Online Handel Kannibalisierung oder...

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Science Factory 3/2004 absatzwirtschaft 1 Vertrieb Die Frage, ob ein Internet-Vertriebska- nal neue, "eigene" Umsätze generiert oder ob vorhandene Kanäle kannibali- siert werden, wird in vielen Unterneh- men diskutiert. In zwei Situationen ist diese Frage von besonderer Relevanz: Steht ein Unternehmen vor der Ent- scheidung, ob es das Internet als Ver- triebskanal nutzen soll oder nicht, so bedarf es zur Errechnung des Kapi- talwerts einer genauen Kenntnis der erzielbaren Mehrumsätze. "Multi-Channel-Unternehmen", die bereits mehrere Vertriebskanäle ein- schließlich des Internets einsetzen, benötigen entsprechende Daten, um ihr Vertriebssystem auf rationale Art und Weise organisieren, kontrollie- ren und steuern zu können. Erste Untersuchungen zu dem Thema kommen zum Ergebnis, dass die Kan- nibalisierungsbefürchtungen zumeist übertrieben sind. 1 Schramm-Klein stellt auf der Basis empirischer Daten fest, dass bei entsprechender Ausge- staltung der absatzpolitischen Instru- mente viel eher zu erwarten ist, dass sich die Kanäle gegenseitig fördern. 2 Um den Wert des Internets als Ver- triebskanal in einem Multi-Channel- System zu bestimmen, sind häufig je- doch darüber hinausgehende, quantita- tive Aussagen erforderlich. Dement- sprechend wurde mithilfe einer Kon- sumentenbefragung versucht, den Kannibalisierungsanteil beziehungs- weise die Kannibalisierungswahr- scheinlichkeit quantitativ zu erfassen. Erhebungsmerkmale Aus den möglichen Erhebungsmetho- den, die zur empirischen Untersuchung von Multi-Channel-Effekten in Frage kommen, wurde die Online-Befragung anderen Optionen vorgezogen. Die On- line-Befragung stellt eine besonders kostengünstige Möglichkeit der stan- dardisierten Erhebung dar. Als metho- dische Mängel werden allerdings häu- fig mangelnde Repräsentativität und unvollständige Abdeckung der Ziel- gruppe (potenzielle Coverage-Proble- matik) genannt. 3 Da die Grundgesamt- heit hier die Online-Shopper darstellen, liegt die Coverage-Problematik nicht vor, denn diese Zielgruppe kann voll- ständig mit einer Online-Befragung er- reicht werden. 4 Die offene und anonyme Online-Befra- gung war von April bis Mai 2004 ver- fügbar. Als Anreiz für die Teilnahme wurden Einkaufsgutscheine unter den Teilnehmern verlost. Insgesamt ver- zeichnete der Fragebogen 2.246 Zug- riffe, 1.330 Teilnehmer begannen die eigentliche Befragung. Nach einer ab- schließenden Kontrolle konnten insge- samt 932 Fragebögen in die Auswer- tung einbezogen werden. Eliminiert wurden dabei Fragebögen, die Online Handel Kannibalisierung oder Mehrumsatz? • E-Commerce • Business-to-Consumer • Multichannel Management • Kannibalisierung/Verdrängung • Ressourcenvergleich Viele Unternehmen sehen im Internet einen Absatzkanal um zusätzliche Umsätze zu generieren? Doch handelt es sich bei den online generierten Umsätzen um echten Mehrumsatz oder geht er eventuell nur zu Lasten des existierenden Geschäfts? FACHINFO Sebastian van Baal ist wissenschaftli- cher Mitarbeiter am Institut für Han- delsforschung (IfH) an der Universität zu Köln. Seine For- schungsschwer- punkte liegen in den Bereichen E- Commerce, Paid Content, Multi- Channel-Management und Internet- Zahlungssysteme. Dr. Kai Hudetz ist stellvertretender Geschäftsführer des IfH. Seine For- schungsschwer- punkte liegen in den Bereichen E- Commerce, Kundenbindung, Nutzung elektroni- scher Marktplätze und Innovationen. Kontakt: [email protected] www.ifhkoeln.de

