Nordische Zeitung 305

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Impressum Die NORDISCHE ZEITUNG ist die Stimme des Artglaubens. Sie wird von der Artgemeinschaft – Germani- sche Glaubens-Gemeinschaft we- sensgemäßer Lebensgestaltung e.V., Postfach 55709, 22567 Hamburg, herausgegeben und verlegt und er- scheint vierteljährlich. Menschen unserer Art, die Beiträge zur Entwicklung nordischer An- schauungen auf religiösem, weltan- schaulichem, kulturellem, erzieheri- schem, gemeinschaftsbildendem, künstlerischem und wissenschaftli- chem Gebiet geben wollen, steht sie zur Verfügung. Dabei müssen namentlich gekenn- zeichnete Beiträge nicht in jedem Falle mit der Auffassung der Schrift- leitung oder der Leitung der Artge- meinschaft übereinstimmen. Schriftleiter und verantwortlich für den Inhalt, soweit Beiträge nament- lich nicht gekennzeichnet sind: Jür- gen Rieger, Auguste-Baur-Str. 22, 22587 Hamburg. Namentlich ge- kennzeichnete Artikel verantworten die Verfasser. Zahlungen auf das Konto: Die Artge- meinschaft, Postbankkonto 5 28 51- 104 Berlin (BLZ 100 100 10). Aus dem postalischen Ausland: unter Angabe des -Betrages mit Aus- landspostüberweisung DE59 1001 0010 0052 8511 04, BIC PBNKDEFF oder Scheck, spesenfrei für den Emp- fänger. Die von der Artgemeinschaft – Ger- manische Glaubensgemeinschaft we- sensgemäßer Lebensgestaltung e.V. verwendete Form der Irminsul ist re- gisterrechtlich geschützt und darf nur von Mitgliedern der Artgemein- schaft verwendet werden. Wir setzen an den Beginn unserer Jahreszählung nicht die Geburt eines Christus, von dem niemand weiß, ob und ggf. wann er geboren wurde, son- dern die Hochblüte des Gestirnhei- ligtums Stonehenge. Bezugsgebühr 18,– jährlich, für Mitglieder und Förderer im Jahres- beitrag enthalten. Bestellungen für nur ein Jahr gelten als automatisch um ein weiteres Jahr verlängert, wenn nicht bis zum 31. 12. gekündigt wird. Wenn innerhalb eines Jahres bestellt wird, werden die bereits er- schienenen Hefte nachgeliefert; die Bestellungen gelten immer für ein Kalenderjahr. Die Stimme des Artglaubens Im Einsatz für Lebensschutz, insbesondere Überleben unserer Art Erhaltung des nordischen Kulturerbes und Förderung einer wesens- gemäßen Kultur Verwirklichung einer sinnerfüllten Lebensgestaltung Beilagenhinweis: Einer Teilauflage liegen Mitteilungen der Leitung und die Einladung zum Gemeinschaftstag und zu einem Tanztreffen bei. Umschlagbild: Goldene Bügelfibel, langobardisch, ca. 6. Jhdt. n .übl. Ztr. Inhaltsverzeichnis Germanisches Erbe in Darstellungen auf bäuerlichem Sachgut Dr. Ernst Otto Thiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Die Christianisierung der Goten – Teil 1 Dr. Robert Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Der Laich, das germanische Weihespiel Wilhelm Schloz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Der Neunersprung Emma und Georg Hüsing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Die Ballade vom Ulinger im hessischen Kinderlied Joseph Schopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Heidenspaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Unseren jungen Gefährten – Aus Deutschlands Vorzeit: Die Bronzezeit – Teil 6 . . . . . . . . . . . . 68 Unseren jüngsten Gefährten – Der Pudelmopsdackelpinscher Die Brunnenfrau – Unser Märchen-Rätselbild . . . . . . . . . . . . . . 70 Neues vom alten Feind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 umbruch_3/05 05.07.2005 23:14 Uhr Seite 48

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ImpressumDie NORDISCHE ZEITUNG istdie Stimme des Artglaubens. Sie wirdvon der Artgemeinschaft – Germani-sche Glaubens-Gemeinschaft we-sensgemäßer Lebensgestaltung e.V.,Postfach 55709, 22567 Hamburg,herausgegeben und verlegt und er-scheint vierteljährlich.Menschen unserer Art, die Beiträgezur Entwicklung nordischer An-schauungen auf religiösem, weltan-schaulichem, kulturellem, erzieheri-schem, gemeinschaftsbildendem,künstlerischem und wissenschaftli-chem Gebiet geben wollen, steht siezur Verfügung.Dabei müssen namentlich gekenn-zeichnete Beiträge nicht in jedemFalle mit der Auffassung der Schrift-leitung oder der Leitung der Artge-meinschaft übereinstimmen.Schriftleiter und verantwortlich fürden Inhalt, soweit Beiträge nament-lich nicht gekennzeichnet sind: Jür-gen Rieger, Auguste-Baur-Str. 22,22587 Hamburg. Namentlich ge-kennzeichnete Artikel verantwortendie Verfasser.Zahlungen auf das Konto: Die Artge-meinschaft, Postbankkonto 5 28 51-104 Berlin (BLZ 100 100 10). Ausdem postalischen Ausland: unterAngabe des €-Betrages mit Aus-landspostüberweisung DE59 10010010 0052 8511 04, BIC PBNKDEFFoder Scheck, spesenfrei für den Emp-fänger.Die von der Artgemeinschaft – Ger-manische Glaubensgemeinschaft we-sensgemäßer Lebensgestaltung e.V.verwendete Form der Irminsul ist re-gisterrechtlich geschützt und darf nurvon Mitgliedern der Artgemein-schaft verwendet werden.Wir setzen an den Beginn unsererJahreszählung nicht die Geburt einesChristus, von dem niemand weiß, obund ggf. wann er geboren wurde, son-dern die Hochblüte des Gestirnhei-ligtums Stonehenge.Bezugsgebühr 18,– € jährlich, fürMitglieder und Förderer im Jahres-beitrag enthalten. Bestellungen fürnur ein Jahr gelten als automatischum ein weiteres Jahr verlängert,wenn nicht bis zum 31. 12. gekündigtwird. Wenn innerhalb eines Jahresbestellt wird, werden die bereits er-schienenen Hefte nachgeliefert; dieBestellungen gelten immer für einKalenderjahr.

Die Stimme des ArtglaubensIm Einsatz für

� Lebensschutz, insbesondere Überleben unserer Art

� Erhaltung des nordischen Kulturerbes und Förderung einer wesens-gemäßen Kultur

� Verwirklichung einer sinnerfüllten Lebensgestaltung

Beilagenhinweis: Einer Teilauflage liegen Mitteilungen der Leitung und die Einladung zum Gemeinschaftstag und zu einemTanztreffen bei.

Umschlagbild: Goldene Bügelfibel, langobardisch, ca. 6. Jhdt. n .übl. Ztr.

Inhaltsverzeichnis

Germanisches Erbe in Darstellungen auf bäuerlichem Sachgut

Dr. Ernst Otto Thiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Die Christianisierung der Goten – Teil 1

Dr. Robert Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Der Laich, das germanische Weihespiel

Wilhelm Schloz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Der Neunersprung

Emma und Georg Hüsing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Die Ballade vom Ulinger im hessischen Kinderlied

Joseph Schopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Heidenspaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67Unseren jungen Gefährten –

Aus Deutschlands Vorzeit: Die Bronzezeit – Teil 6 . . . . . . . . . . . . 68Unseren jüngsten Gefährten – Der Pudelmopsdackelpinscher

Die Brunnenfrau – Unser Märchen-Rätselbild . . . . . . . . . . . . . . 70

Neues vom alten Feind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

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1. Das Menschenpaar inDarstellungen der VolkskunstZahlreich sind die Werke der Volks-kunst, die eine Darstellung des Men-schenpaares enthalten. Die Art der Dar-stellung ist verschieden; doch zeigenvier Hauptgruppen eine weitgehendeIdeenverwandtschaft und lassen sichtrotz äußerer Vielfalt auf die gleicheGrundanschauung zurückführen.

1. Die einfache Darstellung zeigt ledig-lich Mann und Frau. Dabei ist zu beob-achten, daß diese im allgemeinen nichtnur nebeneinander stehen, sondern sichan den Händen halten oder gar eng um-schlungen sind. Diese Darstellung fin-det sich vor allem auf hölzernen Back-formen vom 17. bis zum beginnenden19. Jahrhundert1 und auf bemaltenSpanschachteln aus der zweiten Hälftedes 18. Jahrhunderts2.

Beide Gruppen stellen Gebrauchsge-genstände dar, jedoch solche, die außer-halb des Alltagsgebrauches der Ver-wendung zu Fest und Feier vorbehaltensind. In den Hauben- oder Mützen-schachteln wurden die prächtigen Feier-tagshauben aufbewahrt. Die Backfor-men, vielfach Modeln genannt, dienenauch heute noch der Zubereitung desweihnachtlichen Festgebäckes.

Auf den Haubenschachteln tritt uns dieDarstellung des Motives sinnbildhaftentgegen; allerdings nicht im Sinne ei-ner schmuckhaften Dekoration, son-dern als ausdruckshaftes Symbol desVerbundenseins von Mann und Frau zueiner Einheit. Die mit Hilfe der Back-formen hergestellten Weihnachtsge-bäcke unterstreichen diesen Sinn durchihr Zugehören zu dem jahreszeitlichenBrauchtum. Denn zu keiner Zeit wärees sinnvoller, ein Gebäck in der Formdes Menschenpaares herzustellen alsgerade zu Weihnachten, der Zeit derJahreswende, in der das Alte vergehtund aus der ewigen Substanz das neueLeben entsteht.

So tritt uns hier das Menschenpaar alsTräger des Lebens entgegen. Bewußtsind Mann und Frau zusammen darge-stellt, als die Einheit, die allein Aus-gangspunkt des Kommenden sein kann.

2. Die nächste Gruppe mit einer Dar-stellung des Menschenpaares zeigt die-ses zu den Seiten eines Baumes, derdurch Größe und Anordnung das be-herrschende Mittelstück dieser Darstel-lung bildet.

Mann, Frau und Baum ohne Hinzufü-gung weiterer Motivteile finden sichverhältnismäßig selten3. Immerhin istdiese Darstellung beachtlich, weil sieeine ganz klare Verbindung des Men-schenpaares mit dem Baum zeigt, dieohne ablenkende Zutaten das Wesentli-che hervorhebt. In engem Zusammen-hang hiermit steht eine Form des Moti-ves, die an Stelle des Baumes einenZweig mit einem Blütensproß zeigt, dersich zwischen dem Menschenpaar befin-det und von diesem gemeinsam gehal-ten wird (Bild 1).

Dieser einfach gegliederte Motivaufbauerfährt dann mehrfache Erweiterungen.Zunächst durch zwei gegenständige Vö-

gel, die auf dem Baum oder zu seinenSeiten angeordnet sind (Bild 2). Es han-delt sich hierbei um eine Motivgestal-tung, die aus zahlreichen Darstellungendes Lebensbaumes bekannt ist, in denen

Bild 1: Schüssel aus Mittelkirchen im AltenLande. 1742. (NiedersächsischesVolkstumsmuseum, Hannover.)

Germanixe+ Erbe in

Darye¬ungen auf

bäuerlicem Sacgut

Bild. 2: Stickmustertuch aus der Winser Elbmarsch. (Niedersächsisches Volkstumsmuseum,Hannover.)

Bild 3: Lehne eines Stuhles aus der Umgebungvon Celle. 1860. (Bomann-Museum, Celle.)

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die Vögel als Geleittier des Heldenbeim Zuge in die andere Welt und alsÜberbringer des Lebenswassers hervor-treten4.

Im Zusammenhang damit findet sichhäufig die Andeutung eines Brunnensan den Wurzeln des Baumes (Bild 2).Auch in diesem Motiv wird die Überlie-ferung sichtbar, die für den Ursprungder Darstellungen in der Volkskunst diegleiche ist wie für die Erzählung in derEdda, in der es von der Esche Yggdrasilheißt: immergrün steht sie am Urdbrun-nen5.

Die am stärksten in Erscheinung tre-tende Ausgestaltung des einfachen Mo-tives, das nur das Menschenpaar amBaum zeigt, erfolgt durch die Hinzufü-gung der Schlange, die zumeist amStamm des Baumes angebracht wird(Bild 2). Dadurch tritt, rein äußerlichgesehen, eine Veränderung des Motivesein. Aus dem Menschenpaar, das sonstnur als solches erschien, wird jetztAdam und Eva. Der Baum aber, dersonst ein Sinnbild lebensspendender

Kraft ist, dessen Früchte Jugendfrischeund Fortbestand gewähren6, wird zu ei-nem Giftgewächs. Der Genuß seinerFrucht bedeutet Verdammnis und Ver-treibung aus dem Paradies, der altenHeimat. Das Gesamtmotiv erscheint alseine Darstellung des Sündenfalles.

Es ist durchaus fraglich, ob diese Dar-stellung des Sündenfalles in der gedank-lichen Vorstellung der Verfertiger derbetreffenden Gegenstände das alleinMaßgebliche gewesen ist, oder ob nichtdoch noch andere Vorstellungen in demMotiv zum Ausdruck kommen.Zunächst erscheint es unwahrschein-lich, daß ein Motiv, das einen ausge-sprochen negativen Inhalt wie den desSündenfalles hätte, die weite Ausdeh-nung im Gesamtbereich der Bauern-kunst hätte finden können, die dieseDarstellung des Menschenpaares amBaum bis in die Gegenwart einnimmt.Ganz unmöglich wäre es aber gewesen,daß eine Verfallserscheinung wie derSündenfall ausgerechnet unter demsinnbildhaften Gebäck der Weihnachts-zeit7 eine bevorzugte Stellung einge-nommen hätte, da gerade dieses Fest ei-nen ausgesprochen lebensbejahendenSinn hat. Desgleichen hätten die jungenMädchen ihre Stickmustertücher8 kaummit dem Motiv versehen, wenn sie ihmnur die Bedeutung des Sündenfallesbeigemessen hätten.

In diesen Darstellungen der Schlangemuß noch etwas anderes zur Geltunggekommen sein. Auf bäuerlichenStühlen ist sie häufig zu finden und bil-det dort allein (Bild 3) oder paarig dieRückenlehne9. Vielfach trägt hier dieSchlange einen kronenartigen Drei-sproß auf dem Kopf. In der gleichen Artfinden wir sie auch an den Toren west-fälischer Bauernhäuser10.

Es ist absolut undenkbar, daß die Bau-ern Haus und Gerüst mit einem Tier ge-

schmückt hätten, wenn die mit diesemTier verknüpfte Bedeutung unheilvollgewesen wäre. Die Schlange muß viel-mehr einen durchaus positiven Sinn ge-habt haben. Dies entspricht auch demWesen der sonst an diesen Stellen ange-brachten Sinnbilder. Trägt die Schlangesogar einen Dreisproß, wird ihre Be-deutung als Träger und Mittler der Le-benskraft besonders wahrscheinlich. Indiesem Sinn gewinnt sie auch in der Ver-bindung mit dem Baum, zu dessen Sei-ten das Menschenpaar steht, besondereBeachtung. Die „Paradiesszene“ fandeben deshalb die häufige Darstellung,weil hier eigentlich Dinge behandeltwurden, die in der völkischen Überlie-ferung verankert waren. Der Baum alsSinnbild des sich ewig erneuernden Le-bens und als Schicksalsbaum, das Men-schenpaar als Träger des Lebens unddie Schlange mit der Lebensfrucht fü-gen sich zu einem wesensgleich aufge-bauten Motiv zusammen, das erst in derchristlichen Umdeutung seiner Einzel-bestandteile einen anderen, einen nega-tiven Sinn erhält.

Im Rahmen dieses Gesamtmotives fälltdie Heraushebung einer Umgrenzungdes Ganzen auf, die vierseitig11 oder, dermeist flächigen Zeichnung entspre-chend, nur auf der Vorderseite erfolgt.Dadurch wird zum Ausdruck gebracht,daß ein besonderer Bezirk abgegrenztist, eine andere Welt als die gewöhnli-che, in deren Mittelpunkt der Baumsteht. Im Sinn der „Paradiesszene“ istdies natürlich das Paradies, im Sinne derÜberlieferung der Schicksalsgarten.

Die Darstellung auf einem bemaltenSchrank aus dem Gudbrandstal in Nor-wegen (Bild 4) kennzeichnet die Ge-schlossenheit dieses besonderen Bezir-kes deutlich und hebt in der Umgren-

Bild 4: Tür eines bemalten Schrankes aus demGudbrandstal in Norwegen.

(In den Sandvigschen Sammlungen zuLillehammer, Norwegen.)

Bild 6: Hölzerne Backform aus Celle.(Bomann-Museum, Celle.)

Bild 5: Kopfkissenbezug aus den Vierlanden. (Niedersächsisches Volkstumsmuseum, Hannover.)

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zung ausdrücklich vier bastionsartigeEcken hervor, die Schutz- und Ein-gangsstellen dieser anderen Welt.Die Umformung alten Geistesgutes inchristlichem Sinn zeigt die Darstellungauf einem Kopfkissenbezug aus denVierlanden (Bild 5). Das Menschenpaarhält ein Herz, aus dem ein Dreisproßwächst. Zu den Seiten sind in der glei-chen Anordnung, in der sich sonst diepaarigen Vögel finden, zwei gegenstän-dige Engel angebracht. Diese zeigen inder Haltung und in der Mitführung derPalmwedel die typische Form der be-kannten Segens- und Kinderbringer-engel, die in zahlreichen billigenDrucken Verbreitung gefunden haben.Trotz dieser fremden Züge wird dasMotiv der überlieferungsgebundenenDarstellung völlig eingefügt, so daß derGesamtausdruck der gleiche bleibt.3. Sahen wir bisher das Menschenpaarzu den Seiten des Baumes, so tritt uns ineiner weiteren Gruppe eine Art Um-kehrung entgegen, bei der Mann undFrau das Mittelstück der Darstellung bil-den, während sich links und rechts je einBaum befindet. Wiederum sind es vorallem Backformen und Mützenschach-teln, die das Motiv zeigen.Wie auf den oben behan-delten Darstellungen (Bil-der 2 und 4) finden wirauch hier (Bild 6)zunächst das Menschen-paar in einem geschlosse-nen Rahmen, und es sindgleichfalls die vier Eckenbetont herausgestellt.Mann und Frau halten ge-meinsam einen Kranz; zuden Seiten befindet sich jeeine Pflanze, die der zeit-genössischen Ausgestal-tung des Gesamtbildesentsprechend belebt ge-zeichnet ist.Auf der Mützenschachtel(Bild 7) zeigen sich diesePflanzen in klarer Baum-form zu den Seiten des

Menschenpaares, das hier durch den be-gleitenden Spruch deutlich als Liebes-paar gekennzeichnet ist.Häufig tragen brandenbur-gische Klemmeisen, Ku-chenformen, die der Berei-tung des Fasnachtsge-bäckes dienen, links undrechts von einem Mittel-stück je einen Baum (Bild8). Ausgesprochene Men-schendarstellungen sindmir hier in den Mittelfel-dern noch nicht begegnet,doch weist der Spruch aufeinem solchen Eisen ausdem Fläming: MINHARTE UND DÜNHARTE IS EN KLÜT-KEN deutlich auf Mannund Frau hin, an derenStelle hier dieser Spruchgesetzt ist.Auf dem Stickmustertuch(Bild 2) und auf demSchrank (Bild 6), die dasMenschenpaar mit derSchlange am Baum zeig-ten, befinden sich gleichfalls zwei starkhervorgehobene Bäume, von denen die

neunsprossigen des Stickmustertuchesbesonders bemerkenswert sind.

Zwei Bäume treten unsaber auch in Verbindungmit der Hochzeit entge-gen. Vor schwedischenHochzeitshäusern wurdenin Uppland zwei mit die-sem grünen Laub um-wickelte Stangen aufge-stellt (Bild 9). Die Spitzendieser Bäume waren mitKronen oder mit Sonnen-darstellungen besetzt12.Letztere entsprechen denhalben Sonnen an nieder-sächsischen Hausfronten,niederbayerischen13 undegerländer Hoftoren14, aufbrandenburgischen Oster-eiern, Dachziegeln15 undanderen. – Diese Hoch-zeitsmaien vor den schwe-dischen Häusern findenauch Parallelen inDeutschland, wo z. B. imSchwarzwald gleichfallszwei Bäume, Tannen, an

denen weiße Bänder hängen, vor demHochzeitshaus stehen16.

Es erhebt sich nun dieFrage, warum diese zweiBäume in Verbindung mitdem Menschenpaar er-scheinen. Um eine orna-mentale Dekoration han-delt es sich bei dieser Mo-tivgestaltung ebensowenigwie bei der Darstellungdes Menschenpaares zuden Seiten des einen Bau-mes. Daß im vorliegendenFall eine Lebensbaumdar-stellung vorliegt, wird ausdem Kucheneisen ersicht-lich, dessen beide Bäumein Gefäßen stehen, so daßausdrücklich auch auf dasLebenswasser hingewie-sen ist. Dazu kommt, daßdiese Klemmeisen zur

Bild 7: Bemalte Mützenschachtel. (Bomann-Museum, Celle.)

Bild 8: Innenseite eines Klemmeisens aus Niedergörsdorf, Kreis Jüterborg-Luckenwalde. 1872. Privatbesitz.

Bild 9: „Bröllopstänger“ (Hochzeitsstangen) aus Rosslagen, Schweden.(Nach „Uppland i Nordiska Museet“, Stockholm 1926, Abb. 111.)

Bild 10: Hölzerne Backformaus Luckenwalde.

