Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Nirvana - Die letzte Hürde auf dem Weg (1984, 351 S., Text)

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Nirvana, die letzte Hürde auf dem Weg von

Bhagwan Shree Rajneesh

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Nirvana, die letzte Hürde

auf dem Weg

Bhagwan Shree

Rajneesh

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Herausgeber: Rajneesh Foundation Europe, Zürich Erste Auflage Februar 1985

Originaltitel: Nirvana the last Nightmare Erstauflage 1976, Rajneesh Foundation International

Copyright: Englische Ausgabe ©1976 Rajneesh Foundation International, Rajneeshpuram, Oregon 97741, USA Deutsche Ausgabe © 1984 Rajneesh Foundation Europe

Fotocopyright: ©1984 Rajneesh Foundation International

Übersetzung: Mahasattva Swami Prem Nirvano M.M., D.M.(RIMU), Arihanta ©1985 Rajneesh Foundation International

Fotosatz und Rajneesh Times Verlagsgesellschaft mbH, Köln

Grafik: Kota Raj neesh Neo-Sannyas Commune, Cooperative, Zürich

Druck: Eisnerdruck GmbH, Berlin Verlag: Rajneesh Services GmbH,

Venloer Str. 5-7,5000 Köln 1 Dieses ist die einzige von der Rajneesh Foundation Inter- national autorisierte Übersetzung ins Deutsche. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur bei schriftlicher Genehmigung der Herausgeber. ISBN: 3-9800883-3-2 und Rajneesh sind eingetragene Handelsmarken.

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Inhalt

Vom Zen gemeistert 9

Der letzte Alptraum 43

Spieler in einem Spiel 73

Der trunkene Tänzer 103

Den Buddha töten 137

Etwas riskieren 165

Finger, die zum Mond zeigen 197

Muscheln sammeln 229

Mit großer Würde - tot 259

Im Nirvana leben 291

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Wir sitzen. Ruhend. Wartend. Voll Freude.

Das Licht wird gedämpft. Wir richten uns auf, ganz da.

Ein erster Blick...

Eine Frage. Er verschwindet

nach innen. Ein Blick, eine Bemerkung, und die Richtung wird klar.

Der Abend überströmt uns sanft.

Die Energie umspielt Worte, Gedanken, Geschichten,

Witze und Fragen, alles verwoben in eine gewaltige Symphonie,

in ein allumfassendes Gefäß. Lächerlich, erhaben, profan, sakral...

Und immer in Kontakt mit unserer Wachheit

im Augenblick, uns direkt ins Zentrum

führend.

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Themen entfalten sich voller Überraschungen,

spiegeln sich klar in einem Gegensatz wider und verwandeln sich dann zurück.

Jede Seiner Gesten durchdringt uns.

Jede Miene - eine Pause, ein Abgrund...

Unsere Herzen werden gestohlen.

Er spricht bis wir Ihn nicht mehr sprechen hören

im sich steigernden Crescendo der Stille.

Die Brandung überspült alles. Er verschwindet.

Wir lachen. Wir singen.

Buddham Sharanam Gachchhami Sangham Sharanam Gachchhami

Dhammam Sharanam Gachchhami

Mahasattva Swami Chaitanya Kabir M.M.(RIMU), Arihanta

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Kapitel 1

Vom Zen gemeistert 11. Februar 1976

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Date-Jitoku, ein begabter Waka-Dichter, wollte Zen meistern.

Mit diesem Vorsatz meldete er sich bei Ekkei, dem Abt von Shokokuji in Kyoto.

Jitoku kam voller Hoffnungen zu dem Meister, aber kaum hatte er den Raum betreten,

traf ihn schon ein mächtiger Schlag.

Er war erstaunt, konnte aber nichts tun: Niemand hatte es je zuvor gewagt, ihn zu schlagen,

aber da es eine strenge Zen-Regel ist, niemals etwas zu tun oder zu sagen,

ohne vom Meister dazu aufgefordert zu sein, zog er sich wortlos zurück.

Er ging schnurstracks zu Dokuon, der Ekkei als Abt ablösen sollte,

und erzählte ihm, daß er vorhätte, Ekkei zum Duell zu fordern.

„Siehst du denn nicht, daß dir der Meister

eine Freundlichkeit erweisen wollte?" sagte Dokuon. „Versuche es einmal ernsthaft mit Zazen,

und du wirst selbst erkennen, was es zu bedeuten hat, wenn er dich so behandelt."

Drei Tage und drei Nächte lang strengte sich Jitoku verzweifelt an zu kontemplieren. Dann erfuhr er plötzlich ein ekstatisches Erwachen.

Dies Satori wurde von Ekkei bestätigt.

Jitoku ging noch einmal zu Dokuon und dankte ihm für seinen Rat mit den Worten: „Nur deiner Weisheit habe ich es zu verdanken,

daß ich eine solche Umwandlung erfahren konnte. Und was den Meister betrifft

- sein Schlag war noch lange nicht hart genug."

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Es gibt tausendundein Gift, aber keins wirkt so wie der Idealismus - er ist das giftigste aller Gifte. Natürlich das allerfeinste. Der Idealismus tötet dich, aber er tötet dich auf eine solche Weise, daß du es niemals bemerkst. Er tötet dich mit Stil. Die Methoden des Idealismus sind sehr gerissen, selten wird sich ein Mensch bewußt, daß er schon seit langem durch ihn Selbstmord begeht. Aber sobald du es bemerkst, wirst du religiös.

Religion ist keine Ideologie. Religion glaubt an keine Ideale. Religion bedeutet, daß du dir bewußt wirst, wie unmöglich der Idealismus ist - jede Form von Idealismus. Religion heißt, hier und jetzt zu leben, und der Idealismus hämmert deinem Verstand ständig ein, irgendwo anders zu leben. Dabei existiert wirklich nur das Jetzt. Man kann gar nicht anders leben als jetzt.

Man kann nur hier sein. Man kann nicht dort sein. Das Morgen existiert nicht. Es kommt nie, und der Idealismus glaubt an das Morgen. Er opfert das Heute auf dem Altar des Morgen. Er flüstert dir ständig ins Ohr: „Tu was! Verbessere dich! Tu was! Verändere dich! Tu was! Werde vollkommen!" Das hört das Ego gern.

Der Idealismus gehört zur Welt des Ego. Es spricht das Ego an, daß du noch perfekter werden kannst, als du schon bist. Ja, du solltest sogar noch perfekter wer- den, als du schon bist. Aber jeder Augenblick ist schon vollkommen und kann nicht vollkommener sein, als er ist.

Dies zu verstehen ist der Beginn eines neuen Lebens, ist der Beginn des Lebens. Es nicht zu verste- hen, bedeutet Selbstmord. Dann zerstörst du immerzu diesen Augenblick für den Augenblick, der nie kommt. Dann zerstörst du immerzu dieses Leben für irgendein Leben, das es nirgendwo gibt. Du zerstörst immerzu diese Welt für irgendeine andere Welt - irgendein Paradies, irgendein moksha, irgendein Nirvana.

Die Gegenwart für die Zukunft zu opfern, heißt, dem Tod in die Falle zu gehen. Den Augenblick zu

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leben, ihn total und frei zu leben, heißt, sich an der Exi- stenz zu erfreuen, heißt, sie zu feiern.

Und das ist die einzige Möglichkeit, dazusein. Es gibt keine andere Möglichkeit. Der Idealismus hat euch auf die falsche Spur gesetzt.

Versteht als allererstes: Ihr seid vollkommen. Wenn jemand zu dir sagt, daß du vollkommen werden mußt, ist er dein Feind - hüte dich vor ihm. Fliehe vor ihm, so schnell wie möglich. Laß ihn nicht dein Dasein vergif- ten. Laß ihn dich nicht zerstören. Er mag von anderen zerstört worden sein, jetzt tut er dir das gleiche an. Er selbst mag ein Opfer sein. Hab Mitleid mit ihm, aber laß nicht zu, daß er dich zerstört. Er hat sein Leben nicht gelebt. Er hat nur gehofft. Er hat nicht gelebt. Er hat nur geträumt, er hat nicht gelebt. Er hat immerzu nur vorbereitet, geplant, er hat nicht gelebt.

Der idealistische Geist bereitet sich ständig auf etwas vor, das nie geschieht. Er ist ein Alptraum. Er bereitet sich vor und bereitet sich vor - unendliche Vor- bereitungen auf eine Reise, die nie beginnt. Er plant und plant auf tausendundeine Weise - subtil, klug, gerissen - aber die ganze Sache ist zwecklos, weil er jeden Augenblick das Leben leugnet.

Das Leben klopft jeden Augenblick an deine Tür, und du leugnest es, weil du sagst, daß du dich darauf vorbereitest. Du sagst: „Wie kann ich den Gast im Augenblick schon empfangen? Ich bin nicht fertig!" Nach und nach gewöhnst du dich so ans Vorbereiten, daß Vorbereitung zu deinem Leben wird. Du hast es verfehlt.

Diese Mentalität geht ständig an allem vorbei, und je mehr man das tut, desto mehr plant man verzweifelt, irgendwo hinzugehen, irgendwo anzukommen, irgend etwas zu erreichen, irgend jemand zu sein, und - Unglück über Unglück - es wird nie geschehen.

Das Leben hat dir immer schon offengestanden. Du brauchst dich nicht darauf vorzubereiten. Du bist bereits berechtigt, es zu genießen. Einfach indem du lebendig bist, bist du schon fertig. Weil du atmest, bist du bereits

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fähig. Weil du bewußt sein kannst, bist du bereits fer- tig. Nichts fehlt.

Wenn du den ersten Schritt in die falsche Richtung tust, läuft die ganze Reise falsch. Der erste Schritt begrenzt und bestimmt dein ganzes Leben.

Versuche nie, vollkommen zu sein, sonst wirst du in eine tote Routine verstrickt sein - ständig und immer in Vorbereitung. Du kannst dich selbst beobachten, du kannst andere beobachten. Leute, die süchtig nach Idealismus sind, leben ein Leben des Rituals, der lee- ren Gesten. Sie sind immer in Wartehaltung: irgend etwas Großes wird bald geschehen. Natürlich passiert es nie, weil es auf diese Weise nicht geschehen kann.

Es passiert immer jetzt, in diesem Augenblick, hier, und ihre Augen sind auf irgendein Dort gerichtet, weit entfernt. Es passiert ganz nahebei. Es passiert bereits nahe an deinem Herzen. Wenn dein Herz schlägt, geschieht es bereits. Und sie schauen auf zum Himmel.

Und so führen sie ein Leben der Routine, der toten Routine. Sie bewegen sich wie Leichen - warten und warten und warten. Und jeden Tag wissen sie, daß der Tod näherkommt. Sie werden immer verzweifelter. Ihr ganzes Leben wird sich in mechanische Routine ver- wandeln.

Wenn du wirklich leben willst, mußt du spontan sein. Das Leben ist spontan. Sei offen für diesen Augen- blick. Erlaube diesem Augenblick, dich zu führen. Plane ihn nicht.

Sonst wirst du in leeren Gesten leben, besessen von einer toten Routine, immer in dem Gedanken, daß wenn... wenn du dein Leben bis ins Letzte geplant hast, sich eines schönen Tages das große Ereignis ein- stellen wird.

Glaubst du, das Leben sei ein Ergebnis? Das Leben ist kein Ergebnis, es ist bereits da. Es ist eine Gnade. Nichts braucht getan zu werden, um sie zu erlangen. Was hast du getan, um geboren zu werden? Was hast du getan, um atmen zu können? Was hast du getan, um bewußt sein zu können? Was hast du getan, um dich

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verlieben zu können? Es ist von selbst geschehen. Es ist eine reine Gnade, ein Geschenk.

Ja, ich kann es euch versichern - das Leben ist ein Geschenk. Glaubt nicht, daß es ein Ergebnis sein wird. Sobald ihr denkt, daß es ein Ergebnis sein wird, wird es überhaupt nie existent.

Dann gibt es ein paar Leute, die einfach immer und immer weiter warten; und dann sterben sie. Fast 99 Prozent aller Menschen sterben auf diese Weise. Ihr ganzes Leben ist reine Vergeudung gewesen. Ein Pro- zent der Menschen wird sich manchmal durch Zufall, ganz beiläufig, bewußt, daß sie ihr Leben vergeuden. Dann nimmt ihre ganze Konditionierung, ihre ganze Ausrichtung eine subtile Rache. Von dem Tag, an dem ihnen klar wird, daß sie auf etwas gewartet haben, was sie garnicht erwartet, was garnicht passieren wird, fan- gen sie an zu sagen, daß das Leben sinnlos ist. Erst haben sie auf irgendeinen Sinn gewartet; jetzt, da die- ser Sinn nicht eintritt, sagen sie, das Leben ist sinnlos. Erst warteten sie auf irgendeinen Zweck, jetzt, weil er nicht eintritt, sagen sie, das Leben sei zwecklos.

Ihr könnt Jean-Paul Sartre fragen. Er sagt: „Der Mensch ist eine sinnlose Leidenschaft." Damit sagt er nichts über den Menschen. Damit ist nichts über den Menschen ausgesagt, damit ist nichts über das Leben ausgesagt, damit ist nichts über die Existenz ausgesagt; damit ist lediglich gesagt, daß Sartre am Leben vorbei- gelebt hat. Damit ist lediglich gesagt, daß er auf irgend- ein nutzbringendes Ziel gewartet hat, daß sich im Leben erfüllen soll, und jetzt ist ihm klar geworden, daß es nicht erfüllt werden wird. Er hatte auf irgendei- nen Sinn gewartet. Jetzt, wo er erkennt, daß dieser Sinn nicht eintreten wird, da sagt er: „Das Leben ist sinnlos."

Das Leben ist weder noch. Es ist weder sinnvoll noch sinnlos. Wenn es in Wirklichkeit gar keinen Sinn gibt, wie kann das Leben dann sinnlos sein? Wenn es keinen Zweck gibt, wie kann das Leben zwecklos sein? Damit das Leben zweck los sein kann, muß es einen Zweck

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geben. Damit das Leben sinnlos sein kann, damit auch nur das Wort sinnlos sinnvoll sein kann, muß es einen Sinn geben. Das Leben ist weder noch. Es ist einfach da in seiner reinen Schönheit, ohne Zweck. Schaut auf die Bäume. Schaut auf das Sonnenlicht. Ganz einfach... es ist. Was ist der Zweck, wenn die Sonne jeden Tag am Morgen aufgeht? Was ist der Zweck, wenn Bäume blü- hen? Was ist der Zweck, wenn Vögel singen? Kein Zweck! Ich sage nicht Zwecklosigkeit, ich sage einfach nur, kein Zweck. Es ist.

Laßt eure Suche nach Sinn fallen. Denn entweder wird diese Suche euer ganzes Leben zerstören und euch ins Unglück stürzen oder es wird euch eines Tages, wenn ihr aufwacht, ein anderer Schmerz überwältigen - der Schmerz der Sinnlosigkeit.

Wie Sartre sagt: „Das Leben ist ekelerregend." Er muß sich zuviel versprochen haben. Jetzt zieht

sich die Erfüllung immer weiter zurück, und er spürt ein Grollen im Magen, eine Übelkeit, eine Krankheit, eine Seekrankheit. Er hatte zuviel erwartet. Jetzt keh- ren sich alle Erwartungen in Enttäuschungen um, und das Leben ist ekelerregend geworden.

Das ist es nicht. Das Leben hat nichts mit Ekel zu tun, weil es nichts mit euren Erwartungen zu tun hat. Sobald du aus dieser Falle des Idealismus heraus- kommst, bist du offen für das Leben, und das Leben ist offen für dich.

Irgendwo hat Friedrich Nietzsche gesagt: „Wo kann ich mich zuhause fühlen? Wo?" Er muß nach einem Mutterschoß gesucht haben, nach einem Heim, nach einer Mutter. Er muß ein wenig kindisch gewesen sein. Er muß irgendwo in seinem Wachstum stecken geblie- ben sein. Warum sucht ihr nach einem Zuhause?

Das Leben ist kein Zuhause, aber es ist auch keine Heimatlosigkeit. Es ist. Es ist ganz einfach. Genieße es. Feiere es. Es wird nie eine Heimat für dich sein, aber es ist auch keine Heimatlosigkeit. Nur wenn man nach einem Heim sucht, erweckt das Leben den Eindruck, Heimatlosigkeit zu sein. Gib diese Suche auf.

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Gerade diese Suche wirft dich weitab vom Leben, und du wirst immer wieder den gegenwärtigen Augen- blick verpassen. Du kannst also entweder warten - ein fruchtloses Warten; oder du kannst wütend werden - eine fruchtlose Wut. Wenn du immerzu wartest, wird das Leben von einer Routine beherrscht. Dann wirst du ein Automat.

Ich will euch eine Anekdote erzählen: Herr Schmidt hatte seine Frau umgebracht, und seine gesamte Ver- teidigung beruhte auf dem Argument, er hätte es in einem Anfall von geistiger Umnachtung getan. Er sprach als sein eigener Zeuge und wurde von seinem Anwalt aufgefordert, den Hergang des Verbrechens in seinen eigenen Worten zu schildern.

„Euer Ehren", begann er, „ich bin ein ruhiger und friedlicher Mann mit sehr geregelten Lebensgewohn- heiten, der praktisch keinen anderen Menschen stört. Ich stehe morgens um sieben Uhr auf, frühstücke um halb acht, bin pünktlich um neun Uhr bei der Arbeit, verlasse meinen Arbeitsplatz um fünf Uhr, komme um sechs Uhr nach Hause, finde mein Abendessen auf dem Tisch, esse es, lese, sehe fern und dann ins Bett. Bis auf den bewußten Tag..." Hier hielt er inne und keuchte vor Erregung.

Sein Anwalt sagte sanft: „Sprechen Sie weiter. Was geschah an jenem Tag?"

„An jenem Tag", sagte Schmidt, „wachte ich um sie- ben Uhr auf, frühstückte um halb acht, fing um neun Uhr an zu arbeiten, verließ meinen Arbeitsplatz um fünf und kam um sechs Uhr nach Hause. Es war kein Abendbrot auf dem Tisch und meine Frau war nirgends zu sehen. Ich suchte im ganzen Haus und fand sie schließlich im Schlafzimmer mit einem fremden Mann im Bett. Da habe ich sie umgebracht."

„Was waren Ihre Gefühle, als Sie sie umbrachten?" fragte der Anwalt, damit dieser Punkt auch ja zu Proto- koll kam. „Ich war in Weißglut", sagte der Angeklagte, „ich schäumte vor Wut, ich konnte einfach nicht an mich halten, war außer Kontrolle geraten." Er wandte

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sich den Geschworenen zu und schrie, indem er auf die Lehne des Zeugenstuhls hämmerte: „Meine Damen und Herren, wenn ich um sechs Uhr nach Hause komme, hat das Essen auf dem Tisch zu stehen!"

Das also war der Grund, warum er seine Frau getötet hatte. Nicht etwa, weil sie mit einem Fremden im Bett war. „Das Essen hat genau um sechs Uhr auf dem Tisch zustehen!"

Seid ihr euch bewußt, daß auch ihr mehr oder weni- ger von einer leblosen Routine beherrscht seid? Warum sind Leute so versessen auf eine leblose Rou- tine? Sie sind deshalb so versessen auf eine leblose Routine, weil sie, wenn die Kette ihrer Routine plötz- lich gebrochen würde, darunter ein fruchtloses, ein nutzloses, ein sinnloses Leben sehen würden. Irgend- wie versuchen sie, ihm ein Gefühl von Sinn zu verlei- hen, einen Geschmack von Sinn. Irgendwie versuchen sie zu vergessen, daß sie nutzlos leben, daß sie über- haupt nicht leben.

Sie stellen eine leblose Routine her, und die befol- gen sie. Einfach indem sie sie wie eine Maschine befol- gen, gewinnen sie den Eindruck, daß alles völlig in Ordnung ist. Sie stehen genau zur richtigen Zeit auf, sie gehen ins Büro, sie kommen nach Hause, sie lesen die Zeitung, sie sehen fern, sie machen sich Essen, sie gehen schlafen - alles läuft, wie es laufen sollte. Eine leblose Routine verleiht das Gefühl, daß alles völlig in Ordnung ist. Untendrunter ist alles im Chaos. Sie gehen am Leben vorbei.

Idealismus heißt für mich, für irgendein Ideal zu leben, das in Zukunft erfüllt werden soll.

Die Zukunft gehört nicht zur Zeit; sie gehört nur den Wünschen. Gewöhnlich haltet ihr Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für Unterteilungen der Zeit. Da irrt ihr. Es sind keine Zeitunterteilungen. Die Zeit ist nur Gegenwart, immer Gegenwart, niemals etwas anderes. Die Vergangenheit ist nur im Gedächtnis, nur im Kopf, sie gehört nicht der Zeit an; sie gehört der Vorstellungswelt an, und die Zukunft gehört ebenfalls

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der Vorstellungswelt an - dem Wünschen. Vergangen- heit ist Erinnerung; die Zukunft ist Wünschen. Und zwischen diesen beiden der sehr kleine Moment, der mikroskopisch kleine Moment der Zeit, der die Gegen- wart ist, der immer gegenwärtig ist. Die Zeit kommt immer als Jetzt.

Wenn du das Jetzt verfehlst, begehst du Selbstmord. Mag sein, einen langsamen-genau darum bemerkst du es nicht. Schiebst du das Leben für irgendein Ideal auf, dann wird dein Leben zu einer leblosen Routine, fruchtlos. Du verschwendest lediglich eine große Chance - und das für schöne Worte. Der eine möchte gerne vollkommen werden, der andere möchte gerne ein Weiser werden, wieder ein anderer möchte gerne ein mahatma werden und wieder einer möchte gerne etwas anderes werden.

Sei - und vergiß alles Werden. Das Werden ist der Alptraum. Entspanne dich. Du bist vollkommen. Das Leben ist so, wie es ist. Jeden Augenblick, so wie es ist, vollkommen.

Sehr schwer, dies zu akzeptieren, weil ihr jahrhun- dertelang anders konditioniert worden seid. Man hat euch Ideale gegeben, und ihr vergleicht euch immerzu mit Idealen. Ihr sagt: „Wie kann ich vollkommen sein? - Ich habe immer noch Wut in mir. Wie kann ich voll- kommen sein? - Ich habe immer noch Sex in mir. Wie kann ich vollkommen sein? - Ich habe immer noch Gewalt in mir. Wie kann ich vollkommen sein?" Du vergleichst dich. Vergleichen ist das Übel, die eigentli- che Krankheit.

Du bist du. Wenn Wut da ist, was kannst du tun? Du mußt es akzeptieren. Wenn du erst über die Wut hin- auskommen und dann leben willst, wirst du niemals leben. Hör auf mich: Akzeptiere die Wut und lebe. Und ich sage dir - indem du lebst, verschwindet die Wut. Die Transformation geschieht durch Leben, nicht durch Vorbereitung. Je mehr du dich vorbereitest, desto mehr verirrst du dich im Kopf. Entspanne dich. Genieße.

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Aber das Ego führt sich auf wie ein harter Aufga- bensteller. Es sagt immerzu: „Warum vergeudest du dein Leben mit kleinen Dingen, Trivialitäten? Werde ein großer Mann, werde ein Buddha, werde ein Maha- vir, werde ein Christus!"

Christus hat nie versucht, ein Christus zu werden, und genau darum war er ein Christus. Er akzeptierte sich einfach - durch dies Akzeptieren blühte er auf. Mahavir versuchte nicht, irgendein anderer zu werden. Er hatte keine Ideale. Er lebte einfach sein Leben. Er tat einfach, was ihm Spaß machte, und das Leben pas- sierte ihm von selbst. Es passiert immer von selbst. Es passiert immer nur jetzt. Nicht etwa, daß es an Leben fehlt; ihr verfehlt es lediglich.

Das ist eine einfache Tatsache. Ich rede keine Philo- sophie, es ist eine einfache Feststellung von Tatsachen. Schaut jetzt in diesem Augenblick hin! Was fehlt euch? Niemandem fehlt etwas.

Ich las gerade in einem der Essays von Emerson. Er sagt: „Der Mensch ist furchtsam und entschuldigt sich für alles. Er geht nicht mehr aufrecht. Er wagt nicht zu sagen: Ich bin. Er schämt sich vor dem Grashalm oder der blühenden Rose. Diese Rosen unter meinem Fen- ster vergleichen sich nicht mit früheren oder besseren Rosen. Sie sind das, was sie sind. Sie leben heute, mit Gott."

Laßt dies den Grundstein eures Lebens sein: „Sie leben heute, mit Gott." Sie beziehen sich nicht auf frü- here Rosen. Sie vergleichen sich nicht mit besseren Rosen. Sie sind einfach sie selbst und sie sind heute mit Gott. „Für sie gibt es keine Zeit. Es gibt nur die Rose. Sie ist in jedem Augenblick ihrer Existenz vollkom- men."

Vollkommenheit ist kein Ziel; sie ist bereits da. Ihr werdet vollkommen geboren. Nur Vollkommenes kommt in dieser Schöpfung vor, nichts anderes. Aus Gott - wie kann da Unvollkommenes geschehen? Nur Vollkommenes ist möglich. Erst die Vorstellung, daß du perfekt zu sein hast,

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macht dich in der Gegenwart unvollkommen, weil jetzt der Vergleich aufkommt. Ihr vergleicht euch immerzu mit anderen. Der eine ist schöner, der andere ist intelli- genter, ein anderer ist moralischer, ein anderer ist ehr- licher, ein anderer ist gesünder, ein anderer ist stärker; und mit diesen Vergleichen verkrüppelt ihr euch. Ein so schweres Gewicht fällt euch aufs Haupt, daß ihr euch nicht mehr bewegen könnt. Aber ihr habt eines verges- sen-daß du du bist und niemand anders sein kannst.

Sobald du die Tatsache akzeptierst, daß du du bist, und daß du, ganz gleich was du tun willst, niemand anders sein wirst, daß du du selbst bleiben wirst... sobald du das akzeptierst, geschieht eine tiefe Ver- wandlung. Du fängst zu leben an. Jetzt machst du dir keine Gedanken um die Zukunft mehr, jetzt läufst du nicht mehr bei dem mörderischen Wettrennen mit, jemand anders sein zu wollen, jetzt bist du nicht mehr abschätzend, nicht mehr ehrgeizig. Jetzt wirst auch du eine Rose unter dem Fenster. Du bist heute mit Gott. Wenn du heute nicht mit Gott bist, bist du in einem Alptraum.

Buddha erkannte dies. Er war der erste Mensch, der es in seiner Absolutheit erkannte. Er ließ alle Ideale fallen. Oft kamen Leute zu ihm und fragten: „Gibt es einen Gott?" Und dann schwieg er einfach. Nicht, daß es keinen Gott gibt. Aber sobald er einmal sagt, daß es ihn gibt, taucht in euch der Wunsch auf, hinzukommen, zu erkennen, dort zu sein - und wieder seid ihr auf der falschen Spur. Buddha blieb still. Er sagte nie ein Wort über Gott. Oft fragten die Leute: „Okay, wenn Gott nicht da ist, soll es uns auch recht sein. Aber ist eine Seele in uns?" Wieder blieb Buddha dann still. Denn sobald er sagt: „Ja, es gibt eine Seele", seid ihr schon hinter ihr her. Ihr seid solche süchtigen Schattenjäger geworden, daß jedes Wort, jeder Hinweis genügt, und schon lauft ihr los, rennt euch die Hacken aus. Hinter etwas herzu- rennen, ist euer Leben geworden. Renn hinter irgend etwas her, Geld, moksha - es ist egal, solange du nur

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rennst. Macht, Ansehen, Meditation - es ist egal. Hauptsache, du rennst.

Ich kann verstehen, wie schwierig es für diesen Mann Buddha war, den Mund zu halten, wiewohl er wußte, daß Gott ist, wiewohl er wußte, daß die Seele ist. Wie schwer war es, da still zu bleiben! Er wider- stand der Versuchung, weil er euch kannte. Niemals hat jemand die Menschen so tief gekannt - und den Wahnsinn der Menschen, ihre Besessenheit von Idea- len.

Oft fragten die Leute: „Wenn wir ankommen, wenn wir uns verwirklicht haben und erleuchtet sind, wo wer- den wir dann sein? Werden wir uns in einem moksha, in einem Zustand totaler Freiheit befinden?" Und Bud- dha blieb still. Er erfand einen neuen Ausdruck. Er ließ den alten Ausdruck des Ostens - moksha, ein Zustand völliger Freiheit - fallen. Er erfand einen neuen Aus- druck - Nirvana.

Der Ausdruck ist sehr schön. Das Wort ist sehr bedeutsam. Nirvana bedeutet einfach „verlöschen". Du wirst nicht mehr sein. Nichts wird mehr sein. Er gebrauchte den allernegativsten Ausdruck, die abso- lute Negation - Nirvana. Daraus kann man kein Ideal machen. Wie kann man aus einem negativen Zustand ein Ideal machen? Alles Positive wird sofort zu einem Ideal, und ihr fangt an, hinterherzurennen. Er benutzte den allernegativsten Ausdruck, die absolute Negation - Nirvana. Nichts wird mehr da sein. Nur Nichts wird da sein. Du wirst aufhören zu sein.

Aber schaut euch den menschlichen Verstand an - der Kopf hat auch hieraus ein Ziel gemacht. Buddha versuchte, euch einen total negativen Ausdruck zu geben, damit ihr gerade kein Ideal daraus machen könnt, aber seitdem haben es die Menschen längst... Millionen von Menschen laufen heute hinter Nirvana her. Sie haben völlig vergessen, daß Nirvana einfach „Nichts" bedeutet. Es bedeutet das absolute Vakuum, es bedeutet Leere. Wie kann man der Leere nachrennen? Der Ren-

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nende muß aufhören zu sein, nur dann ist die Leere da - wie also kannst du hinter ihr herjagen? Wie kannst du sie suchen? Der Sucher muß wegfallen. Du mußt völlig, endgültig verschwinden.

Selbst daraus haben die Leute ein Ziel gemacht. Der Verstand scheint so süchtig zu sein, daß er aus allem, egal was es ist, ein Ziel macht. Zum Beispiel sage ich ständig: „Seid hier und jetzt." Und ich weiß genau, daß ihr versuchen werdet, hier und jetzt zu sein. Da habt ihr etwas mißverstanden - weil ihr es verfehlt habt, sobald ihr es versucht. Man kann nicht versuchen, hier und jetzt zu sein, denn indem man es versucht, verkriecht sich das Hier und Jetzt. Man kann sich nur entspannen. Man kann es wohl sein, aber man kann es nicht versu- chen. Wenn ihr mich versteht - Schluß, aus! Dann braucht nichts getan zu werden.

Aber ihr kommt immer von Neuem zu mir. Ihr fragt mich: „Was müssen wir tun?" Ich sage euch immerfort: „Tut dies, tut das." Das ist nur eine Methode, um euch zu ermüden, zu erschöpfen, so daß ihr eines Tages aus reiner Müdigkeit sagt: „Genug!" - und euch entspannt. Ansonsten fehlt nichts. Wenn ich euch sehe, seid ihr Buddhas, die hinter leeren Schatten herrennen. Dann wird alles und jedes zum Alptraum.

Ein alter Mann saß auf einer Parkbank und genoß die späte Frühjahrssonne, als sich ein anderer alter Mann ans andere Ende der Bank setzte. Sie beäugten einander vorsichtig, dann stieß der eine von ihnen einen enormen, gefühlvollen Seufzer aus. Der andere stand augenblicklich auf und sagte: „Wenn Sie jetzt von Politik anfangen wollen, gehe ich."

Wenn ihr das Gefühl habt, daß irgend jemand euch ein Ideal und ein Ziel geben will, verlaßt ihn augen- blicklich, denn die Krankheit ist sehr ansteckend, und wenn ihr sie euch einmal geholt habt, wird sie chro- nisch. Nichts muß getan werden. Alles Tun muß aufge- geben werden - nicht durch Anstrengung, sondern durch Einsicht. Wenn du verstehst, daß alle Ziele dir nicht weiterge-

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holfen haben, wenn du verstehst, daß alles Werden dir nicht geholfen hat, dann hört etwas in dir im Augen- blick des Verstehens auf. In diesem Verstehen fällt etwas ganz von allein von dir ab. Nicht, daß du es fal- lenläßt; sonst fragst du nur wieder: „Wie soll ich es fal- lenlassen? Wie soll ich mit diesem ständigen Hinterher- laufen aufhören? Wie soll ich meine Ideale aufgeben?"

Nein, du kannst es nicht fallenlassen. Wenn du ver- suchst, es fallenzulassen, dann... dann bist du schon wieder auf und davon. Du kannst es nicht fallenlassen, es wird von selbst fallen. Du verstehst einfach. Verste- hen genügt. Verstehen ist die einzige Transformation.

Wenn du einer Idee folgst, einer Ideologie, einem Ideal, einem Ziel, dann mußt du zwangsläufig andere nachahmen - zwangsläufig. Du mußt zwangsläufig anderen folgen, denn woher sonst willst du die Anlei- tungen bekommen? Dann mußt du zwangsläufig Chri- stus, Buddha, Mahavir folgen. Dabei hat es niemals einen Mann wie dich oder eine Frau wie dich gegeben. Du bist einfach unverwechselbar du.

Du kannst einem Buddha nicht folgen. Du kannst mir nicht folgen. Du kannst mich beobachten, aber du kannst mir nicht folgen. Du kannst mich lieben, aber du kannst mir nicht folgen. Du kannst mich verstehen, aber du kannst mir nicht folgen. Sobald du mir folgst, wirst du nur noch blinder. Du bist bereits blind. Jeder Glaube führt zu Blindheit. Alle Gefolgschaft führt dich von dir selbst fort.

Wenn du versuchst, ein Buddha zu werden, ist eines sicher - du wirst nicht in der Lage sein, du selbst zu wer- den. Eines allein ist sicher - daß du nicht du selbst sein wirst; und daraus folgt das nächste: du kannst auch nie ein Buddha sein, denn du bist du, und ein Buddha ist ein Buddha. Wenn du ein Buddha zu werden versuchst, kannst du kein Buddha sein; allerhöchstens kannst du dann eine Nachahmung sein - eine synthetische Blume, keine wirkliche Rose. Du kannst nachahmen, du kannst Schauspieler wer- den. Du kannst folgen, du kannst Buddha aufs Haar

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genau folgen, und du kannst dir einen Charakter zim- mern, genau wie den seinen, aber vergiß nicht - ein Mann wie Buddha hat keinen Charakter; er lebt spon- tan. Er hat Bewußtheit, er hat keinen Charakter, jeden Augenblick geht er spontan auf das Leben ein. Er folgt keinem Charakter, er folgt nicht der Vergangenheit, er folgt keiner Routine, die er in der Vergangenheit, gestern, festgelegt hat. Er antwortet dem Hier und Jetzt.

Ein Mann von Charakter ist immer ein toter Mann. Ein Mann von Charakter bedeutet, daß er sich hinter einem Panzer verschanzt hat; er hat sich gelobt, daß er nie eine Lüge aussprechen wird, und darum spricht er nie eine Lüge aus. Er möchte gerne lügen, aber er kann es nicht, weil jetzt sein Charakter, sein Ego, darauf beruht, er unterdrückt es. Er kann niemals authentisch und wahr sein, und er kann niemals fließend und offen sein, er ist immer geschlossen. Ein Mann mit Charakter trägt sein Grabmal um sich herum. Er ist nicht leben- dig. Die tote Charakterschicht läßt niemals zu, daß er dem Leben begegnet - dem Leben hierjetzt begegnet.

Buddha hat keinen Charakter; aber wenn du ihm folgst, wirst du seinem Charakter folgen müssen, so wie du ihn verstehst. Du kannst sein Bewußtsein nicht sehen. Du kannst nur sehen, wie er sich benimmt, und durch dieses Benehmen kannst du Hinweise finden. Du wirst es nie treffen.

Der einzige Weg, ein Buddha zu werden, ist, du selbst zu sein. Es wird etwas vollkommen anderes und einmaliges sein, es wird keine Wiederholung sein. Die Existenz wiederholt sich nie. Sie ist unendlich schöpfe- risch, sie wiederholt sich nie; und sie braucht es auch nicht. Sie erfindet ständig neue Personen, neue Wesen. Nie wieder wirst du hier sein; nie zuvor bist du schon hier gewesen. Vollkommen neu und frisch kommst du her; warum willst du abgestanden sein? Es geschah in einem sehr berühmten Hotel. Ein neuer Lehrling wurde ausgebildet. Der erfahrene Veteran von Liftjunge erklärte dem jungen Greenhorn

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alles Nötige: „Hier geht's nicht nur um Kofferschlep- pen", sagte er. „In einem großen Hotel hast du ständig mit heiklen Situationen zu tun und mußt schnell den- ken. Zum Beispiel mußte ich gestern Eis in ein bestimmtes Hotelzimmer bringen und ging aus Verse- hen in das Zimmer gegenüber. Die Tür hätte nicht offen sein dürfen, war es aber, und drinnen war das Badezimmer offen, was auch nicht hätte passieren sol- len, und im Bad saß eine dicke Frau und wusch sich. Ich begriff sofort: Gleich fängt die fette Frau an, wie am Spieß zu schreien. Dicke Frauen sind gefährlich. Ich habe schnell gedacht und gesagt: ,Entschuldigen Sie, mein Herr', und bin gegangen. Das .Entschuldigen Sie' war Höflichkeit, aber das ,mein Herr' war Takt und hat mich gerettet. Sie glaubte, daß ich nicht lang genug dagewesen wäre, um etwas wahrzunehmen und hat sich beruhigt. Kapierst du?"

Der Lehrling kapierte - und genau da fängt das Pro- blem an - am nächsten Tag lag er im Krankenzimmer mit einem blauen Auge und verschiedenen Prellungen. Der Veteran fragte: „Was ist denn mit dir passiert?" Der Lehrling sagte: „Ich bin deinem Rat gefolgt. Ich sollte Eis bringen und bin im falschen Zimmer gelandet und fand einen Mann und eine Frau auf der Couch, fast ganz ohne Kleider. Also sagte ich schnell: Entschuldi- gen Sie, meine Herren', und da ist der Mann aufgestan- den und hat mich fast umgebracht."

Wenn du den Anweisungen anderer Leute und nicht deinem eigenen Bewußtsein folgst, begibst du dich in eine sehr gefährliche Situation.

Du gehst an dir selbst vorbei und gewinnst nichts dafür. Der Preis ist sehr hoch und es kommt nie eine Erfüllung zustande.

Wenn du einem Buddha folgst, kommst du in Schwierigkeiten - Millionen von Menschen stecken in Schwierigkeiten. Wenn du einem Jesus folgst, bist du in Schwierigkeiten. Seht euch die Christen an, seht euch die Jains an. Seht euch die Leute an, die nur folgen. Sie kommen zwangsläufig in Schwierigkeiten, weil sich das

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Leben mit jedem Augenblick verändert und sie nur tote Prinzipien haben.

Vergeßt nicht: Es gibt nur eine einzige goldene Regel, nämlich daß es keine goldenen Regeln gibt. Jede Regel ist willkürlich. Alle Regeln sind willkürlich. Keine Regel kann jemals endgültig sein. In einer bestimmten Situation mag sie nützlich sein, aber sie ist nicht endgültig. In jeder anderen Situation ist sie nicht nützlich.

Das einzige, was man sich aneignen muß, ist Bewußtsein. Und Bewußtsein kommt von allein, wenn du im Augenblick lebst. Wenn du hier und jetzt lebst, spontan, wirst du bewußt. Das Bewußtsein ist dir bis- her noch nicht gekommen, weil du noch nie in der Gegenwart gelebt hast. Es ist eine Folge eines Lebens im Augenblick. Wenn ihr wollt, nennt es Meditation. Die einzige Meditation, die es gibt, ist die, in der Gegenwart zu leben, hier jetzt zu leben.

Wenn du ißt, dann iß. Wenn du gehst, dann gehe. Wenn du sitzt, dann sitze. Sei ganz da! Genieße es! Es ist eine ungeheure Gabe. Wenn du atmest, atme. Genieße es! Habe deinen Spaß daran! Wenn du schaust, schau. Wenn du schläfst, schlafe. Sei gewöhn- lich, wenn du ein Buddha werden willst. Sei einfach gewöhnlich und geh deinen Angelegenheiten nach und mach dir keine Gedanken um andere und versuch nicht, irgendeinem anderen zu folgen.

Wenn du hier bei mir bist, ist es sehr leicht, mir zu fol- gen. Denn wenn man folgt, wird die Notwendigkeit, selbst wach zu bleiben, fortgeworfen. Du bist nicht mehr verantwortlich. Wenn ich sage, daß du nicht mehr verant- wortlich bist, meine ich damit, du antwortest nicht mehr dem Leben. Du hast eine tote Vorstellung. Du läßt dich von dieser toten Vorstellung beraten, und dann befolgst du sie. Du schaust nicht auf das Leben. Die Situationen verändern sich; es ist ein ständig fließender Ganges. Er wird sich nie nach deiner Vorstellung richten. Diese Vorstellung hat sich aus einer bestimmten Situation ergeben - diese Situation ist nicht mehr da.

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Folge niemals einer toten Vorstellung. Wenn du hier bei mir bist, folge mir nicht. Versuche, mich zu verste- hen. Wenn du mich liebst, wirst du mich verstehen. Wenn du mir traust, wirst du versuchen, mich zu verste- hen, nicht versuchen, mir zu folgen. Wenn du mich ver- stehst, ist das einzige, was verstanden werden muß, dies: daß das Leben unendlich wertvoll ist. Vertue es nicht.

Keine Ideale sind wertvoll, wertvoller als das Leben. Das Leben ist die einzige Wirklichkeit, und alles andere ist nur Vorstellungswelt. Meide die Vorstel- lungswelt. Folge der Wirklichkeit. Und wo immer sie hinführt, geh mutig mit ihr und du wirst nie in die Irre gehen, du wirst du selbst werden.

Indem du du selbst bist, wirst du du selbst. Ich sage damit nicht, versuche, du selbst zu werden, sondern indem du du bist, wirst du mit jedem Augenblick du selbst... Nach und nach wird das Potential offenbart, verwirklicht es sich.

Alle Religionen der Welt haben im menschlichen Geist eine Art Schizophrenie ausgelöst. Sie haben eine Spaltung erzeugt. Die eine Hälfte von euch ist gegen die andere Hälfte. Ihr seid niemals eins. Wenn ihr wütend seid, seid ihr niemals total wütend. Jemand steht daneben und verurteilt und sagt: „Das ist falsch. Hast du die großen Meister vergessen? Was tust du? Das ist falsch! Tu es nicht!" Wenn ihr euch liebt, steht ein Teil von euch abseits und wiederholt ständig: „Keuschheit ist Reinheit."

Egal was ihr tut... es kommt nicht darauf an, ob es Wut oder Liebe ist. Wenn ihr versucht, keusch zu leben, wird die eine Hälfte ständig sagen: „Du läßt dir das Leben entgehen." Ganz gleich, was die Situation ist, ihr seid gespalten.

Wenn ihr wütend seid, seid ihr gespalten. Wenn ihr nicht wütend seid, seid ihr gespalten. Gehst du nicht in die Wut hinein, wird die eine Seite von dir sagen: „Das ist nicht recht. Der andere wird es ausnutzen, er wird dich für einen Schwächling halten. Und das Leben ist

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Kampf, und wenn die Leute merken, daß du ein Schwächling bist, wirst du unterdrückt. Stell dich auf die Hinterbeine und wehr dich nach Kräften! Sei kein Eskapist."

Wenn du wütend wirst, flüstert dir der Verstand ein: „Das ist nicht recht. Wut heißt, blind zu sein. Es ist irre- ligiös. Ein religiöser Mensch wie du - und wütend?" Das paßt nicht zu deinen Idealen. Das paßt nicht mit deinem Selbstbild zusammen. Du hast ein sehr schönes Bild von dir selbst: Heiter, ruhig, gesammelt wie ein Buddha... Natürlich ein steinerner Buddha... unbeirr- bar, zentriert.

Die Religionen haben Schizophrenie erzeugt. Ihr wißt nicht, wie ihr irgend etwas total tun könnt, und dies ist der eigentliche Wahnsinn der Menschheit: Jeder ist gespalten.

Wie kann man genießen, wenn man gespalten ist? Wie kann man feiern, wenn man gespalten ist? Die eine Hälfte von euch wendet sich ständig dagegen - so, als ginge eines eurer Beine nach rechts und das andere nach links. Du stehst auf zwei Booten, die in verschie- dene Richtungen fahren, diametral entgegengesetzt. Daher die Lebensangst.

Wieviele Leute kommen zu mir und sagen: „Wie soll ich meine Lebensangst loswerden?" Sie wissen nicht, was in diesem Wort Lebensangst steckt. Sie glauben, daß so etwas wie transzendentale Meditation helfen könnte: daß die Lebensangst einfach dadurch, daß man ein Mantra singt, weggeht. Sie sind einfach dumm. Dinge wie transzendentale Meditation schöpfen ihre Anziehungskraft aus der Dummheit der Leute - denn sie suchen nach Abkürzungen, nach leichten Lösun- gen.. . wie Nescafe: du rührst einmal um und fertig! Lebensangst ist ein tiefes Problem. Das Problem ist Schizophrenie. Ihr seid gespalten, kämpft ständig in euch selbst. Ihr seid zwei und nicht eins, und diese Spannung erzeugt Angst. Nun, dies Wiederholen eines Mantra wird in keiner Weise helfen. Es mag euch einen etwas tieferen Schlaf verleihen, es mag euch helfen, ein

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bißchen zusammenhängender zu sein, aber es wird euch nicht weit genug helfen. Eure Spaltung bleibt, und früher oder später werdet ihr wieder feststellen, daß jetzt der Trick nicht mehr funktioniert.

Die Schizophrenie muß in einem Augenblick tiefer Einsicht aufgegeben werden. Kämpft nicht mit euch selbst, und vergeßt nie, daß der, der obenauf sitzt, im Unrecht ist, vergeßt nie, daß das Natürlichere das Wah- rere ist. Wann immer es zum Konflikt kommt, folgt dem Natürlichen. Wenn es zu einem Konflikt zwischen Liebe und Keuschheit kommt, folgt der Liebe und geht total in sie hinein. Ich weiß, eines Tages kommt die Keuschheit, aber sie kommt nur aus einer tiefen Erfah- rung der Liebe. Das brahmacharya - das Transzendie- ren der Sexualität - wird eintreten, aber erst als das Auf- blühen einer tiefen Liebe - einer Liebe, die so tief emp- funden wird, daß sie zu brahmacharya wird, daß sie zu Unschuld, daß sie zu Jungfräulichkeit wird.

Jungfräulichkeit hat nichts mit dem Körper zu tun, sie hat etwas mit tiefer Liebe zu tun. Man kann eine Frau eine Jungfrau nennen, weil sie noch nie körperlich geliebt hat. Ich nenne sie dann aber nicht eine Jung- frau. Ich nenne erst eine Frau eine Jungfrau, die über die Liebe hinausgegangen ist, die so tief geliebt hat, daß gerade die Tiefe zur Transzendenz geworden ist.

Ich nenne einen Mann jungfräulich, der tief geliebt hat und durch die Liebe so eins geworden ist, daß es jetzt nicht mehr nötig ist - nicht mehr nötig, vom ande- ren abzuhängen. Er fühlt sich dem anderen dankbar, weil der andere ihm geholfen hat, so unabhängig zu werden. Jungfräulichkeit ist nicht der Anfang; sie ist das Ende. Kinder sind nicht unberührt. Sie warten nur darauf, berührt zu werden.

Ich habe gehört: Drei Kinder saßen auf den Stufen eines Hauses, und das eine Kind spielte mit Spielzeug- autos, das zweite spielte mit einem Raumschiff und das dritte las eine Art Playboy-Magazin. Ein Mann kam vorbei, sah sich die drei Kinder an und fragte den ersten: „Was möchtest du gern werden?"

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Das erste Kind sagte: „Natürlich Autorennfahrer. Ich will der größte Fahrer der Welt werden." Das zweite sagte: „Ich will Astronaut werden." Und er fragte das dritte: „Und was willst du werden?" Der Junge schaute auf und sagte: „Erwachsen will ich wer- den. Erwachsen!"

Kinder sind nicht jungfräulich. Sie warten nur dar- auf, erwachsen zu werden. Ja, sie machen sich ein Pro- blem daraus, warum es solange dauert, warum es solange hinausgezögert wird.

Ich las in der Autobiographie eines Dichters. Und als er ein Kind war, er muß etwa elf gewesen sein, geriet er unter den Einfluß eines christlichen Missionars. Er war sehr beeindruckt von der christlichen Lehre, daß bald die Welt untergehen würde und dann würde Jesus ein zweites Mal auf die Welt kommen. Aber es machte ihm auch Angst. Er fing an zu beten: „Gott, warte bitte noch etwas. Laß mich erst meine Unschuld verlieren. Laß mich erst unkeusch werden. Warte noch etwas! - vielleicht nur noch zwei oder drei Jahre, mache noch nicht so bald Schluß mit der Welt!"

Kinder sind nicht unschuldig. Tatsächlich, Kinder sind nicht unschuldig - sie sehen nur so aus. Sie berei- ten sich darauf vor, die Unschuld zu verlieren. Sie bereiten sich darauf vor, sich in die Welt zu stürzen. Wirkliche Unschuld kommt erst am Ende. Sie ist eine Blüte, sie ist kein Same, sie ist nicht der Anfang, sie ist das Ende.

Wenn die Liebe erfüllt ist, entsteht brahmacharya. Wenn du total die Wut erlebt hast, kommt das Mitge- fühl. Wenn du ins Leben hineingegangen bist, machst du plötzlich eine transzendierende Erfahrung. Aber die alten Religionen... sie alle haben einen gespaltenen Geist erzeugt, einen schuldbewußten Geist, einen ver- rückten, gespaltenen Geist. Der Gouverneur eines Landes besuchte einmal ein Irrenhaus. Er inspizierte das neue, staatlich unter- stützte psychiatrische Krankenhaus, und als er durch die Isolationsabteilungen geführt wurde, fiel ihm in

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einer Zelle ein Mann auf von vornehmer Erscheinung, der das Wall Street Journal las und nichts anderes trug als einen glänzenden Seidenzylinder.

Der Insasse schaute auf, sah den Gouverneur und die ganze Traube von Ärzten und anderen Beamten um ihn herum. Da stand er auf, verbeugte sich höflich und sagte in gepflegtem Umgangston: „Mein Herr, ich sehe, Sie sind eine Persönlichkeit von Gewicht, und da fällt mir ein, daß Sie sich wundern werden, warum ich hier nackt herumsitze."

„Nun ja", sagte der Gouverneur vorsichtig, „der Gedanke ist mir allerdings schon gekommen."

„Überhaupt kein Geheimnis", sagte der Insasse „die Zelle ist, wie Sie bemerkt haben werden, klimatisiert, die Temperatur ist höchst angenehm und gleichmäßig, und ich bin darüberhinaus ganz allein. Da Kleidung weder aus Gründen der Wärme noch des Anstands noch der Eleganz notwendig ist, warum sich also über- haupt damit abgeben?"

„Das stimmt", murmelte der Gouverneur ziemlich überrascht über die offensichtliche Rationalität des anderen. „Aber sagen Sie mir", fragte er, „wozu dann der Zylinder?" Der Insasse zuckte die Achseln: „Nun ja, es könnte ja jemand kommen."

Dies ist der gespaltene Geist. Dies ist die grundsätz- liche Schizophrenie der Menschheit - weder in die eine noch in die andere Richtung total. Mein ganzes Lehren ist, total zu sein, egal, was du tust.

Ich sage nicht, du sollst nicht wütend sein. Ich sage, wenn du dich dazu entscheidest, wütend zu sein, wenn es das ist, was gerade geschieht, dann sei darin total. Ich sage nicht, du sollst nicht gierig sein. Wenn es dir geschieht, daß du gierig bist, dann sei total. Denn ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß man nur durch Tota- lität transzendiert.

Eine gespaltene Persönlichkeit kann niemals nicht- gierig werden. Sie kann es versuchen, aber sie kann es nie werden. Eine gespaltene Persönlichkeit kann nie- mals über die Wut hinausgehen. Sie kann es versuchen,

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aber sie kann niemals darüber hinausgehen. Eine gespaltene Persönlichkeit kann niemals über den Sex hinausgehen. Sie kann kämpfen. Wieviele Mönche tun das nicht in den Klöstern!.Sie lassen den Sex nicht hin- ter sich; allerhöchstens wird ihre Sexualität pervertiert, wird ihre Liebe vergiftet.

Was immer tatsächlich da ist - ich verlange nicht von euch, willentlich etwas dagegen zu tun - was immer da ist, seid darin total. Laßt Totalität eure einzige Sorge sein, weil das die einzige Möglichkeit ist, lebendig zu sein; und wenn ihr lebendig seid, seid ihr vollkommen. Dann seid ihr heute mit Gott, nicht morgen. Denn ihr werdet Gott morgen nicht finden, er ist immer heute. Gott ist heute.

