzeigen, dass es der Staatsregierungimmer weniger gelingt, die sozialen und regionalenUnterschiede in Bayern auszugleichen.

In den letzten Jahren hat die SPD-Landtagsfraktionverstärkt den Dialog mit den Mittelstands- undHandwerksbetrieben in Bayern gesucht. Bei zahl-reichen Firmenbesuchen konnten sich Abgeordneteein Bild von der Arbeit der Betriebe machen und de-ren Fragen und Anliegen bei der parlamentarischenArbeit berücksichtigen. Seit 1998 verleiht die SPD-

Es gilt den sozialenAusgleich in Bayern zu

verbessern

Die Landtagsfraktionfordert Initiativen für den

Beschäftigungsmarkt

DIE SPD UND DIE MODERNISIERUNG BAYERNS, 1962–2003

Konstituierende Sitzung für die 14. Wahlperiode 1998–2003

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Landtagsfraktion auch einen Unternehmerpreis.Geehrt werden verantwortungsbewusste Unterneh-mer oder Manager, die sich in besonderer Weise fürdie Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzenverdient gemacht haben. Ebenso wie zu den Mittel-standsunternehmen hält die SPD-LandtagsfraktionKontakt zu großen Unternehmen und Konzernen wiebeispielsweise Siemens, BMW, Audi oder MAN Ro-land. Ziel ist die Stärkung des WirtschaftsstandortesBayern, der sich in einem starken Wettbewerb be-findet.

Angesichts einer gut ausgebildeten Frauengeneration,die Kinder und Beruf miteinander verbinden will,setzt sich die SPD-Landtagsfraktion nachhaltig fürdie Verbesserung der Kinderbetreuung ein. Schwer-punkte des Bedarfs sind Krippenplätze und dieNachmittagsbetreuung von Schulkindern. Aus päda-gogischen Gründen und um die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf zu erleichtern, begann die SPD-Landtagsfraktion unter Franz Maget eine Kampagnezur Förderung der Ganztagsschule. Auch damit sollKindern aus allen gesellschaftlichen Schichten einefür sie optimale Schulbildung ermöglicht werden.

In der Frage des bayerischen Sonderwegs bei derGesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen stelltesich die SPD-Landtagsfraktion 1996 uneingeschränktauf die Seite der Frauen. Sie hielt die im Schwan-gerenberatungsgesetz von der Staats regierungvorgesehene Entmündigung der Frauen für nichthinnehmbar und forderte die ergebnisoffene Bera-tung und die Anwendung der Bundesgesetze auch inBayern. Mit einer Reihe von Anträgen verfocht die

SPD-Landtagsfraktion das Recht auf eine flächen-deckende und unabhängige Hilfe für schwangereFrauen in Konfliktsituationen.

Als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht diebaye rische SPD den Einsatz für gleichwertige Le-bensbedingungen für Menschen mit und ohne Be-hinderung. Als erste Landtagsfraktion legte die SPDeinen Gesetzentwurf vor, um das in der BayerischenVerfassung verankerte Gleichstellungsgebot unddamit, wo immer dies möglich ist, die Integrationbehinderter Schüler in die Regelschule wirkungs-voll umzusetzen.

Für ein wirtschaftlich starkes und soziales Bayern 153

Blick auf die Westfassade des Maximilianeums

Der Unternehmerpreisder SPD-Landtags -fraktion wird an Firmenverliehen, die sich inbesonderer Weise umden Erhalt vonArbeitsplätzen verdientgemacht haben

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Arbeitenfür Bayern

Hohlmeier und Landesbank: SPD mit Untersuchungsausschüssen CSU-Skandalen auf der Spur

BayernLB: Mit Stoibers Großmannssucht knapp an der Pleite vorbei

Resonanzstudien-Affäre der Staatsregierung:Die CSU macht sich den Staat zur Beute

Für ein soziales Bayern: Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein

Kostenfreie Bildung für alle – Kampf gegenStudiengebühren

Herzensanliegen: Für erneuerbare Energien undgegen Atomkraft

Kräfte bündeln – Schwerpunkte setzen im Freistaat

Integration – die Weichen für die Zukunft stellen

SPD-Spitzenkandidat aus dem Münchner Rathaus:Christian Ude motiviert die SPD

VI Arbeiten für Bayern – Die SPD-Landtagsfraktion von 2003 bis 2013

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Die Jahre 2003 bis 2013 im Überblick

Das Jahrzehnt zwischen 2003 und 2013 hat das poli -tische Bayern grundlegend verändert. Eine CSU-Allein regierung, die es so viele Jahrzehnte gegebenhatte, war nicht mehr selbstverständlich – das ergabdie Landtagswahl 2008. Feierten sich die Christso-zialen 2003 noch für das Erreichen der Zwei-Drittel-Mehrheit, stürzten sie fünf Jahre später historischeinzigartig ab. Am Ende stand ein demokratischerer,bunterer Bayerischer Landtag mit fünf Fraktionen:CSU, SPD, Freie Wähler, Grüne und FDP.

Bei der Wahl am 21. September 2003 erreichte die CSUmit ihrem Spitzenkandidaten Edmund Stoiber 60,7Prozent, 2008 büßten die Christsozialen mit GüntherBeckstein an der Spitze 17,3 Prozent ein und verlorendamit die absolute Mehrheit, die sie seit 1962 inne-hatten. Zum Ministerpräsidenten wurde am 27. Okto -ber 2008 Horst Seehofer gewählt, nachdem sichGünther Beckstein in der CSU nicht durchsetzte.

Die SPD konnte vom CSU-Debakel nicht profitie-ren: 2003 erreichte sie mit dem SpitzenkandidatenFranz Maget 19,6 Prozent, fünf Jahre später stimmten18,6 Prozent der wahlberechtigten Bayern für die So-zialdemokraten. Der Wahlkampf 2003 stand unterbundespolitischen Vorzeichen, der Streit um dieAgenda 2010 spaltete die SPD auch im Freistaat. UndEdmund Stoiber profitierte noch von seiner Kanzler-kandidatur 2002.

2008 erweiterte sich das politische Spektrum im Frei-staat. Die FDP erstarkte und zog mit 8 Prozent erneutin den Landtag ein. Die Freien Wähler schafftenerstmals den Sprung ins Münchner Maximilianeum.Die Linke, die zum ersten Mal bei einer bayerischen

Landtagswahl antrat, erreichte nur 4,4 Prozent, dochdiese Stimmen fehlten der SPD. Für den SPD-Spit-zenkandidaten Franz Maget persönlich aber war dasWahlergebnis spitzenmäßig: Er errang zum viertenMal das Direktmandat im Münchner Norden.

Mit dem Wahlergebnis vom 15. September 2013 er-reichte die SPD in Bayern mit dem Spitzenkandida-ten, dem Münchner Oberbürgermeister ChristianUde, einen Zuwachs von zwei Prozentpunkten, ver-fehlte jedoch das Ziel einer Koalitionsregierung. DieWunschpartner Grüne und Freie Wähler verlorenbeide. Am Ende zog die CSU mit einer absolutenMehrheit von 47,7 Prozent wieder in den Landtag einund konnte unter Horst Seehofer eine neue Regie-rung bilden. Die CSU konnte von ihren massivenVerlusten von 17,3 Prozent 2008 lediglich 4,3 Prozentaufholen.

VI ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

SPD-Spitzenkandidat Franz Maget 2008 vor seinemWahlkampfbus.

Das Ende der CSU-Alleinregierung 2008

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Die Jahre 2003 bis 2013 im Überblick. 157

Der neue Fraktionsvorstand nach der Wahl 2003: Karin Radermacher, Johanna Werner-Muggendorfer, Franz Maget,Susann Biedefeld und Prof. Dr. Peter Paul Gantzer (von links).

Neuaufstellung nach der Wahl 2003

Die SPD-Landtagsfraktion nahm nach der Landtags-wahl 2003 ihre Rolle als führende Kraft in der Oppo-sition zügig an. Die Fraktion zählte nun 41 Mitglie-der, die Franz Maget als Fraktionsvorsitzenden bestä-tigten. Dem geschäftsführenden Vorstand gehörten

an: Prof. Dr. Peter Paul Gantzer, der das Amt desLandtagsvizepräsidenten von Helmut Ritzer über-nahm, stellvertretende Vorsitzende wurden SusannBiedefeld, Johanna Werner-Muggendorfer und KarinRadermacher. Harald Güller, vorher parlamentari-scher Geschäftsführer, arbeitete weiter als angestellterGeschäftsführer.

Geschäftsführender Fraktionsvorstand 2008

Bei der Landtagswahl 2008 erreichte die SPD 18,6Prozent, die Fraktion zählte 39 Abgeordnete. FranzMaget wurde mit 92,2 Prozent eindrucksvoll als Frak-tionsvorsitzender bestätigt. Dem Fraktionsvorstandgehörten weiter an: Prof. Peter Paul Gantzer als

Land tagsvizepräsident, zu Stellvertretern wurden Dr.Thomas Beyer, Johanna Werner-Muggendorfer undChrista Naaß gewählt. Harald Güller übernahm wie-der das Amt des parlamentarischen Geschäftsführers.

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Hohlmeier und Landesbank: SPD mit UntersuchungsausschüssenCSU-Skandalen auf der Spur

Die schärfste Waffe der Opposition im BayerischenLand tag sind die Untersuchungsausschüsse. Sie deckenFehlverhalten im staatlichen Bereich auf und tragenmaßgeblich dazu bei, solches in Zukunft zu verhin-dern. Zwischen 2003 und 2013 wurden auf SPD-Ini -tia tive so viele Untersuchungsausschüsse zu Affärenund Skandalen beschlossen wie nie zuvor:

Der sogenannte Hohlmeier-Untersuchungsausschuss,der im Dezember 2004 zum ersten Mal tagte und indem sich herausstellte, dass die damalige Kultusminis-terin und Tochter des früheren MinisterpräsidentenFranz-Josef Strauß in eine CSU-Affäre verstrickt warund von Urkundenfälschungen und -unterdrückungenKenntnis hatte. Monika Hohlmeier musste daraufhinzurücktreten. Die SPD hatte die stellvertretendeFraktionsvorsitzende Karin Radermacher als Aus-schuss-Vize entsandt.

Der Untersuchungsausschuss „Wildfleisch und Ver -braucherschutz“ wurde am 19. Mai 2005 beschlossenund deckte schwere behördliche Fehler sowie unzu-reichende Lebensmittelkontrollen bei namhaftenFleischfirmen auf. Den stellvertretenden Vorsitz hatteder SPD-Abgeordnete Herbert Müller.

Der Untersuchungsausschuss „NSU-Rechtsterroris -mus“, beschlossen am 4. Juli 2012, stellte wesentlicheVersäumnisse der bayerischen Behörden bei der Klä -rung der fünf Morde, die die rechtsextreme Terror-gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU),im Freistaat begangen hat, fest. Die Ermittler hattendie Morde lange dem kriminellen Milieu zugeordnet

und rechtsextremistische Spuren nicht weiter ver-folgt. Vorsitzender war der Vorsitzende des Rechts-und Verfassungsausschusses, Franz Schindler. Er for-derte als eines der Ergebnisse die Abschaffung desVerfassungsschutzes in Bayern.

Der Mollath-Untersuchungsausschuss, eingesetzt am24. April 2013, ging der Frage nach, warum derNürnberger Gustl Mollath seit 2006 in der Psychia-trie untergebracht war und ob es im Zuge der Unter-bringung Fehler von Behörden oder Justiz gab. LautGerichtsurteil hatte Mollath seine Frau misshandelt.Nach Einschätzung des Bezirksklinikums Bayreuthlitt er an Wahnvorstellungen und wurde als Gefahrfür die Allgemeinheit gesehen. Es gab jedoch erhebli-che Zweifel an den Grundlagen seiner Verurteilung.Fraktionsvizin Inge Aures und Prof. Dr. Peter PaulGantzer vertraten die SPD. Der Untersuchungsaus-schuss trug mit dazu bei, dass Gustl Mollath im Au-gust 2013 nach sieben Jahren frei kam und sein Ver-fahren neu aufgerollt wurde.

Inge Aures

Prof. Dr. Peter Paul Gantzer

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Franz Schindler

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BayernLB: Mit Stoibers Großmanns -sucht knapp an der Pleite vorbei

Von besonderer Bedeutung waren zwei Untersu-chungsausschüsse zur Bayerischen Landesbank, dievon einem CSU-dominierten Verwaltungsrat unzu-reichend kontrolliert wurde. Unter dessen Augenschrieb die Bank wegen Spekulationen mit Verbrie-fungen auf dem US-Immobilienmarkt (sogenanntenABS-Papieren) und dem Kauf der österreichischenSkandalbank Hypo Group Alpe Adria (HGAA) Ver-luste in Milliardenhöhe und musste durch eine 10-Milliarden-Euro-Finanzspritze des Freistaats vor derPleite gerettet werden. Diese Rettung führte mit ei-nem Schlag zu einer Erhöhung der Staatsschuldenvon 22 Milliarden auf 32 Milliarden Euro.