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Aussteuer der Braut gehören17, also mitder Hochzeit im Zusammenhang ste-hen, ähnlich wie die Mützenschachteln.Es muß also den Baumdarstellungenauf diesen Gegenständen ein Sinn inne-wohnen, der mit den Hochzeitsmaienvor den Brauthäusern übereinstimmt.Es scheint mir, daß die Herausstellungvon zwei Bäumen auf Mann und Frauhinweist, deren Leben und Schicksalnunmehr zusammengeht, was durch die

gemeinsame Darstellungdes Menschenpaares mitden beiden dazugehören-den Bäumen betont wird.Vor dem Hochzeitshauskönnen selbstverständlichnur die beiden Bäume ste-hen, die aber zu den Seitender Tür angebracht sind,durch die das Brautpaar indas Innere des Hauses ge-langt.4. Sahen wir in den bisherbehandelten Darstellun-gen das Menschenpaar al-lein, zu den Seiten einesBaumes oder als Mittel-stück zwischen zwei Bäu-men, so tritt uns in einerweiteren Gruppe das Men-schenpaar im Baum entge-gen.Auf dem bereits mehrfacherwähnten sehr motivrei-chen Stickmustertuch(Bild 2) sehen wir, daßMann und Frau nicht nurneben dem großen Haupt-baum, sondern jeder nochin einem Einzelbaum ste-hen. Diese Darstellung istkeinesfalls eine Sonderer-scheinung. Auf einer bran-denburgischen Backform(Bild 10) finden wir Mann und Frau imneunten Sproß eines Baumes. Hier han-delt es sich wiederum um eine Form fürdas Weihnachtsgebäck, so daß dieseDarstellung im Zusammenhang mitdem Brauchtum der Jahreswende undder Lebenserneuerung steht.In Verbindung mit den Darstellungendes Menschenpaares im Baum müssensolche genannt werden, die auf die Her-kunft der Kinder aus einem Baum ver-weisen. Schon im Hortus deliciarum derHerrad von Landsberg (Bild 11) begeg-net uns ein dreisprossiger Baum, dessenSprossen jeweils einen Kinderkopf um-schließen. Auf einen brandenburgi-schen Hausspruch von 1776 n. ü. Ztr.hängen in dem Baum zahlreicheWickelkinder18. Eine sinnesverwandteDarstellung zeigt eine hölzerne Back-form aus Elbing (Bild 12). Hier stehteine Frau am Baum, welcher eines derim Baum hängenden Wickelkinder indie ausgebreitete Schürze fällt.Diese Bäume umschließen das Leben.Damit findet eine Auffassung ihrenAusdruck, die uns bereits in dem Ge-spräch Odins mit dem Riesen Vafthrud-nir entgegentritt, in welchem es heißt19:

Lif und Lifthasir,ihr Leben bargen sieim Holze Hodmimirs;Morgentauwird ihr Mahl dort sein;sie pflanzen die Völker fort.

Darstellungen des Men-schenpaares sind unsschon aus der Bronzezeitbekannt20. Sie haben mitden Werken der Volks-kunst die klare ruhigeHaltung gemein, in derMann und Frau dem Be-schauer entgegentreten.Das Menschenpaar wirdüberall als große Einheitempfunden, in der beideTeile völlig gleichwertignebeneinander stehen.Nirgendwo tritt eine Vor-rangstellung des Manneshervor; die gemeinsameTrägerschaft des neuenkommenden Lebens ver-bindet die beiden Teilezu einem geschlossenenGanzen.

5. Seit dem Mittelaltermacht sich aber auch einanderes Denken be-merkbar. An die Stelleder natürlichen Gemein-schaft tritt nunmehrein Untertanenverhältniszwischen Mann undFrau, deren Stellung zu-einander im Sinn der ori-entalischen Auffassungbeeinflußt wird. Ein

Wort der syrischen „constitutiones apo-stulorum“21 wird mehr und mehr gera-dezu Leitgedanke für die Beurteilungdes Verhältnisses der beiden Ge-schlechter: „Ihr Weiber seid untertaneuren Männern und haltet sie in Ehren,und mit Furcht und Liebe dient ihnen,wie die ehrwürdige Sarah den Abrahamehrte, welche ihn nicht einmal beim Na-men anzureden wagte, sondern ihn Herrnannte.“Dem Norden ist dieses Denken völligfremd, das erst durch die aus dem Süden

Bild 11: Herrad von Landsberg, Hortusdeliciarum: Paradies. (Nach Josef Strzygowski,

Spuren indogermanischen Glaubens,Heidelberg 1936, Abb. 193.)

Bild 12: Hölzerne Backform aus Elbing.(Museum Elbing.)

Bild 13: Holzplastik. Orslev-Kirche, Skelskr, Dänemark. Um 1300. (Nationalmuseum,

Kopenhagen.)

Bild 14: Teil einer barocken Heiligenfigur ausder Umgebung von Würzburg.

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kommende Priesterschaft ein-geführt wurde. In der kirchli-chen Kunst Deutschlands undSkandinaviens haben diese un-germanischen, orientalischemDenken verbundenen Auffas-sungen wiederholt ihren Nie-derschlag gefunden. Bild 13zeigt eine dänische Holzplastikaus der Zeit um 1300 n. ü. Ztr.und Bild 14 gibt den Ausschnittaus einer barocken Heiligenfi-gur aus der Gegend von Würz-burg. Beide Darstellungen las-sen die Verrohung erkennen,die nunmehr in dem Verhältniszwischen Mann und Fraudurchgedrungen war.Diese Plastiken könnten gera-dezu als eine Illustration zudem Worte Mohammeds ange-sehen werden: „Das Paradiesder Frau ist unter den Fußsoh-len ihres Mannes.“Leider finden sich auch verein-zelt Darstellungen dieser Geistesart inder bürgerlichen und bäuerlichenKunst. Eine Schützenscheibe aus Rei-chenhall vom Jahre 1731 n. ü. Ztr. (Bild15) trägt die Inschrift: „Ein Jeder Mannder sein Weib die Hautt abziegt VonStundt auff in den Himmel fligt.“ Inneun Bildern wird gezeigt, wie derMann durch Prügel sein ungehorsamesWeib zur Vernunft bringt, das sich zumSchluß für die ihm erwiesene „Wohltat“kniefällig bedankt. Diese Darstellungentspringt einer ausgesprochen unwür-digen Denkungsart, die dem germani-schen Menschen von Haus aus fremd istund die deshalb glücklicherweise auchnur in beschränktem Maß Eingang indie bäuerliche Lebens- und Darstel-lungswelt gefunden hat.

2. Der Baum im Brauchtumund Sachgut des LebenslaufesAus zahlreichen Erscheinungsformendes Jahreslaufbrauchtums ist der Baumbekannt. Nichts erscheint daher natürli-cher als die Vermutung, ihn auch in demBrauchtum anzutreffen, das mit demLebenslauf verbunden ist. Denn beidesBrauchtum ist aus den gleichen geisti-gen Voraussetzungen entstanden undwird von den gleichen Menschen getra-gen.Überblickt man den Lebenslauf in derüblichen Reihenfolge Geburt – Hoch-zeit – Tod, zeigt es sich, daß Sachgüter,die durch eine Baumdarstellung ausge-zeichnet sind, in dem ersten Lebensab-schnitt des Menschen kaum hervortre-

ten, daß dagegen das mit derHochzeit und mit dem Tod zu-sammenhängende Sachgutdiese Darstellungen sehr häu-fig trägt. Das bedeutet nunnicht, daß in der Kindheit undin der Burschen- undMädchenzeit der Baum be-langlos sei oder überhauptnicht erscheine. Im Gegenteil,er ist sogar recht oft zu finden,doch verdichtet sich sein Vor-kommen in diesem Lebensal-ter vor allem auf das von denKindern und von der Jugendgetragene Brauchtum.Weit bekannt, wenn auch inder Verbreitung noch keines-wegs klargestellt, ist die Sitte,bei der Geburt eines Kindes ei-nen Baum zu pflanzen. DieserBaum gilt als Schicksalsbaum,sein Gedeihen und Vergehenfällt mit der Entwicklung deszu ihm gehörenden Menschenzusammen.

Vielfach zeigt das Brauchtum derFrühlingszeit eine Verbindung vonKind und Baum. Als Beispiel sei dasBrunnenreinigen in der Pfalz erwähnt,in dessen Verlauf die „Bornmädchen“auf jeden Brunnen ein bänderge-schmücktes Bäumchen stecken. Hierinkann man m. E. nicht das Absinken ei-nes ehemals von Erwachsenen geübtenBrauches zu einer Kinderspielerei er-blicken. Vielmehr erscheint es mirdurchaus sinnentsprechend, daß dasKind, der Träger der jungen Lebens-kraft im Frühling, in der Zeit der erwa-chenden Natur mit einem Brunnen-brauch, also mit dem Quellwasser selbstin Verbindung steht, und daß es so alsSinnbild des Wachstums und der Le-

Bild 15: Bemalte Schützenscheibe. 1734. (Museum Bad Reichenhall.)

Bild 16: Der „Rosenbaum“ im Umzug der ledigen Jugend am Rosenbaumfest zu Schenkendorf,Kreis Teltow. 10. Juli 1938.

Bild 17: Kesselhaken aus Thedinghausen an derWeser. 1792. (Städt. Museum, Braunschweig.)

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benskraft den Baum mit sich führt undauf den Brunnen setzt.

In der gleichen Richtung liegt dasAuschmücken brandenburgischerDorfkirchen durch die Konfirmandenam Tage der Konfirmation. Diese stel-len vor den Türen der Kirche Bäum-chen aus dem immergrünen Wacholderauf und schmücken diese mit weißenPapierblumen.

Vielerorts sind die heiratsfähigen Bur-schen und Mädchen Träger einesBrauchtums, in dessen Mittelpunkt derBaum steht. So ist es im Kreis Teltow inder Mark Sache der ledigen Dorfju-gend, einen Kronenbaum herzurichten.Die Burschen und Mädchen kommenzu nächtlicher Stunde zusammen undbilden aus frischem Eichenlaub denBaum, der am nächsten Tag beim Ring-reiten als Sinnbild des Lebens nebendem Strohmann, dem Sinnbild des Ver-gehenden, auf dem Festplatz des Dorfessteht.

Gleichfalls in der Mark Brandenburgbeheimatet ist das Rosenbaumfest zur

Sommersonnenwende. Auch dieseswird von der ledigen Jugend getragen.Der mit Rosen durchsetzte Baum bildetden Kern eines festlichen Umzuges umdas Dorf, zum Segen für Mensch undFlur (Bild 16).

Den größten Umfang nehmen dieBaumdarstellungen auf den mit derHochzeit im Zusammenhang stehen-den Sachgütern ein. Hierbei handelt essich vorwiegend um Stücke der Aus-steuer und um Minnegaben. DieseGeräte und Gegenstände gehören zuden wichtigsten Trägern von Sinnbil-dern. Unter ihrer Fülle fällt die klareZeichnung des Lebensbaumes beson-ders auf, der geradezu als eines der Leit-motive der sinnbildlichen Ausgestal-tung dieser Arbeiten gelten kann.

Die Ausführung der Lebensbaumdar-stellung auf diesen Gegenständen istsehr verschieden. Doch handelt es sichbei diesen Abweichungen nur um un-tergeordnete Unterschiede, die teilsdurch die bearbeiteten Materialien unddie angewandten Techniken bestimmt,teils aber auch durch Einwirkungen deszeitgenössischen Kunststiles hervorge-rufen sind. Das Klemmeisen (Bild 8)zeigte strenge klare Formen, währendder in Bild 17 wiedergegebene Kessel-haken den Lebensbaum in der anmuti-gen Art des ausgehenden 18. Jahrhun-derts trägt. Dazu paßt sich die Zeich-nung dieses Sinnbildes in beiden Fällender Formgebung des Gerätes stark an.Dies tritt auch besonders deutlich aufdem Schwingbock (Bild 18) in Erschei-nung, in dessen zum Pferdehals geboge-nen Oberstück der Lebensbaum einge-fügt ist.

Diese äußeren Unterschiede sind fürdie inhaltliche Bedeutung der Darstel-lungen ohne Belang, denn die entschei-denden Motivteile, ein mehrsprossigerBaum und ein Gefäß, in dem diesersteht, sind jeweils vorhanden.

Die drei Geräte, der Kesselhaken, derSchwingbock und das Klemmeisen22

gehören in den Gebieten ihres Vorkom-mens zur Aussteuer der Braut. Die Be-deutung des Kesselhakens ist nament-lich in Niederdeutschland weit über dieeines Gebrauchsgegenstandes hinaus-gegangen und hat ausgesprochen sym-bolische Formen angenommen23. Ge-rade der Kesselhaken wirkt als ein heili-ges Zeichen der Sippe; der Braut wurdein Westfalen der Kesselhaken überge-ben. Braut und Bräutigam reichten sichihre Hände über dem Kesselhaken undbekräftigten so am Herdfeuer den Bundfür das Leben.

Was ist natürlicher, als daß ein Gerätvon dieser hohen Bedeutung mit demLebensbaum als Zeichen des Wachsensund Gedeihens versehen wird. Abernicht nur die Kesselhaken, sondern

auch die übrigen Aussteuergegen-stände sind so eng mit der Hochzeit undder Gründung eines neuen Hausstandesverbunden, daß es ganz selbstverständ-lich erscheint, auf diesen Dingen dasSinnbild des Lebensbaumes anzubrin-gen.

Was hier auf die Stücke der Aussteuerder Braut zutrifft, bezieht sich in glei-chem Maße auf die Minnegaben, dieGeschenke der Burschen an ihreMädchen. Zu diesen Minnegaben ge-hören besonders Mangelbretter, Spinn-wockenstäbe und -aufsätze, Binde-stöcke, Nadelkästen und andere Geräteaus Holz.

Bild 18: Oberteil eines Schwingbockes aus derUmgebung von Celle. (Bomann-Museum, Celle.)

Bild 20: Mädchengrab mit vier „Kassen“ ausSamleben, Braunschweig. Vor 1900.

Bild 19: Teil eines Mangelbrettes aus Guben.

Bild 21: Eisernes Grabkreuz aus Astfeld,Braunschweig, 1840. (Landesmuseum

Braunschweig.)

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Bild 19 zeigt die Teilansicht ei-nes Mangelbrettes mit einerschönen dreizehnsprossigenLebensbaumdarstellung. AnStelle des sonst üblichen Hen-kelgefäßes ist hier ein Herz ge-treten, dem die gleiche Bedeu-tung als Behälter des Lebens-wasser und der Lebenskraftzukommt. In dem Herzen be-finden sich hier drei Kreuze, indenen eine Andeutung für dieLebenskreise von Mann, Frauund Kind erblickt werden,möglicherweise aber auch einHinweis auf die drei heiligenFrauen, die Nornen angenom-men werden könnte, derenKennzeichnung als Schick-salsfrauen im Zusammenhangmit einer sinnbildlichen Dar-stellung auf einem Hochzeits-geschenk durchaus am Platzewäre. Die gleiche Motivgestaltung se-hen wir auf der wesensverwandten Dar-stellung des aus dem Herzen sprossen-den Lebensbaumes auf dem bereits er-wähnten niedersächsischen Kopfkis-senbezug (Bild 5).Eine recht beachtliche Baumdarstel-lung zeigten, etwa bis zur Jahrhundert-wende, Gräber in der Braunschweigerund Holzmindener Gegend. Vier „Kas-sen“ oder „Fackeln“ wurden bei der Be-erdigung dem Sarg vorangetragen unddann auf das Grab gesteckt (Bild 20).Die Bäumchen stehen an den vierEcken des Grabes und betonen dadurchdie Umgrenzung eines nach den Him-melsrichtungen orientierten Bezirkes,ähnlich den vier bastionsartigen Eckenin der „Paradiesszene“ auf dem norwe-gischen Schrank (Bild 4).Vielfach finden sich auch heute nochschmiedeeiserne Grabkreuze, nament-lich auf dörflichen Friedhöfen, die mitKreuzen im herkömmlich kirchlichenSinn nichts rechtes zu tun haben (Bild21). Sie gleichen vielmehr in ihremmehrsprossigen Aufbau Bäumen undzeigen in der Verwendung von Rad-kreuz, Sechsstern und Spirale ihr Zu-gehören zu einer überlieferungsgebun-denen Darstellungswelt, für die auf dasGrab des Toten der Baum in gleicherWeise gehört, wie er bei allen anderenwichtigen Einschnitten des Lebens inErscheinung getreten war.Wie stark mit dem Baum die Bedeutungdes Lebens- und Schicksalsbaumes ver-bunden ist, wird aus der Darstellung aufeiner eisernen Ofenplatte aus Nord-westdeutschland ersichtlich (Bild 22).Im Mittelpunkt des Bildes sieht man ei-nen Mann und eine Frau und über ihnendie Inschrift:

ICH GIENG FVRVBER VND SAHEEINEN VBERMVTIGEN DERWVCHS IN DIE HÖHE WIE EIN

DANNENBAVM ER BREITE SICHAVS WIE EIN PFAVE ER GRVNTEWIE EIN LORBERBAVM ICHGIENG WIEDER VORVBER VNDSAHE DOHIN SIEHE DO WAHREHR DOHIN DO WAHR ERDOHIN.

Neben dem Mann steht:QVODLVBET LICETund die Frau sagt:ES IST NOCH VORABENT.

Das heißt, er, der „Übermütige“, hatnach dem Grundsatz „was gefällt, ist er-laubt“, die Ehre der Frau angegriffenund liegt nun tot am Boden. Über ihmliegt sein zerbrochener Lebensbaum.

Eine wesensverwandte Darstellung desLebensbaumes findet sich auf einemfriesischen Grabstein von der Insel Föhr(Bild 23). Der Stein gilt einer Frau, de-

ren Ehe acht Söhne und dreiTöchter erwachsen sind. Vondiesen sind zwei Söhne undeine Tochter vor der Muttergestorben. Sie alle sind alsBlüten an einem Baum dar-gestellt, die Männer durchTulpen, die Frauen durch Ro-sen. Während die Lebendendurch aufwärts gerichtete Blü-ten gekennzeichnet sind, wer-den die Toten durch geknickteBlüten hervorgehoben.So finden wir den Baum alsSinnbild des Lebens, des auf-steigenden und vergehendenim Lebenslauf des Menschenvon der Geburt bis zum Tod.Er ist Ausdruck eines Den-kens, das jung und alt, das Ent-stehen und das Wiederverge-hen im naturgegebenen Zu-sammenhang umfaßt und das

in dem sich immer wieder erneuerndenBaum ein Sinnbild der ewigen Substanzerblickt, die die Kräfte für das neueWerden enthält.

Dr. Ernst Otto Thiele

Anmerkungen:

1 E. O. Thiele, Sinnbild und Brauchtum, Potsdam1937, Abb. 146–149.

2 Desgl. Abb. 143.

3 Z. B. auf einer Hochzeitsschüssel aus Issum (Deut-sche Volkskunst, Band III, Die Rheinlande, Mün-chen 1924, Abb. 129).

4 K. v. Spieß, u. a. in: Bauernkunst, ihre Art und ihrSinn, Berlin 1935, S. 44.

5 Die Edda, übertragen von Felix Genzmer II S. 76.

6 Snorri Edda, Gylfis Betörung, 26 (Thule XX, Jena1925, S. 74).

7 Hans Strobel, Bauernbrauch im Jahreslauf, Leip-zig 1936, Abb. zu S. 69. – Oskar v. Zaborsky, Urvä-ter Erbe, Leipzig 1936, Abb. 281 und 288.

8 Siegfried Lehmann, Niedersächsische Stick-mustertücher, Hannover 1936, Abb. 1, 4, 58, 59.

9 O. v. Zaborsky, a. a. O., Abb. 283–285 (aus Ost-preußen).

10 Fr. Langewiesche, Sinnbilder germanischen Glau-bens, Eberswalde 1935, Abb. 166.

11 S. Lehmann, a. a. O. Abb. 66.

12 Uppland i Nordiska Museet, Stockholm 1926, S. 81.

13 K. Th. Weigel und S. Lehmann, Sinnbilder in Bay-ern, Berlin 1938, Abb. 4, 9, 28.

14 Bruno Schier, Der germanische Einfluß auf denHausbau Osteuropas. In: Haus und Hof im nordi-schen Raum, Leipzig 1937, Abb. 14.

15 E. O. Thiele, a. a. O., Abb. 30, 31 bzw. 17–20.

16 H. Retzlaff, Volksleben im Schwarzwald. Berlin1937, Abb. 70.

17 E. O. Thiele, a. a. O., S. 57.

18 Desgl. Abb. 128.

19 Thule II, Vafthrudnismal, 45.

20 Herm. Schneider, Germanische Religion, Leipzig1934, Tafel XI 4 (nach L. Baltzer, Hällristningarfrån Bohuslän, I).

21 Elfriede Gottlieb, Die Frau ihn der frühchristli-chen Gemeinde, Berlin 1927, S. 21 (Constit. apost.VI 29).

22 E. O. Thiele, a. a. O. S. 57.

23 Paul Sartori, Westfälische Volkskunde, Berlin1922, S. 93. – Adalbert Kuhn, Märkische Sagen undMärchen, Berlin 1937, S. 361.

Bild 22: Niedersächsische Ofenplatte. Um 1620.(In den Museen zu Braunschweig, Celle, Brandenburg/Havel.)

Bild 23: Grabstein von der Insel Föhr. 1839.