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Science Factory 3/2004absatzwirtschaft 1

Vertrieb

Die Frage, ob ein Internet-Vertriebska-nal neue, "eigene" Umsätze generiertoder ob vorhandene Kanäle kannibali-siert werden, wird in vielen Unterneh-men diskutiert. In zwei Situationen istdiese Frage von besonderer Relevanz:

• Steht ein Unternehmen vor der Ent-scheidung, ob es das Internet als Ver-triebskanal nutzen soll oder nicht, sobedarf es zur Errechnung des Kapi-talwerts einer genauen Kenntnis dererzielbaren Mehrumsätze.

• "Multi-Channel-Unternehmen", diebereits mehrere Vertriebskanäle ein-schließlich des Internets einsetzen,benötigen entsprechende Daten, umihr Vertriebssystem auf rationale Artund Weise organisieren, kontrollie-ren und steuern zu können.

Erste Untersuchungen zu dem Themakommen zum Ergebnis, dass die Kan-nibalisierungsbefürchtungen zumeistübertrieben sind.1 Schramm-Kleinstellt auf der Basis empirischer Datenfest, dass bei entsprechender Ausge-staltung der absatzpolitischen Instru-mente viel eher zu erwarten ist, dasssich die Kanäle gegenseitig fördern.2

Um den Wert des Internets als Ver-triebskanal in einem Multi-Channel-System zu bestimmen, sind häufig je-doch darüber hinausgehende, quantita-tive Aussagen erforderlich. Dement-sprechend wurde mithilfe einer Kon-

sumentenbefragung versucht, denKannibalisierungsanteil beziehungs-weise die Kannibalisierungswahr-scheinlichkeit quantitativ zu erfassen.

ErhebungsmerkmaleAus den möglichen Erhebungsmetho-den, die zur empirischen Untersuchungvon Multi-Channel-Effekten in Fragekommen, wurde die Online-Befragunganderen Optionen vorgezogen. Die On-line-Befragung stellt eine besonderskostengünstige Möglichkeit der stan-dardisierten Erhebung dar. Als metho-dische Mängel werden allerdings häu-fig mangelnde Repräsentativität undunvollständige Abdeckung der Ziel-gruppe (potenzielle Coverage-Proble-matik) genannt.3 Da die Grundgesamt-heit hier die Online-Shopper darstellen,liegt die Coverage-Problematik nichtvor, denn diese Zielgruppe kann voll-ständig mit einer Online-Befragung er-reicht werden.4Die offene und anonyme Online-Befra-gung war von April bis Mai 2004 ver-fügbar. Als Anreiz für die Teilnahmewurden Einkaufsgutscheine unter denTeilnehmern verlost. Insgesamt ver-zeichnete der Fragebogen 2.246 Zug-riffe, 1.330 Teilnehmer begannen dieeigentliche Befragung. Nach einer ab-schließenden Kontrolle konnten insge-samt 932 Fragebögen in die Auswer-tung einbezogen werden. Eliminiertwurden dabei Fragebögen, die

Online HandelKannibalisierung oder

Mehrumsatz?

• E-Commerce• Business-to-Consumer• Multichannel Management• Kannibalisierung/Verdrängung• Ressourcenvergleich

Viele Unternehmen sehen im Internet einen Absatzkanal um zusätzlicheUmsätze zu generieren? Doch handelt es sich bei den online generiertenUmsätzen um echten Mehrumsatz oder geht er eventuell nur zu Lastendes existierenden Geschäfts?

FACHINFO

Sebastian van Baalist wissenschaftli-cher Mitarbeiter amInstitut für Han-delsforschung (IfH)an der Universitätzu Köln. Seine For-schungsschwer-

punkte liegen in den Bereichen E-Commerce, Paid Content, Multi-Channel-Management und Internet-Zahlungssysteme.

Dr. Kai Hudetz ist stellvertretenderGeschäftsführer desIfH. Seine For-schungsschwer-punkte liegen inden Bereichen E-C o m m e r c e ,

Kundenbindung, Nutzung elektroni-scher Marktplätze und Innovationen.

