MSZ: Reader zur ArbeiterInneneinheitsfront

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D D i i e e A A r r b b e e i i t t e e r r I I n n n n e e n n e e i i n n h h e e i i t t s s f f r r o o n n t t SCHULUNGSTEXTE DES MARXISTISCHEN STUDIENZIRKELS Nummer 2 • Leitsätze über die Einheitsfront der Arbeiter und über dasVerhältnis zu den Arbeitern, die der 2., der 2 1/2 und der Amsterdamer Internationale angehören, sowie zu den Arbeitern, die die anarchosyndikalistischen Organisationen unterstützen Auszug ausWadim Rogowin, Gab es eine Alternative? Bd. 1, „Trotzkismus“ • Auszug aus: LeoTrotzki, ,“Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ (Januar 1932) VIII. Durch Einheitsfront zu den Sowjets als höchsten Organen der Einheitsfront

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Reader des Marxistischen Studienzirkels zur Einheitsfronttaktik

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SCHULUNGSTEXTE DESMARXISTISCHENSTUDIENZIRKELS

Nummer 2

• Leitsätze über die Einheitsfront der Arbeiterund über dasVerhältnis zu den Arbeitern, dieder 2., der 2 1/2 und der AmsterdamerInternationale angehören, sowie zu denArbeitern, die die anarchosyndikalistischenOrganisationen unterstützen• Auszug aus Wadim Rogowin, Gab es eineAlternative? Bd. 1, „Trotzkismus“• Auszug aus: LeoTrotzki, ,“Was Nun?Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“(Januar 1932)VIII. Durch Einheitsfront zu den Sowjets alshöchsten Organen der Einheitsfront

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Vorbemerkung

Die folgenden Texte sollen in grundsätzlicher Weise das Verständnis für die Taktik der ArbeiterInneneinheitsfront wecken.

Seit dem Verrat der sozialdemokratischen Führer am Beginn des I. imperialistischen Weltkrieges sahen sich die RevolutionärInnen mit dem Problem konfrontiert, jene Teile der ArbeiterInnenklasse, die nach wie vor ihr Vertrauen in die alten Führungen setzten, für sich zu gewinnen. In der jungen Kommunistischen Internationale entwickelten sich „linksradikale“ Positionen, die der Meinung waren, die Kommunistischen Parteien müssten diesen ArbeiterInnen den Rücken kehren und durch ihren eigenen kompromisslosen Kampf zeigen, dass sie die alleinige revolutionäre Führung wären.

Die hier veröffentlichten „Leitsätze über die Einheitsfront der Arbeiter“ wurden im Dezember 1921 vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) einstimmig verabschiedet und schlagen eine elastische, aber prinzipienfeste Vorgangsweise vor, die neben einer „Einheitsfront von unten“, also gemeinsamen Basisaktivitäten von Mitgliedern aller ArbeiterInnenorganisationen auch die taktischen Schritte zu Einheitsfrontaufrufen an die Führungen der reformistischen Parteien umfasst.

Die Zuspitzung dieser Diskussion ab dem Beginn der Stalinisierung Sowjetrusslands und der Komintern beschreibt der leider zu früh verstorbene russische Soziologe Wadim Rogowin im ersten Band seiner sechsbändigen Geschichte des Stalinismus „Gab es eine Alternative?“

Ein Text von Leo Trotzki aus dem Jahr 1932 zeigt die Brisanz der Einheitsfrontorientierung in einer entscheidenden Phase des internationalen Klassenkampfs – angesichts des Aufstiegs des deutschen Nationalsozialismus.

Ein Ausblick auf die weitere Beschäftigung mit diesem Thema: So, wie die sozialdemokratischen Führungen 1914 vor „ihren“ Bourgeoisie kapitulierten, verriet die stalinistische Bürokratie 1926 das englische Proletariat („Anglo-Russisches Komitee“), 1927 das chinesische (Eintritt in die bürgerliche Kuomintang) und 1933 das deutsche (Verhinderung der Einheitsfront mit der SPD).

Revolutionäre MarxistInnen sehen sich heute also mit einer Vielzahl „alter“, verräterischer Führungen – reformistischen und/oder zentristischen Charakters – konfrontiert. Damit behält die Einheitsfronttaktik nicht nur ihre Bedeutung, ihre Anwendung wird unter den aktuellen Bedingungen auch wesentlich komplizierter.

Marxistischer Studienzirkel, Winter 2011

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Leitsätze über die Einheitsfront der Arbeiter und über das Verhältnis zu den Arbeitern, die der 2., der 2 1/2 und der Amsterdamer Internationale angehören, sowie zu den Arbeitern, die die anarcho-syndikalistischen Organisationen unterstützen.

(Einstimmig angenommen von der Exekutive der Kommunistischen Internationale am 18. Dezember 1921)

1. Die internationale Arbeiterbewegung macht gegenwärtig eine eigentümliche Übergangsetappe durch, die sowohl die Kommunistische Internationale im allgemeinen als auch ihre einzelnen Sektionen vor neue, wichtige taktische Probleme stellt.2. Diese Etappe wird hauptsächlich durch folgendes gekennzeichnet: Die wirtschaftliche Weltkri-se verschärft sich. Die Arbeitslosigkeit wächst. Das internationale Kapital ist fast in allen Län-dern zur systematischen Offensive gegen die Arbeiter übergegangen, die sich vor allem in dem ziemlich offenkundigen Bestreben der Kapitalisten äußert, den Arbeitslohn und die gesamte Le-benshaltung der Arbeiter herabzudrücken. Der Bankrott des Versailler Friedens wird immer au-genfälliger für die breitesten Schichten der Werktätigen. Die Unvermeidlichkeit eines neuen, im-perialistischen Krieges oder gar mehrerer solcher Kriege ist klar, falls das internationale Proleta-riat die bürgerliche Regierung nicht stürzt: Washington hat das sehr deutlich gezeigt.Die im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Umständen eingetretene Belebung der refor-mistischen Illusionen in breiten Schichten der Arbeiter fängt unter den Schlägen der Wirklich-keit an, einer anderen Stimmung Platz zu machen. Die nach dem Abschluß des imperialistischen Gemetzels aufs neue entstandenen "demokratischen" und reformistischen Illusionen der Arbeiter (einerseits der besser gestellten Arbeiter, andererseits aber der rückständigsten, politisch unerfah-rensten) verblühen, ehe sie recht aufgeblüht sind. Der Verlauf und der Abschluß der "Arbeiten" der Washingtoner Konferenz werden diese Illusionen noch stärker erschüttern. Wenn man vor einem halben Jahre mit einer gewissen Berechtigung von einem allgemeinen Abrücken der Ar-beitermassen in Europa und Amerika nach rechts reden konnte, so kann man gegenwärtig im Gegenteil zweifelsohne den Beginn einer Schwenkung nach links feststellen. 3. Andererseits ist unter dem Einfluß der sich verstärkenden Angriffe des Kapitals unter den Ar-beitern ein spontanes, buchstäblich nicht zurückzuhaltendes Streben zur Einheit erwacht, das mit

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einem allmählichen Anwachsen des Vertrauens der breiten Arbeitermassen zu den Kommunisten Hand in Hand geht.Immer breitere Arbeiterkreise beginnen erst jetzt den Mut der kommunistischen Vorhut richtig einzuschätzen, die sich in den Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse stürzte zu einer Zeit, als die ganze ungeheuere Arbeitermasse gleichgültig blieb, oder sogar dem Kommunismus feindlich gegenüberstand. Immer breitere Arbeiterkreise überzeugen sich jetzt davon, daß nur die Kommunisten, unter den schwierigsten Verhältnissen, bisweilen unter den größten Opfern, die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Arbeiterklasse verteidig haben. Die Achtung und das Vertrauen zu der unversöhnlichen kommunistischen Vorhut der Arbeiterklasse beginnen jetzt aufs Neue zu wachsen, da selbst die rückständigeren Schichten der Arbeiter die Nutzlosigkeit reformistischer Hoffnungen eingesehen und begriffen haben, daß es außer dem Kampfe keine Rettung vor dem Raubzug der Kapitalisten gibt.4. Die kommunistischen Parteien können und sollen jetzt die Früchte des Kampfes ernten, den sie zuvor in dem überaus ungünstigen Milieu der Gleichgültigkeit der Massen geführt haben. Aber, indem die Arbeitermassen von immer größerem Vertrauen zu den unversöhnlichen, kamp-fesmutigen Elementen der Arbeiterklasse, den Kommunisten, durchdrungen werden, zeigen sie als Ganzes einen noch nie dagewesenen Drang nach Einheit. Die zum aktiven Leben erwachen-den neuen Schichten der politisch weniger erprobten Arbeiter träumen von der Vereinigung aller Arbeiterparteien und sogar aller Arbeiterorganisationen überhaupt und hoffen auf diese Weise ihre Widerstandskraft den Kapitalisten gegenüber zu vergrößern. Neue Arbeiterschichten, die früher oft keinen tätigen Anteil am politischen Kampf genommen haben, gehen jetzt auf Grund eigener Erfahrung ganz aufs Neue an die Prüfung der praktischen Pläne des Reformismus heran. Wie diese neuen Schichten, so wollen sich auch bedeutende Arbeiterschichten, die den alten so-zialdemokratischen Parteien angehören, nicht mehr mit dem Feldzug der Sozialdemokraten und Zentristen gegen die kommunistische Vorhut zufrieden geben, sie fangen schon an, eine Ver-ständigung mit den Kommunisten zu fordern. Aber sie haben gleichzeitig noch nicht ihren Glau-ben an die Reformisten überwunden, und bedeutende Massen unterstützen noch die Parteien der 2. und der Amsterdamer Internationale. Diese Arbeitermassen formulieren ihre Pläne und Bestre-bungen nicht genügend klar, aber im großen und ganzen läßt sich die neue Stimmung auf den Wunsch zurückführen, die Einheitsfront herzustellen und zu versuchen, die Parteien und Verbän-de der 2. und der Amsterdamer Internationale zum Kampf gegen den Angriff des Kapitals zu-sammen mit den Kommunisten zu veranlassen. Soweit ist diese Stimmung progressiv. - Im we-