Morgen ist Hölle, heute ist Nirvana. Aber der Ver- stand behandelt selbst das Nirvana immer so, als würde es dem Morgen angehören. So wird das Nirvana selbst zur letzten Hürde auf dem Weg. Nun die Zengeschichte.

Date-Jitoku, ein begabter Waka-Dichter, wollte Zen meistern.

Das Elend beginnt... wollte Zen meistern? Da bist du auf einem Ego-Trip - und vor allem Zen kannst du nicht meistern. Zen ist etwas, das sich nur finden läßt, wenn kein Ego da ist.

Zen bedeutet dhyana, Zen bedeutet Meditation. Das Wort selbst kommt von dhyana. Es entstand in Indien. Buddha nannte es dhyana. Dann nahm Bodhi- dharma es nach China mit, in China wurde daraus chan. Dann ging es von China nach Japan. Dort wurde es Zen. Zen bedeutet dhyana. Dhyana bedeutet Medi- tation.

Du kannst Meditation nicht meistern, weil du die Schranke bist. Du falle - und Meditation ist da. Bring dich bitte nicht ins Spiel - und Meditation ist da. Wenn du dich ins Spiel bringst, bist du die Störung. Und denk daran, was ich euch schon gesagt habe: Du bringst dich nur ins Spiel, wenn du gespalten bist. Das Ego ist nur

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da, wenn du gespalten bist. Du brauchst ein Ego, um eine Verbindung zwischen den gespaltenen Teilen dei- nes Wesens herzustellen, du brauchst ein Bindeglied, andernfalls brichst du auseinander. Das Ego ist das Bindeglied zwischen deinen beiden diametral entge- gengesetzten Teilen, es hält sie irgendwie wie ein Bün- del zusammen, es ist der Strick um sie herum, das Bin- deglied zwischen ihnen, die Kette, die euch irgendwie zusammenhält, denn sonst würdet ihr auseinanderfal- len. Ihr würdet sein wie Humpty-Dumpty, das große Ei, das von der hohen Mauer fiel und das alle Soldaten des Königs nicht wieder zusammenkleben konnten.

Das Ego ist nötig. Es ist der Strick, der dir hilft, dich irgendwie zusammenzuhalten. Sobald du beieinander bist, wird der Strick nicht mehr gebraucht. Sobald du eins bist, wird das Ego nicht mehr gebraucht. Du bist, aber es ist kein „Ich" darin enthalten. Du bist, und zwar vollkommen, aber es ist kein „Ich" darin enthalten. „Ich" ist eine Spannung.

Habt ihr es schon einmal beobachtet? In gewissen Momenten passiert jedem dieses Wunder. Du liebst jemanden, und die Liebe gibt euch eine Chance, heil zu sein. Plötzlich ist kein „Ich" da, plötzlich bist du - ohne das „Ich" - eine unendliche Ausdehnung, ein unge- trübtes Sein, ungespaltene Totalität.

Oder: Plötzlich, eines Tages, schaust du auf den Son- nenuntergang. Die Schönheit ist so ungeheuer, du wirst eins damit. Oder du hörst Musik, oder du singst, oder tanzt... Eines Tages tanzt du plötzlich so schnell, daß die bloße Vorstellung, daß du bist, nicht mehr mit- kommt. Du bewegst dich so schnell, daß du total wirst. Renne schnell, und sieh. Tanze schnell, und sieh. Wirble schnell, und sieh. Plötzlich wird die Handlung so total, daß sie Besitz von dir ergreift - das Ego fällt.

Date-Jitoku, ein begabter Waka-Dichter, wollte Zen meistern.

Damit beginnt die verkehrte Reise. Man kann Zen

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nicht meistern. Man kann vom Zen gemeistert werden, aber du kannst es nicht meistern. Zen ist kein Hand- werk, das sich meistern läßt, es ist keine Technik, die sich meistern läßt. Es ist dein eigenes Wesen... das du von dir Besitz ergreifen lassen mußt. Es ist deine Tota- lität.

Mit diesem Vorsatz meldete er sich

bei Ekkei, dem Abt von Shokokuji in Kyoto.

Mit diesem Vorsatz... wenn du dich mit irgendeinem Vorsatz zu einem Meister begibst, kommst du gar nicht erst zu ihm. Wenn du zu mir mit einem Vorsatz gekom- men bist, bist du gar nicht gekommen. Du bist zwar gereist, aber du bist nicht hergekommen. Du bist immer noch unterwegs; du bist noch nicht angekom- men. Nur wenn du hergekommen bist, ohne etwas im Sinn zu haben, bist du hergekommen, dann bist du mir nahe.

Wenn du nichts im Sinn hast, verschwindet der Ver- stand - weil der Verstand nur da sein kann, wenn etwas im Sinn ist. Der Verstand kann ohne den Inhalt nicht existieren. Der Verstand ist nichts als die Gesamt- summe der Inhalte, und wenn die Inhalte verschwin- den, verschwindet der Verstand.

Wenn du zu mir gekommen bist und etwas dabei im Sinn hast - daß du irgend etwas erreichen mußt, daß du irgend etwas zu sein hast: irgendein Ideal, hinter dem du herläufst, irgendein Image, dem du entsprechen mußt, dann wirst du mich verfehlen - wirst du mich absolut verfehlen.

Um bei mir zu sein, komm zu mir ohne irgend etwas im Sinn zu haben, so daß du offen bist - so daß du für alles offen bist. Wenn du etwas im Sinn hast, bist du nicht für alles offen, dann bist du verschlossen.

Mit diesem Vorsatz

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meldete er sich bei Ekkei...

Ekkei war einer von den ganz seltenen Meistern. Ihr werdet noch sehen, warum ich ihn selten nenne.

Jitoku kam voller Hoffnungen zu dem Meister... Ihr solltet nur dann zu einem Meister kommen,

wenn all eure Hoffnungen fehlgeschlagen sind. Voller Hoffnungen sein heißt, in der Welt sein. Ein Mensch, der immer noch mit Hoffnungen lebt, lebt immer noch in der Zukunft, im Morgen. Ein Mensch, der begriffen hat, daß alle Hoffnungen umsonst waren, nirgendwo- hin geführt haben, der kann zu einem Meister kom- men.

Nicht, daß er darum hoffnungslos wird, denn wenn du dich hoffnungslos fühlst, bedeutet das nur, daß du immer noch hoffst. Hoffnungslosigkeit ist ein Anzei- chen für eine Einstellung, die immer noch hofft.

Wenn die Hoffnungen wirklich fortgefallen sind, wenn du plötzlich ohne jede Hoffnung bist - nicht hoff- nungslos, sondern einfach ohne Hoffnung und ohne Hoffnungslosigkeit - dann bist du einfach nur hier. Mit dem Verschwinden der Hoffnung verschwindet die Zukunft. Die Zukunft ist nichts als die Verlängerung der Hoffnung. Die Zukunft ist ein Hoffnungsprojekt.

Jitoku kam voller Hoffnungen zu dem Meister, aber kaum hatte er den Raum betreten,

traf ihn schon ein mächtiger Schlag.

Der Meister tat gut daran. Jitoku hatte noch kein einziges Wort geäußert, hatte noch nichts gefragt, und war schon hart geschlagen worden. Wenn du mit Hoffnungen kommst, ist das die einzige Möglichkeit, dich in den Augenblick zu bringen. Wenn ich dich hart auf den Kopf schlage, magst du für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich hier sein. Anson-

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sten bist du in der Zukunft. Zen-Meister haben aus ihrem Mitgefühl heraus ihre Jünger immer geschlagen.

Sobald ihr anfangt, mich zu verstehen, werde ich zuschlagen. Im Augenblick, ich weiß, würdet ihr es nicht verstehen; ihr würdet einfach davonlaufen - und so überrede ich euch fürs erste, hier bei mir zu bleiben. Sobald ihr soweit seid... ein guter Schlag auf den Kopf ist einfach ein ungeheures Geschenk. Man sollte ihn in tiefer Dankbarkeit entgegennehmen. Er bringt dich auf die Erde. Er bringt dich in das Hierjetzt. Du hast dich so weit entfernt, daß dich nur ein Schlag auf den Kopf herbringen kann.

... aber kaum hatte er den Raum betreten, traf ihn schon ein mächtiger Schlag.

Er war erstaunt, konnte aber nichts tun: Niemand hatte es je zuvor gewagt, ihn zu schlagen,

aber da es eine strenge Zen-Regel ist, niemals etwas zu tun oder zu sagen,

ohne vom Meister dazu aufgefordert zu sein, zog er sich wortlos zurück.

Aber er verpaßte die Chance. Er befolgte die Regel, aber er konnte nicht auf die wirkliche Situation einge- hen. Wenn du eine Regel befolgst, gehst du an der tat- sächlichen Situation vorbei. Er wußte: Es ist eine Regel, daß du nicht einmal ein einziges Wort sagen darfst, außer der Meister hat dich dazu aufgefordert - und er hatte gar nichts gesagt. Er mußte sich zurückzie- hen. Aber tief drinnen war er verletzt.

Der Meister hatte ihn auf den Kopf geschlagen, um ihn ins Hier und Jetzt zu bringen, aber er fühlte sich verletzt, sein Ego war verletzt. Er hatte nicht begriffen. Er muß wirklich allzu besessen von der Zukunft gewe- sen sein. Und ein Mensch, der besessen ist von der Zukunft, ist auch immer von der Vergangenheit beses- sen. Das ist nun einmal die Art, wie das Pendel des Ver- standes hin- und hergeht - aus der Vergangenheit in die 36

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Zukunft, aus der Zukunft in die Vergangenheit. Es bleibt niemals in der Mitte, wo die Zeit tatsächlich exi- stiert.

Augenblicklich sagte er: ...Niemand hatte es je zuvor gewagt, ihn zu schlagen... Innerlich sagte er - er ging in die Vergangenheit: ,Niemand hat es bisher je gewagt, mich zu schlagen.' Der Meister schlug ihn, damit er ins Hier und Jetzt kam. Er ging in die Vergan- genheit, aus der Zukunft sprang er zur Vergangenheit. Am Punkt dazwischen ging er vorbei. Er folgte einer Regel.

Regeln helfen bei einem Meister nicht. Du mußt ihm spontan erwidern, nicht nach irgendwelchen Regeln. Du mußt die Situation im Auge behalten. Du darfst sie nicht nach deinen Vorstellungen interpretieren. Du mußt ohne deine Vorstellungen hinsehen, um die Tat- sache zu erkennen, um zu erkennen, was der Meister getan hat. Der Meister hat einen Akt großen Erbar- mens vollbracht, aber das blieb unbemerkt. Das Ego kam als Schranke dazwischen.

Er ging schnurstracks zu Dokuon, der Ekkei als Abt ablösen sollte,

und erzählte ihm, daß er vorhätte, Ekkei zum Duell zu fordern.

„Siehst du denn nicht, daß dir der Meister

eine Freundlichkeit erweisen wollte?" sagte Dokuon. „Versuche es einmal ernsthaft mit Zazen,

und du wirst selbst erkennen, was es zu bedeuten hat, wenn er dich so behandelt."

Es ist ein großer Akt des Erbarmens. Ein Meister ist jenseits von Wut, jenseits von Ego, jenseits davon, irgend jemanden zu verletzen. Aber aus seinem Mitge- fühl heraus kann er sogar schlagen. Der Schlag ist chi- rurgisch; das Messer ist nicht gegen dich gerichtet, das Messer ist nicht in den Händen des Feindes, es ist in den

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Händen eines Arztes, eines Chirurgen. Er wird tief in dich hineinschneiden. Er muß das Gewächs herausneh- men, das krebsartige Gewächs in dir, welches das Ego ist. Es ist die größte Chirurgie, die es überhaupt gibt, und er muß hart sein, weil er dich liebt. Dokuon sagte: „Mach dir keine Gedanken, laß dich dadurch nicht ver- wirren, und triff noch keine Entscheidung. Jetzt sitz erst mal ein paar Tage in Zazen."

Zazen bedeutet einfach: Sitz und tu nichts. Zazen ist eine wunderschöne Meditation. Man sitzt einfach da und guckt auf die Wand, ohne irgend etwas zu tun. Man sitzt einfach nur... sitzt... sitzt.

Wenn du einfach nur dasitzt und nichts tust, setzt sich nach und nach der Verstand, weil es nichts zu tun gibt - der Verstand wird nicht gebraucht. Anfangs rebelliert er, denkt er mehr als sonst - in einem wahn- sinnigen Wirbel drehen sich im Innern die Gedanken. Aber wenn du immer weiter sitzt und sitzt, wird es für sie zwecklos. Nach und nach legt sich der Staub, die Gedanken verschwinden, es treten Lücken auf. In die- sen Lücken wird Einsicht möglich. Wenn du keine Gedanken im Verstand hast, wird die ganze Energie, die sonst ins Denken investiert wird, plötzlich frei, wird in dir zu Bewußtheit.

„Versuche es einmal ernsthaft mit Zazen, und du wirst selbst erkennen,

was es zu bedeuten hat, wenn er dich so behandelt."

Drei Tage und Nächte lang strengte sich Jitoku verzweifelt an zu kontemplieren.

Dann erfuhr er plötzlich ein ekstatisches Erwachen.

Dies satori wurde von Ekkei bestätigt.

Was geschieht, wenn du einfach nur dasitzt? Die ganze Energie, die sich im Körper bewegt hat, die aus dem Körper hinausgegangen ist, in Handlungen hin- ein, bewegt sich nicht mehr. Du wirst zu einem Stau

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von Energie, einem Sammelbecken. Bei Zazen darfst du nicht einmal deinen Körper bewegen, nicht einmal die leiseste wiegende Bewegung ist erlaubt, und so wird keine Energie an Handlungen abgegeben. Die gesamte Energie steht dir zur Verfügung. Sie strömt ständig nach innen. Sie füllt dich. Sie fängt an überzufließen. Wenn der Moment des Überfließens gekommen ist, gibt es ein satori.

Satori ist ein Augenblick, wo die Energie überfließt. Nach und nach bleibt das Denken stehen. Das braucht seine Zeit - fast drei Tage ist etwa die nötige Zeit. Wenn du dich Tag und Nacht anstrengst, ununterbro- chen, kommt irgendwann nach drei Tagen der Augen- blick, wo die Energie so stark ist, daß sie einfach explo- diert. Alles wird still - ein plötzlicher Blitz im Innern - alles wird klar, es kommt zu einer völlig klaren Wahr- nehmung. Das ist es, was man in Japan ein satori nennt.

Satori ist ein erster Schimmer vom samadhi, das erste Aufblitzen. Natürlich kannst du beim ersten Lichtblitz nicht erkennen, was es ist. Es ist so unbe- kannt, du hast es nie zuvor gekannt, es ist dir nie zuvor begegnet. Es muß dir vom Meister bestätigt werden. Wenn es das nächste Mal kommt, wirst du es erkennen können, aber beim ersten Mal weißt du nicht, was es ist, wie du es verstehen sollst, wie du es deuten sollst.

Es ist so ungeheuer, und völlig unvergleichbar mit all deinen bisherigen Erfahrungen. Deine ganze Vergan- genheit läßt sich nicht damit vergleichen, all deine Hoffnungen für die Zukunft haben nichts damit zu tun. Es ist etwas, worauf du nie hast hoffen können, es ist etwas, das du dir nie hast vorstellen können, es ist etwas, das du dir nie hast träumen lassen. Wie kannst du es erkennen? Das ist der Grund, weshalb das erste satori vom Meister bestätigt werden muß. Bis zum ersten satori muß man beim Meister bleiben. Danach kann man auf sich gestellt weitergehen, aber eher nicht.

Dies satori wurde von Ekkei bestätigt.

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Jitoku ging noch einmal zu Dokuon und dankte ihm für seinen Rat mit den Worten: „Nur deiner Weisheit habe ich es zu verdanken,

daß ich eine solche Umwandlung erfahren konnte. Und was den Meister betrifft -

sein Schlag war noch lange nicht hart genug."

Jetzt versteht er. Wäre der Schlag etwas härter gewe- sen. .. Zu dem Zeitpunkt war er beleidigt. Jetzt sagt er: „Sein Schlag war noch lange nicht hart genug". Jetzt versteht er, wie barmherzig es war.

Ihr seid auf der gleichen Reise. Ihr seid hier bei mir, weil ihr wissen wollt, was das Leben ist, weil ihr lernen wollt, wie ihr das erkennen könnt, was euch bereits offensteht, lernen wollt, wie ihr Einblick in das gewinnt, was bereits vor euch ist, lernen wollt, wie ihr das spüren könnt, was euch bereits von allen Seiten umgibt. Ich muß euch viele Male schlagen. Es mag zwar kein körperlicher Schlag auf den Kopf sein - denn den zu ertragen ist nicht sehr schwer.

Erst gestern abend kam ein Sannyasin zu mir und sagte: „Als ich das letzte Mal zu dir kam, hast du mich einen Feigling genannt!" Er war sehr tief beleidigt. Nur weil ich ihn einen Feigling genannt hatte, war er tief beleidigt. Er hatte eine Chance verpaßt. Das Ego hatte angefangen zu denken, das Ego hatte sich eingemischt. Es war ein Schlag auf den Kopf. Er begriff es nicht. Jetzt muß ich auf eine neue Chance warten.

Und es gibt nur gewisse Momente, die sich für so einen Schlag von mir eignen, und selbst dann gibt es keine Gewißheit, daß ihr sie nicht etwa verfehlt. Nur in seltenen Momenten könnt ihr geschlagen werden - und selbst dann könnt ihr es verfehlen. Paßt gut auf und phi- losophiert nicht herum, denn auch das kann wieder ein Trick sein. Wenn ich dich schlage, geh darauf ein, sei wach; es geschieht nicht, um dich zu verletzen, sondern um dich zu wecken. Und ich weiß, daß du an dem Tag, wo du verstehst, ebenfalls das Gefühl haben wirst: Sein Schlag war noch lange nicht hart genug.

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Das Leben zu suchen, nach der Wahrheit zu for- schen, heißt: zum Sterben bereit sein-dasjenige Leben sterben zu lassen, von dem ihr angenommen habt, es sei das Leben. Es ist es nicht. Ich muß euch auf so man- che Weise zerstören. Genauer gesagt, euch auseinan- dernehmen - nur dann kann das Neue entstehen. Ihr braucht eine Kreuzigung, nur dann kann es eine Wie- derauferstehung geben.

Laßt mich euer Kreuz sein. Dann, und nur dann, besteht die Möglichkeit, daß ihr auf den Thron erhoben werdet.

Der Weg ist schwer, sehr hart. Aber sobald ihr die Wahrheit eures Seins erkennt, werdet ihr endlich wis- sen, daß nichts schwer, nichts schwer genug war, wer- det ihr wissen, daß alles, was ihr erreicht habt, nicht euren Anstrengungen zu verdanken ist. Eure Anstren- gungen waren nichts, verglichen mit dem, was ihr erlangt habt. Das, was ihr erlangt habt, ist ein reines Geschenk. Und das Paradox ist: Ihr haltet es bereits in Händen. Ich muß euch nur darauf aufmerksam machen. Es ist bereits in euch - ich brauche es euch nur zu zeigen.

So manches Mal werdet ihr auf so manche Weisen beleidigt sein. Viele Leute kommen zu mir und gehen dann wieder. Sie fühlen sich beleidigt. Wenn ich mir über sie Gedanken machen soll, ohne sie vor den Kopf zu stoßen, bin ich zu nichts nutze. So kann ich nicht hel- fen. Ich muß euch immer wieder vor den Kopf stoßen. Hundert Menschen kommen - neunzig müssen nach und nach wieder gehen. Wenn von den zehn, die dann noch bei mir sind, einer ankommt, ist es genug. Nicht weil es schwierig wäre, anzukommen - die Schwierig- keit liegt nicht bei der Wahrheit; die Schwierigkeit hegt bei eurer Konditionierung, der schizophrenen Kondi- tionierung.

Die Religionen haben euer Sein völlig vergiftet, haben euch zersplittert. Und all diese Fragmente wie- der zusammenzufügen - nicht nur zusammenzufügen, sondern so zu verschmelzen, daß ihr zu kristallisierten

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Wesen werdet - das ist euretwegen schwierig. Wenn ihr bereit seid, ist es nicht schwer. Dann ist es sehr einfach. Es ist ganz einfach. Es kann jetzt gleich geschehen. Wenn ihr warten müßt, so liegt das an euch - vergeßt das nie. Es geht darum, zu verstehen, nicht darum, irgend etwas zu tun.

Jener Waka-Dichter, der sich einfach nur drei Tage hinsetzte, Tag und Nacht, ohne etwas zu tun, erlebte schließlich ein plötzliches Erwachen.

Und es kommt immer plötzlich. Immer, wenn du voller Energie bist, und die Energie anfängt überzuflie- ßen, bekommt man einen inneren Orgasmus. Dieser Orgasmus ist satori. Und wenn dieser Orgasmus zu dei- nem Dauerzustand geworden ist, heißt dieser Orgas- mus samadhi .

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Kapitel 2

Der letzte Alptraum 12. Februar 1976

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Du sagst uns, wir sollen hier und jetzt sein, ohne Ziele und ohne Absichten. Aber dann verlockst du uns gleich- zeitig, indem du von Ekstase, Erleuchtung, Freiheit und einer möglichen Erfüllung sprichst. Das wirkt wider- sprüchlich. Bitte erkläre.

Es ist kein bißchen widersprüchlich; es ist eine einfa- che Tatsache. Aber der Verstand neigt dazu, Probleme zu schaffen, wo es keine gibt. Der Verstand ist ein pro- blemerzeugender Mechanismus.

Wenn ich sage, daß Ekstase schön ist, wenn ich sage, daß Erleuchtung selig ist, dann spreche ich nicht von der Zukunft, dann locke ich euch nicht - ich stelle ein- fach eine Tatsache fest.

Wenn ich sage, seid hierjetzt, ohne jede Absicht und jedes Ziel, zeige ich euch damit den Weg, wie die Erleuchtung jetzt sofort passieren kann. Erleuchtung ist kein entferntes Ziel. Sie ist eine gegenwärtige Mög- lichkeit. Ihr könnt sie verfehlen, was aber nicht bedeu- tet, daß sie weit von euch entfernt wäre, sondern nur, daß ihr fest schlaft. Ihr könnt sie verfehlen, was aber nicht bedeutet, daß ihr hart arbeiten müßtet, um sie zu erreichen, sondern nur, daß euch etwas, das euch bereits umgibt, gar nicht bewußt ist.

Und ich werde auch weiterhin über Erleuchtung sprechen, weil ihr ohne sie überhaupt nicht lebendig seid. Ohne sie könnt ihr nur den Anschein erwecken zu existieren, existiert aber nicht wirklich. Ohne sie geht ihr weiter in die Irre. Aber vergeßt nicht, ich erzeuge damit kein Ziel für eure Wünsche. Erleuchtung kann niemals ein Ziel sein. Dies muß verstanden werden. Nirvana kann nicht Gegenstand von Wünschen sein.

Ich will es euch erklären. Immer wenn ihr euch etwas wünscht, verspannt ihr euch. Der Wunsch erzeugt eine Störung. Immer wenn ihr etwas wünscht, wünscht ihr es euch natürlich für die Zukunft. Wie könntet ihr jetzt im Augenblick wünschen? In der Gegenwart ist nicht genug Raum, daß ein Wunsch darin existieren könnte. Er kann nur in der Zukunft existieren. Wünschen kann

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nur mit etwas zu tun haben, das in der Zukunft ist, mit etwas, das nicht hier ist. Das, was hier ist, läßt sich nicht wünschen.

Man kann es genießen, aber nicht wünschen. Du kannst es leben, du kannst es tanzen, aber du kannst es nicht wünschen. Darum sagen alle Buddhas: „Werde wunschlos." Aber das menschliche Problem ist, daß wir es so verstehen, als würden sie sagen: „Macht die Wunschlosigkeit zu eurem Ziel."

Wir machen aus allem ein Ziel. Füttere den Ver- stand mit was du willst - er reduziert es sofort auf ein Ziel, und sofort ist das Problem da. Dann fragt der Ver- stand: „Wie?" - Wie soll ich dies erreichen? Wie soll ich es bekommen? Wie soll ich das werden? Wieder bist du hinter etwas her, wieder hast du es verfehlt. Wenn die Buddhas sagen: „Werde wunschlos", versuchen sie damit nicht, euch ein Ziel zu geben. Sie sagen einfach: „Schau, sieh hinein in dein Wünschen, verstehe dein Wünschen und seine Zwecklosigkeit, schau tief hinein, durchdringe es tief. Dieses tiefe Eindringen wird hel- fen, und das Wünschen verschwindet." Wenn du die völlige Zwecklosigkeit allen Wünschens sehen kannst, wirst du dann noch fragen, wie du es fallen lassen sollst? Wenn du seine völlige Zwecklosigkeit erkennst, fällt es von selbst.

Ihr fragt immer noch nach dem Wie, weil ihr immer noch festhalten wollt. Ihr wollt es immer noch hinaus- schieben. Ihr glaubt immer noch, daß die Sache einen Haken hat: „Vielleicht mache ich es verkehrt, vielleicht geb ich mir nicht richtig Mühe, vielleicht gehe ich nicht in die richtige Richtung - aber die Sache hat einen Haken."

Ihr hofft immer noch. Wenn ihr euch das Wesen des Wünschens genau anschaut, werdet ihr verstehen, daß es wie ein Horizont ist, scheinbar weit weg, dort! Geht, bewegt euch hin - und er bewegt sich mit euch. Wenn ihr an den Punkt kommt, wo ihr dachtet, daß die Erde den Himmel berührt, berührt sie ihn gar nicht. Die Ent- fernung zwischen euch und dem Horizont bleibt stän- dig die gleiche.

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Wenn du in das Wünschen selbst hineinschaust, ist es so einfach zu sehen. Wenn du über das Wünschen meditierst, ist es eine Tatsache, und es ist keine Theorie über das Wünschen.

Du hast zehntausend Mark. Der Verstand verlangt zwanzigtausend Mark, der Verstand sagt: „Erst wenn du zwanzigtausend Mark hast, kannst du glücklich sein, vorher nicht." Also kannst du dir zwanzigtausend Mark anschaffen. Du wirst viel Zeit damit vergeuden; eines Tages hast du sie. Und wenn du dann zwanzigtausend Mark zusammenhast, ist das Wünschen schon weiter- gegangen, jetzt verlangt es vierzigtausend Mark.

Wenn du deine zwanzigtausend Mark zusammen- hast, hast du dich noch mehr an all den Komfort gewöhnt. Jetzt muß noch mehr Luxus her. Jetzt kommt dir das alte Haus zu klein vor, der alte Wagen erscheint dir wie eine Beleidigung. Er muß weg. Ein neuer muß her. Wenn du die Vierzigtausend-Mark-Grenze erreicht hast, ist der Horizont wieder zurückgewichen - er verlangt achtzigtausend Mark. Er verdoppelt ein- fach nur immer. Die Entfernung bleibt die gleiche.

Zwischen dem Wunsch und der Erfüllung bleibt die Entfernung gleich. Sie ändert sich nie, nicht einmal einen einzigen Zentimeter. Der Bettler und der Kaiser stecken immer in der gleichen Klemme. Wenn man sich die Entfernung zwischen ihrem Wunsch und seiner Erfüllung anschaut, erkennt man, daß sie im gleichen Boot sitzen. Ist dies einmal verstanden, fällt das Wün- schen von selbst weg, ganz von allein. Nicht, daß du es fallen läßt! Vielmehr kommt die Frage des Wie gar nicht erst auf, und wenn der Wunsch fällt, ist die Wunschlosigkeit da. Du brauchst dir nicht etwa Mühe zu machen, damit sie da ist, du brauchst nicht etwa hart zu arbeiten, um dir die Wunschlosigkeit zu verdienen. Sie ist kein Ziel.

Wenn die Wünsche verschwinden... die Abwesen- heit des Wünschens ist Wunschlosigkeit. Laßt es mich einmal anders sagen. Gewöhnlich glaubt ihr, wenn das Wort Wunschlosigkeit gebraucht wird, daß es gegen

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das Wünschen gemeint sei. Das stimmt nicht. Wunsch- losigkeit ist nicht der Gegensatz des Wünschens. Wunschlosigkeit ist einfach die Abwesenheit des Wün- schens, nicht das Gegenteil. Wenn es das Gegenteil wäre, könnte man ein Ziel daraus machen. Es ist aber nicht das Gegenteil. Man kann kein Ziel daraus machen.

Liebe ist nicht der Gegensatz zu Haß. Wenn Liebe der Gegensatz zu Haß wäre, würde in dieser Liebe auch der Haß weitergehen. Eine Unterströmung von Haß würde darin weiterfließen. Die authentische Liebe ist nicht dem Haß entgegengesetzt. Die Liebe eines Bud- dha ist nicht dem Haß entgegengesetzt. Sie ist einfach die Abwesenheit von Haß.

Mitgefühl ist nicht gegen Wut. Wenn die Wut ver- schwindet, ist Mitgefühl. Um Mitgefühl muß man nicht kämpfen; es ist nicht gegen die Leidenschaft. Wenn die Leidenschaft verschwindet, ist Mitgefühl. Mitgefühl ist eure Natur.

Wunschlosigkeit ist, was du bist. Wenn alle Wünsche verschwunden sind und du bleibst allein zurück, entfal- tet sich in dieser schönen Alleinheit, reinen Alleinheit, kristallklaren Alleinheit die Wunschlosigkeit. Nicht einmal eine Spur von Wunsch... kein Ziel, es geht nir- gendwohin.

Dann erlebst du zum ersten Mal das, was Leben ist. Zum ersten Mal bricht dein Gesang aus und breitet sich über die ganze Schöpfung aus. Zum ersten Mal wirst du fähig zu jubeln. Dies ist es, was man Erleuchtung, Nir- vana, nennt. Nirvana kann niemals ein Ziel sein. Wenn du kein Ziel hast, kommt das Nirvana zu dir. Du gehst niemals auf das Nirvana zu. Wenn du nirgendwo hin- gehst, kommt es zu dir. Oder wenn du es in der Sprache der bhaktas, der Anbeter sagen willst, kannst du auch Gott dafür sagen.

Du brauchst nicht auf Gott zuzugehen. Man kann niemals auf Gott zugehen. Wo wolltest du hingehen? Entweder ist er nirgendwo oder er ist überall. Wohin willst du gehen? Man kann Gott nicht zu einem Objekt

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machen. Man kann aus seinem Wunsch keinen Pfeil machen, der auf die Zielscheibe Gott zufliegt. Entwe- der ist Gott überall, dann kannst du ihn nicht zur Ziel- scheibe machen; oder er ist nirgendwo - und auch dann kannst du ihn nicht zur Zielscheibe machen.

Niemand hat Gott je erreicht. Wenn du mit allem Erreichen aufhörst, wenn du den ganzen Unsinn, etwas erreichen zu müssen, fallenläßt, kommt Gott plötzlich zu dir. Und wenn er kommt, kommt er von überallher, aus allen Richtungen. Er dringt einfach durch alle Poren deines Seins in dich ein. Du gelangst nie zu ihm; er kommt immer zu dir.

Wenn Leute zu mir kommen und sagen, daß sie auf der Suche nach Gott sind, sage ich: „Bitte, mach dir nicht diese Mühe. Du bist auf einer sinnlosen Reise. Ruh dich ganz einfach aus, entspanne dich, warte und laß Gott zu dir kommen. Gerade deine Suche wird eine Schranke errichten."

Ein suchender Geist ist ein verspannter Geist, ein suchender Geist ist nicht in Ruhe, ein wünschender Geist ist nicht zu Haus... immer auf Wanderschaft, immer unterwegs nach irgendwohin.

Wenn ich zu dir komme, glaubst du, daß ich dich dort finden werde? Du magst überall sonst sein, du bist immer irgendwo sonst. Wo immer du auch sein magst, du bist nicht da, wo du bist. Wenn du im Tempel sitzt, ist nur deine äußere Erscheinung im Tempel. Du magst auf dem Markt sein, du magst im Geschäft oder in der Fabrik oder im Büro sein. Wenn du in deinem Büro oder in deinem Laden sitzt, ist nur deine Erscheinung da - du bist nur scheinbar da. Deine Gedanken mögen sonstwo sein, die Welt ist groß. Du bist nie, wo du bist. Sei einfach da. Wo immer du bist, sei da. Das ist die Tür zum Göttlichen, und das Göttliche tritt in dich ein.

Nirvana wird zum Alptraum, wenn du es suchst. Und dann ist das Nirvana der größte Alptraum, den es überhaupt gibt.

Wohlstand läßt sich finden, wenn du ihn suchst. Macht, Ansehen läßt sich finden, wenn du es suchst.

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Natürlich, das dauert lange, braucht viel Mühe und ist fast zwecklos, denn wenn du es gefunden hast, findest du dort nichts; aber du kannst es finden. Wenn du wahnsinnig genug bist, kannst du alles mögliche auf der Welt finden, du brauchst nur verrückt genug zu sein... fast wahnsinnig, irre. Dann wirst du gewinnen können, weil niemand sonst mit dir Schritt halten kann - es sei denn, jemand, der noch verrückter ist als du, kommt und will sich mit dir messen.

Du kannst alles mögliche auf der Welt finden, wonach du dich sehnst. Das bringt dir einen Alptraum ein, aber der hat irgendwann ein Ende. Aber Nirvana ist der letzte und endgültige Alptraum. Sobald du anfängst, das Nirvana zu suchen, wird es niemals pas- sieren -weil es von seinem Wesen her so beschaffen ist, daß sein Wesen dich hindert, es zu erreichen.

Wenn ich also sage: „Sei hierjetzt", sage ich damit: „Hilf dem Nirvana, zu dir zu kommen. Mach dir's bequem, warte ab. Früher oder später wirst du sehen - Gott hat angeklopft." Jesus sagt: „Klopfe, und die Tür wird dir aufgetan werden." Ich sage zu euch: "Wartet ihr nur, Gott wird anklopfen. Bleibt ihr nur wach und öffnet die Tür, wenn er klopft." Er klopft schon unun- terbrochen, seit endlosen Zeiten, aber ihr seid nicht da, um zu hören und zu lauschen. Ihr seid nicht da, um die Tür aufzumachen. Der Gast steht ständig an der Tür, aber der Gastgeber ist nicht da.

Sei ein Gastgeber. Genau das meine ich, wenn ich sage: „Sei hierjetzt." Das heißt nichts anderes als: „Sei ein Gastgeber für das Leben. Sei ein Gastgeber für die Schöpfung. Halte dich offen. Und alles wird zu dir kommen. Nichts wird dir vorenthalten werden. Nichts blockiert den Weg außer dein eigenes Wünschen, außer dein ständiges Gerenne, hierhin und dahin. Ruh dich ein wenig aus."

Und wenn ich sage: Ruh dich aus, meine ich: Ruhe dich hierjetzt aus, verschiebe es nicht - denn wer kann sich morgen ausruhen? Und ich werde fortfahren, die Schönheit der Ekstase

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zu singen. Aber mißversteht mich nicht. Ich will euch nicht überzeugen, daß das Nirvana erreicht werden müsse. Es ist kein Ziel, es kann nicht zum Ziel gemacht werden, es kann nicht zum Gegenstand des Wünschens gemacht werden. Es steht offen, du brauchst nur hinzu- sehen. Schau genau hin, das Leben ist ungeheuer schön. Es überschüttet dich von allen Seiten.

Dies nenne ich Meditation. Dies nennt man im Zen Za-Zen - sitz einfach da, in einem unendlichen War- ten, beobachtend, hellwach, nirgendwohin unter- wegs... und das Wunder der Wunder geschieht. Das, was du suchtest, aber nicht finden konntest - plötzlich geschieht es.

Es steckt kein Widerspruch darin, aber dein Ver- stand wird daraus einen Widerspruch machen, denn wenn dein Verstand keinen Widerspruch daraus macht, dann hat der Verstand keine Funktion mehr zu erfüllen. Erst erzeugt er ein Problem, dann versucht er, eine Lösung zu finden. Laß nicht zu, daß der Verstand ein Problem erzeugt, wo keins existiert.

Ich habe von einem Arzt gehört. Ein Mann suchte ihn auf; er litt an einer gewöhnlichen Erkältung. Der Arzt sagte: „Tun Sie folgendes: Die Nacht ist sehr kalt. Um Mitternacht ziehen Sie sich nackt aus und springen in den See." Der Mann sagte: „Sind Sie verrückt? Ich habe schon eine Erkältung, und um Mitternacht wird der See eiskalt sein. Ich werde doppelseitige Lungen- entzündung bekommen." Der Arzt sagte: „Keine Sorge. Ich habe eine todsichere Medizin gegen Lung- enentzündung - aber gegen eine gewöhnliche Erkäl- tung habe ich leider keine. Ich kann Ihnen Heilung garantieren, aber erst müssen Sie meinen Anweisun- gen folgen."

Der Verstand erzeugt immer neue Probleme, und dann liefert er immerzu Lösungen. Habt ihr diesen Unsinn noch nie beobachtet? Schneidet dem Verstand die eigentliche Wurzel ab. Erlaubt ihm nicht, ein Pro- blem zu erzeugen - das ist die Lösung. Denn sonst wird dir der Verstand eine Lösung liefern. Zunächst war das

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Problem schon falsch. Wie kann dann die Lösung rich- tig sein? Wenn du ein falsches Problem löst, wird auch die Lösung falsch sein. Dann kann das endlos so weiter- gehen, und du kommst nie mehr heraus. Dann wird der Verstand in der Lösung wiederum Probleme finden, dann müssen wieder neue Lösungen geliefert werden. Und das geht dann so weiter und immer weiter.

Wenn dein eigener Kopf dir keine Lösung bieten kann, wendest du dich an größere Köpfe. Sie können Lösungen bieten. Ihr geht zu den Philosophen - Leute, die Theorien, Ideologien, Schriften im Kopf haben. Wenn du dir deine Lösung nicht liefern kannst, dann schaust du auf die Experten, dann liefern sie dir eine Lösung.

Aber die Experten haben bis heute noch niemandem helfen können. Fünfzig-Jahrhunderte Geschichte der Philosophie haben noch für kein einziges Problem eine Lösung gefunden, im Gegenteil. Das hat alles nur noch mehr Probleme geschaffen. Schneidet die eigentliche Wurzel durch. Jedesmal, wenn der Verstand ein neues Problem schaffen will, versucht erst herauszufinden, ob der Verstand wieder sein altes Spiel treibt, denn so wie ich es sehe, ist das Leben absolut einfach. Es hat keine Probleme.

Ich will nicht damit sagen, daß das Leben kein Geheimnis wäre, ich will nur sagen, daß das Leben kein Rätsel ist, ihr könnt es nicht lösen.

Das Leben ist ein ungeheures Mysterium - aber sehr einfach. Du kannst es nicht lösen, du kannst es leben, du kannst es genießen, du kannst mit ihm verschmel- zen... und es werden sich Türen über Türen öffnen, und es ist eine endlose Reise von Offenbarungen. Immer größere Offenbarungen erwarten dich... aber es ist kein Rätsel, das gelöst werden könnte. Je tiefer du hineingehst, desto unkennbarer wird es. Je mehr du weißt, desto mehr weißt du, daß du nicht weißt.

Es kommt der Moment, wo alles Wissen sinnlos scheint. Das ist der Moment, wo dein Bewußtsein eine Kehrtwendung macht - von Philosophie zu Religion;

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von sinnlosen, abgestandenen Theorien zu einer fri- schen und ewig lebendigen Quelle des Lebens.

Das Leben ist ein Mysterium. Es kann nicht gelöst werden. Es hat keine Lösung. Es hat keine Antwort. Versuche nicht, es zu lösen. Genau das tut der Ver- stand ununterbrochen - er will etwas lösen. Schneide ihm die Wurzel durch. Jedesmal, wenn der Verstand mit einem Problem ankommt, versuche erst hinzu- schauen - ist da wirklich ein Problem?

Es ist so eine einfache Sache, was ich da gesagt habe. Sei hier jetzt - und die Erleuchtung geschieht dir. Sie ist bereits geschehen; nur hast du es noch nicht erkannt. Es ist sogar schon geschehen, bevor du überhaupt geboren wurdest. Sie geschah gleichzeitig mit deinem Leben. Dein bloßes Dasein ist erleuchtet. Eine einfa- che Wendung nach innen, eine Umkehr... und das Erkennen.

Und das Erkennen ist nur dann möglich, wenn du dich hier jetzt umwendest. Wenn du immer weiter- rennst und die Schatten jagst, dann wirst du nicht die Zeit und den Raum haben, um nach innen zu gehen. Alle Zukunft ist außen, und die Gegenwart ist innen. Die Gegenwart ist nicht Teil der Zeit, die Gegenwart ist Ewigkeit, sie ist jetzt - ewig. Sie ist in deinem Innern. Sobald du dich nach innen kehrst, fängst du zu lachen an.

Es heißt, daß Bodhidharma, als er ankam, zu lachen begann. Ein tiefes Lachen aus vollem Bauch. Er fing an, sich am Boden zu rollen, und die Jünger versam- melten sich und sie sagten: „Was ist passiert? Bist du verückt geworden?" Er sah wirklich wahnsinnig aus. Neun Jahre lang hatte er nur dagesessen, und niemand hatte je ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen. Er war ein sehr strenger und ernster Mensch. Neun Jahre lang schaute er ununterbrochen auf die Wand... ununterbrochen saß er vor der Wand und schaute auf die Wand. Er hatte sich nicht einmal umge- dreht, um zu irgend jemandem zu sprechen. Neun Jahre lang - ein sehr ernster Mensch. Und er hatte sich

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vorgenommen, nicht eher aufzustehen, als bis er wüßte, was Wahrheit ist.

Die Tradition behauptet, daß ihm seine Beine abfie- len. Neun Jahre sind eine lange Zeit. Vielleicht ist es wirklich passiert. Aber darum geht es hier nicht. Eines ist gewiß: Beine stehen symbolisch für Aktivität, Bewe- gung, Verlangen, Aufbruch, Ziel. Beine sind Symbol für all dies. Ganz gewiß verschwanden in jenen neun Jahren alle Ziele. Nichts zog ihn irgendwohin. Alle Motivation, alles Verlangen, irgendetwas zu erreichen, verschwand. Natürlich fielen die Beine ab.

Und dann eines Tages rollt sich dieser Mann plötz- lich lachend am Boden - muß durchgedreht sein. Die Leute müssen gedacht haben, daß man schließlich ver- rückt werden muß, wenn man neun Jahre lang dasitzt und nur auf die Wand starrt. Aber warum lachte er plötzlich? Er lachte über die ganze Absurdität, über das unglaublich Lächerliche daran, daß er alles das, wonach er gesucht hatte, bereits in sich hatte, und daß er es nicht gemerkt hatte.

Dein Schatz ist mit dir. Dein Schatz ist bereits in dir. Ich kann ihn sehen, aber du kannst ihn nicht sehen. Bei mir zu sein, ist lediglich eine Chance für dich, ebenfalls das zu sehen, was ich bereits in dir sehe.

Wenn du zu mir kommst, bist du mir unschätzbar wertvoll. Wenn du zu mir kommst, sehe ich einen Bud- dha kommen. Dir ist das nicht bewußt. Ich möchte mich niederbeugen und dir die Füße berühren... aber das könnte gefährlich für dich werden, und so wider- stehe ich der Versuchung. Du bist schon verrückt genug. Du würdest nur noch verrückter dadurch. Aber das würde ich wirklich am liebsten tun...

Du bist bereits da, wo du gerne wärest und wo du sein möchtest. Du bist erfüllt. Ich kann sehen, daß deine Blume aufgeblüht ist, sie blüht und ist da seit eh und je, aber deine Augen wandern irgendwo anders herum.

Wenn ich also von Erleuchtung spreche, stelle ich nur faktisch fest, was du bist. Ich gebe dir damit kein 54

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Ziel, nach dem du verlangen müßtest. Und dann muß ich dich im gleichen Moment auffordern, hier jetzt zu sein; weil das die einzige Möglichkeit ist, die Blüte dei- nes Seins zu erkennen. Da ist kein Widerspruch. Wenn es dir so vorkommt, schau noch einmal hin. Dein Ver- stand hat dich getäuscht. Schneide dem Verstand die eigentliche Wurzel ab.

Die zweite Frage kommt von einem neuen Sucher, Jim Crossland: Bhagwan, soviel ich weiß, hat bisher kei- ner deiner Jünger die Erleuchtung erlangt. Wie kann ich also den Idealismus, mich auf das Aufgeben meines Egos vorzubereiten, für besser halten als den Idealis- mus, von dem du heute sprachst?

Wer hat dir gesagt, daß keiner meiner Jünger bisher die Erleuchtung erlangt hat? Ich kann keinen einzigen Menschen hier sehen, der sie noch nicht erlangt hätte. Sie sind alle Buddhas, erleuchtete Leute, die sich selbst täuschen, die sich selbst zum Narren halten, die mit sich selbst Blindekuh spielen.

Aber das ist sehr schwer für dich zu erkennen. Solange du noch nicht deine eigene Erleuchtung gese- hen hast, kannst du sie nicht erkennen. Wenn du erst einmal deine eigene Erleuchtung gesehen hast, wird die ganze Welt erleuchtet. Die ganze Welt, sage ich, wird in dem Augenblick erleuchtet, wo du erleuchtet wirst.

Dann weißt du, daß das ihre eigene Wahl ist. Wenn sie sich selber täuschen wollen, ist das vollkommen okay - das ist ihre Freiheit. Wenn sie das Spiel noch ein wenig länger spielen möchten, ist das völlig okay. Warum sollten sie nicht? Ein paar Leben mehr... das müßt ihr selbst entscheiden.

Nicht nur sind meine Jünger erleuchtet - das Leben ist erleuchtet. Diese Bäume... mag sein, daß sie fest schlafen und schnarchen, aber auch sie sind erleuchtet. Seit dem Tag, da ich erleuchtet wurde, habe ich nichts gesehen, das nicht erleuchtet ist. Ich kann nichts ande- res sehen.

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Vergiß also andere. Es ist eine Frage, die nur dich betrifft. Bist du bereit, mit der Täuschung aufzuhören, mit dem Spiel, das du mit dir selber spielst? Nur das allein sollte deine Sorge sein. Mach dir keine Sorgen um andere.

Soviel ich weiß, hat bisher keiner deiner Jünger die Erleuchtung erlangt.

Der Fragesteller muß eine tief verwurzelte Sehn- sucht nach Vollkommenheit haben, ein sehr tief ver- wurzeltes Leistungsdenken. Und so schaut er mit die- sem Leistungsdenken in die Runde - und natürlich kann kein Leistungsorientierter glauben, daß irgendein anderer schon angekommen ist. Selbst daß ich schon angekommen bin, das, zuzugeben, muß ihm schwerge- fallen sein. In Wirklichkeit kann er auch das nicht glau- ben. Aus lauter Höflichkeit billigt er es bei diesem einen Manne - aber sonst bei keinem.

Es ist nur natürlich, wenn es bei dir noch nicht pas- siert ist. Wie könnte es schon bei jemand anderem pas- siert sein, ehe es dir passiert ist? Das würde ungerecht erscheinen. Wenn es schon passieren muß, muß es dir zuerst passieren. So ist das Ego. Das Ego leugnet immerzu.

Aber bitte sei ein bißchen wacher, denn wenn du immer nur alles ableugnest und sagst, daß es anderen noch nicht passiert ist, dann wirst du nach und nach davon überzeugt sein, daß es überhaupt nicht gesche- hen kann, daß es unmöglich ist, und dann verschließt du auch die Türen für deine eigene Erleuchtung. Sobald du akzeptierst, daß es schon einmal jemandem passiert ist, öffnet sich auch für dich die Möglichkeit - daß es auch dir passieren kann.

Schau noch einmal hin. Sieh nochmal nach. Beob- achte die Leute. Komm aus deinem Leistungsdenken heraus und schau dich gut um. Kannst du die Vögel sin- gen hören? Sie sind erleuchtet. Buddhas, die miteinan- der schwätzen. Es kann gar nicht anders sein. Gott ist

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nicht vom Leben zu trennen. Gott ist ein Synonym für Leben. Das Göttliche ist nicht etwas Losgelöstes, das geschieht oder nicht geschieht. Es ist in allem verbor- gen, was ist. In einem Stein, in einem Baum, in einem Vogel... Aber zunächst einmal mußt du es in deinem Inneren erkennen, weil das die dir nächste Realität ist. Sobald du es dort siehst, siehst du es überall. Und das zweite:

Wie kann ich also den Idealismus, mich auf das Auf- geben meines Egos vorzubereiten, für besser halten als den Idealismus, von dem du heute sprachst?

Ich rede nicht davon, daß du dich vorbereiten sollst. Ich lehre keine Vorbereitung. Ich sage einfach: „Schau - das ist das Ego, und es ist der Block, der im Wege liegt. Laß es gleich jetzt fallen!" Wer sagt hierzu dir, du sollst dich darauf vorbereiten?

Wenn du dich vorbereitest, dann wirst du dich auf immer und ewig vorbereiten. Hast du nicht schon lange genug gelebt? Bist du nicht schon Millionen von Malen hiergewesen?

Du hast dich wiederholt wie ein Kreis, wie ein Rad... dich wieder und wieder gedreht - das gleiche Rad. Geburt, Jugend, Alter, Tod, wiederum Geburt. So bewegt es sich weiter.

Wenn ich davon rede, das Ego fallenzulassen, sage ich nicht, du sollst dich darauf vorbereiten. Wenn du jetzt noch nicht vorbereitet bist, wann willst du dann vorbereitet sein? Genug ist genug! Laß es jetzt sofort fallen! Entweder läßt du es jetzt sofort fallen, oder du läßt es nicht fallen, aber halte niemanden zum Narren, daß du dich etwa vorbereitest. Vorbereitung ist ein Trick, mit dem du andere täuschst, und noch gründli- cher dich selbst - „Ich bereite mich vor, eines Tages werde ich das Ego fallenlassen". Aber warum vorberei- ten, und warum eines Tages? Warum nicht heute? Wenn du die Tatsache erkannt hast, warum nicht gleich? Wenn dir eine Schlange über den Weg läuft, berei-

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test du dann deinen Sprung vor? Du springst einfach aus dem Weg. Du sagst nicht: „Wie kann ich jetzt gleich springen? Ich sehe die Schlange, ich sehe die Gefahr, ich sehe den Tod vor mir stehen, aber wie soll ich jetzt sofort springen können? Dazu gehört Vorbereitung. Dazu gehört Übung. Erst will ich mich vorbereiten und dann will ich springen."

Nein, dein Verstand steht einfach still, wenn du eine Schlange auf dem Weg siehst. Der Verstand hat keinen Raum zu denken, keine Zeit zu verschwenden. Erst springst du, und später denkst du. Dann kannst du soviel denken, wie du willst. Aber erst springst du. Was ich euch zeige, ist: Die Schlange ist nicht so gefährlich wie euer Ego. Euer Ego ist die wahre Schlange.

In der christlichen Parabel von Adam und Eva und der Schlange ist die Schlange niemand anderes als das Ego. Schlange ist symbolisch, weil Schlange sehr schlau ist - Ego ist sehr schlau. Und Schlange ist sehr schlü- pfrig - und Ego ist sehr schlüpfrig. Und Schlange bewegt sich ohne Beine - und das Ego bewegt sich ebenfalls ohne Beine. Es ist ein Wunder. Tatsächlich müßte sich die Schlange gar nicht bewegen können. Es ist ein Wunder - ohne Beine bewegt sie sich. Das Ego ist nicht da, und es bewegt sich doch. In dem christlichen Gleichnis überzeugte die Schlange Eva, daß der Baum der Erkenntnis eine Kostprobe wert ist: „Gott hat es verboten, weil er nicht will, daß ihr wissend werdet; er will nicht, daß ihr weise werdet, so wie er. Er ist eifer- süchtig. Wenn ihr genauso weise werdet wie er, wer wird ihn dann noch anbeten? Er will, daß ihr unwissend bleibt, damit ihr abhängig bleibt." Genau das tut auch das Ego. Das Ego überzeugte Eva. Eva überzeugte Adam. Warum durch Eva? Das will verstanden sein.

Der weibliche Geist neigt eher dazu, egoistisch zu sein. Der Grund ist, daß es dem weiblichen Geist an Ego fehlt. Der männliche Geist ist schon egoistisch, aber dem weiblichen Geist mangelt es an Ego - er ist eher passiv, nicht aktiv, nicht aggressiv. Der männliche Geist ist bereits aggressiv, der männliche Geist ist

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bereits egoistisch. Er ist bereits nach außen gerichtet. Dem männlichen Geist mangelt es nicht daran.

Immer, wenn euch etwas anzieht, zieht es euch nur dann an, wenn es euch fehlt. Du siehst jemanden, der schön ist. Wenn du häßlich bist, zieht es dich an. Du siehst jemanden, der stark ist. Und wenn du schwach bist, zieht es an. Die Anziehungskraft geht immer vom Gegensatz aus, von dem, was nicht ist. Ein armer Mann wird vom Reichtum angezogen, die wirklich Reichen sind diejenigen, die auf Reichtum verzichten. Ein armer Mann kann auf Reichtum nicht verzichten.

