Neuland 09

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Zeitschrift der JUSO Kanton Zürich Juni 2012, Nr. 9, www.juso.org neuland EU Sind wir jetzt dagegen oder dafür? Seite 3 Glencore Einblicke ins «Evil Empire» Seite 4 Migration Von Anbiederungsversuchen und realen Problemen Seite 6&7

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Page 1: Neuland 09

Zeitschrift der JUSO Kanton ZürichJuni 2012, Nr. 9, www.juso.orgneuland

EU Sind wir jetzt dagegen oder dafür?

Seite 3

Glencore Einblicke ins «Evil Empire»

Seite 4

Migration Von Anbiederungsversuchen und realen Problemen

Seite 6&7

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Empört euch!Das 2010 erschienene Buch «Empört

euch! (Indignez-vous!)» des ehemaligen französischen Widerstandkämpfers Stépha-ne Hessel kritisiert den Finanzkapitalismus und ruft gleichzeitig zum Pazifismus auf. Da-bei argumentiert er mit den Idealen und Zie-len der französischen Widerstandskämp-fer des zweiten Weltkrieges und vergleicht sie mit den heutigen Verhältnissen. Er be-mängelt, dass die Verpflichtung für die Men-schenrechte und die Grundidee eines Sozial-staates heutzutage gefährdet sind. Konkrete Kritikpunkte sieht er im Sozialabbau, in der Diskriminierung von Ausländern und im Zu-gang zur Bildung. Hier fügt er auch noch an, dass wer genau hinsieht, genügend Anläs-se finden wird, um sich zu empören. Obwohl die heutigen Probleme in der Politik komple-xer sind als früher und deshalb schwerer zu erkennen sind, fordert Hessel die Leser/In-nen dazu auf, einen engagierten Lebensstil zu führen und die Entscheidungen von oben nicht einfach zu akzeptieren. Dies sei das Schlimmste, was man sich und der Welt an-tun könne. Seit der Erscheinung wurden be-reits über eine Million Exemplare des Bu-ches verkauft. Viele Protestbewegungen be-rufen sich auf das Essay.

Stéphane Hessel wurde 1917 als Sohn des Schriftstellers Franz Hessel in Berlin ge-boren, wuchs aber in Paris auf. 1941 schloss er sich der Résistance an und kam nach sei-ner Verhaftung ins Konzentrationslager Bu-chenwald. Nachdem er mit einer falschen Identität fliehen konnte, wurde er Sekretär der Menschenrechtskommission. Neben den Menschenrechten setzt er sich stark für De-mokratie und Entwicklungshilfe ein. Seit Be-ginn des 20. Jahrhundert vor allem in Israel, worüber er im Kapitel «Meine Empörung in der Palästina-Frage» schreibt.

Empört euch! Stéphane Hessel, Ullstein HC, 32 Seiten, 5.90 Fr.