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Die römische WeltEs liegt nicht im Sinne dieser Arbeit, die„Bekehrung“ einzelner Germanen, dieals Soldaten, als Gefangene oder Gei-seln im weiten Römerreich zerstreutwaren, zu beleuchten; es besteht auchnicht die Absicht, die christliche Mis-sion unter abgesprengten und politischunselbständigen germanischen Volks-teilen zu untersuchen. Hier liegen dieGründe für den Erfolg dieser „Bekeh-rung“ zu offensichtlich. Sie sind allge-mein menschlich und bestehen einer-seits in der Neigung, sich der Umgebunganzupassen, besonders dann, wenndiese an Bildung, Wissen und Gebarenhöher zu stehen scheint, andererseits indem geringen Widerstand, den vomVolkstum und Heimatboden losgelösteMenschen dieser Umgebung zu bietenvermögen. Dazu kam jene germanischeUntugend, die die Lehre einer zweitau-sendjährigen Geschichte noch nicht hatausrotten können: die eigene Art, Sittenund Brauchtum minder zu achten undblind zu sein gegen die Gefahr der Auf-nahme fremden Wesens. So war es im letzten Grunde die geistigeund territoriale Trennung vom großengermanischen Lebenskreis, die der Ver-römerung und damit der Annahme ei-nes Fremdglaubens den Boden berei-tete. Der Ubier, der Tunika und Togatrug, das römische Hemdgewand, „inder man das Schwert nicht ziehenkonnte“, wie die Goten spöttisch sag-ten, war germanischem Wesen ebensoverloren wie der germanische Legionär,der inmitten römischer Sklaven in denKatakomben vor dem christlichen Prie-ster kniete. Hier war die „Bekehrung“das letzte Siegel, der entscheidende Ab-schluß einer seelischen Lösung, dielange schon vorausgegangen war. DieFolge dieser Trennung vom eigenenGlauben war, daß die meisten Germa-nen im Völkergemisch des Weltreichsuntergingen. Es ist unzweifelhaft, daßdie Verluste, die das Germanentum da-durch erlitten hat, Hunderttausendevon Volksgliedern betrug.Nicht mit diesen Fragen soll sich die Ar-beit beschäftigen, sondern mit der „Be-kehrung“ der großen Völkerwellen, dieim 3. und 4. Jahrhundert aus dem ger-manischen Kernraum des Nordens ge-gen Süden und Osten hervorbrachenund dort mit der Kultur Roms und demChristentum zusammenstießen. Hierwar der einzelne nicht mehr schutzlosfremden Einflüssen preisgegeben, hierstand er auf dem Nährboden seinesVolkstums. Es ist nach den Gründen zusuchen, weshalb auch diese kraftvollenVölker dem Fremdglauben erlagen, da-mit, nach großen geschichtlichen Lei-stungen, wie jene Einzelnen vom Schick-sal zerrieben wurden und, eine unge-heure Tragik, spurlos verschwanden.

Das Christentum trat den Germanen alsein Teil der römischen Kultur entgegen.Das war eine Mischkultur aus aller Her-ren Länder. Mit den Resten altrömi-schen Pflichtgefühls und altrömischerStaatsauffassung im Beamtentumpaarte sich die orientalisch-despotischeKaiseridee, die die Proskinesis (1) ver-langte; zu dem ausgeklügelten Dog-mengebäude griechischer Philosophiegesellten sich mystisch schwärmerischeKulte aus Ägypten und Persien. Nochleuchteten die herrlichen Bauten desMnesikles auf dem Akropolisfelsen un-ter dem blauen Himmel Griechenlands,aber unter den Menschenherzen zu sei-nen Füßen machten sich Knechtsgedan-ken breit, die Schönheit eitlen Tand,Heldentum Sünde, und MannesstolzHoffart nannten.

In dieses Chaos hatte sich das aus Vor-derasien kommende Christentum ein-gedrängt, hatte neue Lehren der jüdi-schen Seele, aus der es entstammte, mit-gebracht, diese aber auf seinem langenMissionswege mit Ideen seiner helleni-stisch-römischen Umgebung innig ver-schmolzen. Im Anfang gestützt auf dengroßstädtischen Pöbel und damit diepolitische und geistige Autorität revolu-tionär unterwühlend, hatte es sich nachseinem Siege geschickt umgestellt, denStaat als willkommenen Helfer für seinePläne benutzt und als Staatsreligion injener Zeit, in der die großen „Bekeh-rungen“ der Germanenvölker began-nen, den reinen Herrschaftsgedanken inimmer schärferer Form vertreten. Die-ser Machstandpunkt verlangte im Ge-gensatz zu der mehr als ärmlichenWiege dieser Religion auch äußerlichGlanz und Pomp, eine aus den Massenherausgehobene Hierarchie, verlangteKirchen, die mit den Tempeln der An-tike wetteifern konnten, ja sie übertref-fen sollten, endlich ein Auftreten derhöheren Priester, das seinen Eindruckauf die gläubigen Massen nicht ver-fehlte.

So bot diese Kultur den Menschen, diezum erstenmal mit ihr in Berührung ka-men, ein beinahe einheitliches Bild.Dieses Bild war Macht und Glanz! Diestolzen Bauten der oströmischenHauptstadt Byzanz mit ihren Tempelnund Kirchen, dem weißleuchtendenMarmor der Standbilder und Säulenhal-len des Forums, eine in Reih und Gliedausgerichtete Legion, 8000 blitzende

Helme in der Sonne, übten auf denschauenden Germanen dieselbe Wir-kung aus wie der ungeheure Pomp, dendie christliche Kirche in kluger Absichtbei der Taufe des Frankenkönigs Chlo-dowech verwandte. In Wirklichkeit hattediese Kultur ihre Tiefe, die Einheit ihresWesens verloren. Sie war Schale, abersie leuchtete. Die Männer jener Legionwaren nicht mehr die römische Jugendzur Zeit Catos, sondern zusammenge-würfelt aus allen Provinzen des Mittel-meeres, Mauren aus Nordafrika, semiti-sche Syrer und hispanische Kelten.Aber mit dem stolzen Adler, der ihr vor-angetragen wurde, schritt die Erinne-rung an tausend Siege in allen Teilen derWelt. Die spätrömischen Dichter wieClaudian waren an Gedankentiefe nurlächerliche Nachahmer der klassischenZeit, und doch fehlte auch ihnen nichtdie stolze Gebärde und der tönendeSchwung der Sprache.

Es wird von Geschichtsbetrachtern oftder Fehler begangen, die römische Kul-tur jener Zeit als durch und durch ver-fault zu betrachten. Das Faule lag nichtim Einzelnen, sondern im Zusam-menklingen von Erhabenem undKnechtischem, von Askese und wildemSinnengenuß, von der Freiheit des Ide-alismus und engster geistiger Despotie.Die Kultur entsprach damit dem Bluts-gemisch jenes Völkerbreies. Wer emp-findet nicht die seltsamen Gegensätzejener Zeit? Dem Schakal auf dem Kai-serthron, Konstantin, der fast alle seineVerwandten heimtückisch ermordenließ und dennoch von der Kirche denBeinamen „der Große“ erhielt, folgtebald darauf der edle und kriegstapfereJulian, der „letze Römer“.

Das Wesen dieser seltsamen Kultur ha-ben weder Römer noch Germanen in je-ner Zeit empfunden. Rom glaubte anseine Macht und kulturelle Überlegen-heit bis zum Untergang. „Barbaren“nannte man auch dann noch die blon-den Eroberer, als sie Kommandeure derLegionen waren und als Herren Italiensdie altrömischen Kunstwerke vor derZerstörung durch die Römer schützten.Prachtvolle Bauten entstanden in denStädten, als die Goten die Grenzwällean der Donau durchbrochen hatten, undClaudian begeisterte seine Landsleutemit überschwänglichen Schilderungender Siege seines Kaisers, die dieser nieerfochten hatte.

Die Chriyianisierung

der GotenTeil 1

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Aber auch die Germanen erkanntenRom nicht in seinem Wesen. Sie sahennur die leuchtende Schale, sahen Mar-mor und Gold und ließen sich die Sinneumnebeln von Weihrauch und Psalmen-gesang. Dabei vergaßen sie ihr Heilig-stes, ihre Eigenart. Es ist erschütterndzu lesen, wie der große Theoderich seineGoten ermahnt, sich das feinere römi-sche Wesen und die römischen Wissen-schaften anzueignen. Dieser kluge Fürsteines der herrlichsten Völker, die dieseErde betreten haben, glaubte mit sei-nem Volk eine Brücke zwischen römi-schem und germanischem Wesen schla-gen zu können, ein Ziel, das zum eignenUntergang führen mußte.

Altgermanische KulturDie gotischen Völker, die im 3. und 4.Jahrhundert an den Ufern desSchwarzen Meeres und im nördlichenBalkan mit der römischen Welt inBerührung kamen, werden heute nochvon christlichen Theologen für kultur-lose Barbaren gehalten. Was sie späteran technischen Leistungen vollbrach-ten: Schrift und Baukunst, Verwaltungund staatliche Organisation, sei von Rö-mern übernommen; das innere sittlicheWerden, also die eigentliche Kultur, seidem Christentum allein zu danken.

Ein katholischer Kirchenfürst, der vie-len Deutschen heute noch als Autoritätgilt, geht noch einen Schritt weiter: erwill den vorchristlichen Germanen auchden Ausgangspunkt aller Kultur, denAckerbau, aberkennen. Erst der heiligeBenedikt und seine Jünger hätten siedarin unterwiesen. Hier hat die vorge-faßte Meinung, die im Christentum dasschlechthin Schöpferische, Einzigartigeund Unübertreffliche sieht, den Blickgetrübt und die Erkennung einerschlichten geschichtlichen Wahrheit un-möglich gemacht.

Ist es denn denkbar, daß schon im 3.Jahrhundert ein großer Teil des römi-schen Weltreiches mit Hunderten vonummauerten Städten, mit den bestbe-waffneten Soldaten der Zeit, mit einerTradition der Kriegführung, wie sie bei-spiellos in der Geschichte ist, von einerHorde von Wilden, die wahrscheinlichnur notdürftig in Bärenfelle gekleidetwaren, einfach über den Haufen ge-rannt wurde? In jener Zeit wimmeltedas Schwarze Meer von gotischen Se-gelschiffen. Die hohe Kunst des Schiff-baues und der Nautik war ja jahrhun-dertelang schon in den nordischen Mee-ren gepflegt worden. Sollte das, was da-mals die christlichen Römer erstaunenmachte, nicht auch jene deutschenTheologen nachdenklich machen?

Die gotische Sprache in der Bibelüber-setzung des Ulfilas zeigt eine Gewandt-heit, einen Wortreichtum und eine Bil-

derfülle, die nur durch uralten Ge-brauch in Dichtkunst und hoher Redezu erklären ist. Zwar fehlen gotischeWorte für Teufel, Schuldurkunde, Kir-che als Organisation, Kriegssold undPriester; aber wir werden dieses Fehlenfür die Höhe der gotischen Kultur nichtallzusehr bewerten.Wenn endlich Kirchenmänner ein alt-germanisches Bauerntum bestreiten, soist man im Zweifel, ob man sich mehrüber die Unwissenschaftlichkeit einersolchen Behauptung oder über das Ver-trauen auf die Leichtgläubigkeit derHörer wundern soll. Lehrt doch dieSprachforschung schon seit Grimm, daßzu der ältesten gemeinsamen Schichtder indogermanischen Sprachen Wortewie „Pflug“, „Joch“ und die Bezeich-nung einer Anzahl von Getreideartengehören. Daß der Ackerbau die Haupt-beschäftigung der gotischen Männerwar, beweist uns die gotische Sprachelange vor der Geburt des heiligen Bene-dikt. Eine Fülle von bäuerlichen Be-zeichnungen tritt uns hier entgegen. Wirerfahren aber noch mehr: manche ausdem Bauernleben stammende Wortehaben im Sprachgebrauch eine allge-meine Bedeutung erhalten. So heißtvaurstwa zugleich der „Feldarbeiter“und der „Arbeiter“ überhaupt, undbauan bedeutet „das Feld bestellen“und zugleich „wohnen“. Die Germanen der Völkerwanderungwaren wandernde Bauernvölker imwahrsten Sinne. Immer wieder klingtder Schrei nach Land zum Siedeln durchdie Verhandlungen mit den römischenKaisern. Neu erworbenes Land wird so-fort unter den Pflug genommen. Soblühte das durch römische Mißwirt-schaft verwüstete Bauernland Italiensunter der Hand ostgotischer Bauernwieder auf. Die Kultur jener Völker war deshalbeine echte Bauernkultur, aber die Kul-tur nordischer Bauern. Neben derPflugschar lag das Schwert. Es genügteihnen nicht, in stumpfer Beharrlichkeitdem kärglichen Boden jahraus, jahreindie bescheidene Ernte abzuringen.„Der Germane war immer aufbruchbe-reit“ (Neckel). Sein Denken war freiund in die Weite greifend. Wer gesternBauer war, ist heute Seemann und wirdmorgen Krieger sein. Diese Vielseitig-keit nordischen Wesens können dienicht begreifen, die nicht das Blut jenerGoten mehr in sich fühlen.Dabei war der germanische Bauer einein sich ruhende Einheit. Sein Gott-glaube und sein Handeln, seine Weltan-schauung und Sitten waren eng mit sei-nem Wesen verbunden. Wie der ausge-prägte Ehrbegriff die Beziehungen derSippen und ihrer Glieder untereinanderregelte, so war die Ehre auch Richt-schnur des Verhaltens den Göttern ge-

genüber. Ein knechtisches Sichnieder-werfen, eine bedingungslose Unterord-nung unter die Gottheit war dem Ger-manen undenkbar.

Sein naturwaches Auge hatte auf See-fahrt und beim Ackerbau die kosmi-schen Gesetze zu durchdringen ver-sucht, lange, ehe die christliche Kircheein Forschen auf diesem Gebiete über-haupt zuließ. In der Bearbeitung man-cher Metalle waren die Germanen densüdlichen Völkern überlegen. Kunstge-genstände der germanischen Bronze-oder frühen Eisenzeit konnten anSchönheit und künstlerischem Ge-schmack damals nicht übertroffen wer-den. Ein einfacher Gebrauchsgegen-stand der Germanen, die Kleider-spange, drang schon um 1800 vor Be-ginn unserer Zeitrechnung als nordi-sche Urfibel zu den Völkern des Südens.

Zwei so verschiedene Kulturen, wie diealtgermanische und römische, in ihremWert und ihrer Höhe aneinander mes-sen zu wollen, ist ein Versuch, der schei-tern muß. Wir können nur sagen, dieseKultur ist anders als jene, und wir kön-nen uns bemühen, diese Andersartig-keit zu beschreiben. Es hat zu großenIrrtümern geführt, daß unsere römischgeschulten Humanisten in den germani-schen Wäldern nach steinernen Bau-denkmälern suchten, und, als sie nichtsfanden, ihren Ahnen die Kunst des Bau-ens abstritten. Wir sehen diese Tatsa-chen heute mit anderen Augen an. DerBaustoff des Nordens war das Holz, dasvergänglich ist, wenn Steine bleiben.Einzelne Funde aber und Schilderun-gen der Sagas von stolzen Bauernhäu-sern und Fürstenhallen, die mit bemal-ten Holzreliefs aus der Göttersage ge-schmückt waren, weisen auf hoheFähigkeiten nordischer Baumeister undKünstler hin. Oder ist deshalb ein Volkan Gesittung tieferstehend, weil seinRecht „ihm eingeboren ist“, es deshalbkeines Gesetzbuches bedarf, währendandere Völker ihre Gesetze auf Steinund Pergament geschrieben haben?

Die Kultur der germanischen Bauern-völker entsprang aus tiefstem germani-schen Wesen, darum war sie eine hohe,für sie hochstehend. Sie war jung, nichtan Jahren - an Alter stand sie anderengleich -, aber an Frische, Kraft und Ent-wicklungsmöglichkeit. Auch hierin ent-sprach sie dem weitschauenden nordi-schen Wesen. Die Kultur des Römerrei-ches in jenen Jahrhunderten entsprangdem Gemisch der Völker, die die Gren-zen des Imperiums bewohnten. Ihr ent-sprach als Teil des Ganzen die synkreti-stische Religion (Harnack), die seitKonstantin „dem Großen“ zur einzigherrschenden geworden war. Sie bot je-dem Volk im Reiche und jedem Standdas, was er suchte: den Massen der Skla-ven wie dem machtlüsternen Adel, dem

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fanatisch eifernden Orientalen, demdogmatisierenden Griechen wie demweltentsagenden, mystischen Kelten.So mochte auch diese Kultur mit ihrerReligion in mancher Hinsicht den Mil-lionen des Imperiums entsprechen. Nieund nimmer aber den Germanen!

An dem Tage, an dem sie mit dem Über-schreiten der römischen Grenze sich rö-mischer Weltanschauung und römi-schen Sitten öffneten, wenn es auch nurin einem Teilbezirk ihrer Seele war, warihre Einheit zerrissen. Der germani-schen Eiche wurde - ein Bild, das christ-lichen Priestern so geläufig ist - dieKrone abgeschlagen und ein neues Reisaus fremdem Stamm aufgepfropft. WasWunder, daß der Baum erkrankte. DieGeschichte der Germanenvölker: Go-ten, Vandalen, Langobarden und Fran-ken zeigt uns die erschütternde Tragikdieser Erkenntnis.

Anfänge derChristianisierung

Unter Kaiser Caracalla im Jahre 215wurden die Grenzen des römischenWeltreiches zum ersten Male von goti-schen Völkern erschüttert. Nach langerWanderung, von der Mündung derWeichsel aus an den großen Strömenentlang nach Süden ziehend, hatten siedas Schwarze Meer erreicht. Schon ihreersten Vorstöße auf römisches Gebietmüssen die Verteidigung überrannt ha-ben, denn wir hören schon wenige Jahrespäter, daß sie in den weiten GebietenSüdrußlands siedelten, und daß der Kai-ser sich gezwungen sah, Jahrgelder ansie zu zahlen.

In den folgenden Jahrzehnten wurdendie Legionen unter ununterbrochenenKämpfen aus Bessarabien und Rumä-nien gegen die untere Donau zurückge-drängt, bis der sagenhafte König Ostro-gota um das Jahr 250 mit gotischenScharen auch diese überschritt und da-mit in altrömisches Kulturland ein-brach. Der Kaiser Decius selbst mit sei-nen besten Legionen trat ihm entgegen.Er fiel im Kampfe, und sein Heer wurdevöllig geschlagen. Vergeblich versuchtesein Nachfolger, durch GeldsendungenRuhe und Frieden zu erkaufen, aber diegewaltig wachsende Volkszahl dieserjugendfrischen Völker schäumte immerwieder über die Grenzen. Zug auf Zugstürmte gegen die beiden Provinzensüdlich der Donau, Mösien und Tra-kien. Bald wurden die südlichen Küstendes Schwarzen Meeres von gotischenSeglern heimgesucht. Wir lesen mit Er-staunen bei den römischen Schriftstel-lern, daß die Goten im Jahre 269 eineRiesenflotte von über 1000 Segelschif-fen im Dnjestr zum Kampf gegen By-zanz rüsteten, in verwegener Fahrt denBosporus und das Ägäische Meer

durchsegelten und die Inseln Kreta undRhodos plünderten.Es handelte sich bei diesen kühnenFahrten nicht immer nur um Raub undRuhm, um verwegene Abenteuer derwaffenfähigen Jugend, sondern oft auchum Züge des ganzen Volkes. Auf der imJahre 269 bei Saloniki gelandeten goti-schen Flotte befanden sich Tausendevon Frauen und Kindern. Das Ziel warauch hier: die Gewinnung neuen Lan-des.Um die Mitte des 3. Jahrhunderts wardas nördlich der Donau gelegene Da-kien sicherer Besitz der Ost- und West-goten, die teils in lockerem Bündnisver-hältnis miteinander standen, teils unterostgotischer Herrschaft zu einem Reichverschmolzen waren. In hundertjähri-ger Entwicklung wurden nun die Ebe-nen Ungarns und Rumäniens besiedelt,die Vandalen aus der Theißniederungverdrängt und, da die Römer jetzt imSüden erfolgreich Widerstand leisteten,Raum nach Osten und Norden gewon-nen. Um 350 erstreckte sich das Reichdes großen Ostgotenkönigs Ermanarichvom Schwarzen Meer bis zu den Estenam Gestade der Ostsee. Westlich vonden Ostgoten wohnte unter eigenenGaukönigen das befreundete Volk derWestgoten.Aus dieser Zeit stammen nun die erstengeschichtlichen Nachrichten über eineBerührung der Goten mit dem Chri-stentum. Manche Kirchenhistoriker(Huber) sind der Meinung, daß dasChristentum von der Apostelstadt Salo-niki aus schon im ersten Jahrhundertnach Sardika in Bulgarien und Sirmium,der westillyrischen Hauptstadt an derSave, gedrungen war. In diesen beidenbedeutenden Militär- und Verwaltungs-städten des römischen Reiches ent-wickelten sich während des 2. Jahrhun-derts in der einheimischen Mischbevöl-kerung straff organisierte christlicheZentralen unter Leitung von Bischöfen,die ihre missionierende Tätigkeit baldauch nach den Städten jenseits der Do-nau erstreckten.Als die Goten in die römische ProvinzDakien einrückten, fanden sie in den er-oberten Städten zahlreiche solcherChristengemeinden vor. Man ließ sie ru-hig gewähren; denn Duldsamkeit in re-ligiösen Dingen war den heidnischenGermanen, und zwar allen Stämmen imNorden wie im Süden, etwas Selbstver-ständliches. Selbst christliche Ge-schichtsschreiber der alten wie derneuen Zeit geben diese Tatsache, oftmit leisem Erstaunen, zu. Es erschienden Goten wie den Isländern der Saga-zeit als ein Widersinn, Menschen ledig-lich ihres anderen religiösen Bekennt-nisses wegen zu verfolgen. Erst dasChristentum lehrte sie die Idee des Re-ligionskrieges, eine Idee, die wohl in der

orientalischen Seele mit ihrem düsterenGlaubensfanatismus, niemals in dergermanischen geboren werden konnte.Das lag nicht an der religiösen Kälte derGermanen oder an der Minderbewer-tung heiliger Dinge gegenüber den„weltlichen“ Gütern wie Staat, Volkund Sippe, wie es manche zu erklärenversuchten, sondern an der Achtung vorder Überzeugung des anderen, im nor-dischen Abstandsgefühl, das sichscheute, im anderen das zu berühren,was man im eigenen Herzen unberührtwissen wollte.

Höchst bedenklich aber war es, daß diegotische Regierung die christliche Or-ganisation als solche in ihrem Staate ge-währen ließ. Diese unterstand auchnach der Besitzergreifung des Landesdurch die Goten der Metropolitange-walt der römischen Kirche. (2) Damittraten gotische Untertanen in enge,kaum überwachbare Beziehungen zu ei-nem feindlichen Land. Auf dem Konzilzu Nikäa 325, das unter der Leitung desTodfeindes der Goten, des Kaisers Kon-stantin, stand, unterzeichnete die Ent-schließung der Mehrheit auch ein Theo-philus als „Bischof von Gotien“ mit.

Es ist möglich, daß zu diesen nach Blutund Gesinnung durchaus römischenChristengemeinden auf gotischem Bo-den schon einzelne übergetretene Go-ten gehörten. So berichten die Kirchen-väter Athanasius von Alexandrien undCyrillus von Jerusalem schon von christ-lichen Goten aus jener Zeit. (3) Die ei-gentliche „Bekehrungsarbeit“ aber er-folgte erst zwei Jahrzehnte später durchden „Gotenapostel“ Ulfilas.

