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auch online: DiePresse.com/integration Diese Seite wird von Mitarbeitern von M-MEDIA in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung des Staatssekretariats für Integration und der Stadt Wien gestaltet. Diskriminierung und Rassismus im Spital Gesundheitswesen. In Österreichs Krankenhäusern stoßen einige Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunft auf Ablehnung: Wenn Ärzte sich weigern, Menschen mit Migrationshintergrund zu behandeln – und umgekehrt. VON IRIS BONAVIDA [WIEN] „Was ist denn das? Ein Ne- ger kommt mir nicht ins Haus!“ Nicht gerade aufmunternde Worte für den ersten Tag als Praktikantin. Doch genau so wurde die mobile Pflegerin Nadia (Name von der Re- daktion geändert) von ihrer ersten Patientin empfangen. „Ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich habe zwei Stunden lang geweint.“ Eine erfahrene Pflegerin nahm sie damals auf einen Hausbesuch zu einem Ehepaar mit. „Als mich die ältere Dame gesehen hat, hat sie sofort angefangen, mich zu be- schimpfen.“ Erst nach langem Ein- reden konnte die aufgebrachte Frau überzeugt werden, Nadia in die Wohnung zu lassen. Berühren wollte sich die Frau von ihr aller- dings nicht lassen – wegen der Hautfarbe. Die Österreicherin mit kame- runischen Wurzeln kann viele der- artige Geschichten erzählen. Dis- kriminierende Sprüche von „nur Neger sind Sklaven“ bis hin zu „Sie müssen mich vorher anrufen, be- vor Sie so jemanden zu mir schi- cken“, bekomme sie immer wieder zu hören. Anfangs habe Nadia die Beschimpfungen noch persönlich genommen, „doch nach einigen Monaten habe ich gelernt, damit umzugehen. Denn die Patienten sind krank und haben Schmer- zen.“ In solchen Fällen ruft sie ihre Chefin an, die dann versucht, die Patienten zu überzeugen, sie doch ins Haus zu lassen. „Man braucht viel Geduld, aber meistens schaffe ich es, das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Und dann versuche ich einfach, meine Arbeit so gut wie möglich zu machen.“ Auch ihre Chefin besteht darauf, dass Nadia einfach ihre Arbeit fortsetzt. Schließlich sei sie eine Arbeiterin wie jede andere, die Leute müss- ten damit zurechtkommen. Arzt verweigert Behandlung Doch es gibt auch den umgekehr- ten Fall – dass sich nämlich Pa- tienten mit Rassismus konfrontiert sehen: Der Antirassismusverein Zara ist eine der An- laufstellen bei sol- chen Proble- men. „Wir ha- ben einige Patienten, die sich an uns ge- wandt haben, weil sie in einem Kranken- haus diskri- minierend be- handelt wur- den“, sagt Zara- Geschäftsführerin Claudia Schäfer. An die Öffentlichkeit ge- hen möchten diese Men- schen nicht. „Eines der Opfer, die sich im letzten Jahr gemel- det haben, ist eine junge Frau mit türkischen Wur- zeln. Sie wollte sich von einem Arzt behandeln las- sen, doch der weigerte sich mit den Worten ,vor lauter Türken kann man in Wien nicht mehr atmen‘“, er- zählt Schäfer. Ähnliches sei einem jungen Mann im Vorjahr nach einem Unfall passiert. Erst hätte ein Arzt mit der Untersu- chung begonnen, doch dann inter- venierte ein Vorgesetzter – die Un- tersuchung wurde abgebrochen, die Aufzeich- nung über die begon- nene Ana- mnese zer- rissen. „Seine Begrün- dung war, es sei ihm ,scheiß- egal‘, und dass er ,für Ausländer gar nichts schreibe’“, sagt Schäfer. Wie oft es tatsächlich zu Dis- kriminierungsfällen wie diesen kommt, sei nur schwer feststellbar, heißt es bei Zara. Viele Opfer wür- den gar keine Anlaufstelle auf- suchen. „Und auch die Zahl der gemeldeten Fälle kann man nicht nennen“, sagt Schäfer. Es gebe viele ver- schiedene Anlaufstellen, doch das Geld für eine koor- dinierte und abgestimmte Dokumentation rassistischer Diskriminierungen fehle. Trotzdem: Wer einen Fall von Rassismus beobachtet oder erlebt, sollte ihn auf je- den Fall melden. „Wir be- raten die Person und klären sie über recht- liche Schritte auf. Außerdem ver- suchen wir, mit den Tätern in Verbindung zu treten und den Vorfall zu klären“, sagt Schä- fer. Dem Personal selbst sei oft gar nicht klar, dass solche Aus- sagen mit- unter straf- bar seien. „Um den Rassismus im Gesundheits- bereich zu be- kämpfen, müsste man Präventionsmaßnah- men setzen“, sagt Ale- xandra Köck, Ge- schäftsführerin des Grazer Beratungs- und Therapiezentrums Zebra. „Dem Thema Rassismus muss man aktiv begegnen – und zwar durch interkul- turelles Training und Supervisionen. Auch Manager und Doktoren sollen sich damit auseinandersetzen. Denn die Gesellschaft spiegelt sich im Gesundheitswesen wider.