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sentlichen ist der Glaube an den Reformismus untergraben. Unter den allgemeinen Verhältnis-sen, in denen sich die Arbeiterbewegung jetzt befindet, wird jede ernste Massenaktion, auch wenn sie nur von Teilforderungen ausgeht, unvermeidlich allgemeinere und grundlegendere Fra-gen der Revolution auf die Tagesordnung stellen. Die kommunistische Vorhut kann nur gewin-nen, wenn neue Arbeiterschichten sich durch eigene Erfahrung von den Illusionen des Reformis-mus und des Kompromißlertums überzeugen.5. In der Anfangsperiode des Aufkeimens eines bewußten und organisierten Protestes gegen den Verrat der Führer der 2. Internationale hatten diese letzteren den gesamten Apparat der Arbeiter-organisationen In ihren Händen. Sie benutzten das Prinzip der Einheit und der proletarischen Disziplin, um dem revolutionären proletarischen Protest erbarmungslos den Mund zu stopfen und ohne Widerstand die ganze Macht der Arbeiterorganisationen in den Dienst des nationalen Imperialismus zu stellen. Unter diesen Umständen mußte sich der revolutionäre Flügel um jeden Preis die Freiheit der Agitation und Propaganda erkämpfen, d. h. die Freiheit, den Arbeitermas-sen den beispiellosen geschichtlichen Verrat zu erklären, den die durch die Arbeitermassen seIbst geschaffenen Parteien begangen haben und noch jetzt begehen.6. Nachdem sie sich die organisatorische Freiheit der geistigen Einwirkung auf die Arbeitermas-sen gesichert haben, sind die kommunistischen Parteien aller Länder bestrebt, jetzt In allen Fäl-len eine möglichst breite und vollkommene Einheit der praktischen Aktion dieser Massen zu er-reichen. Die Amsterdamer und die Helden der 2. Internationale predigen in Worten die Einheit, tatsächlich handeln sie aber umgekehrt. Nachdem es den reformistischen Kompromißlern Ams-terdams nicht gelungen war, organisatorisch die Stimme des Protestes und des revolutionären Aufruhrs zu unterdrücken, suchen sie jetzt den Ausweg aus der Sackgasse, in die sie sich durch ihre eigene Schuld verrannt haben, durch das Hineintragen der Spaltung, der Desorganisation, der organisatorischen Sabotage in den Kampf der werktätigen Massen. Eine der wichtigsten Aufgaben der kommunistischen Partei ist es jetzt, diese neuen Formen der alten Verräterei in flagranti zu entlarven.7. Tiefe innere Prozesse zwingen jedoch die Diplomaten und Führer der 2., 2 1/2 und Amster-damer Internationale auch ihrerseits die Frage der Einheit in den Vordergrund zu rücken. Wenn bei den zu neuem, bewußtem Leben erwachenden, wenig erfahrenen Arbeiterschichten die Paro-le der Einheitsfront wirklich das aufrichtigste Bestreben ist, die Kräfte der unterdrückten Klasse gegen den Vormarsch der Kapitalisten zusammenzuschließen, so ist für die Führer und Diploma-ten der 2., 2 1/2 und Amsterdamer Internationale das Aufstellen der Einheitsparole ein neuer

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Versuch, die Arbeiter zu betrügen und sie auf eine neue Art auf den alten Weg der "Zusammen-arbeit" der Klassen zu locken. Die nahende Gefahr eines neuen imperialistischen Krieges (Wa-shington), das Wachsen der Rüstungen, die hinter den Kulissen geschlossenen neuen imperialis-tischen Geheimverträge - alles das veranlaßt die Führer der 2., 2 1/2 und Amsterdamer Interna-tionale nicht etwa Alarm zu schlagen, um nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat die in-ternationale Vereinigung der Arbeiterklasse zu verwirklichen; dies alles wird im Gegenteil inner-halb der. 2. und der Amsterdamer Internationale unvermeidlich Reibungen und Teilungen im großen und ganzen von derselben Art hervorrufen, wie sie sich im Lager der internationalen Bourgeoisie selbst zeigen. Diese Erscheinung ist deshalb unvermeidlich, weil die Solidarität der reformistischen "Sozialisten" mit der Bourgeoisie gerade "ihres" Landes der Eckstein des Refor-mismus ist.Das sind die allgemeinen Bedingungen, unter denen die Kommunistische Internationale. als Ganzes und ihre einzelnen Sektionen ihr Verhältnis zu der Parole der sozialistischen Einheits-front zu formulieren haben.8. Angesichts dieser Lage ist die Exekutive der Kommunistischen Internationale der Meinung, daß die Parole des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale "Zu den Massen" und die allgemeinen Interessen der kommunistischen Bewegung überhaupt von den kommunisti-schen Parteien und der Kommunistischen Internationale als Ganzes die Unterstützung der Parole der Einheitsfront der Arbeiter und die Übernahme der Initiative in dieser Frage fordern. Dabei muß natürlich die Taktik der kommunistischen Parteien im Zusammenhang mit den Verhältnis-see eines jeden Landes konkretisiert werden.9. In Deutschland hat die Kommunistische Partei auf ihrer letzten Reichskonferenz die Parole der Einheitsfront der Arbeiter unterstützt und sich bereit erklärt, eine einheitliche Arbeiterregie-rung zu unterstützen, die geneigt ist einigermaßen ernst den Kampf gegen die Macht der Kapita-listen aufzunehmen. Die Exekutive der Kommunistischen InternationaIe hält diesen Beschluß für unbedingt richtig und ist überzeugt, daß die K.P.D. bei voller Wahrung ihrer selbständigen poli-tischen Stellung in breitere Arbeiterschichten einzudringen und den Einfluß des Kommunismus auf die Massen zu verstärken vermag. In Deutschland werden sich eher als in einem anderen Lande die breiten Massen mit jedem Tage mehr davon überzeugen, wie recht die kommunisti-sche Vorhut hatte, als sie in der schwierigsten Zeit die Waffen nicht strecken wollte und hartnä-ckig die Wertlosigkeit der vorgeschlagenen Anwendung reformistischer Heilmittel hervorhob, da die Krise nur durch die proletarische Revolution gelöst werden kann. Indem die Partei diese

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Taktik befolgt, wird sie mit der Zeit auch alle revolutionären Elemente des Anarchismus und Syndikalismus um sich gruppieren, die jetzt abseits vom Massenkampf stehen.10. In Frankreich ist die Kommunistische Partei unter den politisch organisierten Arbeitern in der Mehrheit. Dadurch steht die Frage der Einheitsfront in Frankreich etwas anders als in ande-ren Ländern. Aber auch hier ist es notwendig, daß die ganze Verantwortung für die Spaltung des einheitlichen Arbeiterlagers auf unsere Gegner fällt. Der revolutionäre Teil der französischen Syndikalisten führt mit Recht den Kampf gegen die Spaltung der Gewerkschaften, d. h. für die Einheit der Arbeiterklasse im ökonomischen Kampfe gegen die Bourgeoisie. Der Kampf der Ar-beiter aber endet nicht im Betrieb. Die Einheit ist auch notwendig angesichts des Anschwellens der Reaktion, der imperialistischen Politik usw. Die Politik der Reformisten und Zentristen hat dagegen zur Spaltung der Partei geführt und bedroht jetzt auch die Einheit der Gewerkschaftsbe-wegung, wodurch nur bewiesen wird, daß Jouhaux ebensowohl wie Longuet objektiv der Sache der Bourgeoisie dienen. Die Parole der Einheitsfront des Proletariats im wirtschaftlichen wie po-litischen Kampfe gegen die Bourgeoisie bleibt das beste Mittel zur Durchkreuzung dieser Spal-tungspläne.Wenn auch die reformistische C. G. T., die von Jouhaux, Merrheim und Konsorten geführt wird, die Interessen der französischen Arbeiterklasse verrät - die französischen Kommunisten und die revolutionären Elemente der französischen Arbeiterklasse überhaupt müssen vor Beginn jedes Massenstreiks, vor jeder revolutionären Demonstration oder irgend einer anderen revolutio-nären Massenaktion den Reformisten vorschlagen, diese Aktion zu unterstützen; und wenn sie sich weigern, den revolutionären Kampf der Arbeiter zu unterstützen, sind sie systematisch zu entlarven. Auf diesem Wege werden wir am leichtesten die parteilosen Arbeitermassen erobern. Selbstverständlich soll das keinesfalls die Kommunistische Partei Frankreichs veranlassen, ihre Selbständigkeit einzuschränken, z. B. während der Wahlkampagnen irgendwie den "linken Block" zu unterstützen oder sich jenen schwankenden Kommunisten gegenüber to!erant zu ver-halten, die noch immer die Trennung von den Sozialpatrioten beweinen.11. In England hat die reformistische Labour Party der Komm. Partei die Aufnahme neben den anderen Arbeiterorganisationen verweigert. Unter dem wachsenden Einfluß der eben genannten Stimmungen unter den Arbeitern haben die Londoner Arbeiterorganisationen unlängst den Be-schluß der Aufnahme der Komm. Partei Englands in die Labour Party gefaßt.Selbstverständlich ist England in dieser Beziehung eine Ausnahme; denn infolge eigentümlicher Bedingungen ist die Labour Party in England eine Art von allgemeiner Arbeitervereinigung des