Kontakt: [email protected]

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• nicht abgeschlossen wurden, • nicht von Online-Shoppern stammten

oder • Käufe bei EBAY, von digitalen Gü-

tern, Tickets oder Lebensmitteln be-trafen.

Die Stichprobengröße spricht für eingutes Abbild der Online-Shopper inDeutschland.5 Da die gewählte Vorge-hensweise der Teilnehmeranspracheauf der Selbstselektion der Probandenbasiert, kann die Repräsentativität derErgebnisse jedoch nicht garantiertwerden.

Grundlegende ErgebnisseDen Teilnehmern der Umfrage wurdein Bezug auf ihren letzten Online-Kaufdie Frage gestellt, ob sie den Kauf in ei-nem stationären Geschäft desselbenHandelsunternehmens getätigt hätten,wenn dieses keine Online-Bestell-möglichkeit anbieten würde. In einigenFällen werden Verbraucher eine solcheKonditionalfrage nicht beantwortenkönnen, zumeist dürfte die Antwort je-doch relativ leicht fallen, denn vieleVerbraucher sind sich vermutlich be-wusst, welche Einkaufsstätten sie vor-nehmlich aufsuchen bzw. auf welcheBezugsmöglichkeit sie ausgewichenwären.6 In Abbildung 1 sind die ent-sprechenden Ergebnisse dargestellt.Die Ergebnisse lassen die folgendenAussagen zu:

• Drei Prozent der Teilnehmer sindsich sicher, dass sie das Produkt beidem gleichen Händler stationär er-worben hätten, wenn sie es nicht beidiesem Händler im Internet kaufenkönnten. Für diese drei Prozent derOnline-Transaktionen ist also von ei-ner sehr hohen "Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit" auszugehen.

• Etwas mehr als neun Prozent derTeilnehmer sind sich sicher, dass siedas Produkt nicht bei dem gleichenHändler gekauft hätten. Für dieseTransaktionen kann von einer sehrgeringen Kannibalisierungswahr-scheinlichkeit ausgegangen werden.

• Weitere 13,4 Prozent der Teilnehmersind sich bezüglich der Kannibalisie-rung nicht sicher; für diese Transak-tionen sind die Kannibalisierungs-

wahrscheinl ich-keiten entsprechendabzustufen.

Aus Abbildung 1wird ersichtlich, dassdie Frage nach derKannibalisierung nurdenjenigen 25,6 Pro-zent der Teilnehmergestellt wurde, diewissen, dass das be-treffende Handelsun-ternehmen auch überstationäre Läden ver-fügt. Bei denjenigenVerbrauchern, die aufdiese erste Frage mit"Nein" antworten, istkeine Kannibalisie-rung der Vertriebska-näle möglich (wennman unterstellt, dassdie Umfrageteilnehmer die Frage kor-rekt beantwortet haben). Schwierigerstellt sich der Fall bei denjenigen Teil-nehmern dar, die nicht wissen, ob derbetreffende (Online-)Händler auch ei-nen stationären Laden unterhält: Beidiesen Händlern besteht zwar die Mög-lichkeit, dass sich Vertriebskanäle kan-nibalisieren (denn es könnten beideexistieren), die Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit ist jedoch extremgering, da den befragten Verbraucherndie Existenz des zweiten Vertriebska-nals nicht bekannt ist. "Prinzipiell"müssten die Kannibalisierungswahr-scheinlichkeiten, die sich aus den Ant-worten der zweiten Frage ergeben, da-her für die "Weiß nicht"-Antworten beider ersten Frage nach unten korrigiertwerden. Bei der Interpretation der Da-ten ist daher Folgendes zu bedenken:

• Bei großen und bekannten Handels-

unternehmen wie beispielsweiseKarstadt, Kaufhof und Douglas istdavon auszugehen, dass der Anteilder Online-Shopper, die nicht wis-sen, ob auch stationäre Läden exi-stieren, zu vernachlässigen. Auf sol-che "echten Multi-Channel-Unter-nehmen" können die oben angegebe-nen Kannibalisierungswahrschein-lichkeiten unmittelbar übertragenwerden.