“ Verica, eine junge Serbin, hat ebenfalls schlechte Erfahrungen gemacht. „Es war im Sommer, an einem sehr regnerischen Tag. Mein Vater und ich besuchten meine Mutter im Otto-Wagner- Spital in Wien. Sie teilte sich das Krankenzimmer mit einer alten Frau, die sich furchtbar vor mei- nem Vater fürchtete – nur weil er ganz in Schwarz gekleidet war. Da- raufhin sagte uns eine Kranken- schwester, dass wir das Zimmer verlassen müssen.“ „Das hier ist kein Luxushotel“ Die junge Frau habe sich dann be- schwert, warum man die beiden Patientinnen nicht in getrennten Zimmern unterbringen könnte, sondern dem Ehemann den Zutritt verweigere. Vom Pflegepersonal habe sie die Antwort bekommen: „Das hier ist kein Luxushotel“, und „Mit euch Jugoslawen hat man im- mer solche Probleme.“ Im Otto-Wagner-Spital demen- tiert man die Version der jungen Frau. Die Familie hätte sich selbst in der Wortwahl nicht sehr freund- lich ausgedrückt, diskriminierende Äußerungen vonseiten der Kran- kenschwestern seien ebenfalls nicht bekannt. Allerdings, das gibt man zu – der Vater sei gebeten worden, das Zimmer zu verlassen. Doch, so beteuerte man, er und seine Tochter hätten nur im Gar- ten des Krankenhauses warten sol- len – so lange, bis sich die andere Patientin im Krankenzimmer be- ruhigt hätte. [ iStockphoto ] Was Juden und Muslime zur künstlichen Befruchtung sagen Ethik. Die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Reproduktionsmedizin. Seit Oktober 2011 nehmen auch Beobachter der Jüdischen und der Islamischen Religionsgemeinschaft an den Sitzungen teil, um ihre Standpunkte einfließen zu lassen. VON IDA LABUDOVIC [WIEN] Rabbi Jehuda ha-Nasi, einer der bekanntesten jüdischen Ge- lehrten des Altertums, war für lan- ge Zeit schwer krank. Seine Schü- ler saßen um sein Krankenbett und beteten, um sein Leben zu verlängern. Die Haushälterin, die bei ihm arbeitete, wusste, dass er kein lebenswertes Leben mehr hatte. Und so nahm sie ein Tonge- fäß und zerschmetterte es. Vor Schrecken hörten die Schüler kurzzeitig auf zu beten und die Seele des Gelehrten konnte seinen Körper verlassen. „Diese Geschichte aus dem Talmud lehrt uns, dass zwar im Prinzip alles getan werden muss, um das Leben zu bewahren“, sagt Willy Weisz, „aber auch, dass man das Sterben ohne aktive Nachhilfe zulassen muss, wenn das Leben nur mehr Schmerzen bedeutet.“ Weisz beschäftigt sich mit Fragen wie diesen, denn er wurde von der Israelitischen Kultusgemeinde als Beobachter für die Bioethikkom- mission nominiert. 2001 vom Bun- deskanzleramt ins Leben gerufen, beschäftigt sich die Kommission mit Fragen der Medizin und Bio- forschung in Hinblick auf die Ge- setzesentwicklung. „Die ethischen Fragen, die sich aus dem Fort- schritt der Wissenschaft durch neue Methoden, vor allem in der Reproduktionsmedizin ergeben, brauchen gewisse Gremien, um diese Fragen zu diskutieren“, sagt Vorsitzende Christiane Druml. 25 Mitglieder aus den Fachge- bieten der Medizin, Molekularbio- logie und Gentechnik, Rechtswis- senschaften, Soziologie, Philoso- phie und Theologie sitzen in der Kommission, seit Herbst 2011 neh- men auch Beobachter von jüdi- scher und islamischer Seite an al- len regulären Sitzungen teil. Theologie und ethische Fragen Die Beobachter dürfen zwar nicht abstimmen, aber Stellung nehmen und Empfehlungen geben. Im jüngsten Tätigkeitsbericht der Bio- ethikkommission wurden unter anderem Biobanken für die wis- senschaftliche Forschung, die Ter- minologie medizinischer Entschei- dungen am Lebensende und eine Reform des Fortpflanzungsrechts behandelt. Ethikentscheidungen werden bei den Juden aus Vorschriften der Thora und des Talmud abgeleitet. Im Islam wiederum beruft man sich auf die Rechtsfindungen der islamischen Gelehrten der aner- kannten Rechtsschulen. „Als Quel- le der Rechtsbestimmungen wird ein Konsensus der islamischen Gelehrten herangezogen“, sagt der Beobachter der Islamischen Glau- bensgemeinschaft, Abdulmedzid Sijamhodzic. „Generell und ober- flächlich sind diese Themen in Ko- ran und Sunna (Leben und Aussa- gen des Propheten Muhammad, Anm.) angesprochen.