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ganzen Landes. Es ist die Aufgabe der englischen Kommunisten, eine energische Kampagne für ihre Aufnahme in die Labour Party zu beginnen. Der kürzliche Verrat der Gewerkschaftsführer während des Kohlenarbeiterstreiks usw., der systematische Druck der Kapitalisten auf den Ar-beitslohn der Arbeiter usw. - alles das hat eine tiefe Gärung unter den sIch revolutionierenden Massen des englischen Proletariats hervorgerufen. Die englischen Kommunisten sollen alle An-strengungen machen, um um jeden Preis unter der Parole der revolutionären Einheitsfront gegen die Kapitalisten in die Tiefe der Arbeitermassen einzudringen. 12. In Italien beginnt die junge Kommunistische Partei, ihre Agitation unter der Parole der pro-letarischen Einheitsfront gegen die Offensive der Kapitalisten zu führen, trotzdem sie äußerst unversöhnlich gegenüber der reformistischen Sozialistischen Partei Italiens und der sozialverräte-rischen Arbeitskonföderation gestimmt war, die kürzlich ihrem offenen Verrat an der proletari-schen Revolution die Krone aufgesetzt haben. Die Exekutive der Kommunistischen Internationa-le hält diese Agitation der italienischen Kommunisten für durchaus richtig und besteht nur auf ihrer Verstärkung in derselben Richtung. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale ist überzeugt, daß die Kommunistische Partei Italiens bei genügendem Weitblick der gesamten In-ternationale ein Muster des kampfbereiten Marxismus zeigen kann, der erbarmungslos auf Schritt und Tritt die Halbheit und den Verrat der Reformisten und Zentristen, die sich in den Mantel des Kommunismus gehüllt haben, entlarven und gleichzeitig eine unermüdliche, sich im-mer steigernde, in immer breitere Massen dringende Kampagne für die Einheitsfront der Arbei-ter gegen die Bourgeoisie führen kann. Die Partei muß dabei selbstverständlich alles tun, um alle revolutionären Elemente des Anarchis-mus und Syndikalismus in den gemeinsamen Kampf hineinzuziehen.13. In der Tschechoslowakei, wo die Kommunistische Partei einen bedeutenden Teil der poli-tisch organisierten Arbeiter hinter sich hat, sind die Aufgaben der Kommunisten in einigen Be-ziehungen den Aufgaben der Kommunisten in Frankreich analog. Ihre Selbständigkeit festigend und die letzten zentristischen Traditionen ausmerzend, wird die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei zugleich die Parole der Einheitsfront der Arbeiter gegen die Bourgeoisie zu popularisieren verstehen und auf diese Weise die Führer der Sozialdemokratie und der Zentris-ten, die in der Tat Agenten des Kapitals sind, endgültig in den Augen der rückständigen Arbei-ter entlarven. Und zugleich sollen die Kommunisten der Tschechoslowakei an die Eroberung der Gewerkschaften, die sich noch immer in bedeutendem Umfang in den Händen der gelben Führer befinden, mit verstärkter Energie herangehen.

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14. In Schweden ist nach den letzten Parlamentswahlen eine solche Situation entstanden, daß die kleine kommunistische Fraktion eine große Rolle spielen kann. Einer der hervorragendsten Führer der 2. Internationale, Herr Branting, der zugleich Premierminister der schwedischen Bourgeoisie ist, befindet sich gegenwärtig in einer Lage, in welcher für ihn zur Bildung der Par-lamentsmehrheit die Stellung der kommunistischen Fraktion des schwedischen Parlaments nicht gleichgültig ist. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale findet, daß die kommunisti-sche Fraktion des schwedischen Parlaments unter gewissen Umständen dem menschewistischen Ministerium Brantings die Unterstützung nicht verweigern darf, wie es auch die deutschen Kom-munisten in einigen Landesregierungen Deutschlands (Thüringen) richtig getan haben. Das heißt jedoch durchaus nicht, daß die Kommunisten Schwedens in irgendwelchem Maße ihre Selbstän-digkeit einschränken oder der Entlarvung des Charakters der menschewistischen Regierung ent-sagen sollen; im Gegenteil, je mehr Macht die Menschewiki besitzen, desto mehr Verrat an der Arbeiterklasse begehen sie, und desto mehr Anstrengungen müssen die Kommunisten machen, um die Menschewiki in den Augen der breitesten Arbeiterschichten zu entlarven. Die Kommu-nistische Partei muß auch weiter auf dem Wege der Heranziehung der syndikalistischen Arbeiter zum gemeinsamen Kampf gegen die Bourgeoisie schreiten..15. In Amerika beginnt die Vereinigung aller linken Elemente der gewerkschaftlichen und politi-schen Bewegung; diese Vereinigung gibt den Kommunisten die Möglichkeit, in die breiten Mas-sen des amerikanischen Proletariats einzudringen, den zentralen Platz in dieser linken Vereini-gung einnehmend. Mit Hilfe von kommunistischen Vereinigungen überall, wo es nur einige Kommunisten gibt, sollen die amerikanischen Kommunisten an die Spitze dieser Bewegung für die Vereinigung aller revolutionären Elemente treten und die Parole der Einheitsfront der Arbei-ter, z.B. zum Schutze der Arbeitslosen usw., mit Nachdruck aufstellen. Zur Hauptanklage gegen die Gewerkschaften Gompers soll von nun an der Umstand dienen, daß sie nicht an der Bildung der Einheitsfront der Arbeiter gegen die Kapitalisten zum Schutz der Arbeitslosen usw. teilneh-men wollen. Die spezielle Aufgabe der Kommunistischen Partei bleibt noch die Heranziehung der besten Elemente der I.W.W.16. In der Schweiz hat unsere Partei einigen Erfolg in dieser Richtung zu verzeichnen. Dank der Agitation der Kommunisten für die revolutionäre Einheitsfront ist es gelungen, die Gewerk-schaftsbürokratie zu zwingen, einen außerordentlichen Kongreß einzuberufen, der bald stattfin-den soll, und auf welchem unsere Freunde es verstehen werden, vor allen schweizer Arbeitern

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die Lügenhaftigkeit des Reformismus zu entlarven und die Arbeit des revolutionären Zusam-menschlusses des Proletariats weiterzutreiben.17. In einer Reihe anderer Länder steht die Frage infolge ganz neuer lokaler Bedingungen an-ders. Nach Aufzeichnung der allgemeinen Linie ist die Exekutive der Kommunistischen Interna-tionale überzeugt, daß die einzelnen kommunistischen Parteien sie entsprechend den Verhältnis-sen, die sich in jedem Lande herausbilden,anzuwenden verstehen werden.18. Als Hauptbedingungen, die für die kommunistischen Parteien aller Länder gleich und unbe-dingt ultimativ sind, hält die Exekutive der Kommunistischen Internationale die absolute Selb-ständigkeit und völlige Unabhängigkeit jeder kommunistischen Partei, die dieses oder jenes Übereinkommen mit den Parteien der 2. und 2 1/2 Internationale trifft, und zwar volle Freiheit in der Darlegung ihrer Anschauungen und in der Kritik der Gegner des Kommunismus. Wäh-rend dje Kommunisten sich den Prinzipien der Aktion fügen, sollen sie dabei unbedingt das Recht und die Möglichkeit bewahren, nicht nur vor und nach der Aktion, sondern, wenn nötig, auch während der Aktion ihre Meinung über die Politik aller Organisationen der Arbeiterklasse ohne Ausnahme zu äußern. Ein Aufgeben dieser Bedingung ist unter keinen Umständen zuläs-sig. Die Parole der größtmöglichsten Einheit aller Arbeiterorganisationen in jeder praktischen Aktion gegen die kapitalistische Front unterstützend, können die Kommunisten indessen keines-falls von der Darlegung ihrer Anschauungen Abstand nehmen, die allein der konsequente Aus-druck der Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes sind.19. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale hält es für nützlich, alle Bruderparteien an die Erfahrungen der russischen Bolschewiki zu erinnern, jener vorläufig einzigen Partei, der es gelungen ist, den Sieg über die Bourgeoisie zu erringen und die Macht in ihre Hände zu neh-men. Während der 1 1/2 Jahrzehnte, die seit der Entstehung des Bolschewismus bis zu seinem Sieg über die Bourgeoisie verflossen sind (1903-1917), hat der Bolschewismus nicht aufgehört, einen unermüdlichen Kampf gegen den Reformismus oder, was dasselbe ist, den Menschewis-mus: zu führen. Aber zugleich haben die russischen Bolschewiki im Laufe dieser 1 1/2 Jahr-zehnte auch öfter Übereinkommen mit den Menschewiki getroffen. Die formelle Trennung von den Menschewiki geschah im Frühling 1905. Aber unter dem Einfluß der stürmischen Arbeiter-bewegung bildeten die Bolschewiki schon Ende 1905 eine gemeinsame Front mit den Mensche-wiki. Das zweite Mal fand die formelle Trennung von den Menschewiki endgültig im Januar 1912 statt. Aber zwischen den Jahren 1905 und 1912 hatte man abwechselnd bald Spaltungen,