Ulfilas, einer der bedeutendsten Gei-ster jener Zeit, erfreut sich bei fast allenGeschichtsschreibern der höchsten Be-wunderung und Verehrung, soweit ihnnicht einzelne christkatholische Eifererals arianischen Ketzer mit Verdam-mung und Hölle bedrohen. Die un-schätzbare Tat der Schaffung einesgroßen gotischen Schriftwerkes, das unsdurch einen Zufall erhalten wurde, unddie sprachlich schöpferische Leistungdieser Tat überstrahlt Leben und Wir-ken dieses Mannes so übermächtig, daßeine sachliche Kritik manchem alsgehässige Herabsetzung erscheinenwird. Wer aber vom nordisch-germani-schen Blickfeld aus die Geschichte un-seres Volkes betrachtet, hat frei undstreng festzustellen, was eine geschicht-liche Gestalt für dieses Volk tat, und obihr Wirken im Sinne der Erhaltung undMehrung von Volkstum und Staat lag,oder ob letzten Endes durch sie We-sensheiligtümer und Kraftquellen derVolksseele zerstört wurden. Es fallenSchatten auf diesen Gotenapostel, diekeine noch so glühende Schilderung sei-ner Bibelübersetzung verdecken kann.Ulfilas war das Werkzeug kluger römi-

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scher Politk zur Sprengung und Ver-nichtung der gotischen Macht. EdmundWeber hat in seiner Schrift „Das erstegermanische Christentum“ in überzeu-gender Weise die Vorgeschichte undHintergründe der Missionstätigkeit desUlfilas beleuchtet.

Ulfilas war, wie auch sein Nachfolger imBischofsamt, Selena, kein reiner Gote,sondern ein Mischling. Der römischeSchriftsteller Photius überliefert uns,daß seine Vorfahren mütterlicherseitsim Jahre 267 bei einem Kriegszug derGoten nach Kleinasien aus dem DorfeSadagolthina bei der Stadt Parnassus inKappadokien als Gefangene mitge-schleppt wurden, diese Gefangenenaber Christen gewesen seien. (4) So istanzunehmen, daß Ulfilas einen heidni-schen, gotischen Vater, wahrscheinlichaus vornehmem Geschlecht, und einechristliche, vorderasiatische Mutterhatte. Er wurde nach dem Glauben derMutter christlich erzogen, und zwarnach dem um 310 ausschließlich herr-schenden katholischen Bekenntnis. Aufder Krimhalbinsel, also auf ostgoti-schem Boden, von seinem Lehrer Theo-philus, dem „Bischof der Goten“, christ-lich geschult, sollte er Priester werden.

Im Jahre 335 schickte ihn sein König we-gen seiner Kenntnisse der griechischenund lateinischen Sprache als Dolmet-scher mit einer Gesandtschaft an denHof des Kaisers Konstantin. Hier kamdie Wendung. Wir finden den jungenLektor kurze Zeit später nicht mehr imDienste seines Volkes, das ihn als seinenVertreter zum Feinde gesandt hatte,sondern als Günstling des römischenKaisers und Vertrauten des BischofsEusebius von Nikomedien in Kleina-sien. Sozomenos schreibt in seiner Hist.eccl. II, 41, daß er „durch listige Überre-dung“ verleitet worden sei, zunächsteinmal das arianische Bekenntnis, alsodie zur Zeit herrschende Staatsreligion,anzunehmen. So blieb Ulfilas am Hofezu Konstantinopel, wo er vom Bischofim kirchlich-christlichen Geiste weiter-geschult wurde.

Ist es verwunderlich, daß er sich demgermanischen Wesen immer mehr ent-fremdete, daß er sich in die Idee hinein-lebte, berufen zu sein, den Goten die„Heilsbotschaft“ zu bringen? Die klu-gen Rechner am Kaiserhof, Konstantinund sein Patriarch Eusebius, wußten,welche ungeahnten Aussichten sich fürImperium und Kirche boten, wenn esgelang, die kriegsmächtigen Gotenvöl-ker aus ihrem arteigenen Glauben zuentwurzeln, ihnen eine Religion aufzu-drängen, die Kriegsheldentum ab-lehnte, (5) Leiden und Dulden aber alsGott wohlgefällig hinstellte und alshöchstes Gebot die Feindesliebe pries.Zum mindesten bestand die Ansicht,wenn die Abkehr wenigstens eines Tei-

les der Goten zum Christenum gelang,diesen Teil seinem Volk zu entfremden,ihn durch das mit Rom gemeinsame Be-kenntnis der Verrömerung anheimfal-len zu lassen und Spaltung und Haß mit-ten in das germanische Volk zu treiben.

Es tut diesen Gedankengängen keinenAbbruch, daß sie von den alten Schrift-stellern und Kirchenschreibern nichtüberliefert sind. Der Kaiser und seinchristlicher Patriarch haben keine Be-kenntnisse ihrer geheimsten Pläne hin-terlassen. Daß solche Gedanken aber inden Jahrhunderten der Kämpfe zwi-schen Germanen und Römern den rö-mischen Christen und der Kirche nichtfern lagen, ist an zahlreichen Stellenausgesprochen. (6)

Seit Tacitus seine „Germania“ geschrie-ben hatte, fühlte jeder Römer irgendwoin einem Winkel seines Herzens die auf-steigende Überlegenheit der germani-schen Welt. Neben den schwülstigen Ti-raden über die Höhe der römischenKultur gegenüber der der „Barbaren“werden immer häufiger tief pessimisti-sche Stimmen laut. „Wir Römer sindnur noch die Weiber, die Germanen dieMänner im Reich“, so hört man einenSchriftsteller klagen. Allerdings mitbettelnden Mönchen und Wanderprie-stern konnte man die Größe der Zeitnicht mehr bestehen. Daß aber das un-aufhaltsame Vordringen der germani-schen Kraft nicht nur an der Zahl, demunerschöpflichen Menschenreichtumdieser Völker, auch nicht an der „Ge-walt der Leiber“ der germanischen Bau-ern lag, sondern tiefere Ursachen habenmußte, ahnten die Südländer wohl dun-kel. Die gesunde „Diesseitsreligion“der heidnischen Goten, die Ehre undHeldentum als Pole ihres Wesens hatte,befähigte das Volk, das sie lebte, zugrößeren Taten als die Religion derLiebe und des Leidens. Das Christen-tum jener Zeit hatte das Minderwertig-keitsgefühl seiner proletarischen Ent-stehung und Verbreitung noch nichtganz abgestreift. Das empfanden den-kende Christen. Deshalb war es, wennGermanen sich taufen ließen, nicht al-lein die Freude darüber, daß wiedereine Anzahl Seelen vom Verderben ge-rettet waren, die christliche Römer zuHymnen begeisterte, sondern auch dassiegreiche Bewußtsein, Kraftvolles er-weicht und Stolzes erniedrigt zu haben.Menschen, die in Sündenschuld undStaub sich winden, fühlen sich beleidigt,wenn andere neben ihnen aufrecht ste-hen.

Begeistert schrieb der heiligeHieronymus an zwei gotische Mönche,die ihn wegen einer hebräischen Bibel-stelle um Rat fragten: „Wer möchte esglauben, daß die barbarische Spracheder Goten die hebräische Wahrheitsucht? ... Die im Halten des Schwert-

griffes schwielig gewordenen Händeund die zur Handhabung der Pfeile ge-schickten Finger langen weich nachGriffel und Feder, und die kriegerischenHerzen wenden sich zur christlichenSanftmut.“

Johannes Chrysostomus, nach demTode des Kaisers Valenz Patriarch vonKonstantinopel, legte in seinem Colle-gium goticum, in dem er gotische Söhnefür die Mission unter ihren Volksgenos-sen schulte, das Hauptgewicht auf dieBeseitigung heldisch-kriegerischen Sin-nes. In „unerreichbarer Beredsamkeit“(Huber) (7) legte er den jüdischen Pro-pheten Jesaias (65, 25) vor den goti-schen Schülern aus: „Der Wolf und dasLamm sollen miteinander weiden, derLöwe soll mit dem Ochsen Spreu fres-sen, Staub soll der Schlange Speise sein;sie werden weder Schaden noch Ver-derben bringen auf meinem heiligenBerge, spricht der Herr!“ Wir glaubendem heiligen Manne gern, daß einLöwe, der Spreu frißt, keinen „Scha-den“ mehr tut, und daß gotische Krie-ger, die um Sündenvergebung flehendvor dem Priester knien, Rom und seinerStaatskirche nicht mehr „verderblich“waren.

Noch deutlicher aber wird der heiligeAmbrosius von Mailand, der, wie unssein Biograph Paulinus mitteilt, an dieMarkomannenkönigin Fritigild, dieChristin geworden war, ein „herrlichesSendschreiben in Form eines Katechis-mus“ schickte, „in dem er sie auch er-mahnt, daß sie ihren Mann bewege, mitden Römern Frieden zu halten. Als siedieses Sendschreiben erhalten hatte,bewog sie ihren Mann (wohl zur An-nahme des Christentums. L.), und er er-gab sich samt seinem Volke den Rö-mern.“ Zweifellos mußte sich der ganzeStamm auf Befehl des überredeten Kö-nigs taufen lassen. Die Markomannenkämpften damals, um 395, einen Kampfauf Leben und Tod mit Rom. Die „Be-kehrung“ einer - allerdings einflußrei-chen - Person, hatte bewirkt, ein germa-nisches Volk um seine Freiheit zu brin-gen. Auch wenn die Erzählung Legendeeines überschwänglichen christlichenGeschichtsschreibers sein sollte, sozeigt sie doch den Geist der Kirche undder mit ihr verbundenen politischen rö-mischen Macht.

Wir trauen einem Konstantin, der ge-stern fast alle seine Verwandten heim-tückisch ermorden ließ, heute aber eif-rig darüber wachte, daß seine Soldatendas Monogramm Christi auf den Schil-den trugen, keine tiefen religiösen Er-wägungen zu. Seine Pläne waren kaltund klar. Trotz seiner Siege hämmertendie Gotenstämme im Norden immervon neuem wieder gegen die schonzurückverlegten Grenzen des Reiches.Alle Mittel mußten dem Kaiser dienen,

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die Gefahr zu bannen. Die mächtigeKirche, die 313 die Gleichberechtigung,in Wirklichkeit aber schon sehr balddarauf die volle Herrschaft bekommenhatte, ging jetzt mit ihm Hand in Hand.

Der Plan gelang! Das Werkzeug, dasausersehen war, aus „Löwen Lämmerzu machen“, erfüllte die ihm gestellteAufgabe.

Ulfilas WirkenEs ist nicht anzunehmen, daß Ulfilasvon den geheimen Plänen seiner Lehr-meister wußte, wenn er auch durch müt-terliches Blut und christliche Erziehunginmitten eines noch zum größten Teileheidnischen Volkes diesem und seinergermanisch-heidnischen Art entfrem-det war. Wie es christlichen Fanatikernzu allen Zeiten erging, standen im Mit-telpunkte seines Wesens nicht mehrVolk, Sippe und Heimat, sondern einGlauben, der seinem tiefsten Wesennach über die „engeren Lebenskreise“Volk und Familie hinausging, diese als„irdisch“, „weltlich“, daher letzten En-des als sündhaft betrachtete, d. h. durch-aus übervölkisch war. Das Wort „manmuß Gott mehr gehorchen als den Men-schen“ erklang schon damals, wenn dasChristentum mit den Pflichten gegenVolk und Vaterland in Widerspruch ge-riet. Höher als seine Blutbindung an dasGotenvolk, die unbedingt Kampf gegendas Imperium verlangte, erschien Ulfi-las die Aufgabe, seinen Volksgenossendas „Heil“ zu bringen.

Daß die Goten dann, mit Rom im glei-chen überstaatlichen Glauben verbun-den, der offen die Einheit der gläubigenHerde verlangte, sich diesem Rom imAnfang innerlich, später auch politischnäherten, dünkte ihm unerheblich ge-genüber dem Gewinn der Christianisie-rung. Ulfilas sah auch dann noch nichtdas Unheil seiner Tat, als ihn der einmaleingeschlagene Weg zur Zerreißung sei-nes Volkes und zum offenen Landes-verrat führte.

Mit dreißig Jahren wurde Ulfilas vomrömischen Patriarchen Eusebius zumWanderbischof geweiht und beauftragt,den Westgoten das Christentum zubringen. Damit begann eine Entwick-lung, die den Staat der Westgoten in dieschwersten inneren Wirren stürzte, jaihn fast zum Untergang brachte. DieSaat des christlichen römischen Kaisersund seines Oberpriesters ging auf.

Die Kernzelle des germanischen Volks-körpers war die Sippe. Das Heer tratnach Sippen geordnet zur Schlacht an,die Stämme siedelten, wenn sie Neulandunter den Pflug nahmen und die Loseverteilten, nach Sippen. Die Blutsver-bundenheit der Sippe war dem Einzel-nen die innere Heimat und bot ihm Frie-den; das geschah in erhöhtem Maße,

wenn die Stämme sich vom Boden, densie seit Jahrhunderten bebaut hatten, lö-sten und auf die Wanderung gingen. Siewar im tiefsten Grunde die religiöseEinheit. Man kann von einer Sippen-seele sprechen, die im Blute ruhend denEinzelnen unbewußt leitet, ja zu Zeitensogar Gestalt annehmen und einem Sip-pengliede warnend erscheinen kann,wie es Bernhard Kummer (MidgardsUntergang) und Wilhelm Grönbeck beiden nordischen Isländern schildert.

Wer den Sippenfrieden brach, hatteGöttliches verletzt, war ein Verräter,war „Wolf im Weihtum“.

In jener Zeit, da Ulfilas wirkte, trat wohlzum ersten Male an gotische Väter dietiefernste Frage heran, die Jahrhun-derte danach noch fromme Germanenaufs Tiefste erschütterte: wie erhaltenwir die heilige Einheit unserer Sippe,wenn einzelne der Blutsbrüder am Hei-ligsten treulos wurden? Mit der An-nahme des fremden römisch-jüdischenGlaubens war ja das Band zerrissen. DieAbgefallenen nahmen am heiligen Blut-opfer in der Halle unter dem Hochsitznicht mehr teil, sie fehlten beim fröhli-chen, gemeinsamen Minnetrank derGötter.

Sie mußten ja fehlen, denn nach ihremFremdglauben war ihnen Opferfleischessen und Thors Minne trinken ein„Greuel“ geworden. Die Sippengenos-sen waren ja „Heiden“, und die Religiondes Nazareners war voll der Verachtungund des Hasses gegen die Heiden. Mitvollem Bewußtsein sollten sie, das ver-langte die neue Lehre, die Blutsbandeniedertreten. Das war ja ein hohes, demneuen Gott Jahwe wohlgefälliges Werkund wurde im „Himmel“ belohnt.

Das furchtbare Wort der neuen Lehre:„So jemand zu mir kommt, und hassetnicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kin-der, Brüder, Schwestern und dazu seineigen Leben, der kann nicht mein Jün-ger sein“, tat damals wie tausend Jahrespäter seine volkszerstörende Wirkung.An die Stelle der „nur irdischen, dahervergänglichen“ Blutbindung trat dieBindung „an die heilige Gemeinde derGläubigen“, in der „allzumal einer inChristo“ war, ob Grieche oder Jude,Römer oder Germane.

Was sollte die nun im innersten Wesenerschütterte Sippe tun? Man konnte dieTreulosen aus dem heiligen Friedenverstoßen. Man hat es getan, aber mitunsicherem und zweifelndem Herzen.Trotz des Unfriedens, den der Abtrün-nige der Sippe brachte, stand er noch inBlutsverbindung mit ihr; denn Blut warauch damals schon dicker als Taufwas-ser! Wenn Lebensgefahr ihm drohte,hielt die ganze Sippe wieder zu ihm, wiewir später sehen werden.

Die dem Germanen eigene scheueZurückhaltung vor dem Glauben desanderen, die durch Ausstoßung christli-cher Sippenglieder keine richtige Be-friedigung fand, suchte nach anderenWegen. Man ließ die verlorenen Glie-der gewähren. Aber auch dies brachtekeine innere Lösung des schweren Zer-würfnisses. Der Frieden Midgards warverloren, und oft lösten die Christen, diesich zu einer Gemeinde um ihren Bi-schof zusammenscharten, auch räum-lich das Band der Sippe.

Nicht selten wählten Germanen dendritten Weg zur Lösung: um die Einheitzu wahren, trat die ganze Sippe nachdem Treubruch einzelner zur neuenLehre über. So heilig war den Ahnendas Band des Blutes!

Zum Bruch des inneren Friedens kamdurch die Missionstätigkeit des Ulfilaseine große außenpolitische Gefahr. Jen-seits der Donau, vom Schwarzen Meerbis zur Mündung der Theiß, stand derLandesfeind, der Römer. Der KaiserKonstantin, dem bei aller Heimtückeund Grausamkeit große militärischeund staatspolitische Tatkraft nicht ab-zusprechen sind, hatte durch eingrei-fende Reformen im Heer und Beamten-tum die Widerstandskraft des schon er-schlaffenden Imperiums wieder geho-ben, hatte den Legionen Zuversicht undKampffreude wiedergegeben und durchVerlegung der Residenz nach dem nachihm benannten Konstantinopel derWelt gezeigt, daß er die Hauptkraft desReiches hier an der bedrohtestenGrenze gegen die Goten einzusetzengedachte. Dadurch war es ihm gelun-gen, einzelne vorgeprellte Goten-stämme in einer Reihe glücklicher Ge-fechte über die Donau zurückzudrän-gen und so die Niederlagen frühererKaiser wieder gutzumachen. Trotz zeit-weiliger Friedensverträge und sogarWaffenhilfe der Goten herrschten Haßund Kampfstimmung zwischen den bei-den Völkern.

Nun gingen christliche Priester unge-hindert über die Donau hinüber undherüber. Sie unterstanden mit ihren go-tischen Gemeinden kirchlich dem aria-nischen Patriarchen von Konstantino-pel. Damit war nicht nur der innerenVerrömerung dieser gotischen ChristenTür und Tor geöffnet, sondern es be-stand auch die Gefahr, daß bei den un-ausbleiblichen inneren Gegensätzen imGotenvolk diese in den Römern die mitihnen im gleichen Glauben Verbunde-nen, Näherstehenden, ja ihre Beschüt-zer gegen die eigenen Volksgenossensehen mußten. Es ist das erschütterndeBild, das wir in allen Jahrhunderten dergermanischen „Bekehrung“ sehen: DieHeiden, die den alten Göttern treu blei-ben, wurden die Vertreter der Freiheitund Selbständigkeit ihres Volkes,

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während die Abtrünnigen, die Christen,römisches oder fränkisches Joch demKampf für die höchsten Volksgüter vor-zogen und damit zu Volksverräternwurden. Felix Dahn schreibt in seiner„Urgeschichte der romanischen undgermanischen Völker“ (7a):

„Unter zwei Gesichtspunkten konnte,ja mußte auch der damalige Germanen-staat einschreiten.

Einmal, wenn die Christen mittelbaroder wenn sie zweitens unmittelbar denStaat bedrohten oder schädigten: beidestaten sie fast ohne Ausnahme in jedemFall des Bekehrungsbetriebes.

Nicht nur weigerten sie die Beiträge zuden Götterfesten, Opfern, die, mit demDing verbunden, zugleich staatliche Be-deutung hatten und die Zusammen-gehörigkeit der Gaue im gemeinsamenDienst der Stammesgötter zum Aus-druck brachten, - sie gingen angreifendvor. Der Eifer der fremden Priester undderen Neubekehrten schalt laut die al-ten Volksgötter „Götzen“, „Lügengöt-ter“ (Galiuga guds), leugnete ihr Daseinoder, häufiger, erklärte sie für böse Gei-ster, Dämonen, Teufel. Sie verbranntendie Haine und Holztempel, zerschlugendie Götterbilder der Heiden, besudel-ten ihre heiligen Quellen, hemmten mitGewalt ihre Opfer.

Zweitens konnte aber auch unmittelba-rer Landesverrat der Christen kaumausbleiben: kam es zu Reibungen mitden Heiden, so riefen selbstverständlichdie Christen ihre Bekehrer, Freunde,Glaubensbrüder, die Römer ins Land,auch um den Preis der Freiheit Schutzihres Bekenntnisses erkaufend. DenRömern aber - hieß der Imperator Ti-berius oder Constantius (Konstantinwar 337 gestorben), betete er zum Jupi-ter des Kapitols oder zu den Heiligenoder zu keinem Gott - war immer undblieb ein Hauptvergnügen und Haupt-meisterstück der Staatskunst, Zwie-tracht unter den Germanen zu säenoder die stets üppig wuchernde zu för-dern, und in Unterstützung derschwächeren Partei die stärkere zu ver-nichten, dann aber auch die Schützlingezu knechten.

Und nun war ja diese Schlauheit desVölkermords vollends ein frommes,Gott und den Heiligen wohlgefälligesWerk geworden: die Vernichtung oderZwangstaufe der germanischen Hei-denschaft sicherte sowohl die Herr-schaft auf Erden als zugleich die ewigeSeligkeit im Himmel.“

Auch der Bekehrungsangriff des Ulfilasgegen die Westgoten brachte demVolke Unheil, gebar aber den großenVersuch des treuen und edleren Volks-teils, die Gefahr zu bannen.

Die Goten ließen den Apostel und seinemitgebrachten Gehilfen lange ge-

währen. So muß es seiner Beredsamkeitgelungen sein, eine beträchtliche Scharvon Abtrünnigen auf seine Seite zubringen. Die Beziehungen dieser Chri-sten zu den Römern wurden allmählichso eng, daß ein Einschreiten im Inter-esse des Volksganzen erforderlichwurde. In dieser Zeit erstand dem Volkder Westgoten in dem GaukönigAthanarich ein Führer, der den Beina-men „der Große“ erhalten habenwürde, wenn eine gotische Geschichts-schreibung seine Taten überlieferthätte.

Athanarich war als König verantwort-lich. Er klagte auf dem Gauthing dieChristen wegen Sippen- und Landesver-rat an.