Der erste Untersuchungsausschuss zur BayerischenLandesbank wurde am 3. April 2008 eingesetzt undbefasste sich mit der Kontrolle der Landesbank durchden Verwaltungsrat. SPD und Grüne bewerteten inihrem Abschlussbericht (Minderheitenbericht) denUntersuchungsausschuss als erfolgreich:

„Staatsminister Huber, Ministerpräsident Becksteinund die anderen Vertreter der Staatsregierung imVerwaltungsrat der BayernLB haben bei der Füh-rung der Bank und bei der Ausübung der Kontrolleversagt und sie haben Öffentlichkeit und Parlamentüber das Ausmaß und die Dynamik der Krise be-wusst getäuscht. Das verfassungsmäßig garantierteAuskunftsrecht des Parlaments, (…) wurde von Fi-nanzminister Huber über Monate hinweg verletztund bewusst missachtet. Der eingetretene materiellewie immaterielle Schaden für den Freistaat und dieSteuerzahler ist enorm und abschließend noch nichtabsehbar. In der Konsequenz bleibt es bei der

Rücktrittsforderung gegenüber dem verantwortli chenFinanzminister Huber. Aus Sicht der Opposition istes unausweichlich, dass er mit seinem Rücktritt diepolitische Verantwortung übernimmt und wenn erdiesen Schritt nicht selbst geht, er von Ministerprä-sident Beckstein entlassen wird.“

Minister Erwin Huber gab am 30. September 2008seinen Rücktritt bekannt.

Untersuchungsausschüsse 159

2009: Rinderspacher neuer Fraktionsvorsitzender

2009 leitete Franz Maget einen Stab- und Generationswechsel ein, der2011 mit der Umbildung des Fraktionsvorstands seinen Abschluss fand.Am 21. Oktober 2009 wurde mit dem 40-jährigen Markus Rinderspacherdas jüngste Fraktionsmitglied zum Vorsitzenden gewählt. Er sagte in seinerersten Rede vor der Fraktion: „Die SPD-Landtagsfraktion braucht in dieserStunde null keinen Einzelkämpfer an der Spitze. Ich bin damit beauftragt, dasMannschaftsspiel herzustellen.“Dieser Mannschaft gehörten im Fraktions-vorstand ab 2011 Franz Maget, nun Land -tags vize präsident, Harald Güller als par la -men tarischer Geschäftsführer und die Stell-vertreter Inge Aures, Volkmar Halbleib undNatascha Kohnen, die auch das Amt derGeneralsekretärin der Bayern SPD über-nahm, an.

Mit Markus Rinderspacher wählten die SPD-Ab ge ordneten den Jüngsten aus ihrer Mitte zum Fraktionsvorsitzenden.

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Bereits im Februar 2010 setzte der Landtag auf Ini -tia tive von SPD-Fraktionschef Markus Rinderspachereinen neuen Untersuchungsausschuss zur Bayeri-schen Landesbank ein: Dieses Mal ging es darum,den Kauf der österreichischen Skandalbank HypoGroup Alpe Adria (HGAA) durch die BayernLB imJahr 2007 zu prüfen. Diese sollte ihr Geschäftsfeldin Österreich und auf dem Balkan auf Drängen desdamaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber er-weitern. Die Bank erwies sich jedoch von Anfang anals Milliardengrab. Das wahre Ausmaß der Belastun -gen durch den Kauf der HGAA wurde vor derLandtagswahl 2008 verheimlicht und wurde erst inden Jahren darauf öffentlich bekannt.

Die Landesbank und ihre Verluste waren Thema inzahl reichen Plenardebatten des Bayerischen Landtags:SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher bewertetein seiner Entgegnung auf die Regierungserklärungvon Ministerpräsident Seehofer am 15. 12. 2009:

„Die Versager tragen ein Logo mit drei Buchstaben;diese drei Buchstaben lauten: C, S, U. Das, meineDamen und Herren, ist ein Markenzeichen für fi-nanzpolitischen Dilettantismus. Die Großmanns-sucht hat auch Namen: Stoiber, Faltlhauser, Huber,Beckstein, Schmid und Schaidinger. Sie alle habenzugesehen, mitgewirkt und mitverantwortet, mitge-holfen, mitgesprochen und mitgeredet, dass derFreistaat Bayern Steuergelder in unvorstellbarerHöhe vergeudet, verplempert, verschleudert undverjuxt hat. Der großkotzige Wunsch nach gren-zenloser Expansion hat seinen Preis, 3,75 Milliar-den Euro sind das erschreckende Ergebnis eineszweieinhalbjährigen Abenteuers am Balkan.“

Der Parlamentarische Geschäftsführer Harald Güllerund Fraktionsvizin Inge Aures vertraten die SPD imbis dahin erfolgreichsten Untersuchungsausschuss.CSU und FDP räumten nach langem Ringen Ver-säumnisse der Mitglieder des Verwaltungsrates beimAbschluss des Kaufvertrags ein. Schwarz-Gelb sahaber keine „grobe Fahrlässigkeit“ gegeben, dies wäredie Grundlage für Schadenersatzforderungen gegendie Chefaufseher Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauserund Ex-Sparkassenchef Siegfried Naser gewesen.

Zur Krisenbewältigung bei der Landesbank wurde am20. Oktober 2008 die Landesbank-Kontroll-Kommis-sion eingesetzt. Die SPD war durch FraktionsvizinInge Aures vertreten. Ihre Aufgabe war es, die Vor-gänge bei der BayernLB transparenter zu machen undein neues Geschäftsmodell zu begleiten. Die CSUversuchte vergeblich, die Kommission aufzulösen.

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Die Schuldenuhr tickt. SPD-Spitzenkandidat Christian Udeund SPD-Fraktionschef Rinderspacher setzten dasLandesbank-Debakel ins Bild: Im Herbst 2012überschritten allein die Zinsen für die Kosten derstaatlichen Landesbank-Rettung die Milliarden-Grenze.

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Die Folgen der Landesbank-Krise spürten BayernsBürgerinnen und Bürger noch lange. Neben der 10-Milliarden-Euro Finanzspritze kam der Steuerzahlerauch für die Zinsen für das Debakel auf: Im Herbst2012 erreichten diese die Milliardengrenze, jedenTag kommen 970 765 Euro hinzu, pro Stunde40 448 Euro.

Die CSU wurde dennoch nicht müde, die vergleichs -weise geringe Staatsverschuldung Bayerns hervor-zuheben. SPD-Haushaltssprecher Volkmar Halbleibwies allerdings nach, dass Bayern tatsächlich unterseinen Möglichkeiten blieb: Die Landesbank-Ret-tung ließ die Staatsschulden auf 32 Milliarden Eurohochschnellen. Weiter sparte sich der Finanzministerdie Zahlungen in den Pensionsfonds für die Beamtenund wälzte Schulden auf die Kommunen ab. DerSPD-Finanzexperte aus Unterfranken setzte sichimmer wieder für mehr Steuergerechtigkeit ein undforderte zusätzliches Personal für die Steuerverwal-tung, um Steuerhinterziehung zu verhindern. DieSPD ist überzeugt: Die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, die regelmäßig ihre Steuern bezahlen,dür fen nicht die Dummen sein.

Untersuchungsausschüsse 161

SPD-Finanzexperte Volkmar Halbleib

Fraktionsvorstand mit Generalsekretärin Natascha Kohnen: Volkmar Halbleib, HelgaSchmitt-Bussinger, Inge Aures, Markus Rinderspacher, Dr. Simone Strohmayr und Hans-Ulrich Pfaffmann (von links).

2013: Rinderspacher eindrucksvoll bestätigt

2013 gewann die SPD-Landtagsfraktion drei Mandate hinzu. Fraktionschef MarkusRinderspacher wurde mit einem Wahlergebnis von über 90 Prozent eindrucksvollbestätigt. Die SPD-Landtagsfraktion nominierte Inge Aures aus Kulmbach für dasAmt des Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags. Zu Stellvertretern wurdenHelga Schmitt-Bussinger (Schwabach), Dr. Simone Strohmayr (Augsburg) undHans-Ulrich Pfaffmann (München) gewählt. Fraktionsvizin Natascha Kohnenkandidiert nicht mehr als Stellvertreterin, gehörte aber dem Vorstand in ihrerEigenschaft als bayerische SPD-Generalsekretärin an. Neuer ParlamentarischerGeschäftsführer wurde der unterfränkische Abgeordnete Volkmar Halbleib(Ochsenfurt).

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Resonanzstudienaffäre derStaatsregierung: Die CSU macht sich den Staat zur Beute

In der sogenannten Resonanzstudien-Affäre deckteFraktionschef Markus Rinderspacher den systemati-schen Missbrauch von Steuergeldern durch die CSU-Staatsregierung auf. Die Staatskanzlei hatte von 2000bis 2009 das Hamburger MeinungsforschungsinstitutGMS Dr. Jung GmbH mit der Erstellung von Mei-

nungsumfragen und Resonanzstudien beauftragt, diesich nicht etwa an landesspezifischen Fragen orien-tierten, sondern offenkundig am Parteiinteresse derCSU ausgerichtet waren. Auf Staatskosten kaufte dieCSU Strategietipps für den Umgang mit dem politi-schen Gegner und für die Auseinandersetzung mitdem Koalitionspartner FDP. Dieser wusste von denumstrittenen Umfragen nichts.

„Hat der Ministerpräsident des Freistaates Bayernwissentlich, vorsätzlich oder zumindest fahrlässigöffentliche Steuergelder für Parteizwecke der CSUmissbraucht? Hatte der Ministerpräsident des Frei-staates Bayern keine Scheu, die Staatskasse zu be-lasten, um seine Parteikasse zu entlasten? Miss-braucht der CSU-Parteichef die Staatskanzlei alsverdeckte strategische Parteizentrale zulasten desbayerischen Staatshaushalts?“, fragte SPD-Land-tagsfraktionschef Rinderspacher am 29.09.2010 imPlenum des Bayerischen Landtags.

Die SPD-Fraktion rief den Bayerischen Verfassungs-gerichtshof an und erzwang damit die Veröffentli-chung besagter Studien. Weil die Ausgaben nicht inErfüllung einer staatlichen Aufgabe getätigt wurden,gab die SPD alle Unterlagen ferner an den BayerischenObersten Rechnungshof (ORH) weiter. Dieser bestä-tigte später die Recherchen von SPD-FraktionschefMarkus Rinderspacher in vollem Umfang: UmfragenimWert von558 302,51 Euro hat die Staatskanzlei seitdem Jahr 2000 an die Fa. GMS Dr. Jung GmbH inAuftrag gegeben; die zweckentfremdeten Steuergel-der musste die CSU zurückzahlen.

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Pointierter Debattenredner: Markus Rinderspacher stellt die CSU.

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Für ein soziales Bayern: Kinder dürfenkein Armutsrisiko sein

Soziale Gerechtigkeit ist für die SPD-Landtagsfraktionein Herzens-Thema, das auch in den letzten beidenLegislaturperioden eine zentrale Rolle spielte. Einewichtige Grundlage für politisches Handeln bietet derSozialbericht. Dieser wurde von der SPD-Landtags -fraktion schon seit Mitte der 90er Jahre eingefordert.Ein 1996 von allen Fraktionen des Landtags gefassterBeschluss mündete erst 1999 in einem Sozialbericht,der zweite wurde 2009 veröffentlicht. Weitere Teil-berichte folgten in den Jahren 2010 und 2011. Der Sozialbericht 2009 ergab, dass sich die Situationfür Eltern auch im reichen Bayern verschlechterthat: Das Armutsrisiko nahm für Alleinerziehendezwischen 2003 und 2005 um acht Prozent, für Paaremit Kindern um sechs Prozent zu. Für Paare ohneKinder verzeichnete der Sozialbericht dagegen nureine Zunahme um 0,6 Prozent. Kinder dürfen aber ineiner wohlhabenden Gesellschaft kein Armutsrisiko

sein. Die SPD-Landtagsfraktion verstärkte daher ihrePolitik für Familien: Die Sozialsprecherin ChristaSteiger forderte in ihrer Rede zum Sozialbericht am12. Feb ruar 2009 mehr Engagement der Staatsre-gierung beim Ausbau der Krippenplätze und einebessere Personalausstattung für Kindergärten. DasBayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz(BayKiBiG), das seit 2005 galt, konnte die hohenselbstgesteckten Ziele der Staatsregierung nicht er-reichen und war ein von der SPD häufig kritisiertesSpargesetz. Eine zentrale Forderung war die nachder schrittweisen Einführung eines für die Elternkostenfreien Kindergartens.

Die Kämpfe mit der CSU um die Einführung vonbedarfs gerechten Kinderkrippen waren hart: DieChrist sozialen hingen an einem überkommenenFrauen- und Familienbild und verunglimpften Kin-derbetreuung bisweilen als „sozialistisches Teufels-zeug“. Erst spät und widerstrebend hat sich dieLandtagsmehrheit dem Drängen der SPD auf einebessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie fürMänner und Frauen geöffnet. Für die Einführungeines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatzfür Kleinstkinder erzwang die CSU im Gegenzugauf Bundesebene ein Betreuungsgeld für Eltern, diekeine öffentliche Einrichtung in Anspruch nahmen.

Zentrales Anliegen der SPD blieb die Verwirklichungeiner solidarischen Gesellschaft, in der alle Anteil ander allgemeinen Wohlstandsentwicklung haben. DieFraktion stellte umfangreiche Vorschläge für eineVerbesserung der Altenpflege vor, legte einen eigenenGesetzentwurf für die Gleichstellung von Menschen

Familienpolitik 163

Individuelle Förderung in der Kita. Alle Kinder sollen guteBetreuung im Kindergarten erhalten.