• Bei kleineren oder unbekannterenHandelsunternehmen oder bei einerstarken kommunikationspolitischenAbgrenzung der Vertriebskanälevoneinander hingegen ist es wahr-scheinlicher als im ersten Fall, dassKunden nichts von der Existenz desstationären Vertriebskanals wissen.Für solche Unternehmen sind dieKannibalisierungswahrscheinlichkeiten daher eher nach unten zu korri-gieren.

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Abbildung 1: Aussagen zur Kannibalisierung(letzter Kauf im Internet)

• Der Erhebung zufolge stellt durchschnittlich knapp ein Drittel des Inter-netumsatzes eine Kannibalisierung des stationären Geschäfts dar. ZweiDrittel sind demzufolge zusätzlicher Umsatz.

• Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten dürfte es ökonomisch nicht ra-tional sein, auf einen derartig hohen Mehrwert zu verzichten – vorausge-setzt, die Kosten einer Internetpräsenz übersteigen den Wert von 33Prozent der (erwarteten) Online-Transaktionen nicht.

Essentials

3,0%

5,1%

2,5%

5,8%

9,2%

15,0%

25,6%

59,3%

1. Hat der Händler, bei dem Sie das Produkt gekauft haben,

auch ein Ladengeschäft?

2. Wenn dieser Händler keine Online-

Bestellmöglichkeit anbieten würde, hätten Sie das Produkt dann in einem

seiner Geschäfte gekauft?

Ja

Wahr-scheinlichWeiß nicht

Wahrschein-lich nicht

Nein

Weiß nicht

Nein Ja

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Auf der Basis der Ergebnisse aus Abbil-dung 1 lässt sich der Kannibalisierungs-anteil des Online-Umsatzes bestimmen.Dazu werden die Antworten zunächstumgerechnet, indem die zweite Fragenicht für alle Umfrageteilnehmer ausge-wertet wird, sondern lediglich für dieFälle, in denen es sich um einen "echtenMulti-Channel-Händler" im oben ge-nannten Sinne handelt (vgl. Abbildung2).Weiterhin müssen die Antwortmöglich-keiten der zweiten Frage in "Kannibali-sierungswahrscheinlichkeiten" über-setzt werden (vgl. Tabelle 1). Bei derÜbersetzung wird davon ausgegangen,dass die Antwortmöglichkeiten äquidi-stant sind.Mithilfe dieser Kannibalisierungswahr-scheinlichkeiten lässt sich angeben, wieviele Online-Transaktionen vermutlichstationär realisiert worden wären, wennder betreffende Multi-Channel-Händlerkeinen Internet-Vertriebskanal betreibenwürde. Dazu wird für jede Antwort-möglichkeit die Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit mit dem Anteil derAntworten multipliziert (zum Beispielfür die Antwortmöglichkeit "Ja": 100Prozent * 11,7 Prozent) und an-

schließend die Summefür alle Antwortmög-lichkeiten gebildet.7Daraus ergibt sich ein"Kannibalisierungs-grad" von 37,25 Pro-zent. Über ein Drittelder Online-Transak-tionen bei Multi-Channel-Händlernwäre somit vermutlichstationär realisiertworden. Dementspre-chend stellen (die rest-lichen) 62,75 Prozentder Transaktionen "ei-genen" Umsatz desInternet-Vertriebska-nals dar.Die Berechnung destatsächlichen Wert-beitrags des Internet-kanals bedingt jedochnoch einen weiterenSchritt, denn ausUnternehmenssicht istletztlich nicht die An-