Wir kennen die Einzelheiten der Ver-handlungen und Entscheidungen aufdiesem Gauthing nicht. Wir wissen nur,daß keinem Christen ein Haar ge-krümmt wurde. Inhalt der Anklage wa-ren rein staatspolitische Erwägungen.Die unter der Schirmherrschaft des rö-mischen Kaisers und seiner Priester ste-hende Mission mußte als volkszer-störende Gefahr verschwinden.

Vielleicht hatte man den Fremdgläubi-gen die Wahl gelassen, zu Volkstum undVäterglauben zurückzukehren oder ausdem Lande zu weichen.

Ulfilas wählte das Letztere. Er rief denSchutz der Römer an, und zog, nachdemdie Erlaubnis des Kaisers Konstantiuseingetroffen war, mit seiner Herde überdie Donau ins Feindesland. Oft warengotische Stämme über die Donau ge-gangen, aber in Waffen als Erobereroder als Hilfstruppen für den Kaiser beiden häufigen Thronstreitigkeiten. Ulfi-las’ Christen aber gaben die Volksfrei-heit auf und beugten sich friedlich unterdas Joch der Feinde. Sie wurden amFuße des „hohen Balkan“ in Bulgarienangesiedelt. Dort lebten die „Kleingo-ten“ oder „Moesogoten“, wie sie ge-nannt wurden, als römische Untertanennoch lange Zeit, (8) beteiligten sich abernicht mehr an den folgenden großenKämpfen ihres Volkes.

Ulfilas, der Bischof und Führer dieserAuswanderer, wurde von den römi-schen Kaisern hochgeehrt. Mit Recht,denn seine Tat hatte den verhaßten Go-ten einen schweren Verlust an Volks-kraft zugefügt. Wenn aber Kaiser Va-lenz, der die christliche Mission am fa-natischsten betrieb und dessen Vertrau-ter Ulfilas war, ihn „Moses der Goten“nennt, weil er sein Volk vor den schreck-lichen Heiden ins „gelobte Land“ ge-führt hatte, so ist diese Bezeichnungvom germanischen Standpunkt aus einemehr als zweifelhafte Ehrung.

So hatte die christliche Minderheit dasGesamtwohl des Volkes dem Fremd-glauben geopfert und für sich das höch-

ste Gut, die völkische Freiheit, preisge-geben. Die neue Weltreligion, in derenWesen es lag, die „Menschen herauszu-erlösen aus allerhand Stamm, Nationund Blut“, (9) war zum ersten Male ingermanisches Volkstum eingebrochen.Auf dem Boden der Verrömerung, diein den hundert Jahren der Grenz-berührung mit den Südländern allmäh-lich gewachsen war, hatte bei ihm dasChristentum die letzten völkischen Bin-dungen restlos beseitigt.Die Quellen, die über diese Ereignisseund die folgende Zeit berichteten, näm-lich die Akten des „heiligen Saba“ unddes „heiligen Nikeras“, sind in vielemdurchaus unglaubwürdig, wie ja leiderdie zahlreichen „Vitae“ (Biographien)der christlichen Heiligen auch in späte-rer Zeit als Geschichtsquellen kaum zubenutzen sind. Mit wildem Haß schil-dern sie diese ersten „Christenverfol-gungen“ unter den Goten (348 bis 354)und können sich nicht genug tun anSchmähungen der „blutdürstigen“ Hei-den und des „Scheusals“ Athanarich.Die frommen Schreiber und modernenNacherzähler vergessen dabei ganz, daßsie selbst oft mit Erstaunen die Duld-samkeit dieser Heiden erwähnen.Wenn von den gotischen Christen dieRückkehr zu Volk und Väterglaubenverlangt wurde, so lag eine tiefe sittlichePflicht dieser Forderung zugrunde: dieEinheit und Freiheit des Volkes inschwerer Kampfzeit. Wir vermissen die-sen sittlichen Gedanken völlig bei denbald darauf erfolgenden ersten Heiden-verfolgungen unter Theodosius (379 bis395), bei der viehischen Ermordung derheidnischen Philosophin Hypatia vonAlexandria durch fanatisierte, christli-che Mönche und bei den Heidenab-schlachtungen unter dem Segen der Kir-che auf niedersächsischem und norwe-gischem Boden.Die Glaubwürdigkeit der Heiligenak-ten wird nicht erhöht durch die zahllo-sen Wundergeschichten. Der finstersteAberglaube treibt seine Blüten. Daprallen die Waffen heidnischer Gotenan den Christen wirkungslos ab. DieLeiche des Märtyrers Niketas aberbleibt, obwohl sie wochenlang in derErde lag, wunderbar erhalten, einSchicksal, das den Heiligenleichen häu-fig in der Geschichte zustößt. So strömtedie Leiche St. Severins, als man sie nach6 Jahren aus der Erde grub, „die süße-sten Wohlgerüche“ aus (sie war nichtbalsamiert!), wie ein deutscher Kir-chengeschichtler im 19. Jahrhundertseinen Lesern erzählt.Wenn man aus solchem Wust den ge-schichtlich wahren Kern herausschält,so ergibt sich Folgendes: Nicht alle ab-trünnigen Goten waren mit Ulfilas zuden Römern übergegangen. Im Ver-trauen auf den Sippenschutz und auf die

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Gutmütigkeit und Duldsamkeit derVolksgenossen waren viele zurückge-blieben. Man war vorsichtiger gewor-den, hielt sich nach außen hin in seinerchristlichen Betätigung zurück und be-tonte seine gute nationale Gesinnung.Gesinnungsheuchelei hat es auch da-mals schon gegeben! Die früher offenenBeziehungen zu den Römern wurden,wie die Quellen erzählen, jetzt heimlichfortgesetzt, und der gute Zweck heiligtedas Mittel manch frommen Betruges.Von christlichen Goten verborgen, ar-beiteten im Stillen sogar einzelne Wer-bepriester weiter.Athanarich, der als Gaukönig für dieDurchführung des Thingbeschlussesverantwortlich war und mit klaremBlick das Weiterschwelen der Gefahrerkannte, sah sich nun zum Einschreitenveranlaßt. Er ließ den eifrigstenWühler, den Priester Sansala, verhaf-ten. Doch gelang es diesem, auf römi-sches Gebiet zu entfliehen. Dann zog der König mit seiner engerenGefolgschaft, „Räuber nennt sie derheilige Saba“ (Dahn), von Dorf zu Dorfund ließ die Einwohner vor einem aufeinem Wagen mitgeführten kultischenGegenstand (es ist aus den Quellennicht klar zu ersehen, worum es sich ge-handelt hat) opfern und das Opfer-fleisch essen. Wer sich weigerte, be-kannte sich damit als Feind des Glau-bens der Väter und als Freund der Rö-mer. Diejenigen, „die die volkstümlicheGottesverehrung vernichtet hatten“,(10) wurden bestraft. Ob es damalsschon zu Todesurteilen kam, ist nachEdmund Weber (11) zu bezweifeln. DasVerbrennen und Ertränken einzelnerChristen ist wohl erst bei der zweiten„Christenverfolgung“ 369 bis 372 er-folgt.

Christentum undLandesverrat

Im Jahre 366 flammte nach einer Zeitder Ruhe und des Volksfriedens derKrieg mit den Römern wieder auf.Athanarich schlug sich in drei Feldzü-gen gegen Kaiser Valenz so erfolgreich,daß dieser sich gezwungen sah, Friedenzu schließen. Auf einer Donauinsel trafder Kaiser des Ostreiches mit dem Ger-manenfürsten zusammen, da sich derstolze Athanarich, ein bezeichnenderZug, weigerte, römischen Boden zu be-treten.

Kaum hatte Athanarich Frieden mitden Römern geschlossen, da entbrannteder Kampf im eigenen Lande gegenVolksgenossen, ein Kampf, der zeigte,wie tief sich das römische Gift schon inden germanischen Volkskörper einge-fressen hatte, und wie richtig Athana-rich handelte, als er in staatsmännischerVorausschau die Fremdreligion be-kämpfte.

Fridigern, ein Gaukönig wie Athana-rich, geriet mit diesem in Streit. DieGründe wissen wir nicht, wir erfahrennur, daß jener mit den Römern befreun-det war. Ob diese Freundschaft ehrlichwar, oder ob sie dem ehrgeizigen Teil-fürsten nur dazu dienen sollte, innerpo-litische Macht zu gewinnen, ob er schonvor dem offenen Kampf mit Athanarichchristlichen Versprechungen und Be-dingungen sein Ohr geliehen hatte, istebenfalls nicht aus den Quellen zu erse-hen.

Von Athanarich geschlagen, floh erüber die Donau zu den Landesfeinden.Als Christ (12) kehrte er unter demSchutze römischer Legionen wiederzurück und wurde von diesen wieder insein Amt eingesetzt. Jetzt zeigte es sichoffen, daß Christ sein und römische Ge-sinnung haben eins waren. Die zahlrei-chen Priester, die ihm „Valenz mitgege-ben“ hatten, begannen nun unter sei-nem Schutze und unter den Waffen rö-mischer Zenturien mit Feuereifer die„Bekehrung“. So ist unzweifelhaft, daßdies die Bedingung für den schändli-chen Verrat, römische Waffenhilfe aufgotischem Boden, gewesen war.

Ist es verwunderlich, daß der Mann,dem Leben und Freiheit seines Volkesüber alles ging, König Athanarich, sichnun entschloß, das tödliche Gift, dasChristentum, unerbittlich zu zertreten,daß er jetzt „aus Haß gegen die Römerden Namen der Christen austilgenwollte aus seinem Volke“, wie einekirchliche Quelle (13) in unbewußterEhrlichkeit meldet? Aus Haß gegen dieRömer! Dieses Zugeständnis einesstaatspolitischen Grundes ist wichtig zubetonen, nachdem uns die „Christen-verfolgungen“ der Geschichte unzäh-lige Male in sentimentaler Unwahrhaf-tigkeit als Ausfluß heidnischer Grau-samkeit geschildert worden sind. Ob essich um die Christenbekämpfung desKaisers Deokletian oder die des großenWestgotenkönigs Athanarich, um die„Katholikenverfolgungen“ der Vanda-lenkönige in Afrika oder um die Über-fälle sächsischer Bauern auf fränkischePriester und Klöster handelte, in allenFällen hatte man duldsam undgroßmütig die fremde Sekte erst ge-währen lassen; als aber die tödliche Ge-fahr für Staat und Volkstum erkanntwar, der Hoch- und Landesverrat offen-sichtlich wurde, griff der Staat zurWaffe.

Die grausame Art des Kampfes ent-sprach der Zeit. Sie war den Heiden sowenig fremd wie den Christen. DieBrandfackeln Neros unterscheiden sichin nichts von den Scheiterhaufen derchristlichen Inquisition, und der Wahn-sinn jenes Kaisers war um nichts größerals der eines Torqemada. Man hättehöchstens erwarten müssen, daß die Sit-

ten milder geworden wären, nachdemdie Religion der Liebe über tausendJahre unter abendländischen Menschengeherrscht hatte. Leider widersprichtdie Geschichte dieser Erwartung.

Das Christentum hatte im Gaustaat Fri-digerns seinen „weltlichen Arm“ gefun-den. Es ließ nicht Ruhe, bis der, den estödlich haßte, Athanarich, vernichtetwar! „Unter Voraustragung des Kreu-zes“ erfochten jetzt Fridigern, die goti-schen Arianer und die zu ihrer Hilfe dasLand überziehenden Legionen in offe-ner Feldschlacht durch das Überge-wicht römischer Waffen und vielleichtauch Menschenmassen den Sieg.Athanarich muß flüchtig mit wenigenGetreuen das Land räumen, und alsbaldnimmt die Bekehrung immer größereVerhältnisse an.“ (Dahn.)

Das Kreuz war Feldzeichen der Volks-feinde und Landesverräter geworden.Der Kampf zwischen den beidenGaukönigen war nicht mehr eine jenerFehden, wie sie so zahlreich in den Ger-manenreichen jener kampffrohen Zei-ten zwischen ehrgeizigen Stammesfüh-rern tobten, sondern hatte eine andere,den Germanen, ehe sie das Christentumkannten, durchaus fremde Bedeutungbekommen. Er war Religionskrieg ge-worden! Hinter dem christlichen Für-sten stand der eifernde Priester. Nebendie Gefolstreue, die die gotischen Krie-ger an ihren König Fridigern kettete,war der Glaubensfanatismus getreten.Nicht mehr Waffenruhm allein war zugewinnen, sondern die von den Prie-stern versprochene ewige Seligkeit inJahwes Reich stand in Aussicht. DieHeiden zu erschlagen, auch wenn sieVolksgenossen waren, war ein Gottwohlgefälliges Werk.

Etwas Fremdes, durch und durch Un-germanisches war in die Herzen jenerGoten eingezogen, die sich dort, wo siedas Banner gewöhnt waren, das Kreuzvorantragen ließen.

Athanarich war aus Gau und Heimatvertrieben, aber nicht vernichtet. Balderschien er an der Spitze der ihm treuVerbliebenen wieder und zog in seinLand ein. Seine „Gottlosigkeit“ warnoch immer nicht gebrochen, wie diekirchliche Quelle wehmütig bedauert.Er verfolgte das Kreuz, eine Tatsache,die allerdings nach den Erfahrungen,die er mit diesem Feldzeichen gemachthatte, verständlich ist. In seinem eige-nen Gau war es unter dem Druck römi-scher Waffen zu zahlreichen Bekehrun-gen gekommen. Wir wundern uns darü-ber nicht; wir wundern uns vielmehrdarüber, daß noch so viele seiner Gotenden Göttern und dem Volkstum treu ge-blieben waren.

Über die Zustände im Lande nach derRückkehr des Königs geben die Akten

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des heiligen Saba und Niketas Aus-kunft. Obwohl sie von Haß gegen denverruchten Heidenkönig erfüllt sind,entschlüpft den Erzählern doch man-ches Ereignis, das gleicherweise dieGroßherzigkeit und die Gutmütigkeitder gotischen Heiden gegenüber denChristen zeigt und manche christlicheSchilderung von heidnischer Grausam-keit zu streichen zwingt.

Ich kann diese Begebenheiten nichtbesser erzählen, als es Altmeister Dahnin seinem Geschichtswerk tut, und führedeshalb seine Beschreibung wörtlich an:

„Wir erfahren, daß ohne irgendwelchenGlaubenshaß die Heiden diese christli-chen Bekehrungen in der Sippe dulde-ten, während ein anderer Teil der Sip-penglieder bei dem Glauben der Väterblieb: als nun von Staats wegen von denFürsten und Beamten Verzehrung vonOpferfleisch als Zeichen des Rücktrittsin das Heidentum den Getauften aufer-legt ward, entziehen sich sehr viele,auch Priester, dem Martyrium durchFlucht zu den Römern. Ja, von Glau-benshaß der Heiden und echtem Glau-bensmut der Christen ist so wenig dieRede, daß sehr lange eine Täuschungvorhält, welche die Gutmütigkeit derHeiden und die Gewissensverleugnungder Christen miteinander ersonnen ha-ben. Um die Beamten glauben zu ma-chen, die Getauften seien zurückgetre-ten, diesen aber durch Betrug das wirk-liche Verzehren von Opferfleisch zu er-sparen und sie gleichwohl der Bestra-fung zu entziehen, lassen die Heidenvon den Getauften in Gegenwart derBeamten Fleisch verzehren, das sie fürOpferfleisch nur ausgeben, während dieChristen wissen, daß es nicht Opfer-fleisch ist! Diese nehmen also keinenAnstand, ihren Glauben durch eineHandlung zu verleugnen, die den Be-amten als Rücktritt ins Heidentum gilt,während sie dem Christengott gegenü-ber sich darauf berufen, daß sie ja inWahrheit doch kein Opferfleisch genos-sen. Diese bezeichnende Vorwegnahmespäterer „Jesuitenmoral“ dauert solange, bis der wackere Saba in echtchristlichem Eifer den Beamten denfrommen Betrug anzeigt. Allein die an-deren Christen sind mit solcher Wahr-heitsliebe schlecht zufrieden, und sievertreiben den allzu Gewissenhaften,rufen ihn aber doch bald beschämtzurück. Als nun König Athanarich aufseiner Rundfahrt vor dem Dorfe ein-trifft und frägt, ob es Christen enthalte,wollen die gutmütigen Heiden abermalsihre Verwandten retten und schwören,es sei kein Christ unter ihnen. Und dieanderen Christen sämtlich lassen sichdiese Beteuerungen gefallen: nur Sabatritt vor und bekennt mutig seinenGlauben. Der König fragt nach dem„Vermögen“, d. h. nach der Bedeutung

des Menschen in der Gemeinde. Als dieHeiden antworten: „Herr, er hat nichts,als was er am Leibe trägt“, d. h. also na-mentlich keinen Grundbesitz, daherkeinerlei Einfluß in der Volksversamm-lung, spricht der König verächtlich: „einsolcher kann keinen Schaden anrich-ten“ und begnügt sich, ohne ihn irgendzu strafen, ihn aus dem Ding fortzuwei-sen: nicht einmal aus dem Dorf, dennsein Verbleiben wird vorausgesetzt.Also nur die Einflußreichen, die Grund-besitzer, die staatsgefährlichen Christenverfolgt der König, nicht den Christenals solchen trotz herausfordernderKühnheit. Das war im Jahre 370 oder371. Zu Ostern 372 wird Saba allerdingsvom Könige durch Bewaffnete verhaf-tet: aber wohl nur deswillen, weil er indem Hause eines christlichen PriestersSansala (siehe oben), der sich aus demrömischen Gebiet zurückbegebenhatte, weilte. Saba wird erst gefesselt,nachdem ihn die Hausfrau der Hütte,wo sie übernachteten, aus leichtererHaft heimlich befreit hat. Die Auffor-derung, Opferfleisch zu genießen, be-antwortet Saba mit unflätigenSchimpfreden wider den König: „Ekelund scheußlich sind die Speisen, wieAthanarich selbst, der sie sendet.“ Ei-ner der Krieger des Königs empört überdiese Beschimpfung seines Herrn,schleudert den Wurfspieß auf Saba: dasWunder, daß die Spitze diesen unschäd-lich, „wie eine Wollflocke“ berührt,macht aber befremdlichermaßen aufden König so wenig Eindruck, daß ernun die Hinrichtung des Christen be-fiehlt. Saba verlangt, dann müsse auchder christliche Priester mit ihm sterben,worauf ihm die Gefolgen des Königssehr richtig erwidern: „Nicht deine Sa-che ist es, dies zu befehlen!“ Er verkün-det vorher noch dem Herrscher ewige

Verdammnis in der Hölle und wirddann in dem Flusse Musäus ertränkt.Seine Überbleibsel ließ später der römi-sche Dux der Grenztruppen auf kaiser-liches Gebiet bringen.“

Dr. Robert Luft(Fortsetzung im nächsten Heft

Anmerkungen:

(1) Proskinesis = Kniefall und Anbetung.

(2) Es tut dieser Tatsache keinen Abbruch, daß dieamtliche Anerkennung der christlichen Kircheerst durch das Toleranzedikt von Mailand 313 er-folgte. Selbstverständlich hatte sich die hierarchi-sche Gliederung schon vorher gefestigt. Der Bi-schof von Sirmium hatte das Primat über dieTochterkirchen von Dakien. Diese Beziehungenwaren vor der Anerkennung nur geheim, dafüraber um so gefährlicher.

(3) Der geschichtliche Wert dieser Angaben ist abergering.

(4) Durch diese Gefangenen sollen nach Philostor-gius Hist. eccles. II 5. viele Goten bekehrt wordensein, da sich unter den Gefangenen auch christli-che Priester mit befunden hätten.

(5) Matth. 26. 52.: „Denn wer das Schwert nimmt, dersoll durchs Schwert umkommen.“

(6) An dieser Stelle bedarf eine Bemerkung des Phi-lostorgius Hist. eccles. II. 5. der Erwähnung, diedie Absicht des Christentums, den Mehrwillendes Volkes herabzusetzen, kennzeichnet: „Ulfilasübersetzte alle Schriften in ihre eigene Sprache,außer die Bücher der „Könige“, weil dieseKriegsgeschichte enthielten, dieses Volk aber,das so kampffreudig war, mehr eines Zügels fürseine Kampfbegeisterung, als des Antriebes dazubedurfte.“

(7) Dr. Alois Huber, Geschichte der Einführung undVerbreitung des Christentums in Südostdeutsch-land, Bd. 1 S. 289.

(7a) Bd. 1, Seite 423.

(8) Jordanis, Kap. 51, nennt sie „ein zahlreiches Volk,aber arm und schwächlich“.

(9) Offb. Joh., Kap. 5, Vers 9.

(10) Sokrates, Hist. eccles. IV. 33.

(11) Edmund Weber, „Das erste germanische Chri-stentum.“ Leipzig, Adolf Klein.

(12) Aus Dankbarkeit dem Kaiser Valenz gegenüberwurde er Christ wie Sokrates Hist. eccles. IV. 33,berichtet: … Es handelte sich wohl um eine vor-hergehende Abmachung.

(13) Epiphanias: Adv. häreses, 1, 14.

Der Laic, da+ germanixe

Weihespiel

Wenn der Versuch unternommenwird, dem Sinn des Mythos wie-der um einen Schritt näher zu

kommen, und zwar über eine mythischeUntergründung des deutschen Mär-chens und eine weltanschauliche Er-schließung des germanischen Mythos,dann kann der Laich nicht außer Be-trachtung bleiben. Der Laich ist das ger-manische Weihespiel, Festspiel und ge-wiß auch Jahrlaufspiel. Als solches wäreer nun von vornherein als ganz beson-ders bedeutungsvolle Quelle germani-

scher Welt- und Lebensschau anzuse-hen, wenn es ihm nicht ebenso ergangenwäre wie den beiden andern, nämlichnur bruchstückhaft uns überliefert wor-den zu sein, wenigstens mit ganz gerin-ger Ausnahme. Diesem geschichtlichenSchicksal des Laiches steht aber die Tat-sache gegenüber, daß er Zeuge germa-nischer Tiefenschau von keineswegs ge-ringerem Wert als Mythos und Märchenist, wenn er diesen beiden gegenüberheute auch keine „Volkstümlichkeit“besitzt. Volkstümlich ist er in seinem

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Ursprung vielleicht aber wesentlichmehr als der Mythos selbst.