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mit Behinderung vor und startete eine Kampagne„Bei uns hat Alter Zukunft“ für mehr Respekt vorder älteren Generation. Für eine bessere Kinderbe-treuung fanden Fachtagungen mit Erzieherinnenund Ziel grup pengespräche zum Bayerischen Lan-desbildungs- und Betreuungsgesetz statt. Zur Stär-kung und Anerkennung sozialer Berufe und auch desEhrenamts organisierte die Fraktion Sozialempfängeim ganzen Land.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Inklusion, Min -destlöhne, Vergabegesetz, Steuergerechtigkeit – aufallen sozialpolitischen Feldern übernahm die SPDeine Vorreiterrolle in Bayern – seit Juni 2011 mitihrem neuen Sozialsprecher Hans-Ulrich Pfaff-mann, dem bestens vernetz ten Vorsitzenden derMünch ner SPD, der auch ehrenamtlicher Landes-vorsitzender des Arbeiter- und Samariter-BundesBayern (ASB) war. Pfaffmann, gelernter Kranken-pfleger, setzte sich auch für die Kostenfreiheit derAltenpflegeausbildung ein, die Ende 2012 vom Bay-erischen Landtag beschlossen wurde. Ein zentralesAnliegen war es ihm, eine generationenübergreifendeFamilienpolitik mit flächen deckenden Familienzen-tren auf den Weg zu bringen.

Unter dem Wirtschaftspolitiker Dr. Thomas Beyermachte sich die SPD-Landtagsfraktion für gerechteBedingungen auf dem Arbeitsmarkt stark undkämpfte für den flächendeckenden Mindestlohn.Etwa 100 000 Menschen mussten in Bayern 2012auch nach einer 40-Stunden-Woche zum Sozialamtgehen, um ihren mageren Lohn aufzustocken. Nie-driglohn darf kein Geschäftsmodell auf Kosten desStaates sein, so das SPD-Credo.

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Kampagnen-Plakat. Bei uns hat Alter Zukunft.

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Der Anstieg der Mieten in den großen bayerischenStädten beschleunigte sich im Jahrzehnt zwischen2003 und 2013 beträchtlich und zugleich verringer-te sich das Angebot an günstigen Wohnungen. DieBaye ri sche Landesbank musste infolge ihrer Fast-Pleite im Zuge des EU-Beihilfeverfahrens ihre Im-mobilien-Tochter GBW verkaufen. Etwa 33000Wohnungen in ganz Bayern gehörten der GBW,85000 Mieterinnen und Mieter wohnten dort zumoderaten Preisen. Einer sogenannten „Sozialchar-

ta“, die die Rechte der Mieter sichern sollte, trautender Deutsche Mieterbund und die SPD-Landtags-fraktion nicht über den Weg: Der ParlamentarischeGeschäftsführer Harald Güller kämpf te dafür, dassWohnungen von der Staatsregierung gekauft werdenoder im Bieterverfahren wenigs tens ein kommunalesKonsortium zu Zug kommt. Doch den Zuschlag füreinen der größten Wohnungsverkäufe in der Ge-schichte der Bundesrepublik erhielt der AugsburgerImmobilienkonzern „Patrizia“.

SPD und Gesellschaft 165

Fünf Fragen an Franz Maget

2003 spaltete der Streit um die Agenda 2010die SPD und schmälerte ihre Wahl chancen.Was steht hinter dem baye ri schen Wahlergebnisvon 2008?

Das Wahlergebnis von 2008 war für unseine Enttäuschung. Die Wähler haben zwarunsere Themen und unsere Argumenteangenommen, aber sie haben uns die Über -nahme der Regierungsverantwortung amEnde doch nicht zugetraut. Immerhin: DieCSU hat erstmals ihre absolute Mehrheitverloren. Das war schon ein großer Er folgder SPD und unseres engagierten Wahl-kampfes.

Ob Studiengebühren, Donauausbau oderKinder betreuung – die CSU kopierte ungeniertdie Themen der SPD, nachdem sie zuerst im-mer abblockt. Bayerische Bürgerinnen undBürger könnten gute Ideen auch schnellerhaben, oder?

Gott sei Dank übernimmt die CSU im-mer häufiger Forderungen der SPD, diesie ursprünglich abgelehnt und sogar be-kämpft hat. Es tut gut und spricht für uns,dass wir in den allermeisten landespoliti-schen Fragen die Richtung vorgegebenhaben. Für die Menschen wäre es aber nochviel besser, wenn sie nicht jahrelang wartenmüss ten, bis die CSU in der Kopier kam -mer unsere Vorschläge abkupfert.

Was ist das erfolgreichste Thema der SPD-Fraktion?

Die SPD hat bewiesen, dass man die Politikaus der Opposition heraus maßgeblich be-stimmen kann. Zu den größten Erfolgengehört neben dem Atomausstieg die Bil-dungspolitik: Bessere Kinderbetreuung,Ganztagsschule, kostenfreies Studium.Über all sind wir weitergekommen. Aberüberall ist auch noch viel zu tun.

Die CSU hat 2013 wieder die absolute Mehr-heit erreicht, die FDP schaffte den Wieder-einzug in den Landtag nicht und die SPD istweiter stärkste Kraft in der Opposition. Wasnun?

Das Schicksal der FDP sollte den Opposi-tionsparteien im Landtag eine Lehre sein.Es kann nicht darum gehen, Juniorpartnerder CSU zu werden, sondern gemeinsambei der nächsten Wahl die absolute Mehr-heit zu brechen und die CSU in Regie-rungsverantwortung abzulösen. Natürlichgibt es in der Opposition keine Koalitio-nen. Gemeinsam sollten die Oppositions-parteien daran arbeiten, eine lebendige,phantasievolle und wählbare Alternativezur CSU zu werden.

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Kostenfreie Bildung für alle – KeineStudiengebühren

Bildung stand als ein Kernthema der Landespolitikganz oben auf der Agenda der SPD-Fraktion. DasMotto der Ganztagsschul-Kampagne „Auf Dauerschlauer“, die bereits 2001 gestartet wurde, bestätigtesich im Lauf der Jahre: Die Ganztagsschule gewannimmer mehr Anhänger in Bayern – sowohl unterSchülern als auch Eltern. Die SPD vertrat das Modellder gebundenen Ganztagsschule mit einem rhyth-misierten Stundenplan, in dem sich Unterricht undEntspannungsphasen abwechseln. Doch die Staats-regierung setzte diese Schule „aus einem Guss“ vielzu selten um. In Bayern überwog bei weitem einModell mit Vormittagsunterricht und Betreuungam Nachmittag: Nur fünf Prozent der Schüler undSchülerinnen hatten 2013 einen Platz an einer ge-bundenen Ganztagsschule.

Mit der Gemeinschaftsschule ging die SPD neueWege in Bayern. Für die Kampagne zeichnete derVorsitzende des Bildungsausschusses, Martin Güll,verantwortlich. Die Gemeinschaftsschule sollte eineAlternative zum bestehenden Schulsystem sein unddort entstehen, wo Schüler, Eltern, Lehrer undKommunen sie wollen. Vor allem auf dem Land.Dies war vor allem in Kommunen auf dem Land derFall, wo hunderte von Haupt- und Teilhauptschulengeschlossen wurden – mit gravierenden Folgen. EineGemeinde ohne Schule ist nicht mehr attraktiv fürFamilien und verliert an Wirtschaftskraft. Kindermüssen weite Schulwege in Kauf nehmen. An einerGemeinschaftsschule sollen alle Abschlüsse möglichsein. Eine von den Gemeinden Denkendorf undKipfenberg durchgeführte Umfrage unter Elternergab eine Zustimmung von bis zu 85 Prozent für

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Die SPD-Landtagsfraktion erinnert mit der Verleihung desWilhelm-Hoegner-Preises an den ersten Ministerpräsiden -ten Wilhelm Hoegner (SPD). 2008 verlieh SPD-Fraktions -chef Franz Maget den Hoegner-Preis unter anderem an Max Mannheimer, Vorsitzender der Lagergemein schaftder ehemaligen KZ-Häftlingen in Dachau. Mannheimer sieht es als lebenslange Aufgabe, besondersjunge Menschen über die Zeit des Nationalsozialismus zuinformieren. Er hat sich, so der Text der Urkunde, in„hervorragender Weise um die Erhaltung und Sicherungder Freiheits- und Bürgerrechte verdient gemacht“.

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das SPD-Konzept der Gemeinschaftsschule. Bei derStaatsregierung allerdings stieß das Projekt auf taubeOhren.

Der Streit um ein von der Staatsregierung unkoordi-niert eingeführtes achtjähriges Gymnasium entzweitedie Schullandschaft bis in die jüngste Zeit. Die Inhalteder neunjährigen Schulzeit sollten nun mit wenigenKürzungen auf acht Jahre verteilt werden. Dies führ-te zu erheblichen Belastungen für die bayerischenSchüler. In der Debatte um acht oder neun JahreGymnasium plädierte die SPD-Landtagsfraktion fürein Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten und einWahlrecht: Das G8 sollte vor allem in der gebunde-nen Ganztagsform mit rhythmisiertem Unterrichtangeboten werden und das G9 im Halbtagsbetriebstattfinden.

2007 führte die CSU-Staatsregierung allgemeineStudiengebühren in Bayern ein. Die SPD-Fraktionbekämpfte diese von Anfang an heftig. KostenfreieBildung von der Krippe bis zur Hochschule war einesder zentralen Ziele der Fraktionsarbeit: Die soge-

nannte Uni-Maut hielt Abiturienten nachweislich vonden Hochschulen fern. In zahlreichen parlamentari-schen Initiativen unter Federführung von SPD-Hochschulsprecherin Isabell Zacharias bekämpftendie Abgeordneten die Studiengebühren.

„Der Staat ist in der Pflicht, die Hochschulen im Landangemessen auszustatten und die finanziellen Vor-aussetzungen für eine gute Lehre zu schaffen. Des-halb sollen die Gelder, die den Studierenden ab-geknöpft worden sind, in der Regel 500 Euro proSemester, künftig aus Steuermitteln für die Hoch-schulen in Bayern aufgebracht werden“, so IsabellZacharias. Zusammen mit anderen politischen Kräf-ten in Bayern und gemeinsam mit dem SPD-Lan -desverband schmiedete die SPD unter Leitung vonGeneralsekretärin Natascha Kohnen ein erfolgreichesBündnis gegen Studiengebühren. 14,3 Prozent derBayern trugen sich im Januar 2013 in die Listen fürein Volksbegehren zur Abschaffung der Studienge-bühren ein. Zum Volksentscheid kam es nicht mehr,weil CSU und FDP nach hartem Ringen die Abschaf-fung der Studiengebühren bekannt gaben.

Bildung 167

Unterwegs im Aktionsbusfür die Gemeinschafts -schule: Die SPD-Land tagsfraktionstartete im Mai 2011eine Kampagne zurGemein schaftsschule in Bayern.

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Herzensanliegen: ErneuerbareEnergien statt Atomkraft

Bereits seit Mitte der 80er Jahre hatte die BayernSPDden Ausstieg aus der Atomenergie und den raschenAusbau der erneuerbaren Energien gefordert. Dochwer damals den Abschied von der Atomkraft forderte,wurde von der CSU als wirtschaftsfeindlich und naivgebrandmarkt. Die Umwelt- und Atomkatastropheam 11. März 2011 im japanischen Fukushima brachtein Deutschland die Atom-Wende und endlich auchbei der CSU ein Umdenken.

BayernSPD und SPD-Landtagsfraktion sammeltenim Herbst 2010 mit einer Massenpetition Unter-schriften für den schnellen Atomausstieg. 32000Bürgerinnen und Bürger trugen sich in die Listenein. Die SPD führte den Kurs von BundeskanzlerGerhard Schröder fort, der bereits 2001 einenKonsens mit den Energieversorgern verhandelt hatte. „Wir wollen gemeinsam erreichen, dass es bei demvor zehn Jahren vereinbarten Atomausstieg bleibt“, so die Generalsekretärin und stellvertretende Vor -sitzen de Natascha Kohnen.

Natascha Kohnen forderte in ihrer Rede eine Wochenach der Tragödie von Fukushima den komplettenAtomausstieg bis 2020. Die von Schwarz-Gelb be-schlossenen Laufzeitverlängerungen der Atommeilermüssten rückgängig gemacht werden. Kohnen sagte:

„Die Katastrophe von Japan bleibt nicht ohne Kon-sequenz für die Politik in Deutschland und in Bay-ern. Die atomaren Vorfälle um Fukushima und dieanderen japanischen AKWs, zeigen doch endgültig,dass Atomkraft nicht beherrschbar ist, Atomkraft istund bleibt unkalkulierbar und höchst riskant.“

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Ludwig Wörner, Natascha Kohnen und FraktionschefMarkus Rinderspacher (von links) gaben am 27. Januar2010 den Startschuss für die Massenpetition gegenAtomkraft, die von 32 000 Menschen in ganz Bayernunterzeichnet wurde.

UmweltpolitikerinNatascha Kohnenkämpft für dieEnergiewende.

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Kräfte bündeln – Schwerpunkte setzen für Bayern

Ein wirtschaftlich erfolgreiches Bayern mit sozia-lem Ausgleich zu verbinden und gerechte Bildungs-chancen zu schaffen stand also im Zentrum derFraktionsarbeit zwischen 2003 und 2013. An dieseminhaltlichen Schwerpunkt richtete sich der Veran-staltungskalender aus und die parlamentarischen In-itiativen spiegeln sich darin wider.

