No 02 13 Wie ernähren Wir die Welt? · 2016. 4. 23. · 4 Mercator MagaziN 02 / 13 NachrichteN...

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N o 02 13 MERCATOR MAGAZIN Auf der Suche nach ökologisch und sozial nachhaltigen Lösungen SOMMERSCHULE Studierende aus Europa setzen sich mit Fragen der Energie- versorgung auseinander FELLOWSHIP Aus zwei Ideen werden innerhalb eines Jahres erfolgreiche Projekte für Kinder und Jugendliche UMWELTSCHULEN Vier Zürcher Schulen integrieren Umweltbildung in ihren Alltag und Unterricht WIE ERNäHREN WIR DIE WELT?

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No 0213

Mercator MagaziN

auf der Suche nach ökologisch und sozial nachhaltigen Lösungen

SoMMerSchuLeStudierende aus europa setzen sich mit Fragen der energie-versorgung auseinander

FeLLowShipaus zwei ideen werden innerhalb eines Jahres erfolgreiche projekte für Kinder und Jugendliche

uMweLtSchuLeNVier zürcher Schulen integrieren umweltbildung in ihren alltag und unterricht

WieernährenWirdie Welt?

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inhalt

NachrichteN

S. 2 — 6aktuelle Meldungen aus projekten; umwelttipp von helvetas

Frage aN die wiSSeNSchaFt

S.  7

waS iSt guter uNterricht?der erziehungs- und Sozialwissen-schaftler professor wolfgang Beywl gibt antworten.

SchwerpuNKtweLterNähruNg

S. 8 — 47

Wie ernähren Wir die Welt?

S. 10 —19

zahLeN uNd FaKteNhunger, armut, Landwirtschaft, Konsum: wie sieht die Situation in verschiedenen regionen der welt aus?

S. 20 — 23

eiNSatz gegeN huNger uNd arMutwie können wir den hunger in der welt erfolgreich bekämpfen? der präsident der Stiftung Biovision, dr. hans rudolf herren, gibt antworten.

S. 24 — 27

acht LäNder, acht MeNScheN, acht theMeNdie ausstellung ‹wir essen die welt› nimmt die Besucher mit auf eine weltreise zu den themen genuss, geschäft und globalisierung.

S. 28 — 29

die grüNe eVoLutioNBiologische Landbaumethoden ermöglichen langfristig eine nach- haltige, ressourcen- und umwelt-schonende produktion von Nahrungs-mitteln.

S. 30 — 34

ForSchuNg Für die weLterNähruNgdas ‹world Food System center›der eth zürich untersucht, wie die welt gesund, umweltschonend und gerecht ernährt werden kann.

S. 35 — 38

eiNe Frage deS KoNSuMSwas und wie wir konsumieren, hat weitreichende Folgen – auch für die welternährung. die ausstellung cLeVer und der Verein foodwaste.ch sensibilisieren für die problematik.

S. 39 — 43

ideeN Für eiNe Nach-haLtige erNähruNg in der Summer School ‹geography of Food› setzen sich Studierende aus thailand, italien und der Schweiz mit Fragen einer nachhaltigen Nahrungs-mittelproduktion auseinander.

S. 44 — 47

eS FehLeN gute iNForMatioNeN Für KLeiNBauerNwarum setzen Kleinbauern in Kenia kaum innovationen aus der agrarforschung um? eine Studie zeigt verschiedene gründe auf.

tätigKeitSBereichwiSSeNSchaFt

S. 48 — 52

eNergie Für die zuKuNFtdie Schweizerische Studienstiftung bringt herausragende Studierende aus europa in einer Sommerschule zum thema ‹energie› zusammen.

S. 53— 55

Mehrwert Für die geSeLLSchaFtMartin Brenncke, thomas wälchli und rico Sennrich erhalten die Mercator awards für ihre interdis- ziplinären Forschungsprojekte.

tätigKeitSBereichKiNder uNd JugeNdLiche

S. 56 — 59

wo iSt eSMeraLda?in einem Smartphone-gestützten Stadtspiel lernen Jugendliche unterstützungsangebote in winter- thur kennen.

S. 60 — 65

auS ideeN werdeN proJeKtedennis padel und etienne abelin haben mit hilfe eines Fellowships ihre ideen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen in die tat umgesetzt.

tätigKeitSBereichMeNSch uNd uMweLt

S. 66 — 73

KiNder üBerNehMeN VeraNtwortuNg Für die uMweLtVier Schulen aus dem Kanton zürich machen sich auf den weg zur umweltschule.

eNgagiert

S. 74

Faire Mode —SeLBSt geStaLtet anna Stünzi hat zusammen mit zwei anderen jungen Frauen den Verein ichtragefair.ch gegründet.

KaLeNder

S. 75termine Januar bis Mai 2014

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vorwort

Liebe Leserinnen und Leser

Wissen Sie schon, was Sie heute Abend essen? Auf mich wartet eine feine Gemüsesuppe. Doch was hat mein Essen mit diesem Magazin zu tun? Tatsächlich hängt die Frage, wie wir die Welt ernähren, untrennbar mit unseren Ernäh-rungsgewohnheiten zusammen. Was wir essen, bestimmt, ob Ressourcen verschwendet oder geschont werden. Diese Zusammenhänge macht die Ausstellung ‹Wir essen die Welt› (S. 24–27) deutlich. Jeder kann im Alltag einen Beitrag leisten, um die Herausforderung der Welternährung anzu- packen. Das wollen wir mit den Projekten zeigen, die wir fördern. Zudem möchten wir wissen, welches Potenzial die biologische Landwirtschaft zur Sicherung der Welternäh- rung hat. Deshalb unterstützen wir das World Food System Center der ETH Zürich (S. 30–34) bei der Suche nach Antworten. Welche Chancen der Biolandbau bietet, macht der Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, Urs Niggli, in einem Beitrag (S. 28–29) deutlich. Der Welternährungspreisträger Hans Rudolf Herren erklärt im Interview (S.20–23), warum ein Kurswechsel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft nötig ist und wie er sich mit seiner Stiftung Biovision dafür einsetzt. Eine Suppe eignet sich übrigens sehr gut, um Gemüse-reste zu verwerten und Lebensmittelverschwendungen zu vermeiden. Diese sind ein grosses Problem, betont der Verein Foodwaste.ch (S. 38). Doch nicht nur ökologisch ist eine Gemüsesuppe eine gute Wahl – sie schmeckt auch köstlich. Wofür auch immer Sie sich heute Abend entschei-den: Geniessen Sie’s!

Nadine FelixGeschäftsführerin

stiftung mercator schweiz Die stiftung mercator schweiz fördert und initiiert Projekte in den drei Bereichen ‹wissenschaft›, ‹Kinder und Jugendliche› und ‹mensch und umwelt›. Das engage- ment der stiftung gilt einer lernbereiten und weltoffenen gesellschaft, die ver- antwortungsvoll mit der umwelt umgeht. mit ihren Projekten an hochschulen möchte sie zur stärkung des wissens- und forschungsplatzes schweiz beitragen. Die stiftung unterstützt die wissenschaft, antworten auf gesellschaftlich wichtige fragen wie den schutz der natürlichen lebensgrundlagen zu finden. Damit Kinder und Jugendliche ihre Persönlichkeit entfalten, engagement entwickeln und ihre chancen nutzen können, setzt sich die stiftung mercator schweiz für optimale Bildungsmöglichkeiten innerhalb und ausserhalb der schule ein. www.stiftung-mercator.ch

≥ wie erNähreN wir die weLt? S. 8 — 47

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NachrichteN

zauBerhafte zirKusweltzufrieden schaut alexandra strebel auf das Jahr 2013 zurück: Das ferienangebot ‹theater flucht› hat sich gut entwickelt. nach der Premiere im sommer 2009 in zürich konnte service civil international (sci) das Projekt zusammen mit lokalen Partnern zum ersten mal in zehn schweizer städten anbieten. in Basel, Biel, schluein, zürich, Bern, lausanne, aarau, luzern, neuenburg und genf haben 276 Kinder mit und ohne migrationshinter-grund aus der schweiz zusammen mit Kindern aus Durchgangszentren für asylsu-chende künstlerisch zusammengearbeitet. sie entwickelten theaterimprovisationen, sie haben gesungen, getanzt, gemalt – oder wie in schluein eine eigene zirkusshow auf die Beine gestellt. «Die Kinder sind sich ohne Vorurteile begegnet», erzählt die Projektleiterin des sci. «alle gruppen haben mit grossem engagement beeindruckende abschlusspräsentationen entwickelt.» unterstützt wurden sie dabei von 83 freiwil-ligen. und auch diese kamen wie die Kinder aus aller welt. www.theaterflucht.ch

KiNder uNd JugeNdLiche

hiLFe Bei der grüNduNg VoN JugeNdparLaMeNteN

KiNder uNd JugeNdLiche

in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein gibt es zurzeit 60 Jugendparlamente. «unser ziel ist es, ihre anzahl zu erhöhen», erklärt Maurus Blumenthal, geschäftsführer des dachverbands Schweizer Jugend-parlamente (dSJ). «Bis ende 2015 soll jeder Kanton ein Jugendparlament haben oder planen.» auch lokale Jugendparlamente sollen vermehrt entstehen. um das zu erreichen, hat der dSJ ein projekt lanciert, das die gründung von Jugendparlamenten

fördert: er hat unterlagen für die gründung von Jugendparlamenten erarbeitet. die persönliche Bera- tung von interessierten Jugendlichen baut der dSJ aus, zudem sensibilisiert er das umfeld für die Notwendig- keit von Jugendparlamenten. in diesem zusammenhang ist die internetseite www.jugendparlamente.ch entstanden. die Stiftung Mercator Schweiz und das Bundesamt für Sozialversicherun-gen fördern dieses engagement.

«Jugendliche, die ein Jugend- parlament gründen möchten, haben oft angst, dass der gründungsprozess lange dauert und kompliziert ist», weiss Maurus Blumenthal. um diese interessierten Jugendlichen optimal

zu unterstützen, hat der dSJ einfache und verständliche Beratungskarten produziert. diese begleiten die Jugend-lichen durch die gründung, sind ein- fach zu verstehen und können unter den Jugendlichen aufgeteilt werden. die Beratungskarten sind eine ergänzung zum ‹handbuch Jugendparlamente› aus dem Jahr 2010. eine zweite publi- kation, die der dSJ 2013 herausgege- ben hat, ist die ‹infobroschüre kantonale Jugendparlamente›. diese enthält zahlreiche informationen über beste-hende kantonale Jugendparlamente und eine anleitung zu ihrer gründung. die Broschüre richtet sich an Jugend- liche, politiker und an die kantonalen Verwaltungen. ww.dsj.ch

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NachrichteN

MeNSch uNd uMweLt

aLS reporter iM eiNSatzals das world resources Forum vom 6. bis 9. oktober 2013 zum dritten Mal akteure aus wissenschaft, wirt- schaft, politik und gesellschaft in davos zusammenbrachte, waren sie wieder dabei: zwölf internationale Studierende berichteten als reporter von der Kon- ferenz. Mit ihrem Blog wollten sie die diskussionen der experten in die Öffentlichkeit tragen, kritisch hinterfra-gen und für die herausforderungen des steigenden ressourcenverbrauchs sensibilisieren. die studentische orga-nisation oikos hat die tätigkeiten des reporterteams organisiert und koordi-niert. Seit dem ersten world resources Forum 2011 berichten Studierende auf initiative der Stiftung MercatorSchweiz als reporter von dieser Konferenz. www.studentreporter.org www.worldresourcesforum.org

KiNder uNd JugeNdLiche

das interesse an der 2013 erschienenen deutschsprachigen aus- gabe des Buchs ‹Visible Learning› des neuseeländischen Bildungsforschers John hattie ist gross: Schnell wurden über 10 000 exemplare von ‹Lernen sichtbar machen› (Schneider Verlag hohengehren) verkauft. das Schweizer übersetzungsteam um professor wolfgang Beywl von der pädagogischen hoch- schule der Fachhochschule Nordwestschweiz baut mit unterstüt-zung der Stiftung Mercator Schweiz zur ergänzung des werks die internetseite ‹Lernen sichtbar machen› auf.

in seiner viel beachteten Studie hat John hattie über 900 eng- lischsprachige Meta-analysen zum erfolgreichen Lernen ausge- wertet. diese analysen greifen wiederum auf über 60 000 Studien zurück, an denen mehr als 250 Millionen Schüler beteiligt waren. in seiner umfassenden Forschungssynthese ermittelte John hattie 150 Faktoren, die in unterschiedlicher Stärke mit den Lernleis- tungen der Schüler in Beziehung stehen. ausgehend von hatties ergebnissen bietet die internetseite ‹Lernen sichtbar machen› der Schulpraxis wissenschaftlich fundierte informationen und Mate- rialien zu sichtbarem Lehren und Lernen. Lehrpersonen und andere akteure des Bildungsbereichs sollen sich auf der plattform aus- tauschen und in der Schul- und unterrichtsentwicklung unterstützen können. die wissenschaftler stellen auf der Seite ergänzungen zum Buch zur Verfügung. zudem beantworten sie häufig gestellte Fragen zum thema. das portal wird stetig erweitert. ein News- letter informiert im zweimonatigen rhythmus über das thema ‹Lernen sichtbar machen›. www.lernensichtbarmachen.net

Beitrag zur KoNFereNz

wiSSeNSchaFt

die zukunft des Sozialstaates stand im zentrum des 12. wissenschaftsdia- logs der academia engelberg. 130 teilnehmer analysierten vom 15. bis 17. oktober 2013 die entwicklung und die verschiedenen Varianten des Sozial- staates. Sie beleuchteten die aktuellen sozialen realitäten im europäischen Kontext – und dies in Bezug auf genera- tionenbeziehungen, familiale Lebens-welten oder Jugendarbeitslosigkeit. ein wichtiges anliegen war es der acade-mia engelberg, an der Konferenz den dialog zwischen den generationen zu fördern: Studierende aus deutsch- land, Schweden, griechenland und der Schweiz hatten die gelegenheit, den zweiten Konferenznachmittag inhaltlich zu gestalten. während einer Summer School im Juni 2013 haben sie sich auf diese aufgabe vorbereitet. das thema lautete: ‹Jugendliche als Leidtragende der Krise. wie sehen Jugendliche und junge erwachsene den Sozialstaat?› die teilnehmer haben präsentations- und workshop-unterlagen erarbeitet. erfahrene Leiter und referenten beglei-teten sie dabei. die Stiftung Mercator Schweiz hat die Summer School und Konferenzteilnahme unterstützt. www.academia-engelberg.org

lernen sichtbar machen

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NachrichteN

partizipation bedeutet Mitbestimmung, Mitwirkung, teilhabe. Sie hat ganz unterschiedliche ausprägungen – von einer anhörung bis hin zur selbstbestimmten Mitgestaltung. der Stiftung Mercator Schweiz ist partizipation in ihren drei tätigkeitsbereichen ein zentrales anliegen. Sie ist überzeugt: partizipative prozesse stärken die Legitimität von entscheidungen und verbessern die Qualität der ergebnisse. ihren dritten Mercator workshop am 5. November 2013 im Volkshaus zürich widmete die Stiftung deshalb dem thema ‹grenzen der partizipation?›.

«partizipation ist immer ein wagnis», erklärte geschäftsführe-rin Nadine Felix bei der eröffnung der Veranstaltung. partizipa- tion setze Vertrauen voraus und den Mut, Verantwortung abzugeben. die Stiftung Mercator Schweiz hat sich beim Mercator work- shop auf dieses wagnis eingelassen. passend zum thema hat sie sich mit dem ‹Barcamp› für ein offenes Veranstaltungsformat entschieden: Nach einem kurzen inputreferat von anna Schnitzer von der universität zürich zur Frage, was partizipation überhaupt ist, waren es die teilnehmenden, die den Nachmittag mit dis- kussionen und Vorträgen gestalteten. dafür standen ihnen drei so genannte ‹Sessions› (zeitfenster) und vier räume zur Verfügung. Schnell füllte sich die pinnwand mit themenvorschlägen. zwölf workshops – mehr ging nicht – fanden am ende statt. die themen reichten von der elternpartizipation in der Schule bis hin zur partizipation der Bevölkerung am Forschungsprozess. Manche workshopleiter hatten eine konkrete Frage mitgebracht, die sie diskutieren wollten. andere gaben einblicke in ihre projekte, die Fragen der partizipation aufwerfen. die 60 teilnehmer des Mercator workshops – projektpartner und Mitarbeiter der Stiftung –  haben sich ausgetauscht und vernetzt. www.stiftung-mercator.ch

wiSSeNSchaFt StiFtuNg

auSzeichNuNg Für traNSdiSzipLiNäre ForSchuNgalle zwei Jahre sucht das Netzwerk für transdisziplinäre Forschung (td-net) der akademien der wissenschaften Schweiz nach beispielhaften For-schungsprojekten, die über wissenschaft- liche disziplinen hinweg gesellschaftlich relevante Fragen bearbeiten. 2013 haben die experten vier solche pro-jekte gefunden: im rahmen des ‹Swiss inter- and transdisciplinarity day 2013› verlieh das td-net am 21. oktober 2013 in drei Kategorien den mit ins- gesamt 75 000 Franken dotierten ‹swiss academies award for transdiscipli- nary research›. die Stiftung Mercator Schweiz stellt das preisgeld zur Verfügung.

der hauptpreis in höhe von 50 000 Franken ging an das Forschungs- projekt ‹Mountland› des eth-Bereichs. Forstwissenschaftler, Ökologen, agrarökonomen und politikwissen- schaftler aus neun Forschungsgruppen untersuchten die auswirkungen von Klimawandel und Landnutzungs- änderungen auf Ökosystemleistungen – zum Beispiel Schutz vor Naturge- fahren, Biodiversität, produktion von Nahrungsmitteln – in den Bergregionen Jura, wallis und graubünden. dabei fügten sie verschiedene wissenschaft- liche arbeitsweisen und auch exper- tisen aus Verwaltung und Bevölkerung zu einem gesamtbild zusammen. ziel war die nachhaltige entwicklung der Landnutzung unter dem zeichen klimatischer und sozioökonomischer Veränderungsprozesse. über den preis für Nachwuchsforschende, der 2013 zum ersten Mal verliehen wurde, freuten sich mit assistenzprofessor tobias Mettler und dr. oliver Streiff zwei wissenschaftler der universität St. gallen. professor hans hurni und professor urs wiesmann, Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts ‹Nord-Süd› wurden für ihren langjäh- rigen einsatz für die inter- und transdis- ziplinäre Forschung ausgezeichnet. «im aktuellen wissenschaftssystem ist es für Forschende schwierig, zu wissenschaftlichen ehren zu gelangen, wenn sie sich nicht disziplinärer grundlagenforschung verschrieben haben», erklärt theres paulsen, co- Leiterin des td-net. «wir möchten mit den awards exzellente transdiszi- plinäre Forschung sichtbar machen.» www.transdisciplinarity.ch

PartiziPation und ihre Grenzen

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NachrichteN

ethische fraGen zum KlimaWandel

Beitrag VoN StiFtuNgeN zur BiLduNgSQuaLität

wiSSeNSchaFt

KiNder uNd JugeNdLiche

der Klimawandel wirft eine reihe von ethischen Fragen auf: Sind wir wirk-lich verpflichtet, den Klimawandel zu stoppen? wer muss wie viel Klima-schutz leisten? dürfen wir am ende nicht mehr in den urlaub fliegen? die antworten auf diese komplexen Fragen bestimmen den heutigen Lebensstil und die zukünftigen Lebensmöglichkei-ten der Menschen. christian Seidel und dominic roser geben in ihrem Buch ‹ethik des Klimawandels. eine einfüh-rung›, das ende 2013 im wBg-Verlag erschienen ist, einen überblick über die aktuelle klimaethische diskussion.

Beide Nachwuchswissenschaft- ler haben am graduiertenprogramm ‹gerechtigkeit in praktischen Kontexten› der universität zürich teilgenommen, das die Stiftung Mercator Schweiz fördert. Beide haben im Bereich Klima- gerechtigkeit ihre postdoc-arbeit geschrieben. Nun haben die beiden ehemaligen Stipendiaten ein gemein- sames Buch veröffentlicht, in das auch erkenntnisse ihrer arbeiten ein- geflossen sind. christian Seidel ist philosoph, dominic roser bringt einen ökonomischen und einen philosophi-schen hintergrund mit. Beide hatten das ziel, ein Buch zu schreiben, das sich nicht nur an wissenschaftler rich- tet – sondern an ein breites publikum: ihre publikation führt verständlich durch die verschiedenen positionen klimaethischer diskussionen. www.ethik.uzh.ch

wie die Stiftung Mercator Schweiz in- itiiert und fördert auch die Jacobs Foun-dation projekte, um die Bildungsqua- lität in der Schweiz voranzutreiben. doch was genau können Stiftungen in diesem Bereich beitragen? in einem gemeinsamen workshop im rahmen des Schulleitungssymposiums der päda- gogischen hochschule zentralschweiz zug gingen beide Stiftungen am 27. September 2013 dieser Frage nach. Sie stellten in diesem rahmen je eines ihrer Bildungsprojekte vor: die Stiftung Mercator Schweiz gab einblicke in das

Konsortium ‹personalisiertes Lernen in heterogenen Lerngemeinschaften›. die Jacobs Foundation informierte über das projekt ‹Bildungslandschaften›.

Mit Vertreterinnen und Vertretern von öffentlichen Stellen und Verbän- den ging es in einer podiumsdiskussion um die Frage, wie projekte gestaltet sein müssen, damit diese nachhaltig im Bildungssystem verankert werden können. als ein wichtiges Merkmal wurde der eigenfinanzierungsgrad ge- nannt. dieser sei zentral, damit ein projekt anschlussfähig ist, erklärten

die workshopteilnehmer. Von anfang an sollte es sich deshalb bei der unterstützung durch Stiftungen um co-Finanzierungen handeln. zudem sollten projekte an bestehende Struk- turen und erfahrungen anknüpfen, hiess es. auch Vernetzungen sollten nach überzeugung der teilnehmenden unbedingt gefördert werden. denn das hilft bei einem weiteren wichtigen punkt: bei der Sichtbarmachung und Verbreitung der resultate und er- fahrungen von erfolgreichen projekten. www.schulleitungssymposium.net

KiNder uNd JugeNdLiche

SpieLeriSch zuM eNgageMeNtwarum gehen mich globale probleme etwas an? was kann ich persönlich tun? wie und wo kann ich anfangen, um etwas zu verändern? der interaktive parcours ‹Step into action› gibt ant- worten auf diese Fragen. Spielerisch setzen sich Schulklassen mit aktuellen Fragen in den Bereichen Migration, Menschenrechte, umwelt, gesundheit und Solidarität auseinander. Nach der erfolgreichen premiere 2011 in Basel hat sich die Jugendorganisation euforia entschlossen, das projekt in weiteren Städten der Schweiz zu verbreiten. So folgte 2012 Step into action in genf, 2013 fand der parcours zum ersten

Mal an zwei Standorten statt – in Basel und in zürich. über 3000 Jugendliche aus 150 Schulklassen haben auf diese weise bereits erfah- ren, dass ihr engagement einen unterschied machen kann. 2014 soll der parcours weiter verbreitet werden. «ohne freiwillige helfer wäre unser projekt nicht möglich», erklärt projekt-leiterin corina helfenstein von euforia. Sie übernehmen die organisation, sorgen für die durchführung – und sie zeigen den Jugendlichen, dass enga-gement nicht nur viel bewirken kann, sondern auch Spass macht. www.euforia.ch

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8 Mercator MagaziN 02 / 13

NachrichteN

aKtiV Für die uMweLt

≥ 160 liter Wasser verbraucht jeder mensch in der schweiz täglich für duschen, Kochen, (ab)Waschen, Wc. hinzu kommen über 4000 liter ver-stecktes Wasser.

die herstellung von Konsumgütern verschlingt wasser, das man dem eigentlichen produkt nicht ansieht. Man spricht von ‹virtuellem› oder ‹verstecktem› wasser. wasser, das im produk- tionsprozess verunreinigt wird, gehört auch dazu. So stecken in einem Kilo Kartoffeln 250 Liter wasser, in einem Kilo reis 3 000 Liter und in einem Kilo rindfleisch 15 000 Liter. die herstellung von einem Blatt papier braucht 10 Liter wasser, für einen Mikrochip braucht man 32 Liter, für ein t-Shirt 2 700 Liter und für ein auto 400 000 Liter. 80 prozent des in der Schweiz ‹verbrauchten› wassers wird durch produkte aus dem ausland importiert. das wird zu einem problem, wenn diese produkte aus wasserarmen gegenden kommen: der Kampf um die wertvolle ressource wasser wird verschärft. helvetas will dem durch nachhalti-ges wassermanagement entgegenwirken.

ein taG, sechs filme, elf städteMit seiner Lebensweise verändert der Mensch himmel, ozeane und erde. ein kleines team engagierter umwelt- schützer aus winterthur möchte aufrüt-teln und hat deshalb am 20. September 2013 zum dritten Mal einen beson- deren Filmtag organisiert: in elf Städten zeigte der Verein ‹Filme für die erde› zeitgleich sechs umwelt-dokumentar-filme. die austragungsorte wurden via Live-Stream miteinander verbunden. die Stiftung Mercator Schweiz ermög- lichte zusammen mit weiteren För-derern kostenlose Vorführungen für Schulklassen.