Der weibliche Geist ist nicht egoistisch. Er ist hinge- bungsvoller, empfänglicher, daher die Anziehungs- kraft. Und so hat der Trick funktioniert. Und sobald die weibliche Seite überzeugt ist, ist es sehr schwer für die männliche Seite, nicht zu folgen. Der Mann ist seit eh und je ein Gefolgsmann der Frau. Was immer der äußere Schein auch sagen mag... er versucht zu zeigen, daß er der Herr im Hause ist - aber das auch nur, weil ihm das fehlt. Er mag der Herr in der Welt sein, aber im Augenblick, wo er nach Hause kommt, ist er nicht mehr der Herr. Zuhause hat die Frau das Heft in der Hand. Selbst ein Napoleon oder ein Alexander der Große ist niemand vor der Ehefrau. Selbst ein Napo- leon wird zum Feigling.

Der männliche Geist folgt dem weiblichen Geist. Sobald das Ego den weiblichen Geist überzeugt hatte, mußte Adam früher oder später folgen. Die Schlange ist das alte Symbol für Ego.

Was ich euch zeige, ist die wirkliche Schlange auf eurem Weg. Diese Schlange hat euch davon überzeugt, die Frucht der Erkenntnis zu essen, und alle Religion ist nichts anderes als ein Zurückgehen, als ein Verler- nen. Religion ist nichts als ein Erbrechen von angelern- tem Wissen. Was tat Adam? - Er aß die Frucht der Erkenntnis. Christus erbrach die gleiche Frucht. Adam entfernte sich weit von der göttlichen Quelle, vom Gar- ten Eden, von Gottes Garten. Jesus betrat ihn wieder. Wenn ich sage, daß das Ego giftig ist, stelle ich nur

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eine Tatsache fest. Ich sage nicht, daß ihr euch darauf vorbereiten sollt, es fallenzulassen. Ich sage lediglich, wenn ihr mich versteht, wird es jetzt im Augenblick fal- lengelassen. Nicht einmal ein einziger Augenblick darf verschwendet werden. Sobald du verstehst, worum es geht, fällt das Ego schon durch das bloße Verstehen. Wenn es nicht durch Verstehen gefallen ist, dann hast du nicht verstanden, worum es geht. Dann machst du dir nur etwas vor. Dann glaubst du nur, verstanden zu haben, hast aber nicht verstanden.

Der witzigste Witz, den ich jemals im Radio gehört habe, bestand aus nichts weiter als Schweigen. Wäh- rend einer seiner Unterhaltungssendungen wurde Jack Benny, der berühmt dafür war, der geizigste Mann auf der Welt zu sein (jedenfalls hatte er dieses Image von sich aufgebaut), von einem Dieb bedroht, der sagte: „Geld oder Leben." Darauf folgte eine ständig länger werdende Pause, und nach und nach begann das Publi- kum, das allmählich begriff, immer lauter und lauter zu lachen. Am Ende sagte der Dieb, damit auch diejeni- gen, die schwer von Begriff waren, die Pointe verstan- den: „Was denn nun? Geld oder Leben?" Worauf Mr. Benny antwortete: „Ich überleg ja schon, ich überleg ja schon."

Geld oder Leben? Wenn das Leben weg ist, was willst du dann noch mit deinem Geld machen? Wenn du mich verstanden hast, dann ist mit diesem bloßen Verstehen das Ego gefallen. Nicht, daß du es fallen läßt. Wie kannst du es fallenlassen? Du mußt dabei fal- lengelassen werden. Wie kannst du es fallenlassen? Es wird einfach fallengelassen. Plötzlich bist du nicht mehr da. Eine vollkommen andere Energiequalität steigt in dir auf, die bisher vom Ego blockiert wurde.

Ja, du bist da und doch bist du nicht da. Eine sehr merkwürdige Erfahrung... die allermerkwürdigste überhaupt. Du bist du und doch bist du nicht du. Wie kannst du es fallenlassen? Wenn du es fallenläßt, wird der, der es fallenläßt, in dir bleiben. Das Ego hat dich getäuscht. Es fällt. Einmal verstanden, fällt es.

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Eine Vorbereitung kommt nicht in Frage. Ich sage nicht, ihr solltet euch vorbereiten, es fallenzulassen. Wenn ihr euch vorbereitet, es fallenzulassen, mögt ihr demütig und immer noch demütiger werden, aber dann wird sich das Ego hinter eurer Demut verstecken. Dann werdet ihr anfangen zu denken: „Ich bin der allerdemütigste Mensch von der Welt. Ich bin der demütigste Mensch überhaupt." Das Ich bin bleibt immer das gleiche.

Das Ego kann fromm werden, es kann religiös wer- den. Das Ego kann heilig werden - aber das macht kei- nerlei Unterschied. Wenn Gift fromm wird, macht das keinen Unterschied. Ein geläutertes Gift mag höch- stens noch giftiger werden, und ein geläutertes Ego ist ganz gewiß giftiger als ein gewöhnliches Ego.

Seht euch die religiösen Menschen an: Sie haben ein sehr subtiles Ego, sehr poliert, gepflegt, verfeinert. Es ist sehr schwer einzufangen, es ist noch glatter als gewöhnliche Egos, noch subtiler in seinen Methoden, noch schlauer in seinen Täuschungsmanövern... besser geschützt, besser abgesichert. Selbst euer Reden von Gott mag nichts als ein Versteck für es sein.

Nein, ihr könnt es nicht fallenlassen. Einmal ver- standen, fällt es von selbst. Plötzlich seht ihr, wie es euch aus den Händen entschlüpft. Es ist nicht nötig, es fallenzulassen; einfach nur, indem ihr nicht mehr an ihm festhaltet, fällt es. Im Nichtfesthalten fällt es. Und wenn du verstehst, daß du eine giftige Schlange fest- hältst, mußt du dich da erst groß vorbereiten? Nein. Ich rede nicht von Vorbereitung. Wenn du es verstanden hast, laß es los. Wenn du es nicht verstanden hast, dann bereite dich bitte nicht vor. Dann ist es besser so wie es ist. Verziere es nicht. Das würde es nur ornamentaler machen, blumiger machen, und es wäre dann noch schwerer, es fallenzulassen. Es würde noch wertvoller werden.

Ein Mann von Charakter hat mehr Schwierigkeiten, sein Ego fallenzulassen als ein Mann, der charakterlos ist. Ein Mann, der moralisch ist, hat mehr Schwierig-

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keiten, sein Ego fallenzulassen als ein unmoralischer Mann. Das Ego des unmoralischen Menschen ist bereits verwundet, krank. Das Ego des moralischen Mannes ist mit Orden verziert, das Ego des morali- schen Mannes zahlt sich immer noch aus, das Ego des moralischen Mannes gleicht mehr einer Blume und weniger einem Dorn. Es ist schwerer, es fallenzulassen.

Es ist vorgekommen - es scheint paradox, aber es ist oft genug vorgekommen -, daß Sünder leichter zu Gott gelangt sind als sogenannte Heilige. Natürlich wird nicht viel Notiz davon genommen, weil alle Chroniken von den Heiligen gemacht worden sind. Sünder haben sich nicht die Mühe gemacht, Aufzeichnungen und Geschichte und dieses und jenes zu machen.

Ein Rabbi starb - ein sehr religiöser, sehr morali- scher, moralistischer Mann - und am gleichen Tag starb auch ein Sünder. Der Rabbi konnte es nicht glauben - er wurde in die Hölle geschickt! Da schlug er Lärm und sagte: „Was soll das heißen? Ich, ein Heiliger, und werde in die Hölle geschickt? Und dieser Sünder, den ich mein ganzes Leben lang gekannt habe - er wohnte ja genau gegenüber von der Synagoge - der wird in den Himmel gelassen? Da muß irgendwo ein Fehler unter- laufen sein."

Er machte solchen Lärm, daß sie beide Gott vorge- stellt wurden. Und der Rabbi sagte: „Du weißt sehr wohl, daß ich mein ganzes Leben lang immer nur gebe- tet habe und deinen Namen ständig wiederholt habe. Und dieser Mann hat nie gebetet und er ist nie im Tem- pel gewesen und hat alle erdenklichen Sünden began- gen - er war der allerunmoralischste Mann in der Stadt - und er bekommt den Himmel und ich werde in die Hölle geschickt! Das ist ungerecht. Bitte erkläre das."

Gott sagte: „Ja, ich weiß. Aber er hat mir nie in den Ohren gelegen. Du hast mir ständig in den Ohren gele- gen. Selbst nachts war es kaum möglich zu schlafen, weil du mich ständig beim Namen riefst."

Unschuld ist nötig - und Unschuld ist, wo das Ego verschwunden ist. Einfachheit ist nötig - und Einfach-

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heit ist nichts Kultiviertes. Wenn alle Kultiviertheiten verschwinden, alle Kompliziertheiten verschwinden, wird man einfach. Man mag zum Tempel gehen oder auch nicht - es ist egal. Man mag beten, man mag nicht beten - es ist irrelevant.

Aber Unschuld, Einfachheit, eine tiefe Hingabe..., daß man kein Macher mehr ist, daß man sich nicht mehr als Ich versteht, man hat dieses Ich weggegeben, man ist nicht mehr wie eine Insel, man ist Teil des Fest- landes geworden, des Kontinents. Man hat gesagt: „Möge das Ganze leben, ich verschwinde darin..." Dann tu, was immer geschieht, und es ist richtig. Laß das Ganze durch dich leben, und es ist moralisch.

Moral ist nicht etwas, das du tun und üben mußt. Es ist..., wie wenn du verschwindest, und das Ganze darf durch dich hindurch existieren, wenn du mit dem Fluß mitschwimmst, wenn du nicht gegen den Strom schwimmst.

Vergiß das nicht. Wenn du verstanden hast, dann schau zu, wie dir dein Ego entschlüpft. Klammere dich nicht daran, das ist alles. Laß zu, daß es fällt und in Scherben zerbricht.

Ich kannte einmal einen Mann. Er ist Professor, ein sehr gelehrter Mann. Er suchte mich einmal auf. Er war sehr traurig, und so fragte ich ihn: „Sie sehen sehr depremiert aus. Was ist los?" Er sagte: „Mein Psychia- ter sagt, daß ich in meinen Regenschirm verliebt bin und daß das die Wurzel all meiner Probleme sei." - „In Ihren Regenschirm verliebt?" Ich war etwas über- rascht. „Ja", sagte er „ist das nicht lächerlich? Ich mag und achte meinen Regenschirm und genieße seine Gesellschaft, aber Liebe?..." Ihr mögt nicht glauben, daß ihr euer Ego liebt, aber ihr liebt es. Ihr könnt sagen: „Ich mag und achte mei- nen Regenschirm und genieße seine Gesellschaft, aber Liebe?" - Aber einfach nur Worte auszutauschen macht keinen großen Unterschied. Ihr liebt es. Es mag euch noch soviel Unglück bringen, trotzdem liebt ihr es. Es mag noch soviel Probleme erzeugen, trotzdem

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liebt ihr es. Trotz all der Höllen, die das Ego erzeugt, liebt ihr es immer weiter.

Und wenn ihr zu mir kommt und fragt, wie ihr es fal- lenlassen könnt, bin ich einfach überrascht, kann ich es nicht glauben. Wenn euch das Ego selbst noch nicht durch die vielen Höllen und das Unglück, das es euch beschert hat, davon überzeugt hat, daß es nicht lohnt, daran festzuhalten, dann kann niemand euch überzeu- gen. Das Ego hat alles getan, was man tun kann, um euch zu schaden, um euch zu verletzen. Es ist wie ein Krebs. Ihr sterbt daran - aber trotzdem klammert ihr euch daran fest. Dafür muß es irgendeinen tiefsitzen- den Grund geben.

Der tiefsitzende Grund ist der, daß ihr Angst davor habt, nicht zu sein. Wenn das Ego fort ist, dann bist du fort. Wenn das Ego fort ist, sieht es aus wie der Tod - der letzte Tod, der endgültige Tod. Die Angst vor dem Nicht-Sein zwingt dich, am Ego festzuhalten. Zumin- dest.. . mag sein, daß es Unglück schafft, aber du bist. Wenigstens bist du.

Du möchtest lieber leiden als nicht sein. Das ist das Problem. Du möchtest lieber in der Hölle als nicht sein. Wenigstens bist du. Wenn dies die beiden Alternativen sind, die du hast: Entweder daß du verschwindest oder daß du ewig in der Hölle lebst, dann überleg einmal - und du wirst dich für die Hölle entscheiden. „Wenig- stens werde ich da sein. Aber dieses endgültige Ver- schwinden, dies völlige Nicht-Sein?..."

Genau das meint Buddha, wenn er Nirvana sagt. Er sagt: „Entscheide dich bewußt für das Nichtsein; nur dann wirst du in der Lage sein, das Ego fallenzulassen." Genau das meine ich, wenn ich immerzu die Schönhei- ten der Ekstase preise... die Seligkeit, die Segnungen der Erleuchtung. Ich will damit eine Situation herstel- len, in der man sich für das Nichtsein entscheiden kann. Nicht zu sein ist der allerschönste Augenblick. Buddha nannte es anatta, Nicht-Sein. Er ließ das alte Wort atma fallen - das Selbst. Er benutzte das entgegengesetzte Wort, Nicht-Selbst. Er sagt: „Wenn du zu deinem 64

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Selbst kommst, wirst du zu deinem Nicht-Selbst kom- men. Dort nämlich findest du keinerlei Selbst mehr."

Viele flohen vor ihm, weil sie sagten: „Wir sind hier- hergekommen, um unser Selbst zu erkennen, um wir selbst zu sein. Wir sind hergekommen, um kristalli- sierte Wesen zu werden, und du lehrst das Nicht-Sein." Viele flohen vor ihm.

Und dieses Land, ein sehr religiöses Land - wenig- stens nach außen hin - hat Buddha völlig vergessen. Buddha wurde hier geboren, aber er konnte hier keine Wurzeln schlagen. Nur dies eine Wort: anatta, Nicht- Selbst, schuf das ganze Problem. Hätte er vom Selbst, vom atma, gesprochen, hätte es keine Probleme gege- ben, und viele wären ihm gefolgt, weil sich hinter dem Wort atma, Selbst, das Ego weiter verstecken kann.

Buddha versuchte, das Problem bei der Wurzel zu packen. Er sagte: „Werdet bewußt! Diese Vorstellung, daß ihr seid, ist euer ganzes Problem und euer ganzes Elend. Macht euch nicht diese ganze Mühe, zu sein. Akzeptiert euer Nicht-Sein - und alle Segnungen sind eure." Mit diesem Problem habt auch ihr es zu tun. Das Ego ist nicht das Problem. Das wirkliche Problem ist Sein oder Nicht-Sein.

Und meine ganze Lehre ist, nicht zu sein, weil das die einzige Möglichkeit von Sein ist, die einzige Mög- lichkeit von authentischem Sein. Paradox, aber so ist es: Je mehr du glaubst, daß du bist, desto weniger bist du. Laßt mich versuchen, es euch zu erklären. Habt ihr es schon beobachtet? Wenn ihr Kopfschmerzen habt, nur dann habt ihr einen Kopf. Mit Kopfschmerz kommt Kopf. Wenn Kopfschmerz verschwindet, verschwindet auch Kopf. Wenn ihr euren Kopf ständig fühlt, bedeu- tet das, daß ihr irgendeine Art von Kopfschmerz mehr oder weniger mitschleppt. Aber ein Kopfschmerz muß da sein; denn nur dann spürt man den Kopf. Wenn der Kopf völlig gesund ist, spürt man ihn überhaupt nicht. Er wird zu Nicht-Sein. Wenn du krank bist, fühlst du den Körper. Wenn du gesund bist, spürst du den Kör-

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per überhaupt nicht. Das ist das Kriterium für einen gesunden Körper: daß der Körper überhaupt nicht gespürt wird. Man wird vollständig körperlos - dann ist man gesund.

Wenn Gesundheit da ist, ist nichts da - nicht einmal das Bewußtsein der Gesundheit; denn auch das gehört nur zu einem kranken Menschen. Ihr werdet sicher viele Leute kennen, Hypochonder, die ständig von Gesundheit und Medizin und diesem und jenem spre- chen. Nicht, daß sie gesund sind - schon daß sie davon reden, zeigt, daß sie nicht gesund sind. Ein gesunder Mensch macht sich darüber keine Gedanken.

Ich las über das Leben von Martin Luther, dem Gründer des protestantischen Christentums. Sein gan- zes Leben lang machte er sich ständig Gedanken über seine Verstopfung. Ich glaube nicht, daß er gebetet hat, wenn er betete. Er dachte über Verstopfung nach... Er war ständig damit beschäftigt - der Magen, die Ver- stopfung, der Stuhlgang. Und es heißt, er hätte sein erstes satori auf dem Klo bekommen. Und so muß es gewesen sein. Es kann gar nicht anders gewesen sein. Er kann unmöglich ein gesunder Mensch gewesen sein. Nicht nur war er nicht gesund; ich kann mir nicht vor- stellen, daß er überhaupt spirituell war. Man kann dau- ernd krank sein, aber es ist deshalb nicht nötig, dau- ernd darüber nachzudenken. Man muß nicht viel Umstände deswegen machen und ständig darüber brü- ten. Er war allzu körperorientiert. Und er muß ein gro- ßes Leistungsbewußtsein besessen haben, weil alle Menschen, die allzusehr in der Zukunft sind, in der Gegenwart Verstopfung bekommen. Verstopfung ist eine sehr spirituelle Krankheit. Leute, die allzu ehrgei- zig sind, leiden immer an Verstopfung. Ihr könnt kei- nen Politiker finden, der nicht Verstopfung hätte. Weil sein Geist so verspannt ist, kann er seinen Verdauungs- trakt nicht entspannen. Alles wird zurückgehalten. Wenn du wirklich gesund bist, vergißt du den Körper.

Wenn du wirklich da bist, vergißt du das Ego. Wenn man völlig ist, gibt es kein Ich-, das Ich taucht gar nicht

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erst auf. Es gibt ein Bin, aber es gibt kein Ich. Das Bin ist unendlich. Es hat keine Grenzen. Das Ich ist klein wie ein Atom, ein geschrumpftes Etwas, ein verstopf- tes Etwas, ein krankes, verseuchtes Etwas. Bereite dich darauf vor - nicht etwa das Ego fallenzulassen, sondern bereite dich darauf vor, jetzt gleich, nicht in der Zukunft - mach keine Pläne - zu verstehen.

Und was für eine Vorbereitung braucht man zum Verstehen? Mußt du da erst viele yogasanas, Yogastel- lungen machen, um zu verstehen? Mußt du erst sound- soviele Jahre Kopfstand machen, um zu verstehen? Um zu verstehen ist nur eines nötig: richtiges Zuhören, sonst nichts. Bitte hör genau zu, was ich dir sage. Hör einfach nur auf das, was ich dir sage. Wenn du darauf hören kannst, geschieht im bloßen Zuhören das Sehen; du wirst eine andere Sicht bekommen. In dieser Sicht liegt die Transformation. Bhagwan, Wu-Wei und der Weg des Herzens - wie hän- gen die zusammen?

Sie hängen nicht zusammen, sie sind ein und das- selbe, einfach zwei Arten, das gleiche zu sagen. Wu- Wei bedeutet Handeln ohne zu handeln. Es bedeutet Tun ohne zu tun. Es bedeutet, das zuzulassen, was geschehen will. Tu es nicht, erlaube ihm zu geschehen. Und genau das ist der Weg des Herzens.

Der Weg des Herzens bedeutet der Weg der Liebe. Kannst du Liebe tun? Es ist unmöglich, Liebe zu tun. Du kannst in Liebe sein, aber nicht Liebe tun. Aber wir benutzen immerzu Wendungen wie Liebe machen, und das ist einfach dumm. Wie kann man Liebe machen? Wenn Liebe da ist, bist du nicht da. Wenn Liebe da ist, ist der Manipulator, der Macher, nicht da. Liebe läßt kein Manöver deinerseits zu. Sie geschieht plötzlich, aus heiterem Himmel. Sie ist ein Geschenk. Ebenso wie das Leben ein Geschenk ist, ist Liebe ein Geschenk.

Der Weg des Herzens oder der Weg der Liebe oder der Weg von Wu-Wei, sie alle sind das gleiche. Sie

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bestehen darauf, daß der Macher aufgegeben wird, vergessen wird, und daß du dein Leben nicht als ein Manipulator zu leben hast, sondern dein Leben als Strom des Unbekannten nehmen sollst. Schwimme nicht gegen den Strom und treibe den Fluß nicht an.

Fließe mit dem Fluß. Der Fluß fließt schon zum Meer. Sei du nur eins mit dem Fluß, und er wird dich zum Meer bringen. Selbst schwimmen ist unnötig. Ent- spann dich... und laß dich vom Fluß mitnehmen. Ent- spann dich... und laß Gott von dir Besitz ergreifen. Entspann dich und laß das Ganze deinen Teil aufneh- men.

Tun heißt: Das Einzelne will etwas gegen das Ganze ausrichten. Das Einzelne will seinen eigenen Willen gegen das Ganze durchsetzen. Wu-wei bedeutet: Das Einzelne hat begriffen, daß es nur ein Teil ist, und hat allen Kampf aufgegeben. Jetzt tut das Ganze, und der Teil freut sich. Das Ganze tanzt, und der Teil tanzt mit ihm. In Einklang zu sein mit dem Ganzen, im gleichen Takt zu sein mit dem Ganzen, in einer orgasmisch tie- fen Beziehung zu sein mit dem Ganzen, das ist die Bedeutung von Wu-Wei, und das ist die Bedeutung von Liebe.

Darum sagt Jesus: „Gott ist Liebe." Er zieht eine Parallele, weil es im Leben des Menschen nichts außer der Liebe gibt, was Gott nahe käme. Hört gut zu. Ihr wurdet geboren. Aber damals wart ihr noch überhaupt nicht bewußt. Es geschah von allein, aber es ist bereits geschehen; jetzt läßt sich da nichts dran machen. Ihr werdet sterben, irgendwann in der Zukunft wird es geschehen. Und jetzt im Augenblick seid ihr lebendig. Die Geburt ist bereits geschehen, der Tod muß noch geschehen. Zwischen diesen beiden gibt es nur eine Möglichkeit: Liebe.

Dies sind die drei grundsätzlichen Dinge: Geburt, Liebe, Tod. Sie alle geschehen von selbst. Aber die Geburt ist schon geschehen. Jetzt könnt ihr sie euch nicht mehr bewußt machen. Und der Tod steht noch aus - wie könntet ihr ihn euch jetzt schon bewußt

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machen? Liebe ist die einzige Möglichkeit zwischen den beiden, die jetzt im Augenblick besteht. Macht sie euch bewußt und seht, wie sie von allein geschieht.

Sie hat nichts mit dir zu tun. Du tust überhaupt nichts dazu. Plötzlich, eines Tages, spürst du, wie eine Ener- gie aufsteigt, dem Unbekannten ausgeliefert..., der Gott der Liebe hat angeklopft. Plötzlich bist du nicht mehr derselbe. Der Stumpfsinn ist verschwunden. Die Schäbigkeit ist verschwunden, die Abgestandenheit ist verschwunden. Plötzlich bist du nicht mehr derselbe - auf dem Gipfel! Die Täler sind vergessen, die dunklen Täler, die Sonne bricht durch - der Gipfel! Hast du irgend etwas dazu beigetragen?

Die Leute predigen ständig die Liebe. Aufgrund die- ser Predigten ist die Liebe unmöglich geworden. Die Mutter schärft dem Kind ein: „Liebe mich. Ich bin deine Mutter." Wie soll das Kind sie da lieben? Das Kind kann einfach nicht glauben, was da von ihm ver- langt wird und wie es das machen soll. Aber die Mutter besteht immer weiter darauf. Der Vater pocht auf sein Recht: „Wenn ich nach Hause komme, erwarte ich Liebe." Nach und nach wird das Kind zum Politiker. Es fängt an mit der Politik der Liebe - die alles andere ist als Liebe. Es fängt an, sich zu verstellen. Es wird verlo- gen. Es lächelt, wenn die Mutter näher kommt, und die Mutter hat das Gefühl: „Es liebt mich."

Das Kind muß das alles tun, weil es von ihnen abhän- gig ist, weil sein Überleben davon abhängt. Es ist hilf- los. Es wird zum Diplomaten. Es empfindet keine Liebe, muß sie aber vortäuschen. Und nach und nach schleicht sich das Vortäuschen falscher Tatsachen so tief ein, daß es sein ganzes Leben lang nur noch etwas vortäuscht. Dann liebt er eine Frau, weil er sie geheira- tet hat; dann liebt sie einen Mann, weil sie ihn geheira- tet hat. Man muß lieben, Liebe wird zur Pflicht. Kann man sich etwas Absurderes vorstellen? Liebe wird zur Pflicht; man muß es tun. Sie ist ein Gebot. Man hat es zu erfüllen. Sie ist eine Verantwortung. Nun, die wahre Liebe wird einem solchen Men-

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sehen, einem so konditionierten Menschen niemals geschehen, weil Liebe immer nur von selbst geschieht. Sie ergreift spontan von dir Besitz. Plötzlich, aus dem Nirgendwo, kommt die Liebe zu dir. Der Pfeil kommt angeflogen, trifft das Herz, du fühlst den Schmerz, den süßen Schmerz, aber du weißt nicht, von wo und wie er kommt. Die Liebe bleibt immer in den Händen Gottes. Sie geschieht von allein.

Erst kürzlich las ich eine Anekdote: Friedrich Wil- helm, der im frühen 18. Jahrhundert König von Preu- ßen war, war ein fetter und exzentrischer Mann, der nichts vorn Hofzeremoniell hielt. Er ging ohne Beglei- tung durch die Straßen Berlins, und wenn ihm jemand mißfiel - und das geschah sehr leicht - zögerte er nicht, seinen kräftigen Spazierstock als Keule zu benutzen. Der König - und benahm sich so! Kein Wunder also, daß die Berliner, sobald sie ihn sahen, sich dezent unsichtbar machten. Die Straßen waren leer. Sobald sie sahen, daß er anrückte, flohen sie nach allen Seiten.

Einmal jedoch kam Friedrich Wilhelm eine Straße heruntergestapft, und einem Bürger gelang es nicht mehr, sich rechtzeitig in einen Hauseingang zu flüch- ten. „Er!", rief Friedrich Wilhelm laut. „Wo geht Er hin?" - „In dies Haus, Eure Majestät", sagte der Bür- ger schlotternd. „Ist dies Sein Haus?" - „Nein, Eure Majestät." - „Das Haus eines Freundes?" - „Nein, Eure Majestät." - „Warum betritt Er es dann?"

Und der arme Bürger, der schon fürchtete, des Diebstahls beschuldigt zu werden, wußte nichts weiter zu sagen als die Wahrheit: „Um Euch aus dem Weg zu gehen, Majestät." Friedrich Wilhelm runzelte die Stirn: „Mir aus dem Weg zu gehen? Warum?" - „Weil ich euch fürchte, Eure Majestät." Friedrich Wilhelm lief sofort rot an, hob seine Keule und ließ sie auf die Schulter des anderen niedersausen mit dem Ausruf: „Er soll mich nicht fürchten, er soll mich lieben. Liebe er mich, Schurke, liebe er mich!"

Aber wie soll man lieben? Liebe kann keine Pflicht sein. Man kann von niemandem erwarten, daß er liebt.

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Man kann niemandem befehlen, daß er liebt. Man kann von niemandem fordern, daß er liebt. Wenn es passiert, passiert es, wenn es nicht passiert, passiert es nicht. Die bloße Vorstellung, daß man daran etwas dre- hen kann, hat eine Situation geschaffen, in der den mei- sten Menschen die Liebe überhaupt nicht mehr begeg- net. Nur noch ganz selten geschieht sie irgend jeman- dem. Sie ist so selten wie Gott, weil Gott Liebe ist... weil Liebe Gott ist.

Wenn du offen bist für die Liebe, wirst du auch offen sein für Gott. Sie sind das gleiche. Liebe ist der Anfang und Gott ist das Ende. Liebe ist die Schwelle zum Tem- pel Gottes. Der Weg der Liebe oder der Weg des Her- zens heißt nur, daß nichts in deinen Händen ist. Ver- schwende nicht deine Zeit. Das Ganze kümmert sich schon um sich selbst. Du aber bitte entspanne dich. Du erlaube dem Ganzen, dich unter seine Regie zu neh- men. Ich weiß nicht, wie es geschehen ist, aber nun bin ich hier bei dir. Was hat mich zu dir hingedrängt — eine Suche nach etwas? Aber nicht einmal das weiß ich. Ist das idea- listisch? Verbirgt sich dahinter irgendeine Erwartung?

Mach dir keine Gedanken. Es braucht gar kein Grund da zu sein. Es braucht keine Motivation da zu sein. Es kann einfach ohne jeden Grund geschehen. Und wenn es einfach nur geschieht, ist es von ungeheu- rer Schönheit. Dann hat es seine eigene Anmut. Wenn du zu mir gekommen bist, weil du nach etwas Bestimm- tem suchst, dann wirst du mich benützen, dann bin ich dir ein Mittel zu irgendeinem anderen Zweck, und damit wirst du mich verfehlen. Wenn du mit irgendei- ner Motivation gekommen bist, wird sich genau diese Motivation als Schranke zwischen dich und mich stel- len. Warum sich also Gedanken machen? Du bist hier, ich bin hier, das genügt.

Laß uns begegnen und verschmelzen. Laß uns in einer solchen Weise Zusammensein, daß du von etwas kosten kannst, das hier direkt vor dir ist... daß du ein

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wenig von mir essen, ein wenig von mir trinken kannst. Du brauchst nach keinem Grund zu suchen, warum du hier bist. Schon diese Suche nach Gründen ist verstan- desorientiert. Hör auf damit. Du bist hier, das genügt. Verschwende nicht diese Zeit, sonst wirst du später, wenn du nicht mehr hier bist, denken: „Ich war da und ich habe es verfehlt. Warum konnte ich jenen Augen- blick nicht genießen? Warum konnte ich jenen Augen- blick nicht feiern?"

Zu mir kam einmal ein Mann und sagte: „Ich fühle mich sehr zu Buddha hingezogen, und ich meine immer, daß wenn ich zu Buddhas Zeiten hiergewesen wäre, dann wäre ich bestimmt zu seinen Füßen gegan- gen und hätte mich ihm ergeben."

Er saß hier gleich neben mir, fast eingeschlafen. Ich schüttelte seinen Kopf und sagte ihm: „Was redest du da? Ich weiß, daß du damals da warst. Ich habe dich da gesehen. Aber damals hast du von irgendwelchen anderen Buddhas geredet und gesagt: ,Hätte ich doch nur zu Zeiten eines vergangenen Buddha gelebt...'" Selbst da verstand er noch nicht. Ich mußte ihn noch einmal schütteln und sagte: „Schau mich an. Ich bin hier. Sag ja nicht in zweitausend Jahren, daß du dich ergeben hättest, wenn du bei mir gewesen wärst." Er sagte: „Ich will es mir überlegen."

Willst du auch erst überlegen? Es kann geschehen. Es kann gleich jetzt passieren, wenn du es zuläßt. Alles Denken ist Aufschub. Mach dir keine Gedanken, warum du hier bist. Du bist hier. Sei dankbar. Laß dir diese Chance nicht entgehen, indem du dir Gedanken machst. Feiere diesen Augenblick. Wenn du diesen Augenblick feiern kannst, wirst auch du so werden wie ich bin. Wenn du diesen Augenblick feiern kannst, wirst du durch dieses Feiern zu dem gelangen, was bereits erlangt ist. Du wirst das erreichen, was bereits erreicht ist. Du wirst deinem eigenen verborgenen Schatz begegnen.

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Kapitel 3

Spieler in einem Spiel 13. Februar 1976

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Die Ruhe des Meisters brachte den Samurai derart in Wut,

daß er Muso mit seinem eisernen Fächer auf den Kopf schlug,

so daß er blutete.

Musos Schüler hatte nun genug, und da er ein kräftiger Mann war,

wollte er den Samurai fordern. „Nach alldem kann ich nicht zulassen,

daß er weiterlebt", sagte er.

„Warum sich so über eine Kleinigkeit aufregen?" sagte Muso mit einem Lächeln.

„Es sind gerade Situationen wie diese, wo sich die Übung des Bonzais bewährt.

Geduld, das merke dir, ist mehr als nur ein Wort."

Dann trug er aus dem Stehgreif folgenden Haiku vor: „Der Schläger und der Geschlagene:

Bloße Spieler in einem Spiel so flüchtig wie ein Traum."

Als das Boot am Ufer ankam und Muso und sein Schüler ausstiegen,

kam der Samurai gelaufen und warf sich zu Füßen des Meisters. Dann und dort wurde er sein Schüler.

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Die Ruhe des Meisters brachte den Samurai derart in Wut,

daß er Muso mit seinem eisernen Fächer auf den Kopf schlug,

so daß er blutete.

Musos Schüler hatte nun genug, und da er ein kräftiger Mann war,

wollte er den Samurai fordern. „Nach alldem kann ich nicht zulassen,

daß er weiterlebt", sagte er.

„Warum sich so über eine Kleinigkeit aufregen?" sagte Muso mit einem Lächeln.

„Es sind gerade Situationen wie diese, wo sich die Übung des Bonzais bewährt.

Geduld, das merke dir, ist mehr als nur ein Wort."

Dann trug er aus dem Stehgreif folgenden Haiku vor: „Der Schläger und der Geschlagene:

Bloße Spieler in einem Spiel so flüchtig wie ein Traum."

Als das Boot am Ufer ankam und Muso und sein Schüler ausstiegen,

kam der Samurai gelaufen und warf sich zu Füßen des Meisters. Dann und dort wurde er sein Schüler.

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Nach etwas zu suchen, sich etwas zu wünschen, das ist die eigentliche Krankheit des Geistes. Nicht zu suchen, nicht zu wünschen, ist die eigentliche Gesund- heit deiner Natur. Es ist sehr leicht, die Wunschobjekte ständig auszutauschen, aber das ist nicht der Weg in die Transformation. Du kannst dir Geld wünschen, du kannst dir Macht wünschen... du kannst deine Wunschobjekte austauschen - du kannst dir Gott wün- schen - aber du bleibst der gleiche, weil du weiterhin wünschst.

Die wirkliche Veränderung muß nicht in den Wunschobjekten, sondern in deiner Subjektivität statt- finden. Wenn das Wünschen stillsteht - und hört genau hin, ich sage nicht, daß es zum Stillstand gebracht wer- den muß - wenn das Wünschen stillsteht, dann bist du zum ersten Mal zuhause, voller Frieden, geduldig, selig. Und zum ersten Mal steht dir das Leben offen und stehst du dem Leben offen. Ja, die Trennwand zwi- schen dir und dem Leben überhaupt verschwindet, und dieser Zustand der Ungetrenntheit ist der Zustand Gottes.

Es kommen Menschen aus der ganzen Welt zu mir; sie reisen Tausende von Meilen. Wenn sie zu mir kom- men und ich frage: „Warum bist du gekommen?", sagt der eine: „Ich bin ein Gottsucher", und sagt ein ande- rer: „Ich bin ein Wahrheitssucher."

Sie wissen nicht, was sie da sagen. Sie verlangen das Unmögliche. Gott ist nicht ein Ding. Gott ist nicht ein Objekt. Man kann ihn nicht suchen. Gott ist das Ganze. Wie kann man das Ganze suchen? Du kannst dich in ihm auflösen, du kannst darin eintauchen, aber du kannst es nicht suchen. Das Suchen beweist einfach, daß du dich immer noch für getrennt vom Ganzen hältst - du, der Sucher, und das Ganze, das Gesuchte. Manchmal suchst du eine Frau, manchmal suchst du einen Mann. Manchmal fängst du an, frustriert von der Welt nach der anderen Welt zu suchen - aber vom Suchen selbst bist du noch nicht frustriert. Ein Sucher steckt in der Klemme, ein Sucher ist verwirrt. Er hat

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das Grundproblem selbst noch nicht begriffen. Es geht nicht darum, daß du Gott suchen mußt und daß dann alles gelöst wäre. Ganz im Gegenteil - wenn alles gelöst ist, ist plötzlich Gott da.

Folgende Geschichte ist wirklich passiert: Ein Buch- händler aus Südindien bestellte bei einem Verlag in Neu-Delhi ein Dutzend Exemplare des Buches „Gott- sucher". Er bat um sofortige Lieferung. Nach zwei Tagen erhielt er folgende Antwort per Telegramm: KEINE GOTTSUCHER IN DELHI ODER BOMBAY. VERSUCHEN SIE ES IN POONA.

Natürlich, sie sind alle hier. Das Suchen ist eine Krankheit. Macht keinen Egotrip daraus... denn wenn jemand herkommt und sagt, er sei ein Sucher Gottes, kann ich sehen, wie sich das Licht des Egos in seinen Augen verrät; die Verdammung der Welt -, daß er kein weltlicher Mensch ist, sondern ein religiöser Mensch. Die Art, wie er es sagt, beweist Stolz -, daß er kein gewöhnlicher Mensch ist, daß er nicht Teil der gewöhn- lichen Herde der Menschheit ist. Er ist etwas Besonde- res, Außergewöhnliches. Er sucht nicht nach Geld, er sucht nach Meditation. Er sucht nichts Materielles, er sucht etwas Spirituelles.

Aber für mich und für alle, die je erkannt haben, ist Suchen gleichbedeutend mit Welt. Es gibt kein jenseiti- ges Suchen, alles Wünschen ist weltlich. Es gibt kein jenseitiges Wünschen, im Wünschen selbst existiert die Welt. Was du dir wünschst, ist irrelevant; daß du etwas wünschst, ist genug, um dich weltlich zu machen. Weil alle Wünsche aus einem grundsätzlichen Trugschluß kommen - dem grundsätzlichen Trugschluß, daß dir etwas fehlt, daß du etwas brauchst. Dir fehlt von vorn- herein überhaupt nichts. Nichts wird gebraucht.

Die Welt ist ein Alptraum aufgrund des Wünschens. Und dann wird Nirvana der letzte Alptraum. Natürlich der letzte, denn wenn du dabei erwachst, wie du Gott und Nirvana suchst... wenn du aufwachst, dann ver- schwinden alle Alpträume.

Du hast die Welt aufgegeben. Jetzt suchst du Gott.

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Bitte gib auch Gott auf. Das mag ein wenig unfromm scheinen, ist es aber nicht. Ich las gerade einen Aus- spruch von Albert Einstein. Ich fand ihn wunderschön. Irgendwo sagt er: „Ich bin ein tief religiöser Ungläubi- ger." Tatsächlich kann ein religiöser Mensch kein gläu- biger Mensch sein. Ein religiöser Mensch kann Ver- trauen haben, aber er kann nicht glauben. Vertrauen kommt aus existentieller Erfahrung; Glaube ist nur ein Phantasietrip, Glaube besteht nur aus Ideologie, aus Begriffen, Schriften, Philosophie. Vertrauen besteht aus Leben.

Im Augenblick, wo du „Gott" sagst, hast du einen Glauben gebraucht. Gott ist ein Glaube. Aber das Leben ist nicht ein Glaube, sondern eine Erfahrung. Laß das Leben deinen einzigen Gott sein. Kein anderer Gott ist nötig, weil alle anderen Götter menschliche Erfindungen sind. Einstein spricht wahr, wenn er sagt: „Ich bin ein tief religiöser Mensch, aber ungläubig, bin kein Gläubiger." Was meint er damit?

Die Qualität der Religiosität hat nichts mit der Qua- lität eines Gläubigen zu tun. Ein Gläubiger glaubt, weil er wünscht. Ein Gläubiger glaubt, weil er nach etwas suchen möchte. Ein Gläubiger glaubt, weil er das Leben nicht ohne den Verstand leben kann. Er stellt den Verstand immer zwischen das Leben und sich selbst... so wie wenn du deine Hand hinter einem Handschuh verbirgst - du berührst deine Geliebte, aber nicht unmittelbar; deine Hand versteckt sich hin- ter dem Handschuh. Der Handschuh berührt die Geliebte. Du berührst nur deinen Handschuh.

Ein Glaube ist wie ein Handschuh; er hüllt dich ein. Du bist niemals unmittelbar und direkt für das Leben da. Ein religiöser Mensch ist in diesem Sinne nackt - er hat keine Glaubenskleider. Er ist einfach direkt, ist mit dem Leben in Berührung.

In dieser Berührung - das Schmelzen. In dieser Berührung - das Ineinandertauchen. In dieser Berüh- rung bist du irgendwo nicht mehr du, sondern bist das 78

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Ganze geworden, und das Ganze ist zu dir gekommen. Der Ozean fällt in den Tropfen, und der Tropfen wird zum Ozean.

Glaube ist gefährlich. Wir gehen von einem Glauben zum anderen. Ein Hindu kann Mohammedaner wer- den, ein Christ kann Hindu werden, oder ein religiöser Mensch, ein sogenannter religiöser Mensch, kann ein Kommunist werden; ein Gottgläubiger kann ein Atheist werden - es macht überhaupt keinen Unter- schied. Du kannst deine Handschuhe wechseln, aber der Handschuh bleibt.

Kannst du das Leben nicht direkt leben? Kannst du das Leben nicht direkt lieben? Besteht da wirklich eine Notwendigkeit, an irgend etwas zu glauben? Kannst du dem Leben nicht vertrauen?

Laßt es mich einmal so sagen: Menschen, die kein Vertrauen empfinden können, glauben. Glaube ist ein Ersatz, eine falsche Münze, eine Täuschung. Men- schen, die vertrauen können, brauchen keine Doktrin. Das Leben ist genug. Sie stülpen ihm keinen Gott, kein Nirvana, kein moksha über den Kopf. Das ist nicht nötig. Das Leben ist mehr als genug. Sie leben das Leben.

Natürlich kannst du, wenn du einen Glauben hast, eine Zukunft um ihn her schaffen. Wenn du keinen Glauben hast, dann hast du auch keine Zukunft, weil das Leben hier jetzt ist. Du brauchst nicht zu warten. Aber wir schieben alles auf - bis zum letzten Augen- blick, wo der Tod kommt und das Geschenk wieder an sich nimmt.

Ich las einmal: Drei Männer unterhielten sich über eines von jenen nutzlosen Gesprächsthemen, mit denen wir uns alle irgendwann einmal beschäftigen. Sie überlegten, was wohl jeder tun würde, wenn der Arzt ihm offenbarte, daß er nur noch sechs Monate zu leben hätte.

Robinson sagte: „Wenn mein Doktor mir sagte, daß ich nur noch sechs Monate zu leben hätte, würde ich als allererstes mein Geschäft verkaufen, meine Erspar-

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nisse abheben und würde das tollste Leben an der fran- zösischen Riviera führen, das man je gesehen hat. Ich würde Roulette spielen, ich würde wie ein König essen gehen und vor allem würde ich Mädchen haben, Mäd- chen und noch mehr Mädchen."

Dieser Mann muß lange aufgeschoben haben - auf- geschoben für den Tod. Nur wenn der Arzt sagt, daß du nur noch sechs Monate zu leben hast, dann...! Aber selbst das scheint nur ein Wunsch zu sein. Er wird es vielleicht gar nicht mehr können - denn wenn der Tod anklopft, ist man so schockiert und am Boden zer- stört... Wie kannst du genießen, wenn dir der Tod naht? Wo du es nicht einmal genießen konntest, als dir das Leben nahe war. Wie kannst du genießen, wenn sich das Leben mit jedem Augenblick weiter zurück- zieht? Das ist auch nur wieder eine Möglichkeit, zu glauben: daß wenn es passiert, „ich sofort zu leben anfangen werde." Wer hält dich denn davon ab, jetzt gleich zu leben?

Der zweite Mann sagte: „Wenn mir mein Arzt eröff- nen würde, daß ich nur noch sechs Monate vor mir habe, würde ich als erstes ein Reisebüro aufsuchen und mir eine Weltreise zusammenstellen. Es gibt Tausende von Orten auf der Welt, die ich nicht gesehen habe und sehen möchte, bevor ich sterbe - den Grand Canyon, das Taj Mahal, Angkor Wat - alles."

Wer hält dich ab? Warum wartest du erst darauf, daß der Tod kommt - und dann wirst du hingehen und dir das Taj Mahal anschauen? Wirst du dann fähig sein, das Taj Mahal zu sehen? Deine Augen werden so von Dunkelheit erfüllt sein, daß das Taj Mahal nicht mehr wie das Taj Mahal aussehen wird. Du wirst unmöglich sehen können, wenn der Tod dir in den Sinn gekom- men ist. Er wird dich blind machen. Ein inneres Zittern wird dich überwältigen. Du wirst nicht hören können, du wirst nicht sehen können, du wirst nicht einmal atmen können. Aber warum schieben die Menschen immer alles auf? Und der dritte Mann sagte: „Wenn mir mein Arzt

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erklärte, daß ich nur noch sechs Monate zu leben hätte, würde ich als allererstes einen anderen Arzt aufsu- chen."

Dieser Mensch scheint der allertypischste überhaupt zu sein. Genau das würdet auch ihr tun. Ihr würdet nicht einmal dann leben. Ihr würdet lieber zu einem anderen Arzt gehen, der euch wieder Hoffnung geben kann, der euch wieder eine Zukunft geben kann, der euch wieder sagen kann: „Kein Grund zur Aufregung, du kannst noch weiter aufschieben. Kein Grund zur Eile - der Tod ist weit weg." Du wirst dir jemanden suchen, du wirst jemanden finden, der dir selbst dann noch Hoffnung machen kann.

Hoffnung ist eine Möglichkeit, das Leben hinauszu- schieben. Alles Wünschen ist eine Art Lebensauf- schub, und aller Glaube ist ein Trick, das, was ist, zu vermeiden und stattdessen über etwas nachzudenken, was nicht ist. Gott ist nicht. Leben ist. Bitte seid keine Sucher Gottes.

Nirvana ist nicht. Leben ist. Bitte seid keine Sucher von Nirvana. Und wenn ihr aufhört, das Nirvana zu suchen, werdet ihr das Nirvana im Leben selbst verbor- gen finden. Wenn ihr aufhört, Gott zu suchen, werdet ihr Gott überall finden... in jedem Teilchen, in jedem Augenblick des Lebens. Gott ist ein anderer Name für Leben. Nirvana ist ein anderer Name für gelebtes Leben. Ihr habt bisher nur das Wort „Leben" gehört-, eine gelebte Erfahrung ist es nicht.

Gebt allen Glauben auf; jeder Glaube ist nur ein Hindernis. Sei kein Christ, sei kein Hindu, sei kein Mohammedaner, sei einfach lebendig. Laß das deine einzige Religion sein. Leben - die einzige Religion. Leben - der einzige Tempel. Leben - das einzige Gebet.

Ich habe gehört: Ein Schüler kam zu einem Zen- Meister, verbeugte sich, berührte seine Füße und sagte: „Wie lange muß ich auf meine Erleuchtung war- ten?"

Der Meister schaute ihn lange an, lang genug. Der

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Schüler wurde allmählich nervös. Er wiederholte seine Frage und sagte: „Warum schaust du mich so lange an? Warum antwortest du mir nicht?" Und der Meister gab eine wirkliche Zen-Antwort. Er sagte: „Töte mich."

Der Schüler konnte nicht glauben, daß dies die Ant- wort auf seine Erleuchtung sein sollte. Er ging hin und fragte den Meisterschüler. Der Meisterschüler lachte und sagte: „Das gleiche hat er auch zu mir gesagt. Und er hat recht. Er sagt damit: ,Warum fragst du immer nur mich? Laß diesen Meister fallen. Laß dies Fragen fallen. Töte mich. Laß alle Ideologie fallen. Wer bin ich? Ich halte dich nicht ab, das Leben steht dir offen. Warum fängst du nicht zu leben an? Warum bereitest du dich immer nur vor? - Wann, und Wie?'"

Dies scheint das Allerschwierigste für den menschli- chen Verstand zu sein - einfach zu leben, nackt; einfach zu leben, ohne irgendwelche Anordnungen zu treffen, einfach das rohe und das ungezähmte Leben zu leben, einfach den Augenblick zu leben.

Und dies ist die ganze Lehre aller großen Lehrer, aber ihr macht daraus immer neue Philosophien. So schafft ihr eine Ideologie, und dann fangt ihr an, an diese Ideologie zu glauben.

Es gibt viele Zen-Leute, die an Zen glauben - dabei lehrt Zen Vertrauen, nicht Glauben. Es gibt viele Leute um mich herum, die an mich glauben - und ich lehre euch Vertrauen, nicht Glauben. Wenn du deinem Leben vertraust, hast du mir vertraut. Intellektueller Glaube ist nicht nötig. Laß diese Wahrheit so tief in dich eindringen wie möglich: Daß das Leben bereits hier ist, angekommen. Du stehst am Ziel. Frag nicht nach dem Weg.

Bei Franz Kafka gibt es ein Gleichnis; es sieht genau wie Zen aus, ist fast Zen. Kafka sagt: „Ich wohnte ein- mal in einer fremden Stadt. Ich war noch nicht lange dort und mußte morgens früh zum Bahnhof. Aber als ich aufstand und auf meine Uhr sah, hatte ich mich bereits verspätet. So fing ich an zu rennen. Als ich am Turm vorbeikam und auf die Turmuhr sah, hatte ich

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noch mehr Angst, daß ich den Zug verpassen würde, weil meine Uhr auch noch nachging. So fing ich erst recht zu rennen an... Ohne den Weg zu wissen, ohne zu wissen, wohin... Und die Straßen waren wie leerge- fegt. Es war ganz früh am Morgen. Ein kalter Winter- morgen, und ich konnte niemanden sehen. Dann plötz- lich sah ich einen Polizisten. Hoffnung erfüllte mich. Ich ging zu dem Polizisten und fragte ihn nach dem Weg, und der Polizist sagte: ,Der Weg? Und da fragen Sie mich?' Und ich sagte zu ihm: ,Ich bin fremd in die- ser Stadt, und ich weiß den Weg nicht. Darum frage ich. Bitte sagen Sie mir den Weg und verschwenden Sie keine Zeit. Ich habe mich schon verspätet und ich werde den Zug verpassen, und es ist wichtig für mich, den Zug zu erreichen.' Der Polizist lachte und sagte: ,Wer kann den Weg einem anderen zeigen?' Der Poli- zist sagte es, winkte mit der Hand und ging lächelnd davon."

Hier hört die Parabel auf. Sie sieht genauso aus wie Zen. Im Westen halten sie es für surrealistisch, absurd. Es ist nicht absurd. Natürlich klingt das aus dem Munde eines Polizisten absurder als von einem Zen-Meister, aber manchmal können Polizisten Zen-Meister sein.

Wer kann dir den Weg zeigen? Denn ohnehin - den Weg gibt es nicht. Du bist immer am Ziel. Wo immer du bist, ist das Ziel. Der Weg existiert nicht. Wenn du immer weiter nach dem Weg fragst, willst du immer von neuem die Zukunft erschaffen - und Zukunft ist der Alptraum.

Schau. In diesem Augenblick ergießt sich von allen Seiten das Leben. Sei einen einzigen Augenblick Zeuge, und du wirst über die ganze Absurdität lachen, nach einem Weg oder Pfad oder einer Methode gefragt zu haben. Es braucht nichts getan zu werden.

Eine Frau trat an einen Polizisten heran und sagte: „Sagen Sie, Wachtmeister, ein Mann läuft hinter mir her und ich glaube, er muß verrückt sein." Der Polizist sah sie prüfend an: „Ja", antwortete er, „das glaube ich auch."

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Jedes Mal, wenn ihr zu mir kommt und nach einem Weg fragt, sage ich innerlich: Hier kommt wieder ein Verrückter. Wenn ich euch nicht den Weg zeige, sieht das hart und unfreundlich aus. Wenn ich euch den Weg zeige, führe ich euch in die Irre. Das einzige, was getan werden kann, ist dies: Ihr müßt auf euch selbst zurück- geworfen werden. Und so muß ich mir Methoden aus- denken, die gar keine sind, die nur aussehen wie Methoden. Sie führen nirgendwohin, weil es nirgend- wohin geht. Jeder ist bereits da. Es geht nirgendwohin.

Ich denke mir Wege und Methoden aus, nur um euch müde zu machen, euch zu erschöpfen, damit ihr eines Tages in tiefer Erschöpfung alle Suche einfach fallen- laßt. Erschöpft fallt ihr auf den Boden... ermüdet - müde von allen Wegen und allen Methoden, müde vom Suchen selbst und aller Fragerei... und plötzlich über- kommt euch ein Friede - der Friede, der jenseits von allem Verstehen ist. Und ihr werdet lachen, weil es immer möglich war, es lag an euch, daß er nicht zu euch kam. Ihr seid davongelaufen.

