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B 06/17 48 Apotheken Umschau Ratgeber Fotos: W&B/Henning Ross/André Kirsch Nicht nur Frauensache Brustkrebs Ein Knoten in der Brust kann auch bei Männern auf einen Tumor hinweisen Z ur Mammografie? Hartmut Richter aus Löhne denkt erst einmal an ei- nen Scherz, als die Radiologin eine Röntgenaufnahme seiner Brust anord- net. Das macht man doch sonst nur bei Frauen. An ein Versehen denken auch die Mitarbeiter des Screening-Zentrums, als sich der große, kräftige Mann zur Brust-Biopsie anmelden will. Doch es ist kein Irrtum. „Sie haben Brustkrebs“, teilt der Hausarzt Richter schließlich mit. Jährlich erkranken in Deutschland mehr als 70 000 Menschen an Brust- krebs. Etwa jeder Hundertste ist ein Mann. Früh erkannt, ist die Heilungs- chance auch bei männlichen Patienten sehr gut. Doch wird der Tumor häufig spät entdeckt. Denn: Wer denkt bei einem Mann schon an Brustkrebs? Bei Richter jedenfalls niemand. Als er sich beim Sonnenbaden auf den Bauch drehte, fühlte er in der rechten Brust plötzlich einen Druck. Der Hausarzt vermutete eine Entzündung, verschrieb ein Antibiotikum. Der Druck blieb. „Al- les in Ordnung“, versicherte der Arzt. Selbst dann noch, als Richter am Bade- see schon ein Handtuch um den Hals trug, um die dicker gewordene Brust zu verdecken. Nach vier Jahren endlich Klarheit Schmerzen hatte er nicht. Bis er bei sei- ner Arbeit als Nachrichtentechniker mit der rechten Seite gegen einen Tür - rahmen prallte. „Es hat mir die Tränen in die Augen getrieben“, erzählt Richter. Diesmal wollte er Klarheit. Auf sein Drängen erhielt er eine Überweisung zum Radiologen – vier Jahre nach den ersten Beschwerden. Ein Mann mit Brustkrebs – wie ist das möglich? „Auch Männer haben rudi- mentäres Drüsengewebe“, erklärt Dr. Rachel Würstlein vom Brustzentrum des Klinikums der Universität München. Im Blut der Betroffenen findet sich Östrogen. Das weibliche Geschlechts- hormon ist am Entstehen vieler Brust - tumore beteiligt, bei Männern beson- ders häufig. Öfter als bei Frauen spielt zudem die genetische Belastung eine Rolle. Sind in einer Familie bereits meh- rere Frauen erkrankt, bedeutet das auch für die männlichen Mitglieder ein er - höhtes Risiko. „Lässt sich in der Brust ein Knoten ertasten, wirkt die Warze eingezogen oder gibt sie Flüssigkeit ab, muss das abgeklärt werden – auch bei einem Mann“, betont Würstlein. Für die Patienten bedeutet die Dia- gnose aber nicht nur, dass sie plötzlich Nach vorne schauen: Hartmut Richter lässt sich von seiner Krebserkrankung nicht unterkriegen

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Nicht nur FrauensacheBrustkrebs Ein Knoten in der Brust kann auch bei Männern auf einen Tumor hinweisen

Zur Mammografie? Hartmut Richter aus Löhne denkt erst einmal an ei-nen Scherz, als die Radiologin eine

Röntgenaufnahme seiner Brust anord-net. Das macht man doch sonst nur bei Frauen. An ein Versehen denken auch die Mitarbeiter des Screening-Zentrums, als sich der große, kräftige Mann zur Brust-Biopsie anmelden will. Doch es ist kein Irrtum. „Sie haben Brustkrebs“, teilt der Hausarzt Richter schließlich mit.

Jährlich erkranken in Deutschland mehr als 70 000 Menschen an Brust-krebs. Etwa jeder Hundertste ist ein Mann. Früh erkannt, ist die Heilungs-chance auch bei männlichen Patienten sehr gut. Doch wird der Tumor häufig spät entdeckt. Denn: Wer denkt bei einem Mann schon an Brustkrebs?

Bei Richter jedenfalls niemand. Als er sich beim Sonnenbaden auf den Bauch

drehte, fühlte er in der rechten Brust plötzlich einen Druck. Der Hausarzt vermutete eine Entzündung, verschrieb ein Antibiotikum. Der Druck blieb. „Al-les in Ordnung“, versicherte der Arzt. Selbst dann noch, als Richter am Bade-see schon ein Handtuch um den Hals trug, um die dicker gewordene Brust zu verdecken.

Nach vier Jahren endlich Klarheit

Schmerzen hatte er nicht. Bis er bei sei-ner Arbeit als Nachrichtentechniker mit der rechten Seite gegen einen Tür-rahmen prallte. „Es hat mir die Tränen in die Augen getrieben“, erzählt Richter. Diesmal wollte er Klarheit. Auf sein Drängen erhielt er eine Überweisung zum Radiologen – vier Jahre nach den ersten Beschwerden.

Ein Mann mit Brustkrebs – wie ist das möglich? „Auch Männer haben rudi-mentäres Drüsengewebe“, erklärt Dr. Rachel Würstlein vom Brustzentrum des Klinikums der Universität München.

Im Blut der Betroffenen findet sich Östrogen. Das weibliche Geschlechts-hormon ist am Entstehen vieler Brust-tumore beteiligt, bei Männern beson-ders häufig. Öfter als bei Frauen spielt zudem die genetische Belastung eine Rolle. Sind in einer Familie bereits meh-rere Frauen erkrankt, bedeutet das auch für die männlichen Mitglieder ein er-höhtes Risiko. „Lässt sich in der Brust ein Knoten ertasten, wirkt die Warze eingezogen oder gibt sie Flüssigkeit ab, muss das ab geklärt werden – auch bei einem Mann“, betont Würstlein.