“ Zur künstlichen Befruchtung sind sowohl Islam als auch Juden- tum grundsätzlich positiv einge- stellt: So ist In-vitro-Fertilisation im Islam erlaubt, solange die Sa- menzelle und die Eizelle von den Eheleuten stammen. Im Judentum sieht man das noch liberaler: „Das Judentum ist absolut für die In-vi- tro-Fertilisation, wenn sie notwen- dig ist, um den Kinderwunsch zu ermöglichen“, sagt Weisz. „Wenn die Medizin nachhelfen kann, dann soll sie es tun.“ Eizellenspen- den seien problemlos, Samen- spenden, die nicht vom Ehepart- ner stammen, sind problematisch. „In einzelnen Fällen“, sagt Weisz, „sind aber auch sie erlaubt.“ Allerdings, schränkt Weisz ein: „Nicht alles, was man kann, darf man.“ So ist etwa die Auswahl von zu implantierenden Embryonen nach nicht medizinisch indizierten Gründen im Judentum generell nicht erlaubt. Allerdings gibt es doch streng begrenzte Gründe für eine Präselektion. „Wenn zum Bei- spiel eine Familie mindestens vier Kinder nur vom gleichen Ge- schlecht hat und sich eines des an- deren Geschlechts wünscht“, sagt Weisz. Im Islam gibt es zu diesem Thema keine einheitliche Rechts- meinung. „Was die Geschlechtsbe- stimmung und Geschlechtsbeein- flussung betrifft, darüber sind sich die Gelehrten uneinig“, sagt Sijam- hodzic. „Einige, vor allem die Mo- dernisten, halten das für erlaubt und andere für verboten, mit der Begründung, das würde eine Ein- mischung in den Bereich der gött- lichen Souveränität der Schöpfung darstellen.“ Müsste er in einem solchen Fall seine Rechtsmeinung abgeben, würde er jedenfalls erst Rücksprache mit den obersten Gremien der Islamischen Glau- bensgemeinschaft halten. Das österreichische Fortpflan- zungsmedizingesetz gilt seit 1992 und wurde bis heute kaum geän- dert. „Das Gesetz ist sehr streng, und wir diskutieren es, weil sich in den letzten 20 Jahren medizinisch viel getan hat“, sagt Ethikkommis- sionsvorsitzende Druml. „Weil diese Fragen alle Menschen in Ös- terreich betreffen ist es auch gut, die Beobachter als erweiterten Ho- rizont zu haben.“ Befruchtung nur für Verheiratete? In nächster Zeit wird sich die Kom- mission unter anderem damit be- schäftigen, ob es zeitgemäß ist, dass in Österreich nur Ehepaare und Paare in eheähnlichen Ge- meinschaften eine künstliche Be- fruchtung durchführen lassen dür- fen. Und auch, ob eine Eizellen- spende weiter verboten sein sollte. Die Beobachter der zwei Religions- gemeinschaften werden bei all die- sen Debatten jedenfalls dabei sein. Auf einen Blick Bioethikkommission: 2001 vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ins Leben gerufen, berät die Kommission den Bundeskanzler in allen gesellschaftlichen, natur- wissenschaftlichen und rechtlichen Fragen der Humanmedizin und -biologie aus ethischer Sicht. 15 bis 25 Mitglieder, meist Experten aus der Wissenschaft, werden für jeweils zwei Jahre ernannt. Seit Oktober 2011 sind Judentum und Islam mit Beobachtern vertreten. Auf einen Blick Rassismus im Gesundheitswesen kommt auch heute noch in Österreich vor – selbst wenn die Zahl der Fälle nicht bekannt ist. Einige Ärzte weigern sich, Menschen mit Migrations- hintergrund zu behandeln oder ihre Krankengeschichte und Diagnose aufzuschreiben. Solche Fälle von Diskriminierung können gemeldet werden – zum Beispiel beim Anti- rassismusverein Zara in Wien oder dem Interkulturellen Beratungs- und Therapiezentrum Zebra in Graz. Dort finden Opfer Unterstützung und werden über ihre Rechte aufgeklärt. ÖSTERREICH 11 MITTWOCH, 1. FEBRUAR 2012 DIEPRESSE.COM Die Presse