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bald Vereinigungen und halbe Vereinigungen.in den Jahren 1906-1907 und auch 1910. Und die-se Vereinigungen und halben Vereinigungen geschahen nicht nur im Laufe des Fraktionskamp-fes, sondern auch unter dem direkten Druck der breiten Arbeitermassen, die zum aktiven politi-schen Leben erwachten und verlangten, daß man ihnen die Möglichkeit gebe, jetzt an eigener Erfahrung zu prüfen. Ob die Wege des Menschewismus wirklich grundsätzlich von der Bahn der Revolution ablenken. Vor der neuen revolutionären Bewegung, nach den Streiks an der Lena, kurz vor dem Beginn des imperialistischen Krieges, ließ sich unter der Arbeitermasse Rußlands ein besonders starkes Streben zur Einheit beobachten, das die Führer und Diplomaten des russischen Menschewismus ungefähr ebenso für ihre Zwecke auszunutzen versuchten, wie es jetzt die Führer der 2., der 21/2 und der Amsterdamer Internationale versuchen. Die russischen Bolschewiki antworteten nicht auf das Streben der Arbeiter zur Einheit mit einem Lossagen von einer Einheitsfront. Im Gegenteil, Als Gegengewicht gegen das diplomatische Spiel der men-schewistischen Führer stellten die russischen, Bolschewiki die Parole der "Einheit von unten" auf, d. h. der Einheit der Arbeitermassen im praktischen Kampf um die revolutionären Forde-rungen der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Die Praxis hat gezeigt, daß dies die einzig richtige Antwort war. Und im Ergebnis dieser Taktik, die sich je nach den Umständen, je nach der Zeit und dem Orte änderte, wurde ein großer Teil der besten menschewistischen Arbeiter für den Kommunismus erobert.20. Indem die Kommunistische Internationale die Parole der Einheitsfront der Arbeiter aufstellt und Übereinkommen der einzelnen Sektionen der Kommunistischen Internationale mit den Par-teien und Verbänden der 2. und 2 1/2 Internattonale zuläßt, kann sie sich selbstverständlich nicht von ebensolchen Übereinkommen im internationalen Maßstabe lossagen. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale hat der Amsterdamer Internationale im Zusammenhang mit der Hilfsaktion für die Hungernden Rußlands einen Vorschlag gemacht. Sie hat diesen Vorschlag im Zusammenhang mit dem weißen Terror und den Verfolgungen der Arbeiter Spaniens und Jugo-slawiens wiederbolt. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale macht jetzt der Amster-damer, der 2. und 2 1/2 Internationale einen neuen Vorschlag im Zusammenhang mit der ersten Tätigkeitsperiode der Washingtoner Konferenz, die bewiesen hat, daß der internationalen Arbei-terklasse ein neues imperialistisches Gemetzel droht. Die Führer der 2., der 2 ½ und der Ams-terdamer Internationale haben bisher durch ihr Benehmen bewiesen, daß sie in der Tat ihre Ein-heitsparole fallen lassen, wenn es sich um praktische Aktionen handelt. In allen solchen Fällen wird es die Aufgabe der Kommunistischen Internationale als Ganzes und jeder Ihrer Sektionen

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im besonderen sein, den breitesten Arbeitermassen die Heuchelei der Führer der 2,. der 2 1/2 und der Amsterdamer Internationale zu erklären, die die Einheit mit der Bourgeoisie der Einheit mit den revolutionären Arbeitern vorziehen, und z. B. dadurch, daß sie im Internationalen Ar-beitsamt des Völkerbundes bleiben, einen Bestandteil der Washingtoner imperialistischen Konfe-renz bilden, anstatt den Kampf gegen das imperialistische Washington zu organisieren. Aber ein Ablehnen dieser oder jener praktischen Vorschläge der Kommunistischen Internationale durch die Führer der 2., der 2 ~ und der Amsterdamer Internationale wird uns nicht veranlassen, der Taktik zu entsagen, die tiefe Wurzeln in den Massen hat, und die wir systematisch und unaus-weichlich entwickeln müssen. In den Fällen, wo der Antrag eines gemeinsamen Kampfes von unseren Gegnern zurückgewiesen wird, ist es notwendig, daß die Massen das erfahren und auf diese Weise lernen, wer der wirkliche Zerstörer der Einheitsfront der Arbeiter ist. In den Fällen, wo der Antrag von dem Gegner angenommen wird, muß man bestrebt sein, den Kampf allmäh-lich zu vertiefen und ihn auf die höchste Potenz zu steigern. In beiden Fällen ist es notwendig, daß die Aufmerksamkeit der breiten Arbeitermassen durch die Unterhandlungen der Kommunis-ten mit den anderen Organisationen gefesselt wird, denn es ist notwendig, die Arbeitermassen an allen Peripetien des Kampfes um die revolutionäre Einheitsfront der Arbeiter zu interessieren.21. Indem die Exekutive der Kommunistischen Internationale den hier dargelegten Plan aufstellt, weist eie alle Bruderparteien auch auf die Gefahren hin, mit denen er unter Umständen verbun-den sein kann. Nicht alle kommunistischen Parteien sind genügend ausgebaut und gefestigt, nicht alle haben mit der zentristischen und halbzentristischen Ideologie gänzlich gebrochen. Es sind Fälle von Überschreitungen möglich, Tendenzen, die tatsächlich die Auflösung der kommu-nistischen Parteien und Gruppen in einem einheitlichen formlosen Block bedeuten würden. Um die neue Taktik mit Erfolg für die Sache des Kommunismus durchzuführen, ist es notwendig, daß die kommunistischen Parteien, die diese Taktik durchführen, stark und fest zusammenge-schlossen sind, und daß ihre Führung sich durch ideelle Klarheit auszeichnet. 22. In den Gruppierungen innerhalb der Kommunistischen Internationale selbst, die mehr oder weniger begründet als rechte oder sogar halbzentristiscbe gewertet werden, gibt es zweifellos Tendenzen zweierlei Art. Die einen Elemente haben nicht wirklich mit der Ideologie und den Methoden der 2. Internationale gebrochen, haben sich nicht von der Pietät gegen die frühere organisatorische Macht derselben befreit und suchen halbbewußt oder unbewußt die Wege ideeller Verständigung mit der 2. Internationale und folglich auch mit der bürgerlichen Gesellschaft. Andere Elemente, die gegen den formalen Radikalismus, gegen die Fehler der

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sogenannten "Linken" u.a. kämpfen, sind bestrebt, der Taktik der jungen kommunistischen Partei mehr Geschmeidigkeit und Manövrierfähigkeit zu geben. um ihr die Möglichkeit schnelleren Eindringens in die Tiefe der Arbeitermassen zu sichern.Der rasche Entwicklungsgang der kommunistischen Parteien hat bisweilen äußerlich diese bei-den Tendenzen in dasselbe Lager, gewissermaßen dieselbe Gruppierung gestoßen. Die Anwen-dung der oben angeführten Methoden, deren Aufgabe es ist, der kommunistischen Agitation eine Stütze in den vereinigten Massenaktionen des Proletariats zu geben, legt am besten die wirklich reformistischen Tendenzen innerhalb der kommunistischen Parteien klar und trägt bei richtiger Anwendung der Taktik außerordentlich zur inneren revolutionären Konsolidierung der kommu-nistischen Parteien bei, sowohl durch die Erziehung der ungeduldigen oder sektiererisch ge-stimmten Elemente auf dem Wege der Erfahrung als auch durch die Reinigung der Parteien von reformistischem Ballast.23. Unter der Einheitsfront der Arbeiter ist die Einheit aller Arbeiter zu verstehen, die gegen den Kapitalismus kämpfen wollen, also auch der Arbeiter, die noch den Anarchisten, Syndikalis-ten usw. folgen. ln manchen Ländern können solche Arbeiter auch im revolutionären Kampfe mithelfen. Die Kommunistische Internationale hat schon seit den ersten Tagen ihres Bestehens eine freundschaftliche Linie zu diesen Arbeiterelementen eingenommen, die allmählich die Vor-urteile überwinden und zum Kommunismus kommen. Um so aufmerksamer müssen die Kom-munisten ihnen gegenüber sein, jetzt, wo die Einheitsfront der Arbeiter gegenüber den Kapitalis-ten zur Wirklichkeit wird.24. Zur endgültigen Bestimmung der künftigen Arbeit in der geschilderten Richtung beschließt die Exekutive der Kommunistischen Internationale, in nächster Zeit eine Sitzung der Exekutlve unter Heranziehung von Vertretern der Parteien in doppelter Anzahl einzuberufen.25. Die Exekutive der Kommunistischen Internationale wird sorgfältig jeden praktischen Schritt auf dem fraglichen Gebiet verfolgen und bittet alle Parteien,von jedem Versuch und jeden Er-folg auf diesem Gebiete der Exekutive der Kommunistischen. Internationale unter Anführung von allen faktischen Details Mitteilung zu machen.