Kulturtipps

2neulandJuni 2012

Mi, 20.06.2012Vollversammlung JUSO Winterthur

Zeit: 19.00 UhrUnia Seki, Winterthur

Fr, 29.06.2012Neuland-Fest

Zeit: 19.00 UhrGartenhofstr. 7, Zürich

Sa, 30.06.2012Delegiertenversammlung JUSO Schweiz

Yverdon

Di, 10.07.2012Vollversammlung JUSO Stadt Zürich

Zeit: 19.00 UhrSP Seki, Gartenhofstr. 15, Zürich

Sa-Do, 04.-09.08.2012Sommerlager JUSO Schweiz

Chandolin VS

Di, 21.08.2012Vollversammlung JUSO Kanton Zürich

Zeit: 19.00 UhrSP Seki, Gartenhofstr. 15, Zürich

JUSO-AgendaGenossInnen des Quartals

Als der FC Basel nach dem Sieg im Cupfinal den Pokal und die Medaillen entgegen nahm, fiel jemand besonders auf: der gerade erst 21-jährig geworde-ne Aleksandar Dragovic, der sich einen kleinen Scherz erlaubte, als er «unse-rem» Sportminister Ueli Maurer einen kleinen «Watsch» auf den Hinterkopf gab, da sich Bundesueli bei der Medail-lenübergabe wiedermal in den Mittel-punkt stellen musste. An der Meister-feier legte er noch einen drauf, als er sagte, dass er es eigentlich noch lus-tig fand und er sich nur entschuldi-ge, weil der Verein es so wolle. Auch sonst lässt sich der junge Spieler seinen Mund nicht verbieten. Schon während seiner Zeit in Österreich setzte er sich für die Kampagne «Pyrotechnik ist kein Verbrechen» ein und war den repressi-onsgeilen Behörden deshalb ein Dorn im Auge. Er liess es sich an der Meis-terfeier trotz blühendem Strafverfahren nicht nehmen, selbst eine Pyro zu zün-den und damit gegen das unsinnige Py-roverbot zu protestieren. Ein Lichtblick im durchkommerzialisierten modernen Fussball.

Arschlochdes Quartals

Mit ihren Aussagen zu den Deut-schen in der Schweiz hat die Winter-thurer SVP-Nationalrätin Natalie Rick-li einmal mehr bewiesen wie unglaub-lich daneben ihre Ansichten sind. Nicht der einzelne Deutsche störe sie, sondern die Masse sei es, welche ihr das Gefühl gebe, fremd im eigenen Land zu sein. Doch dass genau ihre

Freunde von den Wirtschaftsparteien ein Interesse daran haben, möglichst viele Ausländer in ihren Unternehmen zu engagieren, verschweigt sie na-türlich. Sie sieht Menschen als Ware, über die die Schweiz verfügen kann, wie sie es will. Und wenn die auslän-dischen Arbeitskräfte nicht mehr ge-braucht werden, sollen sie gefälligst wieder gehen. Wer im Menschen nur einen gewinnbringenden Produktions-faktor sieht, dessen Recht zu existie-ren dann entfällt, wenn er nicht mehr rentabel ist, der hat nichts anderes als die Bezeichnung Arschloch verdient.

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Contra : «Es gibt kein ruhiges Hinterland»

Florian Sieber Wer für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität kämpft, kämpft auch für Internationalismus. Doch das Verständnis von Internationalismus scheint sich ver-ändert zu haben, und dies nicht zum Besseren.

Wer angesichts der momentanen Ereignisse noch vom «Friedensprojekt Europa» spricht, unterschlägt zwei Dinge: Zum einen wurden weder die EU, noch ihre Vorläuferorgani-sationen als «Friedensprojekte» konzipiert. Zum Andern mutet es seltsam an, bei der momentanen Lage von Frieden zu spre-chen.

Für die Mitgliedsstaaten der EU mag es wegen ihres riesi-gen Binnenmarkts unprofitabel sein, Kriege gegeneinander zu führen. Der Klassenkampf seitens der Besitzenden, die auch den Regierungen Europas vorstehen, wird dafür mit nicht ge-kannter Härte geführt: in Spanien werden SchülerInnende-monstrationen mit brutalster Polizeigewalt aufgelöst, in Grie-chenland kommt es zu den ersten Fällen von Unterernährung bei Kindern und in Italien gibt es immer mehr krisenbedingte Selbstmorde.

An einem Beispiel lässt sich gut erkennen, für wen die EU Politik macht: Um Rettungspakete zu erhalten, musste Grie-chenland ihre Militärausgaben erhöhen und damit von den Deutschen einige High-Tech U-Boote kaufen zu können. In Griechenland leiden die ArbeiterInnen und für Brüssel ist das Land trotzdem nur eines: ein Absatzmarkt für ihre Rüstungsin-dustrie.

Die Befürwortung der EU und die Solidarität mit den Brüs-seler Bürokraten ist also nur eines: Solidarität mit den Aus-beutern, Solidarität mit denen, die die Demokratie aushebeln, wenn die Interessen des Kapitals dem Willen des Volkes wi-dersprechen.

Dem Internationalismus der entfesselten Märkte stellen wir unsere Vision eines internationalistischen Sozialismus entge-gen und solange die Besitzenden dieses Kontinents Profit vor den Menschen stellen, kann es für uns kein friedensstiftendes «Grosseuropa» sondern nur Liebknechts Parole geben:

Es gibt kein ruhiges Hinterland.