zahl der Transaktionen, sondern der da-mit verbundene Umsatz maßgeblich.Die Kenntnis des Umsatzes lässt beiEinbeziehung der Kosten, die sich zwi-schen den Vertriebskanälen und zwi-schen Unternehmen meist unterschei-den, auch eine Gewinnbetrachtung zu.Zur demzufolge notwendigen Umrech-nung des obigen "transaktionsbezoge-nen Kannibalisierungsgrads" in einen"umsatzbezogenen Kannibalisierungs-grad" werden die jeweils mit einerTransaktion verbundenen Produktprei-se einbezogen. In der hier zugrunde lie-genden Umfrage wurde der Preis übereine Auswahl aus sieben Preisspannenerfragt.8 Tabelle 2 zeigt diese Preis-spannen sowie den jeweils angenom-menen Durchschnittspreis, der für dieBerechnung verwendet wird.Mit diesen Daten lässt sich der umsatz-bezogene Kannibalisierungsgrad aus-rechnen, indem der mit Kannibalisie-rungswahrscheinlichkeiten bewerteteUmsatz in Bezug zum Gesamtumsatz(bei den "echten Multi-Channel-Händ-lern") gesetzt wird.9Diese Berechnung ergibt einen umsatz-bezogenen Kannibalisierungsgrad von32,9 Prozent. Etwas weniger als ein

Drittel des Online-Umsatzes bei Multi-Channel-Händlern wäre also vermut-lich stationär realisiert worden, wäh-rend etwa zwei Drittel Online-Mehr-umsatz darstellen.Ergebnisse nach ProduktgruppenBei einem sehr breiten Sortiment einesMulti-Channel-Unternehmens könnendie genannten Grade als übertragbareDurchschnittswerte angesehen werden.Dies gilt ebenso für den Einzelhandelinsgesamt. Die produktübergreifendenAussagen sind jedoch nicht auf einzelneBranchen zu übertragen. Gerade im Be-zug auf den relativ neuen VertriebskanalInternet ist es erforderlich, produktspe-zifische Untersuchungen durchzufüh-ren, um die entsprechenden Daten ohneVorbehalte für unternehmerische Ent-scheidungen nutzen zu können. In Ab-bildung 3 ist die Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit für neun Produkt-gruppen dargestellt. Hinsichtlich der Kannibalisierung über-rascht insbesondere die Produktgruppe"Uhren/Schmuck", bei der der betref-fende Grad nahe bei 60 Prozent liegt,sowie "Drogerie-/ Kosmetikartikel", beider der Grad knapp unter 50 Prozentliegt. Als Ad-hoc-Erklärung hierfürliegt die Vermutung nahe, dass vieleVerbraucher insbesondere bei diesenProdukten einen bestimmten Händlerbevorzugen - und daher sowohl onlineals auch stationär primär bei diesem

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Abbildung 2: Aussagen zur Kannibalisie-rung (letzter Kauf im Internet), umgerech-net für Multi-Channel-Unternehmen

11,7%20,1%

9,6%

36,0%22,6%

15,0%

25,6%

59,3%

2. Wenn dieser Händler keine Online-

Bestellmöglichkeit anbieten würde, hätten Sie das Produkt dann in einem

seiner Geschäfte gekauft?

1. Hat der Händler, bei dem Sie das Produkt gekauft haben,

auch ein Ladengeschäft?

Ja

Wahr-scheinlich

Wahr-schein-lich nicht Nein

Weiß nichtNein Ja

Antwortmöglichkeit Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit

Ja 100 %

Wahrscheinlich 75 %

Weiß nicht 50 % Wahrscheinlich nicht 25 %

Nein 0 %

Preisspanne angenommener Durch-schnittspreis

Bis € 29,99 € 15,-

€ 30,00 bis € 59,99 € 45,-

€ 60,00 bis € 89,99 € 75,-

€ 90,00 bis € 119,99 € 105,-

€ 120,00 bis € 149,99 € 135,- € 150,00 bis € 179,99 € 165,-

€ 180,00 und mehr € 200,-

Tabelle 2: Preisspannen

Tabelle 1: Lineare Umrechnungder Antwortmöglichkeiten inKannibalisierungswahrschein-lichkeiten