Alle Wege führen wohin; Wahrheit ist hier. Alle Wege führen irgendwohin, und Wahrheit ist immer. Kein Weg kann dich zu dir selbst führen. Darum sage ich: Strengt euch an - damit ihr bald müde werden könnt. Geht nicht zu langsam; lauwarm könnt ihr ganze Leben so weitergehen, hoffend und hoffend. Strengt euch an. Strengt euch absolut, total an, so daß ihr euch erschöpfen könnt - so sehr erschöpfen könnt, daß aus schierer Müdigkeit die ganze Anstrengung von euch abfällt, und plötzlich liegt ihr am Boden und werdet euch der Wirklichkeit bewußt, die hier ist.

Gott ist nicht ein Ding. Gott ist das ganze Theater. Ihr bekommt es nicht zu fassen. Nirvana ist nicht irgendwo, sondern ist das ganze Theater des Lebens. Ich las eine kleine Geschichte: Es war Frühling, und ein Lehrer sagte zu seinen kleinen Schülern: „Ich hab neulich etwas gesehen, und ich frage mich, ob einer von euch es auch gesehen hat. Wenn ihr es kennt, sagt nicht, was es ist. Ich ging spazieren und sah, wie es an

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einem Stengel etwa zehn bis fünfzehn Zentimeter über dem Boden war, und oben war ein kleiner runder Ball aus Watte, und wenn man pustet, fliegt eine ganze Milchstraße von Sternen davon. Wie hat das ganze Ding wohl ausgesehen, bevor der kleine runde Ball aus Wattesternchen erschien?"

Der eine sagte: „Da war es eine kleine gelbe Blume. Wie eine Sonnenblume, nur sehr klein." „Und was war es davor?" Und ein kleines Mädchen sagte: „Da war es wie ein kleiner grüner Regenschirm, halb geschlossen mit nur ein bißchen Gelb an der Spitze." „Ja, aber was war es davor?"

Ein anderes Kind sagte: „Da war es ein kleiner Kranz von grünen Blättern, direkt an der Erde."

„Nun, wißt ihr alle, was es ist?" Alle brüllten zurück: „Löwenzahn!"

„Und habt ihr jemals einen Löwenzahn gepflückt?" Die meisten sagten: „Ja", aber der Lehrer sagte:

„Nein, ihr könnt gar keinen Löwenzahn pflücken. Das ist unmöglich. Ein Löwenzahn ist nämlich alle diese Dinge zusammengenommen. Ja, sogar noch mehr. Ganz egal also, was ihr gepflückt habt, ihr habt immer nur irgendein Teilstück gepflückt. Einen Löwenzahn könnt ihr gar nicht pflücken, weil ein Löwenzahn gar kein Ding ist, sondern ein Prozeß und ein Schauspiel. Und wißt ihr was? Alles ist ein Vorgang und ein Schau- spiel-selbst ihr."

Ihr könnt noch nicht mal einen Löwenzahn, nicht mal eine kleine Blume in ihrer Ganzheit pflücken , weil die Ganzheit ungeheuer ist. Wie könnt ihr Gott pflük- ken? Ihr könnt nicht einmal eine kleine Blume pflük- ken. Gott ist das ganze Schauspiel. Alles, was heute ist, ist Gott; alles, was je war, ist Gott; alles, was je sein wird, ist Gott. Gott ist nicht ein Ding; es ist ein Prozeß, und zwar ein so ungeheurer und so unendlicher - wie könnt ihr da Gott suchen? Es ist unmöglich.

Ihr könnt leben, ihr könnt in diesen unendlichen Ozean von Göttlichkeit eintauchen, und diese Tür öff- net sich jetzt gleich. Darauf muß man nicht warten.

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Die ganze Zen-Haltung besteht darin, euch auf die Tatsache aufmerksam zu machen, daß man sich keine Mühe machen muß. Die Zen-Haltung ist eine der Mühelosigkeit. Darin unterscheidet sich Zen von Yoga. Yoga ist Mühe, Zen ist Mühelosigkeit. Und natürlich, Mühe kann irgendwohin führen, aber sie kann nicht zum Letzten und Höchsten führen. Mühe kann euch ein besseres Ego verschaffen, ein polierte- res, kristallisierteres, aber sie kann euch nicht das Nir- vana bescheren, sie kann euch nicht Gott bescheren. Das liegt jenseits aller Mühe. Wenn alle Mühe aufhört, dann ist alles, was in dieser Stille, in dieser schönen Leere, in diesem leeren Raum zu finden ist, Gott.

Was also muß getan werden? Die Frage ergibt sich ganz natürlich - was also tun? Verstehen, mehr Bewußtheit, mehr Zeuge sein. Beobachte dich, wie du gehst, lebst, bist. Versuche, jeden Augenblick, der an dir vorbeizieht, zu verstehen. Werde Zeuge.

Vergiß nicht, daß Zeuge-Sein nicht Urteilen bedeu- tet. Du sollst nicht urteilen, daß dies gut und jenes schlecht ist. Im Augenblick, wo du urteilst, verlierst du den Zeugen. Wenn du sagst, dies ist schlecht, bist du bereits identifiziert. Wenn du sagst, dies ist gut, bist du bereits aus dem Zeuge-Sein herausgeschlüpft - bist du ein Richter geworden.

Aber ein Zeuge ist einfach nur Zeuge. Du beobach- test einfach nur so, wie du den Verkehr auf der Straße beobachtest, oder wie du eines Tages an der Erde liegst und die Wolken im Himmel beobachtest. Du sagst nicht: „Dies ist gut und jenes ist schlecht." Du fällst sol- che Urteile einfach nicht. Du beobachtest. Du bist nicht damit befaßt, was gut ist und was schlecht ist. Du versuchst nicht, moralisch zu sein. Du legst keine begrifflichen Maßstäbe an... bist reiner Zeuge, und daraus dann entsteht mehr und mehr Verständnis, und nach und nach fängst du zu spüren an, daß das gewöhn- liche Leben das einzige Leben ist; es gibt kein anderes Leben. Und gewöhnlich zu sein ist die einzige Möglichkeit,

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religiös zu sein. Alle anderen außergewöhnlichen Dinge sind Ego-Trips. Einfach nur gewöhnlich zu sein, ist das außergewöhnlichste von der Welt, weil jeder außergewöhnlich sein will. Niemand will gewöhnlich sein. Gewöhnlich zu sein ist das einzig Außergewöhnli- che. Sehr selten entspannt sich jemand und wird gewöhnlich.

Wenn ihr die Zen-Meister fragt: „Was tut ihr?", dann sagen sie: „Wir sammeln Holz im Wald, wir holen Wasser vom Brunnen, wir essen, wenn wir hungrig sind, wir trinken, wenn wir durstig sind und wir schla- fen, wenn wir müde sind." Das ist alles. Das sieht nicht sehr anziehend aus - Holz sammeln, Wasser holen, schlafen, sitzen, essen. Ihr werdet sagen: Das sind gewöhnliche Dinge, das tut doch jeder.

Das sind keine gewöhnlichen Dinge, und niemand tut sie. Wenn du Holz sammelst, verurteilst du es - du wärst lieber Präsident von irgendeinem Land, du möchtest doch kein Holzarbeiter sein! Du verdammst die Gegenwart immerzu, um irgendeiner imaginären Zukunft willen.

Wasser vom Brunnen zu holen gibt dir das Gefühl, dein Leben zu vertun. Es ärgert dich. Du bist nicht für so gewöhnliche Dinge geschaffen. Du bist mit einer großen Bestimmung angetreten - die ganze Welt dem Paradies, irgendeiner Utopie entgegenzuführen. Dies alles sind Ego-Trips. Dies alles sind kranke Bewußt- seinszustände.

Einfach gewöhnlich sein... und dann ist plötzlich das, was du belanglos nennst, nicht mehr belanglos, und was du profan nennst, nicht mehr profan. Alles wird heilig. Holz zu sammeln wird heilig, Wasser vom Brunnen zu holen wird heilig. Und wenn jeder Akt hei- lig wird, wenn jeder Akt meditativ und andachtsvoll wird, nur dann dringt ihr tiefer ins Leben ein - und dann erschließt euch das Leben alle Geheimnisse. Dann werdet ihr fähig, dann werdet ihr empfänglich. Je empfänglicher ihr werdet, desto mehr Leben steht euch offen.

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Dies ist mein ganzes Lehren: gewöhnlich zu sein... so gewöhnlich zu sein, daß schon der Wunsch, außerge- wöhnlich zu sein, verschwindet. Nur dann könnt ihr in der Gegenwart sein; sonst könnt ihr nicht in der Gegen- wart sein.

Montaigne hat geschrieben: „Wir suchen nach ande- ren Lebensumständen, weil wir unsere eigenen nicht zu genießen verstehen. Und wir entfernen uns von uns selbst, weil es uns an dem Wissen mangelt, wie es in uns selbst aussieht. Es hat also keinen Zweck, uns auf Stel- zen zu erheben, denn selbst auf Stelzen müssen wir auf unseren eigenen Beinen gehen. Und selbst wenn wir auf dem erhabensten Thron der Welt sitzen, sitzen wir immer noch auf unserem eigenen Hintern."

Wo immer du bist, ob du Wasser holst oder auf dem Thron sitzt, als König oder Präsident oder Premiermi- nister - es ist völlig egal. Wo immer du bist, bist du du. Wenn du unglücklich dabei bist, Holz zu holen, wirst du auch unglücklich dabei sein, Präsident zu spielen, da äußere Dinge nichts ändern können. Nur wenn du als Bettler glücklich sein kannst, kannst du auch als Kaiser glücklich sein. Anders geht es nicht.

Dein Glück hat etwas mit deiner Bewußtseinsquali- tät zu tun. Es hat nichts mit äußeren Dingen zu tun. Solange du nicht wach wirst, wird alles dich nur noch unglücklicher machen. Sobald du einmal wach bist, bringt alles ein ungeheures Glück, einen ungeheuren Segen. Es hängt von nichts Äußerem ab; es hängt ein- zig und allein von der Tiefe deines Wesens und deiner Empfänglichkeit ab.

Sammle Holz; und wenn du Holz sammelst, dann sammle nur Holz - und genieße, wie schön das ist. Denke nicht immerzu an andere Dinge. Vergleiche es nicht. Dieser Augenblick ist ungeheuer schön. Dieser Augenblick kann zu einem satori werden. Dieser Augenblick kann der Augenblick des samadhi werden. Wenn du Wasser holst, sei so total bei der Sache, daß nichts draußen bleibt. Wenn du Wasser holst, bist du nicht da; nur der Vor-

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gang des Wasserholens ist da. Genau das ist Nirvana, ist Erleuchtung.

Ich spreche hier zu euch; ich bin nicht da... genieße es einfach, mit euch zu schwatzen, mit euch zu klat- schen. Wenn ihr im Zuhören auch nicht da seid, dann ist alles vollkommen erfüllt. Wenn ihr im Zuhören da seid, von der Ecke her beobachtet, dasteht und begut- achtet, ob etwas Wertvolles gesagt wird, so daß ihr es für irgendeinen zukünftigen Gebrauch horten könnt, und beobachtet, ob etwas Bedeutsames gesagt wird, daß ihr eurem Wissen einverleiben könnt - „Das wird mir helfen, etwas Bestimmtes zu suchen, etwas Bestimmtes zu sein"... dann werdet ihr mich verfeh- len.

Ich sage nichts Bedeutsames. Ich sage nichts mit irgendeiner Absicht vor Augen. Ich gebe euch keiner- lei Wissen, ich bin nicht dazu hier, euch noch gelehrter zu machen. Wenn ihr mir so zuhören könnt, wie ich zu euch rede... dieser Augenblick ist total, und ihr geht nicht über ihn hinaus, und die Zukunft ist verschwun- den ... dann werdet ihr eine Ahnung von satori bekom- men.

Vergeßt nicht, daß wir uns hier gemeinsam mit einer bestimmten Beschäftigung abgeben. Diese Beschäfti- gung muß so andächtig, so meditativ sein, daß in dieser Beschäftigung die Vergangenheit keine Last mehr ist und die Zukunft sie nicht verunreinigt, und dieser Augenblick rein bleibt. Dieser Augenblick bleibt ein- fach dieser Augenblick.

Dann bin ich nicht hier und du bist auch nicht da. Dann verschwindet diese Menschenmenge, dann wer- den wir Wellen eines einzigen Ozeans - dieser Ozean ist das Leben, dieser Ozean ist Gott, dieser Ozean ist Nirvana.

Nirvana ist eine so tiefe Entspannung deines Wesens, daß du in dieser Entspannung verschwindest. Verspannt „bist" du; entspannt bist du „nicht". Dein Ego kann nur existieren, wenn du verspannt bist. Wenn du entspannt bist, ist Gott. Du bist nicht.

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Nun zur Geschichte. Eine sehr einfache Geschichte. Alle Zen-Geschichten sind sehr einfach. Wenn ihr sie versteht, zeigen sie etwas. Wenn ihr sie nicht versteht, dann sagen sie nichts. Alle großen Meister der Welt haben Gleichnisse als Medium für ihre Botschaft benutzt, weil ein Gleichnis ein Bild schafft. Es ist weni- ger begrifflich; es bringt alles dem Herzen näher. Es offenbart mehr, sagt weniger. Der Verstand braucht die Sache nicht erst zu intellektualisieren. Das Gleich- nis ist klar, absolut klar.

Muso, der Lehrer Japans, und einer der berühmtesten Meister seiner Zeit,

reiste in Gesellschaft eines Schülers von der Hauptstadt in eine ferne Provinz.

Als sie beim Tenryu-Fluß ankamen, mußten sie eine Stunde warten,

bevor sie die Fähre besteigen konnten. Gerade als die Fähre das Ufer verlassen wollte,

kam ein betrunkener Samurai angerannt und sprang in das vollbesetzte Boot,

wodurch es fast kenterte.

Ein betrunkener Samurai... Er mag nicht im gewöhnlichen Sinne betrunken sein, aber ein Samurai ist immer betrunken. Ein Samurai ist ein Mann, der hinter der Macht her ist. Ein Samurai ist ein Krieger. Ein Samurai ist betrunken vor Ego. Er mag nicht auf gewöhnliche Weise betrunken sein - darum geht es hier nicht. Oder er mag tatsächlich betrunken gewesen sein, aber alle Leute, die hinter der Macht her sind, sind betrunken.

Je mehr du hinter der Macht her bist, desto unbe- wußter bist du, denn nur Unbewußtheit kann nach der Macht streben. Bewußtheit lebt das Leben. Bewußt-

heit kümmert sich nicht um die Macht, denn wozu taugt die Macht? Der Nutzen der Macht ist der, daß du

irgendwann einmal durch sie leben kannst. Erst sam-

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meist du Macht... vielleicht steckt sie im Geld, oder im Schwert. Erst bereitest du dich vor - Macht ist eine

Vorbereitung - und dann eines Tages wirst du leben.

...kam ein betrunkener Samurai angerannt und sprang in das vollbesetzte Boot,

wodurch es fast kenterte. Er torkelte wild herum, während das schmale Fahrzeug

versuchte, über den Fluß zu kommen. Der Fährmann,

der um die Sicherheit seiner Passagiere fürchtete, bat ihn, still zu stehen.

„Wir sitzen hier ja wie die Sardinen", brummte der Samurai.

Dann, auf Muso zeigend, sagte er: „Warum werfen wir nicht den Bonzai über Bord?"

Bonzai, das heißt Zen-Priester, Zen-Mönch. Die Geschichte ist schön. Wenn es nach den Politikern ginge, dann würden sie am liebsten überhaupt keine religiösen Menschen auf der Welt dulden. Sie würden sie töten, sie würden sie aus dem Boot werfen-weil das religiöse Bewußtsein die einzige Gefahr für den Politi- ker darstellt. Je mehr Menschen religiös werden, desto mehr büßt die Politik an Glanz ein.

Der Politiker ist hinter der Macht her, und der reli- giöse Mensch ist hinter gar nichts her. Der religiöse Mensch möchte hierjetzt leben, und der Politiker bereitet immer irgendeine Zukunft vor - eine Zukunft, die nie kommt. Der Politiker ist immer hinter irgendei- ner Utopie her, jagt hinter ihr her... hinter irgendei- nem Traum. Er kommt nie.

Alle politischen Revolutionen sind fehlgeschlagen, völlig fehlgeschlagen, denn jedes Mal opfert ihr die Gegenwart für die Zukunft. Und wenn die Gegenwart zerstört wird, woher soll dann die Zukunft kommen? Sie wird aus der Gegenwart geboren. Ihr ermordet lau- fend die Gegenwart in der Hoffnung, daß irgendwann

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daraus eine schöne Zukunft geboren werden wird. Eine schöne Zukunft kann nur dann geboren werden, wenn die Gegenwart schön gelebt wird.

Politiker sind immer gegen die religiösen Menschen. Und wenn sie es nicht sind, dann heißt das nur, daß die religiösen Leute gar nicht religiös sind. Dann spielen die religiösen Leute ebenfalls das politische Spiel mit - im Namen der Religion. Christentum, Islam, Hinduis- mus - alles nur Politik im Namen der Religion.

Ein wirklich religiöser Mensch möchte hier jetzt leben. Er macht sich keine Gedanken um die Zukunft und er versucht nicht, der Welt irgendeine Revolution zu bescheren, denn er weiß, daß es nur ein Leben gibt und nur eine Religion und nur eine radikale Verände- rung - und zwar die des eigenen Daseins.

Er möchte lieben, er möchte leben, er möchte beten, er möchte meditieren, er möchte in Frieden gelassen werden. Niemand soll ihn stören. Er möchte sich nicht in das Leben anderer Leute einmischen und er möchte nicht, daß sich irgend jemand in sein Leben einmischen darf. Und Politik ist nichts anderes als dies: Einmi- schung in das Leben anderer. Vielleicht gebt ihr vor, daß ihr euch nur ihretwegen einmischt... aber ihr mischt euch in das Leben anderer Leute ein.

Die Geschichte ist sehr schön. Ausgerechnet der Samurai sagt: „Warum werfen wir nicht den Bonzai über Bord. Es ist viel zu eng."

„Wir sitzen hier ja wie die Sardinen", brummte der Samurai.

Dann, auf Muso zeigend, sagte er: „Warum werfen wir nicht den Bonzai über

Bord?"

„Hab bitte Geduld", sagte Muso, „wir werden bald am anderen Ufer sein."

Normalerweise sollten wir erwarten, daß er wütend wird, aber er sagt einfach: „Hab bitte Geduld, das

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andere Ufer ist nicht weit." Es ist ein sehr symbolischer Satz. Ein religiöser Mensch bleibt geduldig, weil er sieht, weil er ständig vor Augen hat, daß es sich nicht lohnt, um dieses Lebens willen ungeduldig zu werden - das andere Ufer kommt ständig näher. Für nichts lohnt es sich, ungeduldig zu sein. Geduld zahlt sich mehr aus, gibt dir mehr vom Leben. Ungeduldig zu werden bedeutet, daß dir dieser Augenblick entgeht. Du wirst ruhelos.

Er sagte: „Mach dir keine Sorgen. Es ist nur eine Frage von wenigen Augenblicken. Nicht nötig, mich oder sonst jemanden hinauszuwerfen. Nicht nötig, einen Konflikt zu schaffen. Das andere Ufer kommt bereits näher. Wir werden bald auf der anderen Seite ankommen." Dies ist die ganze Einstellung eines reli- giösen Menschen. Er kümmert sich nicht um Kleinig- keiten: Jemand hat ihm sein Geld gestohlen? Er macht sich darum keine Sorgen. Es macht nichts.

Es macht nur Leuten etwas, die das Leben nicht leben. Dann werden gewöhnliche, nutzlose Dinge, sinnlose Dinge sehr wichtig. Ein Mensch, der sein Leben total lebt, ist so glücklich damit, daß er sich durch nichts stören läßt. Alles, was an der Peripherie geschieht, macht für den Mittelpunkt keinen Unter- schied. Er bleibt das Zentrum des Zyklons.

„Was!" gröhlte der Samurai, Jch und Geduld? Höre gut zu:

Wenn du jetzt nicht sofort ins Wasser springst, ersäuf ich dich, ich schwör's dir!"

Ein Politiker, ein machtorientierter Mensch, kann nicht geduldig sein. Je ungeduldiger er ist, desto größer die Möglichkeit, in der Welt der Macht und der Politik Erfolg zu haben. Er kann nicht geduldig sein, weil die Zeit rennt. Nur ein religiöser Mensch kann geduldig sein, weil er die Qualität des Ewigen kennengelernt hat. Paradoxerweise weiß der religiöse Mensch, daß das Leben enden wird, aber daß unter diesem Leben

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ein Leben existiert, das niemals endet. Paradoxerweise weiß er, daß diese Zeit im Tod enden wird, aber daß unter dieser Zeit die Ewigkeit verborgen ist.

Wenn du in das Leben hineingehst, gehst du in die Ewigkeit ein. Wenn du an der Oberfläche bleibst, bleibst du in der Zeit. Zeit ist Ungeduld. Seht. Im Westen sind die Menschen zeitbewußter und natürlich ungeduldiger. Im Osten sind die Menschen nicht so zeitbewußt; natürlich sind sie nicht so ungeduldig. Zeit bringt Ungeduld.

Christen sind ungeduldiger als Hindus, weil die Hin- dus eine Vorstellung von Wiedergeburt haben, und die Christen keine Vorstellung von Wiedergeburt haben. Nur dies Leben... Ein so kurzes Leben, siebzig Jahre - fast ein Drittel geht mit Schlaf drauf. Und wenn man endlich etwas bewußt geworden ist, ist schon das halbe Leben vorbei. Und dann ist der Rest mit kleinen Din- gen - Brotverdienst, Hausbau, Arbeiten für die Kin- der, für die Frau - auch bald vertan. Das macht unge- duldig.

Wie kann man in so kurzer Zeit mehr vom Leben haben? Die einzige Möglichkeit, die der Westen gefun- den hat, ist die, ständig noch schneller zu machen - die einzige Möglichkeit! Wenn die Reise früher einen Tag dauerte, dann mach sie heute in fünf Minuten, damit du Zeit sparen kannst. Diese allzugroße Sucht nach Geschwindigkeit kommt aus dieser Ungeduld. Ihr könnt so zwar Zeit sparen, aber danach wißt ihr nicht, was ihr mit dieser Zeit anfangen sollt. Ihr nutzt sie, um noch mehr Zeit zu sparen... und das geht dann immer so weiter.

Ungeduld ist eine fiebrige Lebensweise. Man muß sich entspannen. Sobald du dich entspannst, ver- schwindet die Zeit, und die Ewigkeit offenbart dir ihre wahre Natur.

„Was? Ich und Geduld? Höre gut zu.

Wenn du jetzt nicht sofort ins Wasser springst,

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ersäuf ich dich, ich schwör's dir!"

Ein Politiker kann nicht geduldig sein. Ihr könnt euch einen Lenin oder Hitler nicht meditierend vorstel- len. Für sie wäre es reine Zeitverschwendung. Wenn ihr aus dem Westen zu mir kommt und zu meditieren anfangt, ist es wirklich ein Wunder. Das geht gegen die ganze Konditionierung, die ihr durchgemacht habt. Wenn ihr zurückgeht, wird niemand verstehen können, was mit euch vorgegangen ist... Nichts als Zeit ver- schwendet, denn Zeit muß genutzt werden. Sie ist sowieso schon zu kurz. Das Leben ist kurz und so viele Wünsche wollen erfüllt sein. Warum sie damit ver- schwenden, mit geschlossenen Augen dazusitzen und den Nabel zu beschauen? Tu etwas, bevor das Leben vorbei ist!

Wenn du an der Oberfläche lebst, bleibst du unge- duldig. Wenn du tiefer in den Strom eintauchst, wirst du ein Gefühl dafür bekommen, daß dies Leben nicht alles ist, und daß die Oberfläche nicht das Ganze ist, und daß die Wellen zwar zum Ozean gehören, der Ozean selbst aber nicht nur aus Wellen besteht. Direkt unter den Wellen der Zeit liegt der Ozean der Ewigkeit verborgen.

Ein religöser Mensch kann geduldig sein, kann unendlich geduldig sein, weil er weiß, daß nichts beginnt und nichts endet.

Die Ruhe des Meisters brachte den Samurai derart in Wut,

daß er Muso mit seinem eisernen Fächer auf den Kopf schlug,

so daß er blutete.

Und so etwas kommt vor. Wenn der Meister wütend geworden wäre, dann hätte der Samurai diese Sprache verstanden - seine eigene Sprache - aber weil nun der Meister still blieb... nicht nur still, sondern absolut geduldig... brachte ihn das zur Weißglut.

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Wenn jemand dich beleidigt, und du bleibst still, so als wäre nichts passiert, wird sich der andere noch mehr ärgern; er wird wütender. Wenn du wütend geworden wärst, hätte er es verstehen können. Aber das Stillblei- ben kann er nicht verstehen. Ja, in deinem Stillbleiben fühlt er sich sehr beleidigt. In deinem Stillbleiben ragst du wie ein Turm vor ihm auf. In deinem Stillbleiben wird er wie ein Wurm, etwas ganz Unscheinbares. Das tut weh.

Jesus hat gesagt: „Wenn jemand dir einen Streich auf die rechte Backe gibt, dann reiche ihm auch die linke." Nietzsche hat dies mit den Worten kommen- tiert: „Das darfst du niemals tun, weil du damit den anderen nur noch mehr beleidigst. Schlag lieber hart zurück. Das wird er mehr zu schätzen wissen. Zumin- dest akzeptierst du ihn als ebenbürtig." Und Nietzsche hat auch recht. Er hat einen sehr durchdringenden Blick.

Ein religiöser Mensch... sein bloßes Dasein erbost den Politiker. Und wenn man ihn beleidigt, und er es leicht nimmt, so als wäre nichts geschehen, treibt das den anderen fast in den Wahnsinn.

Genau das führte zur Kreuzigung von Jesus. Die Priester, die Politiker, die machtsüchtigen Leute - sie alle konnten diesen demütigen und einfachen Mann nicht ertragen. Er tat ihnen nichts zuleide; im Gegen- teil, er lehrte die Menschen nur harmlose Dinge. Er lehrte sie, unschuldig zu werden wie Kinder. Er lehrte sie: „Gesegnet sind die Schwachen." Sie aber schäum- ten vor Wut. Sie mußten ihn ganz einfach töten, weil sie sich durch sein bloßes Dasein gedemütigt fühlten. Ein solcher Turm, ein solcher Berg, ein solcher Gipfel der Liebe, des Mitgefühls, der Schlichtheit - sie konnten ihn nicht ertragen.

Musos Schüler hatte nun genug, und da er ein kräftiger Mann war, wollte er den Samurai fordern.

„Nach alldem kann ich nicht zulassen,

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daß er weiterlebt", sagte er.

Ein Jünger ist ein Jünger. Er hat noch nicht ganz ver- standen. Er ist immer noch in dem gleichen Ego. Mag sein, daß er religiös geworden ist, aber das Ego geht weiter.

Wenn jemand etwas gegen mich sagt, ärgert ihr euch. Jetzt hat sich euer Ego an mich gebunden. Wenn jemand sagt, daß dieser Mann nichts ist, werdet ihr wütend. Nicht, weil euch dieser Mann allzu wichtig wäre, sondern wenn dieser Mann nichts ist, ihr aber diesem Mann folgt, dann seid ihr noch weniger als nichts. Das trifft das Ego.

Wenn du mir folgst, muß ich der größte Meister der Welt sein. Ein Mensch wie du folgt mir - wie könntest du mir folgen, wenn ich nicht der größte Meister der Welt wäre?

Vergeßt nicht, auch das ist wieder ein Spiel des Ego. Du würdest gern beweisen, daß „mein Meister der größte Meister der Welt ist". Dabei geht es dir gar nicht um den Meister. Wie kannst du ein Anhänger eines geringeren Meisters sein? Unmöglich. Du - und ein Anhänger eines geringeren Meisters? Einfach unmög- lich.

„Nach alldem", sagte der Schüler, „kann ich nicht zulassen, daß er weiterlebt."

„Warum sich so über eine Kleinigkeit aufregen?" sagte Muso mit einem Lächeln.

„Es sind gerade Situationen wie diese, wo sich die Übung des Bonzais bewährt.

Geduld, das merke dir, ist mehr als nur ein Wort."

Sie ist eine große Erfahrung. Nun - dies ist der Augenblick, geduldig zu sein und es zu genießen. Die- ser Bursche hat eine wunderbare Chance geliefert, geduldig zu sein. Sei ihm dankbar. Er hat eine Probe

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geliefert. Nur darfst du diese Probe nicht als eine Probe für dein Ego mißverstehen. Laß es eine Probe für deine Geduld sein. Die gleiche Situation - aber entweder kannst du sie nutzen oder von ihr benutzt werden. Wenn du von ihr benutzt wirst, bist du ein unbewußter Mensch. Dann reagierst du nur. Alle Reaktion ist unbewußt. Wenn du bewußt bist, reagierst du niemals. Du agierst. Aktion ist bewußt, Reaktion ist unbewußt. Reaktion bedeutet, daß dieser Mann zum Herrn der Situation geworden ist: Er hat den Knopf gedrückt, und du bist wütend geworden. Du bist zur Marionette in seinen Händen geworden. Aber wenn du geduldig bleibst, wenn du lächelst, bist du plötzlich aus dem Teu- felskreis des Unbewußten heraus.

Nutzt Situationen, und dann werdet ihr zu der Erkenntnis kommen, daß selbst Feinde Freunde sind, und daß selbst die dunkelsten Nächte schöne Morgen- dämmerungen mit sich bringen. Und wenn du mit Wut beworfen wurdest, wirst du sehen, wie in dir das Mitge- fühl aufsteigt. Dies sind die allerseltensten Augen- blicke, und du wirst dich dem Menschen gegenüber dankbar und verpflichtet fühlen, der die Situation her- gestellt hat.

„Warum sich so über eine Kleinigkeit aufregen?" sagte Muso mit einem Lächeln.

„Es sind gerade Situationen wie diese, wo sich die Übung des Bonzais bewährt.

Geduld, das merke dir, ist mehr als nur ein Wort."

Geduld ist eine große Erfahrung, eine große existen- tielle Erfahrung.

Dann trug er aus dem Stegreif folgenden Haiku vor: „Der Schläger und der Geschlagene:

bloße Spieler in einem Spiel so flüchtig wie ein Traum."

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Zeuge-Sein ist nichts anderes als das. Wenn du in irgendeiner Situation Zeuge sein kannst, bist du plötz- lich außerhalb, gehörst du nicht mehr dazu. Sobald du dein Zeuge-Sein verlierst, gehörst du sogar im Traum dazu.

Geh einmal ins Kino. Schau dir den Film an. Du bist dort nur ein Zuschauer, aber früher oder später vergißt du völlig, daß du nur ein Zuschauer bist - du wirst Teil der Geschichte. Du lächelst, du weinst, du schluchzt, du wirst wütend, du regst dich auf - dabei ist überhaupt nichts da auf der Leinwand, nur vorüberziehende Schatten. Aber du hast dein Zeuge-Sein verloren. Du bist jetzt fast identifiziert. Du bist jetzt Teil der Geschichte. Nun werden sogar Schatten, die auf der Leinwand vorüberziehen, zu Wirklichkeiten.

Und genau das Gegenteil ist ebenfalls möglich: Wenn du am Rand der Straße stehst und einfach zuschaust, wie die Menschen vorbeigehen, wirst du plötzlich sehen, wie wirkliche Menschen schattenhaft geworden sind, Schattenrisse auf der Leinwand. Die ganze Sache hängt von dir ab. Wenn du identifiziert bist, wird etwas Unwirkliches wirklich. Wenn du nicht identifiziert bist, wird sogar Wirkliches unwirklich. Ein Mensch, der weiß, was Zeuge-Sein bedeutet, für den ist das ganze Leben nichts als ein großer Traum, ein gros- ses Schauspiel.

„Der Schläger und der Geschlagene: bloße Spieler in einem Spiel so flüchtig wie ein Traum."

Dies ist eine der größten Einsichten, die der Osten je gehabt hat -, daß das Leben, das Leben, das ihr als das Leben kennt, schattenhaft, illusorisch, maya ist. Es ist nicht wirklich. Wenn du bewußt wirst, betrittst du den Tempel der Wirklichkeit. Bewußtlosigkeit läßt dich nur in einem Traum leben.

Als das Boot am Ufer ankam

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und Muso und sein Schüler ausstiegen, kam der Samurai gelaufen

und warf sich zu Füßen des Meisters. Dann und dort wurde er sein Schüler.

Anfangs, wenn du ruhig bleibst, während die Situa- tion eigentlich Wut erfordert, wenn du geduldig bleibst, während der andere Ungeduld und Streit erwartet, wird ihn das in Wut versetzen, wird er sich verletzt, gedemütigt fühlen. Er möchte Rache nehmen, du spielst dich ihm gegenüber als Gott auf.

Aber wenn du weitermachst, wenn du dich nicht ver- leiten läßt und in deinem Schweigen verharrst, in dei- ner Ruhe, wenn du zentriert und in deinem Dasein ver- wurzelt bleibst, wird sich der andere früher oder später entspannen. Denn Stille ist eine so große Macht, Stille ist eine solche Verwandlungskraft, Stille ist so alchemi- stisch... sie ist die einzige Magie auf der Welt... der andere muß zwangsläufig verwandelt werden. Wart nur ein bißchen, hab es nicht zu eilig, der andere wird etwas Zeit brauchen. Gib ihm Gelegenheit.

Der Samurai lief hin und fiel dem Meister zu Füßen.

Dann und dort wurde er sein Schüler.

Jedesmal, wenn dir so etwas begegnet - eine wirkli- che Geduld, eine wirkliche wesentliche Stille, wird auch tief in deinem Herzen etwas berührt. Tief drinnen bist du dann nicht mehr der gleiche. Etwas Wirkliches hat sich wie ein Strahl von Licht tief in deine Dunkel- heit gebohrt.

Die Welt wird nur durch solche Menschen verwan- delt, die so in dieser Welt leben, als wäre sie nur ein Traum. Die Menschen werden nur durch solche Men- schen verwandelt und transfiguriert, die unbetroffen, unberührt durch Kleinigkeiten in dieser Welt leben... die ein Leben innerer Zentriertheit leben, die in der Welt leben, aber der Welt nicht gestatten, in sie einzu-

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dringen, die in der Welt leben, ohne daß die Welt in ihnen lebt, die unberührt bleiben, die ihr Schweigen überallhin tragen - noch auf dem Marktplatz bleiben sie in ihrem inneren Tempel... nichts lenkt sie von ihrem innersten Wesen ab.

Solche Menschen werden zu Katalysatoren. Solche Menschen geben dem menschlichen Bewußtsein eine völlig neue Qualität. Ein Buddha, ein Jesus, ein Krishna, ein Mohammed - sie tragen eine andere Welt in diese Welt hinein.

Das ist die Bedeutung des hinduistischen Worts ava- tar. Es bedeutet, daß sie Gott in die Welt hineintragen; der Gott steigt durch sie herab. Etwas wird sichtbar... sie werden die Fenster. Durch sie könnt ihr eine Vision haben, einen Schimmer von etwas, das jenseits ist.

Einer der einflußreichsten Schriftsteller, Autoren und Denker des Westens war Aldous Huxley. Er hatte sich sehr auf die östliche Vorstellung der inneren Zen- triertheit eingestimmt. Er war einer der wenigen westli- chen Denker, der sehr tief in die östliche Haltung dem Leben gegenüber eingedrungen war. Es heißt, daß Aldous Huxley, als ein kalifornischer Waldbrand die angesammelten Schätze seines ganzen Lebens zer- störte, eine unerwartete Befreiung verspürt habe. „Ich fühle mich rein", hat er gesagt.

Und er hatte wirklich eine herrliche Sammlung sel- tenster Antiquitäten, seltener Bücher, seltener Gemälde besessen - der Besitz eines ganzen Lebens - und der ganze Besitz war in einem Feuer zerstört wor- den. Auf die Flammen blickend, konnte er es selbst nicht glauben, daß er sich einfach entlastet fühlte - ein Gefühl von Freiheit. Keine Spur von Verstörtheit; im Gegenteil, ein Gefühl der Freiheit; so als wäre das Feuer ein Freund gewesen. Und später hat er gesagt: „Ich fühle mich rein." Dies ist die östliche Haltung. Wenn du zentriert bist, kann nichts zerstört werden. Kein Feuer kann deine Zentriertheit zerstören, nicht einmal der Tod vermag dich abzulenken. Und diese Zentriertheit ist nur möglich, wenn du jeden Augen-

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blick meditativ zu leben beginnst, voll bewußt, hell- wach. Geh nicht herum wie ein Roboter. Reagiere nicht wie eine Maschine. Werde bewußt. Sammle dich mehr und mehr, so daß ein kristallines Bewußtsein ständig dein inneres Dasein erhellt, daß dort ständig eine Flamme brennt und dir leuchtet, wohin du auch gehst. Der Weg, der Pfad, was immer du tust - sie wirft ihr Licht darauf.

Diese innere Flamme, dies innere Licht ist da. Es ist in dir angelegt... wie ein Samenkorn. Sobald du anfängst, Gebrauch davon zu machen, sprießt es. Bald wirst du sehen - der Frühling ist da, und es blüht auf, und du bist voll vom Duft des Unbekannten und des Unerkennbaren. Gott ist in dich herabgestiegen.

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Kapitel 4

Der trunkene Tänzer 14. Februar 1976

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Ich verstehe nicht — was bedeutet das Wort Gott? Ich ver- stehe es wirklich nicht. Gott, was ist das? Du sagst, das Leben sei alles. Leben ist das, was ist, was zählt, hier und jetzt - kein Planen, kein Wünschen, kein Wollen, kein Hoffen, kein Suchen. Lebe jetzt, spontan. Sei ein- fach. Ja, das verstehe ich, aber was ist Gott? Hat Gott die glei- che Bedeutung wie das Wort Leben, wie das, was ist? Aber warum benutzen wir dann das Wort Gott und sagen nicht einfach Leben? Es heißt, Gott sei derjenige, der die Welt schuf. Ist es das, was Gott ausmacht?

Die Frage stammt natürlich von jemandem, der hier noch sehr neu ist. Viele Dinge gibt es da zu verstehen. Das erste: Man braucht nicht zu verstehen, was Gott ist; denn was Gott auch sein mag, es ist nicht zu verste- hen. Verstehen ist, was Gott betrifft, nicht der richtige Weg. Verstehen bedeutet, daß du es auf intellektuellem Wege versuchst - durch Logik, Verstand, Begriffe - und das ist der sicherste Weg, Gott zu verfehlen. Das ist, als wollte jemand durch die Ohren sehen. Er wird so nicht sehen können. Oder jemand will mit den Augen hören. Er wird so nicht hören können. Zum Hören sind die Ohren da und die Augen zum Sehen.

Der Intellekt ist zweckorientiert. Er hilft dir, solange du aus deinem inneren Sein nach außen gehst. Im glei- chen Augenblick, wo du dich nach innen wendest, wird er nutzlos; dann ist er kein Führer mehr. Dann führt er in die Irre. Der Intellekt hat seine Grenzen... und Gott kann man nur fühlen, nicht verstehen. Wenn du nach innen gehst, kommst du der Quelle deines eigenen Seins näher - und das ist die Quelle allen Seins. Wenn ich zu meinem eigenen Selbst gelangt bin, bin ich damit auch zum höchsten Selbst gelangt, denn im Zentrum bin ich nicht mehr ich, son- dern das Ganze. Aber die Richtung muß nach innen gehen, die Richtung muß irgendwo tief in die Tiefe füh- ren. Der Intellekt ist oberflächlich - deshalb wirst du,

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wenn du Gott zu verstehen suchst, immer fehlschlagen. Als erstes muß man verstehen, daß Verstehen nicht der richtige Weg ist. Fühlen...

Ein christlicher Missionar fragte einmal einen sehr primitiven Menschen, einen Eingeborenen: „Wer hat dich gelehrt, was du über Gott weißt?" Der Primitive lachte und antwortete: „Gelehrt? Wer könnte so dumm sein, daß er über Gott erst belehrt werden müßte? Noch nie hat ein Mensch durch Belehrung etwas über Gott erfahren. Zu Gott kommst du durch Fühlen. Alles, was es über ihn zu lehren gibt, ist sein Name. Du nennst ihn Gott, ich nenne ihn gallah. Ich übersetze gallahs Namen in deine Sprache, damit du mich verste- hen kannst, aber wer wäre je durch Belehrung weise geworden?"

Alles, was du über Gott wissen magst, weißt du durch Belehrung - durch deine Eltern, die Gesell- schaft, die Kultur. Es ist deine Konditionierung. Und jetzt hast du dir einen Begriff von Gott gemacht und versuchst, dieses Wort zu verstehen. Gott ist kein Wort. Das Wort Gott ist nicht Gott. Das Wort ist ein- fach ein Wort; es ist in sich selbst leer und bedeutungs- los.

Wenn du wirklich wissen willst, was Gott ist, mußt du dich von dem Wort trennen und in das Gefühl gehen. Du wirst das Denken fahrenlassen und dich dem Nicht-Denken überlassen müssen. Liebe wird dich näher an die Sache heranführen als Denken. Und wenn ich sage, daß Leben Gott ist, so sage ich damit, daß du, wenn du willst, Gott erfahren kannst; verstehen kannst du ihn deswegen jedoch nicht. Leben läßt sich nicht verstehen. Du kannst es leben - das ist der einzig mög- liche Weg, es zu verstehen.

Aber du machst dir Gedanken. Du sagst, du ver- stehst Leben - aber was ist Gott? Wenn du es verstün- dest, wenn du verstündest, was Leben ist, würdest du niemals fragen, was Gott ist. Denn indem du es ver- stehst, löst sich das Problem mit Gott. Ein Mensch, der das Leben in seiner Totalität gelebt hat, hat alles ver-

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standen, was es zu verstehen gibt. Er wird von Gott erfüllt sein. Er wird sich selbst genügend Gott gönnen, und dann wird es keine Verständnisprobleme mehr geben.

Du hast dir selbst noch keinerlei Leben gegönnt. Leer lebst du, versteckt in einem Kokon - so lebst du, blind und taub lebst du. Tot lebst du. Du hast deinem inneren Sein noch nicht das geringste Leben geschenkt - und dort liegt das Aroma, dort liegt die Würze von dem, was Gott ist. Du mußt vom Leben essen. Du mußt vom Leben trinken. Du mußt leben, du mußt darin auf- gehen.

Aber der Verstand ist schlau; er denkt ununterbro- chen über Gott nach. Denken ist eine sehr sichere Angelegenheit. Du begibst dich dabei nie aus dir selbst heraus. Du spielst nur unentwegt mit Wörtern herum. Wenn du zu sehr am Wort interessiert bist, wenn du wissen möchtest, was das Wort Gott bedeutet... es bedeutet gar nicht Gott. Wenn du nur am linguistischen Symbol Gott interessiert bist, solltest du die Sprachwis- senschaftler fragen; dann komme nicht zu mir. Sie sagen, daß Gott von einem Wort abstammt, daß ghu-to lautet. Und ghu-to bedeutet der Gerufene, nichts wei- ter. Wenn du das Leben rufst, wird es zu Gott - dem Gerufenen. Wenn du das Leben erweckst, wird es zu Gott.

Gott ist eine bestimmte Situation von Leben, und zwar wenn du es anbetest, wenn du dich in einem tiefen Dialog mit dem Leben befindest. Wenn du zum Him- mel schaust und sagst: „Vater, der du bist im Him- mel...", dann hast du das Leben gerufen. Nun ist das Leben nicht mehr nur Leben - es ist zum Gerufenen geworden, zum Erweckten. Das Wort Gott bedeutet ganz einfach dies.

In tiefer Liebe beginnt man manchmal zu laut zu rufen, Worte auszustoßen... ein Dialog entsteht. Das Leben ist dann nicht mehr nur Es-, es wird ein Du. Dies ist die Bedeutung des Wortes Gott. Wenn das Leben zum Geliebten wird, wenn das Leben zum Du wird und

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du in tiefer Beziehung zu ihm bist, ist das Leben plötz- lich zu Gott geworden. Gott ist ein tiefes Einssein mit dem Leben. Wenn du nur das Wort verstehen willst... Ja, man nimmt wirklich besser ein anderes Wort dafür - Gott - nicht einfach Leben. Erwecktes, angerufenes Leben. Leben in tiefer Beziehung.

Eine gewöhnliche Frau geht vorüber. Sie ist eine Frau - aber wenn die Liebe in deinem Herzen ruft, ist sie keine Frau mehr; dann ist sie eine Geliebte. Wir können sagen, daß alle Geliebten Frauen sind. Es gibt eine bestimmte Anlage im Wesen einer Frau, zur Geliebten zu werden - wenn sie gerufen worden ist, wenn sie nicht mehr nur eine Sie ist... wenn sie zum Du wird, wenn sie bezogen ist.

Habt ihr diese Verwandlung schon einmal beobach- tet? Die Frau mag schon viele Male an dir vorüberge- gangen sein, und doch war sie nur eine Frau, so wie es noch viele Millionen anderer Frauen gibt. Dann ändert sich eines Tages plötzlich etwas. Die Frau ist keine gewöhnliche Frau mehr; sie ist göttlich geworden. Sie ist eine Geliebte. Nun ist sie dir plötzlich nahegekom- men; dein Herz hat gerufen.

Oder ein Mann. Du kennst ihn als einen von so vie- len Männern - nur ein Bestandteil der Statistik, eine Zahl unter Millionen von Männern; er hat für dich kein besonderes Gesicht, er ist nicht auf dich bezogen... wenn dieser Mann verschwinden und durch einen anderen ersetzt würde, du würdest den Unterschied nicht einmal bemerken; er ist nur eine Ziffer, er ist für dich noch keine Person; unerweckt, ungerufen, bleibt er anonym, trägt keinen Namen... Dann entsteht eines Tages plötzlich Liebe. Nun ist er kein gewöhnlicher Mann mehr; er ist zum Gott geworden.

Du,bist geweckt, gerufen, einbezogen worden... eine Kommunion hat stattgefunden. Und nicht nur der Mann hat sich verändert; gleichzeitig hast auch du dich verändert. Etwas vom Jenseits ist eingedrungen. Ja, das Wort Gott hat eine Funktion - erwecktes Leben; Leben, das «um Du geworden ist, Leben, das zur Per-

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son geworden ist. Du bist ihm gegenüber nicht mehr gleichgültig. Du fühlst für das Leben - eine Kommu- nion hat stattgefunden. Dann wird das Leben zu Gott. Dann wird Leben nicht mehr mit kleinen Buchstaben geschrieben, sondern mit Großbuchstaben: LEBEN. Aber es ist nicht möglich, Gott durch den Intellekt zu verstehen, denn es ist auch nicht möglich, die Liebe durch den Intellekt zu verstehen.

Gott ist erweckte Liebe. Und in diesem Licht der Liebe wird alles umgewandelt. Es ist alchemistisch, magisch. Gönnt euch ein wenig Gott. Allein darum geht es mir. Wenn ich sage, daß Leben Gott ist, meine ich damit, daß ihr Gott nicht in den Tempeln und in den Moscheen und in den Kirchen suchen sollt. Dort wer- det ihr den Gott der Philosophen finden, den der Theo- logen - ein Betrügergott, ein falscher Fünfziger, ein Falschmünzer.

Vertieft euch in die Bäume, in die Blumen, in die Sterne, in die Menschen, in die Tiere, in die Vögel. Überall wo Leben ist, da schaut tief hinein. Weckt Gott dort. Betet dort. Betet vor einem Baum. Betet vor einem Tier. Betet vor den Sternen. Weckt Gott dort. Dort ist der wahre Tempel.

Wenn ich euch sage, daß Leben Gott ist, so meine ich folgendes: Beengt euch nicht in den Tempeln, beengt euch nicht in den Kirchen, und begrenzt euch nicht durch Bibeln und Gitas und Korane. Seid in kei- ner Hinsicht begrenzt. Das Leben ist grenzenlos. Begegnet dem Unendlichen. Fürchtet euch nicht vor dem Grenzenlosen. Woher rührt diese Furcht vor dem Grenzenlosen? Die Furcht ist, im Grenzenlosen ver- schwinden zu müssen. In einer Kirche kann man nicht verschwinden. Man kann sich mit ihr arrangieren. Eine Kirche entspringt der eigenen Konstruktion. Sie ist willkürlich. Sie ist künstlich. Sie ist eine Plastikblume. Man kann sie kontrollieren, manipulieren. Ihr habt eure Hände hinter den Kulissen. Der Gott in der Kir- che ist eure eigene Schöpfung. Der wahre Gott ist vollkommen anders. Wenn du

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zum wahren Gott kommst - dem Leben -, dann bist du Gottes Schöpfung. Dann steht Gott hinter allem. In der Kirche steckst du hinter allem. Die Kirche ist eine Täu- schung. Wenn ich also sage, daß das Leben Gott ist, meine ich damit ganz einfach, daß ihr euch keine Ersatzgötter schaffen sollt, daß ihr euch keine Ersatz- tempel schaffen sollt. Dieser riesige Raum ist der Tem- pel, und dieses sich grenzenlos bewegende Leben ist der Gott.

Gönne dir ein wenig Gott, und du wirst verstehen. Und dieses Verständnis wird nicht aus dem Intellekt kommen; es wird mehr aus deinem gesamten Wesen kommen. Es wird mehr aus dem Blut und aus dem innersten Mark kommen.

Ich habe eine Anekdote gelesen: Ein Mann saß in einer Bar und brütete über seinem Bier und sagte zu seinem Freund: „Ich kann dir sagen, Mulligan, ich weiß nicht, was ich mit meiner Frau anstellen soll." - „Was ist es denn nun schon wieder?"

„Die gleiche alte Geschichte - Geld. Sie will immer Geld. Erst letzten Donnerstag wollte sie zehn Dollar haben, gestern bat sie mich um zwanzig, und heute morgen forderte sie doch sage und schreibe fünfzig Dollar." - „Was tut sie denn um Himmels Willen mit all dem Geld?", fragte der Freund. „Das werden wir nie erfahren. Ich habe ihr nämlich nie welches gegeben."

Gönne dir ein wenig Gott, dann wirst du aufhören zu fragen, wer Gott ist. Du gönnst dir nicht das geringste bißchen Gott, und dann fragst du ununterbrochen. Niemand kann dir Gott geben, denke daran. Du mußt dich selbst auf Gott einlassen. Ich kann dir Gott nicht geben. Gott ist keine Ware, er ist kein Ding. Er ist eine Erfahrung, die so geartet ist, daß nur du selbst sie machen kannst. Du wirst allein gehen müssen. Du wirst ganz alleine gehen müssen, entblößt von allen Gedan- ken, vollkommen nackt, bar aller Philosophien, bar aller Schriften. Und wenn du einmal ein wenig gekostet hast, wirst du verstehen. Liebe das Leben, dann wird es mit der Zeit in dei-

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nem Dasein licht werden. Durch tiefe Liebe zum Leben gelangst du zur Einsicht in das, was Gott ist.

Der letzte Teil der Frage lautet: Es heißt, Gott sei derjenige, der die Welt schuf. Gott ist die Welt. Der Verstand schafft ständig Dualismen. Er sagt, Gott sei derjenige, der die Welt schuf. Dann ist die Welt für sich und auch Gott ist für sich. Er kann aber nicht von dieser Welt abgetrennt sein. Wenn er abgetrennt wäre, könnte die Welt nicht einen einzigen Augenblick lang ohne ihn existieren. Er ist das Leben des Lebens selbst.

Ihr dürft euch daher Gott nicht als einen Maler vor- stellen, der auf einer Leinwand malt, und danach exi- stiert die Leinwand für sich und auch Gott existiert für sich. Der Maler kann sterben, aber das Gemälde kann dennoch weiterbestehen. Aufgrund dieser Dualität konnte Nietzsche sagen: „Gott ist tot." Wozu taugt er denn noch? Er hat die Welt geschaffen - und damit basta! Wozu diese Last noch mit sich herumschleppen? Wozu wird Gott gebraucht? Wenn er die Welt einmal geschaffen hat, wozu wird er dann noch gebraucht? Die Welt ist da, du bist da. Dieser Gott kann nur eine Behinderung sein. Er wird sich zwischen dich und das Leben stellen - mach' Schluß mit ihm!

Und Nietzsche hat auf eine Weise recht: Dies ist der logische Schluß aus der Dualität. Die Welt ist vollkom- men in Ordnung ohne Gott. Warum sollte man ihn ins Spiel bringen? Tatsächlich, je mehr du ihn ins Spiel bringst, umso mehr Probleme entstehen. Schaut euch die Religionen an. Wieviele Kriege, Morde, wieviel Gewalt geht auf ihr Konto?... Was ist nicht alles im Namen der Religion geschehen? Die Welt hat unge- heuer unter ihr gelitten. Macht Schluß mit diesem Gott. Er schuf die Welt; sagt ihm ein letztes Danke- schön und macht Schluß mit ihm. Nun ist er nicht mehr von Nutzen. Er ist ohnehin schon viel zu alt, fast eine Ruine...

