MUSIKALISCHE TRADITIONEN IM ISLAM - shalom · PDF fileWorten des Dichters al-Isfahani in...

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  • Von Rachel Hasson*

    Israel ist ein Land, in dem sich west-liche und stliche Kulturen vermi-schen, und stellt daher einen faszinie-renden Treffpunkt zwischen der Musikdes Abendlandes und den musikali-schen Traditionen und Instrumentendar, welche die Juden des Orients ausihren verschiedenen Herkunftslndernmitgebracht haben. Diese Synthesefindet ihren Ausdruck in der Musik undim Gesang Israels. Der israelischeStaat ist nmlich der einzige Ort aufder Welt, in dem noch alle sieben musi-kalischen Traditionen des Islams weiter

    bestehen. Aus diesem Grund prsen-tiert das Museum for Islamic Art in Je-rusalem die Ausstellung The Mood ofthe Ud.

    Die Vielfalt der in dieser Ausstellung gezeigten Mu-sikinstrumente widerspiegelt die musikalische Kunstin den Regionen, die vom Islam beeinflusst werden,von den Lndern des Nahen Ostens ber den Magh-reb, die Trkei, Iran, Zentralasien und den Regio-nen der Beduinen bis zum indischen Subkontinent.Die Ausstellung umfasst folglich die musikalische Kunstder arabisch sprechenden Vlker sowie auch diejenigeder Gruppen und Stmme, die den Islam und seineKultur angenommen haben. Obwohl die musikalischeKultur der islamischen Welt sich ber Tausende von

    KUNST UND KULTUR

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    MUSIKALISCHE TRADITIONEN IM ISLAM

    SHALOM/VOL.XL/TISCHRI 5764/HERBST 2003

    Traditionelle Musikinstrumente aus dem Mittleren Osten. Von l. n. r. Kemanches, Flten, Ud, Duff, Darabuka, doppelte Trommel und Quanun.

  • Kilometern erstreckt, ist die klassische arabische Mu-sik in allen Lndern einem hnlichen Stil treu geblie-

    ben und man findet vergleichbare Register, Stilrich-tungen, gesungene Ausschmckungen, Rhythmen undInstrumente. So kommt einem marokkanischen Rei-senden in Turkmenistan die einheimische Musik ver-traut vor, auch wenn gewisse kleinere Unterschiedebestehen. In der volkstmlichen Musik trifft man hin-gegen grssere Abweichungen an, doch auch in die-sem Bereich herrscht eine grundlegende hnlichkeitvor. In allen islamischen Lndern werden die Gsteeiner Hochzeitsfeier mit dem Klang einer Zurna(Hirtenoboe) oder mit Tamburinen, Naqqara, be-grsst, und in allen von Nomaden bewohnten Re-gionen werden die Snger von einem einsaitigenInstrument begleitet, dem Rabab. Diese Instrumentezeugen von einer sehr alten und raffinierten musikali-schen Tradition, die schon in den ersten Jahrhun-derten des Islams Sternstunden erlebte und sich seit-her in den islamischen Lndern von Generation zuGeneration immer weiter entwickelte. Die islamische Musik wird in erster Linie ber das Ohrweitergegeben und nur selten mit Hilfe von Noten auf-geschrieben, sie zeichnet sich vor allem durch Impro-visation und Verzierungen (Koloraturen) aus. In derislamischen Welt sind die gleich bleibenden, vorbe-stimmten musikalischen Sequenzen der westlichenMusik unbekannt: hier muss der Musiker vielmehr vonalten Melodien (Maqam) ausgehend, je nach Anlassimprovisieren und sich dabei auf das Publikum und diegerade herrschende Stimmung ausrichten. Die orien-talische Musik mchte das Leben abbilden und aus-drcken: sie wechselt stndig, wie das Leben selbst.Folglich gibt es keine ideale Version eines Liedes,sondern eine Vielzahl von mglichen Interpreta-tionen. Diese Ausdrucksfreiheit wird nicht nur vomSolisten in Anspruch genommen, sondern auch vonden Formationen, die ihrem Gutdnken und ihremTalent entsprechend gleichzeitig improvisieren undverzieren. Die so entstehenden Tne, die im Ohr des

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    Traditionelle Musikinstrumente aus der Trkei. Von l. n. r. Kemences, Jombusch, Tanburs.