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Händler einkaufen. Demzufolge wer-den über den Internet-Vertriebskanalnicht so viele neue Kunden (bzw.Transaktionen) gewonnen wie dies beianderen Produktgruppen der Fall ist.Der Umkehrschuss ist allerdings nichtzu vernachlässigen: Selbst bei derProduktgruppe "Uhren/Schmuck", beider die Kannibalisierungswahrschein-lichkeit knapp 60 Prozent beträgt, stel-len 40 Prozent der Internetkäufe einenoriginären Mehrwert für die Anbieterdar. Den Ergebnissen in Abbildung 3 zufol-ge können sich insbesondere die An-bieter von "Consumer Electronics"über eine geringe Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit freuen. Bei dieser

Produktgruppe stellen über 80 Prozentder Online-Käufe einen echten Mehr-wert des Internet-Vertriebskanals dar.

Ergebnisse nach ProduktpreisenEs ist naheliegend, nicht nur die Art desgekauften Produkts, sondern auch dengezahlten Preis11 als erklärende Variab-le heranzuziehen, um die Übertragbar-keit der Ergebnisse auf spezifische Ent-scheidungssituationen zu erleichternund um einen genaueren Einblick indie Einflussfaktoren des Multi-Chan-nel-Verhaltens der Verbraucher zu er-halten. In Abbildung 4 ist die Kanniba-lisierungswahrscheinlichkeit für diebetrachteten Preisspannen dargestellt.Zwischen dem Preis eines Produkts

und der Kannibalisierungswahrschein-lichkeit besteht kein starker linearerZusammenhang – die Korrelation be-trägt -0,469 und ist nicht signifikant.13

Wie die Trendlinie in Abbildung 4zeigt, nimmt die Kannibalisierungs-wahrscheinlichkeit jedoch zumindesttendenziell ab, wenn der Produktpreissteigt. Aufgrund des schwachen Zu-sammenhangs lassen sich auf dieserBasis keine dezidierten Empfehlungenaussprechen. Die Beobachtung, dassdie Kannibalisierungswahrscheinlich-keit für Produkte zwischen € 30,- und €89,- am höchsten ist, ist jedoch auffäl-lig. Unternehmen, deren Sortiment zueinem großen Teil aus solchen Produk-ten besteht, müssen mit einer erhöhtenKannibalisierungswahrscheinlichkeitrechnen.

LiteraturDeleersnyder, Barbara/Geyskens,Inge/Gielens, Katrijn/Dekimpe, Mar-nik G.: How cannibalistic is theInternet channel? A study of the new-spaper industry in the United Kingdomand the Netherlands, in: InternationalJournal of Research in Marketing, 19.Jg. (2002), H. 4, S. 337-348.Müller-Hagedorn, Lothar: Die Er-klärung von Käuferverhalten mit Hilfedes Lebenszykluskonzeptes, in: WiSt -Wirtschaftswissenschaftliches Stu-dium, 13. Jg. (1984) H. 11, S. 561-598.Müller-Hagedorn, Lothar: Das Kon-sumentenverhalten: Grundlagen für dieMarktforschung, Wiesbaden 1986.NFO Infratest/Enigma GfK: OnlineShopping Survey, München 2004.Schramm-Klein, Hanna: Multi-Channel-Retailing - Verhaltenswissen-schaftliche Analyse der Wirkung vonMehrkanalsystemen im Handel (Diss.Universität des Saarlandes 2002),Wiesbaden 2003.Schramm-Klein, Hanna: Was Multi-Channel-Retailing bringt - Die Angstvor Kannibalisierung der Kanäle ist un-begründet, in: Textilwirtschaft, 58. Jg.(2003) H. 7, S. 72-73.Wirtz, Bernd W.: Kompakt-LexikoneBusiness, Wiesbaden 2002.