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Diskriminierung und Rassismus im SpitalGesundheitswesen. In Österreichs Krankenhäusern stoßen einige Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder Herkunftauf Ablehnung: Wenn Ärzte sich weigern, Menschen mit Migrationshintergrund zu behandeln – und umgekehrt.

VON IRIS BONAVIDA

[WIEN] „Was ist denn das? Ein Ne-ger kommt mir nicht ins Haus!“Nicht gerade aufmunternde Wortefür den ersten Tag als Praktikantin.Doch genau so wurde die mobilePflegerin Nadia (Name von der Re-daktion geändert) von ihrer erstenPatientin empfangen. „Ich kannmich noch gut daran erinnern. Ichhabe zwei Stunden lang geweint.“

Eine erfahrene Pflegerin nahmsie damals auf einen Hausbesuchzu einem Ehepaar mit. „Als michdie ältere Dame gesehen hat, hatsie sofort angefangen, mich zu be-schimpfen.“ Erst nach langem Ein-reden konnte die aufgebrachteFrau überzeugt werden, Nadia indie Wohnung zu lassen. Berührenwollte sich die Frau von ihr aller-dings nicht lassen – wegen derHautfarbe.

Die Österreicherin mit kame-runischen Wurzeln kann viele der-artige Geschichten erzählen. Dis-kriminierende Sprüche von „nurNeger sind Sklaven“ bis hin zu „Siemüssen mich vorher anrufen, be-vor Sie so jemanden zu mir schi-cken“, bekomme sie immer wiederzu hören. Anfangs habe Nadia dieBeschimpfungen noch persönlichgenommen, „doch nach einigenMonaten habe ich gelernt, damit

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Diese Seite wird von Mitarbeitern von M-MEDIA in redaktioneller Unabhängigkeit mit finanzieller Unterstützung des Staatssekretariats für Integration und der Stadt Wien gestaltet.

umzugehen. Denn die Patientensind krank und haben Schmer-zen.“ In solchen Fällen ruft sie ihreChefin an, die dann versucht, diePatienten zu überzeugen, sie dochins Haus zu lassen. „Man brauchtviel Geduld, aber meistens schaffeich es, das Vertrauen der Leute zugewinnen. Und dann versuche icheinfach, meine Arbeit so gut wiemöglich zu machen.“ Auch ihreChefin besteht darauf, dass Nadiaeinfach ihre Arbeit fortsetzt.Schließlich sei sie eine Arbeiterinwie jede andere, die Leute müss-ten damit zurechtkommen.