Nietzsche sagte: „Gott ist tot. Und jetzt ist der Mensch frei." Dies ist die logische Schlußfolgerung des dualistischen Denkens.

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Im Osten haben wir uns Gott nie als Maler vorge- stellt. Wir haben uns Gott als Tänzer vorgestellt. Der Tanz ist vom Tänzer nicht zu trennen; das Gemälde kann für sich sein. Deshalb ist der Tanz lebendig und das Gemälde ist tot. Wie schön ein Gemälde auch sein mag, es ist tot. Es ist von seinem Schöpfer abgelöst. Im Augenblick, wo es abgelöst wird, ist es tot. Es mag ein Leben im Geist des Malers geführt haben, es mag lebendig gewesen sein, als es noch nicht gemalt war. Im Augenblick, da es gemalt ist, ist es zu Ende; es ist dann schon ein totes Produkt. Aber ein Tanz...

In Indien nennen wir Gott „nataraj" - den Gott der Tänzer. Ihr müßt Shiva schon einmal tanzen gesehen haben. Das ist die östliche Gottesvorstellung - ein nicht-dualistisches Konzept. Wenn der Tänzer zu tan- zen aufhört, hört auch der Tanz auf. Man kann den Tanz nicht vom Tänzer trennen. Und der Tanz kommt zu einem Höhepunkt, zu einem Crescendo, wenn der Tänzer sich vollkommen darin verloren hat - wenn es weder einen Tänzer noch einen Tanz mehr gibt; beide sind eins... eine einzige Bewegung reiner Energie, rei- nen Entzückens.

Deshalb läßt sich nichts mit dem Tanz vergleichen - weder Poesie noch Malerei noch Skulptur; nichts reicht an den Tanz heran. Tanz bleibt die höchste Kunst. Und dies ist die erste Kunst, die geboren wurde, und es wird auch die letzte sein, die bleibt; denn das Tanzen hat etwas vom Leben selbst in sich. Gott ist ein Tänzer. Er ist kein Schöpfer im Sinne eines Malers; er ist ein Schöpfer im Sinne eines Tänzers.

Ich will es einmal auf eine andere Weise ausdrücken: Gott ist kein Schöpfer, sondern Kreativität... eine dynamische Energie. Im Augenblick, in dem du Schöp- fer sagst, ist er tot. Das Wort Schöpfer selbst beinhaltet schon einen Abschluß. Kreativität ohne Ende, unge- heure Bewegung, ein Strömen und Steigern zu immer höheren Gipfeln...

Die Tiere sind ein Tanz Gottes. Die Bäume sind ebenfalls ein Tanz Gottes. Auch die Menschheit ist ein 112

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Tanz Gottes, der höher und höher strebt. Gott bewegt sich schneller und schneller - immer verrückter, immer schneller, er löst sich in seinem Tanz auf. Ein Buddha oder ein Jesus ist die höchste Steigerung dieses Tan- zes... wenn der Tänzer so vollkommen trunken und verzückt ist, daß er selbst zum Tanz geworden ist. Des- halb sage ich, daß du Gott näherkommen wirst, wenn du das Leben in seiner vollen Dynamik lebst - denn Gott tanzt immer noch. Sage nicht, daß er die Welt erschuf - er erschafft sie immer noch. Wie sollten sonst weiter Bäume wachsen? Wie sollten ständig Blumen blühen? In jedem Augenblick wird die Welt erneuert. In jedem Augenblick wird neues Leben frei.

Nein, der christliche Gott ist falsch - der Gott, der die Welt in sechs Tagen erschuf und am siebten ruhte. Es scheint nicht zu stimmen - ein Feiertag für Gott wäre der Tod. Denkt einmal darüber nach. Ein Feier- tag für einen Gott wäre der Tod seiner Schöpfung. Der Tänzer kann keinen Feiertag einlegen, sonst würde der Tanz verschwinden! Und schon die Vorstellung, daß Gott müde wurde, ist albern. Er erschafft immer noch. Er besteht aus lauter Schöpferkraft.

Denkt in Energiebegriffen; stellt ihn euch nicht ding- lich vor. Denkt in Energiebegriffen. Der wilde Ozean... Gott ist ein wilder Ozean von Energie - er bewegt sich weiter und weiter, Wellen auf Wellen, ohne Ende. Es hat niemals einen Anfang gegeben. Schon die Idee eines Anfangs entspringt dem Ver- stand. Wie kann die Welt beginnen?

Vor Darwin glaubten die Christen, daß Gott die Welt an einem bestimmten Datum schuf. Ein beson- ders dummer Theologe legte sogar den genauen Tag fest - viertausendundvier Jahre vor Christus, genau an einem Montag, begann er... es muß der erste Januar gewesen sein. Da erhebt sich die Frage - was hat er denn davor getan? Das dürft ihr niemals Christen fra- gen; das macht sie wütend. Sogar ein Mann wie der Heilige Augustinus wurde sehr, sehr wütend. Jemand fragte ihn - die Frage scheint angebracht und ohne jede

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Hinterlist gestellt zu sein - er fragte: „Ich verstehe, daß Gott die Welt viertausendundvier Jahre vor Christi Geburt schuf, aber was hat er davor getan?"

Natürlich gibt es in der christlichen Theologie keine Antwort darauf. Der Heilige Augustinus wurde sehr wütend, und er sagte: „Er hat gebrütet und sich Strafen für Leute wie dich ausgedacht, die solche Fragen stel- len." Das ist nicht besonders heilig. Die Frage war sehr unschuldig; diese Wut ist völlig unangemessen. Aber der Mann warf eine Frage auf, die die gesamte christli- che Theologie über den Haufen wirft. Nein, es hat nie- mals einen Anfang gegeben. Es kann keinen gegeben haben, denn sonst wird immer die Frage aufkommen: Was war dann vor diesem Anfang? Und es wird auch niemals ein Ende geben, denn dann käme die Frage auf: Was wird nach diesem Ende sein? Wenn du dir etwas vor dem Anfang vorstellen kannst, war es nicht der Anfang. Wenn du dir etwas nach dem Ende vorstel- len kannst, ist es nicht das Ende.

Die Welt ist ein ununterbrochener Prozeß. Gott ist Schöpferkraft - Schaffen und Schaffen und Schaffen. Sobald ich Schaffen sage, fühle ich mich damit in Wirk- lichkeit auch nicht glücklich. Die Sprache ist nicht fähig, es genau zu beschreiben. Im Augenblick, da ich Schaffen sage, scheint es schon wieder so, als wäre Gott losgelöst. Nein, er ist der Schöpfer und er ist das Geschaffene. Er ist die gleiche Energie, die zum Felsen wird, zum Baum wird, zum Menschen wird... die glei- che Energie, die zum Heiligen und zum Sünder wird... die gleiche Energie, die auch weint und schreit und lacht... die gleiche Energie, die zum Tag und zur Nacht wird, Leben und Tod, Sommer und Winter- nicht-dua- listisch.

Die Existenz ist Gott, der durch die Liebe gerufen wurde, der durch die Liebe erweckt wurde. Im Augen- blick, da du zu beten fähig wirst, wird die Existenz zu Gott. Im Augenblick, da du zu tiefer Liebe fähig wirst, wird das Leben zu Gott. Es ist eine Umwandlung der gleichen Energie.

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Gott ist also nicht etwas, das wie ein Objekt existiert. Wenn ich ihn erfahren habe, kann ich ihn dir nicht zei- gen. Bevor du ihn nicht weckst, bevor du nicht mit ihm selbst in Kontakt kommst, bevor du nicht zum Gebet niederkniest, bevor du ihn nicht anrufst, kannst du ihn nicht kennen. Und das Dilemma ist, daß du zuerst völ- lig sicher sein willst, ob er existiert, bevor du beten kannst. Und er existiert nur durch Beten; er existiert nur durch Vertrauen. Und du möchtest zunächst sicher sein, ob die Hypothese stimmt, daß Gott existiert; erst dann kannst du vertrauen. Nun, das ist ein Dilemma. Wenn du beschließt, daß du erst Sicherheit brauchst, wirst du niemals wissen, was Gott ist.

Nur Spieler können Gott kennen..., die sich keine Sorgen über Sicherheit machen, die bereit sind, sich in Gefahr zu begeben, die bereit sind, sich in Unsicherheit zu begeben, die bereit sind, ins Unbekannte zu gehen, die bereit sind, die angenehme Vergangenheit hinter sifh zu lassen, die bequeme Vergangenheit, die wie kleine Kinder sind - ständig staunend und ständig unterwegs.

Gott ist nur für die Mutigen. Er erfordert den größ- ten Mut, den man sich denken kann. Denn es ist das Schwierigste von der Welt - für den Verstand fast ein Ding der Unmöglichkeit. Erst kommt das Vertrauen, und dann erscheint Gott. Du erschaffst Gott durch dein Vertrauen. Du schlägst die Augen des Vertrauens auf, und plötzlich nimmt das Leben eine Wendung, es wird verwandelt - es wird gottselig, es wird göttlich. Gott ist deine Subjektivität, deine innerste Ruhe, deine Heim- kehr.

Gott hat nichts mit Theologie zu tun; er hat etwas damit zu tun, wie du dein Leben lebst-ob du durch den Verstand lebst oder ob du durch das Herz lebst. Wenn du dein Leben durch das Herz lebst, dann vergiß Gott; er wird für sich selbst sorgen. Er wird kommen, er wird an dein Herz klopfen. Früher oder später wirst du den Ton seiner Schritte näher und näher kommen hören. Die Schläge deines Herzens selbst werden zu diesen

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Schritten werden... zum Ton seiner Schritte. Dein Atem selbst wird sein Kommen und Gehen sein.

Wenn man sich in der Situation von Musos Jünger befindet - man möchte einen Samurai dafür töten, daß er gewagt hat, den Meister zu beleidigen - sollte man dies mit echter Totalität tun und anschließend meditieren? Oder sollte man einen solchen Ego-Impuls unterdrük- ken? Oder gibt es noch eine dritte Alternative?

Das Erste und Grundsätzlichste, was man verstehen muß: Was du auch tun magst, es darf kein Reagieren sein. Wenn es ein Agieren ist, gibt es kein Problem.

Wenn Musos Jünger aus seiner Spontaneität heraus gehandelt hätte, Muso hätte ihn sicherlich gesegnet; er jedoch begann zu reden, daß er dies gerne tun würde, daß er diesem Manne nicht erlauben könne, weiterzu- leben, daß er den Meister beleidigt habe... Wenn er gehandelt hätte, anstatt darüber nachzugrübeln, anstatt den Verstand einzuschalten; wenn er mit Nicht- Denken gehandelt hätte, hätte der Meister ihn sicher- lich gesegnet.

Agieren ist immer gut, Reagieren immer schlecht. Deshalb versuche zunächst, diesen Begriff Reagieren zu verstehen. Er bedeutet, daß du unbewußt handelst. Jemand manipuliert dich. Jemand sagt etwas, tut etwas, und du reagierst. Der wahre Meister der Situa- tion ist jemand anders. Jemand kommt, beleidigt dich, und du reagierst, du wirst wütend. Jemand kommt und lobt dich, und du lächelst und bist glücklich. Beides ist das Gleiche. Du bist ein Sklave, und der andere weiß, wie er deine Knöpfe drücken kann. Du verhältst dich wie eine Maschine. Du bist ein Automat, du bist noch kein Mensch. Agiere, reagiere nicht. Sei kein Spielzeug in den Händen anderer.

Und über einen Menschen, der aus dem Nicht-Den- ken heraus handelt, kannst du keine Vorhersagen machen; nur der Verstand ist vorhersagbar. Wenn der Jünger ein verwirklichter Mensch gewesen wäre, ein wacher Mensch, würde niemand sagen können, welche 116

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Wendung die Geschichte genommen hätte - niemand könnte das sagen. Niemand könnte es sagen; dem Bewußtsein stehen Tausende von Alternativen offen. Die Geschichte wäre vollkommen anders verlaufen, soviel ist sicher. Er hätte vielleicht den Samurai aus dem Boot geworfen, oder vielleicht wäre er auch selbst aus dem Boot gesprungen, oder vielleicht hätte er gar Muso, seinen Meister, aus dem Boot geworfen. Nie- mand weiß es.

Bewußtsein ist totale Freiheit. Aber eines ist sicher: Was auch geschehen wäre, der Meister hätte seinen Segen gegeben - wenn die Tat aus dem Nicht-Denken entsprungen wäre, spontan, ein von keinem anderen kontrollierter Akt totaler Gegenwart, der aus dem ureigenen Wesen des Akteurs entspringt...

Wir reagieren unseren Konditionierungen entspre- chend. Wenn du in eine Familie von Vegetariern hin- eingeboren wurdest und dir wird nicht-vegetarisches Essen vorgesetzt, wirst du Widerwillen, Brechreiz und Übelkeit verspüren. Nicht wegen des nicht-vegetari- schen Essens, sondern wegen deiner Konditionierung. Jemand anders, der auf nicht-vegetarisches Essen kon- ditioniert wurde, wird dessen bloßen Anblick schon genießen, er wird Appetit verspüren und nicht Wider- willen, er wird sich glücklich fühlen, er wird entzückt sein. Auch das ist eine Konditionierung.

Wir reagieren, weil wir auf eine bestimmte Weise kon- ditioniert worden sind. Du kannst dazu konditioniert worden sein, sehr höflich zu sein. Du kannst dazu kondi- tioniert worden sein, immer die Kontrolle zu behalten. Du kannst dazu konditioniert worden sein, still zu sein. Du kannst dazu konditioniert worden sein, in Situatio- nen ruhig zu bleiben, in denen andere Menschen gewöhnlich verwirrt und zerfahren sind. Aber wenn es eine Konditionierung ist, hat es nichts mit Religion zu tun; dann hat es etwas mit Psychologie zu tun. Und in diesem Bereich sind nicht Buddha oder Jesus die Mei- ster - B.F. Skinner und Pavlov, das sind hier die Mei- ster. Es handelt sich hier um konditionierte Reflexe.

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Ich habe eine Geschichte gehört. In B.F. Skinners Labor wurde eine neue Maus eingeführt. Diese Leute arbeiten unentwegt mit Mäusen, weil sie dem Men- schen kein Vertrauen mehr schenken. Sie denken, wenn sie den Geist einer Maus verstanden hätten, hät- ten sie die Menschheit verstanden. Die alte Maus, die schon sehr lange Zeit bei Skinner gewesen war, weihte die neue Maus ein und sagte: „Schau. Dieser Professor Skinner ist ein sehr guter Mensch, aber du mußt ihn zuerst konditionieren. Drücke diesen Knopf, dann kommt sofort das Frühstück. Ich habe ihn perfekt kon- ditioniert,"

B.F. Skinner denkt, er habe seine Versuchsmäuse konditioniert, und sie denken, sie hätten ihn konditio- niert. Konditionierung ist Mord; die Spontaneität wird abgetötet. Der Geist wird mit gewissen Ideen gefüttert, und es wird dir nicht gestattet, spontan zu sein; es ist dir nur gestattet, zu reagieren. Ob in kleinen oder großen Dingen, der Vorgang ist der gleiche.

Wenn du in einer religiösen Familie aufgewachsen bist, ist das Wort Gott so schön, so heilig. Wenn du jedoch in einer kommunistischen Familie in Sowjet- Rußland aufgewachsen bist, ist schon das Wort häßlich und ruft Übelkeit hervor. Man hat dann das Gefühl, als ob schon das Aussprechen dieses Wortes einen üblen Geschmack im Mund hinterließe.

Groß oder klein, darum geht es nicht. Wenn du dich ständig so verhältst, wie du konditioniert worden bist, funktionierst du wie eine Maschine; der Mensch ist dann noch nicht geboren worden.

Es heißt, wenn man einem Engländer einen Witz erzähle, würde er dreimal lachen. Das erste Mal lacht er, wenn man ihm den Witz erzählt - um höflich zu sein. Beim zweiten Mal lacht er, wenn man ihm alles erklärt - wieder um höflich zu sein. (Darin besteht das Trai- ning eines Engländers - immer höflich sein.) Schließ- lich lacht er noch ein drittes Mal mitten in der Nacht, wenn er aus tiefem Schlaf erwacht und plötzlich die Pointe versteht.

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Wenn man einem Deutschen einen Witz erzählt, lacht er zweimal. Beim ersten Mal lacht er, wenn du den Witz erzählst - um höflich zu sein. Beim zweiten Mal lacht er, wenn du ihm alles erklärst - um höflich zu sein. Er wird kein drittes Mal lachen, denn er wird den Witz niemals verstehen.

Wenn du einem Amerikaner den gleichen Witz erzählst, wird er einmal lachen, weil er ihn versteht.

Wenn du den gleichen Witz einem Juden erzählst, wird er überhaupt nicht lachen. Stattdessen wird er sagen: „Das ist ein alter Witz, und außerdem erzählst du ihn völlig falsch."

Es mag ein Witz sein oder vielleicht auch eine groß- artige Philosophie. Es mag eine Banalität sein oder auch Gott selbst - das macht keinen Unterschied. Die Manschen verhalten sich so, wie sie konditioniert wor- den sind, wie sie erzogen worden sind, wie man es von ihnen erwartet, daß sie sich verhalten. Der Natur wird nicht gestattet, sich zu entfalten, nur der Erziehung wird freie Bahn gegeben. Einen solchen Menschen nennen wir Sklaven.

Wenn du frei wirst, wenn du alle Konditionierung fallenläßt und du schaust zum ersten Mal mit frischen Augen aufs Leben, ohne daß Wolken der Konditionie- rung dazwischenstehen, dann wirst du unvorhersagbar. Dann weiß niemand, dann kann sich niemand vorstel- len, was geschehen wird. Denn dann bist du nicht mehr da; Gott handelt durch dich hindurch. Gegenwärtig handelt immer nur die Gesellschaft durch dich hin- durch.

Sobald du einmal ganz einfach wach bist, bereit, spontan auf eine Situation einzugehen, ohne feste Vor- stellung, ohne Vorurteil, ohne Plan, offen für alles, was im Augenblick geschehen mag, dann wirst du wahr und authentisch. Merkt euch zwei Worte - Autorität und Authentizität. Gewöhnlich handelt ihr gemäß der Autorität, die euch konditioniert hat - Priester, Politi- ker, Eltern. Ihr verhaltet euch nach den Vorstellungen eurer Autoritäten.

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Ein religiöser Mensch richtet sich nicht nach den Vorstellungen einer Autorität, er richtet sich nach sei- ner eigenen Authentizität. Er geht auf das ein, was ist. Eine Situation entsteht, eine Herausforderung ist da - er geht darauf ein, mit seinem ganzen Sein. Sogar er selbst kann darüber keine Voraussagen treffen.

Wenn du eine Frage stellst, so weiß nicht einmal ich selbst, welche Antwort ich dir geben werde. Erst indem ich sie gebe, weiß ich sie; erst dann sage ich: „So, dies ist die Antwort." Deine Frage ist da, ich bin hier - eine Antwort muß sich einstellen. Antwort ist Verantwort- lichkeit. Antwort ist Authentizität. Antworten heißt, im Augenblick leben. Deshalb: Wenn der Jünger ein wenig bewußter gewesen wäre, ich weiß nicht, was dann geschehen wäre. Was geschehen wäre weiß ich nicht, niemand kann das sagen.

Über unbewußte Menschen kann man jederzeit Voraussagen machen. Ich kann sagen, daß das gleiche geschehen wäre, wenn du anstelle jenes Jüngers dort gewesen wärst - genau das gleiche. Es gibt nur zwei Möglichkeiten; entweder wärst du ein Feigling gewe- sen oder du wärest mutig gewesen. Wenn du stark gewesen wärest, so hättest du dich genauso verhalten wie der Jünger es tat. Wenn du ein Weichling gewesen wärest, so hättest du irgendwelche Rationalisierungen gefunden, um dich dahinter zu verkriechen. Dies sind die beiden Alternativen.

Aber für einen wirklich verstehenden Menschen gibt es keine Alternativen - alle Möglichkeiten stehen jederzeit offen, keine Tür ist verschlossen. Und jeder Augenblick entscheidet. Er fällt keine Entscheidungen im voraus, er hat keine vorgefertigten Entscheidungen zur Hand. Er bewegt sich frisch und unberührt. Dies ist die Unberührtheit des Erleuchteten... Er ist nicht durch die Vergangenheit bestochen.

Wenn du diese Geschichte hörst, kannst du zwei Dinge tun. Das eine: du kannst versuchen, geduldig zu sein, so wie der Meister es seinem Jünger riet. Wenn du versuchst, geduldig zu sein, wird das Unterdrückung

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sein. Es wird nicht helfen. Solche Geduld wird nicht echt sein; tief im Inneren wird ein Aufruhr herrschen, Gereiztheit, eine ganze Menschenmenge wird pöbeln, und an der Oberfläche wirst du so tun als wärest du geduldig.

Die zweite Möglichkeit ist, daß du verstehst, daß die Reaktion nur eine Reaktion war, eine mechanische Reaktion, und du dadurch wacher wirst. Nicht etwa, daß du deine Ungeduld unterdrückst - du wirst wachsa- mer, du wirst bewußter, und die Geduld folgt dann wie ein Schatten. Bewußtheit ist der Schlüssel. Wenn du bewußt wirst, folgt alles andere. Versuche nicht, irgend etwas zu werden - geduldig, liebevoll, gewaltlos, fried- lich. Versuche es gar nicht erst. Wenn du es versuchst, wirst du dich selbst nur zwingen und zum Heuchler wer- den. Auf diese Weise ist alle Religion zu Heuchelei geworden. Innerlich bist du anders, außen bist du über- tüncht. Du lächelst, und im Inneren hättest du am lieb- sten jemanden umgebracht. Im Innern schleppst du alten Müll mit dir herum, und an der Außenseite ver- sprühst du unentwegt Parfüm. Innen stinkst du, außen erweckst du die Illusion, du seist eine Rose.

Unterdrücke niemals. Unterdrückung ist das größte Unglück, das dem Menschen je zugestoßen ist. Und sie passiert aus sehr schönen Gründen. Du schaust einen Buddha oder einen Muso an - so still, so frei von jeder Störung! Gier entsteht: du möchtest auch so sein. Aber wie? Du versuchst nun, eine Steinstatue zu sein. Wann immer eine Situation entsteht, die dich verwirren kann, bremst du dich. Du kontrollierst dich. Kontrolle ist ein schmutziges Wort. Es fängt zwar nicht mit Sch... an, aber dennoch stinkt es.

Freiheit... Und wenn ich Freiheit sage, meine ich damit nicht Zügellosigkeit. Das könnte man mißverste- hen.. . Wenn ich Freiheit sage, könntet ihr Zügellosig- keit verstehen; denn so geht es meistens. Wenn ein kontrollierter Kopf etwas von Freiheit hört, versteht er das sofort als Zügellosigkeit. Zügellosigkeit ist der Gegenpol zu Kontrolle. Freiheit liegt genau dazwi-

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schen, ganz genau in der Mitte, dort, wo es weder Kon- trolle noch Zügellosigkeit gibt. Freiheit hat ihre eigene Disziplin, aber sie wird von keiner Autorität erzwun- gen. Sie entspringt deiner Bewußtheit, deiner Authen- tizität. Freiheit sollte nie als Zügellosigkeit mißverstan- den werden, sonst geht man schon wieder fehl.

Bewußtheit bringt Freiheit. Wo Freiheit ist, besteht kein Bedarf an Kontrolle, weil es keine Möglichkeit der Zügellosigkeit gibt. Nur aufgrund von Zügellosigkeit seid ihr gezwungen, euch zu kontrollieren, und wenn ihr zügellos bleibt, wird die Gesellschaft fortfahren, euch zu kontrollieren. Nur aufgrund dieser Zügellosig- keit gibt es den Polizisten und den Richter und den Politiker und die Gerichte, und sie zwingen euch unent- wegt, euch selbst zu kontrollieren. Und wenn ihr euch kontrolliert, entgeht euch völlig, warum ihr überhaupt lebt, weil ihr das Feiern vergeßt. Wie könnt ihr feiern, wenn ihr kontrolliert seid?

Es passiert fast jeden Tag. Wenn Leute zu mir kom- men, die zu kontrolliert und zu diszipliniert sind, ist es fast unmöglich, hinter ihre vernagelte Stirn zu dringen; sie sind zu dickfellig... steinerne Mauern sind um sie herum aufgeschichtet. Sie sind zu Stein geworden, sie sind eiskalt geworden, die Wärme ist verlorengegan- gen. Denn wenn du warm bist, besteht die Angst - du könntest ja etwas anrichten. Deshalb haben sie sich selbst getötet, sie haben sich völlig vergiftet. Um unter Kontrolle zu bleiben, haben sie nur eine einzige Lösung gefunden, und die lautet: überhaupt nicht zu leben. Sei also ein Steinbuddha. Dann kannst du vortäuschen, daß du geduldig, still und diszipliniert bist.

Aber das ist nicht das, was ich hier lehre. Kontrolle muß ebenso wegfallen wie Zügellosigkeit. Jetzt wirst du verwirrt sein. Du kannst nur zwischen Kontrolle und Zügellosigkeit wählen. Du sagst: „Wenn ich die Kon- trolle loslasse, werde ich zügellos werden. Wenn ich die Zügellosigkeit loslasse, muß ich Kontrolle üben." Aber ich sage dir, wenn du bewußt wirst, gehen Kontrolle und Zügellosigkeit den gleichen Bach hinunter. Sie

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sind zwei Seiten der gleichen Münze, und im Zustand der Bewußtheit sind sie beide nicht notwendig.

Eine kleine Geschichte: Ein achtzehn Jahre alter Jüngling, der stets ein wenig scheu und zurückgezogen gewesen war, beschloß eines Abends, sich zu ändern. Er kam geschniegelt aus seinem Schlafzimmer herunter und fuhr seinen Vater an. „Heh, ich gehe jetzt in die Stadt. Ich werde ein paar hübsche Mädchen aufreißen. Ich werde mich vollständig besaufen und einen irren Spaß haben. Ich werde alles das machen, was man in meinem Alter machen sollte und mir ein bißchen Pep in mein Leben bringen. Versuche also gar nicht erst, mich abzuhalten!" Sein alter Herr sagte: „Versuchen, dich abzuhalten? Warte einen Augenblick, mein Sohn! Ich komme mit."

Alle kontrollierten Leute befinden sich in diesem Zustand - sie brodeln im Inneren und warten nur dar- auf, in die Zügellosigkeit hinein zu explodieren.

Geht einmal und schaut euch die Mönche in den Klö- stern an. In Indien ist diese Art von Neurose sehr ver- breitet. Sie sind alle Neurotiker. Dies ist etwas, das man verstehen muß - entweder wirst du erotisch oder du wirst neurotisch. Wenn du den Eros unterdrückst, die Erotik, dann wirst du neurotisch. Wenn du die Neu- rose losläßt, wirst du erotisch. Und beides ist eine Art von Verrücktheit. Man sollte einfach man selbst sein - weder neurotisch noch erotisch, offen für alle Situatio- nen, bereit, allem zu begegnen, was das Leben mit sich bringt, bereit zu akzeptieren und zu leben - aber immer offen, bewußt, wach, aufmerksam. Deshalb ist das ein- zige, woran man sich ständig erinnern muß, die Selbst- Erinnerung. Du darfst dich selbst nicht vergessen. Und gehe immer vom innersten Kern deines Wesens aus. Laß alles Handeln von dort ausgehen, vom Zentrum deines Wesens selbst, und was du dann auch tun magst, es wird sittlich sein. Sittlichkeit ist eine Funktion des Bewußtseins.

Wenn du etwas von der Oberfläche her tust, mag es nicht wie eine Sünde aussehen, aber es ist eine Sünde.

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Die Gesellschaft mag mit dir zufrieden sein, aber du kannst mit dir selbst nicht zufrieden sein. Die Gesell- schaft mag dich loben, aber du selbst wirst dich tief in dir ständig verdammen, weil du weißt, daß du das Leben vertan hast - und um nichts und wieder nichts.

Was ist das schon - das Lob der Gesellschaft? Wenn die Leute dich einen Heiligen nennen - was ist das schon? Nichts als Gerede. Was macht es schon aus? Du hast Gott verfehlt um des Geredes willen. Du hast das Leben versäumt wegen all dieser dummen Leute um dich herum, damit sie gut von dir reden.

Lebe das Leben von deinem innersten Kern her. Darum allein geht es bei der Meditation. Und mit der Zeit wirst du eine Disziplin fühlen, die nicht erzwungen ist und nicht kultiviert, die spontan entsteht, die natür- lich entsteht, so wie eine Blume blüht. Dann steht dir das ganze Leben offen, und dein ganzes Sein steht dir offen. Und wenn dein ganzes Sein und dein ganzes Leben sich decken, dann entsteht daraus das, was Gott ist, daraus entsteht das, was Nirvana ist.

Folgendes erlebte meine Mutter, als sie noch ein Kind war. Eine sehr schöne Frage; hört gut zu. Ihre Pferdekutsche stand auf der Straße und sie selbst saß darin. Weiter oben auf der Straße stand vor dem Laden des Sattlers ein weite- res Pferd mit einem Karren. Der Junge des Bauern war dabei, auf der Straße die Zügel seines Pferdes zu wech- seln. Er nahm dem Tier die Scheuklappen ab, und so sah das Pferd zum ersten Mal den Karren, den es schon seit Jahren zog. Plötzlich wurde dieser nun zum furchterre- genden Objekt, das bedrohlich hinter dem Tier aufragte, und so raste es verängstigt auf und davon und galop- pierte mit dem Karren im Schlepp die Straße hinunter. Meine Mutter sprang aus ihrer Kutsche heraus, genau in dem Augenblick, als das panische Pferd mit seinem Kar- ren ankam und ihr eigenes Pferd nebst Kutsche umwarf. Das Tier raste immer noch weiter, denn da es an seinen Karren festgebunden war, versuchte es zu entkommen. Ich bin das Pferd. Wer aber ist der Karren?

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Da liegst du falsch. Du bist der Karren. Frage, wer das Pferd ist. Du hast noch nicht erkannt, wer das Pferd in dir ist. Alles, was du von dir selbst kennst, ist der Karren. Wenn du denkst: „Ich bin das Pferd", dann hast du gleich zu Anfang einen falschen Schritt getan. Dann ist keine Freiheit mehr möglich. Dieses Ich ist die Unfreiheit. Dieses Ich ist deine Sklaverei. Dieses Ich besteht aus nichts anderem als Scheuklappen. Dieses Ich ist deine Blindheit.

Und du fragst: Ich bin das Pferd. Was ist der Karren? Natürlich kannst du den Karren nicht sehen, denn du mißverstehst, was der Karren in Bezug auf dich selbst ist. Du unterliegst einem Mißverständnis. Du denkst, du seist das Pferd; deshalb kannst du nicht sehen, wo der Karren ist. Du bist der Karren. Halte nach dem Pferd Ausschau. Und wenn du anfängst, nach dem Pferd Ausschau zu halten, wirst du plötzlich sehen, daß dein gesamtes Ich aus Gefängnissen, Unfreiheiten und Ketten besteht.

Aber der Verstand ist sehr schlau und betrügt, wo er kann. Die Geschichte ist wundervoll, die Begebenheit ist wundervoll; sie hätte fast die Situation für ein satori sein können. Wenn deine Mutter ein wenig bewußter gewesen wäre, wäre dieser Augenblick ein Augenblick des Durchbruchs für sie geworden. Aber auch du siehst den springenden Punkt nicht, und so pflegt der Ver- stand uns zu täuschen.

Ich habe eine Geschichte gelesen. Die Feuer der Hölle werden gelegentlich für einzelne Sünder ange- facht, für länger oder kürzer, je nachdem, wie haar- sträubend ihre jeweiligen Sünden sind. Eines Tages begegneten sich drei Insassen dieses heißen Ortes, da ihre kurzen Ruhepausen zufällig gleichzeitig lagen, und kamen ins Gespräch. Einer sagte: „Ich war Jude, als ich auf Erden weilte, aber ich hatte, um es zu gestehen, eine Schwäche für Schinkenbrote. Ihr seht hier, was daraus geworden ist." - „Wir durften ohne weiteres Schinken essen", sagte der zweite, „denn ich war Katholik. Unglücklicherweise war ich zu freizügig mit

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den Damen. Ehebruch war meine Hauptsünde, und deshalb bin ich hier." Der dritte blieb still, bis die andern beiden sich ihm zuwendeten. „Nun", fragten sie ihn, „warum bist du an diesem heißen Ort?" Und der dritte sagte standhaft: „Ich bin ein Anhänger der Christlichen Wissenschaftler. Dieser Ort ist weder heiß noch bin ich hier."

Nun, sogar in der Hölle kannst du ein Anhänger der Christlichen Wissenschaftler bleiben. Du kannst leug- nen. Denn Christliche Wissenschaftler pflegen stets zu sagen, es sei eine Frage der Phantasie: Wenn du sagst, etwas ist, dann ist es; wenn du sagst, es ist nicht, ist es auch nicht. Wenn es nur so einfach wäre... So einfach ist es aber leider nicht.

Ein Mann traf einen Christlichen Wissenschaftler, und dieser fragte ihn: „Wie geht es deinem Onkel?" Der Mann antwortete: „Er ist sehr schwach und krank." Der Christliche Wissenschaftler entgegenete: „Er denkt das nur. Er ist nicht krank und er ist nicht schwach. Das ist nur Phantasie. Er bildet es sich nur ein." Nach sieben Tagen trafen sie sich wieder, und der Christliche Wissenschaftler fragte: „Wie geht es dei- nem Onkel jetzt?" Der Mann sagte: „Jetzt befindet er sich in noch größeren Schwierigkeiten. Er bildet sich nun schon seit zwei Tagen ein, daß er tot ist."

Der Verstand kann unentwegt neue Spiele spielen. Erst versuchst du zu entkommen. Wenn du nicht ent- kommen kannst, kommst du auf die Idee, daß du gar nicht da bist. Nimm dich in acht.

Du bist der Karren. Sage nicht: „Ich bin nicht der Karren, ich bin das Pferd." Das ist ein Verstandestrick. Wenn du das einmal akzeptierst, wirst du für immer vergeblich Ausschau halten. Du wirst dann nie heraus- finden, was Wagen ist und was Pferd. Dann gerät alles in Verwirrung.

Alles, was du über dich selbst weißt, bist nicht du, ist nicht deine Realität. Alles, was du über dich selbst denkst, sind die Meinungen anderer, die du gesammelt hast. Du brauchst dir nur das anzuschauen, was du über

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dich selbst denkst, und du wirst lauter Stücke entdek- ken, die du hier und dort gesammelt hast. Jemand sagt, du seist schön; dann gehst du und stellst dich vor den Spiegel, und du findest dich selbst ein wenig schöner. Jemand sagt, du seist noch nie so schön gewesen. Das muß stimmen, denn wie kommt er sonst darauf? Die Leute sagen, du seist klug; also denkst du gleich, du seist klug.

Die Leute sagen ständig Dinge, die mit dir zusam- menhängen, und du sammelst ständig Meinungen... Zeitungsausschnitte... und das ist dein ganzes Sein. Schau es dir nur an, dann wirst du es sehen - dieses Stück stammt von deiner Mutter, jenes Stück stammt von deinem Vater, das Stück stammt von deinem Bru- der, das nächste Stück von deinem Lehrer und wieder ein anderes vom Priester. Schau dir nur einfach an, wie sich der ganze Karren um dich herum angesammelt hat.

Und wenn du einmal gesehen hast, daß all das von anderen ausgeliehen ist, gibt es keine Schwierigkeit mehr, es loszulassen. Schon durch dies bloße Sehen fällt es von dir ab - und dann entsteht Bewußtheit. Diese Bewußtheit ist das Pferd, und dort wirst du kein Ich bin finden. Allerhöchstens ein So-Sein, aber darin ist kein Ich enthalten.

Das Ego ist das falscheste Ding von der Welt. Aber wenn du es akzeptierst, schafft es immer mehr Illusio- nen. Es ist sehr produktiv. Es hält nicht viel von Gebur- tenkontrolle. Es schafft ständig mehr Illusionen, mehr Illusionen. Das Ego ist die Mutter aller Illusionen. Wie kann ich ein Zeuge sein, wenn ich total in den Augenblick verliebt bin? Ich fühle mich verwirrt; denn es kommt mir unecht vor, die Situation zu beobachten, wenn ich mit einem Geliebten zusammen bin.

Wer hat dir gesagt, du sollst beobachten? Ich sage nicht, daß du ständig beobachten sollst. Ich sage, sei wach - und das ist etwas völlig anderes. Wenn du beob- achtest, beobachtest du durch den Verstand. Wenn du wach bist, bist du einfach wach; da ist kein Beobachten.

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Wenn ich sage wach, dann meine ich damit nur, du sollst nicht einschlafen. Wachheit hat nichts mit dem Verstand zu tun. Beobachten hat ausschließlich etwas mit dem Verstand zu tun. Beobachten bedeutet, daß du es von außerhalb der Situation aus versuchst. Wachsein bedeutet, ganz bei der Situation zu bleiben, aber dabei nicht zu schlafen. Natürlich entgeht dir das Wesentli- che, wenn du beobachtest - die ganze Schönheit der Liebe. Aber die Menschen tun das ständig; sie sind zu Beobachtern geworden. Und deshalb denkst du, wenn ich Zeuge sage, sofort bei dir: Beobachter.

Die Menschen sind zu Beobachtern geworden. Besonders im Westen ist die ganze Menschheit zum Beobachter geworden. Entweder schauen sie sich im Fernsehen einen Film oder ein Fußballspiel an oder sie beobachten jemanden beim Tanzen oder beim Lieben. Ihr seid nur Beobachter. Im Film liebt jemand anders, und ihr sitzt im Kinosessel und beobachtet. Was für eine Dummheit! Liebt entweder selbst oder geht nach Hause! Warum solltet ihr ständig beobachten? Die ganze Gesellschaft scheint zu einem Volk von Voyeu- ren geworden zu sein. Das ist das einzige - ständiges Beobachten. Was habt ihr denn von diesem Beobach- ten?

Ich habe von Leuten gehört, die nicht im Dunkeln lieben können, weil sie gerne beobachten möchten. Sie möchten sich selbst beim Lieben beobachten. Sie lie- ben im Scheinwerferlicht. Dabei geht etwas verloren. Liebe ist ein Mysterium, und es vollzieht sich nur in tie- fer Dunkelheit. Im Augenblick, in dem du zu beobach- ten beginnst, verschwindet die Liebe. Du bist Voyeur geworden.

Frauen sind diesem Phänomen gegenüber instinktiv mehr auf der Hut. Sie schließen beim Lieben immer die Augen. Und sollten sie ihre Augen nicht schließen, kannst du sicher sein, daß sie der Frauenbewegung angehören. Sie wollen wie Männer sein, genauso dumm wie Männer. Eine Frau schließt immer die Augen, weil es so ungeheuer schön ist, innen zu sein

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und wach. So vieles geschieht dort drinnen... solch ein Fluß von Energie, solch eine tiefe Resonanz, solche Musik, solche Stille, solch ein wundervoller Tanz orgia- stischer Gefühle - wer käme darauf, es zu beobachten? Man genießt es, man erfreut sich daran, man tanzt darin, man wird darin gebadet. Wer käme darauf, es zu beobachten?

Ich habe auch von Leuten gehört, die nicht nur Licht in ihrem Schlafzimmer haben müssen; sie bringen außerdem im ganzen Raum Spiegel an, damit sie sich beim Lieben von allen Seiten sehen können. Die Liebe ist ihnen nicht wichtig; das Beobachten ist das Wich- tige. Schlüssellochgucker, die durch anderer Leute Badezimmertüren und Schlüssellöcher gucken. Ihr möchtet euch sogar selbst durchs Schlüsselloch zuschauen. Aber das ist unmöglich - entweder du bist im Badezimmer oder du stehst am Schlüsselloch. So lassen sich die Leute immer neue Tricks einfallen...

Ich habe von Leuten gehört, die in ihren Schlafzim- mern automatische Kameras angebracht haben, damit sie in Ruhe Liebe machen können und die automati- sche Kamera währenddessen Bilder aufnimmt. Auf diese Weise können sie sich später die ganze Sache noch einmal ansehen. Die Sache selbst ist nicht wichtig - sondern der Rückblick...

Das ist eine Krankheit. Wenn du einen Baum aus- reißt, um seine Wurzeln zu sehen, wird der Baum ster- ben. Die Wurzeln müssen im Dunkeln bleiben. Gott arbeitet mehr in der Dunkelheit als im Licht, denn Licht wirkt etwas aufdringlich. Das Kind wird im tiefen Schoß der Mutter geboren... dunkel, kein Licht dringt da hinein. Dort wächst es. Das Samenkorn wächst in der Erde, im tiefen Schoß der Erde - dort keimt es und wächst dann empor. Alles Schöne wird im Dunkeln geboren.

Sei niemals Beobachter. Zeugesein bedeutet etwas völlig anderes. Diese Worte stiften Verwirrung, denn Zeugesein ist auch ein Beobachten. Aber versuche, mich zu verstehen. Wachheit bedeutet einfach, daß du

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Liebe machst und dabei nicht schläfst, das ist alles. Geh so tief hinein wie möglich. Geh darin auf. Laß den Orgasmus von dir Besitz ergreifen. Sei besessen vom Gott der Liebe. Zittre wie ein kleines Blatt im Sturm. Laß den Gott der Liebe von überallher an dich heran, aus allen Richtungen. Laß dich überfluten - aber schlaf nicht ein. Bleibe wach.

Ich sage nicht, beobachte; denn sobald du beobach- test, bist du nur noch Augen, und dein ganzes Übriges geht verloren. Wenn du wach bist, bist du als Ganzheit wach. Jede Zelle deines Körpers ist wach. Wachheit hat eine vollkommen andere Qualität. Aber Worte machen Probleme. Und wir sind so schlau mit Worten, daß wir immer neue Möglichkeiten finden. Wir können immer neue Spiele damit spielen.

Folgendes trug sich zu: Muskovitch, der schon eine beträchtliche Zeit damit verbracht hatte, die Gänge des Museums entlangzuwandern, legte eine Pause ein und erfrischte sich mit einer Zigarre. Er rauchte noch nicht lange, als ein Museumswärter erschien, sich ihm verär- gert näherte und sagte: „Lesen Sie mal!" Er zeigte auf einen Hinweis an der Wand, der in leuchtend roten Buchstaben besagte: RAUCHEN VERBOTEN. Mus- kovitch betrachtete das Schild einen Augenblick lang und sagte dann zu dem Bediensteten: „Der Hinweis ist nicht eindeutig."

Du kannst mit Hilfe von Worten immer Mittel und Wege finden. Ich sage wach. Ich sage niemals beobach- ten. Beobachten ist eine angespannte Aktivität. Sie engt dich ein. Wachheit ist ein sehr breites Bewußtsein. Es grenzt dich nicht ein; du bist weit offen. Beobachten ist Konzentration. Du konzentrierst dich - so als woll- test du mit einem Pfeil ein Ziel treffen. In dem Fall kon- zentrierst du dich. Dann schließt du alles andere aus deinem Gesichtskreis aus. Nur das Ziel bleibt dir vor Augen. Du vergißt alles um dich herum. Alles muß dabei ausgeschlossen werden, und dein gesamtes Bewußtsein muß sich zur Größe einer Nadelspitze ver- dichten. Das ist Beobachten.

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Wachheit ist Meditation. Du bist weit offen, alle Türen stehen offen; nicht eng, sondern absolut verletz- lich. Alles wird hereingelassen.

Du kannst mir auf zwei Arten zuhören. Du kannst dich konzentrieren. Dann wird der Gesang der Vögel für dich eine Ablenkung sein, denn du mußt ihn aus- schließen. Du kannst aber auch mit mir meditieren. Wenn du mir meditativ zuhörst, werden die Vögel zu einem Teil des Ganzen; sie brauchen nicht ausgeschlos- sen zu werden. Sie sagen auf ihre Art das gleiche; sie sind keine Feinde, und du bist weit offen. Alles wird eingelassen: alle Fenster stehen offen, alle Türen ste- hen offen, Winde aus jeder Himmelsrichtung werden hereingelassen. Es gibt keine Ablenkung, denn du ver- suchst ja nicht, dich zu konzentrieren.

Zu mir kommen Leute und sagen: „Wir fühlen uns abgelenkt. Wie kann man diese Abgelenktheit vermei- den?" Ich sage dann: „Vermeidet die Konzentration, vermeidet nicht die Ablenkung. Ihr erzeugt das Pro- blem der Ablenkung dadurch, daß ihr versucht, euch zu konzentrieren." Meditation ist keine Konzentra- tion. Sie schließt nichts aus. Sie bezieht alles ein. Schau dir den Unterschied an. In dir ist nicht nur ein Spalt offen, sondern du bist völlig offen. Alles wird hereinge- lassen. Dann sind die Vögel eine Bereicherung. Wenn dann irgendwo ein Hund bellt, ist auch das eine Bereicherung. Nichts lenkt dich ab, wenn du dich nicht konzentrierst. Das Problem kommt durch Konzentra- tion. Wach sein heißt offen sein - lebendig, nicht schläf- rig, nicht unbewußt. Aber es hat nichts mit beobachten zu tun; sonst verspannt man sich nur. Wer beobachten will, ist geteilt. Dann ist der eine Teil mit Lieben beschäftigt, während ein anderer wie ein Polizist auf Streife ist. Dann ist man niemals bei dem, was man tut. Es wird gar keine Liebe da sein, die man beobachten könnte. Löst euch auf. Wenn ihr euch vollständig in der Liebe auflöst, werdet ihr eine gewisse Qualität der Wahrnehmung in euch entdecken - nicht wie das Licht

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einer Taschenlampe; das Licht der Taschenlampe ist konzentriert, auf einen Punkt gerichtet, eng - sondern wie eine Lampe, deren Licht in alle Richtungen strahlt. Laßt die Liebe total sein, dann wird Bewußtheit aus ihr hervorgehen. Schafft euch keine Probleme.

Ich weiß, daß ihr ständig mißversteht, weil ihr stän- dig interpretiert. Was ich auch sage, ihr interpretiert es entsprechend euren Konditionierungen und Gedanken und Ideologien, und damit zerstört ihr alles. Hört mir zu und versucht nicht, es zu interpretieren. Belaßt es so rein wie möglich.

Was ich zu euch sage, sind keine schwierigen Dinge. Ich sage sehr einfache Wahrheiten. Ihr macht sie erst schwierig, ihr macht sie kompliziert.

Ihr seid süchtig nach Kompliziertheit. Wenn der Verstand erst einmal ein-Problem geschaffen hat, wird er selbst zum Herrn von dessen Lösung.

Wenn ihr mir auf die rechte Weise zuhört, könnt ihr fühlen, was ich zu sagen versuche. Es ist schwierig, es zu sagen, aber wenn ihr mitfühlend, liebevoll, vertrau- ensvoll seid, bekommt ihr ein Gefühl dafür.

Deshalb ist Vertrauen so wichtig. Deshalb bestehe ich immer wieder darauf, daß ihr Teil meiner Familie werden sollt. Ihr könnt hier auch als Außenseiter sein, ihr könnt als Besucher hier sein, ihr könnt hier sein, ohne Sannyasin zu sein: Dann wird euch vieles entge- hen. Ich werde genauso zu euch sprechen, aberihrwer- det vieles nicht begreifen, weil der Zweifel, der miß- trauische Kopf, dasein und alles zerstören und korrum- pieren wird.

Wenn du dich einmal entspannst, wenn du akzep- tierst, wenn du dich hingibst, wenn du erst einmal ver- traust, dann gewinnt alles, was ich sage, eine völlig andere Qualität. Erst daraus wächst das Verstehen.

Ich höre dir nun seit einem Jahr zu. Und immer noch habe ich das Gefühl, jeder Morgen ist ein neues Aben- teuer. Ich erwarte mit aufgeregtem Herzen und mit einer seltsamen Erregung deine Ankunft. Ist das auch dann

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noch möglich, wenn man dir schon ein Jahr lang zuge- hört hat? Bitte sage etwas dazu.

Wenn du mir wirklich voller Liebe zugehört hast, dann kann ich Jahre um Jahre und selbst noch viele Leben lang reden, und du wirst jeden Morgen aufs Neue entzückt sein.

Liebe macht alles neu, denn Liebe sammelt niemals das Vergangene an. Liebe wird nie zur Last; sie wird nie Zu Gerümpel. Der Spiegel bleibt sauber.

Wenn du mir durch den Kopf zuhörst, wird es schwierig werden. Dann ist sogar ein Jahr zuviel. Dann wirst du so viel angesammelt haben, daß du schwer geworden bist, und du wirst ruhelos werden und die Erregung wird verflogen sein - denn der Kopf wird immer alt.

Der Kopf ist alt, weil er das Vergangene sammelt. Wenn du mir durch das Herz zugehört hast, kommt es zu keiner Ansammlung. Jeden Morgen kommst du wie der junge Morgen - frisch wie der Tau, wie die neuge- öffnete Knospe einer Blume.

Und was ich hier tue, ist nicht wirklich, daß ich etwas sage. Eigentlich spiele ich auf dem Innersten eures Wesens.

Die Worte sind nur Vorwände. Die Worte dienen nur dazu, euch irgendwie beschäftigt zu halten, so daß ich tiefer in euch eindringen kann.

Die Worte schaffen nur ein Klima, in dem ich tief in euch eindringen und euren innersten Kern erreichen kann.

Wenn du vom Herzen her zuhörst, kann das ewig so weitergehen, und du wirst immer entzückt sein. Liebe ist immer entzückt, denn Liebe ist immer neu. Das Herz ist immer entzückt - niemals gelangweilt, niemals bedrückt. Der Kopf ist immer gelangweilt und bedrückt.

Fühle dich glücklich und gesegnet, es ist ein Segen - es geschieht nur selten... nur sehr wenige Menschen erleben es.

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Diese Vögel hier haben schon immer gesungen, aber wenn sie singen, ist es jedesmal neu. Denn ihr Singen meint nichts Bestimmtes.

Wenn ich dir einen bestimmten Sinn übermitteln wollte, würde der Kopf früher oder später das Gefühl haben: „Jetzt ist es genug."

Ich habernichts zu übermitteln. Ich habe keine Bot- schaft. Im Gegenteil, ich bin die Botschaft. Ich habe euch nichts anderes zu übermitteln als mich selbst. Ich gebe euch keine Lehre an die Hand. Ich bin kein Leh- rer. Seht mich als einen Sänger an, einen Poeten, einen Tänzer - das trifft es genauer.

Bhagwan, ein Liebesbrief. Du redest zuviel. Seit ich erleuchtet wurde, habe ich kein einziges

Wort mehr gesprochen. Du mußt einem anderen zuge- hört haben, nicht mir. Ich bin in Stille. Versuche noch einmal hinzuhören, und du wirst nicht ein einziges Wort hören, das ausgesprochen wurde. Irgendwo ist dir da ein Fehler unterlaufen. Vielleicht hast du mich im Traum reden hören. Ich habe nichts gesagt. Solange man unbewußt ist, redet man. Wenn man bewußt wird, wird man still.

Eine Anekdote: George Johnson, ein zäher Bursche in den besten Jahren, hatte sich schon viele Male erfolgreich gegen das Heiraten zur Wehr gesetzt. Aber nun war er doch hoffnungslos in ein hübsches junges Mädchen verliebt. Schließlich sagte er: „Willst du mich heiraten, Nancy?" Sie lächelte und antwortete: „Oh ja, George." Dann folgte eine lange Pause, bis Nancy schließlich sagte: „Nun, sag doch noch etwas, George." Und Johnson sagte hohl: „Nun, wie die Dinge liegen, habe ich zu diesem Thema schon zuviel gesagt." In eurer Unbewußtheit sagt ihr sogar dann zuviel, wenn ihr gar nicht viel sagt. Und ganz gleich, was ihr sagt, ihr verratet euch damit. Wenn unbewußte Men- schen den Mund halten würden, wäre die Welt eine sehr viel bessere. Wenn du bewußt wirst, kannst du fortwährend reden - es ist niemals genug. Und Men-

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sehen, die angekommen sind - wenn die still blieben, wäre die Welt um vieles ärmer.

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Kapitel 5

Den Buddha töten 15. Februar 1976

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Sato-Kaiseki war tief verstört durch die Tragweite

der heliozentrischen Theorie des Kopernikus, die natürlich nicht mit der alten

buddhistischen Kosmologie übereinstimmte, in welcher der Berg Sumeru

den Mittelpunkt des Universums einnimmt. Er zog den Schluß,

daß, wenn sich das buddhistische Weltbild als falsch herausstellte,

sich dann die dreifache Welt und die fünfundzwanzig Formen der Existenz

als lauter Unsinn erweisen würden, was wiederum zur Vernichtung des Buddhismus selbst

führen würde. So machte er sich augenblicklich daran,

ein Buch zu schreiben, um die Theorie vom Berg Sumeru zu stützen,

und er schonte sich nicht.