Pro : «Europa wird gut»Amr Abdelaziz Der Prozess der europäischen Ei-

nigung schreitet seit dem Ende des zweiten Weltkrieges unauf-haltsam voran. Heute sind fast alle europäischen Länder Mit-glied der Europäischen Union, und fast alle, die es nicht sind, wollen es werden.

Die europäische Einigung hat Europa befriedet und demo-kratisiert. Die EU hat wie die Schweiz eine föderale, demokra-tische und rechtsstaatliche Organisation. Die Grundrechte der EU-Bürgerinnen und -Bürger wurden in den letzten Jahrzehn-ten erweitert und gestärkt. Und die Union stärkt die Demokra-tie: Die EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen in der ganzen Uni-on unabhängig von ihrer Herkunft in der Kommunalpolitik mit-reden. Die Kompetenzen des Europäischen Parlaments im Gesetzgebungsverfahren wurden in den letzten Jahren massiv erweitert. Zudem ist dieses Jahr mit der «Bürgerinitiative» erst-mals ein griffiges direktdemokratisches Instrument geschaffen worden.

In letzter Zeit trifft man vereinzelt Genossinnen und Genos-sen an, die die EU ein «neoliberales Projekt» schimpfen. Nun, die EU ist ein neoliberales Projekt, aber mit neoliberalen Pro-jekten haben wir ja reichlich Erfahrung. Die Schweiz ist min-destens so neoliberal wie die EU. Die Einkommen und Vermö-gen sind in der Schweiz ungleicher verteilt als in der EU. Die Schweiz ist ein echtes Paradies für Reiche, für Grossbanken und für multinationale Unternehmen.

Lasst uns als Schweizer Jusos den Neoliberalismus zuerst vor unserer eigenen Haustür wegwischen. Es macht wenig Sinn, dass wir die EU als neoliberal verteufeln, während in der Schweiz die ArbeiterInnen, MieterInnen, KonsumentInnen et cetera weniger Schutz geniessen als in vielen EU-Staaten.

Pro & Contra

Europa!

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Seite 5 Illustration von Timon Wüthrich

Wir möchten in jeder Ausgabe einer jungen Illustratorin / einem jungen Illustra-toren die Gelegenheit geben, ihr/sein Schaf-fen zu präsentieren. Wärst du daran inter-essiert, auf Seite 5 ein Werk von dir zu se-hen? Dann melde dich bitte bei [email protected].

Glencore hat seinen Hauptsitz in Zug mit insgesamt 450 Angestellten. Von dort aus spannt das Unternehmen sein Netz über die ganze Welt. Insgesamt sind 60 000 Mitarbeiter bei Glencore und den Töchterfirmen in der Produktion tätig. Glencore besitzt Niederlassungen, Minen und Bergbauunternehmen auf der ganzen Welt. Die Firma wurde erst kürzlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und ist berüchtigt für ihre ablehnende Haltung gegenüber der Öffentlichkeit. Vor kurzem gab Glencore bekannt, dass eine Verei-nigung mit Xstrata ins Auge gefasst wird. Xstrata ist ebenfalls ein Rohstoffhändler und –produzent und eine ehemalige Toch-terfirma von Glencore.

Rohstoffe sind meist nur in abgelege-nen Gebieten der Welt vorhanden, wo Rechtsstaat nur vom Hörensagen bekannt ist und Korruption und Gewalt vorherr-schen. Und Glencore weiss dies durch-aus zu nutzen. So enteignete und vertrieb eine Minengesellschaft, von der Glencore einen grossen Teil der Aktien hält, 2001

in Kolumbien ein ganzes Dorf. Es soll-te Platz für eine Erweiterung der Mine geschaffen werden. Glencore zeigt sich unberührt und liess verlauten, dass sie nichts damit zu tun hätten, da Glencore nur eine Minderheit der Aktien besässe.