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Auszug aus Wadim Rogowin, Gab es eine Alternative? Bd. 1, „Trotzkismus“

29. KAPITEL

Die Taktik der Einheitsfront

Dieser Kampf verschärfte sich immer mehr und erfasste eine breite Palette theoretischer und praktischer Fragen. B. Souvarine schrieb 1924, in der UdSSR sei ein Konflikt zu beobachten »zwischen einem lebendigen, kritischen revolutionären Geist, der sich ständig erneuert und bereichert«, vertreten durch Trotzki und dessen ideologische Gleichgesinnte, und einem »pseudorevolutionären, konservativen Geist«, der in den offiziellen Parteiforen herrsche. Den grundlegenden Widerspruch des Parteilebens sah Souvarine darin, dass die »überwiegende Mehrheit der Arbeiterklasse trotzkistisch ist, wie die grandiosen Demonstrationen belegen, die überall stattfinden, wo Trotzki auch auftreten mag. Aber auf dem Parteitag äußert sich das in der berüchtigten 100-prozentigen Mehrheit für das Zentralkomitee.« Auch nach dem Parteitag, so Souvarine, sei »die Popularität Trotzkis gewachsen, seine langen Reden vor unterschiedlichen Zuhörern haben alle in Begeisterung versetzt. Oft wurde gesagt, dass nur er neue Gedanken äußere, dass nur er etwas gelernt habe usw. Ein solches Verhältnis zu'ihm hob sich stark ab von der Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Verachtung, die man der Banalität und Trivialität entgegenbrachte, mit denen die Seiten der ‚Prawda‘ angefüllt waren.«'Trotzki setzte seine theoretische Arbeit aktiv fort, indem er die neuen Gesetzmäßigkeiten der internationalen Entwicklung verallgemeinerte. 1924 veröffentlichte er die Bücher »Westen und Osten« und »Auf dem Weg zur europäischen Revolution«. An einigen Gedanken aus diesen Arbeiten übten die Mitglieder des »leitenden Kollektivs« Kritik. So wandte sich Stalin im September 1924 indirekt gegen Trotzlos Auffassung, dass Amerika nach dem Weltkrieg die führende kapitalistische Weltmacht geworden sei und dass der Frieden zwischen den kapitalistischen Ländern für einen relativ langen Zeitraum als sicher gelten könne.'Ein scharfer ideologischer Kampf war Mitte der zwanziger Jahre um das Problem der

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Arbeitereinheitsfront, d. h. eines Bündnisses mit der Sozialdemokratie, entbrannt. 1921/22 hatte die Komintern unter aktiver Beteiligung Lenins den Kurs auf eine »Einheitsfront aller Arbeiter und eine Koalition aller Arbeiterparteien im wirtschaftlichen und politischen Bereich zum Kampf gegen die Macht der Bourgeoisie und zu deren endgültigem Sturz«3 ausgearbeitet.Ab Ende 1923 wich das Triumvirat allmählich von diesem Kurs ab. »Man muss ein für allemal begreifen«, versicherte Sinowjew, »dass für die Komintern die Taktik der Einheitsfront nur ein strategisches Manöver im Kampf gegen die konterrevolutionären Führer der Sozialdemokratie war und bleibt, eine Methode der Agitation unter den Arbeitern, die der Sozialdemokratie vertrauen. Nicht mehr. Man muss sich ein für allemal von dem Gedanken verabschieden, dass die Taktik der Einheitsfront etwas Größeres sei.«4

Mehrere Funktionäre der kommunistischen Bewegung verwiesen auf die Fehlerhaftigkeit und den linkssektiererischen Charakter einer solchen Orientierung. In einem Brief vom Dezember 1923 schrieb die Führung der Kommunistischen Partei Polens, alle Formulierungen, die als eine Verurteilung der Einheitsfronttaktik ausgelegt werden könnten, seien fehlerhaft.5 Daraufhin erklärte Sinowjew 1924 auf einer Sitzung des Präsidiums des EKKI die Sozialdemokratie zu einem »Flügel des Faschismus« und zum Hauptfeind der Kommunisten. Stalin schloss sich Sinowjew an und behauptete, in Deutschland sei »in der letzten Zeit eine Verschiebung der Kräfte vor sich gegangen, eine Verschiebung der kleinbürgerlichen sozialdemokratischen Kräfte in Richtung Konterrevolution, hin zum Lager des Faschismus. Die Schlussfolgerung: keine Koalition mit der Sozialdemokratie, sondern ein tödlicher Kampf gegen sie als den Stützpfeiler der heutigen faschisierten Macht.« 6 Diese Thesen, die ihren Niederschlag in den Beschlüssen des Exekutivkomitees der Komintern fanden, waren zutiefst falsch: Die Führer der Sozialdemokratie nahmen eine klare Haltung gegen den Faschismus ein, hinter ihnen stand ein Großteil der Arbeiterklasse, ein »tödlicher Kampf« hätte eine zwangsläufige gegenseitige Schwächung der Sozialdemokraten und der Kommunisten und damit auch der Arbeiterklasse insgesamt bedeutet.Dieser grobe Fehler war eine Ursache für die Niederlage des deutschen Proletariats 1923. Sinowjew und Stalin jedoch zogen aus dieser Niederlage eine andere Schlussfolgerung: Hauptschuldiger sei die deutsche Sozialdemokratie, die angeblich auf die Seite des Faschismus übergewechselt sei, sowie der Teil der KPD-Führung, der ein Bündnis mit den Sozialdemokraten angestrebt habe. Sinowjew brachte diese Position in seiner Rede über die internationale Lage auf der Plenartagung des ZK im Januar 1924 zum Ausdruck. Radek, der

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kurz zuvor aus Deutschland zurückgekehrt war, focht sie an. In der Diskussion auf der Tagung musste sich Radek von Stalin insbesondere den Vorwurf anhören: »Radek hält den Faschismus [in Deutschland] für den Hauptfeind und glaubt, dass eine Koalition mit der Sozialdemokratie unbedingt notwendig sei.«7

Dennoch blieb Radek auch danach in dieser Frage anderer Meinung als Stalin und Sinowjew. Auf der XIII. Parteikonferenz der KPR(B) verurteilte er entschieden die Kritik »an der Taktik einer linken Front, wie sie gegen den Widerstand des Genossen Sinowjew und unter der Leitung von Wiadimir Iljitsch 1921 begonnen wurde«. Radek protestierte auch dagegen, dass der Teil der deutschen kommunistischen Partei, der sich für ein gemeinsames Vorgehen mit den Sozialdemokraten aussprach, zum »rechten Flügel« deklariert wurde. Dieser Teil, so Radek, »ist der Hauptteil der Partei, herangewachsen in den Kämpfen gegen Kautsky nach 1911, der auf seinen Schultern die ganze Last des illegalen Kampfs des Spartakusbunds gegen den Krieg getragen hat, der 1918 die kommunistische Partei gegründet hat und der den Bürgerkrieg 1919/20 angeführt hat. Mit dieser Gruppe, geleitet von den engsten Mitarbeitern Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, den Genossen Brandler, Thalheimer, Walcher und Clara Zetkin, war und bin ich im Wesentlichen solidarisch. «8Auf dem V. Kongress der Komintern (Juni/Juli 1924) erklärte Radek, die Taktik der Einheitsfront müsse darin bestehen, dass »wir wirklich und ehrlich bereit sind, mit jeder Arbeiterpartei, die kämpfen will, ein Stück Weges zusammenzugehen, den sie imstande ist, mit uns zusammenzugehen ... Nur so ... können wir auf Erfolge in der Anwendung der Einheitsfront rechnen.«9

Diese Position fand die Unterstützung einer Reihe ausländischer KP-Führer. W. Kolarow, der Führer der bulgarischen Kommunisten, erklärte: »Die Quelle der Fehler unserer Partei [liegt] gerade darin, dass sie die Taktik der Einheitsfront nicht in ihrem ganzen Umfang angewendet hat. Wir haben bei uns nur die Einheitsfront von unten durchgeführt. Wir haben uns weder an die Bauernorganisationen, noch an die Partei der Menschewiki, der bulgarischen Sozialdemokraten, gewendet ... Wie stellt sich die Frage für uns im heutigen Augenblick? Die Einheitsfront von unten sowohl wie die Einheitsfront von oben, die Einheitsfront nach allen Richtungen und in allen ihren Formen ist heute für uns notwendig.«10 Auch Clara Zetkin kritisierte in ihrer Rede die linkssektiererischen Tendenzen. Auf dem Kongress siegte jedoch die Position Sinowjews, der sich erneut von der Taktik der Arbeitereinheitsfront distanzierte. »Wir verstanden diese Taktik als strategisches Manöver«, sagte Sinowjew, »aber manche Genossen

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begannen die Taktik der Einheitsfront zu deuten als Versuch eines Bündnisses mit der Sozialdemokratie, als Koalition ‚sämtlicher Arbeiterparteien‘.« In die Resolution des Kongresses fand die sektiererische Orientierung Eingang: »Die Einheitsfronttaktik ist nur eine Methode der Agitation und revolutionären Mobilisierung der Massen für die Dauer einer ganzen Periode. Alle Versuche, diese Taktik als politische Koalition mit der konterrevolutionären Sozialdemokratie auszulegen, sind Opportunismus, der von der Kommunistischen Internationale verworfen wird.«'z

In der Resolution des Kongresses über den Faschismus wurde betont: »Bei fortschreitendem Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft nehmen alle bürgerlichen Parteien, insbesondere die Sozialdemokratie, einen mehr oder weniger faschistischen Charakter an, bedienen sich seiner Kampfesweise gegen das Proletariat ... Der Faschismus und die Sozialdemokratie sind die beiden Seiten ein und desselben Werkzeuges der großkapitalistischen Diktatur. Die Sozialdemokratie kann daher im Kampf gegen den Faschismus niemals eine zuverlässige Bundesgenossin des ... Proletariats sein.«13