«3100 Kinder und Jugendliche aus 100 verschiedenen orten haben sich dafür angemeldet», freut sich Kai pulfer. «unser Festival hat sich zu einer führenden Veranstaltung im deutsch-schweizer Bildungswesen entwickelt.» damit die Filmvorstellungen auch zu

umweltfreundlichen handlungen führen, arbeitete der Verein ‹Filme für die erde› mit der initiative klimapioniere.ch zusammen, die begleitende impuls- lektionen und unterrichtsmaterialien anbot sowie Klassen zu konkreten Schulprojekten animierte. Filme, davon ist Kai pulfer überzeugt, sind ein ge- eignetes Medium, um einen wandel hin zu einer nachhaltigeren gesellschaft zu fördern: Sie machen herausforde-rungen sichtbar, schaffen mit hilfe von Bildern und emotionen ein Bewusst- sein für aktuelle herausforderungen und sie können konkrete Lösungen auf- zeigen. deshalb verschenkt der Verein im grossen Stil dokumentarfilme zu umweltthemen. doch behalten darf man diese nicht. Jede dVd soll weitergege-ben werden und auf diese weise möglichst viele Menschen erreichen. www.filmefuerdieerde.ch

umwelttiPPs Von helVetasum den persönlichen ‹wasserfussabdruck› zu verringern, ist es wichtig, auf die per- sönlichen Konsumgewohnheiten zu achten und damit auf das virtuelle wasser. — Keine Produkte aus wasserarmen gegen-

den kaufen, weil das die lokale wasser- armut verschärft.

— weniger fleisch essen, da (importiertes) Kraftfutter viel virtuelles wasser enthält. wenn fleisch, dann von der weide!

— Biologisch produzierte Produkte kaufen, weil beim Biolandbau weniger schad- stoffe ins wasser gelangen.

— Konsumgüter wie Kleidung und autos länger nutzen. Das spart wasser und weitere ressourcen.

— nur kaufen, was man wirklich braucht.www.helvetas.ch

MeNSch uNd uMweLt

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proF. woLFgaNg BeywLerziehuNgS- uNd SoziaLwiSSeNSchaFtLer

Was ist Guter unterricht?

Die Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen auf das Leben ist für alle Gesellschaften zentral. Seit Jahrtausenden wird über die wichtigsten Ziele und besten Wege diskutiert. Je nachdem, ob es sich um eine Agrar- oder Industriegesellschaft handelt, fallen die Antworten unterschiedlich aus. Schon vor über 200 Jahren meinte der Philosoph Immanuel Kant, dass nie ein Menschenalter existieren wird, das über einen für immer gültigen Erziehungsplan verfügt. Was bedeutet dies für den Unterricht heute? Wie sollte Unterricht in einer Zeit aussehen, in der sich neue Produkte und Dienstleistungen, ver- änderte Sichtweisen auf Menschen, Gesellschaf- ten und Natur in Windeseile auf dem ganzen Globus verbreiten? Wie unterrichten wir in einer Zeit, in der Alltagsleben und Schule durch Informations- und Kommunikationstechnologien tiefgreifend beein-flusst werden?

forschungsfunDus neu georDnet

Forschungsbasierte Kenntnisse über die Wechselbe-ziehungen zwischen Unterricht und den Resul- taten des Lernens, die sich in Wissen und Können, Fähigkeiten oder Kompetenzen zeigen, sind in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen. Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie hat diesen Forschungsfundus in jahrzehntelan- ger Arbeit zusammengetragen und geordnet. Mit seiner Publikation ‹Visible Learning› (Lernen sichtbar machen) hat er eine nie erreichte Wissens-basis geschaffen, die zeitgemässe Antworten auf die Frage nach gutem Unterricht bietet. Viele wis- senschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen zu gutem Unterricht werden in dieser Forschungs-synthese bestätigt. Dazu zählt auch die Bedeu- tung guter Beziehungen zwischen Lehrperson und Lernenden. Diese müssen, so betont John Hattie, bewusst aufgebaut, offen angesprochen und laufend gepflegt werden. Auch die grosse Bedeutung einer genauen Diagnose der verschiedenen Denk- und Lernweisen der Schülerinnen und Schüler unter-mauert er. Die Lehrperson muss fähig und bereit sein, alternative Lernstrategien anzuregen, wenn bisherige nicht funktionieren – auch wenn diese für die Lehrperson selbst ungewohnt sind.

Das ‹Sichtbarmachen› von Lernen und Lernergeb-nissen ist ein zentraler Schlüssel für wirksamen Unterricht. Dies geschieht wesentlich durch ein de- tailliertes Feedback an die Lernenden und durch die systematische Nutzung von Daten, sei es aus Tests, Beobachtungen oder Arbeitsergebnissen. Auf dieser Basis agieren Lehrpersonen als ‹Regisseure›, die Ziele, Inhalte, Bewertungskriterien, Methoden und Medien gekonnt arrangieren, offenlegen und ver- einbaren. Dadurch gewinnen Schüler einen verläss-lichen Handlungsrahmen für ihr Lernen. Pro- fessionelle Lehrpersonen holen sich immer wieder Rückmeldungen zu ihrem Unterricht und wählen dabei die Rolle der Lernenden. Wenn schliesslich die Schüler die Verantwortung für ihr Lernen über- nehmen, wenn sie zu Lehrenden (ihrer selbst und von ihren Mitschülern) werden, ist es der Lehr- person gelungen, einen hoch wirksamen Unterricht zu inszenieren.

entscheiDungen Der lehrPersonen

Die Anforderungen an die Professionalität von Lehrpersonen steigen. Sie sind es, die jeweils die geeignete Kombination von Zielen, Inhalten und Methoden für ihre Klasse finden und umset- zen. Forschungsergebnisse sind dafür wichtig und inzwischen leichter zugänglich. Doch die Ent- scheidungen für einen guten Unterricht treffen die Lehrpersonen selbst. Neben einer guten Ausbil-dungsbasis ist es wichtig, dass sie in ihrem Be- rufsleben immer wieder Phasen einer intensivierten Weiterbildung durchlaufen können. Die gegen- seitige Unterstützung in Fach- und Unterrichtsteams ist ebenso unabdingbar wie der Rückhalt durch eine unterrichtsorientierte Schulleitung und durch Eltern, die die Sprache der Schule verstehen.

proFeSSor woLFgaNg BeywL ist Leiter der professur Bildungsmanagement, Schul- und personalentwicklung an der Fachhochschule Nordwestschweiz. er hat zusammen mit professor Klaus zierer von der universität oldenburg das Buch ‹Visible Learning› von John hattie ins deutsche übersetzt und überarbeitet. Mit unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz erstellt er nun zusammen mit seinem team zur ergän-zung des werks das internetportal ‹Lernen sichtbar machen›. ausgehend von hatties ergebnissen bietet dieses der Schulpra-xis wissenschaftlich fundierte informationen und Materialien zum Lehren und Lernen. [email protected]

frage an Die wissenschaft

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10 Mercator MagaziN 02 / 13

S. 20 — 23eiNSatz gegeN huNger uNd arMut

S. 24 — 27acht LäNder, acht MeNScheN, acht theMeN

S. 28 — 29die grüNe eVoLutioN

S. 30 — 34ForSchuNg Für die weLterNähruNg

S. 35 — 38eiNe Frage deS KoNSuMS

S. 39 — 43ideeN Für eiNe NachhaLtige erNähruNg

S. 44 — 47eS FehLeN gute iNForMatioNeN Für KLeiNBauerN

SchwerpuNkt weLterNähruNg

ernähren wirWie

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ernähren wirWie

Im Jahr 2050 werden über 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. 2 Milliarden mehr als heute. Bereits jetzt leidet jeder achte Mensch Hunger. Das Welter-nährungsprogramm der Uno nennt den Hunger das grösste «lösbare Problem» der Welt. Doch was ist die Lösung? Über 400 Experten empfehlen im Weltagrarbericht, den Weltbank und Uno in Auftrag gegeben haben: Wir müssen die biologische Landwirtschaft ausweiten und Kleinbauern stärken, um Hunger und Armut zu bekämpfen.

die welt?

suche nach lösungen Klimawandel, wasserknappheit, ausgelaugte Böden: Die Produktionsbedingungen für die landwirtschaft verschlechtern sich. gleich-zeitig verursacht die landwirtschaft bis zu 50 Prozent der menschengemachten treib-hausgasemissionen, die zum Klimawandel beitragen. sie beansprucht 70 Prozent des globalen süsswasserverbrauchs. inten- sive anbaumethoden vermindern die Boden-fruchtbarkeit. Die herausforderung der ernährungssicherung hängt eng mit fragen einer nachhaltigen landwirtschaft zusam-men: welchen Beitrag kann der Biolandbau zur Bekämpfung des hungers in der welt leisten? wie kann man mit biologischen anbaumethoden den folgen des Klimawan-dels begegnen? und wie können gerade Kleinbauern vom Biolandbau profitieren? Die stiftung mercator schweiz unterstützt die wissenschaft bei der suche nach antworten. zugleich möchte sie den menschen in der schweiz zeigen, wie sie durch einen bewuss-ten Konsum einen Beitrag zu einer nachhal- tigeren welt leisten können.

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870 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen, um ein gesundes Leben zu führen. das ist jeder achte Mensch.

zwei drittel der hungernden Menschen leben in sieben Ländern: Bangladesch, china, indien, indonesien, pakistan, demokratische republik Kongo und äthiopien.

hunger ist das grösste gesundheits- risiko weltweit. an den Folgen sterben jährlich mehr Menschen als an aids, Malaria und tuberkulose zusammen.

ein Drittel aller in der schweiz produzierten lebensmittel geht zwischen feld und teller verloren oder wird verschwendet. Das ent-spricht pro Jahr rund 2 millionen tonnen nah-rungsmitteln oder der ladung von 140 000 lastwagen in einer Kolonne von zürich bis madrid.

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Für 70 prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion sorgen 525 Millionen Kleinbetriebe. zu-sammen bewirtschaften diese 40 prozent der globalen ackerfläche.

in afrika südlich der Sahara ver- fügen 80 prozent der Betriebe über weniger als 2 hektar Land.

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Die zahl der schweizer Bauernhöfe sinkt, doch ihre grösse wächst. 56 575 Betriebe be- wirtschaften heute durchschnittlich 18,6 hektar land. sie produzieren auf dieser fläche 60 Prozent der nahrungsmittel, die in der schweiz verbraucht werden.

Seit dem Jahr 2000 wurden weltweit über 70 Millionen hektar ackerland an ausländische investoren verpachtet oder verkauft – meistens über die Köpfe von Kleinbauern hinweg. auf diesen Flächen werden insbeson- dere agrotreibstoffe und Futtermittel angebaut.

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weltweit produzieren die Bauern 4600 Kalorien essbare Nahrung pro person und tag. das reicht für 14 Milliarden Menschen.

35 prozent der globalen getreideernte wird an Nutztiere verfüttert.

um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen, braucht es zwei bis sieben Mal mehr anbaufläche als für eine Kalorie pflanzliche Nahrung.

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Über 50 Kilo fleisch isst jeder schweizer pro Jahr. Doch die felder und weiden in der schweiz geben nicht genug her, um all das fleisch zu produzieren. Jedes Jahr müssen eine million tonnen futtermittel importiert werden. Das schweizer Vieh frisst im ausland.

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Ein Drittel der Fläche der Schweiz wird land-wirtschaftlich genutzt. Im Talgebiet ist beinahe die Hälfte der Böden durch Erosion gefährdet. Obwohl es bisher kaum zu star- ken Abtragungen kommt, verliert die Landwirt-schaft wertvollen Boden: Pro Sekunde wird in der Schweiz ein Quadratmeter Land verbaut. Das sind zehn Fussballfelder pro Tag.

Für die Ernährung der Menschheit stehen weltweit derzeit 5 Milliarden Hektar Land zur Verfügung.

1,9 Milliarden Hektar Land sind infolge intensiver Nutzung bereits degra- diert. 80 Prozent der Landwirtschafts-böden sind erosionsgeschädigt.

Jährlich gehen 10 Millionen Hektar Land durch Erosion verloren – fast zehn Mal mehr als die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz. In Entwick-lungsländern verschlingen wachsende Siedlungen jedes Jahr 1,3 Prozent der Agrarfläche.

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1,2 Millionen Menschen müssen mit weniger als 1,25 dollar pro tag überleben.

arme Familien in entwicklungsländern geben 60 bis 80 prozent ihres einkommens für Nahrungsmittel aus. preissteigerungen sind für sie lebensbedrohlich.

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durch steigende preise für Nahrungs-mittel sind 44 Millionen Menschen seit 2010 in extreme armut geraten.

lebensmitteleinkäufe belasten das schweizer Portemonnaie kaum: für nahrungsmittel und alkoholfreie getränke geben die schweizer 6,8 Prozent ihres einkommens aus. lebens- mittel sind – gemessen am Durchschnittsein-kommen von 9600 franken pro monat und haushalt – günstig.

zahlen unD faKten www.bfs.admin.ch www.blw.admin.ch www.fao.org www.foodwaste.ch www.kurswechsel-landwirtschaft.ch/fakten www.wfp.org/hungerwww.wir-essen-die-welt.ch

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Seit vielen Jahren setzt sich Hans Herren für den Kampf gegen Hunger und Armut ein. Immer angetrieben von seiner Vision: Im Jahr 2050 – wenn 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben – soll jeder Zugang zu ausreichend gesunder Nah-rung haben. «Dies ist nur möglich, wenn wir in kleinbäuerliche Strukturen und Familienbetriebe mit nachhaltigen öko- logischen Anbaumethoden investieren», erklärt der Präsident der Stiftung Bio-vision. «Wir müssen wegkommen von einer industriellen Landwirtschaft, die die globalen Ressourcen übernutzt und die Biodiversität zerstört.» Genau dies ist auch die Empfehlung der 400 internationalen Experten des Weltagrar- berichts (Infokasten, S. 23), an dem Hans Herren als Co-Präsident mitgewirkt hat.

Für sein breites Engagement wurde der Welternährungspreisträger im Sep- tember 2013 als erster Schweizer mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Die Jury betonte, dass der Agrarforscher «mit wissenschaftlicher Kompetenz und bahnbrechender praktischer Arbeit einer gesunden, sicheren und nachhal- tigen globalen Nahrungsversorgung den Weg bahnt». Hans Herren freut sich über diese Anerkennung, die auch seiner Stiftung gilt: «Die Auszeichnung zeigt, dass wir mit unserer Arbeit auf dem rich- tigen Weg sind.» Hans Herren ist in der ganzen Welt unterwegs, um sich für einen Kurswechsel in der Landwirtschaft einzusetzen. Für das Mercator Magazin hat er sich die Zeit genommen, einige Fragen schriftlich zu beantworten.

Herr Herren, wir produzieren ausrei-chend Nahrungsmittel, um alle Men- schen auf der Welt zu ernähren. Warum leiden trotzdem so viele Menschen Hunger? Weil diesen Menschen der Zugang zu Nahrungsmitteln fehlt: Entweder sind die Nahrungsmittel für sie nicht ver- fügbar oder die Menschen können sich diese schlicht nicht leisten. Viele der Hungernden sind Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Sie produzieren zwar 70 Prozent aller Nahrungsmittel auf unserer Erde, doch oft steht ihnen selbst kaum gesunde Nahrung zur Verfügung. Hun- ger und Armut gehen Hand in Hand. Das trifft auch auf diese Bauernfamilien zu, denen häufig die notwendigen Pro- duktionsmittel fehlen: Land, Wasser, Saatgut, Wissen, Technologie. Sie haben keinen Zugang zu den Märkten, zu Risikoversicherungen und Krediten. Solange wir die Armut nicht besiegen, werden die Menschen auch hungern.

Wie können wir das Hungerproblem lösen? Wir lösen das Problem nicht einfach, indem wir mehr produzieren. Wir müssen die Produktion und Verteilung der Lebensmittel lokaler ausrichten. Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, dass sie sich die Nahrungsmittel leisten können. Ins- besondere müssen wir Kleinbauern stärken. Denn diese sind nicht nur ein wesentlicher Teil der ländlichen Bevöl- kerung und damit der Hungernden und

Armen. Kleinbauern sind ein wichtiger Bestandteil der Nahrungssicherheit. Sie sind in der Lage, die Menschen in Entwicklungsländern zu ernähren. Doch dafür braucht es entsprechende politische und wirtschaftliche Rahmen-bedingungen: Wir müssen ihnen ver- bindliche Landrechte gewähren, Wissen, Technologien und Kredite verfügbar machen. Wir müssen ihnen Zugang zu den Märkten ermöglichen. Und dort sollten ihre Produkte nicht in Konkur-renz mit billigen, oft subventionier- ten Importprodukten aus Industrielän- dern stehen, die den lokalen Markt verzerren. Da Hunger ein Armutspro-blem ist, das auch Stadtbewohner trifft, müssen auf dem Land Bedingungen geschaffen werden, die der Landflucht Alternativen entgegensetzen: Bessere Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft und in assoziierten Branchen, höhere Wertschöpfung für die Produktion, Aus- bildungsmöglichkeiten und eine gute Gesundheitsversorgung würden jungen Leuten auf dem Land attraktive Perspek-tiven eröffnen.

Auch der Weltagrarbericht, an dem Sie als Co-Präsident mitgewirkt haben, empfiehlt die Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen. Zudem fordert er eine Ausweitung der biologischen Landwirt-schaft. Warum sind Sie überzeugt, dass gerade das der richtige Weg ist? Wir müssen wegkommen von einer Landwirtschaft, die das kurzfristige Maximum aus den Böden herausholt und

einsatz GeGen hunGer und armut«hunger und armut gehen hand in hand», sagt dr. hans rudolf herren. «Solange wir die armut nicht besiegen, werden die Menschen auch hungern.» doch wo müssen wir ansetzen, um diese probleme erfolgreich anzuge- hen? Für den Schweizer agrarforscher und präsidenten der Stiftung Biovision ist die antwort klar: wir brau- chen einen Kurswechsel hin zu einer ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft, die Kleinbauern stärkt.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt. Der Fokus einer nachhaltigen Land- wirtschaft muss auf der natürlichen Bodenfruchtbarkeit liegen. Der nachhal-tige, ökologische Landbau benötigt weniger Ressourcen, deshalb ist er für Kleinbauern in Entwicklungsländern gut umsetzbar. Gerade weil er ohne grosse Auslagen für Samen, Düngemittel und Schädlingsbekämpfung auskommt, hat der ökologische Landbau grosses Potenzial, die Armut zu reduzieren. Zu- dem sind die gesunden Böden wider-standsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels wie anhaltende Dürren oder flutartige Niederschläge. Auch die grössere Vielfalt der angebauten Nutz-pflanzen reduziert im Vergleich zu den Monokulturen der industriellen Land-wirtschaft das Risiko von Ernteverlusten. Doch ökologischer Landbau ist sehr wissensintensiv. Deshalb muss in die Forschung, in die Ausbildung und in den Zugang zu Informationen investiert werden.

Kann denn die biologische Landwirtschaft ausreichend Nahrungsmittel produzie-ren, um die Welt zu ernähren? Ja, absolut! Das wurde in vielen Studien und im Weltagrarbericht klar aufgezeigt. In den Industrieländern wür- de eine generelle Umstellung auf öko- logische Methoden zwar möglicherweise zu einem leichten Rückgang der Produk- tion führen. Dafür würden wir vielfältiger und in besserer Qualität produzieren. In der kleinbäuerlichen Landwirtschaft – also da, wo eine Produktionssteigerung nötig ist – ist das Potenzial auch mit nachhaltigen Methoden gross. Projekte in den Tropen und Subtropen zeigen, dass man mit ökologischem Landbau die Erträge um 50 bis 100 Prozent steigern kann.

Der Weltagrarbericht ist 2008 erschie-nen. Was hat sich seither verändert? Der Diskurs rund um die nachhal-tige Landwirtschaft hat stark zuge- nommen. Er hat sich verändert. Viele internationale Organisationen haben das Thema in ihre Programme aufgenom- men, wenn auch nicht immer im Sinne des Weltagrarberichts. Es gibt inzwi- schen leider viel zu viele Definitionen, was nachhaltige Landwirtschaft ist oder was sie sein sollte. Je nach Interessen-lage. Es werden auch, wie üblich, viele sehr vereinfachte Einzellösungen vorgeschlagen. Grundsätzlich wird in diesem Bereich zu viel diskutiert und zu wenig unternommen.

Woran liegt das? Der grosse Hemmschuh ist die Privatwirtschaft mit ihrem Interesse an der absoluten Kontrolle der Nahrungs-mittel – von der Produktion bis zum Konsum. Die Privatinteressen globaler Agrarkonzerne und die Verschiebung der Verantwortlichkeiten für die Nahrungs-sicherheit vom öffentlichen Sektor in die

Privatwirtschaft verhindern Fortschritte. Das ist inakzeptabel. Denn es sind die Staaten, die schlussendlich die Verantwor- tung für die Nahrungsmittelsicherheit zu tragen haben. Mit einer Transforma- tion der Landwirtschaft nach dem nach- haltigen ökologischen Ansatz ist das grosse Geld für Wenige nicht zu machen. Folglich wird sich die Privatwirtschaft dagegen stellen. Und deswegen ist die Bekämpfung von Hunger und Armut eine Aufgabe für die Gemeinschaft. Doch es fällt vielen Politikern schwer, sich gegen die Interessen der Privatwirtschaft zu stellen.

Die Stiftung Biovision hat sich mit Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz im Juni 2012 am Erdgipfel Rio+20 für eine Stärkung der nachhal- tigen Landwirtschaft eingesetzt. Was konnten Sie erreichen? 18 Monate haben wir uns im Vor- feld des Umweltgipfels mit Events und Meetings für das Thema engagiert. Unser Einsatz hat sich gelohnt. In die Schluss-deklaration ‹The future we want› wurde die Forderung nach einer vermehrten Unterstützung kleinbäuerlicher Struktu-ren und nachhaltiger ökologischer An-baumethoden aufgenommen. Und mit dem ‹Committee on World Food Security› (CFS) wurde unser Wunschkandidat mit der Umsetzung betraut. Denn in diesem Komitee können sich neben Regie- rungsvertretern auch andere Interessen-gruppen einbringen. Das CFS wird auf Basis des Weltagrarberichts interessierte Staaten bei der Überprüfung ihrer Landwirtschaftspolitik unterstützen. Es wird den Ländern die notwendigen Informationen und Werkzeuge zur Verfü- gung stellen, um gezielte Massnahmen zu ergreifen. Das sind bedeutende Erfolge. Und diese helfen uns bei unserem weiteren Einsatz für einen Kurswechsel in der Landwirtschaft.

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«die industrielle Landwirtschaft, der fehlge-leitete einsatz von Nahrungsmitteln – zum Beispiel für Biotreibstoffe oder für die Fleisch- produktion – und unser Konsumverhalten führen zu einer Verknappung der Lebensmittel. das hat fatale Folgen für arme Menschen.» dr. haNS rudoLF herreN

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Wie sieht dieser Einsatz aus? Mit unserem Projekt ‹Kurswechsel Landwirtschaft› möchten wir die nach- haltige Landwirtschaft auf allen Ebenen politisch stärken. Wir unterstützen das CFS bei der Umsetzung seines Auf- trags. In diesem Kontext führen wir auch Pilotprojekte in Senegal, Kenia und Äthiopien durch. Wir spielen mit den Entscheidungsträgern und weiteren inte- ressierten Parteien aus Bauernschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft verschiedene Szenarien durch, um die Entscheidung für die beste Politik zu erleichtern. In einer zweiten Phase möchten wir die drei Länder auch in der Umsetzung unterstützen. Letztlich möchten wir erreichen, dass diese Länder innerhalb einer nützlichen Frist die ganzen Prozesse selbstständig fortsetzen können, damit unser Einsatz langfristig Früchte trägt. In Rio wurde auch be- schlossen, globale nachhaltige Entwick-lungsziele zu entwickeln, die ab 2015 die jetzigen Millenniumsentwicklungs-ziele ablösen. Wir setzen uns dafür ein, dass eines der Ziele zu Gunsten einer nachhaltigen, kleinbäuerlichen Land-wirtschaft und eines nachhaltigen Nahrungssystems sein wird. In diesem Engagement fördert uns die Stiftung Mercator Schweiz, ebenso wie in unserer Arbeit mit dem CFS.