Arzt verweigert BehandlungDoch es gibt auch den umgekehr-ten Fall – dass sich nämlich Pa-tienten mit Rassismuskonfrontiert sehen: DerAntirassismusvereinZara ist eine der An-laufstellen bei sol-chen Proble-men. „Wir ha-ben einigePatienten,die sich anuns ge-wandthaben,weil siein einemKranken-haus diskri-minierend be-handelt wur-den“, sagt Zara-GeschäftsführerinClaudia Schäfer. Andie Öffentlichkeit ge-hen möchten diese Men-schen nicht.

„Eines der Opfer, diesich im letzten Jahr gemel-det haben, ist eine jungeFrau mit türkischen Wur-zeln. Sie wollte sich voneinem Arzt behandeln las-sen, doch der weigerte sichmit den Worten ,vor lauterTürken kann man in Wiennicht mehr atmen‘“, er-zählt Schäfer. Ähnliches seieinem jungen Mann im

Vorjahr nach einem Unfall passiert.Erst hätte ein Arzt mit der Untersu-chung begonnen, doch dann inter-venierte ein Vorgesetzter – die Un-tersuchung wurde abgebrochen,die Aufzeich-nung überdie begon-nene Ana-mnese zer-rissen.„SeineBegrün-dung war,es seiihm,scheiß-egal‘,

und dass er ,für Ausländer garnichts schreibe’“, sagt Schäfer.

Wie oft es tatsächlich zu Dis-kriminierungsfällen wie diesenkommt, sei nur schwer feststellbar,heißt es bei Zara. Viele Opfer wür-

den gar keine Anlaufstelle auf-suchen. „Und auch die Zahlder gemeldeten Fälle kannman nicht nennen“, sagtSchäfer. Es gebe viele ver-schiedene Anlaufstellen,doch das Geld für eine koor-dinierte und abgestimmteDokumentation rassistischerDiskriminierungen fehle.

Trotzdem: Wer einen Fallvon Rassismus beobachtetoder erlebt, sollte ihn auf je-

den Fall melden. „Wir be-raten die Person und

klären sie über recht-liche Schritte auf.

Außerdem ver-suchen wir, mitden Tätern inVerbindungzu treten undden Vorfallzu klären“,sagt Schä-fer. DemPersonalselbst sei oftgar nichtklar, dasssolche Aus-sagen mit-unter straf-bar seien.

„Um denRassismus imGesundheits-

bereich zu be-kämpfen, müsste manPräventionsmaßnah-men setzen“, sagt Ale-xandra Köck, Ge-schäftsführerin desGrazer Beratungs- undTherapiezentrumsZebra. „Dem ThemaRassismus muss manaktiv begegnen – undzwar durch interkul-turelles Training undSupervisionen. Auch

Manager und Doktoren sollen sichdamit auseinandersetzen. Denndie Gesellschaft spiegelt sich imGesundheitswesen wider.“

Verica, eine junge Serbin, hatebenfalls schlechte Erfahrungengemacht. „Es war im Sommer, aneinem sehr regnerischen Tag.Mein Vater und ich besuchtenmeine Mutter im Otto-Wagner-Spital in Wien. Sie teilte sich dasKrankenzimmer mit einer altenFrau, die sich furchtbar vor mei-nem Vater fürchtete – nur weil erganz in Schwarz gekleidet war. Da-raufhin sagte uns eine Kranken-schwester, dass wir das Zimmerverlassen müssen.“

„Das hier ist kein Luxushotel“Die junge Frau habe sich dann be-schwert, warum man die beidenPatientinnen nicht in getrenntenZimmern unterbringen könnte,sondern dem Ehemann den Zutrittverweigere. Vom Pflegepersonalhabe sie die Antwort bekommen:„Das hier ist kein Luxushotel“, und„Mit euch Jugoslawen hat man im-mer solche Probleme.“