Nach dem V. Komintern-Kongress verteidigten Stalin und Sinowjew weiterhin die falsche Politik, die auf die faktische Beendigung der Taktik der Einheitsfront und damit auf eine Spaltung der Arbeiterklasse abzielte. Sie orientierten die kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder konsequent darauf, dass der Hauptschlag gegen die Sozialdemokratie generell und insbesondere gegen ihren linken Flügel zu führen sei. In seinem Artikel »Zur internationalen Lage« vom September 1924 schrieb Stalin: »Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus. Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, die Kampforganisation der Bourgeoisie (der Faschismus - W. R.) könnte ohne die aktive Unterstützung durch die Sozialdemokratie entscheidende Erfolge in den Kämpfen oder bei der Verwaltung des Landes erzielen. ... Diese Organisationen schließen einander nicht aus, sondern ergänzen einander. Das sind keine Antipoden, sondern Zwillingsbrüder. Der Faschismus ist der nicht ausgestaltete politische Block dieser beiden grundlegenden Organisationen, der unter den Verhältnissen der Nachkriegskrise des Imperialismus entstanden und auf den Kampf gegen die proletarische Revolution berechnet ist. Die Bourgeoisie kann sich ohne das Vorhandensein eines solchen Blocks nicht an der Macht behaupten.«14

In einer Unterredung mit dem KPD-Mitglied Herzog, die am 3. Februar 1925 in der »Prawda« unter der Überschrift »Über die Perspektiven der KPD und über die Bolschewisierung« veröffentlicht wurde, behauptete Stalin, es sei »notwendig, dass die Sozialdemokratie entlarvt

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und zerschlagen wird, dass sie zu einer verschwindenden Minderheit in der Arbeiterklasse hinabgedrückt wird«.'S

Einige führende Funktionäre der Komintern fochten die unwahre Formulierung über die »Zwillingsbrüder« an. Auf einer Sitzung des Präsidiums des EKKI am 7. Januar 1925 erklärte der Sekretär des EKKI Humbert-Droz im Namen einer Kommission des EKKI: »Wenn wir all das, was nicht als kommunistische Partei anzusehen ist, unter der allgemeinen Bezeichnung Faschismus zusammenfassen, riskieren wir, die Entstehung einer wirklich faschistischen Bewegung aus dem Auge zu verlieren.« Nach Sinowjews Rede jedoch, der verlangte, den Hauptschlag der Kommunisten gegen den »SozialFaschismus« zu richten, schickte das Präsidium des EKKI ein Schreiben an das Politbüro des ZK der Französischen Kommunistischen Partei mit der Forderung, den »Prozess der Faschisierung des Sozialismus« zu studieren.''Ein neuer Schritt zur Untermauerung der Idee vom »Sozialfaschismus« als Hauptgegner der Kommunisten erfolgte auf der erweiterten Plenartagung des EKKI vom März-April 1925. Dort gab Radek zusammen mit den namhaften KPD-Funktionären Brandler und Thalheimer eine Erklärung ab, in der gesagt wurde, dass eine »Koalition mit den linken sozialdemokratischen Elementen« notwendig sei. In der Resolution des Plenums wurde diese Erklärung als ein »aus dem Arsenal der sozialdemokratischen Führer entlehntes taktisches Manöver« und Ausdruck der »trotzkistischen Abart des Menschewismus«17 verurteilt. Das Plenum fasste den Beschluss, Radek nicht mehr zur Teilnahme an der Arbeit der Komintern zuzulassen.In der Resolution der XIV. Konferenz der KPR(B) (April 1925) über die Aufgaben der Komintern wurde verurteilt, dass Radek und seine Gesinnungsgenossen eine Gruppe deutscher Kommunisten unterstützt hatten, »die versuchten, die Taktik der Einheitsfront als Taktik einer Koalition mit den Sozialdemokraten auszulegen«. In einer solchen Auslegung sah man die »wirklichen Differenzen zwischen der leninschen Linie des Exekutivkomitees der Komintern und dem Trotzkismus«.18

Eine weitere »Innovation« Sinowjews und Stalins hinsichtlich der internationalen kommunistischen Bewegung war ab 1924 die Hervorbringung und verstärkte Umsetzung einer Linie, die auf die »Bolschewisierung« aller übrigen kommunistischen Parteien ausgerichtet war. Diese »Bolschewisierung« wurde so verstanden, dass die Parteien nach dem gleichen Muster und in der gleichen Art strukturiert und organisiert sein sollten, wie es in der KPR(B) der Fall war: Verlangt waren strengster Zentralismus und bedingungslose Unterordnung aller Kommunisten unter die von der Zentrale ausgehenden Direktiven, im vorliegenden Fall unter die

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der Komintern-Führung, die seinerzeit vollständig der Kremloligarchie untergeordnet war. Damit war also, noch bevor es die Theorie vom Sieg des Sozialismus in einem Land gab, die dazu führte, dass die Sowjetunion als ideales Modell für die Kommunisten der ganzen Welt dargestellt wurde, die kommunistische Partei in der UdSSR zu einem solchen Modell deklariert worden.Geleitet von fraktionellen und ambitiösen Erwägungen, hatte die Komintern-Führung mit Sinowjew und Stalin an der Spitze schon ab Ende 1923 einen Kampf gegen jene Führer, Parteien und Gruppen in der internationalen kommunistischen Bewegung entfaltet, die in irgendeiner Form auf die Fehler der Komintern-Exekutive hingewiesen und sich mit der russischen Opposition solidarisiert hatten. Signifikant in dieser Hinsicht ist eine Reihe von Schlägen gegen die Kommunistische Partei Polens in den Jahren 1923/24.Als Anlass diente ein Brief des ZK der polnischen Kommunistischen Partei an das Präsidium des EKKI und das ZK der KPR(B). Das polnische ZK machte die Komintern-Exekutive für die Niederlage der revolutionären Bewegung in Deutschland verantwortlich, übte Kritik an der sektiererischen Formulierung »Einheitsfront von unten«, äußerte Besorgnis über die Methoden des innerparteilichen Kampfs in der KPR(B) und schlug vor, in die Tagesordnung der nächsten EKKI-Plenartagung den Punkt »Krise in der KPR« aufzunehmen. In dem Brief wurde betont: »Wir lassen die Möglichkeit, dass Gen. Trotzki nicht zu den Führern der KPR und der KI gehört, nicht zu.«19In dem von Stalin unterzeichneten Antwortschreiben vorn 4. Februar 1924 behauptete das Politbüro des ZK der KPR(B), der Brief des ZK der polnischen KP könne »objektiv zur Unterstützung jener kleinen opportunistischen Fraktion in der KPR werden, deren Politik von der überwältigenden Mehrheit unserer Partei abgelehnt wird«.20 Auf dem V. Kongress der Komintern bezeichnete Stalin, der die Arbeit der polnischen Kommission leitete, das ZK der KP Polens als »polnische Filiale der opportunistischen Opposition in der KPR(B)«.21

Den Druck, der auf die polnischen Kommunisten ausgeübt wurde, beschrieb W. Kostrzewa, ein Mitglied des ZK der polnischen KP, in einer Sitzung der Kommission während des Kongresses: »Gen. Sinowjew [hat] schon vor Langem uns gegenüber erklärt: Wenn ihr versucht, euch gegen uns zu stellen, brechen wir euch die Knochen.«22 Auf dem Kongress kam es dann zu einer groben und rücksichtslosen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der polnischen KP. Auf Drängen Stalins wählte die polnische Delegation, ohne von ihrer Partei dazu bevollmächtigt zu sein, ein neues Büro ihres ZK, was zur Folge hatte, dass eine Gruppe führender Theoretiker und

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Funktionäre - Warski, Kostrzewa, Walecki und Pröchniak - aus der Parteiführung entfernt wurde. Stalin ging jedoch noch weiter und redigierte eigenhändig einen Brief des EKKI an die KP Polens, in dem es hieß: »Die polnische Partei ist entgegen ihren revolutionären Traditionen zu einer Stütze des rechten, opportunistischen Flügels des Kommunismus geworden. Mehr noch, die Gruppe Warski, Kostrzewa, Walecki hat ihre antibolschewistischen Tendenzen auch auf den Boden der UdSSR übertragen und versucht, einen Schlag gegen das Hinterland des bolschewistischen ZK zu führen in dem schweren Augenblick, da Lenin von uns gegangen ist und es opportunistische Versuche der russischen Opposition gibt, die Grundfesten der Kommunistischen Partei Russlands zu erschüttern. Die Führergruppe der KP Polens im Ausland hat daraufhin den Einfluss ihrer Partei in die Waagschale der russischen Opposition gegen die KPR geworfen, das heißt, gegen die Sowjetmacht.« Die Vorwürfe wegen »Antibolschewismus«, »Antisowjetismus« und »Opportunismus« hatte Stalins persönlich in den Brief eingefügt.23

Die Vergeltungsmaßnahmen gegen die polnische KP-Führung im Jahre 192.4 bestimmten das tragische Schicksal der Partei voraus: Sie wurde 1938 aufgelöst und Hunderte ihrer besten Mitglieder wurden in Stalins Verließen umgebracht.Bei ihren fraktionellen Manövern gegen Andersdenkende in der internationalen kommunistischen Bewegung vernachlässigte die Führung des EKKI die ursprüngliche Aufgabe der Bolschewisierung der ausländischen kommunistischen Parteien - die Beherzigung der Lehren aus dem Kampf für den Sieg der Oktoberrevolution. Dabei benötigten die Parteien jedoch für die Wahl der richtigen Strategie und Taktik eine Verallgemeinerung der Erfahrungen aus den Oktoberereignissen (wie auch aus den Niederlagen der Revolutionen von 1918-1923 in Europa) auf einem Niveau, das vergleichbar war mit der Verallgemeinerung der Erfahrungen aus der Pariser Kommune in Karl Marx' Arbeit »Der Bürgerkrieg in Frankreich». Dieser Aufgabe widmete sich Trotzki in seiner Arbeit »Die Lehren des Oktober«, die eine neue Phase des innerparteilichen Kampfs einleitete.