    Traditionneller Ud aus Syrien.

  • westlichen Menschen so fremd klingen, sind fr denarabischen Zuhrer vollkommen normal und ange-nehm. Das gleichzeitige Spielen verschiedener Varian-ten derselben Melodie ist eine Technik, die unter demNamen Heterophonie bekannt ist. Die arabischeMusik erfllt auch eine soziale Funktion: das Vorspielerfolgt im Allgemeinen nicht auf einer Bhne, sondernim Publikum selbst, das brigens mitmachen soll. Die arabische Musiktradition hat sich im Laufe derislamischen Eroberungen in der Welt verbreitet.Letztere setzten im 7. Jh. ein und betrafen zunchst diearabische Halbinsel, spter dehnten sie sich auf riesigeGebiete in Asien, Afrika und Europa aus. Die Be-gegnung zwischen dem Islam und den lokalen Kul-turen fhrte zur Assimilation und zu einer gegenseiti-gen kulturellen Befruchtung, die sich auch in der Weltder Musik im Allgemeinen niederschlug. TraditionelleMusikelemente, die in diesen Kulturen im Schwangewaren, wurden in die arabische Musik integriert undkristallisierten sich in einem neuen Stil heraus, derdie Grosse Musiktradition genannt wurde. Diesemultinationale Tradition breitete sich rasch ber diegesamte islamische Welt aus. Die muslimischenHerrscher - die wichtigsten Musikkonsumenten - zeig-ten sich geneigt, die frheren kulturellen Elemente dereroberten Lnder zu bernehmen und sie in einemeinzigartigen Stil verschmelzen zu lassen, der in derganzen dominierten Region akzeptiert wurde. Sie tru-gen auf diese Weise in weitem Ausmass zur Entwick-lung der Grossen Tradition bei.Der Charakter dieser musikalischen Tradition undihre Entwicklungsweise unterlagen dem Einfluss vonvier Faktoren, die da sind: das Arabische, die Sprachedes Korans, die als gemeinsamer Nenner in allen isla-mischen Vlkern verwendet wurde und eng mit ihrerMusik verbunden war; das allmhliche Zusammen-wachsen von zahlreichen Vlkern und Rassen auf-grund der politischen und wirtschaftlichen Bedingun-

    gen; die geografische Einheit der islamischen Regio-nen; die hnliche, manchmal gar identische Strukturder diversen Musikinstrumente. Ab dem 9. Jh. began-nen jedoch die gemeinsamen Traditionen und der ein-heitliche Stil angesichts des Aufkommens regionaler,unabhngiger Stilrichtungen zurckzuweichen, die je-de von typischen Merkmalen und besonderen Instru-menten geprgt waren. Die Ausstellung zeigt sieben bedeutende musikalischeTraditionen, die sich einen unabhngigen regionalenCharakter erworben haben: es sind die Traditionendes Nahen Ostens, der Trkei, Persiens, Zentralasiens,Andalusiens (maghrebinische Tradition), Nordindiens,Pakistans (herrlich dargestellt in der Kunst der mongo-lischen Miniatur) und schliesslich der Beduinen. Siealle erreichten ihre Blte auch in unserer Region.