Im Otto-Wagner-Spital demen-tiert man die Version der jungenFrau. Die Familie hätte sich selbstin der Wortwahl nicht sehr freund-lich ausgedrückt, diskriminierendeÄußerungen vonseiten der Kran-kenschwestern seien ebenfallsnicht bekannt. Allerdings, das gibtman zu – der Vater sei gebetenworden, das Zimmer zu verlassen.Doch, so beteuerte man, er undseine Tochter hätten nur im Gar-ten des Krankenhauses warten sol-len – so lange, bis sich die anderePatientin im Krankenzimmer be-ruhigt hätte. [ iStockphoto ]

Was Juden und Muslime zur künstlichen Befruchtung sagenEthik. Die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt beschäftigt sich unter anderem mit Fragen der Reproduktionsmedizin. Seit Oktober 2011nehmen auch Beobachter der Jüdischen und der Islamischen Religionsgemeinschaft an den Sitzungen teil, um ihre Standpunkte einfließen zu lassen.

VON IDA LABUDOVIC

[WIEN] Rabbi Jehuda ha-Nasi, einerder bekanntesten jüdischen Ge-lehrten des Altertums, war für lan-ge Zeit schwer krank. Seine Schü-ler saßen um sein Krankenbettund beteten, um sein Leben zuverlängern. Die Haushälterin, diebei ihm arbeitete, wusste, dass erkein lebenswertes Leben mehrhatte. Und so nahm sie ein Tonge-fäß und zerschmetterte es. VorSchrecken hörten die Schülerkurzzeitig auf zu beten und dieSeele des Gelehrten konnte seinenKörper verlassen.

„Diese Geschichte aus demTalmud lehrt uns, dass zwar imPrinzip alles getan werden muss,um das Leben zu bewahren“, sagtWilly Weisz, „aber auch, dass mandas Sterben ohne aktive Nachhilfezulassen muss, wenn das Lebennur mehr Schmerzen bedeutet.“Weisz beschäftigt sich mit Fragenwie diesen, denn er wurde von derIsraelitischen Kultusgemeinde alsBeobachter für die Bioethikkom-mission nominiert. 2001 vom Bun-deskanzleramt ins Leben gerufen,beschäftigt sich die Kommissionmit Fragen der Medizin und Bio-forschung in Hinblick auf die Ge-setzesentwicklung. „Die ethischen

Fragen, die sich aus dem Fort-schritt der Wissenschaft durchneue Methoden, vor allem in derReproduktionsmedizin ergeben,brauchen gewisse Gremien, umdiese Fragen zu diskutieren“, sagtVorsitzende Christiane Druml.

25 Mitglieder aus den Fachge-bieten der Medizin, Molekularbio-logie und Gentechnik, Rechtswis-senschaften, Soziologie, Philoso-phie und Theologie sitzen in derKommission, seit Herbst 2011 neh-men auch Beobachter von jüdi-scher und islamischer Seite an al-len regulären Sitzungen teil.

Theologie und ethische FragenDie Beobachter dürfen zwar nichtabstimmen, aber Stellung nehmenund Empfehlungen geben. Imjüngsten Tätigkeitsbericht der Bio-ethikkommission wurden unteranderem Biobanken für die wis-senschaftliche Forschung, die Ter-minologie medizinischer Entschei-dungen am Lebensende und eineReform des Fortpflanzungsrechtsbehandelt.

Ethikentscheidungen werdenbei den Juden aus Vorschriften derThora und des Talmud abgeleitet.Im Islam wiederum beruft mansich auf die Rechtsfindungen derislamischen Gelehrten der aner-

kannten Rechtsschulen. „Als Quel-le der Rechtsbestimmungen wirdein Konsensus der islamischenGelehrten herangezogen“, sagt derBeobachter der Islamischen Glau-bensgemeinschaft, AbdulmedzidSijamhodzic. „Generell und ober-flächlich sind diese Themen in Ko-ran und Sunna (Leben und Aussa-gen des Propheten Muhammad,Anm.) angesprochen.“

Zur künstlichen Befruchtungsind sowohl Islam als auch Juden-tum grundsätzlich positiv einge-stellt: So ist In-vitro-Fertilisationim Islam erlaubt, solange die Sa-menzelle und die Eizelle von den