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Auszug aus: Leo Trotzki, , “Was Nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ (Januar 1932)

VIII. Durch Einheitsfront zu den Sowjets als höchsten Organen der Einheitsfront

Wortverneigungen vor den Sowjets sind in „linken“ Kreisen ebenso verbreitet wie das Nichtbegreifen ihrer historischen Funktion. Die Sowjets werden am häufigsten als Organe des Machtkampfes definiert, als Aufstandsorgane, schließlich als Organe der Diktatur. Diese Definitionen sind formal richtig. Doch erschöpfen sie durchaus nicht die historische Funktion der Sowjets. Sie erklären vor allem nicht, warum für den Machtkampf gerade Sowjets nötig sind. Die Antwort auf diese Frage lautet: Wie die Gewerkschaften Elementarform der Einheitsfront im wirtschaftlichen Kampf sind, so ist der Sowjet die höchste Form der Einheitsfront in der Phase des proletarischen Kampfes um die Macht.

Im Sowjet stecken an sich keine wunderbaren Kräfte. Er ist lediglich die Klassenvertretung des Proletariats mit all seinen starken und schwachen Seiten. Doch gerade dadurch und nur dadurch schafft der Sowjet die organisatorische Möglichkeit für die Arbeiter verschiedener politischer Richtungen, verschiedener Entwicklungsstufen, ihre Anstrengungen im revolutionären Machtkampf zu vereinigen. In der gegenwärtigen vorrevolutionären Situation müssen die fortgeschrittenen Arbeiter Deutschlands mit besonderer Klarheit die historische Funktion der Sowjets als Einheitsfrontorgane durchdenken.

Würde es der Kommunistischen Partei glücken, in der vorbereitenden Periode alle übrigen Parteien aus den Reihen der Arbeiter zu verdrängen, die überwältigende Mehrheit der Arbeiter unter ihrem Banner politisch wie organisatorisch zu vereinigen, so bestünde keinerlei Bedarf an Sowjets. Wie aber die historische Erfahrung zeigt, besteht kein Grund zu der Annahme, daß es in irgendeinem Lande – in den Ländern mit alter kapitalistischer Kultur noch weniger als in den rückständigen – gelingt, vor dem proletarischen Umsturz eine so unbestrittene und unbedingt beherrschende Stellung in den Reihen der Arbeiter einzunehmen.

Gerade das heutige Deutschland zeigt uns, daß sich die Aufgabe des direkten und unmittelbaren Kampfes um die Macht dem Proletariat stellt, lange ehe es vollständig unter dem Banner der Kommunistischen Partei vereinigt ist. Die revolutionäre Situation besteht auf politischer Ebene eben darin, daß alle Gruppierungen und Schichten des Proletariats, zumindest ihre erdrückende

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Mehrheit, vom Streben nach Vereinigung ihrer Anstrengungen zum Wechsel des bestehenden Regimes erfaßt werden. Das bedeutet indes nicht, daß sie alle begreifen, wie das zu machen ist, und noch weniger, daß sie alle bereit sind, heute schon mit ihren Parteien zu brechen und in die Reihen des Kommunismus überzugehen. Nein, so planmäßig und gesetzmäßig reift das politische Bewußtsein der Klasse nicht, tiefe innere Unterschiede bleiben auch während der revolutionären Epoche bestehen, wo sich alle Prozesse sprunghaft vollziehen. Gleichzeitig aber wird das Bedürfnis nach einer überparteilichen, die ganze Klasse umfassenden Organisation besonders akut. Diesem Bedürfnis eine Form zu geben – das ist die historische Bestimmung der Sowjets. Das ist ihre große Aufgabe. Unter den Bedingungen der revolutionären Situation bilden sie den höchsten organisatorischen Ausdruck der proletarischen Einheit. Wer das nicht begriffen hat, hat in der Frage der Sowjets nichts begriffen. Thälmann, Neumann, Remmele können noch so viel Reden halten und Artikel schreiben über das künftige „Sowjetdeutschland“ durch ihre heutige Politik sabotieren sie das Entstehen von Sowjets in Deutschland.

Fern von den Ereignissen, ohne unmittelbare Eindrücke von den Massen, ohne die Möglichkeit, täglich die Hand an den Puls der Arbeiterklasse zu legen, ist es schwer, die Übergangsformen vorauszusehen, die in Deutschland zur Schaffung von Sowjets führen werden. In einem anderen Zusammenhang habe ich die Vermutung ausgesprochen, erweiterte Betriebsräte könnten zu Sowjets werden; ich habe mich dabei hauptsächlich auf die Erfahrung von 1923 gestützt. Das ist aber natürlich nicht der einzige Weg. Unter dem Druck von Arbeitslosigkeit und Elend einerseits, dem Vordringen der Faschisten andererseits, kann sich das Bedürfnis nach revolutionärer Einheit mit einem Schlage in Form von Sowjets äußern, so daß die Betriebsräte übergangen werden. Auf welchem Wege indes die Sowjets auch entstehen werden, sie können nichts anderes sein als der organisatorische Ausdruck der starken und schwachen Seiten des Proletariats, seiner inneren Differenzierung und des allgemeinen Strebens nach deren Überwindung, kurz: Organe der Einheitsfront der Klasse.

Sozialdemokratie und Kommunistische Partei teilen sich in Deutschland den Einfluß auf die Mehrheit der Arbeiterklasse. Die Sozialdemokratie tut ihr Möglichstes, die Arbeiter von sich abzustoßen. Die Kommunistische Parteiführung wirkt mit allen Kräften dem Zustrom der Arbeiter entgegen. Als Resultat ergibt sich die Entstehung einer dritten Partei bei verhältnismäßig langsamer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Kommunisten. Doch selbst bei der richtigsten Politik der Kommunistischen Partei würde das Bedürfnis der Arbeiter nach revolutionärer Einigung der Klasse unvergleichlich schneller wachsen als das

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Übergewicht der Kommunistischen Partei innerhalb der Klasse. Die Notwendigkeit der Schaffung von Sowjets bliebe somit in vollem Umfang bestehen.

Die Schaffung von Sowjets setzt die Übereinkunft der verschiedenen Parteien und Organisationen des Proletariats, angefangen beim Betrieb, voraus, sowohl was die Notwendigkeit der Sowjets anbelangt, als auch hinsichtlich Zeitpunkt und Art ihrer Bildung. Das heißt: stellen die Sowjets die höchste Form der Einheitsfront in der revolutionären Periode dar, so muß ihrer Entstehung die Einheitsfrontpolitik in der vorbereitenden Epoche vorausgehen.

Muß man abermals daran erinnern, daß 1917 sechs Monate lang die Sowjets in Rußland eine versöhnlerische Mehrheit hatten? Die Bolschewistische Partei hielt, ohne auch nur eine Stunde auf ihre revolutionäre Selbständigkeit als Partei zu verzichten, gleichzeitig im Rahmen der Sowjettätigkeit der Mehrheit gegenüber organisatorische Disziplin ein. Kein Zweifel, daß in Deutschland die Kommunistische Partei schon am Tage der Aufstellung des ersten Sowjets in ihm einen weitaus bedeutenderen Platz einnehmen wird, als ihn die Bolschewiki in den Märzsowjets von 19I7 einnahmen. Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß die Kommunisten sehr bald schon in den Sowjets die Mehrheit erlangen würden. Das würde den Sowjets keineswegs ihre Bedeutung als Instrumente der Einheitsfront nehmen, denn die Minderheit – Sozialdemokraten, Parteilose, katholische Arbeiter usw. – würde in der ersten Zeit immerhin nach Millionen zählen, und beim Versuch, eine solche Minderheit zu überspringen, kann man sich in der revolutionären Situation leicht das Genick brechen. Aber all das ist Zukunftsmusik. Heute ist die Kommunistische Partei in der Minderheit. Davon muß man ausgehen.

Das Gesagte bedeutet natürlich nicht, daß der Weg zu den Sowjets unbedingt über ein vorheriges Abkommen mit Wels, Hilferding, Breitscheid usw. führt. Hat im Jahre 1918 Hilferding darüber nachgesonnen, wie man die Sowjets in die Weimarer Verfassung einbeziehen könnte, ohne ihr zu nahe zu treten, so zerbricht er sich gegenwärtig vermutlich den Kopf an dem Problem, wie die faschistischen Kasernen sich ohne Schaden für die Sozialdemokratie in die Weimarer Verfassung eingliedern lassen ...

An die Schaffung von Sowjets muß man in dem Augenblick herangehen, wo der allgemeine Zustand des Proletariats ihre Verwirklichung gestattet, auch gegen den Willen der sozialdemokratischen Spitze. Dazu muß man aber die sozialdemokratische Basis von ihrer Spitze losreißen, und das ist nicht zu erreichen, wenn man so tut, als wäre es schon erreicht. Gerade um die Millionen sozialdemokratischer Arbeiter von ihren reaktionären Führern zu trennen, muß

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man diesen Arbeitern zeigen, daß wir bereit sind, sogar mit diesen „Führern“ in die Sowjets zu gehen.

Man kann keineswegs von vornherein ausschließen, daß sich selbst die oberste Schicht der Sozialdemokratie wieder auf die glühende Herdplatte der Sowjets wird stellen müssen, um eine Wiederholung des Manövers von Ebert, Scheidemann, Haase [1] usw. aus dem Jahre 1918-19 zu versuchen; das wird nicht so sehr vom schlechten Willen dieser Herren abhängen als davon, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen die Geschichte sie in ihren Schraubstock zwingen wird.