Ein weiteres Beispiel für die zweifel-haften Tätigkeiten von Glencore ist die Tochterfirma Mopani. Diese löst in Sam-bia schon seit Jahren mit Säure Kupfer aus dem Gestein. Dies ist billiger als die herkömmliche Weise. Das Trinkwasser in der Nähe der Mine wurde dadurch vergif-tet, die Luft mit Schwefelsäure und Staub kontaminiert. Grenzwerte für Verschmut-zung werden teilweise um das Ssiebzigfa-che überschritten. Die Mehrheit der Orts-ansässigen muss sich also mit den Proble-men rumschlagen, während die Gewinne aus den Rohstoffen nach Zug fliessen. Auch der sambische Staat profitiert nicht. Mopani schleust die Gewinne nämlich am Fiskus vorbei, indem sie die Rohstoffe zu Billigpreisen an eine weitere Glencore-Tochter verkauft und keine Gewinne ver-steuern muss. Von der Glencore-Tochter werden die Rohstoffe dann an Glencore weitergereicht, verkauft und in unserer Steueroase Zug wird der Rohstoffreich-tum aus Sambia schliesslich versteuert. Auch in Kolumbien hinterzog eine Toch-terfirma von Glencore Steuern in gleicher Manier.

Selbst die Aktionäre von Glencore müssen keine Dividenden versteuern. Durch die vom ehemaligen Bundesrat Hans-Rudolf Merz eingeführte Unterneh-menssteuerreform II mussten sie keinen Rappen auf ihre Dividenden an den Staat abliefern. So bekam Glencore-Chef Ivan Glasenberger 2011 109 Millionen steuer-frei. Auch Glencore selbst erhielt 2011 ei-nen Steuergutschein über 264 Millionen Dollar.

Langsam bahnt sich jedoch Wider-stand gegen den verbrecherischen Roh-stoffmulti an. Schon 2007 liess der Präsi-dent von Bolivien, Evo Morales, ein Glen-core-Werk verstaatlichen. Dieses Jahr wurden in Peru eine Klage zur Wahrung der Bürgerrechte sowie eine Strafanzeige wegen Umweltdelikten gegen Xstrata ein-gereicht. Auch die europäische Innovati-onsbank und die Allianz investieren nicht mehr in Glencore. In der Schweiz haben verschiedene Menschenrechtsorganisati-onen gemeinsam die Petition «Recht ohne Grenzen» gestartet.

Das Monster von ZugYves Chopard Umweltverschmutzung, Steuerbetrug, Menschenrechtsverletzung und Ausbeutung. Dies wird dem Schweizer Rohsto!händler und Produzenten Glencore von Menschenrechtsorgani-sationen vorgeworfen. Der Gewinn wird natürlich in der steuergünstigen Schweiz versteuert.

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Mattea Meyer Der Entwurf zum SP-Migrationspapier hat hohe Wellen geschlagen – zu Recht. Grundwerte sozialdemokratischer Politik werden über Bord geworfen, um im Fahrtwasser der bürgerlichen Migrationspolitik mit zu dümpeln.

Die Überzeugung, dass jeder Mensch, un-abhängig seiner Herkunft, dieselben Rechte besitzt, wird im Migrationspapier zusammen mit dem Ruf nach internationaler Solidari-tät und Freiheit einfach ertränkt. Stattdes-sen übernimmt die SP eine neoliberale Rhe-torik und unterwirft die Migration einer Kos-ten-Nutzen-Analyse: Einwanderung wird als Eindringen in fremde Gewässer verstanden. Migrantinnen und Migranten sind dann will-kommen, wenn sie dem Schweizer Wohl-stand dienen oder demographische Prob-leme lösen. Wenn die SP von Rekrutierung von Arbeitskräften spricht, dann hat sie Max Frischs Aussage «Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.» definitiv nicht ver-standen. Es ist dieses neoliberale Wir-und-Sie-Denken, das sich wie ein roter Faden durch das ganze Papier zieht. Eine grund-legende Kritik am Konstrukt Nationalstaat fehlt – wer keinen Pass hat, muss mit Bevor-mundung leben.