Eheleuten stammen. Im Judentumsieht man das noch liberaler: „DasJudentum ist absolut für die In-vi-tro-Fertilisation, wenn sie notwen-dig ist, um den Kinderwunsch zuermöglichen“, sagt Weisz. „Wenndie Medizin nachhelfen kann,dann soll sie es tun.“ Eizellenspen-den seien problemlos, Samen-spenden, die nicht vom Ehepart-ner stammen, sind problematisch.„In einzelnen Fällen“, sagt Weisz,„sind aber auch sie erlaubt.“

Allerdings, schränkt Weisz ein:„Nicht alles, was man kann, darfman.“ So ist etwa die Auswahl vonzu implantierenden Embryonennach nicht medizinisch indiziertenGründen im Judentum generellnicht erlaubt. Allerdings gibt esdoch streng begrenzte Gründe füreine Präselektion. „Wenn zum Bei-spiel eine Familie mindestens vierKinder nur vom gleichen Ge-schlecht hat und sich eines des an-deren Geschlechts wünscht“, sagtWeisz. Im Islam gibt es zu diesemThema keine einheitliche Rechts-meinung. „Was die Geschlechtsbe-stimmung und Geschlechtsbeein-flussung betrifft, darüber sind sichdie Gelehrten uneinig“, sagt Sijam-hodzic. „Einige, vor allem die Mo-dernisten, halten das für erlaubtund andere für verboten, mit der

Begründung, das würde eine Ein-mischung in den Bereich der gött-lichen Souveränität der Schöpfungdarstellen.“ Müsste er in einemsolchen Fall seine Rechtsmeinungabgeben, würde er jedenfalls erstRücksprache mit den oberstenGremien der Islamischen Glau-bensgemeinschaft halten.

Das österreichische Fortpflan-zungsmedizingesetz gilt seit 1992und wurde bis heute kaum geän-dert. „Das Gesetz ist sehr streng,und wir diskutieren es, weil sich inden letzten 20 Jahren medizinischviel getan hat“, sagt Ethikkommis-sionsvorsitzende Druml. „Weildiese Fragen alle Menschen in Ös-terreich betreffen ist es auch gut,die Beobachter als erweiterten Ho-rizont zu haben.“

Befruchtung nur für Verheiratete?In nächster Zeit wird sich die Kom-mission unter anderem damit be-schäftigen, ob es zeitgemäß ist,dass in Österreich nur Ehepaareund Paare in eheähnlichen Ge-meinschaften eine künstliche Be-fruchtung durchführen lassen dür-fen. Und auch, ob eine Eizellen-spende weiter verboten sein sollte.Die Beobachter der zwei Religions-gemeinschaften werden bei all die-sen Debatten jedenfalls dabei sein.

Auf einen Blick

Bioethikkommission: 2001 vomdamaligen BundeskanzlerWolfgang Schüssel ins Lebengerufen, berät die Kommission denBundeskanzler in allengesellschaftlichen, natur-wissenschaftlichen und rechtlichenFragen der Humanmedizin und-biologie aus ethischer Sicht. 15 bis25 Mitglieder, meist Experten ausder Wissenschaft, werden fürjeweils zwei Jahre ernannt. SeitOktober 2011 sind Judentum undIslam mit Beobachtern vertreten.

Auf einen Blick

Rassismus im Gesundheitswesenkommt auch heute noch inÖsterreich vor – selbst wenn dieZahl der Fälle nicht bekannt ist.Einige Ärzte weigern sich,Menschen mit Migrations-hintergrund zu behandeln oder ihreKrankengeschichte und Diagnoseaufzuschreiben. Solche Fälle vonDiskriminierung können gemeldetwerden – zum Beispiel beim Anti-rassismusverein Zara in Wien oderdem Interkulturellen Beratungs-und Therapiezentrum Zebra inGraz. Dort finden OpferUnterstützung und werden überihre Rechte aufgeklärt.

ÖSTERREICH 11MITTWOCH, 1. FEBRUAR 2012DIEPRESSE.COMDie Presse