Als er das Werk abgeschlossen hatte, brachte er es augenblicklich zum Meister Ekido

und legte es triumphierend vor.

Nachdem der Meister die ersten paar Seiten durchblättert hatte, warf er es zurück,

schüttelte den Kopf und sagte: „Wie dumm!

Siehst du denn nicht, daß es das Ziel des Buddhismus ist, die dreifache Welt

und die fünfundzwanzig Formen der Existenz zu stürzen?

Warum sich an so absolut wertlose Dinge klammern und den Berg Sumeru verehren?

Schafskopf!"

Wie vor den Kopf geschlagen, schob Kaiseki das Buch unter den Arm

und eilte nach Hause.

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Metaphysik ist Unsinn. Aber trotzdem muß sie wohl zu irgend etwas gut sein, sonst hätte sie nicht so lange überlebt. Der Mensch findet sich hilflos in einer frem- den , unvertrauten Welt wieder... nicht nur unbekannt, sondern auch unerkennbar. Diese Dunkelheit, diese Wolke des Unwissens, zerstört den Geist des Men- schen ungeheuer.- Irgendwie muß er sich trösten. Irgendwie muß er Wissen erschaffen.

Selbst wenn dies Wissen kein wahres Wissen ist, wird es den Anschein erwecken, als ob du Boden unter den Füßen hättest. Es wird den Anschein erwecken, als ob du nicht absolut hilflos seist. Du kannst dann so tun, als ob du kein Fremder auf dieser Welt wärst - ein Zufalls- produkt, das sich ergeben hat -, sondern ein Herr. Zumindest kannst du mit Worten spielen und mit Wor- ten tun, was du willst und eine verlogene Illusion deiner Macht herbeizaubern.

Genau das hat die Metaphysik seit eh und je getan. Sie verleiht euch ein Gefühl von Macht, wo tatsächlich keine Macht in euch da ist. Sie verleiht euch eine Illu- sion von Wissen, wo in Wirklichkeit kein Wissen exi- stiert.

Das bloße Wort Gott gewinnt Substanz. Einfach dadurch, daß du das Wort Gott benutzt, hast du das Gefühl, als würdest du etwas tun, als würdest du mit der Existenz in Beziehung treten, als wärest du nicht allein, kein hilfloses Kind auf Erden, sondern ein Vater kümmert sich um dich im Himmel - ständig schaut er zu, macht sich Gedanken um dich, um dein Wohlerge- hen.

Dies ist eine sehr kindische Einstellung - aber der Mensch ist hilflos, und es gibt nur sehr wenige Men- schen, die wirklich reif werden. Die Menschen bleiben kindisch. Und vergeßt nicht den Unterschied zwischen Kindischsein und der Unschuld der Kinder. Kindisch zu sein heißt, irgendwo steckengeblieben zu sein. Wie die Kinder sein heißt, einfach unschuldig und ohne Hindernisse im Fluß deines Wesens zu sein. Der Mensch bleibt kindisch. Das psychologische Alter

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bleibt ungefähr um zwölf herum stecken. Es geht nie darüber hinaus. Du magst sechzig, siebzig, achtzig wer- den - dein physischer Körper geht mit der Zeit mit - aber deine geistige Verfassung bleibt irgendwo um zehn oder höchstens zwölf herum stecken.

Das ist das eine. Metaphysik - Worte wie: Gott, Nir- vana, Erleuchtung, werden fast Dinge. Du fängst an, an Worte zu glauben. Wenn plötzlich jemand „Feuer!" ruft, kommt Angst in dir hoch, du fängst an zu laufen.

Du kannst abends in jedem Theater Panik auslösen; du brauchst nur, wenn die Lichter ausgemacht werden, plötzlich zu rufen: „Feuer, Feuer!" Und die Leute wer- den zu rennen anfangen. Das Wort Feuer erzeugt die Illu- sion, es gäbe ein Feuer und das Leben wäre in Gefahr. Das bloße Wort Zitrone... denkt darüber nach, meditiert darüber, und der Speichel beginnt in eurem Mund zu fließen. Schon das bloße Wort Zitrone? Es ist gar nichts dran! Aber der Mensch ist Wörtern verfallen.

Es gibt eine Schule von Linguisten - sie heißt Die Allgemeine Semantik-Gruppe, sie wurde von Alfred Korzybski gegründet - die hat ein kleines Lied; ihr Lied macht Sinn. Es lautet:

Oh, das Wort ist nicht das Ding, das Wort ist nicht das Ding.

Hi ho und derry-o, das Wort ist nicht das Ding.

Das ist ihre Hauptlehre. Natürlich könnt ihr euch nicht an dem Wort Feuer verbrennen und ihr könnt nicht von dem Wort Wasser naß werden. Aber das Wort Gott, das Wort Religion, das Wort Christus, das Wort Buddha? Wieviele Leute haben für diese Wörter ihr Leben geopfert? Jemand beleidigt die Christenheit - was tut er damit? Christenheit ist ein Wort - aber die Christen fühlen sich beleidigt; es wird Blutvergießen geben. Die Menschheit hat für Worte gekämpft und gekämpft - Land, Freiheit, Sozialismus, die Fahne - und es sind Millionen von Menschen gestorben. Wörter

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sind wichtiger geworden als das Leben selbst. Das ist eine Art Wahnsinn.

Metaphysik ist also nicht nur Unsinn, sondern auch ein Wahnsinn - natürlich mit Methode. Er ist sehr methodisch. Die Metaphysiker hören nicht auf, Wol- kenkratzer aus Wörtern zu bauen - den Turm zu Babel. Sie bauen immer weiter.

Und bist du erst einmal in den Worten gefangen, weicht die Wirklichkeit weiter vor dir zurück. Du fängst an, hinter einer Mauer von Worten zu leben. Und eine Mauer von Worten ist stärker als jede gewöhnliche Mauer, selbst eine Mauer aus Steinen und Felsen ist nicht so stark.

Die Stärke der Wörter liegt darin, daß sie durchsich- tig sind: du kannst immerfort hindurchsehen und wirst dir niemals bewußt werden, daß du durch Wörter hin- durchsiehst. Sie sind fast unsichtbar. Durchsichtig-wie reines Glas. Du kannst neben einem Fenster stehen. Wenn das Glas wirklich rein ist, wirst du das Glas nicht bemerken. Du wirst glauben, daß das Fenster offen ist und daß du den Himmel siehst und die Bäume und die aufgehende Sonne und wirst dir niemals bewußt, daß zwischen dir und der Wirklichkeit ein Stück Glas ist. Metaphysik ist ein Stück Glas. Sie schützt dich ständig vor der Realität, und sie verzerrt die Realität.

Die Menschen kleben an Wörtern, weil sie nicht wis- sen, was Realität ist. So fangen sie an, an Worte zu glauben - es ist eine Traumwelt. Sie gibt euch wenig- stens das Gefühl, Bescheid zu wissen. Wenn ihr das Wort Gott benutzt, habt ihr plötzlich das Gefühl, als würdet ihr Gott kennen. Ihr wißt überhaupt nichts über Gott, ihr kennt nur das Wort Gott, und selbst das habt ihr nur gehört, aber es ist zu eurem Grundstein gewor- den. Ein holländischer Dichter und Denker, Huub Oosterhuis, hat in seinem Tagebuch geschrieben: „Ich hörte jemanden mit gebrochener Stimme ,Gott' rufen, und einen anderen sah ich vor sich hin stammeln. Ich fragte ihn: ,Was stammelst du da?' Er sagte: ,Ich bete

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zu Gott.' Aber keiner von beiden konnte mir sagen, ob er eine Antwort erhalten hätte. ,Warum ruft ihr ihn dann immerfort an, wenn euch nie eine Antwort gekommen ist, warum betet ihr weiter?' fragte ich. Sie beide antworteten: ,Gar nichts zu sagen, ist noch schlimmer.'"

Ihr betet weiter, ihr glaubt weiter, weil ohne Glau- ben zu leben ungeheuren Mut erfordert. Ihr betet wei- ter, weil ihr nur noch mehr Angst bekommt, wenn ihr einfach still bleibt.

Habt ihr euch selbst beobachtet? Manchmal, wenn ihr an einem dunklen Abend durch eine einsame Straße geht, fangt ihr an zu singen und zu pfeifen. Was tut ihr da? Genau das ist Metaphysik. Ihr gebt euch selbst das Gefühl, als wäret ihr nicht allein. Ihr pfeift und lauscht eurer eigenen Stimme, und das gibt euch das Gefühl als wäre auch noch jemand anderes da. Es wärmt euch auf.

Wenn du so singst - oder auch betest, falls du ein reli- giöser Mensch bist - hast du das Gefühl, daß Gott da ist und alles ist okay. Für den Augenblick bist du mit dei- nem Singen und deinem Beten beschäftigt, mit deinen Wörtern, mit deinem Pfeifen. Du bist so beschäftigt, daß du vergißt, daß die Nacht dunkel ist und daß die Straße einsam ist und daß überall Gefahr lauert.

Weil es den Tod gibt, pfeift der Mensch vor sich hin. Dies Pfeifen ist Metaphysik. Man meidet ständig die Tatsache, daß der Tod existiert. Man meidet ständig die Tatsache, daß dein Leben vielleicht nur reiner Zufall ist. Vielleicht gibt es ja gar keinen Schöpfer, viel- leicht gibt es niemand, der alles unter Kontrolle hat. Sobald du verstehst, daß es niemanden gibt, der alles unter Kontrolle hat, gerätst du in Panik. Dann kann alles schiefgehen. Jeden Augenblick - und du wirst dich nicht einmal beklagen können. Es ist niemand da, bei dem du dich beschweren kannst.

Metaphysik hüllt dich in eine Traumwelt schöner Worte ein - der Himmel, das Paradies für dich; die Hölle für die anderen. Die Hölle für die Feinde, den Himmel für dich. Alles Wunsch Vorstellungen.

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Die Psychologen haben eine bestimmte Phase ent- deckt, die jedes Kind durchmachen muß. Habt ihr euch kleine Kinder einmal genau angesehen? Sie hängen ihr Herz an bestimmte Dinge - eine Flickenpuppe oder ein Stück Bettdecke oder was es auch ist - das Objekt ist gleichgültig. Was immer zur Hand ist, das nehmen sie in Beschlag und nach und nach wird dieser ganz bestimmte Gegenstand fast heilig, fast religiös. Du kannst dem Kind diesen Gegenstand nicht mehr weg- nehmen, ohne ihm weh zu tun. Von nun an geht es immer nur noch mit der Flickenpuppe ins Bett. Jedes Kind ist ein Linus mit seiner Bettdecke. Sie schenkt Sicherheit.

Und dieser Gegenstand ist kein gewöhnlicher Gegenstand - es haftet ihm eine besondere Qualität an. Dies muß verstanden werden, weil die gesamte Meta- physik nichts anderes ist als die Bettdecke des Kindes oder seine Flickenpuppe. Wenn du die Flickenpuppe wegnimmst, kann das Kind nicht einschlafen. Ihm fehlt etwas. Das ist seine TM, seine Transzendentale Medi- tation, das ist sein Gebet - diese Flickenpuppe ist sein Gott.

Euch mag diese Flickenpuppe äußerlich vorkom- men. Für das Kind ist sie nicht von seinem eigenen Sein zu trennen. Sie gehört seinem innersten Wesen an. Diese Flickenpuppe existiert irgendwo an der Grenze zwischen innen und außen. Das Außen ist die Welt der Gegenstände und das Innen ist die Welt deines Seins, und diese Flickenpuppe lebt genau an der Grenze, gehört beiden an. In gewisser Hinsicht Teil der Welt, in anderer Hinsicht Teil seines innersten Seins. Sie ist das Allermerkwürdigste auf der Welt - aber sie gibt dir Sicherheit, sie beschützt dich. Du fühlst dich niemals allein, du bist immer beschäftigt.

Es wird zu einem Ritual. Als erstes am Morgen sucht das Kind nach seiner Flickenpuppe. Wenn sie da ist, dann ist alles okay. Dann hat alles seine Ordnung. Es geht mit ihr schlafen. Als erstes am Morgen schaut es nach, wo sie ist. Wenn die Flickenpuppe da ist, dann ist

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alles noch in Ordnung. Dann ist alles ungestört. Diese Flickenpuppe ist seine Welt. Es hat die Welt systemati- siert. Die Welt ist riesig, und das Kind ist ohnmächtig. Es kann über die Welt nicht herrschen, aber es kann über die Flickenpuppe herrschen. Einer Flickenpuppe gegenüber wird es zum Herrn. Der Welt gegenüber ist es nur ein hilfloses Kind in den Händen anderer... zu groß, zu unbegreiflich. Mit der Flickenpuppe ist es nicht mehr nur ein kleines Kind. Es ist jemand Großes, ein Boß. Es kann mit der Flickenpuppe tun, was es will: es kann sie hinschmeißen, es kann sehr böse mit ihr sein, es kann sie schlagen. Dann kann es sie loben und sie beschwatzen und sie lieben und sie umarmen und sie küssen, und es kann alles mit ihr tun, was es will, und die Flickenpuppe ist absolut ohnmächtig. Das Kind ist absolut Herr der Situation.

Alle Metaphysik ist von gleicher Machart. Eure Göt- ter oder eure Flickenpuppen... euer Linus hält immer noch ein Stück Decke im Arm.

Wenn ihr wirklich wissen wollt, was das Leben ist, müssen alle Flickenpuppen fallengelassen werden, zer- stört werden. Alle Illusionen müssen erschüttert wer- den, damit ihr fähig werden könnt zu erkennen, was wirklich ist. Alle Traumwelten müssen fallen.

Die Menschen verstecken sich weiter hinter ihren Traumwelten. Das sind eure Höhlen. Da dringt kein Licht ein, da kommt keine frische Luft hin - aber ihr fühlt euch geschützt. Eure Weltanschauungen kom- men geradezu eurem Tod gleich - aber trotzdem fühlt ihr euch so geschützt.

Darum sage ich immer, daß ein religiöser Mensch der mutigste Mensch auf der Welt ist. Und es gibt keine andere Möglichkeit, das Leben zu leben, als bereit zu sein, sich dieser Gefahr zu stellen.

Ich habe eine Anekdote gehört: Während eines jid- dischen Stückes fiel plötzlich der Vorhang, und der Theaterdirektor trat vor das Publikum hin, im Zustand höchster Erregung. „Ladies and Gentlemen", sagte er, „ich bin verzweifelt, aber ich muß Ihnen mitteilen, daß

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der große und von uns allen geliebte Schauspieler Men- del Kalb soeben einen tödlichen Herzanfall in seinem Umkleideraum erlitten hat. Wir müssen das Stück abbrechen." Woraufhin eine furchterregende ältere Dame auf dem Balkon sich erhob und laut ausrief: „Schnell, geben Sie ihm etwas Hühnersuppe!"

Der Direktor, überrascht, sagte: „Gnädige Frau, ich sagte, der Anfall war tödlich. Der große Mendel Kalb ist tot." Die Frau antwortete: „Um so schneller, geben Sie ihm Hühnersuppe!" Der Direktor schrie in letzter Verzweiflung: „Gnädige Frau, der Mann ist tot. Was soll da Hühnersuppe jetzt noch ausrichten?" Und die Frau schrie zurück: „Schaden kann es auch nicht!"

Alle Metaphysik... allerhöchstens läßt sich eines zu ihren Gunsten sagen - schaden kann sie auch nicht. Es ist Hühnersuppe, einem Toten gereicht. Etwas ausrich- ten kann sie auch nicht. Es kann nichts dabei heraus- kommen - bloße Worte, bloßes Spiel der Worte. Nichts kann dabei herauskommen. Natürlich auch kein Scha- den. Es ist ein sinnloses Unterfangen. Nicht einmal Schaden kann sie anrichten.

Und vergeßt nicht: Etwas kann nur dann Schaden anrichten, wenn es auch Gutes ausrichten kann. Wenn es nicht Schaden anrichten kann, kann es auch nichts Gutes ausrichten. Wenn etwas zum Guten dient, dann kann es auch zum Bösen dienen; dann kommt es darauf an, wie es eingesetzt wird. Gift ist schädlich; es kann gute Wirkung tun, es kann zu Arznei werden. Es kommt darauf an, wie man es benutzt.

Aber in der Metaphysik gibt es nur Worte. Doch der menschliche Geist neigt dazu, an Worte zu glauben. Nach und nach vergißt er vollkommen, daß die Wirk- lichkeit nicht in diesen Worten steckt. Sie ist jenseits der Worte. Man muß sich ihr durch Stille nähern. Man muß sich ihr durch Meditation, nicht durch Denken nähern. Wenn dein Verstand immer wieder nur neue Wortreihen erzeugt, wirst du ununterbrochen sinnlos beschäftigt sein - viel Lärm um nichts. Aber warum klammern sich die Menschen an ihre

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metaphysischen Anschauungen? Sie klammern sich daran; denn wenn sie diese metaphysischen Anschau- ungen fallenlassen würden - sie nennen es Philosophie, Religion, Christentum, Hinduismus, Buddhismus - wenn man sie aufgibt, ist man plötzlich nackt. Wenn man sie aufgibt, ist plötzlich dein zitterndes Kind da - ohne seine Flickenpuppe. Wenn du sie aufgibst, dann weißt du nicht mehr, wer du bist. Wenn du sie aufgibst, verlierst du plötzlich deine Identität. Dein Name, deine Form, alles fängt an, sich aufzulösen... du beginnst, in einen Abgrund zu stürzen - daher die Angst.

Die Menschen hören nicht auf, sich an Worte zu klammern. Worte schaffen mehr Worte. Worte schaf- fen mehr Fragen, und dann sind mehr Antworten nötig, und dann erzeugen die Antworten wieder mehr Fragen, und so weiter und so fort.

Es gibt die Geschichte von dem Arbeiter, der tödlich verunglückt war. Ein Prieser wurde geholt und er begann mit der letzten Ölung. Er fragte: „Glaubst Du an Gott, Deinen Vater? Glaubst Du an Gottes Sohn? Und glaubst Du an den Heiligen Geist?" Der Mann sah flehend zu den Umstehenden auf und murmelte: „Hier sterbe ich, und er fragt mich Rätsel."

Das Leben ist ständig in den Händen des Todes. Verschwendet keine Zeit mit Worten und Rätseln. Buddha pflegte zu sagen: „Ich sehe euch in großer Gefahr, und ihr verschwendet eure Zeit noch immer damit, Rätsel zu lösen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben." Und er sagte oft: „Ihr seid wie ein Mann, der von einem vergifteten Pfeil verwundet wurde und nun daliegt. Der Arzt kommt und möchte den Pfeil aus seinem Körper entfernen, aber der Mann ist ein großer Philosoph und sagt: ,Warte, erst muß ich mir schlüssig werden, ob dieser Pfeil wirklich oder illu- sorisch ist. Ob die Welt wirklich oder illusorisch, maya, ist. Erst muß ich mir klar darüber werden, ob der Pfeil mich durch Zufall getroffen hat oder ob jemand es mit Absicht getan hat.' Warum erschuf Gott die Welt? Gibt es überhaupt

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jemanden, der die Welt erschaffen hat? Der tödlich verwundete Philosoph fragt, ,Warte, überzeuge mich erst, ob das Leben wert ist, gerettet zu werden.'" Bud- dha pflegte diese Geschichte wieder und wieder zu erzählen, und er pflegte zu sagen: „Wenn ich euch sehe, sehe ich den gleichen Mann in euch."

Euer Leben ist flüchtig. Das Wasser des Lebens schlüpft euch durch die Finger - jeden Augenblick kann der Tod zuschlagen - und ihr versucht, metaphy- sische Rätsel zu lösen. Wer erschuf die Welt? Hat jemand sie erschaffen oder nicht? Wer ist Gott? Was ist seine Form?

Die Leute hören nicht auf zu diskutieren und zu debattieren. Es scheint, sie vermeiden mit diesen Dis- kussionen etwas. Sie vermeiden die Existenz. Sie ver- suchen, sich mit irgend etwas beschäftigt zu halten, so daß die Realität des Lebens und des Todes ihnen nicht vor Augen tritt.

Ich habe eine Geschichte gehört. Sie ist ungeheuer schön. Sie passierte im mittelalterlichen Rom: Vor lan- ger Zeit, im Mittelalter, wurde der römische Papst von einigen seiner mehr konservativen Ratgeber dazu überredet, nicht länger die Anwesenheit von Juden im Allerheiligsten, im Herzen der Weltchristenheit zu dul- den. Die Juden von Rom wurden daher angewiesen, ihre Häuser bis zu einem bestimmten Datum zu verlas- sen.

Für die Juden von Rom war dies eine große Tragö- die, weil sie nicht wußten, wohin. Überall würde es ihnen nur noch schlechter ergehen als in Rom. Sie fleh- ten den Papst um Gnade an, und der Papst, ein gerech- ter Mann, schlug ein Spiel vor, dessen Ausgang ent- scheiden sollte. Wenn die Juden einen der ihren dazu bestimmten, mit ihm eine rein pantomimische Debatte zu führen, und wenn dann der Vertreter der Juden diese Debatte gewinnen sollte, so dürften die Juden bleiben.

Die jüdischen Anführer versammelten sich in der Synagoge und erwogen noch am selben Abend den

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Vorschlag. Es schien der einzige Ausweg, aber nie- mand von ihnen wollte sich freiwillig für diese Debatte melden. Der Hauptrabbiner sprach aus, was alle dach- ten: „Es ist unmöglich, die Debatte zu gewinnen, an der der Papst selbst teilnimmt und gleichzeitig Schieds- richter ist. Und außerdem: Wie soll ich damit fertig werden, wenn die Juden nur deshalb ausgewiesen wer- den, weil ich persönlich versagt habe?"

Der Küster der Synagoge, der während all dem still den Boden gefegt hatte, meldete sich plötzlich zu Wort. „Ich will es tun", sagte er. Sie starrten ihn voll Erstaunen an: „Du, ein Oberküster", sagte der Hauptrabbi, „willst die Debatte mit dem Papst aufnehmen?" - „Irgend jemand muß es ja", sagte der Küster, „und von euch will es niemand." Und so wurde der Küster, weil niemand anders wollte, zum Vertreter der jüdischen Gemeinde. Er wurde ernannt, mit dem Papst zu debattieren.

Dann kam der große Tag der Debatte. Auf dem Platz vor St. Peter wartete der Papst, umringt von dem Kollegium der Kardinäle, in vollem Ornat, mit einem Heer von Bischöfen und anderen Kirchenbeamten. Nun kam auch der jüdische Küster, umringt von ein paar Führern der jüdischen Gemeinde in ihrer düsteren schwarzen Kleidung und ihren langen, grauen Bärten. Papst gegen Küster - die Debatte begann.

Ernst erhob der Papst einen Finger gen Himmel und fuhr ausladend damit hin und her. Ohne zu zögern zeigte der Küster fest auf den Boden, und der Papst sah ihn überrascht an. Mit noch mehr Ernst erhob der Papst wiederum einen Finger und hielt ihn dem Küster direkt vor die Nase. Mit einem Anflug von Verachtung erhob der Küster drei Finger und hielt sie dem Papst ebenso entschlossen ins Gesicht, und ein tiefes Erstau- nen drückte sich wiederum auf dem Gesicht des Pap- stes aus. Daraufhin fuhr der Papst mit seiner Hand tief in seine Gewänder und brachte einen Apfel zum Vor- schein, woraufhin der Küster eine Papiertüte öffnete, die in seiner Hüftentasche steckte und ein flaches Stück Fladenbrot herausholte.

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Da rief der Papst mit lauter Stimme: „Der jüdische Vertreter hat die Debatte gewonnen! Die Juden dürfen in Rom bleiben." Der Küster zog sich zurück, die jüdi- schen Anführer scharten sich um ihn, und alle verlies- sen eilig den Platz. Kaum waren sie fort, als die Kir- chenanführer sich um den Papst stellten. „Was ist geschehen, Euer Heiligkeit?" fragten sie. „Wir konn- ten dem schnellen Schlagabtausch nicht folgen."

Der Papst fuhr mit zitternder Hand über seine Stirn. „Der Mann, der mir gegenüber stand", sagte er, „war ein Meister in der Kunst des Debattierens. Stellt euch vor: Ich begann die Debatte, indem ich mit der Hand über den Himmel fuhr, um anzudeuten, daß Gott das ganze Universum beherrsche. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, zeigte dieser alte Jude nach unten, um daraufhinzuweisen, daß nichtsdestoweniger auch der Teufel sein eigenes Reich in der Tiefe zuge- wiesen bekommen hat. Daraufhin erhob ich einen Fin- ger, um zu zeigen, daß es nur einen Gott gibt, in der Hoffnung, ihn in dem Irrtum seiner eigenen Theologie zu fangen. Er jedoch hob augenblicklich drei Finger, um zu zeigen, daß der eine Gott drei Manifestationen habe - eine klare Hinwendung zu der Doktrin der Hei- ligen Dreifaltigkeit. Daraufhin ließ ich die Theologie beiseite und holte einen Apfel hervor, um zu zeigen, daß gewisse blinde Anhänger einer sogenannten Wis- senschaft der offenbarten Wahrheit die Stirn böten, indem sie erklärten, daß die Erde so rund sei wie ein Apfel. Sofort holte er ein flaches Stück ungesäuerten Brotes hervor, um anzuzeigen, daß die Erde in Über- einstimmung mit der Offenbarung trotz alledem flach sei. So gewährte ich ihm den Sieg."

Inzwischen hatten auch die Juden und der Küster das Ghetto erreicht. Alle stellten sich um den Küster herum und fragten: „Was ist passiert?" Der Küster sagte unwirsch: „Die ganze Sache war Unsinn. Hört zu: Erst winkt der Papst mit seiner Hand hin und her, als wollte er sagen, die Juden müssen aus Rom raus. Da habe ich auf die Erde gezeigt, um ihm zu sagen, daß die

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Juden genau da bleiben, wo sie sind. Da weist er mit dem Finger auf mich, als wollte er sagen, fall tot um, aber die Juden gehen. Da zeig ich drei Finger auf ihn, um zu sagen, fall selber dreimal tot um, die Juden blei- ben. Daraufhin sehe ich, wie er sein Mittagessen raus- holt, na, und da habe ich meins rausgeholt."

Die ganze metaphysische Debatte geht auf diese Art und Weise weiter. Ohnmächtige Gesten, bedeutungs- lose Gesten, ihr könnt ihnen jede Bedeutung unterle- gen. Leere Worte, ihr könnt aus ihnen machen, was ihr wollt. Es ist euer eigenes Spiel. Der Wirklichkeit sind eure Wörter egal. Was die Menschheit denkt, was der menschliche Geist als Wahrheit festlegt: die Wahrheit kümmert sich wenig darum. Es geht nicht darum, daß ihr entscheidet, was Wahrheit ist. Ihr haltet niemanden zum Narren außer euch selbst. Deine Wahrheit ist deine Wahrheit, es ist nicht die Wahrheit.

Alle Schlüsse, zu denen der Verstand kommt, sind Verstandesschlüsse. Sie sagen etwas über den Verstand aus, sie sagen nichts über die Wirklichkeit aus. Die Wahrheit ist keine Überzeugung des Verstandes. Die Wahrheit ist eine Verwandlung des Seins.

Hier gebe ich euch keinerlei Metaphysik. Die Leute kommen zu mir und fragen: „Was ist deine Lehre?" Es gibt hier keine Lehre. Alle Lehren sind gefährlich, weil sie zu Dogmen werden. Und alle Lehren sind gefähr- lich, weil sie zu Beschäftigungen werden - in einem sol- chen Maße, daß die ganze menschliche Energie mit ihnen vergeudet wird. Laßt alle Lehren, Dogmen, Ideologien und Ismen fallen. Säubert euch von ihnen - seid jung und frisch. Dann werdet ihr intelligent sein. Intelligenz ist nicht Intellekt. Intellekt ist angehäuftes Wissen. Intelligenz ist eure Frische des Seins, die Jungfräulichkeit eures Wesens, die Unschuld eures Wesens. Ein intelligenter Mensch ist jemand, der sich dem Leben ohne Wörter stellt. Der dem Leben nackt und ohne alle Ideologie entgegentritt, der dem Leben ohne Schriften entgegen- tritt, der dem Leben direkt und unmittelbar und ohne

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geistige Wolken im Geist ins Auge schaut. Er hat nichts zu beweisen. Er hat nichts von vornherein entschieden. Er hat keine festen Vorstellungen.

Und dann ist er nie frustriert. Er ist einfach offen, verletzbar, und die Wirklichkeit dringt aus jeder Ecke und jedem Winkel in ihn ein, durch jede Zelle seines Seins. Er wird wie ein Schwamm: er saugt sich voll mit Wirklichkeit. Sei ein frischer Schwamm - völlig leer, so daß du die ganze Realität, die es gibt, in dich aufsaugen kannst. Nichts anderes ist Meditation. Meditation bedeutet, den Verstand aufzugeben, die Metaphysik aufzugeben, alle Ideologien über die Wirklichkeit auf- zugeben, so daß die Wirklichkeit selbst in dich eindrin- gen und dich erfüllen kann.

Sobald du einer Ideologie hörig geworden bist, ist es Intellekt, was in dir arbeitet, nicht Intelligenz. Ein intelligenter Mensch ist immer frei. Intellekt ist niemals frei. Intellekt versucht immer, mit der Vergangenheit übereinzustimmen. Intelligenz versucht immer, auf die Gegenwart einzugehen. Ein Intellektueller wird folge- richtig sein, ein intelligenter Mensch wird sehr paradox sein. Ein Intellektueller wird logisch sein, genau genommen zu logisch - haarspalterisch, ein logischer Tüftler. Ein intelligenter Mensch ist nicht logisch, son- dern einfach wirklich - und die Wirklichkeit ist para- dox. Er hat der Wirklichkeit keine fixen Ideen aufzu- zwingen. Er hat der Wirklichkeit keine festen Verhal- tensweisen aufzuzwingen. Er ist flexibel, fließend wie Wasser. Er ist bereit, mit der Wirklichkeit zu gehen. Gleich welche Form die Realität ihm gibt, er nimmt sie an. Er sagt niemals nein. Vergeßt dies nicht. Ein Intellektueller bleibt immer beim Nein. Ein intelligenter Mensch lebt mit dem Ja. Er sagt Ja zur Realität, ganz gleich, was sie ist. Er kennt keinen Kampf. Er stemmt sich nicht gegen die Realität. Er ist Teil von ihr. Intelligent sein ist etwas völlig ande- res als intellektuell sein. Intellektuell sein ist nur ein Versuch, Intelligenz vorzutäuschen. Es ist falscher Ersatz. Und bist du erst einmal intellektuell, dann wirst

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du egoistisch. Sobald du egoistisch bist, bist du ver- schlossen. Wenn du ein Intellektueller bist und die Wirklichkeit zu lösen versuchst und irgendwelche Lehrsätze in dir trägst, nach denen du den Schlüssel zu finden hoffst, der dir das Schloß der Wirklichkeit öff- net, dann wird dieser Schlüssel genau das Hindernis sein - weil das Schloß niemals verschlossen war. Die Türen sind offen.

Ihr müßt schon einmal von Houdini gehört haben, dem Zauberer, der aus allen möglichen Verschlüssen, Ketten, Gefängniszellen herauskommen konnte, bin- nen Minuten, in höchstens drei Minuten. Aber einmal, nur einmal in seinem Leben, täuschte er sich. Er zeigte in Italien seine Talente und konnte sich eine ganze Stunde lang nicht befreien. Die Menschen, die herge- kommen waren um ihn zu sehen, machten sich schon Sorgen - das war noch nie vorgekommen. Binnen drei Minuten, manchmal binnen Sekunden, war er immer draußen. Was war geschehen? Und als er schließlich nach einer Stunde herauskam, schwitzte er und war völlig erschöpft. Er hatte einen sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck.

Sie sagten: „Was ist passiert?" Er sagte: „Die Leute haben mich reingelegt. Sie hatten die Tür gar nicht abgeschlossen. Die Tür war offen, und ich versuchte, den Schlüssel zu finden. Es gab gar kein Schloß, nur ein Loch, und in diesem Loch versuchte ich, das Schloß zu öffnen, das nicht existierende Schloß."

Natürüch, wenn gar kein Schloß da ist, kannst du es auch nicht öffnen. Er wurde immer besorgter, und er konnte sich nicht vorstellen, daß man ihm einen Streich gespielt hatte und die Tür nicht verschlossen war. Es war ein einfaches Loch; es war kein Schloß darin, also paßte auch kein Schlüssel.

Jesus sagt: „Klopft an, und die Tür wird euch aufge- tan werden." Die Grundbedeutung davon ist: Klopft an, und ihr werdet finden, daß die Türen immer offen sind. Sie sind immer offen geblieben. Der Intellekt ver- sucht, Schlüssel herzustellen - und wegen eurer Schlüs-

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sei geht es nie. Und sobald ihr einen Schlüssel habt... natürlich sieht es nur wie ein Schlüssel aus - es ist gar kein Schlüssel, weil er nie paßt, und er kann auch nie passen, weil es gar kein Schloß gibt. Aber er sieht immerhin wie ein Schlüssel aus... sobald ihr einen Schlüssel habt, verteidigt ihr ihn hartnäckig. Er wird zur Bettdecke, zur Flickenpuppe.

Die Hindus hören nicht auf, ihre Religion zu vertei- digen. Sie zu benutzen, ist ihnen nicht so wichtig. Vor allem verteidigen sie sie. Die Mohammedaner hören nicht auf, ihre Religion zu verteidigen. Die Christen hören nicht auf, unsinnige Literatur zu produzieren. Mir ist niemals ein unsinnigeres Schrifttum begegnet als das christliche Schrifttum - einfach stinkendes Zeug. Aber sie hören nicht auf, es zu produzieren - aus Selbstverteidigung. Sie müssen sich streiten. Sie haben niemals selbst befolgt, was sie sagen, der Schlüssel hat ihnen niemals selbst genutzt, aber sie verteidigen.

Und die Leute kommen auf die ausgefallensten Ideen, um ihre Schlüssel und ihre Ideologien zu vertei- digen. Ihre ganze Energie steckt in einem einzigen unsinnigen Versuch fest. Ist euch das schon aufgefal- len? Wer selbst keine Ideologie hat, der kann seinen Spaß dabei haben; es ist sehr lustig, wenn Leute anfan- gen, ihre Überzeugungen zu rationalisieren und zu ver- teidigen.

Oft genug kommt es vor... sie kommen zu mir. Ein christlicher Missionar kam vor ein paar Jahren her und fing an, über seine Theologie zu sprechen. Eine halbe Stunde hörte ich ihm zu und dann fragte ich ihn: „Nur eines möchte ich fragen - hat es dir geholfen, denn du machst mir einen fast wahnsinnigen Eindruck." Euch sind sicherlich schon die Zeugen Jehovas und andere verrückte Leute begegnet... Aber er wollte nicht hören - so als wäre er überhaupt nicht da. Und er sprach wei- ter und weiter.

Noch einmal, als eine weitere Stunde vorbei war, fragte ich: „Warte doch mal einen Augenblick, wovon redest du eigentlich? Hat es dir geholfen?" Da gestand

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er ein, daß es ihm nicht geholfen hatte, aber er hoffte, daß es helfen würde. Ich sagte ihm: „Mir hat etwas geholfen - bist du bereit, es dir anzuhören?" Er sagte: „Ich will ein andermal kommen." Und er ist nie zurück- gekommen.

Die Menschen klammern sich verzweifelt an ihre Überzeugungen. Sie überzeugen nicht andere. Indem sie andere überzeugen, überzeugen sie sich in Wirklich- keit selbst. Mit sich allein gelassen bekommen sie Angst. „Wer weiß, ob das, was ich glaube, wahr ist oder nicht?" Wenn sie andere überzeugen und jemand sagt ja, es stimmt, werden sie zuversichtlich. Jetzt wissen sie, daß sie etwas Wahres in der Hand haben müssen; denn warum wären sonst andere beeindruckt?

Es geschah einmal: Zwei junge Schüler diskutierten, welcher von ihren Lehrern - Rabbis - wohl der Fröm- mere sei. „Mein Rabbi", sagte der erste, „ist so heilig, daß er vom Herrgott besondere Aufmerksamkeit bekommt. Einmal, als es im letzten Frühling in der gan- zen Stadt regnete, blieb ein kleiner Kreis um den Kopf meines Rabbis herum frei von Regen, und stattdessen fielen Sonnenstrahlen auf ihn, die ihn bestrahlten." - „Du kannst sagen, was du willst", sagte der zweite, „aber mein Rabbi ist noch viel frömmer."

„Wie kannst du so etwas behaupten?" sagte der erste schockiert. „Deinem Rabbi fehlen die Grundelemente jeder Frömmigkeit. Mein Rabbi ist unvergleichlich. Ha. Am letzten Yom Kippur Tag, dem heiligsten Tag des Jahres, wo alle fasten müssen, habe ich gesehen, wie dein Rabbi Hühnersalat gegessen hat." - „Genau", sagte der zweite im Triumph. „Als nämlich in der gan- zen Stadt Yom Kippur war, legte sich ein kleiner Kreis um den Kopf meines Rabbis, in dem es schon einen Tag später war." Die Leute kommen auf die absurdesten Ideen, um sich zu verteidigen. Sie halten an einem Glauben fest, weil sie in einen bodenlosen Abgrund fallen würden, wenn dieser Glaube gebrochen würde. Aber dieser bodenlose Abgrund ist wirklich. Sobald du das akzep-

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tierst, verschwindet alle Angst. Sobald du akzeptierst, daß das Leben ein Geheimnis ist und nicht gelöst wer- den kann, sobald du akzeptierst, daß das Leben grund- sätzlich unerkennbar ist, verschwindet alle Angst; und alle Mühen zu erkennen und alle Mühen, Lehren zu formulieren, hören auf.

Plötzlich bist du wieder Teil der Wirklichkeit, die Spaltung ist nicht mehr da. Der Sucher und das Gesuchte sind eins. Der Denker und das Gedachte sind eins. Der Beobachter und das Beobachtete sind eins. Der Seher und das Gesehene sind eins. Plötzlich ist die Spaltung nicht mehr da. Die Spaltung wurde durch eure Anschauungen erzeugt. Diese Zen-Geschichte ist ungeheuer schön.

Sato-Kaiseki war tief verstört...

Verstört, weil jeglicher Glaube, an den er sich klam- merte, durch wissenschaftliche Entdeckungen erschüt- tert worden war. Er war sehr verstört.

... durch die Tragweite der heliozentrischen Theorie des Kopemikus...

Alle Religionen der Welt gerieten durch Kopernikus durcheinander. Er erzeugte eine der größten Revolu- tionen im menschlichen Bewußtsein. Vor ihm glaubten alle Religionen, daß die Erde der Mittelpunkt der Schöpfung sei. Nicht, weil sie es wußten - sondern weil es Teil des menschlichen Egos ist, zu glauben, daß die Erde der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung sei. Es war Teil eines Ego-Trips. Wenn die Erde der Mittelpunkt der ganzen Schöpf- ung ist, dann ist der Mensch der Mittelpunkt allen Lebens. Wie kann es anders sein? Wenn der Mensch auf Erden lebt, wie könnte der Mittelpunkt irgendwo anders sein? Und als Kopernikus sagte, daß die Erde nicht der Mittelpunkt ist, ja, daß die Erde ein sehr, sehr abgelegener, durchschnittlicher Ort und überhaupt

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nicht wichtig ist, sehr unbedeutend, daß das Universum unendlich und die Erde nicht der Mittelpunkt ist, da stimmte dies...

... natürlich nicht mit der alten buddhistischen Kosmologie überein,

in welcher der Berg Sumeru den Mittelpunkt des Universums einnimmt.

Der Berg Sumeru ist in der buddhistischen Kosmolo- gie der Mittelpunkt des ganzen Universums. Natürlich waren auch die Buddhisten erschüttert, ebenso wie die Christen erschüttert waren. Sie bestraften Kopernikus, sie bestraften Galilei. Sie versuchten alles, um diese neuen Entdeckungen völlig zum Schweigen zu bringen, damit ihre alte Vorstellung von der Erde als Zentrum weiterbestehen konnte. Damit ihre Vorstellung, daß der Mensch der Mittelpunkt des Lebens war, weiterge- hen konnte. Aber das war schwierig. Sobald eine Wahrheit entdeckt ist, ist es unmöglich, sie wieder in die Dunkelheit zurückzudrängen.

Er zog den Schluß, daß, wenn sich das buddhistische Weltbild

als falsch herausstellte, sich dann die dreifache Welt

und die fünfundzwanzig Formen der Existenz als lauter Unsinn erweisen würden...

Gläubige Leute haben immer Angst. Wenn sich auch nur eine ihrer Lehren als falsch entpuppt, dann

geht ihr ganzes Lehrgebäude zu Bruch. Denn wenn ein Element falsch sein kann, warum dann nicht auch

andere? Wenn Jesus sagt, daß die Erde flach ist, und wenn

wir später finden, daß sie nicht flach ist, sondern rund, kreisförmig, eine Kugel, dann bekommen die Christen

Angst. Wenn der Sohn Gottes so unwissend war, daß er nicht einmal wußte, daß die Erde rund ist, was war

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dann mit anderen Dingen? Dann mochte er sich auch in anderen Dingen getäuscht haben. Ja, schon der Anspruch, daß er der Sohn Gottes ist, scheint dann widerlegt. Wenigstens der Sohn Gottes sollte es wis- sen.

Wenn ein einziger Lehrsatz entkräftet wird, wenn ein einziges Loch gefunden wird, dann bricht das ganze Gebäude zusammen. Darum halten gläubige Leute auch an Belanglosigkeiten fest. Mir ist ein Mann begeg- net, ein Jain-Mönch, der beweisen will, daß die Ameri- kaner und die Russen gar nicht zum Mond gelangt sind - weil das gegen die Kosmologie der Jains verstößt.

In der Jain-Kosmologie ist der Mond der Sitz der Götter, der Engel. Wenn diese Leute da nun hinge- kommen sind und herausgefunden haben, daß gar nie- mand da ist, keine Devas, dann bricht die ganze Kos- mologie der Jains zusammen. Was soll man dann von Mahavir und seinem Wissen sagen, seinem absoluten Wissen? Seine Allwissenheit geht zu Bruch.

Die Jains behaupten, daß Mahavir alles weiß: Ver- gangenes, Gegenwärtiges, Zukünftiges. Nichts ist vor ihm verborgen; er ist allwissend, absolut. Er ist unfehl- bar. Was also jetzt tun? Wenn Leute zum Mond gelangt sind - wie es tatsächlich der Fall ist -, dann bricht plötz- lich die ganze Jain-Philosophie zusammen. Nun will also dieser Jain-Mönch beweisen, daß sie gar nicht hin- gelangt sind. Er will beweisen, daß sie die ganze Welt betrogen haben; daß die Leute im Fernsehen nichts anderes als Trickaufnahmen gezeigt bekommen, daß niemand je hingelangt ist.

Genau das gleiche passierte, als Kopernikus bewies, daß die Erde nicht mehr im Mittelpunkt ist, sondern die Sonne. Sumeru ist die buddhistische Vorstellung. Sumeru bedeutet, daß es einen Berg gibt, unbeweglich, der höchste in der Schöpfung, der im Mittelpunkt der Welt liegt. Was wird nun aus Sumeru? Dieser Sato-Kai- seki war sehr verstört. Wenn die eine Theorie entkräf- tet wird, was soll dann aus den anderen Theorien wer- den?

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... und die fünfundzwanzig Formen der Existenz als lauter Unsinn erweisen würden,

was wiederum zur Vernichtung des Buddhismus selbst führen würde.

So machte er sich augenblicklich daran, ein Buch zu schreiben,

um die Theorie vom Berg Sumeru zu stützen, und er schonte sich nicht.

Als er das Werk abgeschlossen hatte, brachte er es augenblicklich zum Meister Ekido

und legte es triumphierend vor.

Aber Zen-Meister sind einmalige Leute. Wenn es auch nur einen einzigen Papst von der Statur eines Zen- Meisters gegeben hätte, hätte man den ganzen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion vermeiden kön- nen. Er geht immer noch weiter, weil sich die christli- chen Päpste weiterhin so dumm anstellen. Sie reden weiter dummes Zeug. Alles Neue, was entdeckt wird - sie machen einen Bogen drum herum. Sie hinken hinter der Menschheit her. Der Abstand zwischen ihnen und der Menschheit beträgt fast zweitausend Jahre. Sie leben immer noch in der Zeit von Jesus. Hätte es nur einen einzigen Papst wie den Meister Ekido gegeben, wäre alles ganz anders gekommen.

Dieser Schüler war sehr froh, alles bewiesen zu haben. Natürlich hatte er es nur logisch bewiesen - durch Haarspalterei. Anders konnte er es gar nicht beweisen. Der Beweis konnte niemals experimentell sein; er konnte nur logisch sein. Der Meister nahm das Buch zur Hand.

Nachdem der Meister die ersten paar Seiten durchblättert hatte, warf er es zurück,

schüttelte den Kopf und sagte: „Wie dumm!

Siehst du denn nicht, daß es das Ziel des Buddhismus ist, die dreifache Welt

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und die fünfundzwanzig Formen der Existenz zu stürzen?

Warum sich an so absolut wertlose Dinge klammern und den Berg Sumeru verehren?

Schafskopf!"

Wie vor den Kopf geschlagen schob Kaiseki das Buch unter den Arm

und eilte nach Hause.

Dies ist der Geschmack eines erleuchteten Wesens... daran erkennt man sein Aroma. Man muß alle Lehrsätze, Schriften, Theorien über Bord werfen, weil man im Grunde sein eigenes Ego über Bord wer- fen muß. Man muß alle Religionen über Bord werfen, um wirklich religiös zu werden. Man muß alle Theorien über Bord werfen, um der Wahrheit von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten.

Die Zen-Mönche sind einmalig in der ganzen Geschichte der Religion. Sie haben ihre eigenen Schrif- ten verbrannt. Sie haben Buddha-Statuen verbrannt, weil die Nacht kalt war und es sonst kein Holz im Tem- pel gab. Einmalige Leute. Sie beten Buddha an, und man kann keine liebevolleren, vertrauensvolleren Menschen finden. Sie beten Buddha an, aber wenn es an der Zeit ist, und es ist Winter und die Nacht ist sehr kalt, können sie Buddha verbrennen. Nur um sich warm zu halten, ohne die geringste Spur von Schuldge- fühlen. Am Morgen werden sie wieder Buddha anbe- ten. Sehr schwierig zu verstehen, aber genau das ist Erleuchtung.

Wenn du bewußt geworden bist, klammerst du dich nicht mehr an närrisches Zeug. Wenn du bewußt geworden bist, dann ist Bewußtheit das einzige Ding von Wert. Dann ist alles andere wertlos. Der Meister sagte: „Wen kümmert Sumeru? Alles Unsinn! Wen kümmert Metaphysik oder Kosmologie? Philosophie? Alles Unsinn! Gut. Seit froh, daß Koper- nikus das alles über den Haufen geworfen hat. Er hat

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etwas Schönes getan. Er sei gesegnet." Denn im Grunde kommt es nur auf eines an: Wie man aus dem Verstand herauskommt. Immer wenn du an einem Dogma festhältst, hältst du an deinem Verstand fest. Immer wenn du an einem Lehrsatz festhältst, hältst du an Worten fest. Recht hat er, wenn er sagt:

„Wie dumm! Siehst du denn nicht, daß es das Ziel des Buddhismus ist,

die dreifache Welt und die fünfundzwanzig Formen

der Existenz zu stürzen? Warum sich an so absolut wertlose Dinge klammern

und den Berg Sumeru verehren? Schafskopf!"

Als Buddha im Sterben lag, fing Ananda zu weinen und zu schluchzen an. Er hatte vierzig Jahre lang mit ihm zusammengelebt wie ein Schatten, und er sagte: „Ich konnte nicht zum Ziel gelangen, und jetzt verläßt du mich. Du warst vierundzwanzig Stunden jeden Tag bei mir, vierzig Jahre lang, und selbst dann habe ich es verfehlt. Jetzt ist keine Hoffnung. Wenn du nicht da bist, werde ich Leben über Leben in Dunkelheit sein, hierhin und dorthin irren, und jetzt scheint es für mich keine Möglichkeit mehr zu geben. Alle Türen sind ver- schlossen. Ich bin noch nicht ans Ziel gelangt."

Buddha lächelte und sagte: „Vielleicht wirst du es ja erreichen können, wenn ich nicht mehr da bin. Wie ich es sehe, bin ich zum Hindernis geworden. Du klam- merst dich zu sehr an mich. Vergiß also eines nicht: Wenn ich fort bin, laß mich ganz und gar fortsein. Klammere dich nicht an. Laß mich vollkommen fallen - und sei dir selbst ein Licht." Und es heißt, daß Ananda am nächsten Tag erleuchtet wurde. Buddha tot, nichts mehr da, woran man sich jetzt klammern kann - die letzte Schranke gefallen...

Die Zen-Meister sagen: „Wenn dir Buddha unter- wegs begegnet, töte ihn auf der Stelle. Denn er ist so

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schön, so liebenswert, daß du dich leicht an ihn heften kannst. Töte ihn sofort." Die Zen-Meister sagen: „Wenn du durch Zufall den Namen Buddhas aus- sprichst, dann reinige und spüle deinen Mund gut aus. Sofort."

Was meinen sie damit? Und sie hören nicht auf, Buddha anzubeten, und sie hören nicht auf, vor Bud- dhas Füßen Blumen zu streuen, und sie beugen sich vor ihm nieder, und sie geben sich ihm hin. Sie singen immerzu buddham sarnam gachhami: Ich nehme Zuflucht zu deinen Füßen, o Herr. Sie sagen es immerzu. Es sieht sehr paradox aus. Aber wenn du es einmal verstanden hast, ist es ganz einfach.

Man ehrt einen erleuchteten Menschen, weil er den Weg gezeigt hat. Man ist ihm dankbar, weil er den Weg in der Dunkelheit gezeigt hat, weil er zum Licht im Dunkel wurde - aber man klammert sich niemals an ihn. Denn wenn du dich klammerst, ist der gleiche Mensch, der dir eine Tür hätte sein können, zur Mauer geworden. Du hast es verfehlt.

Ein Jünger verließ eines Nachts - es war dunkel - das Haus seines Meisters. Er hatte Angst. Der Meister sagte: „Warte, hab keine Angst, ich gebe dir eine Lampe." Er gab ihm eine Lampe. Der Schüler war sehr froh. Jetzt hatte er mehr Mut. Als er die Stufen hinun- terging, die von dem Haus des Meisters nach draußen führten, rief ihn der Meister zurück und blies die Lampe aus. Der Schüler sagte: „Was, was hast du getan? Die Nacht ist sehr dunkel!" Der Meister sagte: „Die Buddhas können dir nur den Weg zeigen. Aber ihn gehen mußt du allein - und mit deinem eigenen Licht. Sei dir selbst ein Licht."

Und mach dir keine Gedanken um nutzlose Dinge - Gott, Nirvana, moksha, absolute Wahrheit, wer die Welt erschuf, Himmel und Hölle - alles Theorien über Theorien über Theorien. Alles Worte. Hütet euch vor Worten. Laßt alle Wörter beiseite, damit ihr der Reali- tät unmittelbar entgegentreten könnt. Die Realität ist

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hierjetzt. Ihr verfehlt sie mit euren metaphysischen Vorstellungen.

In deinem Sein gibt es zwei Möglichkeiten: die eine ist Intellekt, die andere ist Intelligenz. Der Intellekt ist männlich, Intelligenz ist weiblich. Der Intellekt ist aggressiv, Intelligenz ist passiv. Der Intellekt ist gewalttätig, Intelligenz ist gewaltlos. Der Intellekt ver- sucht, mit Gewalt in die Realität einzudringen - genau das tut die Wissenschaft. Er ist eine Vergewaltigung der Wirklichkeit. Er ist häßlich. Intelligenz öffnet ein- fach die Tür und wartet, daß das Licht hereinkommt. Sie ist empfänglich wie eine Frau. Sie ist wie ein Schoß - einfach empfänglich, passiv. Laß dich von deiner Intelligenz lenken. Laß nicht zu, daß dein Intellekt dich überwältigt.

Habt ihr beobachtet, daß wenn ihr euch verliebt, die Frau unmerklich die Übermacht gewinnt? Du magst ein großer Mann in der Welt sein, aber wenn du mit dei- ner Geliebten zusammen bist, verschwindet dein Ego einfach. Selbst eine sehr zarte und zerbrechliche Frau wird den stärksten Mann der Welt überwältigen.

Es geschah einmal: Ein exzentrischer König schickte einmal einen Reiterknecht durch das Land. Er sollte alle Familienväter testen, und jeder, der Herr im Hause war, sollte ein Pferd erhalten. Jeder Mann, der unterm Pantoffel stand, sollte einen Pantoffel erhalten. Wo immer der Reiterknecht hinkam, lieferte er Pantof- feln ab und hatte nie Gelegenheit, jemandem einmal ein Pferd zu schenken. Am Ende jedoch kam er zu dem Haus eines kräftigen Bauern mit einem borstigen, unrasierten Gesicht, einer tiefen Baßstimme und Mus- keln wie ein Stier. Im Hintergrund war sein dünnes, ausgemergeltes Weiblein.