Wie kann ein Kurswechsel in der Landwirtschaft gelingen? Indem die Länder sich den Prozess des Kurswechsels total aneignen. Und genau dieses Ziel verfolgen wir mit unse- ren Pilotprojekten in Senegal, Kenia und Äthiopien. Damit diese Länder nicht die einzigen bleiben, braucht es inter- nationale Unterstützung durch das CFS und politisches Commitment. Doch politische Entscheidungsfindungen werden heute stark von der Privatwirt-schaft beeinflusst. Deshalb ist das Enga- gement von Akteuren wie Biovision umso wichtiger, damit der Kurswechsel in der Landwirtschaft unterstützt wird. Wir knüpfen in unseren Aktivitäten immer wieder an die Entscheidungen von Rio+20 an.

Welchen Beitrag kann die Wissenschaft zur Sicherung der Welternährung leisten? Wir forschen seit vielen Jahrzehn-ten in die falsche Richtung. Aus der alten Forschung und aus der Privatwirt-

schaft gingen die Grüne Revolution und die intensive, von externer Energie abhängige Landwirtschaft hervor. Es geht häufig nur um die Ertragserhöhung einiger weniger Sorten, ohne die Kosten für die Umwelt und für künftige Gene-rationen zu berücksichtigen. Diese Praxis entspricht nicht den Erkenntnissen zu heutigen Herausforderungen – vom Klimawandel bis zur menschlichen Gesundheit. Wir haben jetzt nicht mehr viel Zeit, um den Kurswechsel seriös anzupacken und durchzusetzen. Wir müs- sen unsere Politiker über die Konsequen-zen eines ‹business as usual› deutlich informieren. Das ist ganz klar eine Auf- gabe für die Wissenschaft.

Was kann jeder Einzelne von uns tun, um das Problem der Welternährung anzupacken? Wir können nicht warten, bis der Andere etwas unternimmt. Wir müssen das tun, was wir für richtig halten. Für uns selbst, für die nächsten Generationen und für die Umwelt. Da die Bäuerinnen und Bauern ja nur das anbauen, was auch gekauft wird, liegt es nahe, dass unsere Entscheide beim Einkaufen einiges bewir- ken können. Um den Konsumentinnen und Konsumenten dies besser vor Augen zu führen, bietet Biovision mit der interaktiven Ausstellung CLEVER eine spielerische Möglichkeit, sich besser zu informieren. Aber auch unsere politischen Entscheidungen bei Wahlen und Abstim- mungen wollen gut überlegt sein. Mit den richtigen Fragen müssen wir unsere Politiker dazu bringen, ihre Position klar darzustellen, um sie später auch ent- sprechend zur Rechenschaft zu ziehen.

weltagrarBericht Der 2008 vom weltagrarrat veröffentlichte weltagrarbericht entstand auf initiative der weltbank und der Vereinten nationen. Über 400 wissenschaftler unterschied- lichster fachrichtungen haben vier Jahre lang zusammengearbeitet, um im welt- agrarbericht eine frage zu beantworten: wie können wir landwirtschaftliches wissen, forschung und technologie einsetzen, um hunger und armut zu verringern, um länd- liche existenzen zu verbessern und um weltweit eine gerechte, ökologisch, ökono-misch und sozial nachhaltige entwicklung zu fördern? 2008 wurde der weltagrarbericht mit dem titel ‹agriculture at a crossroads› (landwirtschaft am scheideweg) von 58 ländern unterzeichnet. er enthält empfeh-lungen, wie nahrungsproduktion, armuts- und hungerbekämpfung auf eine nachhaltige Basis gestellt werden können. im zentrum stehen die Verbreitung der ökologischen landwirtschaft und die stärkung kleinbäuer-licher strukturen. struktur und arbeits- weise des weltagrarrates orientierten sich stark am weltklimarat iPcc. Doch während der iPcc ausschliesslich von regierungs- vertretern verwaltet wird, setzten die betei-ligten staaten und un-organisationen für den weltagrarbericht einen aufsichtsrat ein, der aus je 30 Vertretern von regierungen und der zivilgesellschaft bestand. www.weltagrarbericht.de

Dr. hans ruDolf herren hans rudolf herren ist einer der weltweit füh- renden experten für nachhaltige landwirt-schaft. 1995 wurde der agrarforscher und insektenspezialist als erster und bisher einziger schweizer mit dem welternährungs- preis ausgezeichnet. Den Preis erhielt er für seine biologische schädlingsbekämpfungs-methode gegen die schmierlaus, die in den 1980er Jahren maniokpflanzen in afrika bedrohte. Damit rettete er vermutlich millio- nen menschen das leben. mit dem Preisgeld gründete hans rudolf herren, der 26 Jahre in afrika lebte und forschte, 1998 die stiftung Biovision. Von 1994 bis 2005 leitete er das internationale institut für insektenforschung icipe in nairobi (Kenia), das eine zentrale rolle bei der Bekämpfung von schädlingen, Parasiten und Krankheiten in entwicklungs-ländern spielt. 2005 übernahm der schweizer das Präsidium des international tätigen millennium-institutes in washington. 2013 erhielt er zusammen mit seiner stiftung Biovision den alternativen nobelpreis. Das Preisgeld investiert er in das Projekt ‹Kurs-wechsel landwirtschaft› der stiftung Biovision, das die stiftung mercator schweiz in den Jahren 2013 bis 2014 mit 400 000 franken unterstützt. www.biovision.ch

iNterView / NadiNe FieKe, verantwortlich für die Kommunikation der Stiftung Mercator Schweiz. [email protected]

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acht länder, acht menschen, acht themen

text / NadiNe FieKe

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der gang durch den zoll ist auf jeder reise ein besonderer Moment: Man tritt ein in eine neue welt. Spannende Begegnungen liegen vor einem, einblicke in andere Kulturen, in andere Lebensweisen. auch in der ausstellung ‹wir essen die welt› der entwicklungsorga- nisation helvetas beginnt die weltreise zu den themen genuss, geschäft und globalisierung mit der Begrüssung eines zöllners.

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«Peru! Buenos dias – guten Tag!» Der Zöllner steht dort in seiner blauen Uniform, die Hände hält er locker am Gürtel. Er ist in Plauderlaune. «Ich war auch mal dort. Machu Picchu. Der Titicacasee. Die Berge. Kartoffeln wachsen dort noch auf einer Höhe, wo bei uns die Gletscher liegen.» Der Zufall will es, dass ich heute zusam- men mit einer Peruanerin reise. Ich halte ihren Pass in den Händen – und dieser zeigt: Ihr Name ist Phuyu Colque, sie ist 63 Jahre alt und hat einen Ehemann und einen Sohn. Sie ist katholisch und spricht Quechua. Ihr grösster Wunsch ist es, wieder genug Kraft zu haben, um das Feld zu be- stellen. Denn sie ist Bäuerin im Hoch-land der Anden. Ihre weiteste Reise

führte sie bisher nach Cusco, 80 Kilo- meter von ihrem Heimatdorf entfernt. Und jetzt geht sie mit mir auf Welt- reise. Äthiopien, Bangladesch, Brasilien, Burkina Faso, Honduras, Indien, Peru und die USA stehen auf dem Programm.

Jeder Besucher der Ausstellung ‹Wir essen die Welt› der Entwicklungs- organisation Helvetas erhält den Pass einer Person aus einem der acht Länder, bevor die Weltreise startet. Diese Person bestimmt nicht nur, wohin die Reise zuerst führt. Sie gibt den Besuchern die Möglichkeit, ein Land und seine Gegeben- heiten besonders gut kennenzulernen. Die Ausstellungsbesucher erhalten Ein- blicke in Gesellschaft und Wirtschaft der acht Länder. Sie lernen die wichtigs-ten landwirtschaftlichen Erzeugnisse

wanDerausstellung Die wanderausstellung ‹wir essen die welt› startete am 3. mai 2013 im naturama aargau in aarau. Vier Jahre geht die ausstellung auf tournee. Die stiftung mercator schweiz stellt dafür 730 000 franken zur Verfügung. — aarau: mai 2013 bis februar 2014, naturama aargau — Bern: märz bis mai 2014, Käfigturm, Polit-forum des Bundes — zürich: Juni bis august 2014, sihlcity, folium (raum für geschichte seit 1886) — Vaduz: september 2014 bis februar 2015, liechtensteinisches landesmuseum — frauenfeld: april bis september 2015, naturmuseum thurgau — luzern: november 2015 bis mai 2016, naturmuseum luzern www.wir-essen-die-welt.ch wwww.helvetas.ch

in ihrem reisepass sammeln die Schüler nicht nur Visumsstempel, sie machen sich darin Notizen: was lernen sie auf ihrer weltreise? was erstaunt sie? Viele Schul- klassen besuchen die ausstellung. diese Schüler beschäftigen sich im rahmen einer projektwoche an der Schule Frick intensiv mit Fragen der welternährung.

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kennen, die Essgewohnheiten. Sie setzen sich mit Fragen der Produktion und des Handels von Nahrungsmitteln aus- einander. Und sie erfahren, wie ihr Alltag und ihre täglichen Kaufentschei-dungen die Umwelt und das Leben von Menschen an anderen Orten der Welt beeinflussen. «Wir möchten mit der Ausstellung nicht nur für die Problema-tik der Welternährung sensibilisieren», erklärt Projektleiterin Beatrice Burgherr von Helvetas. «Wir möchten den Besu- chern zeigen, was die Welternährung mit ihnen zu tun hat.» Deshalb hat Helvetas den Titel ‹Wir essen die Welt› gewählt. Und deshalb startet die Weltreise auch nicht erst am Zollhäuschen – sondern bereits in der heimischen Küche: Was sind ihre eigenen Konsumgewohnheiten? Wie können sie nachhaltiger leben? Hinter Schranktüren, sogar im Back- ofen finden die Ausstellungsbesucher aufrüttelnde Informationen und Handlungstipps.

Persönliche Begegnungen

Sobald die Besucher den Zoll hinter sich lassen, wird ein grosses Problem der Welternährung schnell deutlich: Hunger und Armut hängen eng zusammen. Während den Menschen in der Schweiz durchschnittlich 114 Franken pro Tag zur Verfügung stehen, sind es in Äthiopien gerade einmal drei Franken. Und trotz-dem kostet ein Kilo Reis in beiden Ländern fast dasselbe – 2,20 Franken in der Schweiz und 1,85 Franken in Äthi- opien. Was bedeuten statistische Zah- len wie diese für den Alltag der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenlän- dern? Mit welchen Herausforderungen haben sie zu kämpfen? Wie bewältigen sie diese? Auf ihrer Reise begegnen die Ausstellungsbesucher acht Menschen, die aus ihrem Alltag erzählen. Darunter sind neben Phuyu Colque unter ande- rem der junge Fischer Refat Jahangir aus Bangladesch und die Kakaobäuerin Leonor Gomez aus Honduras. Sie alle geben Einblicke in ihre Lebensbedingun-gen, in ihre Sorgen und Hoffnungen.

Diese persönlichen Begegnungen verdeutlichen den Besuchern Hinter-gründe zu den Themen fairer Handel, Agrobusiness, Biolandbau, Wasser, Arten- vielfalt, Landgrabbing, Fleischproduktion und Überfischung – den acht inhalt- lichen Schwerpunkten der Ausstellung. Phuyu Colque vertritt das Thema Artenvielfalt. In Peru decken Kartoffeln

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60 Prozent des Nahrungsbedarfs, er- fahren die Ausstellungsbesucher. Über 3000 Kartoffelsorten gibt es dort in allen Formen und Farben. Manche Sor- ten vertragen die Hitze besser, andere die Kälte. Manche wachsen besser, wenn es trocken ist. Andere lieben den Regen. «So viele Sorten, das gibt uns Sicherheit», erzählt Phuyu Colque. «Und heutzutage, wo wir uns auf den Regen nicht mehr so verlassen können, brauchen wir diese Sicherheit noch mehr als früher.»

sPielerischer ansatz

Was überrascht die Besucher? Was bewegt sie oder macht sie nachdenklich? Ihre Eindrücke können sie in ihrem Reisepass festhalten. Darin können sie auch An- gaben zu sich selbst eintragen, um sich mit der Person im Pass zu vergleichen. «Es war uns ein Anliegen, die Ausstellung interaktiv zu gestalten», erzählt Beatrice Burgherr. Denn um die Besucher tat- sächlich zu motivieren, ihren Alltag zu hinterfragen und ihre Konsumgewohn-heiten zu ändern, sei es wichtig, dass sie mit Spass und Interesse durch die Aus- stellung gehen. «Ein Erlebnis, eine Entdeckungsreise geht ihnen näher als nur Texte zu lesen», weiss die Projekt-leiterin. «Und die persönlichen Geschich- ten machen die Herausforderungen der Welternährung greifbarer.»

Wie jeder Einzelne in der Schweiz einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt leisten kann, zeigen Tipps in der Ausstel- lung. Zudem werden die Besucher auf- gefordert, per Videobotschaft oder Post- karte ein Versprechen abzugeben: Was möchten sie in ihrem Alltag ändern, um einen Beitrag zur Verbesserung der Ernährungssituation zu leisten? «Nach einem Monat und ein weiteres Mal nach einem Jahr schicken wir ihnen ihr Vorhaben zu, um sie daran zu erinnern», sagt Beatrice Burgherr. Diesen Ansatz – Umweltpsychologen sprechen vom Kon- zept der Selbstverpflichtung – probiert die Entwicklungsorganisation, die regel-mässig globale Probleme und Nord-Süd-Fragen in Ausstellungen thematisiert, zum ersten Mal aus. ‹Wir essen die Welt›, davon ist die Projektleiterin überzeugt,

ist für verschiedene Zielgruppen inte- ressant: «Familien und Schulklassen können die Ausstellung spielerisch besuchen. Gleichzeitig bieten Texte, Ausziehtafeln und Animationen auch ausstellungsgewohnten Besuchern Hintergrundinformationen zum Thema.»

BlicK in Die zuKunft

Die Weltreise ist vorbei. Doch bevor der Zöllner zum Abschied grüsst, geht es für einen Moment in die Zukunft: Wie sehen die Prognosen für die acht Länder aus? Werden wir Insekten als Fleisch- ersatz essen? Wird all unser Essen künst- lich mit Zusatzstoffen angereichert sein, damit wir uns gesund ernähren? Ist mit ‹Urban Farming› – dem aktuellen Trend des Landbaus im Stadtraum – schon ein erster Schritt in eine nachhal-tigere Zukunft getan? In einer Ecke diskutieren ein internationaler Agrar- händler, eine Forscherin, ein Schweizer Bauer und die Präsidentin einer afri-kanischen Kleinbauerninitiative über die Frage, wie wir bis 2050 9 Milliarden Menschen ernähren können. Trotz hitziger Debatten sind sie sich am Ende einig: «Die Welternährung braucht die Bauern, und die Bauern brauchen bessere Produktionsmethoden, sichere Ressourcen, anständige Preise für ihre Produkte.»

«wir nehmen die ausstellungsbesucher mit auf eine reise durch acht Länder. diese Länder haben etwas gemeinsam: Sie produzieren Nahrungsmittel, die auch bei uns auf den tisch kommen.» Beatrice Burgherr, heLVetaS

auf ihrer reise begegnen die Schüler Menschen wie der peruanerin phuyu colque, die aus ihrem alltag erzählen. Sie lernen auch landestypische gerichte kennen.

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Die Rückschläge bei den Millenniumszie-len der Vereinten Nationen, bis 2015 Armut und Hunger zu halbieren, haben die Geister der Grünen Revolution wie- derbelebt. ‹Nachhaltige Intensivierung› heisst die neue alte Strategie. Dazu ste- hen – wie bereits in den 1950er Jahren – Dünger, Pflanzenschutzmittel und Pflanzenzüchtung im Vordergrund. Mit Hilfe der Gentechnik will man das bei den meisten Kulturpflanzen mittlerweile erreichte Ertragsmaximum überlisten. Vielfach verpufft die Wirkung der Pro- gramme jedoch, weil die Dünger und Pes- tizide die Kleinbauern nicht erreichen oder weil für eine sachgemässe An- wendung eine gute unabhängige Bera- tung fehlt. Andere Ansätze, für die es erfolgreiche Beispiele gibt, beruhen auf agrarökologischen oder biologischen Landbaumethoden. Diese ermöglichen langfristig eine nachhaltige, ressourcen- und umweltschonende Produktion von Lebensmitteln.

Die Landwirte sind nach den Zah- len der Ernährungs- und Landwirt-schaftsorganisation der Vereinten Nati- onen (FAO) bereits heute so produktiv,

dass 9 Milliarden Menschen, wie sie für das Jahr 2050 prognostiziert sind, er- nährt werden könnten. Und dies sogar mit einer biologischen Landwirtschaft, deren Produktivität bei 75 bis 80 Prozent der intensivsten konventionellen Land- wirtschaft liegt. Denn Fallstudien aus Afrika zeigen, dass Betriebe mit Subsis- tenzlandwirtschaft durch Biolandbau ertragreicher gemacht werden können. Global noch mehr zu produzieren, ist also keine Priorität. Lokal mehr zu pro- duzieren – und zwar dort, wo Hunger und Armut herrschen – sollte das Ziel sein. Und das kann auch der Biolandbau.

Suchen wir nach Lösungen für die Sicherung der Welternährung, müssen wir auch über die grosse Verschwendung von Lebensmitteln nach der Ernte und beim Konsum sprechen. Der Fleischkon-sum müsste reduziert werden. Denn für die Produktion von Fleisch wird ein Mehrfaches an pflanzlichen Kalorien verbraucht, die dem Menschen nicht mehr zur Verfügung stehen. Entwick-lungsländer sollten im Welthandel basie- rend auf ökologischen und sozialen Mindeststandards nicht mehr benachtei-

die Grüne evolution

text / proF. urS NiggLi

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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BiolanDBau Die ökologische landwirtschaft ist ein Pro- duktionssystem, das die gesundheit der Böden, der ökosysteme und der menschen stärkt und erhält. sie vereinigt tradition, innovation und wissenschaft zum Vorteil der umwelt. zudem möchte sie faire Bezie- hungen und eine lebensqualität für alle Beteiligten fördern. Der Biolandbau verzich-tet auf chemisch-synthetische Pestizide, mineraldünger und gentechnisch veränderte organismen. Die tierhaltung ist artgerecht und in der intensität begrenzt. im Biolandbau wird der Betrieb als ökosystem betrachtet, in dem selbstregulierende Kräfte optimal aufeinander abgestimmt werden. mit diesem Prinzip ist ein schonender umgang mit den begrenzten ressourcen und eine verringerte umweltbelastung verbunden. Biobetriebe streben eine möglichst geschlossene Kreis- laufwirtschaft an. so werden Pflanzen mit betriebseigenen organischen Düngern wie mist, Kompost oder gülle versorgt. Die biologische landwirtschaft fördert die Biodiversität, bewahrt und steigert die Boden- fruchtbarkeit. man beobachtet, dass Bio- betriebe sich besser an die auswirkungen des Klimawandels anpassen. Dies optimiert das fiBl in einem aktuellen Projekt, das die stiftung mercator schweiz bis 2017 mit 667 000 franken fördert. www.fibl.org

ligt werden. Der energetisch, ökonomisch und ökologisch fragwürdige Anbau von Energiepflanzen müsste gestoppt werden. Doch nichts zu tun und auf eine wei- tere Steigerung der Erträge – durch die moderne Gentechnik – zu hoffen, scheint die bequemste Lösung zu sein.

öKologisches Potenzial

Die Stärke des Biolandbaus ist seine ökologische Nachhaltigkeit. Diese ist in zahlreichen Einzelstudien und Meta- Analysen belegt. Der Biolandbau leistet einen Beitrag zur Minderung des Klimawandels, indem er Kohlenstoff in den Boden zurückbindet und weniger Klimagase ausstösst. Das zeigt die Auswertung von Vergleichsstudien aus der ganzen Welt, die im Rahmen des durch die Stiftung Mercator Schweiz ge- förderten Projekts CaLas (Carbon Credits for Sustainable Landuse Systems) vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) durchgeführt wurde. Verantwortlich für die guten Umwelt- leistungen ist der ganzheitliche System-ansatz des Biolandbaus: weite und vielgliedrige Fruchtfolgen, gute Boden- bedeckung, geschlossene Kreisläufe von Nährstoffen und organischen Materia-lien sowie keine umweltbelastenden Stoffe. Der Biolandbau ist stark abhängig von funktionierenden Ökosystemen. Dazu zählen eine hohe Bodenfruchtbar-keit, eine biologische Vielfalt in den Kulturen und eine intakte, ökologisch robuste Landschaft. Deshalb gehört die Pflege der Ökosysteme zur guten fachlichen Praxis der Biobauern.

Auf dem Markt hat der Bioland- bau trotz seiner ökologischen Vorteile jedoch noch eine Nischenstellung. Zwar ist absehbar, dass in den führenden europäischen Biomärkten Dänemark, Österreich, Schweiz und Luxemburg bald ein Bioanteil von 10 Prozent am Lebens- mittelmarkt erreicht wird. Weltweit wirtschaften aber nur knapp ein Prozent der Bauern gemäss den Anforderungen des Biolandbaus. Offenbar fehlt der wirtschaftliche Anreiz, auf Biolandbau umzusteigen. Fallstudien, vor allem in Afrika, zeigen, dass Biolandbau gerade auch für Subsistenzlandwirte betriebs-wirtschaftlich interessant ist: Eine erhöhte Bodenfruchtbarkeit sorgt für höhere Erträge und für ein steigendes Familieneinkommen. Bauernfamilien müssen weniger Darlehen aufnehmen, weil sie weniger Kosten für betriebs-

fremde Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut haben. Durch Mischkultur- und Agroforstanbau, Kompostierung, einfache Bewässerungstechniken oder biologischen Pflanzenschutz werden Ertragssteigerungen erzielt. Es ist wich- tig, entsprechendes Wissen an Klein- bauern zu vermitteln. Zudem existieren positive Erfahrungen zur biologischen, lokal angepassten Pflanzenzüchtung, die zusammen mit Bauernfamilien orga- nisiert wird.

Trotzdem sind die Biobauern ent- weder auf einen besseren Marktzugang (sicherer Absatz, höhere Prämien) oder auf Direktzahlungen angewiesen. Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Biolandbaus ist so lange ungenügend, wie die konventionelle Landwirtschaft nicht die echten Umweltkosten ihrer Produktionsweise und die Schädigung der natürlichen Ressourcen – wie Bodenerosion und Verlust natürlicher Vielfalt – bezahlen muss. Die Direktzah-lungen an Biobauern kompensieren dies zum Teil. Doch in Entwicklungslän-dern können diese aus wirtschaftlichen Gründen nicht eingeführt werden. Da die verschiedenen nachhaltigen Techniken, wie sie für den Biolandbau zwingend sind, ein Potenzial für den Kohlenstoff-handel haben, könnte daraus ein Anreiz für die Umstellung landwirtschaftlicher Praktiken in Entwicklungsländern entstehen. Das FiBL hat die verschiede-nen Szenarien im Projekt CaLas be- schrieben und arbeitet momentan an deren Umsetzung.

innoVationen im BiolanDBau

Weltweit belaufen sich die Ausgaben für die Agrarforschung auf 50 Milliarden US-Dollar. Davon werden weniger als ein Prozent für den Biolandbau verwendet. Innovation ist jedoch auch im Biolandbau wichtig. Im Vordergrund steht dabei die Pflanzen- und Tierzucht, die sich konsequent auf extensive Erzeugungsbe-dingungen und auf eine gute Umwelt-anpassung ausrichten. Ein grosses Potenzial haben auch pflanzliche und biologische Massnahmen zur Regulie-rung von Krankheitserregern bei Pflanzen und Tieren. Die Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit und damit die Versorgung der Pflanzen mit lokal ver-fügbaren Nährstoffen bleibt ein wichtiges Forschungsthema. Und die Nutzung von organischem Material und von Nähr- stoffen (zum Beispiel Phosphor) aus

Abfällen jeglicher Art sowie deren Rück- führung in die Landwirtschaft nach dem ‹Cradle-to-Cradle-Prinzip› wird für den Biolandbau eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bringen. Das ‹Cradle-to-Cradle-Prinzip› beschreibt eine Produktionsweise, bei der giftige Abfälle und eine ineffiziente Nutzung von Energie vermieden werden. Die ein- gesetzten Ressourcen befinden sich in einem ständigen Kreislauf. Jeder Abfall ist der Rohstoff für eine neue Produktion.

proFeSSor urS NiggLi ist Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in Frick, [email protected]

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forschunG für die WelternährunG

Wie kann die wachsende Weltbevölkerung gesund, umweltschonend und gerecht ernährt werden? Seit seiner Gründung Ende 2011 sucht das World Food System Center der ETH Zürich nach Antwor-ten auf diese Frage. 34 Professoren aus sechs Departementen der Hochschule und aus dem Wasserforschungsinstitut eawag arbeiten in dem Kompetenz-zentrum zusammen, um Lösungen zu finden. Dabei nehmen sie das gesamte Welternährungssystem in den Blick – von Anbau und Ernte der Nahrung über Verarbeitung, Transport und Handel hin zu Verteilung und Verzehr. Neben der Forschung stehen die Aus- und Weiterbildung von Nachwuchswissen-schaftlern und jungen Führungskräften sowie der Dialog mit der Öffentlich-keit im Zentrum.

erste forschungsProJeKte

Die Stiftung Mercator Schweiz unter-stützt das Kompetenzzentrum mit einer Programmpartnerschaft. Bis 2020 för- dert sie 15 Dissertationen mit Bezug zu den Themen ‹Nachhaltige Landnutzung›, ‹Natürliche Ressourcen› und ‹Klima- wandel und Agrarökosysteme›. Einmal im Jahr wählt die ETH Zürich die For- schungsprojekte aus, die ersten drei sind bereits gestartet:

— Das Projekt ‹Managing Trade-Offs in Coffee Agroforests› (MOCA) möchte die Dienstleistungen des Ökosystems wie Bodenfruchtbarkeit, Bestäubung oder natürliche Anpassungen an den Klima-wandel besser nutzen, um Kleinbauern in Indien eine ökologisch und ökono-misch nachhaltigere Kaffee-Produktion zu ermöglichen. Dafür untersuchen die Forscher, wie die optimale Auswahl und Anpflanzung von Bäumen in der Agroforstwirtschaft aussieht.