Dabei stellt sich eher die Frage, wer das Recht hat, über Migrierende zu richten und sie in echte und falsche Flüchtlinge einzutei-len, oder in Integrationswillige und Auszu-schaffende. Sollte es nicht vielmehr Ziel der SP sein, Ungleichheiten zu bekämpfen und allen ein selbstbestimmtes Leben zu ermög-lichen? Das geht aber nur, wenn Migrantin-nen und Migranten als selbstständige und freie Menschen gesehen werden, denen man nicht helfen, sondern deren Anspruch auf Gleichheit vor Gesetz und in der Gesellschaft erkämpft werden muss.

Der falsche Kurs, den das Papier einschlägt geht auch bei den gestell-ten Forderungen weiter. Dass Migration in erster Linie aus ökonomischer Sicht erörtert wird, macht Sinn – dann muss die Antwort aber ebenfalls eine ökonomische sein, welche sich nicht nur auf die sogenannten flankierenden Massnahmen plus beschränkt. Sie muss weiter gehen und eine umfassende Umverteilung fordern, denn die Konfliktlinie verläuft nicht entlang von Natio-nalitäten. Sie verlaufen zwischen arm und reich. So ist auch die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt hauptsächlich Folge verfehlter Wohnpoli-tik, welche Immobilien den Spekulanten überlässt.

In der Asyl- und Sans-Papier-Politik erleidet der SP-Vorschlag vollständig Schiffbruch, weil er die bürgerliche Flüchtlingsdefinition übernimmt.

Indem das Papier an einer Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflücht-lingen und echten Flüchtlingen festhält, ignoriert es die soziale Ungerech-tigkeit dieser Welt, an der die Schweiz durchaus mitverantwortlich ist. Statt-dessen braucht es ein Asylverfahren und eine Legalisierung, welche auch diese Menschen schützen, die aufgrund der Armut aus ihrem Heimatland flie-hen mussten. Die SP-Forderung, das Zwei-Kreise-Modell zu überwinden, ist begrüssenswert. Umso unverständlicher mutet es aber an, dass gleichzeitig an Zwangsausschaffungen, dem Nothilferegime und Härtefallregelungen fest-gehalten wird. Die SP sollte solche Massnahmen stattdessen bekämpfen und eine kollektive Regularisierung fordern.

Mit dem vorliegenden Entwurf ist die SP von ihrem Kurs abgekommen und begnügt sich, im Beiboot der Bürgerlichen zu sitzen. Es liegt jedoch an uns, das Ruder in der Migrationspolitik herumzureissen und auf eine Einwan-derungspolitik zuzusteuern, die das Prädikat sozialdemokratisch verdient. Dafür braucht es Visionen, die auf der Basis sozialdemokratischer Grundwer-te fundamentale Veränderungen einfordern – zugunsten aller.

Mit voller Kraft nach links in der

Migrationsdebatte

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7neulandJuni 2012

Samuel Ha!ner Die Delegier-tenversammlung der JUSO Schweiz er-teilte der Geschäftsleitung den Auftrag zur rechtlichen Ausarbeitung einer Initi-ative gegen Nahrungsmittelspekulation. Über die definitive Lancierung der Initia-tive wird an der DV vom 30. Juni in Yver-don entschieden.

Am Auffahrtswochenende trafen sich gut 130 Delegierte im Eisenwerk in Frau-enfeld. Im Vorfeld waren elf Vorschlä-ge für Initiativprojekte eingegangen. Die JUSO Kanton Zürich war an insgesamt vier Vorschlägen beteiligt: Offenlegung der Geschäftsbücher, Mensch vor Markt (M.v.M.), Kein Profit ohne Recht und De-mokratie überall. Die M.v.M.-Initiative, welche eine Anhebung der Gewinnsteuer auf den europäischen Durchschnitt for-

Lucia Thaler Im September 2002 kam der damals 34-jährige Sadou Bah in die Schweiz. In seiner Hei-mat Guinea herrschte politische und religiöse Unfreiheit. Er ist seinem Traum gefolgt, hier Medizin zu studieren. «Viele junge Afrikaner stellen sich Europa als Paradies vor, wo je-der eine Ausbildung absolvieren kann und einen guten Job findet», sagt er. Auf die Erleichterung, die lange strapazi-öse Reise überlebt zu haben, folgte alsbald Ernüchterung. Bei seiner Ankunft wurde ihm geraten, ein Asylgesuch zu stellen. Er wurde damit konfrontiert, dass er keine Aus-weispapiere hatte. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt. Für einen Rekurs fehlte ihm das Geld. Er besuchte Deutsch-kurse der Asyl-Organisation Zürich (AOZ) und wurde schliesslich Assistenzlehrer.

