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gar nichts davon mit, wer in der Kirche sitze. Bloß als neulich bei den Reichs- städter Tagen nebenan die Volksmusik dröhnte, bat Clara Hahn um eine kurze Pause für ihr 15-minütiges Konzert. Die einstündige Generalprobe zieht sie ganz durch. Vorher hatte sie noch schnell die Schuhe gewechselt. Die Füße stecken in lilafarbenen Socken, die zum lilafarbenen Shirt passen. Der Registrant Urs Bicheler blättert nicht nur die No- tenblätter weiter. Er leiht ihr auch einen Fuß, wenn die Stücke zu komplex wer- den. Zum Beispiel beim Schlussstück, bei Regers Choralphantasie. Auf dieses Werk hat sich Hahn anderthalb Jahre lang vorbereitet. Die Orgel ist ein Instrument, das kaum einer allein beherrschen kann. Als sie da- mit durch ist, atmet sie einmal aus. Selbst wenn sie sich verspielen sollte bei der Prüfung, sei das Wichtigste das Wei- termachen. „Ist doch so“, sagt die 23-Jährige, „die Show muss immer wei- tergehen.“ sie hier so oft vorher üben durfte. Keine Selbstverständlichkeit. „In der Kirche sein Instrument zu spielen ist etwas ganz anderes als im Wohnzimmer zu üben“, sagt Hahn. Wenn sie ihr so genanntes B-Diplom am Montag bestanden hat, dann geht sie für ein Anerkennungsjahr nach Münsingen. Hahn ist in Aalen aufgewachsen, ihr Vater war Chefarzt am Ostalbklinikum. Für ihr Prüfungskonzert hat sie sich an- spruchsvolle Werke von Johann Sebasti- an Bach (Praeludium und Fuge e-moll), Max Reger (Choralphantasie über „Wie schön leuchtet der Morgenstern“), Charles Tournemire (Te Deum lauda- mus), Buxtehude und Messiaen („Les Bergers“) ausgesucht. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erbeten. Wenn Clara Hahn am Montag spielen wird, werden ihr wieder die vier kleinen weißen Putti zuschauen, die oben auf den goldenen Barockverzierungen der Orgel sitzen. Für das Publikum wird sie unsichtbar sein. Meistens bekomme sie sechsköpfigen Kommission bestehen. Vier Jahre Studium in Tübingen liegen hinter Hahn. Doch der Orgel ist sie schon lange verfallen. Mit 14 Jahren begann sie bei Bezirkskantor Thomas Haller. Er war es, der sie für die Musik begeisterte. Bei ihm sang sie im Kirchenchor, er war ihr erster Orgellehrer, später arbeitete sie bei ihm in der Kantorei. Die Orgel in der Aalener Stadtkirche ist ihr besonders vertraut. Bei ihrer Abitur- prüfung vor vier Jahren war Clara Hahn die Erste, die auf dem neu eingebauten Instrument ein Konzert spielen durfte. Die Orgelregister tragen Namen mit Be- zug zur Stadt: „Tromba aalensis“, „Gei- genprincipal“ oder „Pfeiffle“ steht auf den runden Knöpfen geschrieben. Zuvor hat die heute 23-jährige Hahn die Regis- trierung über den Minicomputer der Or- gel eingespeichert. Sie lächelt, wenn sie das Instrument erklären soll. Warum Orgel? „Man kann damit sehr viel mehr Lärm machen als mit einer Blockflöte“, sagt Hahn. Sie ist froh, dass Ein Tonschwall erfüllt die Stadtkir- che. So gewaltig, dass man zusam- menzucken muss. Der Holzboden vibriert, die Luft in den Lungen schwingt mit. Oben, auf der spär- lich beleuchteten Empore, sitzt Clara Hahn kerzengerade vor der Orgel. Es ist Generalprobe. Sie übt für ihr Prüfungskonzert an diesem Montag um 19 Uhr. JESSICA SCHOBER Aalen. Eine ganze Stunde lang wird der Rücken von Clara Hahn jetzt nicht die Lehne der Holzbank berühren. Er wird sich nach vorne wiegen, sich immer wie- der durchdrücken wie unter Strom ge- setzt. Ihr Kopf wird zu den Akkorden zu- cken, die Finger über die Tasten fliegen, die Füße über die Pedale tanzen. Sie wird sich dem Instrument ganz hingeben. Und wenn es gut läuft, wird sie auch am Montag die öffentliche Prüfung vor der Nicht ohne meine Orgel Aalener Kirchenmusikerin Clara Hahn spielt diesen Montag ihr Prüfungskonzert in der Stadtkirche Clara Hahn vor der großen Orgel oben auf der Empore in der Aalener Stadtkirche. Auf dem Instrument wird sie an diesem Montag, 22. September, um 19 Uhr ihr Prü- fungskonzert spielen. (Foto: js)

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gar nichts davon mit, wer in der Kirchesitze. Bloß als neulich bei den Reichs-städter Tagen nebenan die Volksmusikdröhnte, bat Clara Hahn um eine kurzePause für ihr 15-minütiges Konzert.