    Die musikalischen Traditionen der isla-mischen Welt

    Die musikalische Tradition der Araber hatte sich inweiten Teilen des Nahen Ostens sowie in der Trkei,in Iran und Zentralasien durchgesetzt, und trotz winzi-ger Unterschiede zwischen den einzelnen Lndernbleiben die wesentlichen musikalischen Elementeidentisch. Die arabische Musik, entstanden durch dieVerschmelzung verschiedenster Einflsse, geht inihren Ursprngen auf die vorislamischen Lieder derarabischen Halbinsel zurck. Spter wurde sie durchdie klassische griechische Theorie, durch Theorien ausSdindien und spanische Traditionen, (nach denInvasionen durch die Araber) und durch die westli-chen neobyzantinischen berlieferungen geprgt.Ihre wichtigste Quelle der Inspiration war jedoch diepersische Tradition, die so stark war, dass man heutefast keinen Unterschied mehr zwischen beiden wahr-nimmt. Trotz ihrer vielschichtigen Ursprnge und Ein-

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    Traditionelle Musikinstrumente der Beduinen. Von l. n. r. Mizwej, Arghul, Rabab, Simsimiyya, Rabbab.

  • flsse besitzt die arabische Musik spezifische Eigen-schaften. Obwohl sie zunchst ausschliesslich fr dieKnigshuser und den Adel bestimmt war, verbreitetesie sich mit der Zeit in allen Gesellschaftsschichten. In den meisten Fllen wird die arabische Musik durcheinen Snger und mehrere Musiker gespielt und istsomit in erster Linie Vokalmusik. Die Instrumentesind sekundr und dienen vor allem dazu, den Gesangzu begleiten. Das arabische Wort fr Musik lautetnmlich Ghina (Lied). Auch wenn sie ber Regelnund Konventionen verfgt, so hebt sich diese Musikhauptschlich durch die Freiheit des Ausdrucks unddie Improvisation hervor. Der begabte Knstler passtdurch seine Improvisation die Musik den Umstndenan und fgt dabei Verzierungen, wie z.B. Triller, hinzu.Deshalb wohnt dieser einstimmigen Musik, die aufeiner einfachen und schlichten Melodie mit regelms-sigen und repetitiven Intervallen beruht, ein varian-tenreicher Klangreichtum inne und fordert der mensch-lichen Stimme alle ihre Fhigkeiten ab. Die Vielzahl der Instrumente, die in den islamischenLndern eingesetzt werden, widerspiegelt zugleich dieEinheitlichkeit und die Unterschiedlichkeit ihres Stils.Manchmal wurde die Struktur des Instruments durchdie jeweils zur Verfgung stehenden Materialien be-stimmt, manchmal ist es seine spezifische Funktion, dieregionale Unterschiede bewirkt. Es gibt in den ver-schiedenen Lndern auch diverse Bezeichnungen frein und dasselbe Instrument. So wird der Rabab auchRubab oder Rababa genannt, der Tambur oderTanbur ist auch unter der Bezeichnung Tambura undTampura bekannt. Das gemeinsame Element der

    grssten und diversifiziertesten Instrumentengruppeist der Tar (Saite auf Persisch): es existiert nmlichder indische Ektar mit einer Saite, der usbekischeDutar mit zwei Saiten, der persische Sehtar mit vierSaiten und der indische Sitar (mit einer unterschiedli-chen Anzahl Saiten). Ein weiteres Beispiel fr dieregionalen Varianten desselben Instruments: die Oboemit zwei Rohrblttern, genannt Zurna in der Trkei,Sorna in Iran und Sahnai im Norden Indiens. Trotzden unterschiedlichen Sprachen und den Tausendenvon Kilometern, welche die islamischen Lnder vonei-nander trennen, sind erstaunliche hnlichkeiten beiden Namen der Musikinstrumente zu beobachten.

    Der Koran und die Musik In der islamischen Welt bezeichnete man mit demgriechischen Begriff Musiki die wissenschaftlicheMusiktheorie, whrend man das arabische WortGhina (Gesang) brauchte, um die Kunst der eigentli-chen Interpretation zu benennen. Doch beide Begriffebeziehen sich auf die weltliche Kunst der Musik, die