Die massive Verschärfung des Asylgesetzes 2008 war ein Schock. Die AOZ musste Bah entlassen, da sie kei-ne abgewiesenen Asylsuchenden mehr beschäftigen darf.

derte, konnte mit einer breiten Liste von 22 UnterstützerInnen aufwarten.

Neben den Grussworten der JUSO Deutschland und der Linksjugend So-lid sprach Franco Cavalli, Ex-Fraktions-präsident der SP Schweiz, zu den Dele-gierten. In seiner pointiert linken und mit viel Applaus quittierten Rede forderte er einen deutlichen Linksrutsch der SP, und erklärte unter Anderem seine Sym-pathie für den Vorschlag der JUSO Genf zur Verstaatlichung der Banken. Danach schritten die Delegierten in der etwas leer wirkenden ehemaligen Fabrikhalle zur Abstimmung.

Bereits im dritten Wahlgang setzte sich der GL-Vorschlag für ein Verbot von Nahrungsmittelspekulation mit 78 Stim-

Er wurde von der Sozialhilfe ausgeschlossen und erhält nur noch Nothilfe, das heisst Migros-Gutscheine im Wert von 8.50 Franken pro Tag. «Davon kann niemand leben», sagt Bah. Sein Gesuch an die Härtefallkommission wurde von der Kommission unterstützt, aber trotzdem vom Migrationsamt abgelehnt. Bahs Rekurs von 2010 ist hängig.

Bah wohnt in einem Zivilschutzbunker in Urdorf mit dreis-sig Personen in einem Raum ohne Fenster, «wobei man das nicht wirklich als wohnen bezeichnen kann», fügt er an. Er darf nicht ar-beiten, keine Ausbildung machen und hat keine Perspektive auf ein besseres Leben. Dieses Dasein empfindet er als würdelos und es mache Menschen kaputt. Nach seinen Wünschen für die Zukunft gefragt, antwortet er: «Wünsche sind für mich unbedeutend. Ich wurde immer nur enttäuscht. Keine meiner Hoffnungen hat sich je erfüllt, weder in Guinea noch in der Schweiz.» Er fordert eine kol-lektive Regularisierung der illegalisierten Asylsuchenden. In der Zwischenzeit ist Bah seit zehn Jahren in der Schweiz. Zehn Jahre – so alt ist sein Sohn in Guinea, den er nie gesehen hat.

men gegen die M.v.M.-Initiative mit 24 und die Verstaatlichung der Banken mit 23 Stimmen durch. Die erwartete gros-se Diskussion blieb aus. Ein zuvor einge-gangener Ordnungsantrag aus den Rei-hen der JUSO Kanton Zürich zum Wei-terzug der drei besten Vorschläge an die nächste DV wurde mit 38 Ja-Stim-men und 10 Enthaltungen gegen 81 Nein-Stimmen abgelehnt.

Es bleibt zu hoffen, dass die fehlen-de Beteiligung an sowie in der DV kein schlechtes Omen darstellt. Und dass wir bereit sein werden, flexibel auf die drän-genden Fragen der Zeit zu reagieren.