Die SPD-Landtagsfraktion kämpfte erfolgreich fürdie Einführung des Konnexitätsprinzips, das im Ja-nuar 2004 durch Änderung des Artikels 83 in derBayerischen Verfassung verankert wurde. Das Kon-nexitätsprinzip sieht vor, dass der Staat für die Kostenaufkommen muss, wenn Kommunen Leistungen inseinem Auftrag erbringen. Immer wieder legte dieSPD Vorschläge für eine Verbesserung der Kom-munalfinanzen vor, die sie in enger Abstimmungund guter Zusammenarbeit mit den sozialdemokra-tischen Kommunalpolitikern entwickelte. Die Stär-kung der Rechtsstellung und der Finanzkraft derKommunen war auch regelmäßiger Schwerpunktder Gespräche mit den kommunalen Spitzenver-bänden und den erfolgreichen, jährlichen Bürger-meistertagen im Plenarsaal des Landtags.

Aktiv beteiligte sich die Fraktion an der Föderalis-musreform in Deutschland und engagierte sich füreine Stärkung der Länderparlamente. Skeptisch beur-teilte sie dagegen von Anfang an den neuen Länderfi-nanzausgleich, der von der CSU als großer Erfolgfür Bayern gefeiert wurde, gegen den sie aber nurwenige Jahre später, im Februar 2013, eine Klagebeim Bundesverfassungsgericht einreichte.

In Regionalkonferenzen, die in sämtlichen Planungs-regionen Bayerns durchgeführt wurden, hat die SPD-Landtagsfraktion die Probleme der Bürger und Bür-gergerinnen aufgegriffen: Gemeinsam mit lokalenEntscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Ver-waltung, sozialen Verbänden und Bildungsinstitutio-nen schnürte sie Maßnahmenpakete zur Stärkungder Regionen, vertiefte sie in Fachkonferenzen undmachte sie zum Gegenstand zahlreicher Anträgeund Anfragen im Landtag. Das Ziel dieser Initiativenwar es, den Freistaat in ein Gleichgewicht zu bringen,ein Auseinanderdriften von Wachstums- und Pro-blemregionen zu verhindern und insgesamt gleich-wertige Lebensbedingungen in allen Landesteilenzu erreichen, wie es die Bayerische Verfassung vorgibt.Diese Orientierung wurde in den Diskussionen umdas Landesentwicklungsprogramm (LEP) einge-bracht, für das die Fraktion unter Federführung der

1200 bayerische Feuerwehrleute und eine Kapelle: Die Altneihauser Feierwehrkapell’nsorgte für Stimmung beim Feuerwehrtag der SPD-Landtagsfraktion. Mit Helga Schmitt-Bussinger, Christian Ude, Inge Aures und Markus Rinderspacher (von links).

Kommunal- und Finanzpolitik 169

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Sprecherin für den ländlichen Raum, Annette Karl,einen eigenen Entwurf vorlegte. Sie waren unter an-derem Grundlage für ein eigenes Tourismuskonzeptund insbesondere für zahlreiche Vorstöße für eine flä-chendeckende Versorgung mit schnellem Internetauch in ländli chen Regionen.

Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierunggalten lange Zeit als Patentrezepte für wirtschaft-lichen Erfolg, denen auch die bayerische Staatsre-gierung folgte. Wichtige öffentliche Unternehmen,wie z.B. die Bayernwerke, die heute dringend benötigtwürden, wurden verscherbelt. Die SPD hat sich dem -gegenüber stets für eine Stärkung der öffentlichenDaseinsvorsorge eingesetzt und zahlreiche Initiativenzugunsten kommunaler Wirtschaftsunternehmen ge -startet. Eine eigene landesweite Kampagne wurde imJahr 2002 mit dem Ziel gestartet, die Trinkwasser-versorgung in öffentlicher Verantwortung zu behaltenund sich der Privatisierung zu widersetzen.

Gute Infrastruktur als wichtige Voraussetzung fürwirt schaftlichen Erfolg bildete einen weiteren Schwer -punkt in der SPD-Wirtschaftspolitik. Vehement und

am Ende mit Erfolg wehrte sich die SPD unter ihremFraktionschef Franz Maget gegen das milliardenteurePrestigeobjekt einer Transrapidstrecke vom Münch-ner Hauptbahnhof zum Flughafen. Stattdessen setztesich die Fraktion für wichtige Schienenprojekte ein,in einer gemeinsamen Kampagne mit dem Automo-bilclub ACE für bessere Staatsstraßen, für eine Sanie-rung maroder Brücken sowie einen Donauausbauohne Staustufen. Im Rahmen der Aktion „Holterdie-polter“ lobte die SPD-Landtagsfraktion in den siebenbayerischen Regierungsbezirken einen „Schlagloch-Oscar“ für den schlimmsten Straßenschaden aus.Die öffentlichkeits wirksam inszenierten Besichti-gungen durch regionale Abgeordnete führten dazu,dass etliche Schlaglöcher schneller als geplant gefülltwurden.

Rote Radler in Bayernunterwegs. SPD-FraktionschefRinderspacher auf Tourmit dem FürtherAbgeordneten Horst Arnold (links).

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Sauberes Wasser zuerschwinglichen Preisen:Die Trinkwasser versor -gung ist bei den Städtenund Gemeinden ambesten aufgehoben.

Die schlimmsten Schlaglöcher in den bayerischenStaatsstraßen. Die Aktion Holterdiepolter führte dazu,dass sie schnell repariert wurden. Unser Bild zeigt dieAbgeordneten Harald Güller, Inge Aures, Petra Dieterichvom Auto Club Euorpa (ACE) und den AbgeordnetenChristoph Rabenstein in Oberfranken (von links).

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Auch beim Donauausbau hat die CSU ihre früherePosition ins Gegenteil verkehrt. Lange trieb sie einenAusbau der Wasserstraße mit Staustufen voran, densie für zwingend notwendig hielt. Zuletzt schwenktesie auch hier auf die Position der SPD ein und bevor-zugte ebenfalls einen naturnahen Ausbau ohneStaustufen. Buchstäblich auf der Strecke blieb beidem Ringen um die Ausbauvarianten der Donau derHochwasserschutz. Dies zeigte sich beim Jahrhun-derthochwasser im Sommer 2013, das allein in BayernSchäden in Milliardenhöhe verursachte.

Integration – die Weichen für dieZukunft stellen

Chancengerechtigkeit gehört zum Markenkern derSPD in ihrer 150-jährigen Geschichte. Wie keineandere Partei kämpfte sie für die Integration von Men-schen mit Migrationshintergrund. „Mittendrin stattparallel“ lautete der Titel einer erfolgreichen Veran-staltungsreihe unter Leitung der integrations- undmigrationspolitischen Sprecherin Isabell Zacharias.Während die CSU bei dem Thema Integration dieLufthoheit über den Stammtischen beanspruchte,legte die SPD im Jahr 2011 ein Integrationsgesetzvor. Es sah die längst überfällige Gleichberechtigungvon Migrantinnen und Migranten in der Kommunal-politik ebenso vor, wie die schnellere Anerkennungvon Abschlüssen und mehr Förderung für Kindermit Migrationshintergrund. Die SPD-Landtags-fraktion unterstützte weiter die Forderungen nacheiner doppelten Staatsbürgerschaft und dem kom-munalen Wahlrecht für alle, nicht nur für EU-Bür-ger. Ebenso wichtig wie ein Integrationsgesetz warder Fraktion ein menschenwürdiger Umgang mitFlüchtlingen in Bayern. Das sichtbarste Zeichen ei-ner gelungenen Integration war die Wahl des erstenSPD-Landtagsabgeordneten mit Migrationshinter -

grund, Arif Tasdelen ausNürnberg. Er eroberte imSeptember 2013 das Maxi - mi lia neum mit einem ful-minanten Wahlergebnis.

Integrationsgesetz: Die Weichen für die Zukunft stellen. 171

Für eine frei fließende Donau: Christian Ude (Mitte) undGrünen-Fraktionschefin Margarete Bause (links daneben)setzten sich mit SPD- und Grünen-Politikern für dennaturnahen Ausbau ohne Staustufen ein.

Arif Tasdelen ist der erstePolitiker mit Migrations -hintergrund im BayerischenLandtag. Er wurde 2013 inNürnberg gewählt.

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SPD-Spitzenkandidat aus demMünchner Rathaus: Christian Udemotiviert die SPD

Im August 2011 stellte die bayerische SPD die Wei-chen für die Landtagswahl 2013: Der MünchnerOberbürgermeister Christian Ude, dem die Bürge-rinnen und Bürger Bayerns in Umfragen regelmäßighöchste Beliebtheit bescheinigten, gab seine Kandi-datur für das Amt des Ministerpräsidenten bekannt.18 Jahre lang hatte er bis dahin die Geschicke derStadt München geleitet und die Millionen-Metropo-le zu einem Musterbeispiel für wirtschaftlichen Erfolgund solide Haushaltspolitik, für sozialen Ausgleichund Chancengerechtigkeit gemacht. Dies für ganzBayern zu erreichen, war sein Ziel. Viele Monateschulterte Christian Ude beides – das fordernde Amtdes Oberbürgermeisters und die nicht weniger an-spruchsvolle Aufgabe des Spitzenkandidaten. Lange

war er zudem auch noch Präsident des Deut schenStädtetags. Ab Juli 2013 nahm der Münchner OBunbezahlten Urlaub – aber nur, um noch härter fürdie SPD zu arbeiten. Zusammen mit FraktionschefRinderspacher, Landeschef Florian Pronold undSPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen bildeteUde das „Kleeblatt“ der BayernSPD.

Während der politische Gegner nicht müde wurde,Ude als reines Münchner Gewächs zu schmähen, dassich in Bayern nicht auskenne, reiste der Spitzen -kandidat unermüdlich durch ganz Bayern. Unver-gessen sind seine Auftritte beim Politischen Ascher-mittwoch in Vilshofen, zu dem Tausende strömten.Sie kamen auch zu den großen Volksfesten, wie zum

ARBEITEN FÜR BAYERN – DIE SPD- LANDTAGSFRAKTION VON 2003–2013

Talk im BayerischenLandtag: SPD-Fraktionschef

Markus Rinderspacher imGespräch mit Edith von

Welser-Ude.

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Beispiel dem Gillamoos bei Abensberg. Die Men-schen begrüßten ihn mit freundlichem Beifall undverabschiedeten ihn mit stehenden Ovationen, wieSPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher feststellte,der ihn gelegentlich begleitete. Allein in den letztenzwei Monaten des Wahlkampfs suchte der SPD-Spitzenkandidat bei 300 Terminen in ganz Bayerndas Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern. ImSPD-Wahlkampfbus legte er mit seinem Team über8000 Kilometer zurück. Auch Udes Auftritte beiFachkonferenzen der SPD-Landtagsfraktion, obbeim Feuerwehrtag oder vor Bürgermeistern ausdem gesamten Freistaat, fanden breite Aufmerk-samkeit. Da blieb nicht viel Zeit, den eigens für ihnvon einem fränkischen Winzer kreierten Ude-Schoppen zu genießen. Jeder Spitzenkandidatbraucht eine First Lady, und Christian Ude hat mitEdith von Welser-Ude eine Frau mit Format, Her -zens wärme und Esprit an seiner Seite. Bei zahlrei-chen „Kamingesprächen“ in ganz Bayern mit MarkusRinderspacher berichtete die Mutter von sechs Kin-dern aus ihrem Leben und von ihrem politischenEngagement im Münchner Stadtrat.

Ude motivierte die BayernSPD, ebnete den Weg zueinem Bündnis mit Grünen und Freien Wählern undstellte somit eine reale Machtoption jenseits derCSU in Aussicht. Die schwarz-gelbe Regie rungs -koa lition zeigte sich öfter instabil, geriet im Streit umdie Abschaffung der Studiengebühren an den Randdes Scheiterns. Die CSU unterstellte der Opposi-tion zwar, keine Themen zu haben, unternahm aberalle Anstrengungen, strittige Fragen schnellstensauszuräumen. Die Haltung der Opposition setztesich auf breiter Front durch: Bei den Laufzeiten für

Atomkraftwerke, bei den erneuerbaren Energien,beim Donau-Ausbau und natürlich beim ThemaStudiengebühren. Doch Ude machte sich nicht nurfür die Kostenfreiheit der akademischen Ausbildungstark, er kämpfte auch für die Kostenfreiheit derberuf lichen Bildung und setzte sie zuerst in derLandeshauptstadt München um. Ein besonderesHerzensanliegen war Ude die sogenannte „Miet-preisbremse“, nach der die Mieten in drei Jahrennur um maximal 15 Prozent steigen dürfen.

Das Dreierbündnis schaffte den Wechsel leider nicht.Die SPD gewann zwei Prozentpunkte hinzu, Grüneund Freie Wähler verloren. Die neue SPD-Land-tagsfraktion ging um drei Mandate gestärkt in eineneue Legislaturperiode und erhielt 42 Sitze, 14SPD-Abgeordnete wurden zum ersten Mal in denLandtag gewählt. Die CSU erreichte die absoluteMehrheit, die FDP schied aus dem Landtag aus.Doch die Spitzenkandidatur von Christian Ude zeigteder SPD eine reale Machtoption auf und motiviertesie dauerhaft.