Die einstündige Generalprobe zieht sieganz durch. Vorher hatte sie nochschnell die Schuhe gewechselt. Die Füßestecken in lilafarbenen Socken, die zumlilafarbenen Shirt passen. Der RegistrantUrs Bicheler blättert nicht nur die No-tenblätter weiter. Er leiht ihr auch einenFuß, wenn die Stücke zu komplex wer-den. Zum Beispiel beim Schlussstück,bei Regers Choralphantasie. Auf diesesWerk hat sich Hahn anderthalb Jahrelang vorbereitet.

Die Orgel ist ein Instrument, das kaumeiner allein beherrschen kann. Als sie da-mit durch ist, atmet sie einmal aus.Selbst wenn sie sich verspielen sollte beider Prüfung, sei das Wichtigste das Wei-termachen. „Ist doch so“, sagt die23-Jährige, „die Show muss immer wei-tergehen.“

sie hier so oft vorher üben durfte. KeineSelbstverständlichkeit. „In der Kirchesein Instrument zu spielen ist etwas ganzanderes als im Wohnzimmer zu üben“,sagt Hahn. Wenn sie ihr so genanntesB-Diplom am Montag bestanden hat,dann geht sie für ein Anerkennungsjahrnach Münsingen.

Hahn ist in Aalen aufgewachsen, ihrVater war Chefarzt am Ostalbklinikum.Für ihr Prüfungskonzert hat sie sich an-spruchsvolle Werke von Johann Sebasti-an Bach (Praeludium und Fuge e-moll),Max Reger (Choralphantasie über „Wieschön leuchtet der Morgenstern“),Charles Tournemire (Te Deum lauda-mus), Buxtehude und Messiaen („LesBergers“) ausgesucht. Der Eintritt ist frei,Spenden sind erbeten.

Wenn Clara Hahn am Montag spielenwird, werden ihr wieder die vier kleinenweißen Putti zuschauen, die oben aufden goldenen Barockverzierungen derOrgel sitzen. Für das Publikum wird sieunsichtbar sein. Meistens bekomme sie

sechsköpfigen Kommission bestehen.Vier Jahre Studium in Tübingen liegen

hinter Hahn. Doch der Orgel ist sie schonlange verfallen. Mit 14 Jahren begann siebei Bezirkskantor Thomas Haller. Er wares, der sie für die Musik begeisterte. Beiihm sang sie im Kirchenchor, er war ihrerster Orgellehrer, später arbeitete siebei ihm in der Kantorei.

Die Orgel in der Aalener Stadtkirche istihr besonders vertraut. Bei ihrer Abitur-prüfung vor vier Jahren war Clara Hahndie Erste, die auf dem neu eingebautenInstrument ein Konzert spielen durfte.Die Orgelregister tragen Namen mit Be-zug zur Stadt: „Tromba aalensis“, „Gei-genprincipal“ oder „Pfeiffle“ steht aufden runden Knöpfen geschrieben. Zuvorhat die heute 23-jährige Hahn die Regis-trierung über den Minicomputer der Or-gel eingespeichert. Sie lächelt, wenn siedas Instrument erklären soll.

Warum Orgel? „Man kann damit sehrviel mehr Lärm machen als mit einerBlockflöte“, sagt Hahn. Sie ist froh, dass

Ein Tonschwall erfüllt die Stadtkir-che. So gewaltig, dass man zusam-menzucken muss. Der Holzbodenvibriert, die Luft in den Lungenschwingt mit. Oben, auf der spär-lich beleuchteten Empore, sitztClara Hahn kerzengerade vor derOrgel. Es ist Generalprobe. Sie übtfür ihr Prüfungskonzert an diesemMontag um 19 Uhr.

JESSICA SCHOBER

Aalen. Eine ganze Stunde lang wird derRücken von Clara Hahn jetzt nicht dieLehne der Holzbank berühren. Er wirdsich nach vorne wiegen, sich immer wie-der durchdrücken wie unter Strom ge-setzt. Ihr Kopf wird zu den Akkorden zu-cken, die Finger über die Tasten fliegen,die Füße über die Pedale tanzen. Sie wirdsich dem Instrument ganz hingeben.Und wenn es gut läuft, wird sie auch amMontag die öffentliche Prüfung vor der

Nicht ohne meine OrgelAalener Kirchenmusikerin Clara Hahn spielt diesen Montag ihr Prüfungskonzert in der Stadtkirche

Clara Hahn vor der großen Orgel oben auf der Empore in der Aalener Stadtkirche. Auf dem Instrument wird sie an diesem Montag, 22. September, um 19 Uhr ihr Prü-fungskonzert spielen. (Foto: js)