Ausarbeitung einer Initiative gegen

Nahrungsmittelspekulation beschlossen

Odyssee durch das Migrationssystem

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Nora Schüller Paco führte mit seiner Schnecken-Familie ein ruhiges Leben in einem spani-schen Gewächshaus, wo er sich von Hors-sol-Produk-ten ernährte, die bei allen Schnecken einen juckenden Ausschlag verursachten. Eines Tages entschloss sich der Chef des Gewächshauses, schweizerische Qualitäts-Schneckenkörner einzusetzen, die Pacos ganzer Fami-lie das Leben kosteten, einzig Paco überlebte trauma-tisiert. Er flüchtete sich ins Herz eines Salatkopfes und schlief ein. Ein lauter Knall riss Paco aus seinem Tief-schlaf; Dunkelheit und Kälte umgaben ihn. Angst durch-schleimte seinen Körper; die Kälte lähmte ihn. Paco nahm eine ihm unbekannte Sprache wahr: «Hey, Toni lad entli die huere Salatchöpf usem Laschtwagä!» - «Äx-güsi, Chrigi i chume sofort!» Nun landete Paco im Re-gal eines Schweizer Supermarktes und sein Versteck wurde als spanischer Feldsalat für Fr. 1.50 angeboten. Fünf Tage später, es war Samstagmörgeli, die Leute eil-ten in den Supermarkt, als Pacos Versteck von zwei rechten Händen aus dem Regal gehoben wurde. Durch

die Frasslöcher im Salat konnte Paco ein Gesicht mit ei-nem unheimlichen Grinsen ausmachen. Paco wurde ent-deckt. Das Gesicht verwandelte sich in eine grimmi-ge Fratze. Zähne fletschend und unter Ohren betäuben-dem Geschrei: «Verdammti spanischi Nacktschnägge, was häsch du da zsueche?!» wurde Paco aus dem Salat-kopf gerissen. Leise und mit zitternder Stimme antwor-tete Paco: «Soy un politischer Flüchtling y busco una nueva casa.» Darauf wurde Paco zu Boden geschmis-sen und die mit einem Toupet gekrönte Person versuch-te die spanische Nacktschnecke zu zerquetschen. Doch da trat mutig eine mollige Dame mit roten Stiefeln vor die hämisch grinsende Person. Schnell bückte sie sich, hob Paco vom Boden hoch, riss dem grinsenden Mann das Toupet vom Kopf, stopfte es in seinen stinkenden Schlund und eilte mit Paco in der linken Hand davon. Zu Hause angelangt, setzte sie Paco in ihren Schneckenkör-ner freien Garten und gewährte der Sans-papier-Schne-cke Asyl.

LexikonOchlokratie, die; bedeutet so viel wie die Herr-

schaft der Masse/des Pöbels. In den Dreissigern und Vierzigern des 19. Jahrhunderts drehte sich in der Schweiz alles um die Frage der Staatsform, sowohl kantonal als auch national. In verschiedenen Kanto-nen stritt man sich, ob die Schweiz eine repräsentati-ve Demokratie wie heute Deutschland, Frankreich etc. werden sollte oder ob sie Instrumente direkter Demo-kratie, wie das Referendum oder das Veto, in die Ver-fassung aufnehmen sollte. Die gebildetere Schicht der Liberalen pochte auf ein repräsentatives System. Ihr Hauptargument war, dass man durch Referendum und Veto eine O. und keine Demokratie erhalten würde – das Volk sei zu ungebildet und daher unmündig. Die Frage, ob das Volk zur Demokratie fähig ist, ist also eine alte und traditionell eher liberale Haltung.

Kurzgeschichte: Busco una nueva casa

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Impressum:

Herausgeberin: neuland ist das offizielle Publikati-onsorgan der JUSO Kanton Zürich und ihrer Sektionen: JUSO Kt. Zürich; Postfach 3015; 8021 Zürich;

www.juso.org.Redaktion (erreichbar unter [email protected]):

Lena Lademann, Rachel Plüss, Yves Chopard, Lu-cia Thaler, Samuel Haffner, Marco Geissbühler, Dario Schai, Jonas Banholzer, Larissa Schüller, Anna Serra.

Layout: Elephant at Work Design, Samuel VonäschDruck: spescha e grünenfelder, IlanzAuflage: 1000 Ex.Abos: Mitglieder der JUSO Kanton Zürich erhalten

neuland gratis zugestellt. Alle anderen können unter www.juso.org/neuland_soli für einen Beitrag von min. 50 Franken ein Jahresabo bestellen.