Oppositionsbündnis 173

Hubert Aiwanger (FW),Margarete Bause (Grüne),Christian Ude und MarkusRinderspacher (von links)bei einer gemeinsamenPressekonferenz zumThema Bildung imSommer 2013.

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Anhang>

176

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Liste der Fraktionsvorsitzenden

Liste der Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion

Literaturempfehlungen

Über unsere Autoren

Bildnachweis

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175

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ANHANG

Fraktionsvorsitzende

1893–1918 Georg von VollmarStellvertreter (etwa ab 1908): Adolf Müller

1918–1933 Johannes Timm

1933 Albert Roßhaupter

1946–1950 Jean StockStellvertreter: Waldemar von Knoeringen

1950–1958 Waldemar von KnoeringenStellvertreter: Jean Stock, Franz Haas

1958–1962 Wilhelm HoegnerStellvertreter: Volkmar Gabert, Heinrich Stöhr, Fritz Gräßler

1962–1976 Volkmar Gabert Stellvertreter: Richard Oechsle, Gerda Laufer, Hans Högn, Helmut Rothemund, Fritz Gräßler, Karl Weishäupl, Georg Kronawitter, Horst Haase, Jürgen Böddrich,Berthold Kamm

1976–1986 Helmut RothemundStellvertreter: Jürgen Böddrich, Karl-Heinz Hiersemann, Xaver Wolf

1986–1992 Karl-Heinz HiersemannStellvertreter: Hedda Jungfer, Rolf Langenberger, Fritz Geisperger, Dietmar Franzke,Herbert Müller

1992–1994 Albert Schmid Stellvertreter: Walter Engelhardt, Gerda–Maria Haas, Herbert Müller

1994–2000 Renate SchmidtZeitweiliger geschäftsführender Fraktionsvorsitzender: Albert Schmid Stellvertreter: Walter Engelhardt, Gerda-Maria Haas, Herbert Müller, Franz Maget,Karin Radermacher, Johanna Werner-Muggendorfer

2000–2009 Franz MagetStellvertreter: Johanna Werner-Muggendorfer, Karin Radermacher, Susann Biedefeld,Christa Naaß, Dr. Thomas Beyer

Seit 2009 Markus RinderspacherStellvertreter: Johanna Werner-Muggendorfer, Dr. Thomas Beyer, Christa Naaß, Inge Aures, Volkmar Halbleib, Natascha KohnenAb 2013: Hans-Ulrich Pfaffmann, Dr. Simone Strohmayr, Helga Schmitt-Bussinger

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AAckermann, Friedrich 1919 bis 1933 SchwabenAdametz, Rudolf 1970 bis 1973 OberbayernAdelmann, Kurt 1966 bis 1978 MittelfrankenAdelt, Klaus 2013 OberfrankenAenderl, Franz 1920 bis 1931 Niederbay./Opf.Albert, Martin 1946 bis 1958 MittelfrankenAlbrecht, Heinrich 1962 bis 1974 OberbayernAmmon, Lina 1920 bis 1933 Mittelfranken

1946 MittelfrankenAppelt, Dieter 2000 bis 2003 OberpfalzArnold, Horst 2008 Mittelfranken Aschenbrenner, Rosa 1920 bis 1921 Oberbayern

1924 bis 1932 Oberbayern1946 bis 1948 Oberbayern

Auer, Erhard 1907 bis 1933 OberbayernAures, Inge 2008 Oberfranken

BBarth, Joseph 1919 bis 1920 NiederbayernBauer, Anton 1950 bis 1954 SchwabenBauer, Erhard 1920 bis 1928 MittelfrankenBauer, Dr. Friedrich 1920 bis 1924 OberbayernBauer, Hannsheinz 1946 bis 1953 UnterfrankenBauer, Hans 1919 bis 1920 OberbayernBauer, Walter Alois 1970 bis 1974 OberbayernBaumann, Dr. Dorle 1990 OberbayernBaur, Anton 1946 bis 1954 UnterfrankenBaur, Valentin 1946 bis 1947 SchwabenBayer, Karl 1962 bis 1966 NiederbayernBayerer, Alfons 1924 bis 1933 Niederbay./Opf.Bayerl, Dr. Alfons 1962 bis 1967 OberbayernBeck, Heinz 1946 bis 1953 OberbayernBehrisch, Erich Arno 1946 bis 1949 OberfrankenBeier, Franz 1950 bis 1957 SchwabenBenner, Otto 1978 bis 1990 OberpfalzBerg, Irmlind 1993 bis 2003 Oberbayern

Bezold, Georg 1946 bis 1950 UnterfrankenBeyer, Dr. Thomas 2003 MittelfrankenBiedefeld, Susann 1994 OberfrankenBinder, Michael 1970 bis 1974 OberbayernBirk, Georg 1899 bis 1907 OberbayernBitom, Ewald 1946 bis 1958 NiederbayernBittinger, Dionys 1950 bis 1954 SchwabenBlasy, Dr. Adalbert 1970 bis 1978 UnterfrankenBlumtritt, Max 1919 bis 1931 OberfrankenBöddrich, Dr. Jürgen 1966 bis 1986 OberbayernBögler, Franz 1933 PfalzBöhm, Fritz 1958 bis 1965 OberbayernBörner, Alfred 1962 bis 1986 OberfrankenBothner, Max 1958 bis 1966 Oberbayern

1970 OberbayernBoutter, Rainer 1998 bis 2008 UnterfrankenBrandl, Max 1986 bis 1990 OberpfalzBrandl, Max 1982 bis 2003 NiederbayernBraun, Alfons 1974 bis 1984 SchwabenBraun, Dr. Peter 1986 bis 1991 OberbayernBrunner, Adalbert 1970 bis 1978 OberbayernBuchauer, Wilhelm 1966 bis 1970 OberbayernBüchs, Franz Xaver 1924 bis 1932 MittelfrankenBurkei, Ria 1978 bis 1990 Oberbayern

CCoqui, Helmuth 1994 bis 1998 OberbayernCremer, Dr. Friedrich 1966 bis 1981 Unterfranken

DDeffner, Aurelie 1919 bis 1920 SchwabenDeffner, Jakob 1974 bis 1982 OberbayernDegen, Anton 1958 bis 1974 UnterfrankenDeininger, Gottfried 1958 bis 1966 SchwabenDemeter, Hans 1950 bis 1970 OberbayernDewald, Georg 1924 bis 1933 UnterfrankenDietl, Hans 1946 bis 1954 Niederbayern

Mitglieder der Landtagsfraktion(unter Angabe der Zeitspanne und des jeweiligen Regierungsbezirkes)

177Mitglieder der Landtagsfraktion

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ANHANG

Dill, Hans 1919 bis 1923 Ufr./Ofr.Dittmar, Sabine 2008 UnterfrankenDittmeier, Josef 1970 bis 1978 NiederbayernDöbler, Thomas 2002 bis 2003 MittelfrankenDönhuber, Sebastian 1966 bis 1970 OberbayernDorn, Konrad 1907 bis 1918 MittelfrankenDorsch, Walter 1974 bis 1986 MittelfrankenDrechsel, Ewald 1954 bis 1970 OberfrankenDrechsel, Max 1946 bis 1954 Niederbay./Opf.Drechsler, Ferdinand 1952 bis 1954 Mittelfranken

1957 bis 1974 MittelfrankenDupper, Jürgen 2003 bis 2008 NiederbayernDuschl, Mathias 1958 bis 1966 Oberbayern

EEberhard, Konrad 1919 bis 1920 Mittelfranken

1927 bis 1933 MittelfrankenEberle, Rudolf 1966 bis 1978 NiederbayernEckstein, Herbert 1990 bis 1993 MittelfrankenEgleder, Udo 1994 bis 2003 Niederbayern

2008 NiederbayernEhrhart, Franz Josef 1893 bis 1908 Mfr./PfalzEichhorn, Ludwig 1958 bis 1960 MittelfrankenEisner, Kurt 1919 OberbayernEndemann, Christian 1924 bis 1932 Oberpfalz

1946 bis 1950 OberpfalzEndres, Friedrich 1912 bis 1920 MittelfrankenEndres, Fritz 1912 bis 1918 Unterfranken

1920 bis 1933 UnterfrankenEngelhard, Urban 1919 bis 1920 UnterfrankenEngelhardt, Karl-Th. 1974 bis 1986 SchwabenEngelhardt, Walter 1978 bis 1998 OberfrankenErhard, Martin 1970 bis 1982 OberbayernEssl, Erwin 1954 bis 1974 Oberbayern

FFalb, Anton 1950 bis 1966 OberpfalzFalter, Max 1978 bis 1982 Oberbayern

Faltermeier, Rudolf 1962 bis 1966 NiederbayernFehlner, Martina 2013 UnterfrankenFichtner, Günther 1982 bis 1990 MittelfrankenFichtner, Lorenz 1946 bis 1949 NiederbayernFink, Otto 1954 bis 1962 NiederbayernFink, Otto 1960 bis 1966 Mittelfranken

1967 bis 1970 Mittelfranken1972 bis 1974 Mittelfranken

Fischer, August 1920 bis 1924 MittelfrankenFischer, Friedrich 1946 bis 1950 OberfrankenFischer, Karl 1928 bis 1933 PfalzFischer, Max 1919 OberfrankenFischer, Walter 1958 bis 1977 MittelfrankenFischer, Willy 1946 bis 1949 MittelfrankenFörster, Dr. Linus 2003 SchwabenFörster, Franz 1950 bis 1970 OberfrankenFörstner, Anna Maria 2002 bis 2003 OberpfalzFranke, Dr. Heinrich 1946 bis 1954 Ofr./Mfr.Franz, Herbert 1978 bis 1998 UnterfrankenFranzke, Dietmar 1978 bis 2003 NiederbayernFrenzel, Alfred 1950 bis 1953 SchwabenFreudenberger, Felix 1919 bis 1920 UnterfrankenFribl, Anton 1949 bis 1950 OberbayernFriedrich, Hans 1954 bis 1970 OberpfalzFröhlich, Friedrich-Karl 1966 bis 1986 Schwaben

GGabert, Volkmar 1950 bis 1978 OberbayernGaluschka, Walter 1962 bis 1967 UnterfrankenGantzer, Prof. Dr. Peter Paul 1978 OberbayernGareis, Josef 1953 bis 1954 Oberbayern

1957 bis 1958 OberbayernGareis, Karl 1920 bis 1921 OberbayernGartzke, Wolfgang 1994 bis 2003 MittelfrankenGasteiger, Hans 1919 bis 1924 Mfr./Ufr./Obb.

1928 bis 1932 Mfr./Ufr./Obb.Gausmann, Manfred 1982 bis 1994 Niederbayern

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Mitglieder der Landtagsfraktion 179

Gebhardt, Kurt 1978 bis 1986 OberfrankenGeiger, Hermann 1998 bis 2003 SchwabenGeiselhart, Otto 1919 bis 1920 SchwabenGeiser, Martin 1962 bis 1978 SchwabenGeisperger, Fritz 1974 bis 1990 NiederbayernGentner, Fritz 1958 bis 1978 OberfrankenGentner, Hans 1912 bis 1920 Ofr./Mfr.

1928 bis 1933 Ofr./Mfr.Gerstl, Alfons 1962 bis 1972 NiederbayernGeyer, Georg Karl 1919 bis 1920 OberpfalzGeys, Helmut 1974 bis 1986 OberbayernGiermann, Karl 1919 bis 1933 MittelfrankenGlotz, Dr. Peter 1970 bis 1972 OberbayernGölzer, Heinrich 1912 bis 1918 SchwabenGoertz, Christine 1994 bis 2003 SchwabenGötz, Dr. Franz 1978 bis 2003 OberbayernGötz, Hermann 1953 bis 1954 OberfrankenGoßler, Fritz 1919 bis 1924 OberfrankenGradl, Josef 1962 bis 1970 Oberpfalz

1973 bis 1974 OberpfalzGräßler, Fritz 1946 bis 1970 MittelfrankenGraf, Otto 1920 bis 1923 OberbayernGrillenberger, Karl 1893 bis 1897 MittelfrankenGroll, Oskar 1920 bis 1924 SchwabenGrosch, Georg 1952 bis 1966 OberfrankenGroß, Paul 1958 bis 1962 NiederbayernGruber, Martin 1919 OberbayernGruschke, Otto 1919 bis 1920 MittelfrankenGsänger, Albert 1962 bis 1966 MittelfrankenGüll, Martin 2008 OberbayernGüller, Harald 1994 bis 2003 Schwaben

2008 SchwabenGünzl, Maria 1950 bis 1962 OberbayernGüthlein, Herbert 1970 bis 1974 OberfrankenGumerum, Ernst 1954 bis 1958 Schwaben

HHaas, Franz 1946 bis 1957 MittelfrankenHaas, Gerda-Maria 1982 bis 1998 MittelfrankenHaase, Horst 1962 bis 1972 MittelfrankenHäberle, Dr. Karl 1962 bis 1966 SchwabenHärtl, Adolf 1958 bis 1972 SchwabenHagen, Georg 1932 bis 1933 Oberfranken