Wenn der Mythos die großen, dichteri-schen Bilder einer germanischen Welt-und Lebensschau vor uns aufstellt unddie Märchen diese Bilder in unendlicherAufteilung, Abwandlung und Verharm-losung, angeblich in kindlicher Formge-bung, den Kindern weitererzählen,steht der Laich zwischen ihnen wie derJungmann zwischen Kind und Weltwei-sem, oder wie zwischen Spiel und Ge-danke die lebens- und blutvolle Tat.Was unter arteigen weltanschaulicherFührung an Welt- und Lebensgesetzenvon reifender Weisheit erschaut und er-kannt und im Märchen als wesens-gemäße Nahrung der erwachendenMenschen- und Artseele vom Kinde sodurstig aufgenommen wird wie aus ei-nem bereiten Becher, das wird im Laichvom Jungmann und vom Mädchen mitdem Einsatz des ganzen Menschen ge-spielt und im Gewande der Kunst ge-lebt. Das ist die Eingliederung des Lai-ches in den Raum des Mythischen, sicht-bar in diesen drei Kunstformen.

„Das Wort Laich kommt von laikan =hupfen, springen. Altnordisch ist leika =tanzen. Aber nicht bloß Tanzgestaltun-gen haben wir im Laich vor uns. Viel-mehr umfaßt der Laich eine Dreiheitvon Künsten. Die Handlung gewinnthier nicht bloß Ausdruck durch Wortund Sprache, auch nicht bloß durch einerein musikalische Ausdeutung undebensowenig in einer nur tänzerischenFormung, sondern der Laich ver-schmilzt die drei großen Kunstmitteldes dramatisch gestaltenden Wortes,der Musik und des Tanzes zu einerneuen Einheit. – Der Laich gestaltet einund denselben Stoff in Wort, Gesangund Tanz gemeinsam; und erst aus dergemeinsamen Abstimmung dieser dreiKünste aufeinander, aus dem Zwangund der Notwendigkeit, demselben Ge-danken gleichzeitig sowohl sprachlichals musikalisch als tänzerisch Ausdruckzu verleihen, entsteht hier in wechsel-weisesr Bereicherung und Ergänzungdas eigentliche Kunstwerk.“ (OttoSchmidt in „So zum Tanze führ’ ichDich“, Verlag Volkstum und Heimat,Kampen auf Sylt 1935).

Die Wiedergewinnung des Laiches, undzwar nicht nur als mythische Kultur-trümmer, sondern als heute spielbaresFest- und Weihespiel verdanken wirdem Volkstumsforscher Prof. GeorgHüsing. Er hat aus Kinderreim, Lied,Märchen, Reigen und im Norden nochüberliefertem, noch lebendigemBrauchtum den Laich neu geschaffen.Jedenfalls hat er aber eine Anzahl derwesentlichsten und bedeutendsten Lai-che neu geformt. Er hat ihn als nicht nurgermanische, sondern schon indoger-manische Schöpfung nachgewiesen und

ihn auch in das Leben seiner Schöpfereingeordnet. Er sagt: „Dieses Kunst-werk ist zugleich der Ausdruck einesEmpfindens, das wir heute wohl amehesten als ein ,religiöses‘ bezeichnenwürden. Es setzt eine gewisse An-dachtsstimmung voraus und erzeugteine solche. Es vertritt, sozusagen, denKirchgang und die Kulthandlung, diebei den arischen Völkern sich späterwohl auch wirklich an den Laich ange-schlossen hat. ... Daß an der Stelle desuns geläufigen ,Kultes der Götter‘ beiden Ariern ursprünglich die Festesfeierstand, hat wohl am überzeugendstenLeopold von Schröder nachgewiesen. –Aber der Laich hat auch den Zweck, dasWissen des Volkes, seine Lehre vonMensch und Weltall, aufrecht zu erhal-ten und fortzupflanzen. – Der Laich er-setzt also auch die ,Religionsstunde‘oder richtiger die hohe Schule. Er ist dasStammesfest, in weiterem Umfange dasNationalfest, und wir werden uns auchdie Olympischen Spiele der Hellenenals aus dem Laiche hervorgegangen vor-zustellen haben. Er ist der Ort und dieZeit des großen, alle Kräfte anspannen-den, kulturfördernden Wettbewerbes,ein Höhepunkt des Kulturlebens undder Keim zur Entwicklung aller Kul-turzweige“.

Da anzunehmen ist, daß nur ein be-schränkter Teil des Leserkreises irgendeinen der Laiche aus der Anschauungkennt, ist es wohl angebracht, Inhaltund Form eines solchen und zwar den-jenigen, an dem das allgemein über denLaich Gesagte am besten deutlich wer-den kann, den Laich vom Schiffmann ingrößter Abkürzung hier anzuführen. Indiesem Laich, der wie die Laiche über-haupt, im Ring gespielt wird, steht in-mitten des Kreises der jungen Paare derTod als Schiffmann, ein jungesMädchen, das bittend vor ihm steht, imBegriff, ins Reich der Toten hinüberzu-fahren. Der Chor (als Reigen) bittet ihn,das Mädchen wieder „zu Lande gahn“zu lassen. Aber der Tod schweigt. Erdroht nicht. Und predigt nicht. Erweicht nur nicht. Da bittet das Mädchenseinen Vater, Haus und Hof zu setzen,und es damit zu retten. Aber der tut esnicht. Es bittet den Bruder, sein Schwertzu setzen, um es zu retten. Der tut esauch nicht. Da bittet das Mädchen denLiebsten, sein ganzes Leben zu setzen,sich ans Ruder zu verkaufen. Und vorihm nun, der sich ganz dran gibt, mußder Tod zurücktreten und das Mädchen„zu Lande gahn“ lassen – zum Leben.(Otto Schmidt: „Der Schiffmann. EinBekenntnis nordischer Geisteshal-tung“, Verlag Herbert Stubenrauch,Berlin 1935).

Es ist keine Frage, der Sinn dieses Lai-ches liegt offener zu Tage als der fast al-ler Mythen und Märchen. Gesetz ist in

ihm gestaltet, unwandelbares: der Tod.Und das andere Gesetz, ebenso unwan-delbar: das Gesetz des Lebens. Und dieLebenswerte sind in tiefstgeschauteOrdnung gebracht. Härte allein hält Li-nie. Weichheit und Schwäche führthinab. Und der Vater setzt Haus undHof nicht, weil sie als Sippengrundlagemehr wert sind, denn ein einzelnesGlied der Sippe und sie allein die Dauerder Sippe sichern. Und der Bruder setztdas Schwert nicht, weil auch die Waffe,als das unerläßliche Mittel der Ehre unddes Lebensschutzes, mehr ist als ein Sip-penglied. (Siehe: O. Schmidt in „DerSchiffmann“.) Und sie können es sogargar nicht retten, aus Gesetz und aus Sit-tenordnung. Denn Leben ist mehr alsdas Leben eines Einzelnen. Der Liebstekann es nur, und muß es. Er rettet, wasallein in seiner Hand mehr ist als Ein-zelwesen, nämlich ein Stück zeugendesLeben, ein Stück Ewigkeit. Der Liebsterettet in der Geliebten das Glied in derewigen Kette, ohne das die Kette nichtsein kann, wenn es gleich in ihr fast wieein Nichts verschwindet. – Wir erinnernuns an den Satz Hüsings: „Der Laich hatauch den Zweck, das Wissen desVolkes, seine Lehre von Mensch undWeltall, aufrecht zu erhalten und fort-zupflanzen“. Reiner kann die Quellegermanischer Weltanschauung nir-gends fließen.

Was dem Laich sein besonderes, volk-haftes und mythisches Gepräge gibt, istsein großartiger, zeitloser, allgültigerStoff. Er ist nicht Philosophie und nichtErzählung von Einzelschicksal. SeinThema ist das aller Mitspielenden. Ein-mal wird es von allen in ihrem Leben ge-spielt. Und nicht nur von denen imKreis, sondern von allen Generationen.So im Laich „Schloß in Österreich“ mitseinem balladenhaften Ton auf mythi-schem Untergrund, in dem über allesfestlichen Laich „Die Hinde im Rosen-hag“, ferner im Laich der „Walberts-nacht“ (Walpurgisnacht) mit seinemschaurig-großartigen Stoff und Hinter-grund und nicht zuletzt in der märchen-haften „Jungfrau Maleen“.

Ist nun die Zeitlosigkeit des „Schiff-mann“ bei keinem dieser Laiche so aus-geprägt und tragen sie auch fast allge-mein mehr „mythologische“ Züge, so istihnen doch allen eines gemeinsam: dievolkhafte, die gebundene, die chorischeForm. So kann der Laich noch nach ei-ner ganz andern Richtung als der welt-anschaulichen eine große Wirkung tun:er kann zu der großen Anregung wer-den für das wirklich arteigene Thing-spiel.

Ehe er dies aber werden kann, muß vonAllen der gleiche Weg zurückgelegtwerden, den die gegangen sind, die ihnzu neuem Leben weckten. Es war der,zu erkennen, daß der germanische

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Mensch, wenn er von der Natur sprach,sich mit eingeschlossen fühlte, christli-che Erziehung ihn aber zwang, sich vonihr auszuschließen, sich ihr gegenüberzu stellen, und daß es kein neues großesgermanisches Schaffen gibt ohne aufdiesen Standpunkt, volkhaft, zurückge-funden zu haben.

Wo Schaffen sein soll, ohne Hinterge-danken, da darf nicht anmaßendes Ta-xieren sein, da muß Anschauung undEhrfurcht sein vor allem Leben als demStrömen aus unergründbar und ewigSeiendem, von der tastenden Wein-ranke bis zur Kometenbahn.

Die Behandlung des Laiches in diesemZusammenhang mußte sich aus ver-schiedenen Gründen auf einen Hinweisbeschränken. Ich verbinde dies mit demWunsch, an Stelle einer eingehenderenArbeit die Schrift von Otto Schmidt„Der Schiffmann, ein Bekenntnis nordi-scher Geisteshaltung“ in die Hand zunehmen. Ferner gehören hierher das be-reits erwähnte „So zum Tanze führ’ ichDich“ desselben Verfassers und alsgrundlegendes Werk „Deutsche Laicheund Lieder“ von Georg und Emma Hü-sing (Verlag Eichendorff-Haus, Wien1932).

Wilhelm Schloz

Sprüngen hinein treffen mußte, undnach anderer Überlieferung beziehensich die 7 Sprünge auf die 7 Todsünden,deren man also durch die Sprünge ledigwerden wollte. Daher ist wohl zu beach-ten, daß die alten Perser 9 Todsündenkannten und bei entsprechenden Reini-gungsbräuchen 9 Gruben verwendeten.Diese und ähnliche auffällige Überein-stimmungen deuten wohl auf ein hohesAlter und arische Abkunft der Neuner-sprünge. Man könnte sich denken, daßes sich ursprünglich um Tilgung vonSünden gehandelt hätte, die man mitden genannten Leibesteilen begangenhatte, und die man ausheilte durchBerührung mit der Erde; daraus würdesich vielleicht auch die Vermischung desNeunersprunges mit den Sonnwendfei-ern erklären, bei denen heute demFeuer auch eine reinigende Kraft zuge-wiesen wird.

Noch ursprünglicher handelte es sichum die Mondwende, was sich in derHarzer Fassung durch das sich Umwäl-zen und dreimalige Berührung desKopfes mit der Erde noch ausprägendürfte; darauf deutet auch der rückläu-fige 2. Teil des Neunersprunges, der alsokalendarisch die 3. Woche (zu 9 Näch-ten), die 3 Schwarzmondnächte und diefolgende 1. Neunerwoche (des nächstenMonats) umfaßt, sich um den Mond-wechsel als Mittelpunkt gruppiert unddie 2., die Vollmondwoche, ausläßt.Daß damit auch Mythen in Verbindungstehn, ist zum Teil bereits deutlich er-kennbar, aber auf engem Raume nichtbeweisbar.

Die Weise, die wir gewählt haben,stammt aus Friedländer, 100 Volkslie-der, wiedergegeben in Meyer, Tanz-spiele und Singetänze. Die Weise istganz deutlich eine Spielform der Jubel-melodie zur Echternacher Springpro-zession, und sie hat unzählige nahe Ver-wandte in unsern Volkstänzen, waswohl für das hohe Alter der Weise einBeweis sein dürfte.

Emma und Georg Hüsing

AnmerkungenSchon Franz M. Böhme (Geschichte desTanzes in Deutschland, 1886, S. 155) haterkannt, daß dieser Tanz „jedenfalls ausder Heidenzeit stammt und religiöseBedeutung hat“. Er hat ihn als einenOpfertanz der Germanen zur Frühlings-feier gesehen und darauf hingewiesen,daß er in Westfalen (wo der Sieben-sprung als einziger in Deutschland nochein Neunersprung geblieben war, so wiedie Westfalen auch sonst vielfach amAlten festgehalten haben) zum erstenOstertag getanzt wurde. Soweit ermeint, daß der Tanz in christlicher Zeitmeist am Erntefest und auf Kirmsen,auch bei Hochzeiten zur Aufführung

Der Neunersprung

Der Tanz ist heute unter dem Na-men „Die sieben Sprünge“ in ganzDeutschland (auch Holland) be-

kannt, und wurde bei Festen (Hochzeit,Fasnacht, Ostern, Pfingsten, Ernte, Kir-mes und Aufnahme in den Bur-schenbund) getanzt.

Könnt ihr nicht den Neunersprung,Wollt ihr ihn nicht tanzen?Wackres Mädel wart’ auf mich,Bis ich komm’ und hole dich! Den ersten, den zweiten usw.

Darstellung: Die Sprünge werden inverschiedenen Formen getanzt; eineForm sei hier beschrieben. Die Teilneh-mer bilden einen großen Kreis, in demsie sich mit Handfassung in Laufschrit-ten nach links hin bewegen, unter Ab-singung des Vierzeilers, nach dessenEnde alle stehn bleiben. Auf die Worte„den ersten“ wird der erste Sprung vonAllen oder auch von den Burschen al-lein ausgeführt. Im letzteren Falle be-gleiten die Mädel den Sprung mit Hand-klatschen. Beim zweiten Singen wirdder erste Sprung wiederholt und derzweite hinzu gefügt, und so jedes Malder nächste. Vom neunten Sprunge abwird je der Letzte weg gelassen, so daßam Schlusse, nachdem 16 mal der Vier-zeiler gesungen wurde, nur wieder dererste Sprung übrig bleibt.1. Sprung: Aufhüpfen und Stampftritt

links.2. Sprung: Aufhüpfen und Stampftritt

rechts.3. Sprung: Aufhüpfen und Niederknien

auf den linken Unterschenkel.4. Sprung: Aufhüpfen und Niederknien

auf den rechten Unterschenkel.5. Sprung: Aufhüpfen und Berühren

des Bodens mit der linken Hand-fläche.

6. Sprung: Aufhüpfen und Berühren desBodens mit der rechten Handfläche.

7. Sprung: Aufhüpfen und Berührendes Bodens mit dem linken Unter-arme.

8. Sprung: Aufhüpfen und Berührendes Bodens mit dem rechten Unter-arme.

9. Sprung: Aufhüpfen zur Hockstellungdes Körpers und Berühren des Bo-dens mit dem Kopfe (Stirn), oder (je-der Bursche nach Belieben) Aufhüp-fen mit Anschließen eines „Purzel-baumes“, dabei Berühren des Bo-dens mit der Stirn, oder Aufhüpfenmit anschließendem Handstande undBerühren des Bodens mit dem Kopfe.

Bemerkungen: Da bisher jede indeutschvolkskundlichem Stoffe über-lieferte Sieben als jüngere Verdrehungeiner älteren Neunzahl erweisbar ist(vgl. 9 Schwaben, Neunmeilenstiefelusw.), lag von vornherein der Gedankenahe, ja es war so gut wie selbstver-ständlich, daß die „säben“ Sprünge ur-sprünglich „negen“ (neun) Sprünge ge-wesen sein müssen. In Westfalen ist nunder Sprung mit Knie, Ellenbogen, Handund Nase überliefert, es fehlen also dieFüße zur Neunzahl, und umgekehrt inSchwaben die Hände: man hat also jeein anderes Leibesglied weg gelassen,um die gewünschte Siebenzahl zu erhal-ten. Die vollständige Reihenfolge lau-tet: Fuß, Knie, Hand, Ellenbogen, Kopf,und das ergibt einen Neunersprung. ImHarz werden genannt: Ellenbogen,Knie, Hacken, Fußspitzen, Kopf, alsodie richtige Neunzahl, wenngleich inverderbter Reihenfolge und mit Zerle-gung des Fußes in Hacken und Spitze;hier ist also die neben der Benennung„Siebnersprung“ überlieferte tatsächli-che Neunzahl in falscher Weise wiederhergestellt worden. In einer westfälischen Abart, die amOstertage gespielt wurde, werden 7Gruben erwähnt, in die man mit seinen

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gebracht wurde, möchte ich dies aller-dings nicht auf eine christliche Verän-derung zurückführen, sondern meine,daß dieser Tanz – der unzweifelhaft eineVerehrung der Mutter Erde beinhaltet– eben auch bei anderen Gelegenheiten,wo sie zu ehren war (natürlich bei derErnte, aber auch sonst) getanzt wurde.Da während des Tanzes vom Tänzer ge-sungen wird: „Mach mir nur den Sie-bensprung, mach mir’ alle sieben, machmir, daß ich tanzen kann, tanzen wie einEdelmann: `s ist einer...“, ist von man-chen geschlossen worden, daß hier diehöfische Sitte verspottet werden sollte,indem in übertriebener Art und Weiseder Herr vor der Dame sich zunehmendmehr verbeuge. Aber die Forscher sindsich einig, daß es sich beim Neun- bzw.Siebensprung um einen ursprünglichenreinen Männertanz handelt, und in eini-gen Landschaften (so Hessen-Nassau)hatte sich das noch bewahrt. RichardWolfram („Die Volkstänze in Öster-reich und verwandte Tänze in Europa“,1951, S. 66) verweist darauf, daß im An-schluß an das Berühren des Bodens mitder Stirn die Tänzer sich teilweise rechtsund links wälzen, ebenso wie man sichaus Gesundheitsgründen im Tau wälzt.Zu Pfingsten tanze den Siebensprungeine ganz in Laub gehüllte Maske, diesich zuletzt auch wälzt, was zu denkengäbe. Ferner werde der Tanz bei Auf-nahme in den Burschenbund getanzt.Zudem seien Tänze von Männern –wenn es sich nicht um Scherz- oder Ge-schicklichkeitstänze handele – meist be-deutungsvoll und von alter Herkunft.Die Zahl sieben (ebenso wie neun) gelteals heilige Zahl. Hinzu kommt, daß teil-weise sehr altertümliche pentatonischeWeisen verwendet werden. Wie in Hes-sen-Nassau findet sich ein Männertanzmit dem Namen „Sjauspringar“ in Nor-wegen (Söndfjord, Fana) ebenfalls alsreiner Männertanz. Dort – wie auch inmanchen Teilen Deutschlands – führenzwei Männer den Tanz aus, wobei sie imHarz im Abschluß dreimal den Kopf ge-gen die Erde stoßen. Gegen die Ver-spottung spricht auch der Vers aus derUmgebung von Bonn: „Da ist mancherEdelmann, der die sieben Sprüng nichtkann...“ Eine sinnvollere Form des Ge-sangs ist in den Bremer Kinder- undAmmenreimen (1836) enthalten, wo esheißt: „Danz mi mal de seven Sprünge,danz mi mal de seven! Meenst dat iknich danzen kann? Kann danzen as enEdelmann. Spring hoch up!“ Böhme er-wähnt dann noch zwei holländische Fas-sungen, die so lauten: „Hedde niet ge-hoord van den zeuvensprong, heddeniet gehoord van de zeuven? Ze zeggen,dat ik niet dansen kann, ik kan dansen aseenen edelmann“. Ferner: „Ei, wie kande zevensprong, ei wie kan ze tansen? Isder dan gen eene Mann, die de zevensprongen kan? Dat eene......“

Während im Harz die zwei Siebensprin-ger erst – dabei die Musik nachmachend– mit den Fingern auf den Boden klop-fen, dann mit den Ellenbogen, dann mitden Knien, dann mit den Hacken undendlich mit den Fußspitzen, sich dannwälzten und dreimal mit dem Kopf aufden Boden schlugen, jauchzten sie im-merfort: „Use siebespringer, use hoch-tiet!“ Wenn der Siebensprung voll-bracht war, rief alles: „Use Siebesprin-ger is noch am Leben.“

Aenne Goldschmidt (Handbuch desdeutschen Volkstanzes, 4. Auflage,1981, S. 292) nimmt an, daß die Wurzelndes Siebensprunges tief hinab in alteFruchtbarkeitsbräuche reichen und ersich als ursprünglich reiner Männertanzspäter zu einem Paartanz mit Geschick-lichkeitselementen und Werbecharak-ter entwickelt habe. Aber immer nochführten in der Regel nur die Burschendie Sprünge aus, auch im Paartanz, wo-bei den Mädchen die Aufgabe obliege,durch ein sprödes, ablehnendes Verhal-ten den Burschen zu immer weiterenSprüngen zu provozieren. Sie erklärteindeutig: „Die Beteiligung derMädchen an den Sprüngen ist als Zer-fallserscheinung zu werten.“

Sie erwähnt, daß der erste Teil des Sie-bensprunges, ein Vortanz, aus den ver-schiedenen Formen bestehen könne,wobei maßgebend dafür sei, ob es sichum einen Paartanz oder um einen Män-nertanz handele. Typisch seien Paar-rundtänze oder ein gemeinschaftlicherKreisreigen als Vortanz. Im zweitenTeil folge die Tanzfigur in Sprüngen. Ichnehme an, daß dort, wo der Tanz alsTanz zur Aufnahme des Burschen in dieBurschenschaft getanzt wurde, als Vor-tanz ein Kreistanz der Männer, die sichgegenseitig die Arme auf die Schulterngelegt haben, gedient hat, es bei Hoch-zeiten keine Vortänze gab, weil dort(wie in Norwegen, Harz) nur zwei Män-ner tanzten. Auch Herbert Oetke („Derdeutsche Volkstanz“, 1982, Seite 29)nimmt an, daß es sich um einen ur-sprünglich alten Männertanz handeltund zitiert Gertrud Meyer, die 1908 aus-geführt hat, daß in verschiedenen Ge-genden „nur zwei Männer, die sich beibeiden Händen halten und zuerst rechtsum, dann links um tanzen“, den Tanzausführen. Er schreibt, daß der Sieben-sprung „offensichtlich aus kultischerHandlung stammende Bewegungen“(a. a. O. S. 78) enthält. Er erwähnt fer-ner, daß neben Hochzeiten „namentlichbei landwirtschaftlichen Festen“ derSiebensprung zum festen Bestand derTänze gehörte (a. a. O. S. 224). Daß ur-sprünglich nur zwei Männer tanzten, istnoch aus der Form des Siebensprungs inNiblum zu sehen, wo es sich schon umeinen Paartanz handelte, viele Friesen-

burschen mit ihren Mädchen in der Na-tionaltracht regelmäßig zum Tanz ka-men, während dieses Tanzes immeraber nur zwei Paare tanzten vor odernach den Sprüngen, wobei sich beideBurschen gegenüberstellten und dieMädchen alleine außen weiter tanzten,tanzte man einige Takte Schottisch. InGrünendeich im Alten Land endete derTanz mit dem Legen auf den Bauch,beim Blankeneser „Söbensprung“ tanz-ten meistens auch nur ein oder zweiBurschen, die die Beine nach links undrechts warfen; je schneller und ver-wickelter die Bewegungen, destogrößer war der Beifall der Zuschauer.Bei den meisten Fassungen wurden dieSprünge nach rückwärts wieder aufge-löst, indem man zuerst den siebten,dann den sechsten, dann den fünftenSprung usw. fortließ. Da man im Usin-ger Land zu dem Tanz einen Text mitder Anrede „Hans Orem“ singt, wel-cher vermutlich auf ein Lied zurück-geht, das bereits im Jahre 1500 entstan-den ist, ist auch daraus das hohe Alterersichtlich. Oetke verweist auch darauf,daß sich die Mädchen im Flachs wälztenund um den Flachs herumsprangen, umdessen Wachstum zu fördern, fernerdaß im Helgoländer Siebensprung mitden Worten „Wide, wide, wid“ unver-kennbar Anklänge an den Text des„Wautreigens“ enthalten sind, mit de-nen Wodan geehrt wurde (a. a. O., S.279).