Der Reiterknecht sagte: „Bist du Herr im eigenen Haus?" Der Bauer legte den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. „Darauf kannst du Gift nehmen, Kleiner", sagte er, „was ich hier sage, gilt." Und er öff- nete und schloß seine Fäuste, so groß wie Schinken. Der Reiterknecht war überzeugt. „Du bekommst ein 162

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Pferd", sagte er, „möchtest du ein braunes oder ein graues Pferd?" Der Bauer wandte den Kopf und rief: „Tilda, nehmen wir das braune oder das graue Pferd?" Und der Reiterknecht sagte: „Hier hast du einen Pan- toffel."

Das ganze richtet sich nach einem ganz bestimmten ewigen Gesetz. Das Weibliche ist mächtiger. Aber das Paradoxe ist: Das Weibliche sieht sehr machtlos aus. Gerade da liegt seine Macht. Gerade in der Machtlosig- keit liegt die Macht. Das Weibliche sieht zerbrechlich aus - genau darin liegt die Macht und die Stärke.

Jeder hat beides in sich. Der Mann hat in sich eine Frau und einen Mann. Und die Frau hat in sich eine Frau und einen Mann. Jetzt ist es an euch. Der Akzent muß jetzt auf die folgende Art verlagert werden: Der Intellekt ist männlich. Intelligenz ist weiblich. Der Ver- stand ist männlich, Meditation ist weiblich, empfäng- lich, passiv.

Wenn ihr euch nun an den Intellekt klammert, wer- det ihr fehlgehen, weil die Wirklichkeit ihre Türen nur denen öffnet, die passiv sind - passiv, wach... aber absolut passiv, ohne das geringste zu tun. Verlagert den Akzent vom Intellekt auf Intelligenz. Verlagert den Brennpunkt von den Gedanken zu den Gefühlen.

Die Wahrheit kann nie erkannt werden; sie kann nur gefühlt werden. Ihr könnt nicht zur Wahrheit hinge- hen, ihr könnt nur offen für sie sein, so daß sie zu euch kommt. Niemand geht je zu Gott. Wann immer du soweit bist, kommt Gott zu dir. Wenn du es durch den Intellekt austüfteln willst, wirst du ein Metaphysiker, ein Philosoph, ein Systemfuchs, ein Logiker. Aber dann verfehlst du die Sache, dann gehst du absolut in die Irre. Laß alle Logik, alles Systematisieren, alles Haarespalten sein. Laß alle Aggressivität fallen. Das aktive Prinzip muß fallen. Werde passiv. Sitz schweigend da, sei schweigend da - und warte. Und plötzlich, eines Tages, wenn du dich wirklich in deiner Passivität niedergelassen hast, wenn du wirklich in deiner Empfänglichkeit zentriert bist, wenn du nur

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noch eine Tür bist, eine Öffnung, kommt Gott zu dir, geschieht dir Nirvana.

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Kapitel 6

Etwas riskieren 16. Februar 1976

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Zu Anfang hast du mir gesagt, was ich tun soll. Es war hart. Jetzt sagst du, ich könne für mich selbst entschei- den, ich könne tun, was ich fühle. Auch das ist hart. Ich habe Angst davor, eine falsche Entscheidung zu treffen. Bitte erkläre.

Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten: Entweder du gibst dich hin - und wenn du dich hingibst, hörst du auf, über Entscheidungen nachzudenken, über Konse- quenzen; in deiner Hingabe hast du die Verantwort- lichkeit selbst aufgegeben, und du bist vollkommen frei... frei, dich ohne jede Grübelei zu bewegen, ohne die ganze Last deines Kopfes... Aber das ist schwierig, wegen des Egos. Du kannst dich nicht völlig hingeben. Du möchtest dein Leben selbst kontrollieren. Es wird hart für das Ego.

Die zweite Möglichkeit ist, daß du die Dinge in deine eigenen Hände nimmst - tu, was auch immer du tun möchtest. Wieder entsteht ein Problem, weil du gar keine Bewußtheit hast. Du weißt nicht, was du tun sollst und was du nicht tun sollst. Du fürchtest nun, eine falsche Entscheidung zu treffen. Du fürchtest, eine fal- sche Richtung einzuschlagen.

Das Ego ist da, und mit dem Ego der Schatten des Egos - die Unwissenheit. Beide gehören zusammen, oder: sie sind unzertrennlich. Wenn du das Ego losläßt, verschwindet die Unwissenheit. Wenn du die Unwis- senheit losläßt, verschwindet das Ego - sie können nicht unabhängig voneinander existieren.

Dies sind also die beiden Wege. Entweder du gibst dich hin - dann mußt du das Ego loslassen; und du wirst mit der Zeit feststellen, daß der Schatten von selbst ver- schwunden ist. Oder du mußt bewußter werden, wacher, so daß in deinem Sein mehr Licht entsteht und so die Unwissenheit weicht. Wenn die Unwissenheit weicht, verschwindet das Ego automatisch. Ego und Unwissenheit sind zwei Seiten der gleichen Münze. Du kannst die Münze so oder so drehen. Entschließen mußt du dich aber - entweder du läßt

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das Ego los oder die Unwissenheit. Und wenn es schon schwierig ist, das Ego loszulassen, so wird es noch viel schwieriger sein, die Unwissenheit loszulassen. Dies sind die beiden ewigen Wege - der Weg des Willens und der Weg der Hingabe. In der Hingabe wird das Ich völlig losgelassen. Auf dem Weg des Willens wird das Ich gereinigt, von allen Unreinheiten befreit, wird es transparent gemacht. Es wird sich selbst ein Licht.

Aber eine Entscheidung mußt du treffen - entweder folgst du dem Weg des Willens oder dem der Hingabe. Der Weg der Hingabe ist leichter, weil er mit einem einzigen Schritt zu einem totalen Sprung werden kann. Die gesamte Reise, tausendundeine Meile lang, wird dabei in einem einzigen Schritt vollendet. Der Weg des Willens schreitet stufenweise fort - du arbeitest dich Zentimeter um Zentimeter vor. Aber wenn du diese Entscheidung triffst, wenn du das lieber magst, dann ist daran nichts auszusetzen. Es ist deine Entscheidung.

Natürlich ist beides hart. Und wofür du dich auch entscheiden magst, es wird dir stets härter erscheinen als das, wofür du dich nicht entschieden hast. Aber daran ist nichts zu ändern; früher oder später mußt du wählen. Du mußt dich mit deinem ganzen Sein einem bestimmten Weg verschreiben.

Das einzig Falsche, das du tun kannst, ist, unent- schlossen zu bleiben. Die einzige Sünde, die du gegen dich selbst begehen kannst, ist die, unentschlossen zu bleiben und aufzuschieben. Sei nicht unentschlossen. Entscheide dich. Selbst wenn du gelegentliche Fehler begehst, ist nichts dagegen zu sagen. Durch Fehler wirst du viel lernen. Niemand lernt, ohne Fehler zu machen. Auch wenn du dich verirrst, fürchte dich nicht. Gehe mutig zu; gehe mit wachen Augen. Früher oder später wirst du erkennen, daß du dich verirrt hast. Du kannst zurückkommen.

Und jedesmal, wenn du nach langen Irrwegen zurückkehrst, nachdem du viele Fehler gemacht hast, wirst du merken, daß dein Bewußtsein reicher gewor- den ist. Wenn du nur zu Hause sitzt und dich nie rührst,

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aus Angst, etwas könnte schiefgehen, machst du viel- leicht tatsächlich keinen Fehler; wenn du dort angeket- tet bleibst, wo du nun einmal bist, wirst du natürlich keine Fehler machen, aber dein Leben wird auch nicht erfüllt sein. Du kannst Fehler vermeiden, aber indem du die Fehler vermeidest, wirst du auch all die wunder- vollen Erfahrungen vermeiden, die das Leben dir geben kann. Es ist eine Ausflucht. Sei mutig. Habe Mut zu sein.

Es gibt viele Menschen, Millionen von Menschen, die ihr Leben einfach deshalb versäumen, weil sie von der Furcht beherrscht sind, etwas könnte schiefgehen. Dabei ist das das einzige, was bei ihnen schiefläuft, der einzige Fehler! Sie verstecken sich unentwegt, sie umgehen ständig irgendwelche Situationen. Überall da, wo sie auch nur die Möglichkeit einer falschen Bewegung sehen, unterlassen sie jegliche Bewegung. Sie wachsen niemals. Sie bleiben unreif.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß man Fehler macht. Nur vergeßt dabei eines nicht: macht nicht immer wieder den gleichen Fehler. Das genügt. Jeder Fehler enthält eine Lektion. Jeder Fehltritt bedeutet, daß du auf einer tieferen Ebene zum rechten Pfad zurückkehrst.

Ich habe eine Anekdote gehört: Zwei Juden standen mit auf dem Rücken gefesselten Händen an einer Mauer und warteten auf ihre Erschießung. Der dienst- habende Offizier des Erschießungskommandos näherte sich ihnen und fragte barsch: „Wollt ihr eine letzte Zigarette?" Einer der beiden antwortete: „Behalte deine Zigarette, du mieser Mörder." Darauf- hin flüsterte der zweite ängstlich: „Bleib ruhig, Jack, bitte bleib ruhig. Bloß keinen Ärger!"

Wenn man erschossen wird, macht es da einen Unterschied, ob man Ärger bekommt oder nicht? Der Tod naht. Jeder steht schon an der Mauer, an der er erschossen werden soll. Fürchte dich nicht. Ob du dich fürchtest oder nicht, es macht keinen Unterschied - der Tod naht. Auch wenn du nichts tust, wird der Tod kom-

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men - er rückt schon heran. Deine Tage werden immer kürzer. Dein Leben wird täglich kürzer. Du wirst mit jedem Tag mehr dem Leben entrissen. Worauf wartest du? Tu etwas. Sei entschlossen.

Ich weiß, daß Zittern menschlich ist, wenn eine Ent- scheidung getroffen werden muß. Ich kann die Hilflo- sigkeit verstehen, aber daran ist nichts zu ändern. So ist es nun einmal. Immer wenn du eine Entscheidung fällst, kommt ein Zittern auf - du könntest es ja falsch machen. Aber dennoch muß die Entscheidung getrof- fen werden. Du könntest falsch liegen - dennoch mußt du die Entscheidung treffen, denn wie sonst willst du herausfinden, ob die Entscheidung falsch war oder nicht? Du mußt dich erstmal entscheiden, wenn du es wissen willst.

Viele Leute kommen zu mir und sagen, daß sie unschlüssig sind, ob sie Sannyas nehmen sollen oder nicht. Ich kann ihr Zögern verstehen, ich kann ihre innere Verwirrung verstehen, ich kann verstehen, daß es ihnen schwer fällt, einen Schritt in die Dunkelheit zu tun, ins Unbekannte. Aber ich sage ihnen nur eines: Bisher hast du als Nicht-Sannyasin gelebt... du bist ohne jede Verbindlichkeit durch das Leben gegangen; du hast dein Leben gelebt, und niemals hast du eine Entscheidung getroffen, die zu einer radikalen Verän- derung geführt hätte. Versuche es nun einmal hiermit. Wenn nichts geschieht, kannst du immer noch umkeh- ren. Wer könnte dich hindern, umzukehren? Wenn aber etwas geschieht... allein die Möglichkeit, daß etwas geschehen könnte, lohnt das Risiko. Wer weiß?

Und es gibt keine andere Möglichkeit, es im voraus zu wissen. Das ist der feige Verstand - er möchte, daß alles garantiert wird. Sie fragen mich: „Wird auch ganz bestimmt etwas geschehen, wenn ich Sannyasin werde?" Wer kann das sagen? Wie sollte man das sicherstellen können? Diese Sicherheit kann ich euch nicht geben. Es bleibt immer ungewiß. Es kann gesche- hen. Es kann ausbleiben. Das hängt von tausend Din- gen ab. Aber die Möglichkeit besteht. Es ist nicht

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unmöglich - soviel läßt sich sagen. Mir selbst ist es geschehen. Soviel läßt sich sagen - daß es nicht unmög- lich ist. Aber niemand kann es mit Bestimmtheit sagen. Niemand kann dir eine Garantie geben.

Insbesondere der westliche Kopf hat heute zuviel Angst, sich zu verpflichten. Du liebst eine Frau, aber du hast Angst, dich zu binden. Du liebst einen Mann, aber du fürchtest, dich ihm zu verpflichten. Du bleibst unentschlossen. Du spielst ohne Ende, wagst dich jedoch nie in die tiefen Wasser des Lebens, denn dann hast du Angst, man könnte dich einfangen: es könnte zur Knechtschaft werden, es könnte sich als Kette erweisen, an die dein Dasein gelegt wird. Du könntest eingesperrt werden.

Dieses Risiko muß man eingehen. Wenn du ins Tiefe vorstößt, besteht die Möglichkeit: Du kannst entweder freier oder noch gefesselter werden. Aber wer dieses Risiko eingeht, lernt in jedem Falle etwas daraus, er wird auf alle Fälle dadurch bereichert.

Deshalb entscheide dich. Entweder du nimmst alles selbst in die Hand oder du überläßt alles mir. Halbe- Halbe ist da nicht möglich. Wenn du einen Teil mir überantworten und einen anderen Teil selbst in Hän- den behalten möchtest - das wird nicht gehen. Das kann auf keinen Fall funktionieren. Ich habe einen Freund. Er ist sehr zufrieden mit sei- ner Ehe, mit seiner Frau. Ich fragte ihn einmal: „Wie machst du das bloß?" Er sagte: „Am Tag unserer Hoch- zeit schlossen wir einen Vertrag, wir trafen eine Ver- einbarung: Halbe-Halbe - die eine Hälfte der Entschei- dungen treffe ich und die andere Hälfte meine Frau." Also fragte ich weiter: „Und wie teilt ihr das auf?" Er antwortete: „Alle wichtigen Entscheidungen treffe ich, und alle kleinen Entscheidungen trifft sie." Ich war mir noch immer nicht im klaren, also fragte ich ihn erneut: „Bitte erkläre mir das noch ein bißchen genauer." Dar- aufhin sagte er: „Zum Beispiel: Entscheidungen dar- über, was in Vietnam geschehen sollte oder wer jetzt zum neuen Premierminister von China ernannt werden

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sollte - in solch großen Fragen entscheide ich. Und dar- über, in welche Schule unser Kind gehen soll, welches Auto wir kaufen werden, in was für einem Haus wir leben sollen und was wir essen - solche Dinge, lauter Belanglosigkeiten wie diese - entscheidet meine Frau. Wir machen Halbe-Halbe - und so läuft alles wunder- bar."

Wenn du also eine Abmachung dieser Art mit mir treffen willst, dann ist das in Ordnung. Wenn du in großen Dingen entscheidest, und du überläßt die klei- nen Angelegenheiten mir, ist alles vollkommen in Ord- nung. Dann kannst du darüber entscheiden, ob Gott eine Dreifaltigkeit oder eine Einfaltigkeit ist - das über- lasse ich dir. Aber wie man meditiert, das werde ich ent- scheiden.. . nur die Belanglosigkeiten. Bhagwan, nimm den Fall, du wärest Überlebender eines Schiffbruchs. Du findest eine schmale Planke, die gerade ausreicht, einen Menschen über Wasser zu hal- ten. In diesem Augenblick taucht ein weiterer Überle- bender auf und versucht, zu dir auf die Planke zu klet- tern. Was würdest du tun?

Wenn ich ich wäre, würde ich von der Planke sprin- gen und dem anderen helfen zu überleben. Wenn ich du wäre, würde ich ebenfalls von der Planke springen und dem anderen helfen zu überleben. In beiden Fällen würde ich dasselbe tun, aber aus unterschiedlichen Gründen. Wenn ich ich wäre, so wüßte ich, daß das Leben unsterblich ist, daß das Leben todlos ist. Da gibt es für mich kein Problem. Wenn ich du wäre... da laß mich dir zunächst eine Anekdote erzählen: Ein britischer Diplomat besuchte das Bergversteck, wo Adolf Hitler in den schrecklichen Tagen Ende der dreißiger Jahre allen Ernstes versuchte, den Willen des Westens zu brechen und dem Besucher ausmalte, wie sinnlos jeder Widerstand sei. „Was können die Briten schon gegen eine Armee ausrichten, die mir so ergeben ist, daß sie auf mein Kopfnicken hin in den Tod geht?" fragte er. „Sehen Sie den Soldaten dort? Soldat, spring

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aus dem Fenster!" Ohne auch nur einen einzigen Augenblick zu zögern, sprang der Soldat aus dem Fen- ster in den Tod. Der britische Diplomat war zu Tode erstarrt. Hitler lächelte höhnisch. „Ich möchte es ihnen noch einmal vorführen. Soldat, spring aus dem Fen- ster!" Ein zweiter Soldat sprang. Ein drittes Mal gab Hitler den Befehl zum Selbstmord, aber diesmal konnte der britische Diplomat nicht mehr untätig zuse- hen. Er packte den dritten deutschen Soldaten beim Arm, als dieser gerade aus dem Fenster springen wollte und schrie: „Wie können Sie ihr Leben so einfach weg- werfen!" Der Soldat antwortete: „Das nennen Sie Leben?" - riß sich los und sprang.

Was du Leben nennen magst, ist überhaupt kein Leben. Wenn ich du wäre, würde ich springen. Was ich Leben nenne, ist ewig. Wenn ich ich wäre, würde ich ebenfalls springen - weil es keinen Tod geben wird.

Aber der Grund würde dann ein völlig anderer sein. Manchmal sehen Handlungen gleich aus, obgleich ihre Gründe sehr verschieden sind. Schenkt daher der Tat nie zuviel Beachtung. Achtet mehr auf das zugrunde- liegende Motiv. Denn ein Buddha mag sich genauso verhalten wie du, die Tat selbst mag ganz genau die gleiche sein - und kann doch nicht dieselbe sein, denn das Bewußtsein des Buddha ist so anders als deines. Die Tat ist nur äußerlich ähnlich; tief innen muß ein gewaltiger Unterschied sein - unweigerlich.

Auch Buddha lebt ein alltägliches Leben - er ißt, schläft, hat Durst. Aber die Motive sind völlig anders. Wenn Buddha Wasser trinkt, stillt er nur den Durst sei- nes Körpers. Wenn du Wasser trinkst, stillst du deinen Durst. Wenn Buddha Nahrung zu sich nimmt, hilft er nur dem Körper, am Leben zu bleiben, so daß er ihm dienen kann. Er ist ein Werkzeug, ein Vehikel - er bedarf aller Pflege. Wenn du Nahrung zu dir nimmst, ist es eine Frage von Leben und Tod. Nahrung ist Leben.

Wenn Buddha schläft und du schläfst, sind beide gleichermaßen müde. Sogar die Haltung mag die glei-

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che sein: die Augen sind geschlossen. Aber tief drinnen herrscht ein riesiger Unterschied. Sogar im Tiefschlaf ist Buddha bewußt. Er schläft nie; nur der Körper schläft. Das innere Licht brennt ununterbrochen. Nicht für eine einzige Sekunde gibt es eine Unterbrechung seiner inneren Bewußtheit. Wenn du schläfst, schläfst du restlos, wirst du unbewußt, verlierst du dein ganzes Wesen im Unbewußten, im Dunkeln. Urteile deshalb nie nach der Tat. Urteile immer nach dem innersten Kern. Du hast schon oft die christliche Dreifaltigkeit erwähnt: Vater, Sohn und heiliger Geist. Könntest du uns bitte sagen, was aus der Mutter wurde?"

Alle Religionen der Welt wurden von Männern gegründet; nicht eine einzige Religion wurde je von einer Frau gegründet. Und natürlich ist das männliche Ego, der männliche Chauvinismus, die Wurzel aller Lehren gewesen, die je zur Erklärung der Welt geschaffen wurden.

Dem männlichen Ego fällt es sehr schwer, sich eine Frau als Schöpfer vorzustellen. Auch nur einen kleinen Teil der Dreifaltigkeit an die Frau abzugeben, scheint problematisch. Alles hat der Mann geregelt. Der Mann ist in dieser Welt stets der Manager gewesen, und natürlich hat er auch die Vorstellung vom Jenseits geschaffen. Selbst das regelt er noch.

Gott ist ein Mann, der heilige Geist ist ein Mann, der Sohn ist ein Mann... Nicht etwa tatsächlich! Wenn es einen Gott gibt, muß er sowohl Mann als auch Frau sein. Er kann nicht nur männlich sein - das ist unmög- lich, das wäre unvollständig. Er muß ein vollständiger Kreis sein - männlich-weiblich, yin-yang.

Im Osten sind wir da bewußter gewesen. Im Sanskrit ist brahma der höchste Gott, weder männlich noch weiblich. Das ist zutreffender - weil er beides ist. Er gehört zu keinem Geschlecht. Er ist jenseits der Geschlechter. Das scheint wahrer, ein besseres Kon- zept; denn das Leben existiert in Polaritäten. Das 174

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Leben kann nicht nur aus einem Pol bestehen. Elektri- zität kann nicht nur als positiver oder negativer Pol exi- stieren; sowohl der negative als auch der positive ist notwendig. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich das Phänomen der Elektrizität ab.

Die Menschheit kann nicht nur aus Männern oder nur aus Frauen bestehen. Beide sind notwendig, um daraus ein einheitliches Ganzes zu machen... ein anmutiges, gefälliges Ganzes. Der Mann allein ist unvollständig. Die Frau allein ist unvollständig.

Schaut euch das Leben an. Alle Polaritäten darin sind miteinander verbunden - Leben und Tod, Liebe und Haß, Tag und Nacht, Sommer und Winter. Alle Polaritäten sind miteinander verbunden... die Erde und der Himmel. Gott ist die Summe, das Ganze. Das Ganze~kann nicht ausschließlich männlich sein. Es ist eine männliche Haltung, zu sagen, daß das Ganze nur männlich ist. Es ist eine männlich-chauvinistische Hal- tung.

Heute reagieren die Frauen darauf. Die Frauen in der Frauenbewegung haben angefangen, Gott eine sie zu nennen. Sie nennen Gott nicht mehr er. Das ist eine Reaktion. Als Reaktion ist dies verständlich. Aber die Reaktion enthält auch wieder das gleiche - wieder wird der gleiche Fehler begangen. Gott ist sowohl er als auch sie. Im Sanskrit verwenden wir für Gott weder er noch sie. Wir verwenden tat - tat bedeutet das. Ein Hinweis, ein einfacher Hinweis, ohne etwas darüber auszusagen, was Gott ist - ob er oder sie. Tat - das, ein einfacher Hinweis, ohne damit etwas über Gottes Geschlecht auszusagen.

Früher oder später wird die Menschheit es verstehen - daß Mann und Frau Ergänzungen sind. Gegensätze und doch Ergänzungen, die gemeinsam ein Ganzes ergeben. Wegen dieser Idee, daß Gott ein Mann ist, hat der Mensch derartig absurde Theorien geschaffen, daß man es sich kaum vorstellen kann. Auch in Indien sagen die Jains, daß eine Frau nicht befreit werden kann; sie kann vom weiblichen Körper aus nicht erlöst

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werden, sondern muß erst als Mann geboren werden; nur der Mann kann befreit werden. Unsinn! - denn die Seele ist weder Mann noch Frau. Sogar Buddha wollte viele Jahre lang nicht, daß Frauen in Sannyas initiiert wurden. Erst sehr spät im Leben gab er in dieser Frage nach.

Die Leute kommen zu mir und sagen: „Was geht in diesem Ashram vor? So viele Frauen, so viele Män- ner!" Denn in der Vergangenheit hat es nur Ashrams für Männer gegeben. Und wenn es Ashrams für Frauen gab, dann waren sie ausschließlich für Frauen da. Die Religionen haben Männer und Frauen voneinander getrennt. Es gibt im Westen christliche Klöster, die nie eine Frau betreten hat, in die einzutreten keiner Frau gestattet ist. Es gibt Trappistenklöster, aus denen ein Mann, wenn er einmal eingetreten ist, niemals mehr herauskommt, aus Furcht, er könnte in der Stadt einer Frau begegnen.

Sex ist etwas Verbotenes gewesen. Liebe ist etwas Verdammtes gewesen. Und der Mensch hat versucht, sich völlig unabhängig davon zu machen - als ob das möglich wäre. Das ist nicht möglich. Die Energie braucht den Gegensatz. Die Hindus sind in dieser Hin- sicht wissenschaftlicher. Wenn man einen Hindutem- pel betritt, findet man dort Krishna mit Radha, Shiva mit Parvati, Ram mit Sita. Die weibliche Energie ist präsent. Sie muß da sein, um den Gott vollständig zu machen.

In einem Jain-Tempel steht Mahavir alleine da. Es sieht ein wenig verloren aus, ein wenig unvollständig. In einem buddhistischen Tempel sitzt Buddha allein. In einer christlichen Kirche sieht man Jesus gekreuzigt, am Kreuz, aber allein. Kein Wunder, wenn eine Kirche so traurig aussieht - das ist nur natürlich. Die andere Energie, die aus ihr ein Fest machen könnte, fehlt darin. Wenn Frauen und Männer zusammen sind, fei- ert das Leben; dann herrscht Freude.

Habt ihr schon einmal beobachtet, was passiert, wenn zwanzig Männer in einem Raum zusammen sit-

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zen? Man kann es fühlen, wie sich eine gewisse Traurig- keit ausbreitet. Wenn dann eine Frau eintritt - plötzlich flammt die Energie auf... aufsteigende kundalini. Alles wird wach; es passiert etwas. Es hat nichts mit den Körpern zu tun; es hat etwas mit der Energie zu tun. Die entgegengesetzte Polarität ist ins Spiel gekommen - Funken springen über. Die entgegengesetzte Energie ist da - der Magnetismus wird wirksam.

Eine Welt, die ausschließlich aus Männern bestünde, wäre eine sehr dumpfe und öde Welt. Die Dreifaltigkeit muß sich auf die Dauer zu Tode langwei- len. Der Vater, der Heilige Geist und der Sohn - was tun sie bloß? Es muß eine sehr langweilige Gesellschaft sein. Denkt nur einmal darüber nach - zum Fürchten!

Nein, so kann das Leben nicht vollständig werden. Die Energien müssen sich mischen; nur dann wird das Leben höhere Stufen erreichen. Es ist eine Dialektik - die These, die Antithese, und zwischen beiden entsteht dann der Gipfel der Synthese. Dann dient die Synthese wiederum als These, wieder gibt es eine Antithese... und schließlich kommt es zu einer höheren Synthese. So wird eine Symphonie der Energien ständig neu geschaffen. Deshalb ist mein Ashram sehr ungewöhn- lich. Deshalb trifft man nicht viele Inder hier. Sie kön- nen nicht glauben, daß das hier ein Ashram ist. Sie ken- nen nur, daß in Ashrams traurige Leute sitzen, Men- schen, die schon fast tot sind. Sie können nicht glauben, daß es hier so viel Freude gibt, so viel Vergnügen.

Erst gestern schrieb mir ein Inder einen Brief, und er sagt darin: „Ich finde das alles soweit in Ordnung, aber nach den Meditationen oder gar nach deinem Vortrag gibt es immer einige Paare, die sich umarmen oder ein- ander küssen. Das wirkt sehr unreligiös." Was kann religiöser sein als das?

Liebe ist eine Religion, aber jahrhundertelang ist Liebe verdammt worden. Jahrhundertelang war Liebe eine Sünde. Jahrhundertelang haben Männer und Frauen getrennt voneinander gelebt und sich nur in der Dunkelheit der Nacht getroffen, wenn niemand es

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merkte, und sich anschließend wieder getrennt. Wegen solcher Treffen fühlten sie sich dann schuldig, und es verstörte sie zutiefst, das Verlangen nach einer Frau oder einem Mann zu haben. Es ist ganz einfach natür- lich. Es ist nichts, was speziell mit dir zu tun hat, es hat mit Energien zu tun - positive und negative Energien begegnen sich. Wenn sie sich begegnen, entsteht neues Leben.

Die christliche Lehre ist mit Sicherheit falsch. Man muß Gott mehr Freiheit lassen, damit er sich frei zwi- schen den beiden Polen bewegen kann. In Indien ken- nen wir die Vorstellung von Shiva als ardhanarishwar - sie scheint zu den tiefsten Einsichten überhaupt zu gehören.

Ardhanarishwar bedeutet, daß Gott halb Mann und halb Frau ist. Vielleicht habt ihr schon einmal die Sta- tue gesehen oder eine Photographie der Statue des ard- hanarishwar, wo Shiva halb Mann und halb Frau ist. Dies ist höchst symbolisch; es zeugt von tiefer Weis- heit. Genau so sollte es sein.

Folgende Begebenheit: Ein Vikar verlieh bei der örtlichen Hundeschau die Preise. Er war sehr empört über die Kleidung einiger jüngerer Damen. „Schauen Sie sich diesen Burschen an," sagte er, „den mit dem kurzen Haar, mit der Zigarette und den Kniehosen, der zwei Hunde hält. Ist das nun ein Junge oder ein Mäd- chen?" - „Ein Mädchen", sagte sein Beisitzer. „Das ist meine Tochter."

„Oh, Verehrtester!", stammelte der Vikar peinlich berührt, „vergeben Sie mir. Ich wäre niemals so unver- blümt gewesen, wenn ich gewußt hätte, daß Sie der Vater sind." „Das bin ich auch gar nicht", sagte der andere. „Ich bin die Mutter."

Eines Tages wird das auch noch mit Gott passieren. Und es wird ein glorreicher Tag sein, wenn Gott in Uni- sexkleidung daherkommt und niemand in der Lage sein wird zu sagen, ob das nun eine Sie ist oder ein Er. Das wird ein großer Tag der Befreiung von männlichen Vorstellungen sein. Das wird ein großer Tag für das 178

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Gottesverständnis des Menschen sein - nicht des Man- nes oder der Frau. Würdest du bitte über den Unterschied zwischen dem geduldigen Nicht-Reagieren des Zen-Meisters und der vergifteten Nicht-Reaktion der repressiven Selbstkon- trolle sprechen?"

Da besteht ein großer Unterschied - der größtmögli- che. Wenn man geduldig ist, hat das nichts Unterdrück- tes an sich. Anders ist Geduld nicht möglich. Denn Geduld läßt sich nicht dadurch stören, daß dich jemand beleidigt; die Geduld wird durch deine eigene Wut gestört, den Haß, die Eifersüchte, die in dir unter- drückt sind. Die Beleidigung des anderen ist nur ein Vorwand - in Wirklichkeit liegt es an deiner Unter- drückung.

Du unterdrückst dauernd deine Wut. Sie staut sich weiter an. Dann genügt ein Funke von Beleidigung - und in dir ist ein großes Feuer entfacht worden. Es steht absolut in keinem Verhältnis zu der Beleidigung. Und oft erkennst du, daß es gar keine so riesige Sache war - aber warum bin ich dann nur so wütend geworden?

Manchmal hat der andere dich nicht einmal provo- ziert. Der andere war sich nicht einmal bewußt, daß er dich beleidigt hat, aber du hast dich beleidigt gefühlt, du bist wütend geworden. Du mußt die Wut schon seit langem mit dir herumgeschleppt haben; sie ist überge- kocht. Sie hat nur auf eine Situation gewartet, in der du sie rationalisieren und die Schuld einem anderen in die Schuhe schieben konntest. Geduld ist nur dann mög- lich, wenn du nicht repressiv bist. Sonst bist du gereizt.

Schau. Normalerweise ist Wut nicht schlecht. Nor- malerweise ist Wut ein Teil des natürlichen Lebens, sie kommt und geht. Wenn du sie jedoch unterdrückst, wird sie zum Problem. Dann staust du sie ständig an. Dann ist es keine Frage von Kommen und Gehen mehr, sie wird dann zu deiner zweiten Natur. Dann bist du nicht mehr nur manchmal wütend, du bleibst dann wütend, du bleibst in Rage und du wartest nur darauf,

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daß jemand deine Wut provoziert. Oder du fängst schon beim geringsten Anzeichen einer Provokation Feuer und tust Dinge, über die du später sagen wirst: „Ich tat es ohne meinen Willen."

Analysiere diesen Ausdruck - ohne meinen Willen. Wie kannst du etwas ohne deinen Willen tun? Aber der Ausdruck trifft die Sache ganz genau. Aus unterdrück- ter Wut wird vorübergehender Wahnsinn. Es geschieht etwas, das außerhalb deiner Kontrolle liegt. Wenn du es hättest kontrollieren können, würdest du es jetzt noch kontrollieren - aber plötzlich ist es übergeflossen. Plötzlich ist es dir über den Kopf gewachsen. Du konn- test nichts dagegen tun, du fühltest dich hilflos - und schon kam es zum Vorschein. Solch ein Mensch mag nie wütend sein, aber er trägt ständig seine Wut mit sich herum und lebt in ihr.

Wenn ihr euch die Menschen anschaut... stellt euch einmal an die Straße und beobachtet einfach... ihr wer- det zwei Arten von Menschen finden. Beobachtet für eine Weile die Gesichter. Die ganze Menschheit ist in zwei Arten von Leuten unterteilt. Die eine Art ist der traurige Typ, der sehr traurig aussieht, irgendwie läh- mend. Die andere ist der wütende Typ - er brodelt nur so vor Wahnsinn und ist bereit, unter jedem Vorwand zu explodieren. Wut ist aktive Trauer; Traurigkeit ist inaktive Wut. Es sind nicht zwei verschiedene Dinge.

Beobachte dein eigenes Verhalten. Wann fühlst du dich traurig? Du fühlst dich nur in Situationen traurig, in denen du nicht wütend sein darfst. Der Chef im Büro sagt etwas, und du kannst nicht wütend werden; es wäre unökonomisch. Du darfst nicht wütend sein und mußt sogar noch dazu lächeln - dann wirst du traurig. Die Energie ist inaktiv geworden. Du kommst nach Hause, und bei deiner Frau findest du dann irgendeine kleine Sache, irgend etwas Unbedeutendes, und schon wirst du wütend.

Die Menschen genießen die Wut, sie finden Gefallen an ihr, denn zumindest haben sie dabei das Gefühl, sie tun etwas. Bei Traurigkeit hingegen hast du das 180

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Gefühl, etwas sei dir angetan worden. Du warst auf der passiven Seite, auf der empfangenden Seite. Etwas ist dir angetan worden, und du warst hilflos und konntest es nicht heimzahlen, du konntest dich nicht rächen, du konntest nicht reagieren.

In deiner Wut fühlst du dich ein wenig besser. Nach einem großen Wutanfall fühlt man sich ein wenig ent- spannt.. . es fühlt sich gut an. Du bist lebendig. Auch du kannst etwas tun! Natürlich kannst du es nicht dem Chef gegenüber tun, aber zumindest kannst du es bei deiner Frau. Dann wartet die Frau darauf, daß die Kin- der nach Hause kommen - denn es ist unökonomisch, dem eigenen Mann gegenüber wütend zu werden. Das ganze Leben scheint aus ökonomischen Erwägungen zu bestehen. Er ist der Chef, und die Frau ist von ihm abhängig, und es ist riskant, ihm gegenüber wütend zu werden. Also wartet sie auf die Kinder. Sie werden bald aus der Schule nach Hause kommen, und dann kann sie sich auf sie stürzen und zuschlagen - zu deren Besten.

Und was tun die Kinder dann? Sie werden in ihre Zimmer gehen, sie werden ihre Bücher herumwerfen und zerreißen, oder sie werden ihre Puppen schlagen oder ihre Hunde oder ihre Katzen. Irgend etwas müs- sen sie tun. Jeder muß irgend etwas tun, sonst würde er traurig werden.

Die traurigen Menschen, die ihr auf der Straße seht, sind so permanent traurig geworden, daß ihre Gesich- ter eine bestimmte Form angenommen haben; sie sind Menschen, die so hilflos sind, die so weit unten auf der Leiter stehen, daß sie niemanden mehr finden, an dem sie ihre Wut auslassen könnten. Das sind die traurigen Menschen. Weiter oben werdet ihr die Wütenden fin- den. Je höher man steigt, desto wütendere Leute wird man finden. Je weiter man herabsteigt, umso trauriger werden die Menschen. Schaut euch in Indien die Unberührbaren an, die niedrigste Kaste. Sie sind traurig. Geht anschließend zu den Brahmanen - sie sind wütend. Ein Brahmane ist

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immer wütend; beim geringsten Anlaß wird er wütend. Er ist ein Brahmane. Ein Unberührbarer ist einfach deshalb traurig, weil es unter ihm niemanden gibt, auf den er seine Wut abladen könnte. Wut und Traurigkeit sind zwei Gesichter der gleichen Energie... beide unterdrückt.

Geduld entsteht, wenn du weder wütend noch trau- rig bist. Geduld ist ein wunderbares Phänomen: Du bist gegenüber keinem Menschen mehr wütend oder trau- rig - sowohl Traurigkeit als auch Wut sind verflogen; deine Energien haben sich geklärt, zentriert, du bist daheim... Geduld bedeutet, daß du wieder heimge- kehrt bist. Jetzt lenkt dich nichts mehr ab, nichts stört dich. Du bist so glücklich, in deinem Inneren bist du so selig, daß alles andere unwichtig wird.

Jemand beleidigt dich: Du brauchst dich nicht belei- digt zu fühlen. Du bist so glücklich! Habt ihr das schon einmal beobachtet? Wenn man glücklich ist und man wird beleidigt, wird man nicht so wütend wie sonst. Wenn man unglücklich ist, wird man ganz unangemes- sen wütend. Daran zeigt sich die einfache Mathematik. Wer unglücklich ist, der ist jederzeit bereit, wütend zu werden, der wartet geradezu darauf, wütend zu wer- den. Wer jedoch glücklich ist, den interessiert die glei- che Sache überhaupt nicht.

Wenn man zutiefst von Freude erfüllt ist, wenn man einfach jeden einzelnen Augenblick des Lebens als Gottes Geschenk genießt, wovon sollte man sich dann stören lassen? Nichts ist dann eine Störung wert. Du trägst dann etwas so Wertvolles in dir, daß alles andere ganz einfach unwichtig wird.

Ein religiöser Mensch ist kein unterdrückter Mensch, obgleich all die religiösen Menschen, denen ihr begegnet seid, unterdrückte Menschen waren. Aber ein religiöser Geist ist nicht unterdrückt. Ein reli- giöser Geist ist ein glücklicher Geist, ein seliger Geist, ein feierndes Wesen.

Ich möchte euch eine Anekdote erzählen. Arm- strong spielte jeden Monat ein- oder zweimal mit dem 182

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Priester seiner Kirche eine Golfpartie zu zweit. Rever- end Brown war ein guter Golfspieler, und es herrschte eine scharfe Rivalität zwischen den beiden, aber Arm- strong mußte zugestehen, daß der Konkurrenzkampf eine besondere Belastung für sein inneres Gleichge- wicht darstellte. Armstrong hatte, wie so viele von uns, eine Gabe für ausführliche Schimpfkanonaden, und wenn er einen Schlag verpfuscht hatte, pflegte er seine Gefühle dem Ball, aber auch dem Rasen und der allge- meinen Beschaffenheit des Platzes gegenüber mit star- ker, ungebremster Leidenschaft zu artikulieren. In Gegenwart von Reverend Brown fühlte er sich jedoch gehemmt, seiner Gewohnheit zu fröhnen, und so war er am Ende des Spiels aschfahl vor lauter unterdrück- ten Fluchtiraden. Der Geistliche andererseits, der sich auch gelegentlich verschlug, wahrte bei solchen Gele- genheiten eine geduldige Ruhe, was Armstrong nur umso mehr irritierte. Schließlich sagte Armstrong: „Reverend Brown, ich muß Sie etwas fragen. Bitte ver- raten sie mir doch, wie Sie es schaffen, ihr Tempera- ment im Zaume zu halten, wenn Sie einen Ball in den Boden säbeln oder wenn Sie das Loch verfehlen, weil ein Zweig im Gras liegt, den Sie nicht gesehen haben?" Reverend Brown antwortete daraufhin: „Guter Freund, das ist eine Frage der Sublimierung. Ich brau- che nicht zu fluchen oder böse Ausdrücke zu benutzen. Das würde mit Sicherheit nichts an der Situation ändern und zudem meine Seele gefährden. Da ich jedoch etwas tun muß, sublimiere ich. Ich spucke." - „Sie spucken?" - „So ist es." Hier verdunkelte sich Reverend Browns Blick. „Aber das kann ich Ihnen sagen! Wo ich hinspucke, da wächst kein Gras mehr!"

Die Leute, die ihr als religiös anseht, haben immer nur alles sublimiert. Aber Sublimierung ist nur ein Trick des Verstandes. Daran ist nichts sublimes. Das Wort ist eine Fehlbezeichnung. Und wegen dieser Sub- limierung sind der Menschheit viele Dinge zugestoßen, die zu vermeiden gewesen wären. Alle zehn Jahre muß wegen dieser Sublimierung ein großer Krieg ausbre-

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chen - weil die Menschen fortwährend verdrängen. Am Ende wird ihnen dann alles zu schwer; es muß abgeworfen werden.

Habt ihr es schon einmal erlebt? Wenn ein Krieg ausbricht, sehen die Leute so glücklich aus, sie vibrie- ren vor Lebendigkeit; ihre Dumpfheit verschwindet vollständig. Es passiert endlich etwas! Jetzt dürfen sie das andere Land mit Schimpfwörtern eindecken, die sie bis dahin vermieden haben. Das Ausland wird zum Teufel; das Feindland wird zum Feind Gottes; das Feindland wird zur Personifizierung des Bösen selbst. Und dieses andere Land muß vernichtet werden, völlig ausgerottet muß es werden! Jetzt ist Zerstörung erlaubt - nicht nur erlaubt, sondern sogar geehrt. Gewalt ist erlaubt - und sie ist nicht nur erlaubt, sie wird auch noch gepriesen. Dem Volk ist nun all das erlaubt, was sonst nie gestattet ist - Wut, Haß, Eifersucht, Gewalt, die mörderischen Instinkte... alles ist erlaubt. Und die Leute fühlen sich sehr wohl dabei.

Alle zehn Jahre ist ein großer Weltkrieg notwendig; darunter geht es nicht. Denn der Mensch ist dazu erzo- gen worden, zu sublimieren - den Sex zu unterdrücken, die Wut zu unterdrücken, die Grausamkeit zu unter- drücken, alles zu unterdrücken; und dabei zu lächeln, zu versuchen, eine Maske aufzusetzen, eine falsche Persönlichkeit zur Schau zu tragen.

Tief innen sitzt ihr ständig auf einem Vulkan, und doch lächelt ihr ständig mit dem Gesicht. Das Lächeln ist falsch, es ist Tünche. Niemand läßt sich davon täu- schen, und dennoch denkt ihr immer noch, ihr würdet sublimieren. Nichts wird dadurch sublimiert.

Verstehen verwandelt; es sublimiert nicht. Wenn du verstehst, verschwindet die Wut, und die gleiche Ener- gie wird dann zu Mitgefühl. Du sublimierst dann nicht: die Wut verschwindet ganz einfach, und die Energie, die in der Wut steckte, wird freigesetzt und wird zu Liebe. Wenn du den Haß verstehst, verschwindet der Haß, und dieselbe Energie wird zu Liebe. Liebe steht nicht gegen Haß - sie ist die Abwesenheit von Haß.

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Die religiösen Leute konditionieren euch unent- wegt: Liebe deinen Feind. Sie sagen euch unentwegt: Immer wenn du Haß fühlst, unterdrücke ihn und zeige Liebe. Ich kann das nicht zu euch sagen! Ich sage viel- mehr: Immer wenn du Haß fühlst, dann werde bewußt.

Es ist nicht nötig, daß du deine Feinde liebst. Du hast ja noch nicht einmal dich selbst lieb, wie könntest du da deine Feinde lieben? Du liebst ja noch nicht einmal deine Freunde; wie solltest du da deine Feinde lieben können? Das ist unmöglich. Liebe zuerst dich selbst, dann den nächsten Kreis deiner Freunde, dann kannst du Fremde lieben, und schließlich wirst du auch deine Feinde lieben können.

Es ist wie wenn du einen kleinen Kieselstein in einen stillen See wirfst - kleine Wellen entstehen und breiten sich schließlich bis zum fernsten Ufer aus. Zuerst mußt du dich selbst lieben, dann den kleinen Kreis deiner Freunde, dann den großen Kreis der Fremden und schließlich die Feinde. Du brauchst dich nicht zur Liebe zu deinen Feinden zu zwingen. Sonst wirst du irgend- wie Rache nehmen. Du wirst sublimieren.

Du wirst vielleicht nicht fluchen, sondern spucken - und wo du hinspuckst, wird kein Gras mehr wachsen. Dann wirst du sublimieren - und für deine Feinde denkst du dir die Hölle aus. Hier kannst du für sie keine Hölle erfinden; also wünschst du ihnen irgendwo unter der Erde eine Hölle, wo sie ins Feuer geworfen werden, in brennendes Öl, und wo sie auf alle möglichen Arten gefoltert werden.

Schaut sie euch nur an, die Christen, die Hindus, die Mohammedaner - was für Höllen haben sie erfunden! Wenn man ihre Geschichten über die Hölle liest, kann man sie sich nicht besser ausmalen. Sie haben in dieser Hinsicht das Bestmögliche getan; die sadistische Phan- tasie hat darin ihren Gipfel erreicht.

Wenn du unterdrückst, wirst du auf die eine oder andere Weise Rache nehmen. All eure sogenannten Heiligen hoffen ständig, daß ihre Feinde irgendwie ins höllische Feuer gelangen und dort gefoltert werden.

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Darin besteht ihre ganze Hoffnung. Und uns gegen- über zeigen sie nur Liebe. Diese Liebe ist Theater. Diese Liebe ist impotent.

Ich lehre euch nicht zu sublimieren. Ich lehre euch nur eine einzige Sache - Verstehen. Macht Verstehen zu eurem einzigen Gesetz.

Versteht die Wut, beobachtet die Wut, werdet euch der Wut bewußt. Tut nicht das Geringste, laßt sie ein- fach dort vor euch sein. Schaut tief in sie hinein, und plötzlich werdet ihr feststellen, daß einfach durch das Hinsehen eine Transformation beginnt. Nur durch Beobachtung verwandelt sich die Wut in Mitgefühl. Da liegt der Schlüssel. Da gibt es nichts zu tun - Bewußt- heit tut alles für dich.

Und natürlich bist du dann geduldig. Nicht etwa, daß du deine Wut kontrolliert hättest. Du bist geduldig, weil du so glücklich bist. Du bist geduldig, weil deine Wut in Mitgefühl umgewandelt worden ist. Du bist geduldig, weil dein Haß zu Liebe geworden ist. Du bist geduldig, weil du nun nicht mehr gierig bist, sondern mit anderen teilst. Du bist geduldig, weil du nun das Leben bis in die letzte Tiefe genießt. Wen kümmert es, was andere sagen? Du bist davon nicht im geringsten betroffen.

Ein Zen-Meister begab sich nach dem Morgenspa- ziergang mit seinem Schüler zum Tempel. Da näherte sich ihm ein Mann, schlug ihn hart mit einem Stock auf den Rücken und lief davon. Der Meister schaute sich nicht einmal um; er setzte seinen Weg fort. Der Schüler traute seinen Augen nicht. Er sagte: „Was ist los mit dir? Bist du verrückt? Der Mann hat so fest zugeschla- gen und ist dann davongelaufen, und du schaust dich nicht einmal um?" Der Zen-Meister antwortete darauf: „Das ist sein Problem. Was habe ich damit zu tun? Er muß verrückt sein, ein armer Bursche. Ich habe soviel Mitgefühl für ihn. Und ich kann mich nicht umschauen, weil er schon verrückt ist; mein Blick würde ihn noch verrückter machen. Er wird sich ohnehin schon schul- dig fühlen, wenn er nach Hause zurückgekehrt ist; 186

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wenn ich mich nun auch noch nach ihm umgeschaut hätte, würde er vielleicht denken, ich hätte ihn ver- flucht. Nun, das wäre wahrlich unmenschlich. Er hat schon Schwierigkeiten genug. Es ist nicht nötig, ihm noch mehr Ungemach zu bereiten. Es ist sein Pro- blem."

Wenn du glücklich bist, sind die Probleme anderer Leute nicht mehr deine Probleme. Ich will es einmal so sagen: Wenn du keine Probleme hast, können andere dich auch nicht mit ihren Problemen behelligen. Nur weil du selbst Probleme hast, können andere ihre Pro- bleme auf dich abwälzen, und du verfängst dich darin. Geduld ist ein Nebenprodukt innerer Seligkeit. Das Ego fühlt sich so schlau, daß sogar Augenblicke innerer Ruhe, Augenblicke des Loslassens nichts als subtile Tricks dieses Kontrollmonsters zu sein scheinen. Es ist, wie wenn ein raffinierter Angler sein Spiel mit dem Fisch treibt, den er schon am Angelhaken hat, ihm Raum zum Flüchten läßt, damit das Tier müde wird, bevor er es an Land zieht.

Ja, das Ego ist sehr schlau - das Gerissenste, was es auf der Welt gibt. In Wahrheit existiert es gar nicht; daher seine Subtilität. In Wahrheit ist es nur ein Schat- ten, es existiert gar nicht. Wohin du auch gehst, der Schatten folgt dir. Und wenn du versuchst, dem Schat- ten davonzulaufen, wird er hinter dir herlaufen. Je schneller du läufst, desto schneller wird der Schatten dir folgen. Und dann wirst du das Gefühl entwickeln, daß es unmöglich ist, diesem Schatten davonzulaufen.

Nein, unmöglich ist es nicht. Geh einfach einmal unter einen Baum, setze dich in seinen Schatten, und dein eigener Schatten wird verschwinden. Renne nicht davon. Das ist nicht die Art, wie man ihn loswird. Es handelt sich um einen Schatten. Du kannst dich nicht von ihm entfernen. Er hat keine eigene Existenz, des- halb ist er so gerissen. Nur weil er gar nicht existiert, ist er so mächtig. Und er ist nicht da, also kannst du ihm auch nicht entfliehen.

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Versuche, das zu verstehen. Begib dich in den Schat- ten eines großen Baumes, setz dich dort hin und schau dich um - der Schatten ist nicht mehr da. Der dicke Baum ist das, was ich Meditation nenne. Begib dich unter die Fittiche der Meditation, und das Ego wird verschwinden.

Aber die Leute stellen alles mögliche andere an. Sie versuchen, bescheiden zu werden; das ist eine Aus- flucht. Sie spüren die Herrschaft des Schattens, die Herrschaft des Ego; sie versuchen, demütig zu werden, sie versuchen, einfach zu werden, sie entsagen allem. Weil sie denken, das Ego rühre aus dem Reichtum her, entsagen sie dem Reichtum - aber dann ensteht das Ego eben aus der Absage an den Reichtum. Sie den- ken, das Ego entstünde aus Ansehen und Macht... ent- sage der Macht - entsage dem Ansehen - aber dann kommt das Ego wieder durch deine Demut.

Ich will dir eine Anekdote erzählen. Ich mag sie ganz besonders gern: Der geliebte Rabbi lag auf dem Sterbe- bett, und sein Leben neigte sich allmählich dem Ende zu. Um sein Bett war eine Gruppe betrübter Jünger versammelt, denen der bevorstehende Verlust schon arg zusetzte und die flüsternd miteinander über die vielfältigen Tugenden des alten Mannes sprachen, der sie nun bald verlassen würde. Einer sagte: „Er war so fromm, so fromm! Welches der vielen Gebote des Herrn hielt er nicht ein? Wann, in seinem ganzen Leben, wich er auch nur einen Fingerbreit von Gottes Geboten ab?" Und ein zweiter klagte: „Und so gelehrt war er. Die umfangreichsten Kommentare aller Rabbis der Vergangenheit waren sozusagen in sein Gehirn ein- gemeißelt. Jederzeit konnte er sich einen Spruch ins Gedächtnis rufen, der ein Licht auf jede beliebige theo- logische Frage werfen konnte." Und ein dritter sagte: „Und er war so wohltätig, so großzügig. Wo gab es einen Armen, dem er nicht half? Wer in der Stadt weiß nichts von seiner Güte? Warum war das so? Für sich selbst hielt er nur gerade genug zurück, um Leib und Seele zusammenzuhalten." Aber während diese 188

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Lobeshymne so ihren Lauf nahm, zeigte sich ein schwa- ches Zittern auf dem Gesicht des Rabbis. Es wurde klar, daß er versuchte, etwas zu sagen. Alle seine Jün- ger beugten sich mit angehaltenem Atem vor, um diese letzten Worte zu hören. Da ertönten von den Lippen des Rabbis zitternd die Worte: „Frömmigkeit, Gelehr- samkeit, Mildtätigkeit! Und über meine große Demut sagt ihr gar nichts?"