1946 bis 1958 OberfrankenHagen, Lorenz 1946 bis 1954 Ofr./Mfr., OBBHahnzog, Dr. Klaus 1990 bis 2003 OberbayernHalbleib, Volkmar 2008 UnterfrankenHaller v. Hallerstein, Dr. 1900 bis 1905 MittelfrankenSiegmund 1907 bis 1920 MittelfrankenHamann, Dr. Elisabeth 1974 bis 1978 OberbayernHarrer, Christa 1978 bis 1998 OberbayernHarscher, Georg 1907 bis 1912 MittelfrankenHartl, Dr. Hans 1986 bis 1994 OberbayernHartmann, Edi 1970 bis 1986 SchwabenHartmann, Gerhard 1998 bis 2003 UnterfrankenHartmann, Hermann 1919 bis 1924 PfalzHaselmayr, Luise 1962 bis 1970 OberbayernHauffe, Herbert 1949 bis 1953 OberfrankenHecht, Inge 1994 bis 2003 OberbayernHeckel, Max von 1982 bis 1996 OberbayernHeckscher, Berthold 1966 bis 1970 NiederbayernHefele, Günter 1986 bis 1990 MittelfrankenHeiden, Leonhard 1966 bis 1978 MittelfrankenHeinrich, Horst 1974 bis 2002 SchwabenHendrikoff, Graf Nikolaus 1970 bis 1974 OberbayernHering, Bernd 1986 bis 1996 OberfrankenHerrmann, Matthäus 1919 bis 1928 Mittelfranken

1946 bis 1949 MittelfrankenHeublein, Rudolf 1919 bis 1920 OberbayernHierl, Michael 1908 bis 1918 MittelfrankenHiersemann, Alexandra 2013 MittelfrankenHiersemann, Karl-Heinz 1974 bis 1998 MittelfrankenHille, Dr. Arnold 1946 bis 1950 Oberbayern

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ANHANG

Hillebrand, Rosa 1950 bis 1954 OberbayernHirsch, Martin 1954 bis 1961 OberfrankenHirsch, Wilhelm 1919 bis 1920 OberfrankenHirschmann, Anne 1994 bis 2003 OberbayernHochleitner, Anton 1962 bis 1982 NiederbayernHoderlein, Wolfgang 1990 bis 2008 OberfrankenHögg, Clemens 1919 bis 1933 Schwaben/Ufr.Högn, Hans 1950 bis 1966 OberfrankenHöllrigl, Hans 1966 bis 1970 Oberbayern

1972 bis 1974 Oberbayern1978 bis 1982 Oberbayern

Hoegner, Dr. Wilhelm 1924 bis 1932 Oberbayern1946 bis 1970 Oberbayern

Hölzl, Johann 1974 bis 1986 OberpfalzHößl, Max 1970 bis 1973 OberpfalzHofer, Julius 1946 bis 1953 Ofr./Mfr.Hoffmann, Johannes 1908 bis 1920 PfalzHofmann, Leopold 1946 bis 1954 OberpfalzHofmann, Werner 1967 bis 1970 UnterfrankenHoll, Urban 1920 bis 1924 NiederbayernHollwich, Werner 1978 bis 1994 UnterfrankenHorlacher, Leonhard 1919 bis 1920 OberbayernHornig-Sutter, Dr. Monika 1978 bis 1982 OberbayernHuber, Dr. Franz 1946 bis 1954 SchwabenHuber, Joseph 1899 bis 1920 PfalzHübner, Lothar 1990 bis 1994 MittelfrankenHügly, Philipp 1920 bis 1924 PfalzHufe, Peter 1994 bis 2008 Mittelfranken

IInhofer, Joseph 1919 bis 1924 SchwabenIrlinger, Eberhard 1990 bis 2002 MittelfrankenIrlinger, Willy 1958 bis 1970 Oberbayern

1972 bis 1974 OberbayernIschinger, Hans 1919 bis 1920 Oberbayern

JJaud, Ludwig 1966 bis 1970 Schwaben

1971 bis 1974 SchwabenJena, Manfred 1982 bis 1986 OberbayernJung, Dr. Thomas 1994 bis 2002 MittelfrankenJungfer, Hedda 1978 bis 1994 Oberbayern

KKaeser, Elisabeth 1920 bis 1924 Oberbayern

1928 bis 1932 OberbayernKahler, Otto 1970 bis 1978 OberfrankenKaiser, Dr. Heinz 1978 bis 2008 UnterfrankenKaiser, Willi 1974 bis 1990 OberfrankenKamm, Berthold 1966 bis 1990 MittelfrankenKarl, Annette 2008 OberpfalzKaub, Dr. Reinhold 1966 bis 1978 OberbayernKeidel, Ludwig Philipp 1899 bis 1907 Pfalz

1912 bis 1920 PfalzKeiditsch, Michael 1919 bis 1920 NiederbayernKern, Robert 1919 bis 1920 UnterfrankenKerner, Georg 1946 bis 1950 Ofr./Mfr.Kick, Franz 1970 bis 1982 MittelfrankenKiene, Josef 1946 bis 1970 OberbayernKlampfer, Georg 1912 bis 1914 MittelfrankenKlasen, Josef 1970 bis 1990 OberbayernKleefoot, Paul 1919 bis 1920 PfalzKlement, Eduard 1905 bis 1924 PfalzKlingler, Franz 1920 bis 1932 OberfrankenKluge, Waldemar 1954 bis 1958 Niederbayern

1959 bis 1966 NiederbayernKnauer, Walter 1986 bis 1994 OberfrankenKnoblauch, Günther 2013 NiederbayernKnoeringen, Waldemar von 1946 bis 1970 OberbayernKoch, Albert 1970 bis 1986 OberfrankenKöglsperger, Karl 1954 bis 1962 OberbayernKöhler, Dr. Heinz 1994 bis 2002 OberfrankenKönig, Carmen 1978 bis 1994 Oberbayern

Page 182: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

Mitglieder der Landtagsfraktion 181

Körner, Bruno 1905 bis 1927 PfalzKörner, Ernst 1946 bis 1954 Ofr./Mfr.Köster, Lothar 1982 bis 1986 SchwabenKohnen, Natascha 2008 OberbayernKolo, Hans 1970 bis 1994 OberbayernKränzlein, Dr. Herbert 2013 OberbayernKramer, Hans 1946 bis 1970 SchwabenKriegisch, Dr. Josef 1954 bis 1966 OberbayernKronawitter, Georg 1966 bis 1972 Oberbayern

1994 bis 1998 OberbayernKronawitter, Dr. Hildegard1998 bis 2008 OberbayernKrüger, Gertrud 1950 bis 1966 MittelfrankenKuhbandner, Valentin 1966 bis 1978 OberpfalzKunath, Hans 1946 bis 1954 UnterfrankenKupfer, Erhard 1928 bis 1933 UnterfrankenKurz, Peter 1978 bis 1986 Oberbayern

LLämmermann, Konrad 1912 bis 1920 MittelfrankenLangebeck, Walter 1954 UnterfrankenLangenberger, Rolf 1970 bis 1994 MittelfrankenLaufer, Gerda 1954 bis 1974 UnterfrankenLaumer, Josef 1932 bis 1933 Niederbayern

1946 bis 1954 Oberpfalz1956 bis 1958 Oberpfalz

Leichtle, Wilhelm 1986 bis 2008 SchwabenLeiß, Werner 1982 bis 1986 OberbayernLeonhardt, Jakob 1920 bis 1932 PfalzLettenbauer, Adolf 1962 bis 1970 SchwabenLindig, Robert 1950 bis 1966 OberpfalzList, Wolfgang 1978 bis 1982 MittelfrankenLochner-Fischer, Monica 1991 bis 2008 OberbayernLoew, Hans-Werner 1974 bis 1998 UnterfrankenLöhlein, Ignaz 1920 bis 1924 UnterfrankenLöwenstein, Gabriel 1893 bis 1905 MittelfrankenLohse, Max 1919 bis 1920 UnterfrankenLoos, Martin 1950 bis 1970 Mittelfranken

Lotte, Andreas 2013 OberbayernLowig, Georg Martin 1949 bis 1950 Ofr./Mfr.Ludwig, Adolf 1932 bis 1933 PfalzLück, Heidi 1994 bis 2008 Schwaben

MMaag, Johann 1946 bis 1966 UnterfrankenMachnig, Rudolf 1953 bis 1966 SchwabenMader, Karl 1953 bis 1954 UnterfrankenMämpel, Hermann 1920 OberfrankenMaget, Franz 1990 bis 2013 OberbayernMartini, Klaudia 1986 bis 1991 SchwabenMarx, Franz 1946 bis 1959 OberbayernMauerer, Emilie 1919 bis 1920 OberbayernMauler, Ferdinand 1958 bis 1970 OberbayernMehrlich, Heinz 1982 bis 1990 Unterfranken

1994 bis 2003 UnterfrankenMeier, Christa 1978 bis 1990 OberpfalzMemmel, Hermann 1994 bis 2008 OberbayernMerkel, Johann 1902 bis 1905 Mittelfranken

1919 bis 1920 MittelfrankenMesserer, Rainer 1978 bis 1990 MittelfrankenMetz, Georg 1920 bis 1924 PfalzMeyer, Georg 1919 bis 1920 OberfrankenMeyer, Dr. Helmut 1970 bis 1978 OberbayernMeyer, Ludwig 1946 bis 1950 OberfrankenMittermüller, Alois 1974 bis 1978 OberbayernMöstl, Fritz 1994 bis 2003 OberpfalzMohrmann, Otto 1961 bis 1970 OberfrankenMoll, Leonhard 1920 bis 1924 OberfrankenMoser, Willibald 1970 bis 1994 OberpfalzMüller, Adolf 1899 bis 1918 OberbayernMüller, Christian 1950 bis 1963 OberfrankenMüller, Herbert 1982 bis 2008 SchwabenMüller, Karl-Heinz 1974 bis 1994 SchwabenMüller, Richard 1962 bis 1972 OberfrankenMüller, Ruth 2013 Niederbayern

Page 183: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

ANHANG

Münch, Alfred 1982 bis 1986 OberbayernMuhr, Bernhard 1946 bis 1950 Niederbay./Opf.

NNaaß, Christa 1994 bis 2013 MittelfrankenNarnhammer, Bärbel 1990 bis 2008 OberbayernNarr, Eva 1950 bis 1954 OberfrankenNaumann, Hans-Günter 1970 bis 1994 OberbayernNentwig, Armin 1986 bis 2002 OberpfalzNeuburger, Ambros 1974 bis 1986 UnterfrankenNeumann, Erwin 1920 bis 1924 MittelfrankenNiedermeier, Hermann 1978 bis 1982 Niederbayern

1990 bis 2003 NiederbayernNiekisch, Ernst 1920 bis 1923 SchwabenNimmerfall, Hans 1912 bis 1920 Oberbayern

1924 bis 1928 OberbayernNoichl, Maria 2008 bis 2013 Oberbayern

OOdenbach, Friedrich 1996 bis 2003 OberfrankenOechsle, Dr. Richard 1954 bis 1970 OberbayernOeckler, Dr. Georg 1954 bis 1962 OberpfalzOertel, Karl Michael 1899 bis 1900 MittelfrankenOp den Orth, Franz 1946 bis 1954 UnterfrankenOspald, Hermann 1950 bis 1970 Schwaben

PPausch-Gruber, Ursula 1974 bis 1990 MittelfrankenPerlak, Reinhold 2008 bis 2013 NiederbayernPeschel, Max 1928 bis 1932 Oberbayern

1946 bis 1950 OberbayernPeters, Gudrun 1994 bis 2008 NiederbayernPetersen, Kathi 2013 UnterfrankenPfaffmann, Hans-Ulrich 1998 OberbayernPickelmann, Ludwig 1907 bis 1918 OberbayernPiehler, Andreas 1946 bis 1962 Oberbayern

Piper, Richard 1950 bis 1954 NiederbayernPittroff, Claus 1946 bis 1958 OberfrankenPleninger, Hermann 1919 bis 1920 OberbayernPörschmann, Emil 1929 bis 1932 MittelfrankenPoeschke, Michael 1933 MittelfrankenPohl, Konrad 1919 bis 1920 UnterfrankenPrandl, Anton 1950 bis 1958 OberbayernPranghofer, Karin 1998 bis 2013 UnterfrankenPriller, Otto 1950 bis 1958 OberbayernProbst, Joseph 1920 bis 1924 NiederbayernPröbstl, Anton 1919 bis 1920 OberbayernProfit, Friedrich 1912 bis 1920 Pfalz

RRabenstein, Dr. Christoph 1998 OberfrankenRadermacher, Karin 1986 bis 2008 UnterfrankenRauscher, Doris 2013 OberbayernRebmann, Heinrich 1919 bis 1920 PfalzReiland, Dr. Willi 1962 bis 1970 UnterfrankenRenk, Kurt 1957 bis 1958 SchwabenRenner, Ludwig 1912 bis 1920 SchwabenRiedmiller, Lorenz 1946 bis 1950 SchwabenRinderspacher, Markus 2008 OberbayernRippel, Wenzel 1954 SchwabenRitter, Florian 2003 OberbayernRitzer, Dr. Helmut 1982 bis 2003 MittelfrankenRöll, Franz 1946 bis 1952 Ofr./Mfr.Roiger, Ludwig 1946 bis 1950 Niederbay./Opf.Roith, Christian 1933 Oberbayern

1946 bis 1950 OberbayernRollwagen, Hans 1905 bis 1912 SchwabenRoos, Bernhard 2008 NiederbayernRoßhaupter, Albert 1907 bis 1933 Oberbayern