— In der biologischen Milchprodukti-on setzen Landwirte im Gegensatz zur konventionellen Milchproduktion wenig Kraftfutter ein, zugleich fördern sie eine lange produktive Lebensspanne der Kühe. Um die Entwicklung nachhaltiger Strategien für die Milchproduktion zu unterstützen, führen die Forscher im Projekt ‹Long Life Cow› ökologische und ökonomische Vergleiche durch: Wie verändert sich die Effizienz der Futter- verwertung mit dem Alter der Kühe? Wie entwickeln sich die Treibhausgasemis- sionen der Kühe mit ihrem Alter? Wie wirkt sich die Langlebigkeitsstrategie auf das Einkommen der Landwirte aus?

— Das Spurenelement Zink ist lebens- notwendig für Menschen, Tiere und Pflanzen. Das Projekt ‹Zinc biofortifica- tion of Wheat through Organic Matter Management in Sustainable Agriculture› (ZOMM) möchte herausfinden, wie die Zinkaufnahme von Weizen durch einen optimierten Einsatz organischer Substan-zen (Ernterückstände, grüne Biomasse, Hofdünger) verbessert werden kann. Während ein künstlicher Zinkzusatz bei der Verarbeitung des Mehls aus-schliesslich der menschlichen Gesund-heit dient, begegnet der biologische Ansatz zugleich einem Zinkmangel in der Pflanzenversorgung und verbessert die Bodenfruchtbarkeit.

So unterschiedlich die drei Themen sind, sie haben etwas gemeinsam: «Die Projek- te sind praxisnah und interdisziplinär», erklärt Michelle Grant, Geschäftsführerin des World Food System Centers. Sie er- forschen, welches Potenzial eine auf den Prinzipien der Agrarökologie basierende biologische Landwirtschaft zur Verbes- serung der weltweiten Ernährungssitua-tion hat. Diese Frage steht im Zentrum

aller durch die Stiftung Mercator Schweiz geförderten Projekte und Aktivitäten des World Food System Centers. So prägte sie auch die Inhalte der ersten internati- onalen Summer School, die vom 10. bis 24. August 2013 stattfand.

internationale summer school

24 Studierende und Doktorierende un- terschiedlicher fachlicher Disziplinen aus 15 Ländern diskutierten mit Exper-ten aus Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft Herausforderungen und Möglichkeiten der Ernährungssicherheit. Vorträge, Gruppenarbeiten, Fallstudien, Workshops und Exkursionen erlaub- ten eine interdisziplinäre Perspektive auf die Thematik. Das war den Organisa- toren ein grosses Anliegen: «Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, um die Herausforderung der Welternährung er-folgreich anzugehen», sagt Projektma- nager Bastian Flury von der ETH Zürich.

text / NadiNe FieKe

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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Wochen lang in Indien statt. Im Fokus steht wiederum die biologische Landwirt-schaft – mit einem besonderen Blick auf die Themen Ernährungssicherung, Armut und Existenzsicherung, Ernährung und Gesundheit, Nahrungsmittelsicher-heit, Verstädterung und Naturschutz. Die Teilnehmer erhalten vertiefte Ein- blicke in das Forschungsprojekt MOCA. Beteiligte Forscher und lokale Partner des Projekts wirken an der Summer School mit.

Es freut ihn, dass es während der Summer School gelungen ist, die inter- nationale Gruppe zu einem Team zu- sammenzuschweissen: «Das ist der Anfang eines Netzwerks aus zukünftigen Führungspersonen im Ernährungsbe-reich, das wir aufbauen möchten.» Damit die Teilnehmer nicht nur über biologi-sche Landwirtschaft sprechen, sondern auch erleben konnten, was hinter der Theorie steckt, hatten die Organisatoren das Gut Rheinau (ZH) als Seminarort gewählt. Auf dem grössten Biobetrieb der Schweiz packten die Studierenden auf dem Feld mit an, unter anderem bei der Zwiebelernte. Die nächste Summer School findet im Februar 2014 zwei

Kontakt: world Food System center, Michelle grant, [email protected]

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In den nächsten 35 Jahren wird die Welt- bevölkerung von sieben auf neun Milliarden Menschen anwachsen. Schon heute leidet die Hälfte der Weltbevöl- kerung unter ungenügender und falscher Ernährung: 1 Milliarde Menschen hun-gern, weiteren 2 Milliarden fehlen wichtige Nährstoffe, sie sind mangeler-nährt. Gleichzeitig sind 1,5 Milliarden Menschen übergewichtig. Wissenschaft-ler aus aller Welt arbeiten an Lösungen, um dieses extreme Ungleichgewicht aufzuheben und Möglichkeiten zu finden, weitere 2 Milliarden Menschen zu ernäh-ren. Schon jetzt ist klar: Wir müssen weltweit an einem Strang ziehen, um das Problem der Welternährung zu lösen.

Wir müssen an einem stranG ziehen

text / MaiKe NeSper

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Wir müssen an einem stranG ziehen

KomPlexe Prozesse

Während der Summer School ‹Sustain-able Agriculture and the World Food System› (Nachhaltige Landwirtschaft und das Welternährungssystem) verbrachten wir – 24 Studierende und Doktorierende aus 15 Ländern – zwei Wochen auf dem Gut Rheinau im Kanton Zürich, dem grössten biodynamischen Bauernhof der Schweiz. In der ersten Woche versuchten wir uns in die verschiedenen Dimen- sionen der ‹food value chain› hineinzu-denken. Die ‹Wertschöpfungskette der Nahrung› beschreibt die komplexen Prozesse, die aus einem Rohstoff ein Nahrungsmittel entstehen lassen – und wie dieses am Ende zum Konsumenten gelangt. Wir tauschten uns mit Experten aus Wissenschaft und Praxis über Saat-gutherstellung, biologische Landwirt-schaft und Ökosystemdienstleistungen aus. Wir setzten uns mit dem Wasserver-brauch und Treibhausgasausstoss im Lebenszyklus eines Produkts auseinan-der. Wir erfuhren Hintergründe zum

Management von Gross- und Kleinbe- trieben, erhielten Einblicke in internatio- nale Rechtssysteme und hinterfragten die Praxis des Erwerbs von Ländereien in Schwellen- und Entwicklungsländern. Distribution und Verkauf, Konsumverhal-ten, Nahrungsmittelverluste,Ernährung und Gesundheit waren weitere Themen.

An welchem Strang sollen wir also ziehen, um die Welternährung zu sichern? Diese Frage stellten wir uns in der zweiten Woche, in der wir gruppen- weise Verbesserungsvorschläge für eine bestimmte ‹food value chain› erar- beiteten. Meine Gruppe untersuchte die Wertschöpfungskette von Futter – Soja, das in Brasilien produziert und an Kühe in der Schweiz verfüttert wird. Es zeigte sich in den Gruppenarbeiten, dass es in unserer globalisierten Welt sehr schwierig, wenn nicht gar unmög-lich ist, globale Win-Win-Situationen zu schaffen. Doch es wurde auch deut- lich: Um das Ernährungsungleichgewicht auf der Welt zu verringern, brauchen wir Lösungen, in denen nicht immer die Ärmsten die Verlierer sind.

erKenntnisse fÜr DoKtorarBeit

Eine der Haupterkenntnisse aus der Summer School für meine Doktorarbeit ist es, besser zu verstehen, wie und auf welchen Grundlagen Bauern Ent- scheidungen fällen – und welche Aus- wirkungen diese haben. In verschiedenen Projekten arbeiten Forscher mit Bauern zusammen, um deren Arbeit nachhal- tiger zu gestalten. So auch in meinem Doktorat. Doch es zeigt sich, dass dieses Ziel in den unterschiedlichen sozialen, politischen oder ökonomischen Umfel-

dern häufig nur begrenzt umsetzbar ist. Ich erforsche im Projekt ‹Managing Trade-Offs in Coffee Agroforests› auf Kaffeeplantagen in Indien, inwiefern Bäume in der Agroforstwirtschaft die Kaffeeproduktion unterstützen. Ziel ist es, den Bauern einen Grund zu geben, die alten Regenwaldbäume in ihren Plantagen zu erhalten. Denn die traditio-nellen Kaffee-Agroforstwirtschaftssysteme in Coorg, Karnataka, sind ein einzigar- tiges Ökosystem. Die Kaffepflanzen sind durch alte Regenwaldbäume beschattet, die Schutz und Nahrung für Vögel, Insekten und andere Tiere bieten. Gleich-zeitig sorgen die Bäume für verschie-denste Ökosystemdienstleistungen: Sie regulieren die Nährstoffzufuhr, schützen vor Klimaextremen, Temperaturschwan-kungen und Feuchtigkeitsverlusten. In unserem Forschungsprojekt möchten wir herausfinden, wie eine optimale Anpflanzung einheimischer Bäume für eine möglichst produktive und umwelt-gerechte Agroforstwirtschaft aussieht.

Die täglichen Treffen mit den Bauern machen mir klar, dass sich viele der Vorteile der Agroforstwirtschaft bewusst sind. Zudem haben viele Inte- resse an biologischer Landwirtschaft, da diese zum Beispiel Erosionen verhin-dern, Struktur und Fruchtbarkeit des Bodens verbessern kann. Leider ist die Umsetzung nicht so einfach: Da die Erträge bei der Umstellung auf biologi-sche Landwirtschaft unter Umständen in den ersten Jahren sinken, bräuchten die Bauern eine Bestpreis- und Abnah-megarantie. Doch der nationale Biomarkt ist so gut wie inexistent, entsprechend gibt es nur selten einen Bestpreis für bio-

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logisch produzierten Kaffee. Und inter- national kann Indien nicht mit den viel besser vermarkteten südamerikanischen Produkten konkurrieren. Ein weiteres Problem ist der Mangel an Hofdünger, der für die Biozertifizierung nötig ist. In Indien sind Kühe heilig. Da Bauern nur die Milch als Kuhprodukt verwenden können, halten immer weniger Familien Kühe – und der Hofdünger übersteigt heute preislich den industriellen Dünger bei weitem.

Aufgrund falscher gesetzlicher Anreize und geringer staatlicher Unter- stützung laufen die artenreichen agro- forstwirtschaftlichen Systeme Gefahr, zu verschwinden. Die einheimischen Baum- arten gehören dem Forstdepartement, entsprechend können die Bauern diese nicht wirtschaftlich nutzen. Somit werden einheimische Baumarten ver- mehrt durch exotische Arten monokul-turartig ersetzt, da die Bauern diese einfacher verkaufen können. Dabei wären viele von ihnen eigentlich bereit, die einheimischen Bäume zu schützen und die Kaffeeplantagen umweltfreundlich zu managen. Dieses Beispiel zeigt, wie die Konsumenten, die nationale und internationale politische Gesetzgebung und die ökonomische Lage die Bauern in nichtnachhaltige Produktionsbedin-gungen drängen.

Persönliche erKenntnis

Meine persönliche zentrale Erkenntnis aus dieser Summer School? Es geht nicht hauptsächlich darum, mehr zu produzieren, um die Welt zu ernähren. Die Lebensmittel, die vorhanden sind, müssen wir besser verteilen und nutzen. Es gibt keine einfache, allgemeine Lösung für die heutigen und zukünfti-gen Probleme der Welternährung. Für jedes Ökosystem muss eine eigene landwirtschaftliche, ökonomische und politische Lösung gefunden werden. Ohne jedoch die Umwelt in die Lösungsfin- dung miteinzubeziehen und die natürli-chen Nährstoffkreisläufe zu schliessen, werden wir die Lebensmittelkrise nicht meistern können.

MaiKe NeSper ist doktorandin an der eth zürich. Sie schreibt ihre dissertation im projekt ‹Managing trade-offs in coffee agro- forests›, das die Stiftung Mercator Schweiz fördert.

theorie trifft praxis: die teilnehmer der Summer School packen begeistert bei der zwiebelernte mit an. das ist nicht nur eine schöne abwechslung im Studienalltag, die Nachwuchswissenschaftler erfahren so am eigenen Leib, wie der Nahrungsmittel- anbau funktioniert.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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eine fraGe des KonsumsKaufe ich die Banane mit oder ohne Bio-Label? Soll ich den abgelaufenen Joghurt wegwerfen oder doch zuerst probieren, ob er noch essbar ist? was und wie wir konsu-mieren, hat weitreichende Folgen – für die umwelt, für die Lebensbedingungen von Menschen in entwicklungs- und Schwellenländern, für die welternährung.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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Wenn wir wissen, dass wir pro Tag und Kopf weltweit über 4000 Kalorien Nahrung produzieren und wir mit 2400 Kalorien jeden Menschen gesund er- nähren könnten, dann müssen wir uns fragen, warum eine Milliarde Menschen auf unserem Planeten Hunger leiden. Ein erstes Problem sind unsere Luxus- bedürfnisse. Jede Kalorie Fleisch, die wir essen, wurde mit rund sieben Kalo- rien pflanzlicher Nahrung hergestellt, die für die menschliche Ernährung nicht mehr zur Verfügung stehen. Und wenn wir im Winter Erdbeeren essen, dann kann das nicht gut sein für die Umwelt. Beheizte Gewächshäuser und lange Transportwege belasten das Klima. Heute sind es in erster Linie Entwick-lungsländer, die unter dem Klimawandel leiden. Langanhaltende Dürreperioden oder sintflutartige Regenfälle vernichten

die Ernten oder lassen einen Anbau erst gar nicht zu. Das verschärft die Hungerproblematik. Hinzu kommt die grassierende Verschwendung von Lebensmitteln. Diese beginnt bei der Produktion und setzt sich fort beim Vertrieb. Unförmiges Obst und Gemüse landet normalerweise im Abfall statt im Supermarktregal. Und schliess-lich sind es die Konsumenten, die sich kaum Gedanken machen, wenn sie massenweise Lebensmittel in den Müll werfen.

Die Folgen für die Umwelt und für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen durch fahrlässigen Konsum sind enorm. Wenn im Jahr 2050 rund 9 Milliarden Menschen auf unserer Erde leben und wir nichts an unserem Verhalten ändern, sind gewaltige sozia- le Konflikte vorprogrammiert. Es ist wichtig, dass die Konsumenten diese Zusammenhänge verstehen. Dann sind

sie offener dafür, ihre Gewohnheiten zu ändern. Deshalb müssen wir sehr viel mehr in die Verbreitung entsprechender Informationen investieren. Dabei ist es wichtig, dass die Informationen alltagsnah vermittelt werden und die Menschen wie in der Ausstellung CLEVER die Möglichkeit haben, selbst verschiedene Handlungsweisen aus-zuprobieren. Wichtig sind auch klare und umfassende Deklarationspflichten für die Lebensmittelverteiler, die es dem Konsumenten ermöglichen, ratio-nale Kaufentscheidungen zu treffen. Innovative Projekte von Grossverteilern tragen zur Sensibilisierung bei: Das neue ÜNIQUE-Angebot von COOP ist ein gutes Beispiel dafür. Zu grosses, zu kleines und unförmiges Obst und Gemüse anzubieten, ist ein wichtiger Schritt hin zu einem nachhaltigeren Konsum. Die Thematik muss aber auch in Schulen und in den Medien viel umfassender aufgegriffen werden.

Es ist enorm wichtig, dass die Konsu-menten verstehen, was ihr Verhalten bewirkt und wie sie – ohne grosse Opfer bringen zu müssen – nachhaltiger und sozialer einkaufen können. Einen wesentlichen Beitrag dazu leisten Labels wie Bio oder Fairtrade. Wenn die Scho- kolade zum Beispiel ein Fairtrade- Gütesiegel trägt, weiss man, dass der Kakao den Bauern zu einem gerechten Preis abgenommen wird und dass Kinderarbeit verboten ist. Und wenn man ein Produkt mit Bio-Label wählt, dann kauft man Lebensmittel, die im Einklang mit der Natur erzeugt wurden. Man weiss, dass bei der Produktion die endlichen Ressourcen unseres Planeten nicht unnötig strapaziert wurden. Ein ‹cleverer› Entscheid ist es auch, mög-lichst saisonal und regional einzukaufen und weniger Fleisch und Fisch zu konsu- mieren. Dies schont die natürlichen Ressourcen und damit die Umwelt. So gibt es einfache Möglichkeiten, sich in dieser Problematik positiv einzubringen.

CLEVER EINKAUFENdas angebot in einem Supermarkt ist überwältigend. Land- wirtschaftliche produkte sind oft unabhängig von der Saison verfügbar. aus der ganzen welt werden produkte importiert. dazu kommt eine kaum mehr zu überbli-ckende Flut von Labels, die nachhaltige, umweltgerechte und sozial faire produkte anpreisen. in der interaktiven ausstellung cLeVer der Stiftung Biovision erfahren die Besucher, wie sie sich bei ihren alltagseinkäufen verant- wortungsvoll gegenüber Natur, umwelt und Mitmenschen verhalten können. Sie erkennen den zusammenhang zwischen ihrem eigenen einkaufsverhalten und dessen ökologischen und sozialen auswirkungen. die ausstellung ist gestaltet wie ein kleiner Supermarkt: am eingang stehen einkaufskörbe bereit. und am ende des rundgangs befindet sich die Kasse, wo jeder Besucher die Quittung für seinen einkauf bekommt. ein Spinnendiagramm zeigt auf, wo die Kaufentscheidungen in den Bereichen Klima, umweltverschmutzung, Lebensgrundlage, soziale Verantwortung, Biodiversität und ressourcenverbrauch besonders gut waren – oder wo Versäumnisse vorliegen. die Stiftung Mercator Schweiz fördert die wanderausstellung in den Jahren 2012 bis 2013 mit 115 500 Franken. www.clever-konsumieren.ch

drei FrageN aN SaBiNe Lerch, proJeKtLeiteriN der auSSteLLuNg cLeVer

SchwerpuNkt weLterNähruNg

Kontakt: Stiftung Biovision, Sabine Lerch, [email protected]

wie häNgt uNSer tägLicher KoNSuM Mit deM huNger iN der weLt zuSaMMeN?

wie KÖNNeN wir die geSeLLSchaFt Für FrageN deS NachhaLtigeN KoNSuMS SeNSiBiLiSiereN?

wie Sieht ‹cLeVereS› eiNKauFeN auS?

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strateGien GeGen food Wasteein drittel aller Lebensmittel wird nicht konsumiert. Sie gehen auf dem weg zu unseren tellern verloren oder werden weggeworfen. der Verein foodwaste.ch hat eine unabhän- gige informations- und dialogplattform zum thema Lebens-mittelverluste in der Schweiz gegründet. Sie unterstützt und fördert den gesellschaftlichen dialog, um die Verluste entlang der Lebensmittelkette zu reduzieren. der Verein gibt anstösse für Lösungsansätze – so auch an seiner Konfe-renz ‹Strategien gegen Food waste› am 13. Juni 2013. internationale referenten gaben interessante inputs, Vertre-ter des Schweizer Lebensmittelsektors engagierten sich in lösungsorientierten podiumsdiskussionen. ein höhepunkt war die präsentation der Konsumentenkampagne ‹Love Food hate waste› aus grossbritannien, die breitenwirksam und langfristig dem wegwerfverhalten der engländer ent- gegenwirkt. in den diskussionen kamen insbesondere die Verschwendung von nicht normkonformen produkten und die fehlende wertschätzung der Lebensmittel zur Sprache. die Stiftung Mercator Schweiz hat die tagung mit 9950 Franken unterstützt. www.foodwaste.ch

Als Food Waste werden alle Lebensmittel bezeichnet, die für den menschlichen Konsum produziert, aber nicht von Menschen konsumiert werden. Dabei wird zwischen vermeidbaren und nicht- vermeidbaren Lebensmittelverlusten unterschieden. Als vermeidbare Abfälle wird alles bezeichnet, was essbar ist oder vor Verderb essbar war. Wie zum Bei-spiel verfaulte Äpfel. Nichtvermeidbare Abfälle sind Teile von Lebensmitteln, die nicht gegessen werden können wie Bananenschalen und Knochen. Gemäss aktuellen Studien wird rund ein Drittel aller Lebensmittel in der Schweiz zwi- schen Feld und Teller verschwendet. Dies entspricht einer jährlichen Menge von rund 2 Millionen Tonnen. Und das rechnet lediglich vermeidbare Abfälle mit ein. Diese Lebensmittelabfälle haben weitreichende ökologische Folgen, denn für Produktion, Transport und Lagerung von Lebensmitteln werden viele natür- liche Ressourcen wie Boden, Wasser und

Dünger genutzt. Zudem wird viel Energie verbraucht. Jedes verschwendete Produkt ist auch eine Verschwendung dieser knappen Ressourcen.

Die Gründe für die Lebensmittelver-schwendung sind in unterschiedlichen Ländern und entlang der Wertschöp-fungskette sehr verschieden. In Entwick- lungs- und Schwellenländern fallen die Lebensmittelverluste vor allem in der Landwirtschaft an – aufgrund von Ernteschäden, fehlender Infrastruktur oder schlechten Lagerungsmöglich- keiten. In Industrieländern sind die Ver-luste in der Landwirtschaft eher gering. Hier bleiben Früchte und Gemüse auf dem Feld liegen, die nicht den Normen entsprechen. In der Verarbeitung und im Handel kommt es durch technische Fehler, durch zu lange Lagerungszeiten, zu breite Sortimente und durch eine schwankende Nachfrage zu Lebensmittel- verlusten. Der grösste Anteil der Abfälle entsteht jedoch am Ende der Lebens-

mittelkette, bei den Konsumenten. Wir geben in der Schweiz nur knapp sieben Prozent unseres Einkommens für den Lebensmitteleinkauf aus. Da wir es kaum im Portemonnaie wahrnehmen, werfen wir schnell etwas weg, wenn das Haltbarkeitsdatum überschritten ist. Wir entfernen uns durch unsere moder-nen Konsumgewohnheiten immer mehr von Lebensmitteln als landwirt-schaftliche Produkte und verlieren dadurch die Wertschätzung der Nahrung als ressourcenintensive natürliche Lebensgrundlage.

Um die Lebensmittelverschwendung langfristig zu reduzieren, braucht es Innovationen in Unternehmen und Ver- änderungen in unseren Verhaltens- weisen. Diese werden langfristig durch zwei Trends beeinflusst: Erstens wird die Verknappung natürlicher Ressourcen Lebensmittel wieder verteuern und so-mit auch unsere Portemonnaies stärker belasten. Zweitens bauen junge Men-schen wieder mehr Nähe zum Essen auf, indem sie zum Beispiel vermehrt frisch kochen oder Produkte durch ein Abo direkt von einem Landwirt kaufen. Beide Entwicklungen können sich längerfristig auf das Wegwerfverhalten im privaten Konsum auswirken. Wir alle können in unserem Alltag einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung von Food Waste leisten. Überlegt einkaufen und sich bei Schnäppchen und Sonderangeboten zurückhalten, sind erste wichtige Schritte. In der Küche sind die Mengen-planung beim Kochen und die Wieder-verwendung von Kochüberschüssen einfache, aber zentrale Ansätze. Weiter gilt es, nicht alle Produkte, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschrei-ten, gleich wegzuwerfen. Es ist wichtig, sich auf seine eigenen Sinne zu ver- lassen: Viele Produkte sind lange über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinweg geniessbar.

drei FrageN aN MarKuS hurScheLer, geSchäFtSFührer deS VereiNS FoodwaSte.ch

Kontakt: Foodwaste.ch, Markus hurscheler,[email protected]

SchwerpuNkt weLterNähruNg

wie KÖNNeN wir Food waSte VerhiNderN?

waruM eNtSteheN SoLche groSSeN MeNgeN LeBeNSMitteLaBFäLLe?

waS iSt Food waSte?