Für die Patienten bedeutet die Dia-gnose aber nicht nur, dass sie plötzlich

Nach vorne schauen: Hartmut Richter lässt sich von seiner Krebserkrankung nicht unterkriegen

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gegen den lebensbedrohlichen Krebs kämpfen. „Es gibt viele zusätz liche Stol-persteine“, weiß Richter. Die Tatsache, an einer typischen Frauenkrankheit zu leiden, ist für viele ein harter Brocken. Auch der Mann aus Löhne begann zu grübeln: Stimmt was nicht mit mir? „Wir wussten ja schon immer, dass du ein Weichei bist.“ Solche Kommentare blieben nicht aus. „Ein Kollege nennt mich noch heute Frau Richter“, erzählt der 61-Jährige. Er nimmt es gelassen.

Nicht alle Betroffenen reagieren so souverän. „Manche verschweigen ihre Krankheit“, weiß Sarah Halbach von der Forschungsstelle für Gesundheitskom-munikation und Versorgungsforschung der Universitätsklinik Bonn. Dort läuft derzeit „N-Male“. Diese Studie soll erst-mals die Bedürfnisse männlicher Brustkrebs-Patienten erfassen. „Viele haben bei der Diagnose nicht mal da-von gehört, dass es die Erkrankung bei Männern gibt“, sagt Halbach. Sie schä-men sich, sind verunsichert.

Hinzu kommen praktische Probleme. Etwa bei der Suche nach dem zustän-digen Facharzt. Der Experte für Brust-krebs ist der Frauenarzt. Doch ein Mann in der gynäkologischen Praxis, das war lange nicht vorgesehen. Für die Behandlung gab es daher von der Kran-kenkasse kein Geld. In Richters Fall weigerten sich die Gynäkologen vor Ort, die Betreuung zu übernehmen.

„Die Situation hat sich aber deutlich verbessert“, versichert Brustkrebsexper-tin Würstlein, deren Klinik sich eben-falls an N-Male beteiligt. So werden die Behandlungskosten von Männern in Frauenarzt-Praxen inzwischen erstattet.

Seit einigen Jahren sind männliche Pa-tienten zudem in Brustkrebs-Studien zugelassen. Das heißt: Der medizini-sche Fortschritt erreicht sie nicht mehr mit Verzögerung. Studien, die aus-schließlich Männer untersuchen, gibt es dagegen noch kaum. „Die Behand-lung erfolgt analog zur Frau“, sagt Würstlein. Wie man von anderen Er-krankungen weiß, ist das nicht immer optimal. Normalerweise ist es umge-kehrt: Bei vielen Krankheiten ist die Therapie der Frau kaum erforscht.

„Frau Richter, bitte!“

Als Brustkrebs-Patient kommt man da-gegen in eine Welt, die völlig auf Frauen eingestellt ist – von der psychoonko-logischen Unterstützung bis zur Reha. Die medizinische Therapie erfolgt im Brustzentrum, auch für Männer.

„Frau Richter, bitte!“ Mit der Zeit ge-wöhnte sich Hartmut Richter daran, so aufgerufen zu werden. „Am Ende habe ich mich im Brustzentrum recht hei-misch gefühlt.“ Was zählte, war allein der Kampf gegen den Krebs.

Obwohl der Tumor viereinhalb Zenti-meter groß war, hatte er noch keine Ab-siedlungen gebildet. Es gab also eine Chance auf Heilung. Als Richter nach der OP in den Spiegel blickte, sah er statt seiner rechten Brust eine tiefe Kuhle. Quer darüber eine 30 Zentimeter lange Narbe. Zudem schwoll der rechte Arm

stark an. 40 Lymphknoten waren ent-fernt worden. Es folgte eine aggressive Chemotherapie. Richter ist ein Kämpfer, einer, der selbst bei einem gebrochenen Arm sagt: „Ach, nur ein Kratzer.“ Nach drei Infusionen gestand er seiner Frau:

„Ich kann nicht mehr.“ Sie munterte ihn auf: „Ach was. Das schaffst du locker!“

Er schaffte es. Heute liegt die Diagno-se fünf Jahre zurück. Der Krebs kehrte nicht zurück. Richter arbeitet wieder Vollzeit, geht angeln und Kanu fahren. Doch es blieben Spuren. So ist der rech-te Arm noch immer stark geschwollen. Dreimal pro Woche steht Lymphdraina-ge an. Auch um diese zu erhalten, muss-te er Stolpersteine überwinden.

Um anderen Betroffenen zu helfen, engagiert sich Richter in einer Selbst-hilfegruppe. Denn Männer mit Brust-krebs sind kein Irrtum, obwohl ihnen das Gefühl gegeben wird. Etwa wenn Richter ein Rezept für Arzneien holt, die sonst Frauen erhalten. Dann meldet der Computer jedes Mal: „Fehler!“ Sonja Gibis

„Lässt sich in der Brust ein

Knoten ertasten, muss man das

abklären – auch beim Mann“

Dr. Rachel Würstlein betreut am Brustzentrum

des Klinikums der Uni München auch Männer

In der nächsten Apotheken Umschau

Brustkrebs Biomarker sollen zeigen, ob eine Chemotherapie Sinn macht

Hilfe für Patienten

Informationen finden Betroffene beim „Netzwerk Männer mit Brust-krebs e. V.“, www.brustkrebs-beim-mann.de. Kontakt erhalten sie auch über den Vereinsvorsitzenden Peter Jurmeister, Telefon 0 72 32/7 94 63.