1946 OberbayernRosenthal, Georg 2013 UnterfrankenRothammer, Josef 1962 bis 1966 OberpfalzRothemund, Dr. Helmut 1962 bis 1992 Oberfranken

Page 184: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

Mitglieder der Landtagsfraktion 183

Schmitt, Franz 1899 bis 1920 OberbayernSchmitt, Hilmar 1978 bis 1998 UnterfrankenSchmitt-Bussinger, Helga 1998 MittelfrankenSchmolcke, Joachim 1970 bis 1986 OberbayernSchneider, Alfons 1970 bis 1978 OberpfalzSchneider, Harald 2008 bis 2013 UnterfrankenSchneider, Matthäus 1919 bis 1920 OberfrankenSchneider, Wilhelm 1966 bis 1974 OberbayernSchneier, Heinrich 1962 bis 1970 UnterfrankenSchnell, Heinrich 1970 bis 1986 MittelfrankenSchneppenhorst, Ernst 1912 bis 1920 MittelfrankenSchöfberger, Dr. Rudolf 1966 bis 1974 OberbayernSchöllhorn, Peter 1946 bis 1950 SchwabenSchöpf, Georg 1946 bis 1950 Niederbay./Opf.Schösser, Fritz 1994 bis 1998 OberbayernScholz, Dr. Manfred 1994 bis 2003 MittelfrankenSchraut, Ludwig 1966 bis 1970 Schwaben

1972 bis 1974 SchwabenSchütte, Georg 1946 bis 1950 OberbayernSchuhmann,Dr. Manfred 1986 bis 2003 OberbayernSchuhmann, Otto 1974 bis 1994 OberfrankenSchultz, Heiko 1986 bis 2003 MittelfrankenSchuster, Stefan 2002 MittelfrankenSchwabl, Ludwig 1970 bis 1978 OberbayernSchwartz, Christian Paul 1924 bis 1932 PfalzSebald, Josef 1950 bis 1958 OberbayernSeebauer, Dr. Rolf 1974 bis 1992 OberbayernSegitz, Martin 1897 bis 1927 Pfalz/Mittelfr.Seibel-Emmerling, L. 1966 bis 1980 MittelfrankenSeidel, Hans 1932 bis 1933 OberfrankenSeifert, Franz Peter 1953 bis 1970 MittelfrankenSeifried, Josef 1928 bis 1933 Oberbayern

1946 bis 1950 OberbayernSeitz, Dr. Walter 1950 bis 1954 OberbayernSichler, Franz 1946 bis 1947 Niederbay./Opf.

1950 bis 1970 Niederbay./Opf.

Rottenberger, Heinrich 1954 bis 1956 NiederbayernRudolph, Ludwig von 1949 bis 1954 MittelfrankenRummel, Oskar 1962 bis 1978 UnterfrankenRupp, Adelheid 2003 bis 2013 OberbayernRupprecht, Fritz 1958 bis 1966 MittelfrankenRuttmann, Josef 1966 bis 1970 Oberbayern

SSäckler, Joseph 1907 bis 1920 MittelfrankenSaenger, Alwin 1919 bis 1924 OberbayernSang, Bernhard 1928 bis 1932 PfalzSauber, Fritz 1920 bis 1924 OberbayernSauer, Hans 1954 bis 1962 UnterfrankenSchade, Dr. Jürgen 1994 bis 1998 OberbayernSchäfer, Josef 1962 bis 1966 SchwabenSchaller, Gabriel 1962 bis 1970 Oberbayern

1972 bis 1974 OberbayernScharf, Norbert 1986 bis 1990 OberpfalzScherber, Andreas 1946 bis 1966 MittelfrankenScherm, Johann 1893 bis 1902 MittelfrankenScheuenstuhl, Harry 2013 MittelfrankenSchieder, Marianne 1994 bis 2005 OberpfalzSchieder, Werner 1990 bis 2008 OberpfalzSchimpl, Anton 1982 bis 1994 MittelfrankenSchindler, Franz 1990 OberpfalzSchläger, Albrecht 1990 bis 2003 OberfrankenSchlichtinger, Friedl 1950 Niederbay./Opf.Schlichtinger, Rudolf 1920 bis 1924 Oberpfalz

1928 bis 1932 OberpfalzSchlichtinger, Rudolf 1954 bis 1970 OberpfalzSchlittmeier Dr. Andreas 1966 bis 1986 NiederbayernSchlosser, Walter 1974 bis 1990 OberbayernSchmid, Dr. Albert 1990 bis 2000 OberpfalzSchmid, Eduard 1907 bis 1924 OberbayernSchmidt, Adolf 1920 bis 1924 SchwabenSchmidt, Renate 1994 bis 2002 MittelfrankenSchmidt-Sibeth, Waltraud 1994 bis 2003 Oberbayern

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ANHANG

Simon, Dr. Helmut 1991 bis 1998 Schwaben2003 Schwaben

Simon, Hildegard 1998 Mittelfranken2002–2003 Mittelfranken

Simon, Josef 1907 bis 1918 MittelfrankenSittig, Georg 1950 bis 1958 UnterfrankenSoldmann, Oskar 1954 bis 1978 UnterfrankenSommer, Alfred 1966 bis 1982 MittelfrankenSommerkorn, Klaus 1982 bis 1994 MittelfrankenSonnenholzner, Kathrin 2003 OberbayernSonntag, Karl 1958 bis 1978 OberfrankenSpann, Michael 1920 bis 1924 NiederbayernStachowitz, Diana 2008 OberbayernStarzmann, Gustav 1982 bis 2003 OberbayernSteeger, Julius 1919 bis 1932 OberfrankenStegner, Johann 1920 OberfrankenSteiger, Christa 1992 bis 2013 OberfrankenSteitz, Johannes 1919 bis 1920 OberfrankenStenglein, Heinrich 1974 bis 1990 OberfrankenStock, Jean 1920 bis 1924 Unterfranken

1946 bis 1962 UnterfrankenStöhr, Heinrich 1946 bis 1958 MittelfrankenStrasser, Johannes 1986 bis 2003 SchwabenStrobl, Josef 1950–1957 OberbayernStrobl, Reinhold 2005 OberpfalzStrohmayr, Dr. Simone 2003 SchwabenStrohmayer, Max 1950 bis 1958 Schwaben

1972 bis 1974 SchwabenSüßheim, Dr. Dr. Max 1907 bis 1920 MittelfrankenSyring, Dr. Hans Willi 1966 bis 1974 Schwaben

TTasdelen, Arif 2013 MittelfrankenThieme, Willy 1950 bis 1958 OberbayernTimm, Johannes 1905 bis 1933 OberbayernToller, Ernst 1921 bis 1924 OberbayernTragesser, Georg 1928 bis 1932 NiederbayernTraidl, Anton 1923 bis 1924 Schwaben

Trapp, Heinrich 1986 bis 1991 NiederbayernTruchseß, Ruth von 1994 bis 2003 UnterfrankenTruchseß, Volker von 1970 bis 1986 UnterfrankenTübel, Arthur 1919 bis 1924 Oberfranken/Mfr.

1931 bis 1932 Oberfranken/Mfr.1949 bis 1950 Oberfranken/Mfr.

UUlrich, Siegmund 1919 bis 1920 SchwabenUngermann, Josef 1954 bis 1966 Oberbayern

VVogel, Johann 1912 bis 1918 MittelfrankenVogel, Wolfgang 1998 bis 2008 MittelfrankenVoget, Anne 1990 bis 2003 MittelfrankenVogl, Simon 1946 bis 1950 Niederbay./Opf.Vogtherr, Dr. Ernst 1946 bis 1948 SchwabenVolkmann, Rainer 1998 bis 2008 OberbayernVollmar, Georg von 1893 bis 1918 OberbayernVon Brunn, Florian 2013 Oberbayern

WWahnschaffe, Joachim 1990 bis 2008 OberpfalzWalch, Ludwig 1950 bis 1954 OberpfalzWaldmann, Ruth 2013 OberbayernWallner, August 1949 bis 1950 Niederbay./Opf.Walter, Dr. Friedrich 1966 bis 1970 OberbayernWalther, Max 1919 bis 1924 Mittelfranken

1928 bis 1932 MittelfrankenWarnecke, Klaus 1974 bis 1990 OberbayernWeber, Fritz 1966 bis 1970 Niederbayern

1972 bis 1974 NiederbayernWeber, Joseph 1924 bis 1932 PfalzWeber, Max 1982 bis 1990 OberbayernWehr, Albert 1958 bis 1966 SchwabenWeich, Georg 1966 bis 1974 OberpfalzWeikert, Angelika 2003 MittelfrankenWeilmaier, Anton 1958 bis 1970 Oberbayern

Page 186: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

Mitglieder der Landtagsfraktion 185

Weishäupl, Karl 1950 bis 1974 OberbayernWelsch, Louis 1966 bis 1970 Oberfranken

1972 bis 1974 OberfrankenWengert, Dr. Paul 2008 SchwabenWerner, Hans Joachim 1998 bis 2013 OberbayernWerner, Otto 1978 bis 1986 SchwabenWerner-Muggendorfer, J. 1991 NiederbayernWernitz, Dr. Axel 1970 bis 1972 SchwabenWestphal, Hedwig 1962 bis 1978 OberbayernWild, Margit 2008 OberpfalzWilhelm, Franz 1946 bis 1950 Niederbay./Opf.Wimmer, Thomas 1946 bis 1958 OberbayernWirth, Günter 1970 bis 1994 SchwabenWittmann, Dr. Anton 1954 bis 1960 OberbayernWoerlein, Herbert 2013 SchwabenWörner, Ludwig 1998 bis 2013 OberbayernWolf, Franz 1946 bis 1962 NiederbayernWolf, Xaver 1974 bis 1990 OberpfalzWolfer, Dr. Rudolf 1970 bis 1971 SchwabenWolff, Günter 1954 bis 1966 NiederbayernWolfrum, Klaus 1998 bis 2008 OberfrankenWunderlich, Robert 1919 OberpfalzWurzel, Paul 1919 bis 1920 Mittelfranken

ZZacharias, Isabell 2008 OberbayernZachert, Klaus 2002 bis 2003 OberfrankenZankl, Rudolf 1962 bis 1970 OberbayernZdralek, Dr. Franz 1950 bis 1962 MittelfrankenZeitler, Erich 1962 bis 1978 OberbayernZeller, Eugen 1919 bis 1920 NiederbayernZiegler, Dr. Siegfried 1955 OberbayernZierer, Dietmar 1978 bis 1990 OberpfalzZietsch, Friedrich 1946 bis 1966 OberfrankenZimmerer, Wilhelm 1928 bis 1932 Schwaben

1950 SchwabenZink, Peter 1954 bis 1974 Mittelfranken

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ANHANG

Asgodom, Sabine (Hrsg.): „Halt’s Maul – sonstkommst nach Dachau!“ Männer und Frauen derArbeiterbewegung berichten über Widerstand undVerfolgung unter dem National sozialis mus, Köln1983Brewka, Siegfried: Zentrum und Sozialdemokratiein der bayerischen Kammer der Abgeordneten1893-1914, Frankfurt/M. 1997Durchbruch zum modernen Deutschland? DieSozialdemokratie in der Regierungsverant wor tung1966–1982, hrsg. von Inge Marßolek, Essen 1995Edinger, Lewis J.: Sozialdemokratie und National -sozialismus. Der Parteivorstand der SPD im Exilvon 1933 bis 1945, Hannover-Frank furt/M. 1960Der Freiheit verpflichtet. Gedenkbuch der deut-schen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, bearb.von Christl Wickert, Marburg 2000Gelberg, Karl-Ulrich: Die Protokolle der SPD-Fraktion in der Bayerischen Verfassung ge ben denLandesversammlung 1946, in: Zeitschrift für baye-rische Landesgeschichte 60 (1997), S. 1051–1093ders. (Bearb.): Quellen zur politischen GeschichteBayerns in der Nachkriegszeit, Band I: 1944–1957,München 2002 Gelberg, Karl-Ulrich, und Michael Stephan: Mi ni s -terpräsident Wilhelm Hoegner. In: „Das schönsteAmt der Welt“. Die Bayerischen Mini ster prä si den tenvon 1945 bis 1993 (= Staatliche Archive Bayerns.Klei ne Ausstellungen Nr. 13), Mün chen 1999, S. 44–68Grau, Bernhard: Kurt Eisner 1867–1919. Eine Bio -graphie, München 2001 Handschell, Christian (Bearb.): Handbuch zurStatistik der Parlamente und Parteien in den west-lichen Besatzungszonen und in der Bundes re pu -blik Deutschland, Teil 1: Ab geord ne te in Bund und