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ideen für eine nachhaltiGeernährunGzwei wochen setzten sich 35 Studierende aus thailand, italien und der Schweiz mit Fragen der Nachhaltigkeit in der Nahrungsmittelproduktion auseinander. in der Summer School ‹geography of Food› der zürcher hochschule für angewandte wissenschaften suchten sie nach Lösungen für aktuelle herausforderungen.

text / SeraiNa SchwaB

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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Ressourcenverbrauch, Klimawandel, Nahrungsmittelverluste, Preisbildung, Konsumtrends, Bevölkerungswachs- tum, demographischer Wandel: Während der zweiwöchigen Summer School ‹Geography of Food› setzten wir uns im Juli/August 2013 aus sehr unterschied- lichen Perspektiven mit Fragen der Welternährung auseinander. ‹Wir› – das sind 35 Studierende der Khon Kaen University (Thailand), der Università degli Studi di Udine (Italien) und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (Schweiz). Wir hörten Vorträge von Experten aus aller Welt und analysierten aktuelle Herausforde-rungen. Wir setzten uns mit ökolo- gischer und sozialer Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion auseinander und lernten spannende Beispiele aus der Praxis kennen.

Ein Student der Umweltingenieurwis- senschaften stellte uns das Wädichörbli (www.waedichoerbli.ch) vor, einen Gemüse-Abo-Service, den er mit anderen Studenten gegründet hat. Auf dem Schluchtalhof in Wädenswil konnten wir uns selbst ein Bild von der biologischen Landwirtschaft in der Schweiz machen. Zudem besuchten wir die Urban Farm in Basel (www.urbanfarmers.com). Der Farmmanager erläuterte die Funktions-weise des Aquaponic: Fischzucht wird dort mit Gemüseproduktion kombiniert. Diese Produktionsweise spart Ressourcen, da das System mit einem geschlosse- nen Kreislauf arbeitet. Das nährstoffrei-che Wasser aus dem Fischbecken dient den Pflanzen als Nährlösung. Die Pflanzen säubern das Wasser, das wieder ins Fischbecken zurückgeführt wird. Eine Tour durch den neu angelegten

Gräsergarten auf dem Gelände des Grüental Campus der ZHAW sowie der Besuch in der Umweltarena Spreiten-bach (www.umweltarena.ch), einer Ausstellungsplattform für Themen der Nachhaltigkeit in den Bereichen Natur und Leben, Energie und Mobilität, Bauen und Modernisieren sowie Erneuerbare Energie, brachten Abwechslung in den Studienalltag.

suche nach lösungen

Ein Schwerpunkt der Summer School waren Gruppenarbeiten zu den Themen Golden Rice, Kaffee, Palmöl, Fleisch-produktion und Biolandbau: In fünf inter- national gemischten Arbeitsgruppen sollten wir jeweils den Ist-Zustand zu einem Thema erfassen und mögliche Lösungsansätze für eine nachhaltigere Produktions- und Wertschöpfungskette erarbeiten. Die Lösungsvorschläge stellten wir am letzten Tag der Summer School einem Publikum vor. Die Her-ausforderung war, alle Studenten auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Zum Teil fehlendes Hintergrundwissen, kulturelle Unterschiede und Verständ- nisschwierigkeiten in der englischen Sprache waren für die Gruppenmitglieder eine Herausforderung. Gleichzeitig war jedoch gerade dies das Spannende und Lehrreiche: So konnten wir die Thematik aus neuen Perspektiven be- trachten und Lösungen in verschiedenen Richtungen suchen.

In unserer Gruppe waren Lösun-gen zum Thema Fleischkonsum ge- fordert. Die Probleme, die die intensive Fleischproduktion verursacht, sind

Fischzucht und gemüseproduktion mitten in der Stadt: im rahmen einer exkursion blicken die Studierenden hinter die Kulissen der urban Farm in Basel. Sie erfahren, wie die dachfarm mit hilfe des so genannten aquaponic-prinzips geschlossene Nährstoff-kreisläufe schafft. die Fischfarm liefert wasser und natürliche düngestoffe für die pflanzen, die das wasser wiederum säubern.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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vielfältig: Durch den Anbau von Futter-pflanzen verschärft sich der weltweite Kampf um fruchtbare Agrarflächen. Mensch und Nutztier treten in Konkur-renz um Nahrungsmittel. Gleichzeitig gehen bei der Fleischproduktion wert- volle Kalorien aus pflanzlicher Nahrung verloren, die Menschen ernähren könnten. So trägt die Fleischproduktion zur Verknappung von Lebensmitteln bei. Die heutige Massentierhaltung ist verantwortlich für klimaschädliche Treibhausgasemissionen. Der intensive Anbau von Monokulturen wie Mais und Soja als Tiernahrung trägt zur Boden- degradation bei, Dünger und Pflanzen-schutzmittel verschmutzen die Umwelt. Da der Trend trotzdem in Richtung eines steigenden Fleischkonsums geht, präsentierten wir Lösungsvorschläge, die den Fleischverzehr nicht vollständig ausschliessen. Für Personen, die nicht auf Fleisch verzichten wollen, jedoch den Konsum reduzieren und dieses Nah-rungsmittel bewusst geniessen, kreierten wir den Ausdruck ‹meatscious› – zusam-mengesetzt aus ‹meat› (Fleisch) und ‹conscious› (bewusst), was so viel be- deuten soll wie ‹bewusster Fleischesser›. Wir entwickelten ein international

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verwendbares Label, das eine nachhal- tige Fleischproduktion kennzeichnet.

Nach unserer Vorstellung sollte ein verantwortungsbewusster Umgang mit Nahrungsmitteln bereits in Kindergärten und Schulen thematisiert werden. Dies könnte man mit praktischen Übungen im Schulgarten verwirklichen. Die Kinder sollten lernen, woher Lebensmittel kommen, wie sie entstehen und welchen Wert diese haben. Ein weiterer Vorschlag unserer Arbeitsgruppe waren Vegi-Tage oder vegetarische Festivals in Städten, um eine vegetarische Ernährung bekannt und beliebt zu machen. Ausserdem griffen wir die Problematik der Lebens-mittelverschwendung auf: Heute werden nur einzelne Teile von Tieren verwer- tet. Unser Anliegen war es, dass sich dies ändert. Dafür könnten neue Kochbücher hilfreich sein. Denn heute wissen viele Menschen nicht mehr, wie man Zunge, Nierli oder Leberli zubereitet.

inseKten als alternatiVe

Wir stellten auch eine etwas exotische Fleischalternative vor: Insekten. Was heute schon in manchen Teilen der Welt selbstverständlich ist, könnte auch in Europa in Mode kommen. Denn Insekten gibt es reichlich und sie sind einfach zu halten. Da sie jegliche Art von Grün- abfällen verwerten können, konkurrie- ren sie in der Ernährung nicht mit dem Menschen. Insekten sind nahrhaft und können vielseitig zubereitet werden. Die Herausforderung liegt jedoch in der Akzeptanz durch westliche Konsumen- ten. Mit den unterschiedlichen Lösungs- ansätzen auf jeder Ebene zum Thema Fleischverzehr wollten wir zeigen, dass es durchaus Alternativen gibt, ohne dass jede oder jeder ausschliesslich vege-

tarisch leben muss. Das Ziel soll ein bewusster Konsum und Genuss von Fleisch sein.

geograPhy of fooD Die summer school ‹geography of food› ist ein gemeinsames Projekt des instituts für umwelt und natürliche ressourcen der zürcher hochschule für angewandte wissen-schaften, der Khon Kaen university (thai- land) und der università degli studi di udine (italien). Die stiftung mercator schweiz unterstützt das austauschprogramm in den Jahren 2012 bis 2015 mit 106 000 franken.Die summer school findet im jährlichen wechsel in einem der drei länder statt. Der inhaltliche fokus liegt auf den Beziehun- gen zwischen ernährung, landwirtschaft, agrarpolitik, Klima und energie. www.gof-summerschool.org

SeraiNa SchwaB studiert umweltingenieur-wissenschaften an der zürcher hochschule für angewandte wissenschaften.

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ideenaustausch und interKulturelle KomPetenzen

Thomas Bratschi hat die internationale Summer School ‹Geography of Food› initiiert. Im Sommer 2013 fand das zwei- wöchige Angebot zum ersten Mal statt. Im Gespräch gibt der Dozent des In- stituts für Umwelt und Natürliche Res- sourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Einblicke in Hintergrund und Entstehung des Programms.

Herr Bratschi, warum war es Ihnen ein Anliegen, eine internationale Sum- mer School zum Thema Welternährung zu organisieren? Die Ernährungssicherung ist eine globale Herausforderung: Wie können wir die wachsende Weltbevölkerung mit unseren begrenzten Ressourcen ernäh-ren? Auch für die Schweiz, die fast 50 Prozent ihrer Nahrungsmittel importiert, ist diese Frage zentral. Lösungsansätze liegen nicht einfach auf dem Tisch, sie sind vielfältig und komplex. Es braucht Veränderungen in unserem Konsum- verhalten, in unserem Wirtschaftssystem, in der Politik. Die Schweiz hat eine starke Tradition im Ernährungssektor. Es war uns wichtig, als Schweizer Hoch-schule die Initiative zu ergreifen und ein junges, internationales Publikum in einer Summer School zu diesem Thema zusammenzubringen. Wir möchten Studierende für Fragen der Welternäh-rung sensibilisieren, wir möchten ihre Wahrnehmung für die Problematik des zunehmenden Ressourcenverbrauchs stärken und den Ideenaustausch fördern. Mit den Universitäten in Italien und Thailand haben wir engagierte Partner gefunden.

Neben dem Thema geht es in der Summer School vor allem auch um internationale Erfahrungen. Die Summer School ist für die Studierenden eine einmalige Chance, ein gesellschaftlich wichtiges Thema aus in- ternationaler Perspektive zu behandeln: Was denken andere über das Thema? Welchen Blick haben andere Kulturen auf dieselbe Frage? Die Teilnehmer haben gelernt, trotz unterschiedlicher kultureller und fachlicher Hintergründe zielführende Diskussionen zu führen und einen Konsens zu finden. In den Gruppenarbeiten hat sich gezeigt, dass die Schweizer Profis in Ökologie sind, die Thailänder sind stark in Ökonomie und die Studierenden aus Italien sind Experten in Agronomie und Lebensmit-telverarbeitung. So konnte jeder ein- mal die Rolle des Lehrers übernehmen und die anderen unterstützen. Diese Erfahrung ist sehr wertvoll. Es ist eine gute Vorbereitung auf die Berufswelt, in der auch nicht alle den gleichen Lebenslauf, die gleichen Meinungen und Hintergründe haben. Gerade diese Bereitschaft, mit Leuten unterschied-licher Hintergründe zusammenzu-arbeiten, war uns im Auswahlverfahren wichtig. Die Studierenden haben nicht nur ihre interkulturellen Kompetenzen gestärkt, am Ende sind richtige Freund-schaften entstanden.

Die Studierenden haben sich in den Gruppenarbeiten mit spezifischen Fragen der Welternährung auseinander-gesetzt. Wie sind Sie mit den Ergeb- nissen zufrieden? Ich bin sehr zufrieden! Es waren keine einfachen Themen, die sie be-arbeiten sollten. Wir haben den Studie-

renden eine grobe Problemstellung zu den Themen Golden Rice, Kaffee, Palmöl, Fleischproduktion und Biolandbau ge- liefert – dann waren sie gefragt, Lösungs- ansätze zu suchen. Natürlich kann man die Ergebnisse nicht 1:1 umsetzen, um das Problem der Welternährung zu lösen. Das wäre vermessen, schliesslich suchen Wissenschaftler schon seit vielen Jahren nach Lösungen. Darum ging es aber auch nicht. Die Studierenden sollten sich kritisch mit den Themen ausei- nandersetzen und vor allem sollten sie lernen, zu argumentieren. Besonders erfreulich war die Kreativität, die die Stu- dierenden bei den Abschlusspräsenta- tionen bewiesen haben. Sie haben nicht einfach Powerpoint-Präsentationen gezeigt, es waren sogar Theatersequenzen und selbstgedrehte Filme dabei. Die Präsentationen waren sehr ausgewogen, jeder Teilnehmer hat eine aktive Rolle übernommen.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

Kontakt: zürcher hochschule für angewandte wissenschaften, thomas Bratschi,[email protected]

iNterView / NadiNe FieKe

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text / chriStoph SpurK uNd MichaeL SchaNNe

Den Kleinbauern Kenias geht es wie dem Grossteil der Bauern in Afrika: Sie bearbeiten meistens viel zu kleine Parzellen, um mit herkömmlichen landwirtschaftlichen Methoden ausrei-chend Nahrung und Einkommen erwirtschaften zu können. Ein Ausweg ist es, die Produktivität zu erhöhen – also mit verbesserten, möglichst umwelt- freundlichen Anbaumethoden die Erträge zu steigern. Die landwirtschaftliche Forschung stellt eine breite Palette an Erkenntnissen, Verfahren und Inno- vationen bereit, die auch in kleinbäuer- lichen Betrieben umgesetzt werden können. Gerade in Kenia sind einige renommierte Institute der internationa-len Agrarforschung zuhause. Dazu zählen das International Livestock Research Center (ILRI) oder das Institut für bio- logische Schädlingsbekämpfung (icipe). Doch die Kleinbauern wenden die Innovationen der Forschung kaum an.

umsetzung Von innoVationen

Woran liegt das? Wissenschaftler des Instituts für Angewandte Medien- wissenschaft (IAM) der Zürcher Hoch-schule für Angewandte Wissenschaften,

Winterthur, und des Multimedia Univer- sity College of Kenya, Nairobi, suchten nach Antworten auf diese Frage. Es gibt vielfältige Gründe, warum Innovatio-nen aus der Forschung kaum umgesetzt werden: Die Bauern können sich die neuen Methoden oder das verbesserte Saatgut nicht leisten. Oder sie scheuen das Investitionsrisiko, ohne eine Garan-tie dafür zu haben, dass sich dieses tatsächlich lohnt. In ihrem Forschungs-projekt ‹Shortcomings in Communica-tion in Agricultural Knowledge Transfer› (Kommunikationsmängel im Transfer von landwirtschaftlichem Wissen) gehen die Wissenschaftler von einer näher liegenden Vermutung aus: Die Klein- bauern erfahren erst gar nichts von den innovativen Verfahren und Produkten der Agrarforschung. Die Wissenschaftler fragten sich deshalb: Wo und wie infor-mieren sich die Kleinbauern? Was wollen sie wissen? Verstehen sie, worin die Innovationen der Agrarforschung beste- hen? Sind die Informationen der Forschung ihren Bedürfnissen entspre-chend aufbereitet? Diese Fragen be- trachteten die Forscher in ihrem Projekt konsequent aus Sicht der Kleinbauern.

es fehlen Gute informationen für Kleinbauern

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Persönliche gesPräche

Zwischen Oktober und Dezember 2012 suchten sie 600 Haushalte auf und befragten die Kleinbauern in ihrer loka-len Sprache. Beim Auswahlverfahren gingen die Wissenschaftler von den drei wichtigsten agrarökologischen Zonen Kenias (hohes, mittleres, und geringes Ertragspotenzial) aus. Innerhalb dieser Gebiete wurden in verschiedenen Stufen der Zufallsauswahl zwölf Dörfer und in diesen wiederum die zu befragen-den Haushalte nach dem Verfahren des ‹random walk› ausgewählt. Dabei suchten die Interviewer die Haushalte nach einer präzisen Anweisung aus. Zum Bei-spiel: «Jedes dritte Haus auf der rechten Wegseite, nachdem Sie zuvor nach links abgebogen sind.» Das verhindert, dass die Forscher (unbewusst) immer nur die bequemeren Wege gehen oder die rei-cher aussehenden Haushalte auswählen. So lassen die Ergebnisse Rückschlüsse auf die Gesamtheit der kenianischen Klein- bauern zu. Die Stiftung Mercator Schweiz hat das Projekt mit 50 000 Franken unterstützt, auch die Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz förderte die Studie.

SchwerpuNkt weLterNähruNg

Die Umfrage zeigt: Das Radio ist für kenianische Kleinbauern der wichtigste Medienkanal. 95 Prozent der Kleinbauern hören regelmässig Radio; und zwar meistens in ihrer Lokalsprache, nicht in Eng-lisch oder Kiswahili, den offiziellen Landesspra- chen. Auch für landwirtschaftliche Informationen nutzen sie – neben dem Gespräch mit dem Nach- barn – am häufigsten das Radio. Es zeigt sich, dass sich Kleinbauern, die bereits Innovationen umge- setzt haben, von den weniger innovativen darin un- terscheiden, dass sie weitaus häufiger Radio hören. Die Informationsquelle mit der höchsten Glaubwür-digkeit ist für die Kleinbauern der Beratungsdienst der Regierung, erst danach folgt das Radio. Doch viele Bauern sind unzufrieden, weil die Regierung immer weniger Berater beschäftigt und diese weniger Zeit und Mittel haben, die Bauern wirklich aufzusuchen.

waS SiNd die wichtigSteN erKeNNtNiSSe auS der BeFraguNg?

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So sind sie meistens nur an organisierten Feld- tagen ansprechbar, die nur ein oder zwei Mal pro Saison stattfinden.

Mobiltelefone spielen entgegen der Erwartun-gen der Forscher kaum eine Rolle, um landwirt-schaftliche Informationen zu beziehen. Der Zugang zu Mobiltelefonen ist auf dem Land immer noch beschränkt (66 Prozent der Landbevölkerung hat Zugang). Mobiltelefone werden fast ausschliess- lich genutzt, um soziale Kontakte zu halten, Ver- abredungen zu treffen oder Geld zu überweisen. Optimistischen Aussagen von Nichtregierungsorga-nisationen (NGOs), Industrie und auch von der staatlichen Verwaltung zum Potenzial der

Smartphone-Kommunikation in der Landwirtschaft ist aus Sicht des Forschungsprojekts mit deut- licher Skepsis zu begegnen: Was in der Hauptstadt Nairobi mit ihrer wachsenden Mittelschicht ‹en vogue› ist, funktioniert kaum für ländliche Gebiete; vor allem, wenn komplexe Informationen verstan-den und nicht nur mitgeteilt werden sollen.

Die Befragungen zeigen, dass die Bauern ins- gesamt nicht die Informationen erhalten, die sie sich wünschen. Sie möchten nicht nur technische Informationen (Welchen Dünger muss man wann aufbringen?) erhalten, sondern auch wirtschaftliche Hinweise (Wie rechnet sich eine Massnahme? Wie viel Arbeit muss ich dafür zusätzlich aufwenden?

Wo bekomme ich das Startkapital?). Eine Bäuerin erklärte im Gespräch: «Ich brauche keine Infor- mationen mehr zu einer neuen Sorte oder zu einem Anbauverfahren, wenn ich nicht gleichzeitig er- fahre, wie ich die Innovation tatsächlich umsetzen kann.» Die Kleinbauern möchten nicht, dass eine (vermeintliche) Autorität wie ein Regierungsbe- rater oder ein NGO-Vertreter ihnen sagt, was sie tun sollen. Sie wollen vielmehr über ihre Optionen unterrichtet werden, die Zusammenhänge verstehen

SchwerpuNkt weLterNähruNg

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Um Informationen an Kleinbauern zu vermitteln, sollte das Radio aufgrund seiner starken Verbrei- tung und intensiven Nutzung im Zentrum stehen. Andere Medienangebote können diesen Kanal ergänzen. Möchten Programmverantwortliche und Radiomacher journalistisch gehaltvolle und für Kleinbauern nützliche Landfunk-Programme ge- stalten, ist es wichtig, dass sie die Beratungs- dienste der Regierung als Quelle und Inspiration (kritisch) nutzen. Umgekehrt sollten auch die Beratungsdienste die Bedeutung des Mediums Radio erkennen, um Informationen an ihre Zielgruppe zu bringen.

Damit Innovationen der Agrarforschung vermehrt den Weg in die Umsetzung finden, müs- sen die wissenschaftlichen Institutionen ihre Bringschuld erkennen und vermehrt Informations-anstrengungen auf sich nehmen. Die Forscher vor Ort kommunizieren nämlich fast nie direkt mit den Bauern (nur 7 Prozent der Kleinbauern erhalten häufig Informationen aus der Forschung), sie müs- sen den Weg über die staatliche Beratung gehen. In einer Veranstaltung mit Agrarwissenschaftlern, die im Juli 2013 im Rahmen des Forschungsprojekts in Nairobi stattfand, wurde bemängelt, dass dadurch viele neue Ergebnisse gar nicht bis zu den Bauern ge- langen. Die Wissenschaftler wünschten sich, dass ihre Institute mehr in die professionelle Kommuni-kation der Forschungsergebnisse investieren, um die Agrarforschung nutzbar zu machen. Dabei sollten die verschiedenen Handlungsoptionen mit all ihren Vor- und Nachteilen aufgezeigt werden, um den Kleinbauern Grundlagen für eigene Entscheidungen zu bieten.

Die Medienforschung sollte sich stärker der Kommunikation mit Bauern widmen: Wie gut sind die Informationen tatsächlich, die übers Radio ver- mittelt werden? Wie viel PR ist dabei? Wird wirklich das Verständnis gefördert? Wann könnten SMS

und dann selbst entscheiden, was sie umsetzen möchten. Viele Kleinbauern geben an, dass sie kaum über traditionelles und lokales Wissen verfügen. Sie machten darüber hinaus darauf aufmerksam, dass ihnen Ausbildung und gesicher- tes Erfahrungswissen fehlen und dass sie dieses dringend nachholen müssten.

sinnvoll sein? Wie werden Informationen von Bau- ern und Bauerngruppen verarbeitet? Das wurde in einem Workshop diskutiert, auf dem die Forscher mehreren Bauernorganisationen, Radiostationen und dem Landwirtschaftsministerium ihre Ergeb-nisse vorgestellt haben. Für alle Beteiligten wäre es wichtig zu erfahren, mit welchem Kommunikati-onsmix am ehesten Innovationen übernommen werden. Dazu wird zurzeit ein neues vergleichendes Forschungsprojekt aufgegleist. Die Erkenntnisse könnten anschliessend in der Informationsarbeit von Forschungsinstituten, Radiostationen, Beratungs-diensten und NGOs umgesetzt werden. Damit würde sichergestellt, dass neue Ideen auch wirklich von den Kleinbauern verstanden und umgesetzt werden.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass neben Infor- mationen auch die Bildung eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Innovationen spielt. Dass so viele Landwirte erwähnt haben, ihnen fehlten Kenntnisse zur guten landwirtschaftlichen Praxis, ist überraschend. Offenbar ist früheres Wissen verloren gegangen (durch eine Abwanderung in die Städte?) oder nicht weitergegeben worden, und scheinbar fangen viele (junge) Leute wieder mit der Landwirtschaft an. Man könnte darüber nachdenken, ob eine Grundbildung übers Radio – zum Beispiel als Funkkolleg – nachgeholt werden kann. Die Ergebnisse und Empfehlungen des Forschungspro-jekts werden in Kenia und in der Schweiz breit gestreut – an Forschungsinstitutionen, Beratungs-dienste, Verbände und NGOs, die in entsprechenden Bereichen tätig sind.

chriStoph SpurK uNd MichaeL SchaNNe leiten das Forschungsprojekt. die dozenten am institut für ange-wandte Medienwissenschaft der zürcher hochschule für angewandte wissenschaften haben bereits mehrere projekte empirischer Forschung zu Journalismus und Kommunikation in afrika durchgeführt. [email protected], [email protected]

waS BedeuteN die ergeBNiSSe Für die praxiS?

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wie können wir eine nachhaltige energieversorgung sicherstellen? auf der Suche nach antworten besuchen die Studierenden unter anderem die windstromanlage Mont-crosin im Berner Jura.

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enerGie für die zuKunft

Symbol für einheimische Strompro- duktion und Energieautarkie zum Eckpfeiler einer kontinental vernetzten Energielandschaft.