Er erwähnt ferner, daß – so wie der Sie-bensprung die Fruchtbarkeit fördernsollte – dies auch die Frauenhocktänzetun sollten. Da sie auch den Namen„Hasentanz“ und „Krötentanz“ tragen,deute dies auf alte Fruchtbarkeitsvor-stellungen hin; es geht um verschiedeneVarianten, wobei die Viereckaufstel-lung sicherlich die ältere Fassung desTanzes sei (a. a. O., S. 289 f.). In derRhön fand sich der Siebensprung unterdem Namen „Kopphei“ und wurde an-dernorts als „Schnittertanz“ oder „Ern-tetanz“ bezeichnet. Zuweilen wurde derTanz auch nur von einem Mann getanzt(Oetke, a. a. O., S. 331 f.). Da das Ern-tefest in Mecklenburg „Wodelbier“hieß, man dort den Siebensprungtanzte, ist es möglich, daß auch der„Waultanz“ und der „Waulsang“, denRodenberg in seiner Chronik noch bisum das Jahr 1825 von den dortigenAckerbürgern und Bauern ausgeführterwähnte, der Siebensprung war (a. a.O., S. 352).

Festzuhalten bleibt: Zumindest bei un-serer Erntefeier sollte der Neuner-sprung von zwei Männern getanzt wer-den, da wir in ihm den Rest eines altenLaiches erkennen dürfen.

Jürgen Rieger

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Eine Schöpfung nordischen Geistesin der Dichtkunst ist die Ballade,die bei allen germanischen Völkern

gepflegt wurde. Sie behandelt vorwie-gend tragische Sagenstoffe und gibtZeugnis von der heroischen Weltan-schauung voll düsterer Ahnungen umKampf und Untergang. Der mythischeInhalt wird in ihr episch dargestellt,aber nicht gleichmäßig und ruhigfließend, sondern mit dramatischerSpannung und Wucht, in Rede und Ge-genrede.

Da diese Lieder auch gesungen wurden,haben sie ihre eigenen Melodien undRhythmen erhalten, die zu feierlichen,ursprünglich kultischen Chortänzenvorgetragen wurden.

Sie sind also universales Kunstwerk ge-wesen, aus dem sich sowohl die nordi-sche Epik wie das nordische Musik-drama hätte entwickeln können, wennnicht fremder Geist eingebrochen wäreund die Entwicklung unterbundenhätte.

Einige unserer Kinderlieder gehen aufdiese uralten Volksgesänge zurück.Aber durch die Jahrhunderte und Jahr-tausende haben sie vielfältige Umge-staltungen erfahren.

Ein Balladenstoff, der in einem Kinder-lied behandelt wird, gehört zur unheim-lichen Sage vom Ulinger oder, wie er inFrankreich hieß, vom Ritter Blaubart.Der Inhalt ist kurz folgender: Ein Ritterbetört mit seinem Gesange eine Jung-frau, die dann von ihm entführt und ge-hangen werden soll. Schon elf Jung-frauen hat er verlockt und getötet, aberdie zwölfte, Rautendelein oder Schön-Ännelein, wird seine Rächerin. Als ersie ermorden will, erschlägt sie ihn mitseinem eigenen Schwerte und reitet aufseinem Rosse heimwärts. In anderenBalladen wird auch sie getötet und derMord dann von ihrem Bruder gerächt.

Das Motiv zu den Jungfrauenmorden istder alte nordische Glaube an die Le-benskraft reinen Blutes, insbesonderedie Vorstellung, daß das Blut unschuldi-ger Mädchen vom Aussatz heile. Wirbrauchen uns nur an die mittelalterlicheLegende vom „armen Heinrich“ desHartmann von Aue zu erinnern, derauch nur durch das Blut einer reinenJungfrau gerettet werden konnte. Echtgermanisch ist ferner der Glaube an diezauberhafte Macht des Gesanges.Schon im Gudrunlied gewinnt Horantdurch seine Zaubergesänge die Königs-braut.

Aus der großen Ballade vom Ulingerhat sich eine kleine Kinderballade ent-wickelt. Sie wird in Sonderbach i. O. fol-gendermaßen gesungen:

Und kämmte sich ihr goldnes Haar.Und als sie damit fertig war,Da fing sie an zu weinen.Der kam ihr Bruder Karl herein.Mariechen, warum weinest du?

Ich weine, weil ich sterben muß.Da nahm der Karl das Messer rausUnd stach ihr in das Herze.Da kam die Mutter aus dem Wald.Wo ist denn mein Mariechen?Sie ist schon längst begraben.Da stand Mariechen fröhlich auf.Mariechen war ein Engelein.Der Karl der war ein Bengelein.

Während die Kinder singend im Kreiseschreiten, wird jede im Lied beschrie-bene Handlung von einzelnen dazu be-stimmten Spielern dramatisch darge-stellt. Rede und Gegenrede wird vondiesen allein vorgetragen.

Der Stein, der am Anfang des Liedes er-wähnt wird, hat alte kulturgeschichtli-che Bedeutung. E. M. Arndt schreibtdarüber in seinen Erinnerungen, daß inStralsund früher auf dem Markte dersogenannte „Breite Stein“ dazu gedienthabe, feierlich Verlöbnisse zu verkün-den. In diesem Sinne ist er auch hier zunehmen.

Der tragische Schluß der Sage ist demKindergemüte unerträglich gewesen.Der Märchenglaube des Kindes läßt dieErmordete einfach wieder fröhlich zumLeben auferstehen und so die traurigeSituation sich in eine freudige verwan-deln.

In Bensheim dagegen schließt das Liedtragisch ab:

Mariechen saß auf einem Stein.Da fing sie an zu weinen.Da kam ihr Bruder Karl herein.Mariechen, warum weinest du?Ich weine, weil ich sterben muß.Da kam der Jäger aus dem WaldUnd stach Mariechen in das Herz.Da fiel sie tot zu Boden.Mariechen ist ein Engelein.Da kamen ihre Eltern reinUnd fingen an zu weinen.

Dadurch, daß der tragische Gehalt ver-loren ging, sind Neuschöpfungen ent-standen, von denen auch unsere Ge-gend eine hervorgebracht hat, die in-haltlich mit dem Stoff der Kinderbal-lade nichts mehr gemein hat. Eine sol-che Kinderposse wird in Lorsch gesun-gen:

Mariechen saß auf einem Stein.Da ging die Türe klingelingeling.Da kam die Katz zur Tür hereinUnd fraß Mariechens Butterbrot.Da ging die Türe klingelingeling.Da kam die Mutter zur Tür herein.„Die Katz, die hat mein Butterbrot

gefressen!“Da ging die Tür klingelingeling.Da kam die Mutter mit’m BesenstielUnd schlug die Katz zur Tür hinaus.

Die Melodie aller dieser Lieder istgleich und deckt sich wiederum mit demLiede: Dornröschen war ein schönesKind. So sinnlos zuerst das besprocheneKinderlied erscheinen mag, so großartigist der geistige organische Zusammen-hang, in dem es steht.

Joseph Schopp

Die Ballade vom Ulinger im

he‚ixen Kinderlied

Heidenspaß

Ein Bauernbub führt eine Kuh durchsDorf und trifft unterwegs den Pfarrer.„Na, wohin geht du denn mit deinerKuh?“ fragt er. „Naja, ich führ sie haltzum Decken“, sagt der Junge. „Und daschicken sie ausgerechnet dich!“ sagtder Pfarrer voll moralischer Bedenken.„Kann das denn nicht dein Vater ma-chen?“ „Nein, Herr Pfarrer das könnenSie nicht beurteilen, das kann über-haupt nur der Stier.“

*

Warum zog Moses mit den Judendurchs Rote Meer?

Weil er sich genierte, mit der Misch-poche durch die Stadt zu gehen.

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Süddeutschland zurBronzezeit

Gegen Süddeutschland und das Rhein-gebiet grenzten die Germanen an einVolk, über dessen Zugehörigkeit langeZeit Zweifel bestanden haben. Wir kön-nen uns hier nicht auf die verschiedenenAnsichten einlassen; soviel nur könnenwir sagen, daß dieses Volk vielleichtschon als keltisch, zumindestens urkel-tisch anzusprechen ist. Jedenfalls saßenin diesem Gebiet in der letzten Hälftedes Jahrhunderts vor unserer Zeitrech-nung die Ahnen der Kelten. Auch siegehörten der großen indogermanischenVölkerfamilie an.Es gab einmal eine Zeit, in der man al-les für „keltisch“ hielt, in der man diehohe Bronzekultur der Germanen alskeltischen Einfluß oder keltische Ein-fuhr erklärte. Die Forschung hat heutedie Bodenständigkeit unserer germani-schen Bronzekultur erwiesen.Die Bronzezeit Süddeutschlands, diewir rund von 1800–1000 vor üblicherZeitrechnung ansetzen, wird auch dieHügelgräberbronzezeit genannt. Denndie Kelten bestatteten ihre Verstorbe-nen damals verbrannt oder unverbranntunter flachen oder halbkugeligen ge-

wölbten Hügeln. Solche Gräber lagenoft in Gruppen in großer Zahl, 30–40nebeneinander auf den Höhen derSchwäbischen oder Fränkischen Alb.

Die zu diesen Hügelgräbern gehören-den Siedlungen aufzufinden, ist bishernoch selten geglückt. Da nun der Acker-bau auf dem nicht sehr fruchtbarenKalkboden nur in höchst bescheidenem

Maße möglich war, haben die Kelten,wenn sie siedelten, einen almartigenWeidebetrieb gehabt. Sie nützten dieWiesen des Moränegebietes (Glet-scherschutt) in Oberbayern (Starnber-ger See, Roseninsel). Dichte Wälder bo-ten ihnen außerdem ertragreiche Jagd-gründe.Unser Bild (Abb. 34) zeigt eine solcheAlmwirtschaft, wie sie etwa in einemWiesental der Schwäbischen Alb be-standen haben mag. Frauen sind bei derweidenden Rinderherde beschäftigt,Männer kehren von der Jagd zurück. ImMittelgrund auf einer Wiesenkuppe er-heben sich die halbkugeligen Hügelgrä-ber. In der Ecke rechts unten zeigen wireinen für die Kelten kennzeichnendenKrug mit seinen Kerbschnittmustern,die tief wie in Holz in den Ton gekerbtworden sind. Solche Krüge kommen be-sonders in Württemberg, der Rheinpro-vinz, Rheinhessen und Starkenburg vor.Was wir in Gräbern an bronzenenSchwertern und Dolchen, Äxten undPfeilspitzen der Kelten fanden, unter-scheidet sich mehr oder weniger nachgeschmacklichen und modischen Ge-sichtspunkten von gleichen Funden imNorden. Bezeichnend für Süddeutschland dürftevor allem der mannigfache Schmuck derFrauen sein.Unser Bild (Abb. 35) zeigt drei keltischeFrauen auf der Landstraße im Gesprächund im Spiel mit ihren Kindern. Nichtnur an den Armen tragen sie mehrfachumlaufende und in Spiralen auslau-fende Reifen. Die Frau in der Mitte un-seres Bildes hat einen besonders schö-nen bronzenen Gürtelhaken, um denHals eine Bernsteinkette, ein kostbaresSchmuckstück, das weit aus dem Nor-den von der jütischen Insel, vielleichtüber Mainz, das schon damals ein Um-schlagplatz war, in die Schwäbische Albgewandert sein muß. Die sogenannte

Unseren jungen Gefährten

Au+ Deutxland+ Vorzeit:Die Bronzezeit

Teil 6

Abb. 34

Abb. 35

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Radnadel, mit der die Bluse vor zusam-mengehalten wird, ist zugleich ein inSüddeutschland beliebtes Zierstück ge-wesen. Es wurde von Frauen getragen,wohl auch von Männern, denn die imNorden übliche Gewandspange (Fibel)fehlte im Süden.

***

Es ist immer gut, sich geschichtlicheVorgänge auf einer Landkarte zu ver-deutlichen; so prägt sich das Geleseneam besten ein. Das gilt nicht nur für die„geschriebene“ Geschichte, sondernauch für die „schriftlose“ Vorge-schichte.

Wie wir die Betrachtung der Jungstein-zeit mit einer Karte abgeschlossen ha-ben, ebenso wollen wir auch mit einerKarte der Bronzezeit noch einmal aufeine vereinfachende Weise veranschau-lichen, wie die Siedlungsgebiete unseresVaterlandes im besonderen Hinblickauf die Landnahme der Germanen ver-laufen ist.

Deutschland vor 3500 JahrenWenn wir auf unserer Karte (Abb. 36)Deutschland in der Bronzezeit betrach-ten, also vor rund 3500 Jahren, so sehenwir auf den ersten Blick, wie sich dieGermanen im Laufe der Jahrhundertevon ihren Stammsitzen in Jütland, Süd-schweden und Norddeutschland her im-mer weiter nach Osten, Süden und We-sten ausgebreitet haben. Es ist leidernicht möglich, diese Landnahme inihren einzelnen Stufen (Phasen) auf ei-ner einzigen Karte zu verzeichnen.

Wir bezeichnen die vorrückendenGrenzen mit heutigen Städtenamen.Danach erreichten die Germanen um1200 vor üblicher Zeitrechnung etwaeine Linie, die durch die Städte Bremen– Magdeburg – Berlin – Stettin – Hil-desheim – Naumburg – Leipzig – Des-sau beschrieben wird. Um 800 v. ü. Ztr.haben sie bereits die Linie Emden –Osnabrück – Hildesheim – Naumburg –Leipzig – Dessau – Berlin – Schnei-demühl – Danzig erreicht. Unaufhalt-sam werden die Germanen in dem näch-sten Jahrtausend das während derBronzezeit noch von Illyrern und Kel-ten besetzte Gebiet überfluten.

Die germanischen Gebiete und die ihrerNachbarn sind wieder durch einge-stellte Figuren und bezeichnende Ge-genstände angegeben.Wir sind am Ende unserer Wanderungdurch die Vorgeschichte. Wir gingenaus von der Jungsteinzeit, in der die An-fänge unserer Volkswerdung liegen undschließen mit der Bronzeit, einer Blüte-zeit des germanischen Volkes.Wir konnten immer nur in großen Zü-gen das weite Gebiet der Vorgeschichtedurchstreifen, aus der unübersehbarenMannigfaltigkeit des Stoffes einigesWichtige herausgreifen, davor verwei-len. Der Blick war dabei immer auf dasErbe unserer Ahnen gerichtet.Vielleicht ist es geglückt, daß mancheiner, dem die Vorgeschichte bisherfremd gewesen ist, nun einige großeLeitlinien behält und sich zurechtfindet,wenn er einmal Umschau hält in seinemHeimat- oder Provinzialmuseum. Etwain Bonn, Halle, München, Stuttgart,Weimar, dem großen Museum in Berlinund der umfassenden Sammlung fürdeutsche Vorgeschichte in Mainz, dem1852 gegründeten Römisch-Germani-schen Zentralmuseum*, das die großeAufgabe hat, in Fundstücken undmustergültigen Nachbildungen einenannähernd vollständigen Überblicküber die deutsche Vorgeschichte zugeben.

In den folgenden Ausgaben der Nordi-schen Zeitung wird der hier an-schließende Zeitraum von anderthalbJahrtausenden, die Eisenzeit, derKampf um den Rhein und die großegermanische Völkerwanderung in denersten fünf Jahrhunderten nach übli-cher Zeitrechnung bis zur Gründungdes Deutschen Reiches in ähnlicherWeise behandelt.

(Fortsetzung im nächsten Heft mit der Reihe:„Aus Deutschlands Vor- und Frühzeit“)

Anmerkungen:

* Weit über Deutschland hinaus genießt das Römisch-Germanische Zentralmuseum einen hervorragen-den Ruf. Zuletzt wurden hier Funde des SüdtirolerGletschermannes konserviert, peruanische Ent-deckungen eines Fürstengrabs restauriert und sogareine Außenstelle im chinesischen Xian eingerichtet,wo Experten aus Mainz bedeutende Metallfundeunter die Lupe nehmen.

Im Nordwestflügel des Kurfürstlichen Schlosses er-wartet die Besucher eine nicht minder bedeutsamePalette spektakulärer Funde – eindrucksvoll wirdein Bogen von der Steinzeit bis zum frühen Mittelal-ter geschlagen.

Öffnungszeiten:

Di. bis So. 10.00 bis 18.00 Uhr, Mo. geschlossen.

Römisch-Germanisches Zentralmuseum

Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte

Kurfürstliches Schloß

Ernst-Ludwig-Platz 2

55116 Mainz

www.rgzm.de

Abb. 36

Abb. 37: Germanische Landnahme

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Jeden Abend, wenn sichdie Dämmerung hernie-dersenkt, kommt ein

Hund durch die Straßen un-serer Vorstadt gelaufen. Nie-mand kennt ihn. Er ist fremd.Er hat keine Heimat und kei-nen Namen. Seine Großel-tern väterlicherseits warenein Pudel und eine Möpsin,seine Großeltern mütterli-cherseits ein Dackel undeine Pinscherin. Seinen Va-ter könnte man also einenPudelmops und seine Mutter eineDackelpinscherin heißen. Und demHunde selbst müßte man gerechter-weise die Rassebezeichnung geben:Pudelmopsdackelpinscher.Dieser Pudelmopsdackelpinscher alsoist es, der sich bei uns herumtreibt.Wenn man ihn genauer ansieht, dannkann man tatsächlich die Rassenmerk-male seiner Großeltern feststellen. Seingekräuseltes, schwarzes Haar erinnertan einen Pudel, sein riesiges Maul mitden herabhängenden Lippen an einenMops! Seine krummen Beine erinnernan einen Dackel und eines seiner Ohrenan einen Pinscher! Also ein Pudelmops-dackelpinscher im wahrsten Sinne desWortes!Ebensowenig wie dieser Hund eineHeimat hat und irgendeinen Menschenals seinen Herrn anerkennt, hält er sichan eine Gesellschaftsordnung. Er küm-mert sich nicht um die Anstandspflich-ten, die selbst Hunde zu erfüllen haben.Er geht nur seine eigenen Wege. Wenndie anderen Hunde längst schlafen,dann streunt er herum. Und wenn dieanderen Hunde mit Frauchen oderHerrchen spazierengehen, dann schläfter in irgendeiner Ecke.Auch die Ernährungsfrage macht ihmkeine Sorgen. Wenn er sieht, wie andereHunde schön folgsam sind, damit ihnenihr Herr ja recht gute Mahlzeiten gibt,dann muß er lachen.„Ich hol’ mir mein Fressen schonselbst“, sagt er und geht auf Raub aus.Und stehlen kann er, das muß man ihmlassen! Nichts ist vor ihm sicher. Überallstreicht er herum. Was ihm in den Weg

kommt, das frißt er zusammen. Hierstiehlt er einem Bernhardiner einenKnochen weg, dort säuft er die Milchaus, die für die Katze bestimmt ist. Hierfrißt er ein Nest mit jungen Vögeln auf,dort klaut er einem Arbeiter das Früh-stück. Wenn ihn die anderen Hunde we-gen seiner Diebstähle zur Rede stellenoder wenn ihm einer der Menschen, dieer bestohlen hat, einen Stein nachwirft,dann tut er sogar noch beleidigt.

„Ich hab’ doch das Recht zum Klauen!“sagt er und trollt von dannen.