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Abildung 3: Kannibalisierungswahrscheinlichkeit nach Produktgruppe10

59,0%

48,0%

44,5%

44,0%

39,3%

26,8%

25,0%

17,8%

37,3%

27,5%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%

Uhren/Schmuck

Drogerie-/Kosmetikartikel

Haushaltsartikel

Bücher

Bekleidung

Sportartikel (ohne Schuhe und Bekleidung)

PC-Zubehör/Hardware

CDs/Tonträger

Consumer Electronics

Gesamt über alle Produktgruppen

46,3%

44,0%

21,8%

27,8%

27,0%

36,3%

39,3%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80%

Bis € 30,-

€ 30,- bis € 59,-

€ 60,- bis € 89,-

€ 90,- bis € 119,-

€ 120,- bis € 149,-

€ 150,- bis € 179,-

Über € 179,-

Abbildung 4: Kannibalisierungswahrscheinlichkeit nachProduktpreis12

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Anmerkungen1) Vgl. zur Zeitungsindustrie: Deleersnyder, B./Geyskens, I./Gielens, K./Dekimpe, M. G. 2002 sowie zum Handel:

Schramm-Klein, H. 2003a, S. 336.2) Vgl. Schramm-Klein, H. 2003b.3) Vgl. Wirtz, B. W. 2002, S. 190f.4) Als Online-Shopper wurden hier diejenigen Konsumenten definiert, die bereits wenigstens einmal ein physisches Produkt

im Internet bestellt haben. Dabei wurden Käufe bei eBay, Lebensmittelkäufe und Käufe von digitalen Gütern oderRechten (Tickets, Reisen) nicht mit einbezogen.

5) Laut NFO Infratest/Enigma GfK 2004 gibt es in Deutschland circa 23,3 Mio. Online-Shopper.6) Dies gilt zumindest, wenn man annimmt, dass die Kundenbindungsmaßnahmen der Handelsunternehmen eine gewisse

Wirkung entfalten oder dass Kunden, wie in Modellen zur Standortbewertung unterstellt, bestimmte Einkaufsorte bevor-zugt aufsuchen. Darüber hinaus präferieren bestimmte Verbraucher bestimmte Einkaufsstätten(typen), was ihnen ver-mutlich wenigstens in gewissem Maße bewusst ist. Vgl. Müller-Hagedorn, L. 1984, S. 565.

8) Die Vorgabe von Preisspannen bringt im Vergleich zu einer unmittelbaren Abfrage des Preises zwei Vorteile mit sich:Erstens wird die Non-Response-Problematik vermutlich abgeschwächt, zweitens werden Auswertungsprobleme auf-grund fragwürdiger und vermutlich fehlerhafter Antworten, die sich bei Preisangaben häufig ergeben, reduziert. DiesenVorteilen steht der Nachteil gegenüber, dass die Erfassung über Preisspannen weniger exakt ist.

10) Als abhängige Variablen werden die "transaktionsbezogenen" Grade angegeben, nicht die "umsatzbezogenen". DerUnterschied zwischen den Gruppen ist, einer einfaktoriellen Varianzanalyse zufolge, auf dem 95%-Niveau signifikant.

11) In der zugrunde liegenden Befragung wurde hierbei der Preis ohne Versandkosten erfasst.12) Der Unterschied zwischen den Gruppen ist, einer einfaktoriellen Varianzanalyse zufolge, auf dem 90%-Niveau signifi-

kant. 13) Anhand der Korrelation lässt sich zwar die Aussage ableiten, dass kein (starker) linearer Zusammenhang vorliegt, es kann

jedoch ein anderer funktionaler Zusammenhang bestehen. Daher ist aus einer geringen Korrelation oder einem nicht sig-nifikanten Regressionskoeffizienten nicht unbedingt zu folgern, dass zwischen den Variablen überhaupt keine Beziehungbesteht. Dieser häufig gezogene Schluss ist vermutlich mit dafür verantwortlich, dass viele Untersuchungen zumKonsumentenverhalten als unbefriedigend empfunden werden. Vgl. Müller-Hagedorn, L. 1986, S. 168. Im vorliegendenFall könnte eine zweigipflige Funktion den Zusammenhang vermutlich recht gut beschreiben.

( )∑

∑ ×

ttspreisDurchschni

ttspreisDurchschnihkeitrscheinlicierungswahKannibalis9)

∑ × Antworten)derAnteilrsch.ierungswahKannibalis(7)