Besuch im atomKraftwerK

Eine andere Technologie mit weit kon- troverserem Hintergrund erwartete uns im Aargau: Nuklearenergie hat in der Öffentlichkeit derzeit keinen guten Stand. Kraftwerke gelten als tickende Zeitbomben. Ein Besuch des Kraftwerks Beznau, eine Führung durch das Zwischenlager für atomare Abfälle und ein Vortrag zum Thema reichten nicht aus, um unsere Fragen restlos zu beantworten. Erst eine zweite, nach- träglich organisierte Führung ins Innere des Kernkraftwerks machte uns die Zusammenhänge klar. In Schutzmontur und ausgerüstet mit einem persönli- chen Dosimeter durchschritten wir die endlosen Gänge eines klinisch sauberen Betonlabyrinths. Unzählige Rohre

In Europa und auf der ganzen Welt zerbricht man sich den Kopf, wie in Zukunft eine nachhaltige Energie- versorgung sichergestellt werden kann. Experten präsentieren Zahlen und Fakten, die regelmässig korri- giert werden. Für die einen scheint die Energiewende in greifbarer Nähe zu sein, für andere ist sie ein Ding der Un- möglichkeit. In der Öffentlichkeit sorgt dies für Verwirrung. Die dreiwö- chige Sommerschule ‹Energy Per- spectives: Present and Future Technol- ogies› bot 30 Studierenden aus 13 Ländern die Chance, sich Klarheit über das Thema zu verschaffen. Ich war einer von ihnen.

einDrÜcKliche exKursionen

Es war die erste Sommerschule des ‹European Campus of Excellence› in der Schweiz. Organisiert von der Schwei- zerischen Studienstiftung wurde uns ein abwechslungsreiches Programm ge- boten: Zahlreiche Vorträge renommier-ter Wissenschaftler zu verschiedenen Aspekten der aktuellen Energiediskus- sion standen ebenso auf der Tagesord- nung wie technische Vorlesungen und eindrückliche Exkursionen. Das Spekt-rum der besprochenen Technologien reichte von Atomkraft über Windenergie und Brennstoffzellen bis hin zu Sonnen- öfen und visionärer Kernfusion. Wir wollten alles wissen: Technische Details zur Funktionsweise von Anlagen, Entwicklungspotenzial für die Zukunft, politische Herausforderungen und Wirtschaftlichkeit. Keine Frage blieb unbeantwortet. Falsche Einschätzungen wurden korrigiert und neue Ideen kri- tisch analysiert. Wofür sonst mindestens ein Semester an Vorlesungen nötig wäre, erarbeiteten wir innerhalb von nur drei Wochen zusammen mit internatio-nalen Experten.

Eine der zahlreichen Ausflüge führte uns tief in den Alpenraum auf den

Grimselpass. Nebel umhüllte die Berg- kulisse. Es nieselte aus der dichten Wolkendecke. Mitten in diesem Nirgend-wo galt unser Interesse den imposan- ten Staumauern und Wasserkraftwerken. Was in dieser ‹Zwischenwelt› – weder naturbelassen noch besiedelt – geschieht, betrifft ganz Europa: Es wird Elektri- zität produziert. Das wahre Potenzial der Wasserkraft liegt in seiner Flexibilität. Kaum ein anderer Kraftwerkstyp kann derart schnell reagieren wie ein Spei- cherkraftwerk. Was verkauft wird, ist nicht nur Elektrizität, sondern Strom auf Abruf – minutengenau auf den Stromverbrauch angepasst, so dass das Stromnetz nicht zusammenbricht. Diese Fähigkeit wird in Zukunft im Hin- blick auf unbeständigen Solar- und Windstrom wohl noch stärker nachge-fragt sein. Und dies nicht nur in der Schweiz, sondern international. Damit wandelt sich das abgelegene Wasser- kraftwerk in den Schweizer Alpen vom

text / adriaN hauSwirth

tätigkeitSbereich wiSSeNSchaFt

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und Kabel verliefen über unseren Köpfen. Alles ungefährlich, liessen wir uns sagen. Und tatsächlich: Die gemesse-ne Strahlendosis war kaum höher als an der frischen Luft. Wir sahen etliche Notfallpumpen und Notstromgenera- toren – zur Sicherheit alles in mehrfacher Ausführung und überprüft im Zwei- wochenrhythmus. Es mag keine absolute Sicherheit für ein Atomkraftwerk geben, aber zwei Dinge wurden uns bei der Führung deutlich: Die Aufmerksamkeit des Personals gilt der Sicherheit der Anlage. Und in der Schweiz werden keine Kosten gescheut, um Atomkraftwerke laufend nach neusten Erkenntnissen aufzurüsten.

Der entschiedene Atomausstieg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Kapitel noch lange nicht abge-schlossen ist. Atomkraftwerke abzuschal-ten, ist einfach. Sie gefahrlos zu de- montieren und radioaktiven Abfall sicher zu lagern, ist jedoch eine langwieri- ge Aufgabe. Auch die Forschung ist noch nicht am Ende: Es existieren zahlrei- che Ideen, um Kernkraftwerke sicherer und effizienter zu bauen, radioaktive Abfälle zu trennen und diese teilweise unschädlich zu machen. Doch ob solche neuen Konzepte je umgesetzt werden können, steht in den Sternen.

ohne winD Keine energie

Lehrreich war auch unser Besuch der Windstromanlage Mont-Crosin im Berner Jura. Das frühe Vorzeigeprojekt für erneuerbare Energieproduktion wurde mittlerweile mit neuen Windtur-binen aufgerüstet. Ob modernste, 140 Meter hohe Windturbinen ein Zei- chen technologischen Fortschritts sind oder ob sie ‹nur› die Landschaft verschandeln, wird in der Öffentlich- keit immer wieder diskutiert. Die Lärmbelastung hätte unsere Gruppe interessiert, aber am Tag unseres Besuchs blies kein ausreichend starker Wind. Damit wurde auch kein Strom produziert. Aber man versicherte uns, dass die gesamte Anlage mit ihren 16 Windturbinen im Jahresmittel rund 12 000 Haushalte mit Elektrizität ver- sorgt. Das tönt vielversprechend, zeigt aber auch, wie ambitioniert die ge- plante Energiewende ist: Möchte man ein konventionelles Kraftwerk mit Windenergie ersetzen, braucht es dazu tausende Windturbinen – und fort- während starken Wind.

zentrale herausforDerung

Welche Erkenntnis bleibt mir? Der nach- haltige Umgang mit Energie ist eine zentrale Herausforderung für die heutige

Generation. Gleichzeitig existiert keine Patentlösung. Jede Energietechnolo- gie hat Vor- und Nachteile. Jede Techno-logie verlangt nach den passenden Voraussetzungen. Und jede Technologie bringt Konsequenzen mit sich, die wir tragen müssen. Energieprojekte kön- nen nicht allein anhand ihres Produkti-onspotenzials beurteilt werden. Wirt-schaftlichkeit, Verfügbarkeit, Sicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz sind letztlich die kritischen Faktoren, die über den Erfolg der Energiewende entscheiden.

tätigkeitSbereich wiSSeNSchaFt

euroPean camPus of excellence Der european campus of excellence (ece) vernetzt internationale summer schools miteinander. studierende werden mit stipen-dien unterstützt. sie forschen und lernen mit renommierten wissenschaftlern. Durch die Koordination der summer schools und die förderung der teilnehmenden durch den ece erhöht sich die attraktivität der inter- nationalen angebote. Die schweizerische studienstiftung hat die summer school ‹energy Perspectives: Present and future technologies› in der schweiz organisiert. Die stiftung mercator schweiz unterstützte dieses angebot mit 220 000 franken. www.studienstiftung.ch

adriaN hauSwirth studiert ‹robotics, Systems and control› an der eth zürich. er ist Stipendiat der Schweizerischen Studienstiftung.

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Es war das erste Mal, dass der European Campus of Excellence in der Schweiz stattfand. Die Schweizerische Studien- stiftung hat die Veranstaltung zum Thema Energie organisiert. Die Premiere war ein grosser Erfolg, freut sich Ge- schäftsführer Professor Cla Reto Famos. Und sie zeigt, wie die Studienstiftung in Zukunft ihr Angebot zur Förderung von begabten und breit interessier- ten Studierenden und Doktorierenden weiterentwickeln könnte.

Herr Famos, die Schweizerische Studienstiftung richtet sich mit ihren Angeboten an ausgezeichnete Studie- rende. Warum brauchen gerade diese eine spezielle Förderung? Herausragende Leistungen sind nicht selbstverständlich, auch wenn es oft angenommen wird. Wir müssen begabten jungen Menschen neue Per- spektiven eröffnen, die ihnen verschiede-ne Dimensionen des Handelns und Denkens auftun, damit sie ihre Talente und ihre Persönlichkeit entfalten kön- nen. Ihr Potenzial so gut wie möglich zu fördern, ist im Interesse der Gesell- schaft. Es wäre ein Trugschluss, zu glau- ben: Diese Leute sind schon gut, sie brauchen keine zusätzliche Förderung.

An welche Formen der Förderung denken Sie? Im Einzelfall brauchen die Stu- dierenden vielleicht keine finanzielle Förderung. Deshalb drücken wir ihnen auch nicht einfach Geld in die Hand. Das Angebot, das wir ihnen machen, geht über eine finanzielle Förderung hinaus: Mit unserem studienergänzenden

Bildungsprogramm und mit einer indi- viduellen Betreuung ermöglichen wir es ihnen, sich und ihre Talente weiterzu-entwickeln. In Sommerakademien, auf Exkursionen und in Seminaren können sich unsere Stipendiaten mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinander-setzen. Sie erweitern ihren Horizont, stärken ihre sozialen und kommunikati-ven Kompetenzen. Das Attraktivste an unserem Programm sind für viele die zahlreichen Vernetzungsmöglichkeiten: Wir bringen die Stipendiaten mit der Wirtschaft zusammen, wir vernetzen sie im akademischen Bereich und mit anderen exzellenten Studierenden. So ermöglichen wir es ihnen, schon in jungen Jahren ihre eigenen Netzwerke aufzubauen.

Mit Ihrer Sommerschule haben Sie das Angebot der Studienstiftung zum ersten Mal international geöffnet. Warum war Ihnen das wichtig? In der Entwicklung der Schwei- zerischen Studienstiftung soll die globale Perspektive eine zunehmende Bedeu- tung erhalten. Der European Campus of Excellence passt sehr gut zu diesem strategischen Ziel – und in unser Förder- programm: Wir können damit unsere Stipendiaten international mit Gleichalt-rigen vernetzen, die ähnliche Interessen haben. Wir ermöglichen es ihnen, sich im interdisziplinären Dialog intensiv mit einem gesellschaftlich relevanten Thema zu beschäftigen. Gleichzeitig können wir ein Angebot machen, das für exzel-lente Studierende aus anderen Ländern attraktiv ist. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrungen, die die Teilnehmenden machen konnten, einen langanhaltenden Effekt haben werden.

«herausraGende leistunGen sind nicht selbstverständlich»

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tätigkeitSbereich wiSSeNSchaFt

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Nicht nur die internationale Zusammen-arbeit war wichtig in der Sommerschule, sondern auch die interdisziplinäre. Der interdisziplinäre Austausch, die interdisziplinäre Perspektive ist ein zentrales Element unseres Bildungs-programms. Wir sind überzeugt, dass interdisziplinäre Erfahrungen eine wichtige Ergänzung zum Fachstudium sind. Die heutigen komplexen Prob- leme können am besten in einer inter- disziplinären Perspektive angegangen und gelöst werden. Entsprechend wichtig ist es, den interdisziplinären Dialog, der später im Berufsleben unab-dingbar ist, schon früh zu üben. Für die Anmeldung zur Sommerschule gab es einige Voraussetzungen: Alle Studie-renden mussten thermodynamische Grundkenntnisse ausweisen. Dadurch war die Interdisziplinarität ein bisschen eingeschränkt – aber gerade deshalb war der Dialog zwischen den Disziplinen auf einem sehr hohen Niveau. Auch die Dozierenden waren begeistert von den Studierenden.

Warum haben Sie das Thema ‹Energie› für den European Campus of Excellence in der Schweiz gewählt? Fragen der Energiesicherheit und der nachhaltigen Energieversorgung gehören zu den wichtigsten Themen, die unsere Gesellschaft heute umtreibt. Das war eine Überlegung, weshalb wir das Thema gesetzt haben. Eine andere Über- legung war: Welchen besonderen inhaltlichen Beitrag kann die Schweiz für den European Campus of Excellence leisten? Mit dem Paul Scherrer Institut und der ETH Zürich hat die Schweiz zwei Institutionen, die sich auf sehr hohem Niveau mit Energiefragen auseinander-setzen. Diese zwei Institutionen konnten wir als Partner gewinnen. Im Nach-hinein muss ich sagen: Das Thema war gut gewählt. Wir konnten den Teilneh-menden einen spannenden inhaltlichen und methodischen Mix bieten.

Wie sollen sich die Angebote der Schweizerischen Studienstiftung weiterentwickeln? Der European Campus of Excel-lence war ein erfolgreicher Testlauf, der uns zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Es steckt sehr viel Potenzial in diesem Modell. Bei der Ausschreibung wussten wir nicht: Wie wird das Echo sein? Melden sich überhaupt Studie-

rende an? Am Ende war das Angebot dreifach überbucht, so konnten wir sogar eine Auswahl der Besten treffen. Der European Campus of Excellence hat unseren Studierenden in der Schweiz eine zusätzliche Dimension der Förde-rung ermöglicht. Und nicht zuletzt ist ein solches Angebot auch eine hervor-ragende Gelegenheit, um die Schweiz in der Welt und bei zukünftigen Entschei- dungsträgern bekannt zu machen. Gerne würden wir in Zukunft auch in anderen Wissenschaftsbereichen die Besten aus ganz Europa zusammenbrin-gen, um sie mit unserem Nachwuchs zu vernetzen.

die Sommerschule bringt Studierende aus ganz europa zusammen. im paul Scherrer institut erhalten sie einblicke in modernste Forschungstechnik.

tätigkeitSbereich wiSSeNSchaFt

Kontakt: Schweizerische Studienstiftung,cla reto Famos, [email protected]

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mehrWert für die Gesellschaft

mercator awarDs nachwuchsforschende der universität zürich werden von Professoren ihrer fakul- tät für die mercator awards vorgeschlagen. in einem zweiten schritt entscheiden die fakultäten, welche maximal zwei vor- geschlagenen Personen sie für einen der drei awards in den Bereichen geistes- und sozialwissenschaften, rechts- und wirt-schaftswissenschaften sowie medizin und naturwissenschaften nominieren. Die endgültige auswahl der Preisträger trifft eine interdisziplinär zusammengesetzte Jury, vor der alle nominierten ihre arbeit vorstellen müssen. Die stiftung mercator schweiz stellt in den Jahren 2013 bis 2017 für die mercator awards 120 000 franken zur Verfügung. www.grc.uzh.ch

«Doktorierende leisten einen Grossteil der Forschung an Universitäten», erklärt Dr. Marie-Christine Buluschek, Geschäftsführerin des Graduate Campus der Universität Zürich. Sie arbeiten an gesellschaftlich relevanten Themen. Doch ihre Leistungen werden oft nicht ausreichend wahrgenommen. «Wir möchten der Öffentlichkeit zeigen, welch grossen Wert die Arbeit von Dokto- rierenden und Postdoktorierenden hat.» Deshalb vergibt der Graduate Campus einmal im Jahr die Mercator Awards in den Bereichen Geistes- und Sozial- wissenschaften, Rechts- und Wirtschafts-wissenschaften sowie Medizin und Naturwissenschaften. 2013 wurden der Rechtswissenschaftler Martin Brenncke, der Computerlinguist Rico Sennrich und der Neurobiologe Thomas Wälchli von einer interdisziplinären Jury für ihre Doktorarbeiten ausgezeichnet. «Alle drei Gewinnerprojekte schliessen entscheidende Forschungslücken», lobt Professor Heini Murer, Direktor des Graduate Campus. «Sie alle leisten einen grundlegenden Mehrwert für die Gesell-schaft, wo ihre Forschungsergebnisse Anwendung finden.»

interDisziPlinärer ansatz

Neben Kriterien wie gesellschaftliche Relevanz, wissenschaftliche Qualität, erste Forschungsergebnisse und Origi- nalität ist es die Interdisziplinarität, die über die Vergabe der Preise entschei-det. «In der heutigen hochkomplexen Welt reichen monodisziplinäre Ansätze meistens nicht aus, um ein Problem in all seinen Facetten anzugehen», be- tont Heini Murer. Entsprechend sei es wichtig, junge Forscher schon früh zu motivieren, Forschungsfragen fächer-übergreifend anzugehen – auch wenn

dieser Ansatz oft aufwändiger sei. Die Preisträger 2013, davon ist der Direktor des Graduate Campus überzeugt, übernehmen mit ihrer Forschung eine Vorreiterrolle für ihre Fachbereiche. herausforDerungen Der forschung «Eine grosse Herausforderung der inter- disziplinären Forschung ist die sehr unterschiedliche Sprache, die in den ver- schiedenen Disziplinen gesprochen wird», weiss Preisträger Thomas Wälchli. Er beschäftigt sich mit der Bildung von Blutgefässen im Gehirn – und dafür benötigt er Kenntnisse aus Biologie, Medizin, Ingenieurwissenschaften und Nanotechnologie. «Ich musste mir für meine Arbeit Methoden aus Mathe-matik und Informatik selbst aneignen», erklärt der Linguist Rico Sennrich, der in seiner Dissertation computer- basierte Übersetzungen weiterentwickelt. Ähnlich erging es dem Rechtswissen-schaftler Martin Brenncke. Er setzte sich für seine Forschung zur Regulierung von Finanzdienstleistungen intensiv mit psychologischen und (verhaltens-) ökonomischen Ansätzen auseinander. «Um die Erkenntnisse anderer Wissen-schaften richtig zu interpretieren, braucht man ausreichende Kenntnisse dieser Bereiche», betont er. Geholfen hat ihm der regelmässige Austausch mit Vertretern der anderen Disziplinen.

Auch wenn die Arbeit an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen anspruchsvoll ist, empfinden alle drei Doktoranden diese als sehr wertvoll: «Fügt man die unterschiedlichen Herangehensweisen im Rahmen einer klar definierten Fragestellung zusam-men, ergibt sich daraus ein Mehrwert für die Forschung und langfristig auch für die Praxis», erklärt Thomas Wälchli.

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Kontakt: graduate campus der universität zürich, dr. Marie-christine Buluschek, [email protected]

text / NadiNe FieKe

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thoMaS wäLchLiNeurobiologe

«als Mediziner ist es mein primäres ziel, kranken Menschen zu helfen. als For-scher möchte ich die Blutgefässbildung im gehirn besser verstehen und damit langfristig zu verbesserten therapien bei gehirntumoren, hirnaneurysmen und Schlaganfällen beitragen.»

Sein Werdegang sprengt die Grenzen einzelner wissenschaftlicher Disziplinen: Nach einem Ingenieurstudium an der EPFL und einem Medi- zinstudium an der Universität Zürich hatte Thomas Wälchli den Wunsch, zu forschen. Inner- halb des MD-PhD-Programms doktoriert er nun an der Schnittstelle zwischen Medizin, Ingenieur-wissenschaften und Biologie. «Mich fasziniert es, Grundlagenforschung und den klinischen Alltag zusammenzubringen», sagt der 34-jährige Berner. Inspiriert haben ihn nicht zuletzt die forschenden Chirurgen, die er an der Harvard Medical School in Boston erlebte. Das zentrale Ergebnis seiner Zürcher Dissertation: «Nogo-A ist ein Hemmer der Formierung von neuen Blut- gefässen im Zentralnervensystem.» Nogo? Der Name steht für ein Protein, das das Wachstum von Nervenzellen, zum Beispiel nach Rückenmarks- verletzungen, hemmt. No-go eben. Das Wissen um

die wachstumshemmende Funktion dieses Proteins ist für die Grundlagenforschung und die klini- sche Forschung im Bereich der Nervenregeneration relevant. Die nun entdeckte – neue – Funktion des Proteins hat ebenfalls grosses Potenzial. Bei-spielsweise müssen nach Verletzungen Blutge- fässe nachwachsen können, bei Gehirntumoren hin- gegen soll deren Wachstum gehemmt werden. Das Ziel von Thomas Wälchli ist es, die Formierung von Blutgefässen im Gehirn besser zu verstehen. Generell ist das Verständnis der Bildung und des Ver- haltens von Gefässen relevant für Biologie, Medizin und Nanotechnologie. Der Doktorand spricht von «translationaler Forschung» – die Schnittstelle zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung sowie deren Anwendung im klinischen Alltag.

Entstanden ist die Doktorarbeit aus einer Kooperation des Instituts für Hirnforschung (ETH und Universität Zürich), der Klinik für Neurochi- rurgie (Universitätsspital Zürich), des Zentrums für Regenerative Medizin (Universität und Universitäts-spital Zürich) und des Departements Gesund- heitswissenschaften und Technologie (ETH Zürich). «Dass ich nun sogar einen Preis gewinne, war nur aufgrund der ausgezeichneten Teamarbeit möglich. Speziell danken möchte ich meinen Professoren», sagt Thomas Wälchli, dessen Forscherdrang keines-wegs gestillt ist. Sein Traum: Als forschender Neurochirurg Wissenschaft und Praxis zu verbinden.

die drei preisträger nehmen bei der auszeichnungsfeier gratulationen entgegen: thomas wälchli, rico Sennrich und Martin Brenncke (v.l.)

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MartiN BreNNcKerechtswissenschaftler

«rechtliche Normen sollen zumeist ein soziales problem lösen. deshalb ist es wichtig, die probleme zu verstehen, die den hintergrund einer rechtlichen Vorschrift bilden.»

Die Finanzwelt liebt Kurven, die nicht mehr zu wachsen aufhören. Doch manchmal ist die Botschaft – eine scheinbar endlose Geldvermehrung – irre- führend. Und möglicherweise ein Fall für die Juristen. Manipulative Werbung steht im Forschungsfokus von Martin Brenncke. Der 32-jährige deutsche Doktorand am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich beschäftigt sich mit Werbemate- rialien aus dem Finanzsektor. Manche davon werden in renommierten Zeitungen publiziert. «Manipulativ wird die Werbung zum Beispiel dann, wenn die Darstellung glauben machen will, dass sich die histo- rische Performance etwa eines Fondsprodukts in die Zukunft fortschreiben lasse», erklärt Martin Brenncke. Doch was die stetig wachsende Kurve suggeriert, widerspricht der ökonomischen Lehre. Studien aus der Psychologie und der Verhaltens- ökonomie zeigen, dass Anleger dazu neigen, an die Fortsetzung einer historischen Performance in der Zukunft zu glauben, wenn die Werbung es ihnen weismachen will. «Das erklärt, warum sich der Geldzufluss allein durch Werbung in Investment-fonds stark erhöhen kann.»

Einer der Vorschläge in Martin Brennckes Ansatz ist es, dass im Sinne einer Anpassung des Vertriebsrechts im Finanzbereich bei solcher Werbung ein effektiver Warnhinweis angebracht werden muss – allerdings nicht ganz so dras- tisch wie auf Zigarettenschachteln. «Ausserdem dürfen die historischen Daten nicht ohne die gleichzeitige Erwähnung der Kosten und Risiken eines Anlageprodukts präsentiert werden», sagt Martin Brenncke. Seine Arbeit ist brandaktuell, da derzeit in der Schweiz ein neues Finanzdienst- leistungsgesetz diskutiert wird. Die Auszeichnung seiner Dissertation bedeutet Martin Brenncke, der später habilitieren möchte, sehr viel. «Damit werde ich für eine lange Durststrecke belohnt, und mein interdisziplinärer Ansatz wird gewürdigt.»

rico SeNNrichcomputerlinguist

«die welt ist zunehmend vernetzt. die Sprachbarriere ist eine der letzten grossen Barrieren im Kommunika- tionsalltag. ich möchte einen Beitrag dazu leisten, diese abzubauen.»

Haben Sie sich auch schon gewundert, was für skurrile Sätze ein gängiges Übersetzungsprogramm wie etwa Google Translate manchmal formuliert? An der Optimierung der maschinellen Übersetzung arbeiten Spezialisten weltweit. Einer davon ist Rico Sennrich, Doktorand am Institut für Compu-terlinguistik der Universität Zürich. Der 27-jährige St. Galler hat bereits mehrere Tools program- miert, die in bestehende Übersetzungsprogramme integriert wurden. Eine der Schwierigkeiten ma- schineller Übersetzung betrifft feste Redewendun-gen: Steht vor dem englischen ‹course› ein ‹of› (of course), verändert sich die Bedeutung fundamen- tal. Statt ‹Kurs› bedeutet der Ausdruck nun ‹ge- wiss, natürlich›. Was einem menschlichen Überset-zer kaum Kopfzerbrechen bereitet, bringt den Computer sozusagen in Verlegenheit. Oft entstehen in diesem Fall sinnwidrige Übersetzungen. Zur- zeit jedenfalls noch – denn Rico Sennrich hat eine Methode entwickelt, die es Übersetzungsprogram- men erlaubt, mit Hilfe des grammatischen Kontexts Redewendungen zu identifizieren. Im Hauptteil seiner Dissertation beschäftigt sich Rico Sennrich mit der Übersetzung von Mehrdeutigkeiten. Mit Deutsch ‹der Pass› kann – je nach Kontext – auf Französisch ‹la passe› (der Pass beim Fussball), ‹le col› (der Bergpass) oder aber ‹le passeport› (der Reisepass) gemeint sein. Das neue Verfahren von Rico Sennrich ermöglicht es der Maschine, sich an eine bestimmte Textart anzupassen und diejeni-gen Übersetzungen zu bevorzugen, die in dieser Textart dominieren.