Das Entstehen des ersten großen Lokalsowjets, in dem kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter nicht als Einzelpersonen, sondern als Organisationen vertreten wären, würde eine gewaltige Wirkung auf die gesamte deutsche Arbeiterklasse ausüben. Nicht nur die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter, sondern auch die katholischen und liberalen wären außerstande, lange der davon ausgehenden zentripetalen Kraft zu widerstehen. Alle Teile des deutschen Proletariats, das zur Organisation am meisten befähigt und am meisten geneigt ist, würden wie Eisensplitter zum Magnetblock, zu den Sowjets streben. In den Sowjets hätte die Kommunistische Partei eine neue, außerordentlich günstige Arena für den Kampf um die Führerrolle in der proletarischen Revolution. Man kann ohne weiteres annehmen, daß die überwältigende Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter und sogar bedeutende Teile des sozialdemokratischen Apparats heute schon in den Rahmen der Sowjets einbezogen wären, wenn die kommunistische Parteileitung den sozialdemokratischen Führern nicht so eifrig dabei geholfen hätte, den Druck der Massen zu paralysieren.

Wenn die Kommunistische Partei Abkommen mit Betriebsräten, sozialdemokratischen Organisationen, Gewerkschaften usw. auf Grund eines Programms bestimmter praktischer Aufgaben für unzulässig hält, so bedeutet das nichts anderes, als daß sie die Schaffung von Sowjets gemeinsam mit der Sozialdemokratie für unzulässig hält. Da es aber rein kommunistische Sowjets nicht geben kann, sie auch niemandem und zu nichts nutze wären, bedeutet der Verzicht der Kommunistischen Partei auf Vereinbarungen und gemeinsame Aktionen mit den übrigen Parteien der Arbeiterklasse nichts anderes als den Verzicht auf die Schaffung von Sowjets.

Die Rote Fahne wird wahrscheinlich diese Darlegung mit einer Schimpfkanonade beantworten und wie zwei mal zwei gleich vier nachweisen, ich sei Brünings auserwählter Agent und der

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geheime Berater von Wels. Ich bin bereit, für all diese Titel die Verantwortung zu tragen, unter der Bedingung, daß Die Rote Fahne ihrerseits den deutschen Arbeitern erklärt, wie, wann und in welcher Form in Deutschland Sowjets ohne Einheitsfrontpolitik gegenüber den übrigen Arbeiterorganisationen geschaffen werden können.

Zur Erhellung des Problems der Sowjets als Einheitsfrontorgane sind die Erwägungen äußerst lehrreich, die eines der kommunistischen Provinzblätter, Der Klassenkampf (Halle-Merseburg), diesem Thema widmet: „Alle Arbeiterorganisationen“, ironisiert das Blatt, „so wie sie sind, mit allen ihren Fehlern und Schwächen, sollen in großen antifaschistischen Abwehrkartellen zusammengefaßt werden. Was heißt das? Wir können uns lange theoretische Auseinandersetzungen darüber ersparen, die Geschichte selbst ist in dieser Frage die harte Lehrmeisterin der deutschen Arbeiterklasse gewesen: die verschwommene, breiige Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen hat der deutschen Arbeiterklasse die verlorene Revolution von 1918-19 gekostet.“ Ein wahrhaft unübertreffliches Muster oberflächlichen Geschwafels!

Die Einheitsfront war 1918-19 hauptsächlich durch die Sowjets zustandegekommen. Mußten die Spartakisten den Sowjets beitreten oder nicht? Das erwähnte Zitat besagt, daß sie außerhalb der Sowjets hätten bleiben sollen. Da aber die Spartakisten die verschwindende Minderheit der Arbeiterklasse darstellten und die sozialdemokratischen Sowjets keineswegs durch eigene zu ersetzen vermochten, hätte die Isolierung von den Sowjets einfach ihre Isolierung von der Revolution bedeutet. Wenn die Einheitsfront „verschwommen und breiig“ aussah, so lag die Schuld nicht an den Sowjets als Einheitsfrontorganen, sondern am politischen Zustand der Arbeiterklasse selbst, an der Schwächen des Spartakusbundes und an der außerordentlichen Stärke der Sozialdemokratie. Die Einheitsfront kann überhaupt keine starke revolutionäre Partei ersetzen, sie kann ihr nur helfen, stärker zu werden. Das gleiche gilt auch für die Sowjets. Die Situation zu verpassen, trieb ihn zu ultralinken Schritten und zu vorzeitigem Auftreten. Wären die Spartakisten außerhalb der Einheitsfront, d.h. der Sowjets geblieben, so würden sich diese negativen Züge noch krasser gezeigt haben.

Haben diese Leute denn überhaupt nichts aus der Erfahrung der deutschen Revolution von 1918-19 gelernt? Haben sie überhaupt Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus gelesen? Wahrlich, das stalinistische Regime hat furchtbare Verwüstungen in den Köpfen angerichtet! Nachdem sie die Sowjets der UdSSR bürokratisiert haben, verhalten sich die Epigonen zu ihnen wie zu einem bloßen technischen Werkzeug in den Händen des

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Parteiapparats. Vergessen ist, daß die Sowjets als Arbeiterparlamente geschaffen wurden und die Massen dadurch an sich zogen, daß sie ihnen die Möglichkeit erschlossen, alle Teile der Arbeiterklasse unabhängig von Parteiunterschieden Seite an Seite zu versammeln; vergessen ist, daß gerade darin die ungeheure erzieherische und revolutionäre Gewalt der Sowjets lag. Alles ist vergessen, alles verwirrt, alles verfälscht. O dreimal vermaledeites Epigonentum!

Die Frage der Beziehungen zwischen Partei und Sowjets ist für die revolutionäre Politik von entscheidender Bedeutung. Ist der heutige Kurs der Kommunistischen Partei faktisch darauf gerichtet, die Sowjets durch die Partei zu ersetzen, so schickt Urbahns, der keine Gelegenheit verpaßt, Verwirrung zu stiften, sich an, die Partei durch die Sowjets zu ersetzen. Nach dem Bericht der SAZ sagte Urbahns auf einer Berliner Versammlung im Januar – gegen den Anspruch der Kommunistischen Partei auf Führung der Arbeiterklasse gerichtet – folgendes: „Die Führung wird in den Händen der Räte liegen, die gewählt werden von der Masse selbst, nicht nach Wunsch oder Belieben einer einzelnen Partei! (Stürmischer Beifall.)“ Daß die Kommunistische Partei mit ihrem Ultimatismus die Arbeiter reizt, die geneigt sind, jedem Protest gegen die bürokratische Hoffart Beifall zu spenden, ist begreiflich. Dies ändert aber nichts daran, daß Urbahns Stellung auch in dieser Frage nichts mit Marxismus gemein hat. Daß die Arbeiter „selbst“ die Sowjets wählen werden ist unbestreitbar. Doch das Problem liegt darin, wen sie wählen werden. Wir müssen in die Sowjets gehen, gemeinsam mit allen übrigen Organisationen, so wie sie sind, „mit allen ihren Fehlern und Schwächen“. Aber zu glauben, die Sowjets könnten „selber „ den Kampf des Proletariats um die Macht leiten, heißt groben Sowjetfetischismus säen. Alles hängt von der Partei ab, die den Sowjet führt. Deshalb sprechen im Gegensatz zu Urbahns die Bolschewiki-Leninisten der Partei durchaus nicht das Recht auf Führerschaft der Sowjets ab; sie sagen im Gegenteil: nur auf Grund der Einheitsfront, nur mittels der Massenorganisationen wird die Kommunistische Partei die Führungsstellung in den künftigen Sowjets erobern können und das Proletariat zur Machteroberung führen.

Anmerkung

1. Friedrich Ebert (1871-1925): rechter Führer der SPD während des Ersten Weltkriegs; wollte konstitutionelle Monarchie, wurde aber erster Regierungschef der Deutschen Republik November 1918; später erster Präsident; einer der Verantwortlichen für die Vereinbarung zwischen der SPD und der Oberen Heeresleitung, die zur Niederschlagung der Spartakisten und der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht führte. – Philip Scheidemann (1865-

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1937): führender rechter Sozialdemokrat; Unterstützter des Ersten Weltkriegs; erklärte die Republik während der Revolution 1918, um die Spartakisten daran zu hindern, eine sozialistische Republik zu erklären; im Exil nach 1933. – Hugo Haase (1863-1919) sozialdemokratischer Abgeordneter; führte eine zentristische Minderheit während des Ersten Weltkriegs; Gründer der USPD 1917; ermordet 1919.

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Der „Marxistische Studienzirkel“ veranstaltet in un-regelmäßigen Abständen DiskussionsveranstaltungenmitVorträgen zu unterschiedlichenThemen, die alleninteressierten KollegInnen offen stehen. Dabei setz-ten wir uns bislang mitThemen aus den BereichenÖkonomie, Philosophie, „Urkommunismus“ etc.auseinander.Aus der Zusammenarbeit im MSZ heraus entstanddie „Gruppe Klassenkampf“ (GKK).Wer Interesse daran hat, sich auch selbst aktiv mittheoretischenThemen zu beschäftigen, die durchausauch in Praxis münden sollen, ist herzlich eingeladen,sich am MSZ zu beteiligen. Ziel ist es,Theorie nichtpassiv zu konsumieren, sondern durch aktive Mitar-beit den Gang der Diskussion mitzugestalten.Nähere Informationen zuTerminen und Diskussions-themen finden sich auf der website der GKK.

Kontakt:[email protected]@gmail.com

www.klassenkampf.net

Kollektiv Permanente Revolution / CoReP