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Ländern. Mitgliedschaft und Sozial struktur 1946–1990, Düsseldorf 2002Hennig, Diethard: Johannes Hoffmann. Sozial de -mo krat und Ministerpräsident. Biographie, Mün chen1990Hirschfelder, Heinrich: Die bayerische Sozial de -mo kratie 1864–1914, 2 Bde., Erlangen 1979Hoegner, Wilhelm: Flucht vor Hitler. Erin ne run genan die Kapitulation der ersten deutschen Re pu blik1933, München 1977ders.: Der schwierige Außenseiter. Erinnerungeneines Abgeordneten, Emigranten und Minister prä -si den ten, München 1959Hofmann, Robert: 110 Jahre SPD in Bayern, Mün -chen 2002 ders.: Geschichte der BayernSPD, Multimedia-CD-ROM, München 20012

ders.: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie.Teil I: bis 1933, Multimedia-CD-ROM, München1996/1998/2001ders.: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie.Teil II: bis 2001, Multimedia-CD-ROM, München1998/2001Klotzbach, Kurt: Der Weg zur Staatspartei. Pro -gram matik, praktische Politik und Organisation derdeutschen Sozialdemokratie 1945 bis 1965, Ber lin-Bonn 1982Köglmeier, Georg: Die zentralen Rätegremien inBayern 1918/19. Legitimation – Organisa tion –Funk tion, München 2001Kral, Herbert: Die Landespolitik der SPD inBayern von 1924 bis 1933, München 1985Kritzer, Peter: Wilhelm Hoegner. Politische Bio -gra phie eines bayerischen Sozialdemokraten, Mün -chen 1979

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Literatur

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Kronawitter, Hildegard: Wirtschaftskonzeptionenund Wirtschaftspolitik der Sozialdemokratie inBayern 1945–1949, München u. a. 1988Mehringer, Hartmut: Die bayerische Sozial de mo -kra tie bis zum Ende des NS-Regimes. Vor ge -schich te, Verfolgung und Widerstand, in: MartinBroszat und Hartmut Mehringer (Hrsg.): Bayern inder NS-Zeit Bd. V: Die Parteien KPD, SPD, BVPin Verfolgung und Widerstand, München-Wien1983, S. 287–432ders.: Impulse sozialdemokratischer Remigrantenauf die Modernisierung der SPD, in: Klaus-DieterKrohn u. Patrik von zur Mühlen (Hrsg.): Rückkehrund Aufbau nach 1945. Deutsche Remigranten imöffentlichen Leben Nachkriegsdeutschlands, Mar -burg 1997, S. 91–110ders. (Hrsg.): Von der Klassenbewegung zurVolkspartei. Wegmarken der bayerischen Sozi al -demokratie 1892–1992, München 1992ders.: Waldemar von Knoeringen. Eine politischeBiographie. Der Weg vom revolutionären Sozia lis muszur sozialen Demokratie, München u. a. 1989Parteijugend zwischen Wandervogel und politi-scher Reform. Eine Dokumentation zur Geschich teder Weimarer Republik, hrsg. von Wolfgang R.Krabbe, Münster u. a. 2000 Pohl, Heinrich: Die Münchener Arbeiterbe we -gung. Sozialdemokratische Partei, Freie Gewerk -schaf ten, Staat und Gesellschaft 1890–1914,München u. a. 1992Schröder, Michael (Hrsg.): Auf geht’s: Rama dama!Frauen und Männer aus der Arbeiterbewegungberichten über Wiederaufbau und Neubeginn 1945bis 1949, Köln 1984

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ders. (Hrsg.): Bayern 1945. Demokratischer Neu -be ginn. Interviews mit Augenzeugen, München 1985Schröder, Wilhelm Heinz: SozialdemokratischePar lamentarier in den deutschen Reichs- undLand tagen 1867–1933. Biographien – Chronik –Wahl dokumentation. Ein Handbuch, Düsseldorf1995Taubenberger, Bernhard: Licht übers Land. Diebayerische Viererkoalition 1954–1957, München2002Vollmar, Georg von: Reden und Schriften zurReformpolitik, hrsg. von Willy Albrecht, Berlin-Bonn-Bad Godesberg 1977Warnecke, Klaus: Albert Roßhaupter. Ein Leben fürFreiheit und soziale Gerechtigkeit, München 1982Weckerlein, Friedrich: Freistaat! Die Anfänge desdemokratischen Bayern. München 1994Werner, EmiI: Die Freiheit hat ihren Preis. Diebayerische Sozialdemokratie von ihren Anfängenbis zum Widerstand im NS-Staat, München 1980ders.: Im Dienste der Demokratie. Die bayerischeSozialdemokratie nach der Wiedergründung 1945,München 1982

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Literaturempfehlungen 187

Literatur

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ANHANG

Kapitel IDer Kampf umSozialreformen undelementareBürgerrechte

Kapitel IIDie bayerische SPDwährend derWeimarer Republik

Kapitel IIINationalsozialis -mus, ZweiterWeltkrieg,Neubeginn

Dr. Robert Hofmann,Geschäftsführer des Bayerischen Seminars für Politik in München bis 2011; geb. 1948 in Bayreuth, ab 1967Studium Geige, Musikkritik, Operndramaturgie, Politische Wissenschaften, Bayerische Geschichte undGeschichte Südost- und Osteuropas in München; Künstlerische Staatsprüfung 1971/72, Magister Artium1978, Promotion zum Dr. phil. 1986 am Lehrstuhl Sontheimer; Lehrauftrag an der Hochschule für Politik,München. Publikationen: Sicherheitspolitik der SPD 1966–1977, Puchheim 1986; Geschichte der deutschenParteien, München 1993; Geschichte der deutschen Sozialdemokratie Teil I bis 1933, Multimedia-CD-ROM, München 1996/1998/2001; Geschichte der deutschen Sozialdemokratie Teil II bis 2001, Multimedia-Doppel-CD-ROM, München 1998/2001.

Dr. Bernhard Grau,geb. 1963, Historiker; Studium der Geschichte und Rechts ge schich te; Archivar im Bayerischen Hauptstaats -ar chiv. Forschungs- und Veröffentlichungsschwerpunkte: Geschichte der deutschen und der bayerischenArbeiter bewegung; Bayeri sche Verfassungs- und Verwaltungs ge schich te; Münchner Stadt- und Stadt teil -geschichte. Publikationen: Kurt Eisner 1867–1919. Eine Biographie, München 2001; Die Zeichen der Zeit.Alltag in München 1933–1945, Berlin 1991 (hrsg. zusammen mit Prof. Dr. Marita Krauss).

Dr. habil. Hartmut Mehringer (1944–2011),wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Archivs des In sti tuts für Zeitgeschichte, München-Berlin; geb.1944, ab 1963 Studium Osteuropäische Geschichte, Politische Wissenschaft und Neuere Geschichte inErlangen, Paris und Amsterdam, an schlie ßend Verlagstätigkeit; 1976 Promotion, 1987 Habilitation mit einerBiographie von Waldemar von Knoeringen; For schungs schwerpunkte: deutsche und russische Geschichteim 19. und 20. Jahrhundert, Geschichte des Nationalso zia lis mus/Wi der stand und Emigration, Deutschlandund Frankreich im Zweiten Weltkrieg; wichtigste Publikationen: Biographisches Handbuch der deutsch-sprachigen Emigration nach 1933 (3 Bde.), Mün chen/New York 1980–1983 (Mitautor); Die KPD in Bayern1919–1945, sowie: Die bayerische Sozialdemokratie bis zum Ende des NS-Regimes, beide in: Bayern in derNS-Zeit Bd. V, München 1983; Waldemar von Knoeringen. Vom revolutionären Sozialismus zur sozialenDemokratie. Eine politische Biographie, München 1989; Von der Klassenbewegung zur Volkspartei.Wegmarken der baye rischen Sozialdemokratie, München 1992 (Hrsg.); Widerstand und Emigration. DasNS-Regime und seine Gegner. München 1997; Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zumDritten Reich. München 1999 (Obersalzberg-Dokumentation - Mithrsg.).

Page 190: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

Kapitel IVDer Wiederaufbauvon Wirtschaft undVerwaltung

Kapitel VDie SPD und dieModernisierungBayerns, 1962–2003

Kapitel VIArbeiten fürBayern – Die SPD-Landtagsfraktionvon 2003 bis 2013

189

Dr. Michael Stephan,geb. 1954, Studium der Germanistik und Geschichte in München; seit 1984 bei den staatlichen Archiven Bayerns;dort Mitarbeit an vielen zeitgeschichtlichen Ausstellungen, u.a. über Wilhelm Hoegner, das Epochenjahr 1948,Bayerns Anfänge im Bund 1949 sowie zur Entstehung der Bayerischen Verfassung 1946; seit Dezember 2008Leiter des Stadtarchivs München; seit 2010 Vorsitzender des Historischen Vereins von Oberbayern; zahlreichearchivfachliche, wissenschaftliche und journalistische Publikationen (v.a. zur bayerischen Behörden-, Parteien-und Literaturgeschichte und zur Münchner Stadtgeschichte). 2002–2008: Mitglied der SPD-Fraktion imMünchner Bezirksausschuss 4 (Schwabing-West); seit 2009 stellvertretender Vorsitzender des Kulturforumsder Sozialdemokratie in München.Kontakt: [email protected]

Dr. Jürgen Seidl,geb. 1971, Leiter des Personalreferats der Bayerischen Staats biblio thek in München; 1990–1992 Lehre zumIndustriekaufmann bei der Siemens AG in Regensburg, 1992–1997 Studium der Ge schich te und derPolitikwissenschaft an der Universität Regensburg, 1997 Magister Artium, 1998–2001 Mitarbeiter im Hi storischen Archiv der BMW AG in München, 2001 Promo tion zum Dr. phil. im Fach Geschichte an derUniversität Re gens burg, 2001/2002 Mitarbeiter bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte beider Bayerischen Akademie der Wissen schaf ten. Neben einigen Aufsätzen und Rezensionen ist zuletzterschienen: Die Bayerischen Motorenwerke (BMW) 1945–1969. Staatlicher Rahmen und unternehmeri-sches Handeln, München 2002.

Gudrun Rapke M.A.,stellvertretende Pressesprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Studium der Geschichte und Anglistik in Münchenund London. Magisterarbeit über „Kampf um das Frauenwahlrecht in Bayern“ bei Prof. Dr. Wolfram Siemann,Universität München. Ausbildung zur Redakteurin im Evangelischen Presseverband für Bayern, Arbeit alsRedak teurin bei Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, Evangelischer Pressedienst, tz undFOCUS. Mitglied der Evangelischen Landessynode 2002 bis 2008 und Mitglied im Kirchenvorstand St. Markusin München.

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Page 191: Mit Leidenschaft für Demokratie - 120 Jahre SPD-Landtagsfraktion in Bayern 1893-2014

ANHANG

Archiv der sozialen Demokratie: S. 66, 70–73, 75, 76, 79, 83, 87, 100, 121

Bayerische Staatsbibliothek: S. 41, 49

Bayerischer Landtag: S. 125–127, 129, 130, 135, 139, 140, 142, 146, 148, 149,151–153

Bayerisches Hauptstaatsarchiv: S. 35, 37–40, 49, 52–59, 61, 65, 98, 103, 104, 106, 107,113, 116–120

Bildarchiv Robert Hofmann: S. 9–33, 36, 39, 45–47, 51

Bilderdienst Süddeutscher Verlag: S. 96, 102, 104, 112, 113, 120, 131, 132, 134–138, 141,145, 150, 151

Deutsche Presseagentur: S. 101, 130, 134

fotolia: S. 163

Fraktion Freie Wähler: S. 173

Josef Heinrich Darchinger: S. 126, 127, 133, 139

Georg-von-Vollmar-Akademie: S. 109, 123

Haus der bayerischen Geschichte: S. 105

Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin: S. 74, 75, 81, 84

Landtagsarchiv/Landtagshandbücher: S. 47, 48, 51, 54, 55, 58, 68, 69, 72, 76–78, 81, 88, 89, 91, 96, 97, 104, 106, 122

Laszlo C. Bacs interpressmedia: S. 165

Bildnachweis

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Bildnachweis 191

Nürnberger Nachrichten: S. 109

Oskar Poss: S. 115, 127

Rolf Poss: S. 125, 147, 155, 157, 162

Privatbesitz: S. 71, 72, 78, 84, 88, 89, 95, 97, 99, 106, 114, 128, 143,144, 147

Protokolle des Bayerischen Landtages: S. 63, 67

SPD-Landtagsfraktion: S. 158, 159, 160, 161, 166, 167, 169, 170, 171, 172

Stadtgeschichtliches Museum Spandau: S. 75

Stadtmuseum München: S. 42, 43

Bildnachweis

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band1893 zog die SPD erstmals in den Bayerischen

Landtag ein. Zum 120-jährigen Jubiläum erzähltdieser reich bebilderte Sammelband die bewegteGeschichte der Fraktion von den Anfängen in derKaiserzeit über das Verbot der SPD im Dritten Reichund dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkriegbis hin zu den aktuellen politischen Geschehnissen.Das Buch informiert zugleich über die zentralenThemen Bayerischer Politik.Im Mittelpunkt eines jeden Kapitels stehen sowohlsozialdemokratische Persönlichkeiten als auch die Schwerpunkte ihrer Politik. So zum Beispiel derVorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, Georg von Vollmar, der erste bayerischeMinisterpräsident Kurt Eisner, der Bayern zum Freistaat machte oder Wilhelm Hoegner, der Vater der Bayerischen Verfassung und erster Ministerpräsident nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Nachkriegszeit prägten neben anderen die Vorsitzenden Waldemar von Knoeringen, Volkmar Gabert, Helmut Rothemund, Karl-Heinz Hiersemann, RenateSchmidt, Franz Maget und Markus Rinderspacherdie sozialdemokratische Politik im BayerischenLandtag.

Zahlreiche Abbildungen, Texte, Interviews undZeitdokumente illustrieren diesen kompaktenJubiläumsband und liefern ein anschauliches Bildder Geschichte der bayerischen Politik.

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