An seiner Forschung fasziniert Rico Sennrich, dass er «seine Ideen direkt an der Realität austesten und bei der Lösung konkreter Probleme helfen kann». Da die Codes frei zugänglich sind, arbeiten bereits Computerlinguisten in mehreren Ländern mit seinen Tools, die in der Praxis eine ausge- zeichnete Performance abgeben. Kein Wunder, hat der Doktorand Angebote von führenden Hoch- schulen für ein Postdoc-Studium. Auch auf längere Frist strebt er eine wissenschaftliche Karriere an.

die drei textporträts sind im Journal der universität zürich (Nr. 3 / 2013) erschienen. autor ist der Journalist daniel Bütler.

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Wo ist ?eSMeraLda

Esmeralda ist verschwunden. Vater und Freunde sind verzweifelt. Zuletzt wurde die 15-Jährige aus Winterthur um 7.30 Uhr in der Stadtbibliothek gesehen. Seither fehlt von ihr jede Spur. Das ist die einzige Information, die die Schüler der Sekun- darschule Mattenbach an diesem Mittwochmorgen haben. Sie zücken ihre Smartphones und starten die App des Spiels ‹Finde Esmeralda›. Die dreistündi-ge Schnitzeljagd durch Winterthur beginnt …

informationen zu BeratungsangeBoten

Es ist die vierte Schulklasse nach Lancierung des Stadtspiels im August 2013, die sich auf die Suche nach Esmeralda begibt. «Das Interesse der Schulen an dem Angebot ist gross», freut sich Rafael Freuler, Geschäftsführer der Tatenträger GmbH. Zusammen mit seinem Team hat er das Spiel im Auftrag der Jugendinfo und Stadt Winterthur entwickelt. «Die Jugendinfo hat nach neuen Wegen gesucht, Jugendliche zeitgemäss über Hilfsangebote zu informieren», erzählt Rafael Freuler. Schnell stand fest: Die Projektverantwortlichen wollten die grosse Verbreitung von Smartphones unter Jugend-lichen nutzen, um sie mit Hilfe eines Spiels per- sönlich mit wichtigen Beratungsangeboten in Verbin- dung zu bringen. Entstanden ist ‹Finde Esmeralda›.

lösung Des rätsels

Die mobile App unterstützt die Jugendlichen bei ihrer Suche nach Esmeralda und führt sie zu verschiedenen Institutionen. Dazu zählen unter anderem die Suchtprävention, die Stadtpolizei und das Kantonsspital. Im Gespräch mit den Mitar- beitern erhalten die Jugendlichen weitere Hinweise und Beweismaterial, um das Rätsel um Esmeralda zu lösen. Die Spielgeschichte fördert eine aktive Aus- einandersetzung mit jugendrelevanten Themen in den Bereichen Gesundheit, HIV, Sexualität, Familie, Bildung und Migration. «Realität und Fiktion, Online und Offline verschmelzen in Esmeraldas Geschichte zu einem interaktiven Abenteuer», sagt Rafael Freuler. «Die spielerische Herangehens- weise senkt die Hemmschwelle, die Hilfsangebote auch im Ernstfall zu nutzen.»

tätigkeitSbereich KiNder uNd JugeNdLiche

a«wir sollen zur polizei gehen», erzählt Julia und schaut auf ihr Smartphone. zusammen mit Linda, Lucian, cyrill und Shujab schlendert sie durch die innen- stadt von winterthur in richtung polizeiposten …

text / NadiNe FieKe

Kontakt: tatenträger gmbh, rafael Freuler, [email protected]

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staDtsPiel Die Pilotphase von ‹finde esmeralda› in winterthur ist abgeschlossen. Über 1000 Jugendliche haben zwischen august und november 2013 am stadtspiel teilgenommen. mit hilfe einer gratis-app für apple- und android-geräte konnten sich interessierte Jugendliche jederzeit auf die suche nach esmeralda machen – in gruppen oder alleine. zudem bot die Jugendinfo winterthur jeden mittwoch in der stadtbibliothek einen betreu- ten treffpunkt für Jugendliche an, die ‹finde esmeralda› spielen wollten. schulen konnten gratis einen schulausflug buchen. Die stif- tung mercator schweiz hat das stadtspiel mit 49 000 franken gefördert. Das spiel ist auf andere städte übertragbar. www.esmeralda.ch

BBei der Stadtpolizei bekommen die Jugendlichen erste hinweise: die akte zur Vermisstenmeldung von esmeralda. der Vater beklagt im protokoll, dass die 15-Jährige sich mit «komischen Leuten» herumtreibt. die polizei weiss, dass esmeralda zuletzt bei denSchliess- fächern der Stadtbibliothek gesehen wurde.

cdie gruppe scannt den Qr-code auf der Vermisstenmeldung und bekommt den nächsten hinweis.

din der Stadtbibliothek erfahren die Jugendlichen, dass esmeralda bei der Jugendinfo im untergeschoss war. eine Mitarbeiterin erinnert sich, dass die 15-Jährige nach ihrer Mutter suchen wollte. weil esmeralda sich beklagt hatte, dass ihr Vater immer nur mit seinen computerspielen beschäftigt ist, riet sie dem Mädchen, zur Suchtprävention zu gehen.

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tätigkeitSbereich KiNder uNd JugeNdLiche

ein einem Schliessfach der Stadtbiblio-thek findet die gruppe ein Schul- buch der 15-Jährigen – und darin eine handgeschriebene Nachricht ihrer Freundin dinah: esmeralda solle mal in ihren Blog schauen!

Fdie Spuren von esmeralda führen zu ‹Liebesexundsoweiter›. aufmerksam lauschen die Jugendlichen dem Be- ratungsgespräch von esmeralda. Sie hat sich über hiV informiert. auch bei der Beratungshotline 147 von pro- juventute hat esmeralda angerufen, findet die gruppe heraus.

hin der Suchtprävention erinnert man sich gut an esmeralda. «Sie hat etwas dagelassen», verrät eine Mit- arbeiterin. ein handy-Video. das zeigt, wie sie ihren Vater zur rede stellt. Sie will wissen, wo ihre Mutter ist. doch der Vater wimmelt sie – vertieft in seine computerspiele – ab.

g auf der Suche nach esmeralda legen die Jugendlichen einige Kilometer zu Fuss zurück.

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Lesmeralda geht es gut! Sie hat ihre Mutter gefunden und ist bei ihr, er-zählt sie im Video. um das rätsel um esmeralda zu lösen, sind die Jugend- lichen geschickt Spuren im internet gefolgt. Von verschiedenen Beratungs-institutionen haben sie weitere hin- weise erhalten.

iim Blog von dinah entdecken die Jugendlichen aktuelle Fotos von esmeralda. Sie posiert fröhlich mit ihrem Freund tahir vor dem eingang von ‹dachladen› und ‹KaBeL›. die erste organisation kümmert sich um wohnungsvermittlungen, die zweite hilft bei Fragen zur Lehre. die weitere Suche führt die Schüler zum Kultur- zentrum ‹alte Kaserne›, wo sie das handy von esmeralda finden.

Jwo ist die Jugendgynäkologie? im Kantonsspital müssen sich die Jugend- lichen durchfragen…

K… und finden schliesslich eine ärztin, die bereits mit einer anderen gruppe spricht. Sie gibt den Schülern den geburtsbericht von esmeralda. die Jugendlichen erfahren: die Mutter ist hiV-positiv, wie esmeralda vermutet hatte. und sie erfahren auch: esmeralda ist gesund. die ärztin nutzt die gele- genheit und erklärt den Jugendlichen, mit welchen Fragen sie zur Jugend-gynäkologie kommen können.

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Superar SuiSSe

Superar Suisse stärkt die musikalische Bildung in der Schule: professionelle Künstler arbeiten in den Bereichen gesang, orchester und tanz vier Mal pro woche im unterricht oder fünf Stunden pro woche ausserschulisch mit Kindern und Jugendlichen zusammen. die inten- sität der Lektionen stellt sicher, dass die integrative und persönlichkeitsbildende wirkung der Musik optimal entfaltet wird. Superar Suisse orientiert sich an der erfolgreichen musikalisch-sozialen initiative el Sistema

aus Venezuela. initiiert hat das projekt etienne abelin. er wirkt im Koordinationskomitee des jungen dachnetz-werks Sistema europe mit, in dem zurzeit 19 Mitglie- derorganisationen vertreten sind. dazu zählt auch Superar, die in Österreich gegründete europäische adaption des venezolanischen erfolgsprojekts. etienne abelin und sein team von Superar Suisse möchten die musikalische initiative nun in der Schweiz etablieren. www.superar.eu/superar-schweiz

aus ideen Werden ProjeKte

als das Fellowship von impact hub zürich und Stiftung Mercator Schweiz startete, hatten dennis padel und etienne abelin ‹nur› eine idee, wie sie Kinder und Jugendliche fördern wollten. Bereits ein Jahr später sind ‹Superar Suisse› und ‹zwiScheNräuMe› laufende projekte.

tätigkeitSbereich KiNder uNd JugeNdLiche

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zwiScheNräuMe

der Verein zwiScheNräuMe organisiert soziokulturelle zwischennutzungsprojekte. Kinder und Jugendliche können in zeitlich begrenzt zur Verfügung stehenden räumen – wie leerstehenden gebäuden oder Brachen – eigene pro-jekte verwirklichen. der Verein analysiert diese räume und ihr umfeld. er unterstützt Jugendliche bei der planung und umsetzung ihrer projekte. der soziokulturelle anima- tor dennis padel hat zwiScheNräuMe zusammen mit seiner geschäftspartnerin Nora howald, Lehrerin für

bildnerisches gestalten und gestalterin, aufgebaut. Beide möchten mit zwischennutzungsprojekten Jugendliche in ihrer Kreativität und in weiteren Kompetenzen stärken und sie dabei mit anderen generationen in Kontakt bringen. der Verein ermöglicht vor allem auch Quartierprojekte, die das zusammenleben fördern. er vernetzt und unterstützt die aktiven gruppen. daneben begleitet er soziale Quartier-prozesse und erarbeitet ideen zur Lösung von Konflikten. www.zraeume.ch

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Etienne Abelin: Ich habe vor einigen Jahren das Projekt El Sistema aus Venezuela kennenge-lernt. Über 300 000 Kindern und Jugendlichen, die oft in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen, gibt es durch die tägliche gemeinsame und zielgerichtete musikalische Arbeit einen wichtigen Halt im Leben. In Österreich gibt es mit Superar eine europäische Adaption des Erfolgsprojekts. Als es die Möglich- keit gab, etwas in dieser Richtung in der Schweiz zu verwirklichen, war ich von der Idee sehr angetan. In der Schweiz spielen Musik und Tanz in der Schule oft nur eine untergeordnete Rolle. Daneben gibt es zwar ein tolles Musikschulsystem, doch dieses ist vielen Kindern aus finanziellen Gründen oft nicht zugänglich. Da es einen grossen Fokus auf Einzelunterricht legt, hat es ausserdem metho-disch gewisse Schwächen. Es gibt einen Bedarf, Musikunterricht neu zu denken und dabei soziale und finanzielle Zugangssperren abzubauen. Studien zeigen, dass regelmässiges gemeinsames Musi- zieren und Tanzen zur Persönlichkeitsbildung und sozialen Integration beitragen. Und natürlich findet eine ästhetische Grundbildung statt. Wir arbeiten in unserem Projekt gezielt mit Schulen zusammen, um allen Kindern diese Möglichkeiten zu bieten.

deNNiS padeLzwiScheNräuMe

etieNNe aBeLiNSuperar Suisse

Dennis Padel: Die Idee für das Projekt ZWISCHENRÄUME trage ich bereits seit einigen Jahren mit mir herum. Sie ist während meines Studiums entstanden. Ich hatte mich mit Fragen der Raumnutzung auseinandergesetzt, mit neuen Ansätzen partizipativer Jugendprojekte. Kinder und Jugendliche haben in unserer Gesellschaft kaum Freiräume, ihre Ideen umzusetzen und ihr Umfeld ihren Wünschen entsprechend zu gestal-ten. Gleichzeitig gibt es jedoch viele zeitweise leerstehende Gebäude und Brachen. Diese wollte ich nutzen, um Kindern und Jugendlichen die Mög- lichkeit zu geben, eigene Projekte zu verwirklichen. Zwischennutzungen haben den Vorteil, dass die Rahmenbedingungen nicht so strikt sind. Man ge- staltet etwas nur für einen begrenzten Zeitraum und hat entsprechend die Möglichkeit, auch mal etwas Neues auszuprobieren. Mit meinem Projekt möchte ich Kinder und Jugendliche nicht nur in ihrer Kreativität, in ihrer Eigenverantwortung, in ihrer Organisationsfähigkeit und in ihren sozialen Kompetenzen stärken. Es war mir immer wichtig, Jugendliche und Erwachsene in Projekten zu- sammenarbeiten zu lassen, um Vorurteile ab- und eine gemeinsame Quartierkultur aufzubauen.

waruM war eS ihNeN wichtig, ihre proJeKtidee uMzuSetzeN?

tätigkeitSbereich KiNder uNd JugeNdLiche

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Etienne Abelin: Wir konnten schon während des Fellowships ein erstes Pilotprojekt in der Schule Rottenschwil im Kanton Aargau starten. Im Herbst 2012 begann die musikalische Arbeit, die Ergebnisse einer ersten begleitenden Evaluation liegen vor. Diese haben uns wichtige Hinweise für die weitere Entwicklung und Optimierung des

Programms geliefert. Auf dieser Basis konnten wir im Frühling 2013 zwei wei- tere Schulen hinzunehmen: In der Schule Sennhof in Winterthur liegt wie in Rottenschwil der Fokus auf dem Singen, in der Schule Heubach in Zürich haben wir ausserschulisch mit einem Orchester begonnen. Im Sommer 2013 fand das erste grosse Konzert von

Superar Suisse in der Tonhalle Zürich statt. Das Tonhalle-Orchester ist eine unserer Partnerorganisa-tionen. Und im Juli und August 2013 konnten viele Kinder von Superar Suisse bei zwei ersten grossen Chor- und Orchestercamps von Superar und Sistema Europe in Wien teilnehmen. Die Kinder hatten sogar einen Auftritt bei den Salzburger Festspielen. Insgesamt hat sich das Projekt im vergangenen Jahr sehr gut entwickelt. Unsere junge Organisation ist dabei, sich zu etablieren.

Dennis Padel: Am Anfang hatten meine Geschäftspartnerin und ich nur eine vage Idee. Das Fellowship hat uns die Zeit gegeben, die nötig war, um diese auszuarbeiten: Was ist unser Geschäftsmo-dell? Wer sind unsere Auftraggeber? Was wollen wir genau machen? Und was nicht? Das Fellowship hat uns die Möglichkeit gegeben, ein durchdach- tes Konzept zu entwickeln. Wichtige Meilensteine waren die Erstellung unseres Businessplans – und die verschiedenen Pilotprojekte, die wir in Zürich ge- macht haben: Für den Verein Stadionbrache haben wir zusammen mit Jugendlichen ihre Bedürfnisse zur Zwischennutzung des Areals erhoben. Die Jugendlichen haben ihre Ideen gefilmt und am Ende eine grosse Open-Air-Party organisiert. Zusammen mit der Offenen Jugendarbeit Kreis 5 haben wir eine Sozialraumanalyse konzipiert und umgesetzt. Die Jugendlichen haben sich den Raum mit Hilfe von Karton-schachteln angeeig-net und mit diesen auch gezeigt, was sie sich wünschen. Ein drittes wichtiges Pro- jekt konnten wir mit der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) verwirklichen: Die Baugenossenschaft hat uns ein Haus zur Verfü- gung gestellt, das abgerissen werden sollte, um es mit Jugendlichen zu gestalten. Die ABZ wollte damit auch herausfinden, welche Bedürfnisse Jugendliche an Räume und an ihr Wohnumfeld haben.

wie hat Sich ihr proJeKt Mit hiLFe deS iMpact huB FeLLowShipS eNtwicKeLt?

weLche erFahruNgeN haBeN Sie iN der erSteN proJeKtphaSe geMacht?

Dennis Padel: Die wichtigsten Erkenntnisse verdanken wir unseren Pilotprojekten: Wir haben gesehen, dass Bedarfserhebungen in gestalte- rischer Form tatsächlich funktionieren. Wir haben erfahren, dass man Bedürfnisse von Jugend-lichen sehr gut auf kreative Art sichtbar machen kann. Gerade im Zwischennutzungsprojekt mit der ABZ waren wir überrascht, wie erfolgreich ein

Etienne Abelin: Wir haben sehr gutes Feed- back erhalten. Der Leiter der Schule Rottenschwil sagt, die Schule klinge ganz anders. Es werde mehr gesungen. Die Kinder singen in der Pause, auf dem Heimweg. Sie werden von den Lehrpersonen als konzentrierter und selbstbewusster erlebt. Für die Schule ist das Projekt eine grosse Bereicherung. Die Lehrpersonen unterstützen es sehr stark.

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Quartierprozess in kurzer Zeit sein kann: Die Ju- gendlichen haben sich enorm engagiert. Sie haben gestalterische Fähigkeiten bewiesen und den Erwachsenen ein positives Bild der Jugend ge- zeigt. Erwachsene und Eltern waren stets im Haus zu Besuch und haben die Jugendlichen unter- stützt. Es ging so weit, dass sie sich ebenfalls ein leeres Haus wünschten und es schliesslich auch bekamen. Am Tag der offenen Tür konnte das ganze Quartier zwei verschieden gestaltete Häuser bewun-dern. Die Leute – Beteiligte und Besucher – waren begeistert. Die Jugendlichen haben mit ihrer Präsenz das ganze Quartier inspiriert und den Be- wohnern einen kreativen Abschiedsprozess von den Häusern ermöglicht. Diese Erfahrungen zeigen, dass unsere Idee sehr viel Potenzial hat, Quartier-prozesse neu zu gestalten, das Zusammenleben zu fördern und verschie-dene Akteure mitein-ander zu vernetzen.

Dennis Padel: Ohne Fellowship hätte ich es mir nicht leisten können, so viel Zeit in das Pro- jekt zu investieren. Die finanzielle Unterstüt- zung hat es mir ermöglicht, mein Arbeitspensum zu reduzieren. Ich konnte 80 Prozent meiner Arbeitszeit dem Projekt widmen. Ich hatte nicht nur meinen Arbeitsplatz im Impact Hub Zürich. Ich wusste: Ich kann dort hingehen, ich werde auch fachlich dabei unterstützt, meine Initiative aufzu-bauen. Es hat mir sehr geholfen, Profis an der Seite zu haben, die mir Feedbacks in unternehmeri- schen Belangen geben und sagen, worauf ich achten muss. So wurde mir auch klar, wie wichtig es ist, dass wir uns auf das fokussieren, was wir am besten können. Dass es nichts bringt, alles anzubieten. Das Fellowship hat uns die Zeit gegeben, unser Profil zu schärfen.

Etienne Abelin: Ohne Fellowship würde es Superar Suisse gar nicht geben. Schon alleine die Tatsache, dass es ausgeschrieben war, war ein Grund, das Projekt für die Schweiz zu entwickeln.

Das Fellowship hat uns letztlich die ge- samte Aufbauarbeit ermöglicht. Wir konnten Arbeitszeit in dieses Projekt investieren und wich- tige Partner und ein Patronat für Superar Suisse gewinnen.

Ohne die Unterstützung hätten wir niemals so schnell mit einer Pilotschule starten können.

wie hat daS FeLLowShip ihNeN daBei gehoLFeN, ihr proJeKt zu VerwirKLicheN?

tätigkeitSbereich KiNder uNd JugeNdLiche

Ähnliche Erfahrungen machen wir mit der neuen Orchesterschule. Die Kinder sind stolz auf ihre Instru-mente. Es gehört jetzt dazu, dass man in der Schule im Superar-Orchester ist. Verschiedene grössere und kleinere Konzerte, darunter auch Elternkonzerte, sind ein zentraler Teil des Pro-gramms. Es ist uns wichtig, das Projekt, die Beschäfti-

gung mit Musik noch stärker in die Familie und in das soziale Umfeld einzubinden. So möchten wir der integrativen Wirkung des Programms, die in Venezuela so überzeugend vorgelebt wird, noch näher kommen.

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Etienne Abelin: Jetzt geht es vor allem darum, unser Projekt an den drei Schulen zu etablieren, organisatorische Abläufe zu optimieren, die Web- präsenz zu entwickeln, weitere Partner zu ge- winnen und Superar Suisse bekannter zu machen. Im Sommer 2014 wollen wir weiter wachsen. Wir möchten neue Schulen gewinnen und an den beste- henden Schulen noch mehr Klassen am Projekt teilhaben lassen. Und im Fall der ausserschulischen Angebote möchten wir noch mehr Kinder und Jugendliche einbinden. Wenn unser Projekt noch ein bisschen grösser wird, entsteht eine neue Dynamik. Grössere Ensembles und die Integration von Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersstufen und unterschiedlicher Niveaus ermög- lichen eine Art Ökosystem: Ältere und Fortgeschrit-tenere können die Jüngeren mitunterrichten. Es können sich ausserdem immer neue Ensemblekons-tellationen ergeben. Mehrmals pro Woche kann so ein echtes soziales Lernumfeld entstehen – etwas, was man hierzulande in erster Linie von intensiven Musiklagern kennt. Wichtig ist uns auch die wei-tere Einbindung von Superar Suisse in das junge europäische Dachnetzwerk Sistema Europe. Ausser-dem stehen transatlantische Kooperationen mit Sistema Venezuela und Guatemala und internatio- nale Lehrerfortbildungen an. Insgesamt ist Sistema dabei, eine globale Bewegung zu werden, die wir mitaufbauen, und an der Kinder und Jugend- liche weltweit teilhaben können. Ein ungemein spannender Prozess.

Dennis Padel: Nach dem Fellowship geht es in erster Linie darum, die weitere Finanzierung zu sichern und möglichst viele Projekte durchzuführen. Wir werden viel daran setzen, unsere Arbeit be- kannt zu machen – bei Bau- genossenschaften, Gemein-den, in der Jugendarbeit. Das alles sind potenzielle Partner für weitere Projekte. Des- halb freuen wir uns, dass das Projekt mit der ABZ so gut gelaufen ist: Damit können wir zeigen, wie unsere Ar- beit aussieht, was sie bewirkt.

wie geht eS Nach deM FeLLowShip Mit ihreM proJeKt weiter?

imPact huB fellowshiP Der impact hub zürich ist eine eigenständige organisation innerhalb des internationalen impact-hub-netzwerks, das zur förderung von sozialen innovationen gemeinschaftlich nutzbare räumlichkeiten zur Verfügung stellt. impact hub zürich schreibt regelmäs-sig zusammen mit Partnern fellowships in gesellschaftsrelevanten themenfeldern aus. mit einer Kombination aus inhaltlicher, orga- nisatorischer, persönlicher und finanzieller unterstützung ermöglichen die fellowships es engagierten Personen, ihre ideen zu nachhaltigen Projekten weiterzuentwickeln. ende 2011 hatte die organisation zusammen mit der stiftung mercator schweiz nach ideen zur förderung von Kindern und Jugend-lichen gesucht. ende 2013 wurde die zweite ausschreibung veröffentlicht. Das impact hub fellowship soll im frühjahr 2014 starten. www.zurich.impacthub.net

Für die Kinder der zürcher Schule heubach ist es bereits ganz selbstverständlich, am Superar-orchester teilzunehmen. professio- nelle Künstler arbeiten mit ihnen zusammen.

Jugendliche können mit hilfe des Vereins zwiScheNräuMe ein ganzes haus ihren Vorstellungen entsprechend gestalten. das pilotprojekt mit der allgemeinen Baugenossenschaft zürich ist ein erfolg.

Kontakt: impact hub zürich, dr. Nicola Blum, [email protected]

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tätigkeitSbereich MeNSch uNd uMweLt

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Kinder übernehmen verantWortunG für die umWelt

was bewegt eine Schule dazu, sich für die umwelt zu engagieren? wie integriert sie umweltbildung in ihren alltag und unterricht? die Schulen Milchbuck, in der ey, Sternenberg und riedtli sind die ersten vier Schulen im Kanton zürich, die am projekt ‹umweltschulen – Lernen und handeln› teilnehmen. die umweltbeauftragten der Schulen und eine Schülergruppe berichten von ihren erfahrungen.