Der Pudelmopsdackelpinscher hatkeine Freunde, weder bei den Men-schen noch bei den Hunden. Er ist einunleidlicher Bursche. Es gibt für ihnnichts Schöneres als den Streit. Vonmorgens bis abends zankt er sich mitden anderen herum. Er haßt den Frie-den. Am wohlsten ist es ihm, wenn esKrach gibt. Und wenn kein Grund zuStreitigkeiten vorhanden ist, dann ver-

steht er es, die anderen Hunde gegen-einander aufzuhetzen. Dann schürt ersolange, bis sie sich endlich in den Haa-ren liegen. Und wenn sie sich dann soabraufen, daß Blut fließt, dann tut derPudelmopsdackelpinscher auf einmalganz scheinheilig und sagt zu den an-dern:„Wie kann man nur so böse sein!“In Wirklichkeit aber freut er sich unddenkt:„Na, das hab’ ich wieder gut gemacht!“Der Pudelmopsdackelpinscher ist aberauch sonst ein Hund, den man hassenund verachten muß. Am wohlsten fühlter sich im Schmutze. Wo es eine Pfützegibt, da legt er sich mitten hinein. Erwälzt sich am liebsten im Unrat. SeinFell ist über und über verschmutzt undein furchtbarer Geruch zieht von ihmweg. Aber gerade das gefällt ihm.„Ich bin eben ein besonderer Hund!“ Sosagt er und erhebt stolz seinen Kopf.Der Pudelmopsdackelpinscher ist auchnoch in anderen üblen Dingen ein Mei-ster. Im Bellen, zum Beispiel, da tut esihm keiner gleich. Kläffen kann er solaut in der Nacht, daß die Bewohnerganzer Straßen davon wach werden.Auch im Beißen hat er es zu einer be-sonderen Kunstfertigkeit gebracht. Erwagt es zwar nicht, einen Gegner vonvorne anzugreifen. Nein, das wäre zugefährlich! Aber in dem Augenblick,wo der andere nicht aufpaßt oder ihmgar den Rücken zeigt, da wird er mutig.Da beißt er zu. Dann aber rennt er da-von, so schnell er nur kann. Der Pudel-mopsdackelpinscher ist ein Feigling.Auf ihn allein paßt das Wort: feigerHund.Seit Jahren treibt sich der Pudelmops-dackelpinscher, dieser Rassemischling,in unserer Nähe herum. Wir haben ihnkennengelernt in seiner Niedertrachtund Gemeinheit. Aber wir wissen es:Eines Tages muß und wird sich seinSchicksal erfüllen. Erst dann ist wiederRuhe und Ordnung in den Straßen un-serer Stadt.

E. H.

Unseren jüngyen Gefährten

Der Pudelmop+-

daqelpinxer

Spielanleitung:Die „Brunnenfrau“ kauert sich nieder und die Kinder springen singend herum.Bei „zieh mich in den Brunnen“ muß die „Brunnenfrau“ laufen und versucheneinige Kinder zu haschen, die dann Brunnenfrauen sind.

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kauft werden dürfen. Das könnte dieGefühle vieler Katholiken verletzten“,so Lota.

Herz Mariäträgt schwarz

Die Kirchen-Streichliste des Bistumsfür das Essener Stadtgebiet liegt vor, 25Kirchen stehen zur Disposition. Nunregt sich Protest, wehen gar schwarzeFahnen – denn viele Gläubige hängenan ihrem Kirchbau.Es ist unruhig in der Gemeinde St. Suit-bert Überruhr. „Seit einigen Wochensteht der katholische Teil von Überruhrunter Schock“, schreibt Stephan Rie-menschneider (38) von der Keveloh-straße. Auf der Internet-Homepage derPfarrgemeinde ist unter www.mariae-heimsuchung.de ein lebendiges Forumentstanden, wo sich bisher 61 Christenund Institutionen wie der Elternrat desSuitbertkindergartens Luft gemacht ha-ben. Stephan Riemenschneider bemän-

gelt, daß die Kriterien für die Entschei-dung gegen die Suitbert-Kirche nicht of-fen gelegt worden seien, und verweistauf die aktive Jugendarbeit, das inten-sive Gemeindeleben, den sozialenBrennpunkt und die seit 1961 um 43Prozent gestiegene Katholikenzahl inÜberruhr.

In Steele denkt man schon weiter. DieEiberger Dreifaltigkeits-Kirche mußzwar aufgegeben „aber nicht abgeris-sen“ werden, sagt der stellv. Vorsit-zende des Kirchenvorstands von St. Jo-seph Steele-Horst, Heribert Staudinger.Diese Josephs-Kirche steht, im Gegen-satz zum gleichnamigen aber deutlichkleineren Bau in Kray-Leithe, nicht aufder Streichliste. Die Proteste der Gläu-bigen kann er nachvollziehen. „Wo im-mer Bischof Hengsbach ein Neubauge-biet sah, da mußte auch eine Kirchehin“, sagt er. „Viele Leute haben da-mals Opfer gebracht und auch selbstden Spaten in die Hand genommen, umneue Kirchen zu bauen. Und jetzt sollendiese Gebäude weg.“

Das Herz Mariä in Altenessen trägt einschwarzes Kleid. Beim Pfarrfest an derHeßler Straße, traditionell eine fröhli-che Angelegenheit, wurde der Kircheam Wochenende ein Trauerflor aufge-steckt, Jugendliche trugen sie symbo-lisch zu Grabe. Die Gemeinde hat Ap-pelle an den Ruhrbischof geschickt, ihreKirche zu verschonen. Pfarrer HansFerkinghoff läßt seine Leute damitnicht alleine, er hofft ebenso wie Dia-kon Ewald Hillmann, daß die Kircheund die „florierende Jugendarbeit“ er-halten werden können. Joachim Mei-nusch aus dem Pfarrgemeinderat ver-weist auf die 2800 Nutzer, die die Pfarr-bücherei im letzten Jahr gehabt habe.Jugendleiter Raphael Dornebusch:„Wir geben nicht auf.“

Um ihren Bitten Nachdruck zu verlei-hen, marschierten die Altenessener am25. Juni von St. Gertrud an der Rott-straße durch die Innenstadt zum Dom.Nicht als Demonstration, das wäre jagar nicht so richtig katholisch. Schlim-mer: als Bittprozession.

Aufblasbares Gotteshaus

Die Kirche bläst die Backen auf. Mitdem, was dann an heißer Luft ent-weicht, kann man das erste aufblasbareGotteshaus der Welt füllen. In Esher inder Grafschaft Surrey ist der vierzehnMeter hohe Windbeutel auf der Kir-chenmesse „ Christian Resources Exhi-bition“ schlecht zu übersehen. Der nichtaufblasbare Pfarrer Chris Keating er-probt gerade die Belastbarkeit der Kan-zel, die sich ein wenig wulstig in die go-tische Bauweise einzuzwängen sucht.Auch Bänke, Orgel, Altar und Kreuzelehnen sich behäbig windschief an die

Unser Märchen-Rätselbild

Sechs Märchen, allbekannt,sind im Bild verborgen.

Erkennst sie heute nicht,so doch gewißlich morgen.

(1. Die Rabe – 2. Rotkäppchen – 3. Der gestiefelte Kater – 4. Die Bremer Stadtmusikanten – 5. Die Sterntaler –6.Hänsel und Gretel)

Geistesfreiheit

In Fesseln kann der Deutsche Geist nicht leben,

Er gleicht dem Adler, der die Freiheit liebt. -

Nur jenem Führer ist Unsterblichkeit gegeben,

Der Deutschen Menschen Geistesfreiheit gibt.

Erich Limpach

Neue+ vom alten Feind

Das Ruhrbistum will bis zu122 Kirchen schließen

Das sehen die Pläne vor, die das Bistumim Zuge der geplanten Neugliederungbisher in den einzelnen Stadt-Dekana-ten vorgestellt hat. Von den rund 122„überflüssigen“ Gebäuden sind bisherbereits 87 im Revier betroffen. Die Ent-scheidung für Duisburg-Hamborn, Gel-senkirchen-Mitte und Dortmund-Mittesteht noch aus. Das Bistum will so dieHälfte der 30 Mio Euro jährlich anSchlüsselzuweisungen einsparen. Inwelchem Ausmaß Stellen von Mitarbei-tern gefährdet sind, sei noch nicht abzu-sehen, erklärte Bistumssprecher UlrichLota. Die Dekanate können innerhalbvon sechs Wochen Einspruch erheben,Bischof Felix Genn werde dann bisJahresende entscheiden. Die neu gebil-deten Pfarreien legen in Abstimmungmit dem Bistum fest, ob die Gebäudeabgerissen oder verkauft werden. „Klarist nur, daß sie nicht an Muslime ver-

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abgeschlaffte Tradition an. Kunsthisto-riker werden Michael Gills Entwurf ei-nes Tages den Beginn der Polyester-Popmoderne nennen, die sich bisher inHüpfburgen verirrte. Rund 60 Personenfinden in der Heiße-Luft-Schloß-KirchePlatz, die in drei Stunden aufgeblasen istund nur 2700 Euro Miete pro Tag ko-stet. Noch predigt Chris Keahing aller-dings vor vollkommen leeren Bänken.Vielleicht wartet er auch nur, daß ihn je-mand abholt, bevor ihm die Luft aus-geht.

Die Leere in den FakultätenDie Kirchen haben ernste Nachwuchs-sorgen: Es gibt zu wenig Theologiestu-denten und damit zu wenig zukünftigePfarrer und Priester. An den Univer-sitäten geht die Sorge um, daß nun theo-logische Fakultäten eingespart werden,was das Problem noch verschärfenwürde.

In Deutschland ist die Zahl der evange-lischen Theologiestudenten in den ver-gangenen Jahren erfreulich gesunken.Jetzt fürchtet die Kirche, in ein paarJahren ihre Pfarrstellen nicht mehr be-setzen zu können. „Mitte der achtzigerJahre gab es in den westdeutschen evan-gelischen Kirchen 14000 Theologiestu-denten. Heute sind es bundesweitknapp 4000“, zählt der Leiter des theo-logischen Ausbildungs- und Prüfungs-amtes in Kiel, Oberkirchenrat MichaelAhme.

Die Nordelbische Evangelisch-Lutheri-sche Kirche fürchtet, daß sie im Jahr2008 mehr als 50 vakante Pfarrstellenhaben wird. Eine bundesweit verbrei-tete Broschüre, von sechs Landeskir-chen produziert, soll um Pfarrer-Nach-wuchs werben. „Ganz so dramatisch istdie Situation in anderen Landeskirchennicht“, sagt der Sprecher der evangeli-

schen Kirche, Thomas Krüger. So hät-ten die Gemeinden in Westfalen nachwie vor Probleme, alle Theologie-Stu-denten unterzubringen.Dramatisch ist die Situation in der ka-tholischen Kirche. Dort herrscht seitvielen Jahren Priestermangel und einezunehmende Überalterung des Klerus.Etwa ein Drittel der Gemeinden hatkeinen eigenen Pfarrer. Viele Geistli-che sind für mehrere Gemeinden zu-ständig, Laien müssen Aufgaben wieBeerdigungen übernehmen. Bundes-weit liegt die Zahl der neu geweihtenkatholischen Priester pro Jahr nur nochbei etwa 130.„Es geht nicht, daß wir unseren Glau-ben nur mit Ehrenamtlichen weiterge-ben. Dafür sind fundiert ausgebildeteMenschen nötig, schließlich ist dasPfarramt das wichtigste, das wir in derKirche haben“, meint Hamburgs luthe-rische Bischöfin Maria Jepsen. Geduld,Anstrengung, Neugier und Kommuni-kationsfähigkeit benötige ein guter Ge-meindepfarrer. „Die Attentate vom 11.September und das Blutbad in Erfurthaben gezeigt, wie sehr wir als Kirche inder Gesellschaft gebraucht werden. Ge-rade heute gilt es, auf den Glauben hin-zuweisen“, sagt die Theologin.

Das Desinteresse junger Menschen amPfarrberuf führt sie vor allem auf dieschlechten Anstellungschancen der ver-gangenen Jahre zurück, als die gebur-tenstarken Jahrgänge und sozial enga-gierte Anhänger der Friedensbewegungdie theologischen Fakultäten fülltenund für eine Theologenschwemme sorg-ten. Viele Bewerber fanden keine Stelleoder mußten sich eine teilen. Das hat zuPerspektivelosigkeit geführt.

Diese Ansicht teilt Krüger: „In den sieb-ziger und achtziger Jahren hatten wireine Boomzeit.“ Mit den zunehmendenFinanzproblemen der Landeskirchen

hätten seit Anfang der neunziger Jahrenicht mehr alle Theologiestudentenübernommen werden können. Er weistjedoch auch auf das Umfeld hin. „Theo-logie und Kirche haben nicht mehr denStellenwert wie früher.“

Wegen der drastisch sinkenden Studen-tenzahlen fürchten manche theologi-schen Fakultäten um ihr Bestehen.„Alle stehen wir unter großem Ein-spardruck“, sagt der Hamburger Pro-fessor Hans-Martin Guthmann. DasTheologiestudium ist seiner Ansichtnach reizvoll: „Die Spannbreite reichtvon der Altorientalistik über Predigt-lehre bis zur Familientherapie“, sagt er.Allerdings müsse jeder Theologiestu-dent über das intellektuelle Wissen hin-aus auch eine spirituelle Kompetenzund Lebenspraxis entwickeln.

„Theologen sind hoch qualifizierte Kul-turvermittler, geben weltanschaulicheWerte weiter und sind in ethischen Be-langen unersetzbar“, meint der KielerHartmut Rosenau. Nur drei Kandida-ten haben sich bei ihm zum nächsten Ex-amen angemeldet.

Die wenigen Theologiestudenten fin-den fast überall paradiesische Bedin-gungen vor: kleine Seminare, gute Be-treuung durch die Professoren undgenügend Geld für Auslandsstipendien.

Handle so, daß Du überzeugtsein kanny, mit DeinemHandeln auc Dein Beye+und Äußerye+ dazu getan zuhaben, die Menxenart, au+der Du hervorgegangen biy,beyand+- und entwiqlung+-fähig zu halten.

Erwin Guido Kolbenhe¥er

Nacricten

Wir trauern um unseren Sohn und Bruder

RaginÅ 6.6.05 ˇ 23.6.05

Petra und Març Müller

Gerhild, Gunn-Heide, Wieland, Thoralf, Sonngard

Du kamy, du gingy mit leiser Spur,

ein flüct’ger Gay im Erdenkleid.

Woher, wohin? Wir wiâen nur:

Au+ Ewigkeit, in Ewigkeit.

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Gemeingermanischer ergänzter Futhark:

Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft we-sensgemäßer Lebensgestaltung e.V. ist die größte heidnische Ge-meinschaft Deutschlands (dazu noch Mitglieder in anderen ger-manischen Völkern) mit tiefreichenden Wurzeln. Sie wurde 1951gegründet und vereinigte sich 1965 mit der Nordischen Glaubens-gemeinschaft e.V., die 1928 gegründet worden war und sich 1954in Nordisch-religiöse Gemeinschaft umbenannt hatte. Mit den be-reits 1924 gegründeten Nordungen fand 1983 die Vereinigungstatt. In der Artgemeinschaft wird ferner das Gedankengut der1913 von Ludwig Fahrenkrog gegründeten Germanischen Glau-bens-Gemeinschaft (GGG) fortgeführt und weiterentwickelt,nachdem diese 1957 ihre Tätigkeit eingestellt hatte, im Vereinsre-gister gelöscht wurde, und die Reste ihrer aktiven Mitglieder zurArtgemeinschaft bzw. Nordisch-religiösen Gemeinschaft gekom-men waren.

Wir können auf eine jahrzehntelange Erfahrung bei der Neuge-staltung eines uns gemäßen Glaubens verweisen, da wir die ältestegermanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft mit durchgängigemWirken sind. Bei uns finden Sie nicht nur ein reges Gemeinschafts-leben auf den regelmäßig wiederkehrenden Gemeinschaftstagen,sondern über die „Nordische Zeitung“, zwei Schriftenreihen, eineBuchreihe sowie Einzelschriften auch eine geistige Auseinander-setzung mit dem Christentum, Darstellung alter Bräuche und dieDurchformung eines arteigenen Glaubens. Wegen der großenNachfrage sind von zahlreichen Veröffentlichungen, die wir her-ausgebracht haben, viele bereits vergriffen. Nur wenn Sie laufendmit uns Verbindung pflegen, können Sie mithin sicher sein, auchalle neuen Veröffentlichungen von uns zu bekommen.

Sie haben neben Abrufen unserer Darstellung aus dem Internet(www.asatru.de) drei Möglichkeiten, mit uns in Verbindung zubleiben, wozu Sie bitte den Vordruck in diesem Heft verwenden.

� Die am wenigsten verpflichtende ist, daß Sie die NORDISCHEZEITUNG für 18,– € einschließlich Versand jährlich bestellen.

� Wenn Sie auch zu Tagungen eingeladen und über die gemein-schaftsinneren Angelegenheiten im Bild sein wollen, aber nichtaus einer Bekenntnis- oder anderen Religionsgemeinschaftaustreten oder sich noch nicht neu binden möchten, können Sie

FÖRDERER werden. Als Förderer bezahlen Sie einen Bei-trag nach Selbsteinschätzung, mindestens aber 55,– € im Jahr,worin der kostenlose Bezug der Nordischen Zeitung, unseresGefährtschaftsbriefes und unserer Flugblätter, ferner der Neu-erscheinungen der „Schriftenreihe der Artgemeinschaft“ ent-halten ist.

� Wenn Sie keiner Bekenntnis- oder Religionsgemeinschaft an-gehören und sich neu binden wollen, das „Artbekenntnis“ unddas „Sittengesetz unserer Art“ voll bejahen sowie überwiegendnordisch-fälische Menschenart verkörpern, können Sie Antragauf Aufnahme als MITGLIED in die Artgemeinschaft stellen.Sie zahlen einen Monatsbeitrag (nach Selbsteinschätzung) inHöhe von mindestens 1 % des Nettoeinkommens. Mindestbei-trag ist ein Betrag von 5,– € je Monat. Im Mitgliedsbeitrag ein-geschlossen ist die kostenlose Lieferung der Nordischen Zei-tung und des Gefährtschaftsbriefes, unserer Mitteilungen undFlugblätter, von Neuerscheinungen der „Schriftenreihe derArtgemeinschaft“ und der Reihe „Werden und Wesen der Art-religion“. Die Mitglieder der Artgemeinschaft sind gleichzeitigMitglied im Familienwerk, das einen Familienlastenausgleicherstrebt, Beitrag: gestaffelt (von € 0,– bei drei Kindern bis€ 95,– bei kinderlos jährlich, Ermäßigung möglich). Ferner ha-ben Mitglieder einen Arbeitsdienst von 31/2 Tagen im Jahr in ei-nem unserer Gemeinschaftsheime zu leisten, bei Nichterfül-lung für jeden nicht geleisteten Tag 50 € zu zahlen. Mit EingangIhres Antrages auf Aufnahme werden Sie zunächst im Regel-fall ein Jahr als Anwärter bis zur endgültigen Entscheidungüber Ihre Mitgliedschaft geführt und haben in dieser Zeit be-reits die Beiträge zu zahlen, erhalten andererseits die für Mit-glieder bestimmten Leistungen mit Ausnahme der Mitteilun-gen. Die Entscheidung über Ihre Aufnahme fällt im Regelfallerst, nachdem Sie einen unserer Gemeinschaftstage besuchthaben, und sowohl Sie als auch wir feststellen konnten, ob wirzueinander gehören. Wenn Sie aufgenommen wurden, habenSie eine einmalige Aufnahmegebühr in Höhe von 30,– € zuzahlen, wofür Sie die Mitgliedsnadel, nach unserer Wahl einigenoch lieferbare Schriften aus unseren Schriftenreihen und ei-nen früheren Jahrgang der Nordischen Zeitung erhalten.

Nordische Zeitung im Internet: http://www.nordzeit.de/ · http://www.asatru.de/ · http://www.artgemeinschaft.org/ · E-Post: [email protected]

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Am vierten Tag im Ostermond starbnach schwerer Krankheit und zumGlück nicht allzulangem Leiden

unser Schriftführer Franz Kehl. Er hin-terläßt einen Sohn und eine Tochtersowie seine hingebungsvolle Lebensge-fährtin.Franz, den wir schwäbisch sprechendkennen, wurde in Koblenz am Rhein ge-boren – der Stadt am „Deutschen Eck“beim Zusammenfluß von Rhein undMosel, wo gegenüber auf hohem Felsendie Veste „Ehrenbreitstein“ emporragt.Oft spiegelt deren Weichbild in denWassern dieser beiden Flüsse.Diese Eindrücke mögen es wohl gewe-sen sein, die seine Empfindungen im Le-ben zu einem Bewußtsen geformt ha-ben, welches sich zu dem einen schlich-ten Satz verdichten läßt: „Deutsch sein

war sein Lebensinhalt.“ Ein Grundton,der aber auch sein (wie bei uns allen)Menschliches und Allzumenschlichesüberstimmte!Die schmalen Lebensverhältnisse nachEnde des großen Krieges ließen die el-terliche Familie in die Heimat seinerMutter ziehen. Zuerst nach Ottobeurenund schließlich nach Konstanz. Dortwar es auch, daß sich seine Umgangs-sprache vom Rheinischen zum Schwäbi-schen wandelte.Konstanz war und ist ein Tor zurSchweiz. So hatte der inzwischen heran-gewachsene Franz das damalige Glück,einen Arbeitsplatz in einem schweizerChemiewerk zu erhalten. Doch „Glückund Glas …?“ Bei ihm wurden zum Glasdie Laugen und die Säuren dieses Che-miewerkes. Er erlitt bei einem Arbeits-

unfall eine empfindliche Augenverlet-zung. Es war ein herber Einschnitt indas Leben eines jungen Mannes, dochFranz ließ sich nicht niederdrücken. Erhatte den Mut zu einem weitgehendenBerufswechsel, er betrat den zweitenBildungsweg und wurde Lehrer. DieAnstellung in diesem Beruf brachte ihnauf Schulen im nördlichsten Baden.Dort an der Bergstraße, wo Baden undHessen aufeinandertreffen, suchte undfand er schließlich auch seine Heimat imvolks- und heimattreuen Kreis. EineHeimkehr, die ihn als Krönung dannauch in unsere Glaubensgemeinschaftführte.Franz wurde ein mitarbeitender Ge-fährte, sowohl in den heimatlichen Ge-fährtschaften von Hessen und der Kur-pfalz, als auch in der Gesamtgemein-schaft. Seiner Schriftführung wurde zuBeginn schon gedacht.Unvergessen allen aber bleibt uns Franzals Rupprecht unserer Julfeiern!

R. G.

Abxied von Franz KehlÅ 6.4.3732 ̌ 4.4.3805

umbruch_3/05 05.07.2005 23:15 Uhr Seite 73