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Begeistert machen die Kinder im gartenclub der umweltschule Milchbuck mit: Sie set-zen sich intensiv mit der Natur auseinander und gehen dabei ihren eigenen interessen nach. Säen, pflanzen, Jäten und ernten gehören inzwischen zum alltag der Kinder.

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milchbucK text / taMara Brügger

Als Minergiehaus mit vielen Lehr- und Betreuungspersonen, denen Umwelt-bildung kein Fremdwort ist, startete unsere Schule im Sommer 2012 enthu- siastisch ins Projekt ‹Umweltschulen – Lernen und Handeln›: Wir wollten eine Schulkultur entwickeln, die sich wie ein ‹grüner Faden› durch den Alltag zieht. Mit unseren Umweltaktivitäten möchten wir den Kindern und Jugendlichen einen persönlichen Zugang zur Natur vermitteln. Wir möchten ihnen einen nachhaltigen Umgang mit den Ressour-cen aufzeigen und ihnen klarmachen, dass jede Person, die in diesem Haus ein- und ausgeht, Verantwortung für unseren

Planeten übernehmen und etwas bewir- ken kann. Die Kinder nahmen diese Botschaft sehr gut auf: Sie engagieren sich, tragen Themen und Fragen in den Hort, in den Unterricht, sie machen Vorschläge – ihr Mitdenken ist im Schul- haus spürbar.

Unser Gartenclub ist eines der Projekte, die wir als erstes angegangen sind. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich um eine Mitgliedschaft bewerben. Mit Briefen, Collagen und Bastelarbeiten haben sie gezeigt, warum sie mitmachen möchten. 87 Kinder und Jugendliche – ein Fünftel der gesam- ten Schülerschaft – wollten dabei sein!

recycling ist ein wichtiges thema in der umweltschule in der ey. die Kinder haben einen Kiosk aus tetra-packungen gebaut. ganz selbstverständlich trennen und entsor-gen sie Bioabfall, papier und Karton.

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Unser Gartenclub gibt den Kindern die Möglichkeit, die Natur zu erleben und sich intensiv mit ihr auseinanderzu- setzen. Sie können dort Begabungen und Fähigkeiten ausleben, die im schuli- schen Alltag weniger zum Zuge kommen. Von Anfang an haben alle hart gearbeitet. Sie haben gesät, gejätet, Unterschlupfe gebaut, Wege gelegt, Kräutersträusschen gebunden, Marienkäferlarven (gegen Läuse) gesucht, geerntet, auf dem Feuer Tee gekocht… Die Kinder und Jugend- lichen dürfen im Gartenclub ihren eigenen Interessen nachgehen. Sie freuen sich über die sichtbaren Erfolge. Der Garten ist als Teil der Schule bereits nicht mehr wegzudenken.

Im Juni 2013 führten wir eine Pro- jektwoche zum Thema ‹Natur und Umwelt› durch. Alle im Schulhaus haben mit Hilfe eines Fragebogens ihren Interessentyp (nach Howard Gardner) ermittelt und stufen- und bereichsüber-greifend entsprechende Gruppen ge- bildet. Alle verbrachten eine Woche vor- nehmlich draussen in der Natur mit Gleichgesinnten, wo sie zum Beispiel am Bach geforscht, Wildtierspuren gesucht, Musikinstrumente aus Abfallmaterial geschaffen oder Solarfahrzeuge gebaut haben. Die Projektwoche war ein voller Erfolg. Für 2014 haben wir Projekte geplant, die sich in kleineren Interessen-gruppen umsetzen lassen. Ein weite- res aktuelles Projekt ist die ökologische Umgestaltung der beiden Horte im Milchbuck. Da die Kinder oft in alters- und stufendurchmischten Gruppen arbeiten, erhöht das Projekt ‹Umwelt-schulen› auch das Wir-Gefühl, es stärkt

die Sozialkompetenz und wirkt gewalt-präventiv. Das Projekt bietet unserer Schule durch die fachliche und finan- zielle Unterstützung die Möglichkeit, Umweltbildung in dem Ausmass im Schulalltag zu vermitteln, wie wir es heute tun. Die Unterstützung der Bera- tungsstelle und der Austausch mit den anderen Umweltschulen sind wich- tig und gewinnbringend: Alle ziehen an einem Strang, denken mit, engagieren sich für die Umwelt. Es entwickeln sich immer neue Themen und neue Ideen, die uns weiterbringen.

Unsere Schule ist schon seit etlichen Jahren eine ‹Gesunde Schule›. Als wir vom Pilotprojekt ‹Umweltschulen – Lernen und Handeln› gehört haben, war für uns schnell klar, dass wir mitmachen wollten. Das Thema Nachhaltigkeit ist unserer Schule ein wichtiges Anliegen. Auch bei der Elternschaft findet es reges Interesse. Wir möchten unsere Schüler-innen und Schüler nicht nur für einen nachhaltigen Umgang mit den natürli-chen Ressourcen sensibilisieren. Uns ist es wichtig, dass sie lernen, ihr Wissen auch im Alltag umzusetzen und andere zu motivieren, sorgsam mit der Um- welt umzugehen. Die Umweltbildung soll im Schulalltag Platz haben.

Eine wichtige Massnahme unserer Umweltschule ist die Neugestaltung unseres Schulgartens. Dieser soll wieder zum Lebensraum Schule gehören und ein Ort des Beisammenseins und des Lernens sein. Auch der Umgang mit Wert- stoffen spielt für uns eine zentrale Rolle. Wir möchten den Kindern die Bedeu- tung des Trennens und Recycelns näher- bringen. Deshalb überlassen wir ihnen das Entsorgen von Bioabfall, Papier und Karton. Für Petflaschen und Aludosen bieten wir Trennmöglichkeiten auf unserem Schulgelände an. Damit möch- ten wir auch dem Littering-Problem unserer Schule begegnen: Unser Schul- gelände zieht wegen seiner vielfältigen Sportmöglichkeiten und wegen der Grünflächen ausserhalb des Unterrichts viele Personen an. Mit selbstentwor- fenen Plakaten appellieren wir an die Besucher, ihren Abfall zu entsorgen und die entsprechenden Recycling- Möglichkeiten zu nutzen.

Wir haben einige Projektmorgen zum Thema Natur und Recycling organisiert. Die Kinder konnten aus verschiedenen Angeboten wählen: Einige haben sich mit unterschiedlichen Recyclingmateria-lien auseinandergesetzt. Andere haben die Kläranlage Werdhölzli besucht. Und eine Gruppe hat einen Pausenkiosk aus Tetrapackungen gebaut. Jetzt betrei- ben Schülerinnen und Schüler der 3. und 4. Klasse freiwillig den Pausen-Kiosk. Geplant ist als nächstes eine Waldputz-aktion. Mit unserem Unterricht, den Projekten und Aktionen möchten wir die Einstellungen der Kinder gegenüber der Umwelt nachhaltig beeinflussen. Das Projekt ‹Umweltschulen› unterstützt uns in unserem Anliegen: Wir bekommen regelmässig Informationen und An-regungen, die wir nutzen können, wenn wir dies möchten. Bei Fragen können wir uns an die Beratungsstelle oder an andere Umweltschulen im Netzwerk wenden. Ich freue mich auf die anstehen-den Treffen der Umweltbeauftragten der beteiligten Schulen, auf den persön-lichen Austausch und auf die neuen Ideen, die dadurch entstehen.

in der ey text / BarBara Schroeder

tätigkeitSbereich MeNSch uNd uMweLt

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sternenberG text / MariaNNe wagNer

gelernt habe, hat Gewohnheit einen grösseren Einfluss auf nachhaltiges Verhalten als allein das Wissen um dessen Notwendigkeit. Wir haben auf unserem Pausenplatz ein Jauche- fass zu einem Experimentiergarten umfunktioniert, der sich zwischen unseren zwei Schulgebäuden befindet. Vor allem mit den jüngeren Kindern sind wir dort aktiv – vom Säen bis hin zum Ernten. Eine grosse Infotafel zum Thema ‹Umweltschule Sternenberg› lädt zudem zum Austausch ein, sie gibt neue Gedankenanstösse und hält unsere Fortschritte fest.

Ein grosses Projekt galt dem Thema ‹Wetter und Klima›. Das Wetter spielt im täglichen Leben in der höchstgelege-nen Gemeinde des Kantons Zürich eine grosse Rolle. Das Thema eignet sich sehr gut, um – ausgehend von unseren persönlichen Erfahrungen – Interesse zu schüren, Wissen zu vermitteln und auch grössere Zusammenhänge aufzu- zeigen: Wir haben eine Wetterstation eingerichtet und auf einer Exkursion mit dem Förster die Schutzfunktion des Waldes kennengelernt. Mit alteingesesse-nen Sternenbergern sprachen wir über das Wetter vor 50 Jahren. Und wir haben auch einen Bezug zum weltweiten

Klimawandel hergestellt. Wenn sich die Kinder aktiv mit Themen wie Wasser, Ökosysteme, Klimawandel und Nach- haltigkeit auseinandersetzen, lernen sie systemisches Denken und entwickeln Verantwortungsbewusstsein für unsere Umwelt. Die Netzwerktreffen mit den anderen Umweltschulen empfinde ich als sehr wertvoll: Wir sind Teil eines gros- sen Projekts – und nicht alleine mit unseren Anliegen. Wir können unsere Erfahrungen und Ideen austauschen, voneinander lernen. Wenn wir darüber hinaus eine Frage haben, können wir uns unkompliziert an die Beratungsstelle wenden. Auch die finanzielle Unterstüt-zung hilft uns dabei, unsere Projekte umzusetzen. So war es uns überhaupt erst möglich, für unsere Klima-Pro- jektwoche eine Wetterstation zu kaufen.

Manchmal, wenn ich am Morgen in die Schule komme, bleibe ich noch kurz auf dem Pausenplatz stehen: Die Sonne geht auf und taucht die umliegenden Hügel in ein goldenes Licht. Die klare Sicht in die Berge lässt sie zum Grei- fen nah erscheinen. Unter dem Schul-haus weiden die Schafe. Das Nebel- meer liegt mir zu Füssen wie ein riesiger Teppich. Und ich denke, wie schön es in Sternenberg doch ist. Dieser Reich- tum und der Wunsch, diesen zu beschüt- zen, haben uns dazu bewogen, eine Umweltschule zu werden. Wir wollen die Natur um uns herum als Klassenzim- mer nutzen. Wir möchten den Kindern Wissen vermitteln, wie sie diese bewah-ren können – und wir möchten dieses Wissen zusammen mit ihnen umsetzen. In unseren Umweltaktivitäten soll das aktive Erleben im Zentrum stehen.

Unsere erste Massnahme war eine Projektwoche zum Thema Abfall und Recycling. In diesem Zusammenhang führten wir an der Schule auch ein Recyclingsystem ein. Recycling soll zu einer selbstverständlichen Gewohn- heit an unserer Schule – und auch bei den Kindern zuhause – werden. Denn wie ich in einer Weiterbildung im Rahmen des Projekts ‹Umweltschulen›

Die Schule Riedtli hat im Juni 2013 eine Bergwaldwoche für zwei Sekundar-schulklassen organisiert. Es war die erste grosse Massnahme im Rahmen des Projekts ‹Umweltschulen – Lernen und Handeln›. In Tagebuchauszügen berichten die Jugendlichen über die Woche. 2014 plant die Schule zusammen mit ihrem Umweltbeauftragten Walter Schelling im Rahmen einer Projektwoche mit allen Klassen ähnliche Einsätze zu verschiedenen Themen. — Montag, 24. Juni 2013: Nach dem Frühstück transportierten wir alle Werk- zeuge zum Arbeitsplatz. Dann folgte eine Einführung, wie man eine Axt rich-tig und sicher bedient. Nach der Übung dann die Praxis: das Baumfällen. Um den Baum sicher umzuhauen, mussten wir den Durchmesser des Stammes messen und die Fallrichtung des Baumes

bestimmen. Als der Baum auf dem Boden lag, mussten wir die Äste absägen, einsammeln und die Rinde abziehen. Niemand war an diesem Tag davon verschont geblieben, nicht mindestens ein Mal umzufallen. Denn die Arbeit war nicht nur anstrengend, der Boden war feucht und rutschig. — Dienstag, 25. Juni 2013: Heute sind wir mit der Pflanzung von jungen Weidebäumen beauftragt worden. Um sie einzupflanzen, mussten wir mit dem Wiedehopf-Hauer, einer Hacke, die einem Vogelkopf gleicht, die Erde ausheben und danach die Weiden mit den Händen eingraben. Die Weiden einzupflanzen, war sehr anspruchsvoll und bereitete uns Rückenschmer- zen. Dennoch machte es Spass. Auf dem Nachhauseweg sahen wir eine sehr seltene Orchidee – den Frauenschuh.

riedtli text / SchüLeriNNeN uNd SchüLer

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— Mittwoch, 26. Juni 2013: Wir muss- ten die Äste von gefällten Tannenbäu- men zusammennehmen und häufen und einen Weg für die Forstmaschinen freimachen. Die einzigen Arbeitshilfen waren Handsägen und unsere eigene Muskelkraft. Während wir arbeiteten, fan- den wir Bergsalamander, die einige von uns noch nie gesehen hatten. Am Ende des Tages hatten wir Tonnen- weise Waldmaterial zur Seite geräumt und waren stolz auf den sichtbaren Erfolg unserer Arbeit.— Donnerstag, 27. Juni 2013: Unsere Gruppe musste einen langen Wildzaun entfernen. Er war beschädigt und tief ver- wachsen und daher eine Gefahr für die Kühe und das Wild. Der Zaun war ur- sprünglich dazu da, um die einst jungen Lärchen vor Wildverbiss zu schützen. Es war sehr mühsam, die rostigen Nägel zu entfernen. Wir waren sehr zu- frieden mit dem Tag und mit dem Lager insgesamt. — Freitag, 28. Juni 2013: Der letzte Tag war geprägt von der Abreise. Alle waren sichtlich erschöpft. Dennoch merkte man, dass viele die Erlebnisse in den Bündner Bergen vermissen werden.

experimente bringen den Schülerinnen und Schülern der umweltschule Sternenberg in einer projektwoche die themen Klima und wetter näher. Stolz ist die Schule auf die wetterstation, die sie neu eingerichtet hat.

tätigkeitSbereich MeNSch uNd uMweLt

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umweltschulen Das Projekt ‹umweltschulen – lernen und handeln› unterstützt zürcher Volksschulen und Berufsfachschulen dabei, umwelt- bildung und ökologie langfristig in den schul- alltag zu integrieren. im zentrum der ge- meinsamen initiative der stiftung mercator schweiz und der stiftung éducation21 steht ein netzwerk umweltbewusster schulen. Die schulen werden in ihrem entwicklungs- prozess von einer Beratungsstelle unter- stützt und begleitet. in austauschtreffen können die schulen von den erfahrungen anderer profitieren. ergänzend erhalten be- teiligte schulen finanzielle unterstützung und zugang zu spezifischen weiterbildungen. Die Bildungsdirektion des Kantons zürich unterstützt die initiative. www.umweltschulen.ch

in der Bergwaldwoche der umweltschule riedtli packen die Jugendlichen fleissig mit an. Sogar Bäume bringen sie zu Fall, nachdem sie durchmesser und Fallrichtung bestimmt haben.

Kontakt: Stiftung éducation21, Beatrix winistörfer, [email protected]

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aNNa StüNziichtrageFair.ch

Faire Mode — selbst gestaltet

aNNa StüNzi (22) studiert psychologie und Volkswirt- schaft. Sie ist Mitbegründerin und präsidentin des Vereins ichtragefair.ch. im rahmen des programms ‹engagier dich!› zur Förderung studentischer projekte hat die Stiftung Mercator Schweiz den gestaltungswettbewerb unterstützt. www.ichtragefair.ch

Immer wieder berichten Medien über schlechte Arbeitsbedingungen, tiefe Löhne und Gesund-heitsrisiken in der Textilproduktion. Da sich von alleine kaum etwas daran ändern wird, ist es umso wichtiger, dass auf Konsumentenseite ein Umdenken stattfindet: Wenn Kunden ethisch korrekt produzierte Textilien fordern, können sie Druck ausüben, die Produktionsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu ver- bessern. Deshalb habe ich im Dezember 2012 zusammen mit Alexandra Takhtarova und Stefanie Kägi den Verein ‹ichtragefair.ch› gegründet. Wir möchten das Interesse ( junger) Menschen an fairer Mode fördern. Wir möchten das faire Mode- angebot erweitern, indem wir den Dialog zwi-schen Produzenten und Konsumenten fördern.

wettBewerB fÜr schulen

Unser erstes Projekt war ein Wettbewerb zur Tex- tilgestaltung. Zehn Klassen aus Kantonsschulen im Raum Zürich haben daran teilgenommen. Wir haben mit den Klassen Workshops durchge-führt, in denen sich die Jugendlichen mit der

Entstehung eines T-Shirts auseinandersetzten – und mit den damit verbundenen Problemen für Mensch und Umwelt. Sie wussten meistens, dass es faire Mode gibt. «Aber ist diese nicht langweilig, unmo-disch und teuer?» Immer wieder hörten wir diesen Vorbehalt. Dass dies nicht so sein muss, bewiesen die Jugendlichen im Fach Bildnerisches Gestalten: Sie kreierten eigene Print-Designs, die sie bei unserem Wettbewerb einreichten. 150 Vorschläge sind eingegangen. Ein Online-Voting nominierte die besten T-Shirt-Designs fürs Wettbewerbsfinale. Eine unabhängige Fachjury wählte die zwei Gewin-ner aus. Ihre T-Shirts wurden von der Switcher Foundation als Teil ihrer offiziellen Kollektion pro- duziert. Switcher garantiert eine Produktion mit fairen Arbeitsbedingungen und biologisch an- gebauter Baumwolle – zu Preisen, die sich auch Schülerinnen und Schüler leisten können.

moDische t-shirts

Von unserem Projekt profitieren Produzenten und Konsumenten: Nach dem einfachen Grundsatz ‹Angebot bestimmt Nachfrage› entstehen Produkte, die die junge Generation ansprechen. Jugend- liche legen grossen Wert auf Mode und Kleidung. Wenn sie sich – sensibilisiert für die Problematik – für einen nachhaltigen und fairen Konsum einsetzen, ist dies eine Investition in die Zukunft. Die intensive Zusammenarbeit mit den Jugend- lichen und mit den Lehrpersonen war für uns sehr spannend. Die Klassen haben unglaublich motiviert mitgearbeitet. Und die kreativen T-Shirt-Designs haben nicht nur uns, sondern auch das Team von Switcher und die Jury überrascht. Nach Abschluss unseres erfolgreichen Pilotprojekts gilt es nun, unsere Website und den Austausch zwischen Konsu-menten und Anbietern auszubauen. Wir möchten andere Marken miteinbeziehen und ein grösseres Zielpublikum erreichen. Ein T-Shirt alleine kann zwar die Welt noch nicht verändern. Doch der Dialog über Probleme der Textilproduktion, die Zusammenarbeit mit den involvierten Seiten und die Sensibilisierung für die Thematik können dies schon viel eher.

eNgagiert

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KalenDer

JaNuar

18. 01. 2014

zuKuNFt deS hSK-uNterrichtSwie ist die Situation des erstsprach-unterrichts (hSK) in der Schweiz? welche entwicklungsmöglichkeiten haben hSK-Kurse? wie kann man sie besser in schulische regelstruk- turen integrieren? die interessen- gemeinschaft erstsprachen (ige) dis- kutiert an der tagung ‹die zukunft des hSK-unterrichts in der Schweiz: Qualitätssicherung, weiterent- wicklung und integration› auf dem campus Muristalden in Bern diese und weitere Fragen. die erkennt- nisse werden anschliessend in einer Broschüre zusammengefasst. www.linguaprima.ch

FeBruar

09.—15. 02. 2014

wiNter SchooLunter dem übergreifenden titel ‹transFormations› organisiert das institute of advanced Study in the humanities and the Social Sciences (iaSh) der universität Bern vier einwöchige winter Schools für doktorierende und postdoktorie-rende. im zentrum stehen jeweils lokale und globale Veränderungspro-zesse an der Schnittstelle zwischen wissen, geschichte, Kultur und gesellschaft. die dritte Veranstaltung widmet sich in Münchenwiler dem thema ‹cultural transfer – culture as transfer›. www.iash.unibe.ch

März

21. 03. 2014

worKShop ‹eNgagier dich!›um studentisches engagement zu fördern, hat die Stiftung Mercator Schweiz 2010 das programm ‹enga- gier dich!› initiiert. Sie konnte be- reits über 100 projekte unterstützen. all diese projekte setzen wichtige akzente im Bereich der gesellschaft- lichen Verantwortung und Verstän- digung. einmal im Jahr bringt die Stiftung die geförderten Studierenden zu einem workshop zusammen, um die Vernetzung, den erfahrungs-austausch und den wissenstransfer zwischen den projekten zu fördern. der workshop 2014 findet im impact hub zürich statt. www.engagier-dich.ch

29. 03. 2014

5. SwiSe- iNNoVatioNStag der innovationstag der initiative SwiSe hat sich zu einer festen grösse für innovationen und Vernetzungen im Bereich des naturwissenschaftlich- technischen unterrichts entwickelt. der fünfte innovationstag findet an der pädagogischen hochschule zürich statt. Lehrpersonen haben die gelegenheit, in stufenspezifischen ateliers verschiedene unterrichts-sequenzen selbst auszuprobieren und zu erleben. Vorträge und ein Lehr- mittel- und ideenmarkt geben fachdidaktische impulse zu aktuellen ökologischen, technischen und naturwissenschaftlichen themen. www.swise.ch

Mai

10. 05. 2014

zuKuNFtSKoNFereNz VoN JuBLa.Bewegtim rahmen des projekts ‹jubla.bewegt› können die Mitglieder von Jungwacht Blauring aktiv die zu- kunft ihres Verbands mitentwickeln. an der ersten zukunftskonferenz 2012 diskutierten Jubla-Mitglieder ideen und erarbeiteten strategi- sche grundlagen. Jetzt treffen sie sich zur zweiten zukunftskonferenz in Luzern: welche themen möchten sie weiterverfolgen? welche Modell- projekte haben die Scharen nach der ersten Konferenz durchgeführt? www.jubla.ch

29. 05. —01. 06. 2014

daS gute LeBeN unter dem titel ‹das gute Leben› organisiert Flying Science in Langenbruck eine viertägige Summer School: referate, diskussionen, exkursionen, gemeinsame Mahlzei- ten und eine ‹ScienceBar› prägen das programm, das ungezwungene Begegnungen zwischen wissen-schaft und gesellschaft an verschie-denen orten der Stadt ermöglicht. die Frage nach dem guten Leben wird aus verschiedenen disziplinären und gesellschaftlichen perspektiven betrachtet und diskutiert. www.flyingscience.ch

SC2013100101

imPressummercator magazin, ausgabe 02 / 13herausgeBer / stiftung mercator schweizreDaKtion / nadine fiekeBilDnachweis / Jonas Jäggy (cover, s. 1, 4, 31 — 34, 35 — 36, 39 — 42, 60 — 65, 71 — 72) / marc terry sommer (s. 2) / stürmer foto (s. 3) / euforia (s. 5) / Peter lüthi (s. 20) / cornelia Biotti (s. 24 — 27) / christoph spurk (s. 44 — 47) / elena Klien (s. 48, 51) / Brigit rufer (s. 49 — 50, 52, 56 — 59, 66 — 70) / frank Brüderli (s. 54) / walter schelling (s. 71, 73) gestaltung / rob & rose lithografie / andreas muster, Basel DrucK / odermatt ag, Dallenwil PaPier / PlanoPlus 90 g/m2 auflage / 1 500 exemplare© 2013, stiftung mercator schweiz

KontaKtstiftung mercator schweizgartenstrasse 33Postfach 2148, ch – 8022 zürich tel. + 41 ( 0 ) 44 206 55 80info@stiftung - mercator.chwww.stiftung - mercator.ch

ansPrechPartner ProJeKteBeno [email protected]— european campus of excellence— mercator awards— swiss academies award for trans- disciplinary research— 12. wissenschaftsdialognaDine [email protected]— lernen sichtbar machen— schulleitungssymposiumsara [email protected]— gründungsförderung Jugendparlamente— impact hub fellowship— steP into actionPatric [email protected]— finde esmeralda— mercator workshop 2013— theaterfluchtoliVia [email protected]— ausstellung ‹wir essen die welt›— graduiertenprogramm ‹ethik in praktischen Kontexten›— summer school ‹geography of food›regula Von BÜ[email protected]— cleVer— filme für die erde — forschungsprojekt ‹shortcomings in communication in agricultural Knowledge transfer›— Kurswechsel landwirtschaft— student reporters am world resources forum— tagung ‹strategien gegen food waste›— world food system center

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