„Über meine große Demut sagt ihr gar nichts." Dann versteckt sich das Ego hinter der Bescheidenheit. Dann versteckt sich das Ego hinter der Demut. Dann versteckt sich das Ego hinter der Einfachheit. Die Wege des Egos sind raffiniert, weil es dein Schatten ist - wo du auch hingehst, folgt er dir. Es sei denn, du fän- dest einen Ort, wo du im Schatten sitzt... dann ver- schwindet es. '

Durch Meditation wirst du mit der Zeit in den Schat- ten eines großen Baumes gelangen. Auf diese Art geschützt, kannst du dich umschauen, und das Ego wird nicht mehr auffindbar sein. Außer Meditation kann da nichts helfen. Deine Kasteiungen werden dir nicht helfen. Deine Entsagungen werden dir nicht hel- fen. Außer Meditation wird dir nichts helfen.

Aber was ist Meditation? Meditation ist ein Zustand des Nicht-Verstandes. Der Verstand ist wie die heiße, sengende Sonne. Unter diesem Verstand gehst du herum - und so fällt der Schatten, wird der Schatten erzeugt. Wenn die heiße, sengende Sonne nicht mehr da ist, dann plötzlich... Stille. Meditation ist ein Zustand des Nicht-Denkens. Meditation ist das Inter- vall, in dem sich keine Gedanken mehr in dir bewegen, in dem die Wolken der Gedanken verschwunden sind. Du bist frei von Gedanken und schläfst doch nicht. Du bist frei von Gedanken und bist doch wach. Eine wache Gedankenleere ist Meditation.

Zu Anfang wird dies nur in seltenen Augenblicken geschehen; nur für den Bruchteil einer Sekunde wirst du den Schatten des Baumes spüren. Aber in jenem Bruchteil einer Sekunde wird das Ego vollständig ver-

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schwinden. Du wirst nicht mehr spüren, daß du bist. Denn das Gefühl, daß ich bin, ist nichts weiter als ein Zeichen für angesammelte Gedanken. Das Ansam- meln von Gedanken ist es, was dir das Gefühl ich bin gibt. Wenn die Gedanken verschwinden, verschwindet auch das Ich.

Du kannst eine Fackel zur Hand nehmen und sie in deiner Hand schnell kreisen lassen: so entsteht ein Ring von Licht. Dieser Ring existiert gar nicht; er entsteht aber, weil sich die Fackel so schnell bewegt. Ein Feuer- kreis ist zu sehen. In Wirklichkeit gibt es keinen sol- chen Kreis, nur eine Fackel, aber du kannst einen Feu- erkreis sehen.

Buddha pflegte dieses Symbol oft zu benutzen - einen Kreis aus Feuer. Halte die Bewegung an, halte deine Hand an, dann wird nur noch die Fackel da sein und der Kreis wird verschwinden.

Halte deinen Verstand an, und der Kreis der Gedan- ken wird verschwinden. Plötzlich ist nur noch dein Sein da, und der Kreis ist nicht mehr da. Jener Kreis ist das Ego. Alle Gedanken zusammen erwecken den Anschein, du seist da. Wenn die Gedanken sich zer- streuen, bist du, aber du fühlst nicht, daß du bist. Das Ich verschwindet, nur Seiendes bleibt zurück.

Im Westen hat ein einziger Mann, René Descartes, das gesamte westliche Denken auf eine falsche Fährte gelockt. Sein Ausspruch ist sehr berühmt geworden; auf diesem Ausspruch ruht die gesamte westliche Phi- losophie. Dieser Spruch lautet: Cogito ergo sum: Ich denke, also bin ich.

Dies ist absoluter Unsinn. Ich denke, deshalb bin ich? Mit anderen Worten, wenn das Denken anhielte, würdest du verschwinden, wärest du nicht mehr. Tat- sächlich ist es so, daß du, wenn das Denken verschwin- det, zum ersten Mal bist. Mit dem Verschwinden des Denkens verschwindet das Ego, nicht du, nicht dein Sein.

Sein Ausspruch - Cogito ergo sum: Ich denke, also bin ich - ist unlogisch, denn von Ich denke kann man

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nicht ableiten Ich bin. Von Ich denke kann man nur ableiten: „Ich denke." Der Ausspruch müßte lauten: Cogito ergo cogito: ich denke, also denke ich. Das wäre in Ordnung. Aber „Ich denke, also bin ich" hat keine Beziehung zu Ich denke. „Ich bin, deshalb bin ich. Sum ergo sum, ich bin, also bin ich".

Aber diese Qualität des Seienden kann man nur füh- len, wenn der Geist völlig frei von jeglichen Wolken ist, wenn alle Gedanken verschwunden sind. Und diese Augenblicke erlebt auch ihr, sogar ohne Meditation, aber sie sind sehr, sehr winzig, und ihr verpaßt sie. Zwi- schen zwei Gedanken gibt es immer eine Pause... sehr klein. Zwischen zwei Worten gibt es immer eine Pause... sehr klein. Und in jenem Intervall bist du, und doch kannst du nicht sagen: „Ich bin." Das Sein ist dann, aber das Ego ist nicht.

Meditation ist eine Erfahrung reinen Seins, ohne jegliche Gedanken. Nur so kann das Ego verschwin- den, anders geht es nicht. Versuche es also nicht auf anderem Wege, sonst wird es dir ständig folgen. Das kann sehr subtile Formen annehmen. Es kann sehr fromm werden. Es gibt sehr viele fromme Egoisten - religiöse Leute, Mönche, Päpste... sehr fromme Leute, aber sehr egoistisch.

Der einzige Weg, der dich über das Ego hinausbrin- gen kann, ist der Weg der Meditation. Es gibt keinen anderen Weg. Bhagwan, was wird geschehen, wenn der östliche Geist mit dem westlichen Geist zusammentrifft?

Die großartigsten Dinge, die man sich nur vorstellen kann, die höchst mögliche Synthese. Der westliche Geist ist der männliche Geist. Der östliche Geist ist der weibliche Geist. Der westliche Geist ist der aktive Geist - er ist zu unruhig, zu aktiv... fast aggressiv, auf aggressive Weise aktiv. Der östliche Geist ist passiv, entspannt - fast faul.

Du kannst den Unterschied sehen. Der Osten ist faul und der Westen ist immer auf Trab, aus nichtigem

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Grund. Es geht nicht darum, wohin man geht; im Westen geht es nur darum, wie schnell man geht. Die Frage ist nicht, wohin man geht, die Frage ist nur, wie schnell man geht.

Im Osten scheint sich nichts zu bewegen, alles wirkt so, als rührte sich nichts... die Zeit ist stehengeblieben. Der westliche Geist lebt mit der Zeit, er ist sehr zeit- bewußt. Der östliche Geist ist entspannt in Ewigkeit.

Beide haben ihre guten Seiten und ihre Gefahren, bei beiden gibt es nachteilige Effekte. Wenn du zu aktiv bist, wirst du überspannt; du wirst Magengeschwüre bekommen. Das Leben ist dann nur noch ein einziges Gerenne, das nirgendwo hinführt. Ihr werdet viele Dinge herstellen, eure Märkte werden voller Waren sein, euer Leben wird einen besseren Lebensstandard haben. Ökonomisch, medizinisch, wissenschaftlich, technologisch werdet ihr weit besser entwickelt sein. Das ist gut.

Aber es gibt auch schädliche Effekte. Innen werdet ihr sehr leer sein. Der Supermarkt ist gefüllt, aber innen seid ihr sehr leer. Die Außenseite wird immer reicher und innen werdet ihr ärmer und ärmer. Der Lebensstandard wird höher und höher werden, aber das Leben wird euch durch die Hände rinnen. Ihr wer- det nicht mehr sagen können, warum ihr eigentlich lebt.

Ihr lebt komfortabel, angenehm. Ihr lebt angenehm, ihr sterbt angenehm, aber tatsächlich werdet ihr kein bißchen leben, weil euer Inneres leer ist. Und man muß aus dem innersten Kern seines Wesens heraus leben. Der wahre Reichtum stammt aus dem innersten Kern. Dinge sind gut, aber sie sind nicht gut genug. Sie sind notwendig - aber der Mensch kann nicht vom Brot allein leben.

Im Osten sind die Menschen entspannt-so sehr, daß sie fast faul sind. Es ist nicht gut, das entspannt zu nen- nen. Sie sind faul. Natürlich erhaschen sie in dieser Faulheit umso klarer einen flüchtigen Blick auf ihr inneres Wesen. Sie haben nichts, wohin sie gehen

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könnten, also tauchen sie immer wieder tief in ihr eige- nes Wesen. Ihre ganze Richtung geht nach innen. Ihr innerster Kern ist reicher, aber ihr äußeres Leben ist so arm und häßlich... schrecklich, ekelerregend. Sie sind Bettler.

Wenn der östliche und der westliche Geist einander begegnen würden, so wäre dies die größte Synthese des männlichen und weiblichen Geistes, des passiven und des aktiven Geistes, und daraus würde ein Gleichge- wicht geboren, und zum ersten Mal würde so die Menschheit geboren - eine globale Menschheit - weder östlich noch westlich. Es wird einfach die Menschheit sein... umfassend, total. Ein westlicher Mensch ist halb, und ein östlicher Mensch ist genauso halb.

Ich habe von einem Mann gehört. Er war Inder, aber er verbrachte fast sein ganzes Leben in Deutschland. Er starb, und natürlich erwartete er, wie es alle Inder tun, daß er in den Himmel kommen würde. Aber wie es dann ebenfalls fast immer geht, kam er in die Hölle. Darüber war er sehr bekümmert. Also ging er zum diensthabenden Teufel. Er sagte: „Da muß ein Irrtum vorliegen. Ich bin Inder. Ich sollte eigentlich in den Himmel kommen. Ich bin kein Deutscher. Ich habe nur in Deutschland gelebt." Der diensthabende Teufel hatte Mitleid mit ihm und sagte: „Ich kann deine Schwierigkeiten verstehen, aber jetzt können wir nur noch eines tun. Auch das ist eigentlich nicht gestattet, aber bei dir werde ich eine Ausnahme machen. Du kannst wählen zwischen der indischen und der deut- schen Hölle." „Aber was ist da der Unterschied?" fragte der Mann. „In der deutschen Hölle", erklärte der diensthabende Teufel, „verbringst du die Hälfte der Zeit damit, das Essen zu essen, das dir beliebt, du hörst Musik und amüsierst dich mit Mädchen. In der anderen Hälfte der Zeit wirst du an einer Mauer festge- bunden und erbarmungslos geschlagen. Außerdem werden dir die Nägel und Zähne ausgezogen und kochendes Öl wird über dich gegossen." - „Und die indische Hölle?" - „In der indischen Hölle verbringst

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du die Hälfte der Zeit damit, das Essen zu essen, das dir beliebt, du hörst Musik und amüsierst dich mit Mäd- chen. In der anderen Hälfte der Zeit wirst du an einer Mauer festgebunden und erbarmungslos geschlagen. Außerdem werden dir die Nägel und Zähne ausgezo- gen und kochendes Öl wird über dich gegossen." - „Aber da besteht doch kein Unterschied." - „Doch, in ein paar Details. In der deutschen Hölle gibt es deut- sches Essen, deutsche Musik und deutsche Mädchen, wohingegen es in der indischen Hölle indisches Essen, indische Musik und indische Mädchen gibt. Aber in dieser Hinsicht sind beide Nationalitäten erstklassig. Was natürlich den schmerzlicheren Teil des Ganzen anbetrifft", sagte der diensthabende Beamte, „so wer- den die Folterungen in der deutschen Hölle in der bewährten deutschen Art ausgeführt, wohingegen..." Da sprang der Mann wie elektrisiert auf und sagte: „Ich nehme die indische."

Die Inder sind so faul, daß es in ihrer Hölle nicht all- zuviel Disziplin geben kann. Dort muß Chaos herr- schen. Sie können nichts nach Plan tun. Aber natürlich geschieht in einer deutschen Hölle alles auf deutsche Art.

Der östliche Geist ist aufgrund seiner Reise in die Innerlichkeit im Laufe der Zeit der äußeren Welt gegenüber vollkommen achtlos geworden. Dadurch ist vieles verlorengegangen. Vieles ist dadurch gelungen, aber vieles ist auch verlorengegangen. Man machte sich mehr vertraut mit seinem inneren Wesen, aber dann folgte Armut, Krankheit, Leiden, äußeres Chaos.

Man kann die Augen schließen und genießen, aber wenn man in Indien die Augen aufmacht, ist es überall furchtbar. Es ist unmöglich zu erdulden, zu ertragen. Deshalb sind die Inder auf den Trick verfallen, die Augen zu schließen und zu meditieren. Mit offenen Augen kann man nicht meditieren. Überall draußen ist es so häßlich, daß man anders gar nicht meditieren könnte. Im Westen ist außen alles wunderschön, die westli-

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che Welt hat durch die Technologie viel erreicht, aber auch das ist einseitig. Und die Menschen haben dort völlig vergessen, wie man nach innen geht. Sie haben vergessen, wie man die Augen schließt.

Beides ist unvollständig. Und für mich besteht die einzige Möglichkeit für den neuen Menschen in einer großen Synthese zwischen Ost und West. Und genau das versuche ich hier in Poona. Ich bin weder ein Mann des Westens noch des Ostens. Ich gehöre keinem Land an, keiner Nation, keiner Religion. Denn wer einem Land angehört, kann nicht allen angehören, und wer einer Religion angehört, kann nicht alle Religionen sein eigen nennen. Ich gehöre niemandem an. Ich habe keine Wurzeln in irgendeinem Lande, in irgendeiner Religion, in irgendeinem Teil der Menschheit.

Und alle Bemühungen hier sind darauf gerichtet, eine Situation zu schaffen, in der die Spaltung zwischen Ost und West fällt. Und es ist die gleiche Spaltung wie die zwischen Mann und Frau. Zwar auf anderer Ebene, aber es ist die gleiche Spaltung... zwischen yin und yang. Die gleiche Spaltung besteht zwischen dem Akti- ven und dem Passisen, zwischen dem Positiven und dem Negativen.

Wenn die fallen könnte... und sie kann fallen: ich habe sie fallengelassen, ihr könnt sie ebenso fallenlas- sen... dann werdet ihr plötzlich sehen, daß ein neues Licht in euch aufgeht, das weder aus dem Osten noch aus dem Westen stammt. Ihr werdet in euch selbst die Geburt eines neuen Menschen erleben, dem das Ganze gehört und der selbst zum Ganzen gehört.

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Kapitel 7

Finger, die zum Mond zeigen

17. Februar 1976

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Der Meister Foso Hoyen sagte: Es heißt, daß Buddha

fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten in seinem Leben ausgesprochen hat. Dazu gehört die Wahrheit der Lehre

und die Wahrheit des Seins. Dazu gehört die Wahrheit der plötzlichen Erleuchtung

und die Wahrheit der allmählichen Erleuchtung. Bedeutet nicht all dies ein Ja-Sagen?

Aber andererseits sagt Yoka, im Gesang der Erleuchtung,

daß es keine Wesen und keine Buddhas gibt- Weise sind Wasserblasen,

und große Geister nur Wetterleuchten, Bedeutet nicht all dies ein Nein-Sagen?

Oh meine Schüler, wenn ihr ja sagt, leugnet ihr Yoka,

und wenn ihr nein sagt, widersprecht ihr Buddha.

Wenn Buddha hier unter euch wäre, wie würdet ihr dieses Problem lösen?

Wenn wir wüßten, wo wir stünden, würden wir Buddha jeden Morgen in Frage stellen

und jeden Abend grüßen. Aber da wir nicht wissen, wo wir stehen,

will ich euch in ein Geheimnis einweihen:

Wenn ich sage, dies ist so, ist es vielleicht kein Ja-Sagen,

wenn ich sage, dies ist so, ist es vielleicht kein Nein-Sagen.

Blickt nach Osten und seht das heilige westliche Land; blickt nach Süden, um den Nordstern zu sehen.

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Nirvana, Tao oder Wahrheit ist eine existentielle Erfahrung. Man muß es sein, um es zu kennen. Man muß sich darin auflösen, um es zu sein. Selbst von einer Erfahrung zu sprechen, ist nicht genau richtig, weil es mehr wie ein Erfahren als eine Erfahrung ist. Das Wort Erfahrung gibt das Gefühl, daß die Sache abgeschlos- sen und fertig ist. Sie ist niemals abgeschlossen, sie ist niemals fertig. Sie ist ein Vorgang - ein dynamischer Vorgang - der immer weiter geht. Sie lebt nur, weil sie in Bewegung ist, sie ist nie zuende.

Das Ziel ist die Reise. Außer der Reise gibt es kein Ziel. Die Reise ist das Ziel. Darum benennt man es falsch, wenn man es eine Erfahrung nennt, es ist ein Erfahren. Es ist niemals abgeschlossen. Du trittst darin ein, aber du kommst nie heraus. Wenn es dir gelingt, endlich herauszukommen, bist du nicht mehr. Es ist eine Reise ohne Wiederkehr.

Erfahrung ist etwas zwischen dem Erfahrenden und dem, was erfahren wird, aber in der Erfahrung der Wahrheit - oder nennt es Gott oder was immer ihr wollt - löst sich der Erfahrende auf, löst sich das Erfahrene auf; es bleibt nur noch ein dynamischer Vorgang übrig, ein Vorgang des Erfahrens. Es ist ein Fluß ohne Ufer. Die Dualität ist nicht da. Es existiert keine Trennung.

Wie es also ausdrücken? - Denn alle Ausdrucksfor- men wären Einschränkungen. Alle Einschränkungen sind Verfälschungen. Wenn du sagst Gott ist, ver- fälschst du. Wenn du sagst Gott, ist nicht, verfälschst du es wiederum, vom anderen Ende her. Wenn du sagst, Gott ist, hast du eine Unwahrheit ausgespro- chen.

Laßt es mich euch erklären. Wir können sagen, das Haus ist. Wir können sagen, der Baum ist, wir können sagen, der Mensch ist - weil eines Tages der Baum nicht sein wird, irgendwann der Baum nicht war; eines Tages wird das Haus nicht sein, irgendwann war das Haus nicht. Zwischen zwei Nichtheiten zuckt nur einen Blitz von Existenz. Wir können über das Haus sagen, es ist; aber wir

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können nicht sagen, Gott ist. Genauso gebraucht, würde das Wort zu einer Fälschung - weil Gott immer schon da war, da ist, da sein wird. Also können wir nicht im gleichen Sinn, wie wir sagen, das Haus ist, sagen, Gott ist. Gott ist macht aus Gott ebenfalls ein Ding - und Gott ist kein Ding. Gott ist alle Dinge zusammengenommen... alle Dinge, die je da waren, und alle Dinge, die es je geben wird. Gott ist die Gesamtheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Wie also sollte man sagen können, Gott ist? Tatsäch- lich ist der Satz Gott ist eine Tautologie, eine doppelte Feststellung - so als würdet ihr sagen, Istigkeit ist. Gott bedeutet Istigkeit - die Istigkeit alles dessen, was ist. Die Istigkeit des Hauses ist Gott. Die Istigkeit des Bau- mes ist Gott. Die Istigkeit des Menschen ist Gott.

Ihr könnt nicht sagen, Gott ist, weil dann Gott eben- falls eines unter Millionen Dingen sein wird. Er wird nicht die Gesamtheit sein. Ihr könnt nicht sagen, Gott ist. Es ist eine Verfälschung. Ihr könnt nicht sagen, Gott ist nicht, weil die Gesamtheit ist. Wie könntet ihr das leugnen? Selbst wenn ihr sagt, es ist eine Illusion, ist die Illusion. Selbst wenn ihr sagt, es ist ein Traum, ist der Traum, ist der Träumer, ist das Geträumte. Ihr könnt nicht einfach sagen, Gott ist nicht. Du bist, und derjenige, zu dem du sagst, Gott ist nicht, ist auch - die Istigkeit kann nicht geleugnet werden.

Was also tun, wie Gott ausdrücken, wie Nirvana aus- drücken, wie Tao oder die Wahrheit ausdrücken? Sie lassen sich nicht ausdrücken. Sie können verstanden werden, sie können angedeutet werden, aber sie kön- nen nicht ausgedrückt werden. Ausdruck ist sehr begrenzt und Gott ist unbegrenzt. Das Unbegrenzte kann nicht in Worte gesteckt werden. Ihr könnt das Unendliche in Wörter hineinzwängen, aber dann ist es nicht mehr das Unendliche; darin liegt die Verfäl- schung. Alles was schön ist, alles was lieblich ist, alles, was gut und wahr ist, bleibt unausgedrückt. Laotse hat gesagt: „Die Wahrheit läßt sich nicht aus-

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drücken. Im gleichen Augenblick, wo du sie aus- drückst, ist sie nicht mehr die Wahrheit." Dies ist eines der grundlegendsten Dinge, die man verstehen muß. Die Wahrheit kann gezeigt, aber nicht ausgesprochen werden. Man kann die Wahrheit zeigen - ein Buddha ist ein Pfeil, der auf die Wahrheit zeigt, aber ausspre- chen tut er sie nicht. Und alles, was er sagt, ist eine Ver- fälschung.

Die Zen-Mönche sagen, daß Buddha unendlich viel Lügen ausgesprochen habe - weil alles, was er ausge- sprochen hat, zur Lüge wird. Es ist völlig egal, was es ist - im gleichen Augenblick, wo man es ausspricht, wird es zur Lüge. Der Ausspruch ist sehr endlich, und das Ausgesprochene ist unendlich.

Habt ihr es beobachtet? Wenn ihr euch in eine Frau oder einen Mann verliebt, und ihr sagt, ich liebe dich, spürt ihr plötzlich die Ohnmacht der Sprache. Ich liebe dich drückt nicht viel aus. Es klingt absurd; es hört sich so an, als würdet ihr euer innerstes Gefühl damit verra- ten. Wirkliche Liebende sagen niemals: „Ich liebe dich". Sie mögen vieles tun, um ihre Liebe zu zeigen, aber sie werden niemals sagen: ich liebe dich, weil das Sagen es verunreinigt. Es ist größer als das Wort Liebe.

Immer, wenn ihr zu jemandem sagt, ich liebe dich, werdet ihr euch etwas schuldig fühlen. Wenn ihr den anderen nicht liebt, ist es weiter kein Problem; dann könnt ihr es so oft sagen, wie ihr wollt. Dann sind dies Klischees, dann bedeuten sie nicht viel. Dann könnt ihr weiter mit Worten spielen. Aber wenn ihr wirklich liebt, dann wird euer Herz, wenn ihr sagt: „Ich liebe dich", schneller schlagen, und ihr werdet euch etwas verlegen fühlen. Es ist etwas, das nicht gesagt werden kann.

Ja, durch eure Augen könnt ihr es zeigen, durch eure Berührung könnt ihr es zeigen, durch tausendundein Ding könnt ihr darauf hinweisen, aber wie könnt ihr es sagen? Die Sprache ist dazu nicht fähig. Wenn ihr aber nicht Liebe sagen könnt, wie könnt ihr dann Beten sagen? Beten heißt, sich ins Ganze verlieben. Es ist die

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größte Liebe, die es gibt. Wie könnt ihr Beten sagen? Ein wirklich religiöser Mensch sitzt schweigend da,

wenn er betet. Und diejenigen, die immerzu zu Gott reden, Dinge zu Gott sagen - sie wissen nicht, was Beten ist, sie wiederholen nur Klischees, sie wiederho- len Wörter. Ein wirkliches Gebet ist notwendigerweise still. Man hält staunend inne. Man fühlt sich vom Unendlichen überwältigt. Man kann es nicht begreifen, man ist von tiefer Ehrfurcht erfüllt.

Aber wie kann man da etwas sagen? Worte versa- gen, der Verstand steht still. Das Denken kann nicht weitergehen. Plötzlich bist du in einer tiefen Leere. Du bist da, aber Worte sind keine da. Du fühlst, wie dein eigenes Herz schlägt, du kannst dein eigenes Atmen spüren; wenn du vollkommen still wirst, kannst du sogar dein eigenes Blut kreisen fühlen - aber es ist kein Denken da.

Beten läßt sich nicht tun. Es ist keine Handlung. Es hat nichts mit Handeln zu tun. Es ist etwas, worin du sein kannst, aber was du nicht tun kannst. Du kannst von Gebet erfüllt sein, aber beten kannst du nicht. Es ist ein Geisteszustand, keine Geistestätigkeit.

Gott, nirvana, tao, Wahrheit - nichts als sinnlose Töne... Hinweise, die auf das Unendliche deuten, auf das Jenseits... Finger, die zum Mond zeigen. Aber Fin- ger sind nicht der Mond. Wenn ich euch den Mond mit meinem Finger zeige, dann greift nicht nach meinem Finger - er hat nichts mit dem Mond zu tun. Klammert euch nicht an meinen Finger, sonst entgeht euch der Mond. Der Finger muß vergessen werden. Ihr müßt euch vom Finger abwenden, um den Mond sehen zu können. Alles, was also je ein Buddha gesagt hat, muß vergessen werden. Schriften müssen vergessen werden - sie sind Finger, die zum Mond zeigen. Aber ihr werdet Christ, ihr werdet Hindu, ihr werdet Buddhist - da geht ihr in die Irre. Plötzlich habt ihr euch von leeren Worten einfangen lassen, von einem Wust aus Worten und Unsinn, und je mehr ihr euch in diesem Wortwust verstrickt, desto weiter seid ihr von

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der Wahrheit entfernt. Die Wahrheit ist ein Erfahren, keine intellektuelle Leistung. Sie hat nichts mit dem Intellekt zu schaffen. Deine Intelligenz leuchtet hell. Ja, deine Intelligenz besitzt Klarheit, aber der Spiegel ist völlig rein von Worten.

Goethe wurde einmal gefragt: „Was ist der Sinn, das Geheimnis des Lebens?" Er antwortete: „Das, was die Pflanze unbewußt tut, das tu bewußt... mit anderen Worten: Wachse." Die Bedeutung des Lebens liegt im Wachstum. Die Bedeutung von Nirvana liegt in deinem Wachstum. Die Bedeutung der Wahrheit liegt in dei- nem Wachstum. Wachse. Und dieses Wachstum kennt kein Ende. Du wächst immer weiter, du wächst immerzu weiter. Die Reise ist unendlich. Ein Ziel kommt nie. Viele Ziele kommen und gehen, viele Gip- fel der Erfahrung kommen und gehen, aber immer noch wartet das Unendliche, und es wird weiter war- ten. Du kannst es nicht erschöpfen.

Das ist das Problem mit der Sprache - Sprache ist irgendwann erschöpft. Wenn ich zu dir sage: „Ich liebe dich", habe ich alles gesagt, ausgeschöpft... Aber die Liebe geht weiter. Liebe ist ein Wachstum, ein lebendi- ger Prozeß. Ich liebe dich ist tote Sprache. Etwas ist in den Worten gestorben. Wörter sind wie Leichname.

Ein Buddha, einer der erleuchtet ist, hilft dir zu wachsen. Wenn er spricht, spricht er nur, um dir dabei zu helfen, alle Reden fallenzulassen. Wenn er Worte benutzt, benutzt er sie nur dazu, um dir zu helfen, wort- los zu werden. Wenn er spricht, spricht er nur, um auf das Schweigen zu weisen. Denke also immer daran, wenn ein Buddha etwas sagt, ist das Gefäß überhaupt nicht wichtig, sondern nur der Inhalt. Das Wort ist das Gefäß, und der Sinn ist der Inhalt. Aber der Sinn kann nur zu dir kommen, wenn du wächst. Solange du noch nicht von der Bud- dhaschaft gekostet hast, wirst du nicht verstehen. Es ist also nicht eine Frage des Wissens; es ist eine Frage des Verstehens. Wissen kannst du immerzu weiter ansam- meln; du brauchst nicht zu wachsen. Du kannst dich

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immer mehr mit Wissen vollstopfen, und tief drunten in deinem Innern wirst du der gleiche bleiben - kein Wachstum geschieht, keine Transformation geschieht.

Im Gegenteil: Alles Wissen, das du sammelst, behin- dert das Wachstum. Man wird zu sehr von dem bela- stet, was man weiß. Je mehr du weißt, desto geringer die Möglichkeit, zu erkennen. Dann ist deine Fähig- keit zu erkennen allzu belastet. Dann ist deine Fähig- keit zu erkennen, allzu umwölkt.

Religion ist kein Lernprozeß. Vielmehr ist sie genau das Gegenteil - ein Prozeß des Verlernens. Was immer du weißt, muß fallengelassen, wieder verlernt werden, so daß du wieder zum Kind werden kannst... so daß du neu geboren werden kannst. Und diese zweite Geburt ist die wirkliche Geburt. Die erste Geburt ist nicht die wirkliche Geburt. Sie ist nur die Gelegenheit zur zwei- ten Geburt, mehr nicht. Wenn die zweite Geburt pas- siert, hast du deine erste Geburt zu nutzen gewußt. Wenn die zweite nie passiert, dann hast du die Chance verpaßt. Die erste Geburt ist nur die Geburt des Kör- pers und des Verstandes. Die zweite Geburt ist die Geburt des Geistes, deiner Seele. Und solange du noch nichts von deinem innersten, ewigen Wesenskern weißt, hast du noch gar nichts gewußt.

Aber die Menschheit liebt das Wissen, die Informa- tion. Das ist sehr ego-befriedigend. Jedesmal wenn du sagen kannst, daß du Bescheid weißt, jedesmal wenn du einem anderen einen Rat geben kannst, fühlst du dich sehr erhaben. Ohne zu wissen, wer du bist, ohne zu wissen, wo du bist, spielst du nur immerzu die Rolle eines Lehrers.

Schau dich einfach um - jeder gibt jedem anderen gute Ratschläge. Natürlich, niemand nimmt sie an - und es ist gut so, daß niemand sie annimmt, sonst wäre die Welt noch sehr viel mehr in Schwierigkeiten. Sie hat schon genug Probleme.

Es ist gut, daß niemand deinen Rat annimmt - dein Rat ist wertlos. Bei Problemen, in einer Krise, hörst du nicht auf deinen eigenen Rat. Es ist einfach totes

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Gerümpel. Es hat nichts mit deinem inneren Wachs- tum zu tun.

Wirkliches Wissen ist Teil des Wachstums. Wachse. Wachse, entfalte dich, explodiere mit jedem Augen- blick weiter. Jeder Augenblick sollte eine neue Geburt sein.

Warum ist es nicht so? Weil du noch immer die Ver- gangenheit mit dir herumschleppst. Wenn du willst, daß jeder Augenblick eine neue Geburt ist, mußt du auch jeden Augenblick für die Vergangenheit sterben. Stirb der Vergangenheit, so daß du hier jetzt wiederge- boren werden kannst. Alles Wissen gehört der Vergan- genheit an. Der Verstand gehört immer zur Vergan- genheit. Bewußtsein gehört immer zur Gegenwart. Ein Buddha hilft dir, bewußter zu werden; er hilft dir nicht, gelehrter zu werden.

Ich habe eine Anekdote gehört: Ein problembelade- ner Mann betrat das Büro eines Psychiaters. Er hatte Ringe in den Ohren, Ketten um Handgelenk und Nak- ken, schulterlanges Haar und rauchte einen Joint. Der Psychiater sagte: „Sie behaupten also, Sie sind kein Hippie. Wie wollen Sie dann ihre Aufmachung, das lange Haar und das Haschisch erklären?" - „Doktor", seufzte der Bursche, „genau um das herauszufinden, bin ich ja hier."

Niemand weiß, warum du so bist, wie du bist. Nie- mand weiß, wer du bist. Niemand weiß, warum du in der geistigen Verfassung gelandet bist, in der du gelan- det bist. Völlig unbewußt treibst du weiter dahin. Du ahmst immer wieder andere nach, weil du nicht weißt, wer du bist. Die einzige Möglichkeit, zu einer Identität zu gelangen, zu einem Image, ist die, andere zu imitie- ren.

Ich las in der Autobiographie von Alan Watts. Er berichtet einen Vorfall aus seiner Kindheit. Als er noch Kind war, lebte in seiner Nachbarschaft ein Junge namens Peter. Und diesen Jungen schätzte er sehr. Dieser Junge war eine Art Held für Alan Watts. Manchmal kam er so beeindruckt von seinem Helden

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Peter nach Hause, daß er anfing, sich genauso zu benehmen wie er, und dann sagte seine Mutter immer: „Alan, vergiß nicht, du bist Alan, nicht Peter."

Von der frühesten Kindheit an versucht jeder, jemand anders zu sein, denn ihr wißt nicht, wer ihr seid, und es ist sehr schwer, ohne eine Identität zu leben. Es ist sehr schwer, zu leben ohne zu wissen, wer du bist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder gehst du nach innen - was ein gewaltiges Abenteuer ist und enorme Courage erfordert; oder du ahmst andere nach - ein bißchen von diesem, und ein bißchen von jenem, und du wirst Flickwerk.

Schau dich an, und du kannst selbst sehen, wie du Flickwerk geworden bist. Immer wenn du etwas sagst, beobachte einfach innen, woher es kommt. Deine Mut- ter, dein Vater, dein Bruder, der Freund, der Lehrer, der Priester - woher ist dieses Stück gekommen? Und dann wirf alles hinaus, was von anderen stammt.

Eine tiefe Reinigung ist nötig zum Wachstum, denn Wachstum kannst du nicht imitieren. Wachstum muß dir geschehen; du kannst nicht weiter imitieren. Laß alle Nachahmung fallen, und dann wirst du nach und nach zur Klarheit gelangen, wirst du nach und nach Boden unter die Füße bekommen. Du wirst wissen, wer du bist.

Am Anfang bleibt es vage, verworren, chaotisch, aber wenn du mutig bist, setzen sich nach und nach die Dinge zum ersten Mal, und du wirst dir deines eigenen Wesens bewußt. Und jedes Wesen ist einzigartig. Noch nie hat es einen anderen Menschen gegeben wie dich, und wird es auch niemals wieder geben. Gott hat viel auf dich gesetzt. Er erwartet viel von dir. Du bist ein neuartiges Experiment. Verscherze nicht diese Chance. Aber die Leute hören nicht auf, nachzuahmen, und die Leute hören nicht auf, Wissen zu sammeln, und die Leute hören nicht auf, sich eine falsche Identität zu ver- schaffen, nur um sich an sie zu klammern, damit sie sich nicht allein fühlen, damit sie sich nicht verloren vor-

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mußt du erst verloren gehen. Wenn du wirklich etwas wissen willst, wirst du erst alles Wissen fallenlassen müssen. Wenn du wirklich du selbst sein willst - und wer will das nicht? - wirst du aufhören müssen zu imitieren.

Genug ist genug. Du hast genug imitiert, und schon viele günstige Gelegenheiten versäumt. Aber es ist nie- mals zu spät. Schluß damit! Reinige den Spiegel deines Wesens. Anfangs wirst du Angst haben, weil es sich leer anfühlen wird. Aber Leere hat etwas Frisches an sich. Leere hat etwas Schönes an sich. Leere ist jung- fräulich, und alles kommt aus dieser jungfräulichen Leere. Dieser Mutterschoß der Leere erschafft alles. Selbst wenn du anfängst, an deinem inneren Wachstum zu arbeiten, bist du immer geteilt... in gewisser Weise gespalten, schizophren. Der eine Teil von dir klammert sich weiter an das äußere Image - was billig ist. Ein anderer Teil arbeitet innerlich, aber diese zweispurige Aktivität, welche widersprüchlich ist, vergeudet Ener- gie.

Triff eine Entscheidung. Wenn du wirklich wachsen willst, dann entlaste dich von allem, das dir von ande- ren zugekommen ist. Sie mögen es dir in tiefer Liebe gegeben haben - darum geht es aber nicht. Sie mögen es dir gegeben haben, weil sie dir helfen wollten; darum geht es aber nicht. Sei ihnen dankbar... aber halte dich frei von der Last all der Ratschläge, die dir gegeben wurden, all des Wissens, das in dich hineingeworfen wurde, all der Konditionierungen, die dir die Gesell- schaft aufgezwungen hat.

Eine Entkonditionierung ist nötig. Genau das meine ich, wenn ich verlernen sage. Sobald der Verstand ent- konditioniert ist, wird alles wieder rein; der Bewußt- seinsstrom fließt wieder; er ist nicht mehr blockiert, du bist nicht mehr gefroren. Die Komplexe schmelzen nach und nach. Du wirst zu ungezähmter Energie.

Und vergeßt nicht, Gott ist ungezähmt. Gott ist noch nicht zivilisiert und wird es nie sein. Ist Gott einmal zivilisiert, wird er tot sein. Gott ist ungezähmt... rohe

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Energie, voll ungeheurer Potentialität und ohne Gren- zen.

Wenn du dich im gleichen Schritt wie Gott bewegen willst, wirst du ebenfalls sein müssen wie er, zumindest ein kleines bißchen... ein bißchen ungezähmt. Eine reine Lust an Energie gehört dazu. Kein Wissen, kein Charakter, sondern eine reine Lust an Energie, eine reine Lust am Dasein. Einfach ein Jubel, daß ich da bin-, einfach das Glück, daß ich atmen kann, daß ich sehen kann, daß ich hören kann, daß ich tanzen kann, daß ich lieben kann - es steigt in dir ein reines Vergnü- gen und eine Dankbarkeit auf. Diese Dankbarkeit ist die Eigenschaft eines religiösen Menschen. Und in die- ser Dankbarkeit bekommt man nach und nach einen Geschmack davon, was Nirvana ist. Nirvana ist das Verlöschen des Egos - und wenn das Ego verlöscht, kommt Gott herein; wenn der Gastgeber nicht mehr da ist, dann kommt der Gast.

Geh mit dem Leben eher poetisch und weniger phi- losophisch um, laß die Poesie in dich eindringen und höre auf zu philosophieren. Alle Philosophie ist geborgt. Poesie braucht nicht geborgt zu werden. Jedes Kind wird als Dichter geboren. Jedes Kind ist ein Dich- ter. Ein Dichter zu sein ist natürlich, es ist ein Geschenk der Natur.

Ich las kürzlich einige Zeilen von Rainer Maria Rilke:

Oh sage, Dichter, was du tust? - Ich rühme.

Aber das Tödliche, das Ungetüme, wie hältst du's aus, wie nimmst du's hin?

- Ich rühme. Aber das Namenlose, Anonyme,

wie rufst du's, Dichter, dennoch an? - Ich rühme.

Woher dein Recht, in jeglichem Kostüme, in jeder Maske wahr zu sein?

- Ich rühme.

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Und daß das Stille und das Ungestüme wie Stern und Sturm dich kennen?

- Weil ich rühme.

Genau das meine ich, wenn ich sage: eine reine Lust an der Energie. Dann fängst du einfach zu rühmen an. Nicht, daß es einen Gott gibt, aber ein Hymnus steigt in dir auf, und aufgrund dieses Hymnus wird alles heilig, geheiligt.

Es kommen Leute zu mir, die sagen, wenn ich sie davon überzeugen könnte, daß es einen Gott gibt, dann würden sie auch beten. Und ich sage ihnen dann: Bete, und du wirst überzeugt sein, daß es Gott gibt. Gott ist ein Nebenprodukt, Gott ist nicht eine primäre Erfah- rung, sondern eine sekundäre Erfahrung. Das Grund- legende ist die Fähigkeit zu beten und zu rühmen und zu jubeln. Gott kannst du ganz vergessen - sei einfach glücklich. Du hast eine ungeheure Chance bekommen. Ohne jeden Grund. Du bist am Leben. Du hast es dir nicht verdient, du hast nichts dafür getan, um es zu bekommen. Du bist damit überschüttet worden.

Plötzlich, eines Tages, bist du am Leben... liebst, bewegst dich, atmest... und all die Schönheiten und die Erfahrungen des Lebens stehen dir offen. Die Sonne geht am Morgen auf, der Mond kommt in der Nacht, und die ganze Weite des Himmels füllt sich mit Ster- nen.

Rühme, bete, sei dankbar. Das Geschenk ist so wertvoll, daß du dir nicht vorstellen kannst, wie du es verdient hast. Es ist jenseits aller Schätzbarkeit. Kannst du dir etwas vorstellen, kannst du dir etwas aus- denken, das du tun könntest, um mehr Leben zu erhal- ten? Wie wolltest du es anstellen? Was wolltest du tun? Du kannst nicht einmal einen einzigen Augenblick Leben erschaffen. Es ist ein Geschenk. Und wenn man anfängt zu rühmen, werden die Dinge schöner und schöner. Die Bäume werden grüner, die Blumen blü- hen, wie sie nie zuvor geblüht haben... weil du blind warst und nicht sehen konntest. Und die Vögel singen,

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als hätten sie nie zuvor gesungen. Nicht, daß sie nicht gesungen hätten, aber du warst taub. Plötzlich sind deine Sinneswahrnehmungen offen, plötzlich sind deine Sinne empfindlich, empfänglich geworden, und das ganze Leben wird zum Jubelfest.

Sei ein Dichter, und dann ist dir die Möglichkeit gegeben zu wissen, was ist. Gott wird von der poeti- schen Intelligenz in dir erkannt. Nirvana wird durch die poetische Möglichkeit, das poetische Potential in dir erreicht. Es hat nichts mit Philosophie zu tun. Philoso- phie leugnet nur. Sie sagt immer nur nein. Logik ist ein Nein-Sager. Die Brücke zum Leben führt über ein tie- fes Ja-Sagen. Sag nein - und die Brücke ist abgebro- chen. Die Zen-Geschichte:

Der Meister Foso Hoyen sagte: Es heißt, daß Buddha

fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten in seinem Leben ausgesprochen hat.

Damit wird nur ausgedrückt, daß er Millionen von Wahrheiten ausgesprochen hat. Die Wahrheit ist eins, aber ein Buddha sagt sie auf alle mögliche Art und Weise, weil sie nicht gesagt werden kann. Und so denkt er sich ständig neue Methoden aus, um sie erneut zu sagen. Wieder trifft er es nicht, wieder versucht er es, wieder trifft er es nicht.

Sein Scheitern ist absolut gewiß. Aber das Mitgefühl eines Buddhas geht weiter. Er würde es euch so gern mitteilen. Er würde es so gern mit euch teilen. Er hat es erlangt, und ihr stolpert im Dunkeln. Er möchte euch gern auf den Weg rufen.

Sein Mitgefühl sagt: „Sprich, steig auf die Dächer der Häuser und rufe so laut, daß alle, die im Dunkeln stolpern, hören können", und er versucht es jeden Augenblick seines Lebens... wieder und wieder trifft er es nicht, weil sich die Wahrheit nicht sagen läßt. Darum hat er fünftausendundachtundvierzigmal, hat er fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten ausge-

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sprochen. Diese Zahl ist eine symbolische Zahl - sie deutet Unendlichkeit an. Sie deutet an, daß er sie mil- lionenfach ausgesprochen hat, daß aber die Wahrheit nach wie vor unausgesprochen bleibt. Er hat viele Methoden erfunden. Er sagte es von der einen Seite her, hatte dann das Gefühl, daß es nicht kommuniziert wurde, sagte es also von der entgegengesetzten Seite her... vielleicht ließ es sich auf diese Weise kommuni- zieren... Von dort her gescheitert, fand er wiederum eine andere Seite.

Die Zen-Buddhisten sagen, daß Buddha, nachdem er erleuchtet wurde, kein einziges Wort sprach, und selbst sie behaupten, daß er fünftausendundachtund- vierzig Wahrheiten ausgesprochen hat. Was meinen sie damit? Sie meinen damit, daß er sich alle Mühe gab, es aber nicht sagen konnte. Er sagte es zwar, aber die Wahrheit kann nicht gesagt werden, und konnte nicht gesagt werden. Er gab sich alle Mühe und scheiterte, wieder und wieder, weil Wahrheit von Natur aus so beschaffen ist, daß sie unaussprechlich ist.

Der Meister Foso Hoyen sagte: Es heißt, daß Buddha

fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten in seinem Leben ausgesprochen hat.

Eines zu verstehen, wird von großem Wert sein: Die Wahrheit läßt sich nicht sagen, aber zur gleichen Zeit kannst du sie nicht verbergen. Du kannst sie nicht aus- sprechen, aber du kannst sie nicht verbergen. Sie ver- sucht sich auf Millionen verschiedene Weisen zu zei- gen. Die Erfahrung selbst ist von der Art, daß sie mit anderen geteilt sein will. Und sie ist ebenfalls von der Art, daß sie sich nicht mit anderen teilen läßt.

Erst vor ein paar Tagen stelle Anupama eine Frage, und sagte, daß jedesmal, wenn sie in tiefe Meditation geht, etwas mit ihr passiert, was sie dann aber nicht mit ihrem Geliebten teilen kann, so daß sie sich ein wenig schuldig fühlt. Liebende möchten alles miteinander tei-

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len, alles was sie haben. Lieben ist bedingungsloses Teilen. Also möchte sie es gerne mit ihm teilen, hat aber das Gefühl, daß es sich unmöglich mitteilen läßt. Schuld entsteht - man hat das Gefühl, als hätte man etwas zu verbergen.

Aber ihrem ganzen Wesen nach ist die Wahrheit so, daß du sie nicht ausdrücken kannst, wenn du sie auszu- drücken versuchst. Ihr Lichtschein kommt dann zu dir, wenn keine Worte da sind. Wenn der Verstand aufhört zu funktionieren - dann kommt der Lichtbück. Und wenn die Wörter wieder in den Verstand zurückge- kehrt sind, ist der Lichtblick vorbei. Beide treffen nie zusammen.

Wenn der Lichtblick da ist, sind die Wörter nicht da; ist der Verstand nicht da, der erkennen, formulieren könnte. Wenn der Verstand zurückkehrt, ist der Licht- blick fort. Zur einen Tür kommst du herein; zur ande- ren Tür verläßt die Wahrheit das Haus. Ihr begegnet euch nie.

Die Wahrheit geht in dem Augenblick hinaus, wo der Verstand hereinkommt. Aber trotzdem kann der Verstand ihren Duft wahrnehmen. Etwas ist gesche- hen, etwas ungeheuer' Wertvolles ist geschehen, jemand war im Hause, du kannst es fühlen... jemand war da. Der Raum hat jetzt ein anderes Flair. Dein gan- zes Wesen pulsiert von irgendeiner Erfahrung. Etwas ist geschehen - ein Licht in der Dunkelheit - aber der Verstand kann nicht einfangen, was geschehen ist. Er kann es ein wenig fühlen - etwas ist mit Sicherheit geschehen. Das Wesen ist nicht mehr das gleiche, das Haus hat sich verändert - aber trotzdem, was genau passiert ist, bleibt unbegreiflich für den Verstand. Du würdest es gern vom Verstand her mit all denen teilen, die du liebst. Mit all denen, für die du empfindest, möchtest du es teilen; aber wenn du es versuchst, wirst du scheitern.

Diese beiden Dinge gehören also zum Wesen der Erfahrung selbst. Einerseits möchtest du sie mitteilen, hast du einen ungeheuren Mitteilungsdrang, und dann

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wirst du scheitern - es ist kein Teilen möglich. Und das zweite: Trotzdem kannst du es nicht verbergen. Es wird sich an deinen Augen zeigen, an der Art wie du gehst, an der Art wie du redest, an der Art wie du still bleibst. Es zeigt sich einfach. Habt ihr es schon beobachtet?

Eines Tages kam ein Mann zu mir und sagte: „Ich bin sehr dumm. Kann es mir helfen, wenn ich den Mund halte?" Ich sagte zu ihm: „Versuch es. Das eine zumin- dest ist gut - daß du akzeptierst, daß du dumm bist. Dies ist der Anfang der Weisheit."

Aber wenn ein Mensch dumm ist und still wird, wird seine Stille etwas von seiner Dummheit an sich haben. Ein dummer Mann wird auch still immer noch ein dum- mer Mann bleiben. Die Stille eines Menschen, der erleuchtet ist, und die Stille eines Menschen, der dumm ist, wird total verschieden sein. Die Stille des dummen Menschen wird dumm sein. Sein Reden wird dumm sein; sein Schweigen wird ebenfalls dumm sein. Das Schweigen eines Buddhas wird ein Licht haben, ein Aroma, einen Duft. Sein Reden wird ebenfalls die glei- che Qualität haben. Es geht nicht darum, still zu sein oder zu reden. Es geht darum, wie dein Wesen beschaf- fen ist - seine eigentliche Qualität.

Wenn du einmal an den Nicht-Verstand gerührt hast, wird es sich auf manche Weise auszudrücken beginnen. Es wird schwer sein, es durch den Verstand auszudrücken, aber durch deine Totalität wird es zum Ausdruck kommen. Du wirst anders sehen. Wenn jemand in deine Augen schaut, werden deine Augen zu stillen Teichen von Energie. Wenn jemand deine Hand oder deinen Körper berührt, wird er das Gefühl von einer gewissen Kühle und Ruhe bekommen. Etwas ist innerlich geschehen. Du trägst etwas in deinem Schoß aus.

Habt ihr schon einmal eine Frau gesehen, die ein Kind in ihrem Schoß trägt - wie sie geht? Sie geht anders. Sie trägt etwas im inneren Sein. Jedesmal, wo es zu einer Erfahrung der Wahrheit - und sei es auch nur ein Lichtblick, ein satori - gekommen ist, gehst du

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anders. Du bist nicht mehr der gleiche, du kannst es nicht verbergen. Du kannst es nicht ausdrücken, und du kannst es nicht verbergen.

Jene fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten schließen die Wahrheit der Lehre und die Wahrheit des Seins ein.

Sie schließen die Wahrheit der plötzlichen Erleuchtung und die Wahrheit der allmählichen Erleuchtung ein.

Sehr paradox. Manchmal sagt Buddha, daß euer innerstes Sein vollkommen leer ist, und manchmal sagt er, daß euer innerstes Sein ein positives Sein ist, voller Seligkeit, Frieden, Ruhe. Was ist wahr?

Ihr könnt ein Glas voll Wasser füllen und könnt es dann leeren, könnt das Wasser ausschütten. Das Glas ist jetzt leer, gewissermaßen. Aber immer noch, anders gesehen, voll. Das Wasser ist ausgeleert, aber jetzt ist Luft in das Glas eingedrungen. Das Glas ist immer noch nicht leer. Ihr könnt sagen, daß es leer von Wasser ist, aber ihr könnt nicht sagen, daß es leer ist - es ist voll von Luft.

Ihr könnt euer Zimmer von allen Möbeln leer machen und dann werdet ihr sagen, dies Zimmer ist leer. Aber habt ihr es beobachtet? Jetzt ist das Zimmer voller Raum, Geräumigkeit... voll von Leere. Natür- lich sind die Möbel ausgeräumt. Die Möbel waren eine Schranke und das Zimmer konnte nicht in seiner Ganz- heit existieren. Jetzt ist das Zimmer einfach ein Raum - Raum bedeutet Geräumigkeit. Jetzt ist es ein Raum voller Raum. Du kannst dich leichter darin bewegen, du kannst leichter darin sein. Jetzt steht nichts im Weg.

Manchmal sagt Buddha, daß das innerste Wesen leer ist, und manchmal sagt er, daß das innerste Wesen

absolutes Sein ist - leer vom Geist und voll vom Nicht- geist. Leer von Gedanken, voll von Nichtgedanken.

Von Lücken. Pausen... voll von Raum. Könntest du in einen meditativen Menschen hinein- gehen, würdest du in ihm einen unendlichen Raum

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und keine Schranken vorfinden. Wenn ihr in mich ein- dringen könntet, würdet ihr nirgendwo eine Schranke finden. Ihr könntet immer weiter und weiter gehen. Die Möbel sind entfernt worden. Ich bin völlig leer in einem gewissen Sinn. Und in einem anderen Sinn völlig voll. Ich bin leer von mir selbst, aber voll von Gott. Gott bedeutet Raum, Gott bedeutet All.

Du kannst von allem Intellekt leer werden, und dann bist du voll von Intelligenz. Du kannst von allem Wis- sen leer sein - dann bist du voll von Weisheit. Beides zusammen ist wahr.

Dazu gehört die Wahrheit der plötzlichen Erleuchtung und die Wahrheit der allmählichen Erleuchtung.

Manchmal sagt Buddha, daß es nur langsam voran- geht, nach und nach in Schritten, und manchmal sagt er, daß Erleuchtung plötzlich ist; daß sie nicht in Schritte unterteilt werden kann; daß sie mehr wie ein Sprung als ein Treppensteigen ist.

Beides stimmt. Versucht es zu sehen. Hier wird die Poesie der Religion zu etwas, das über die Logik hin- ausgeht. Für die Logik ist dies schwer. Die Logik wird sagen entweder/oder - und die Poesie sagt: sowohl-als- auch. Die Logik stellt euch immer vor die Wahl. Ent- weder dies oder das. Sag entweder, das innerste Wesen ist leer oder sage, daß es voll von Sein ist. Sie gibt euch Alternativen. Aber die Poesie des Seins sagt sowohl- als-auch - es ist leer von etwas und voll von etwas.

Erhitzt Wasser; langsam wird es heißer und heißer. Langsam wird es heißer und heißer; natürlich Schritt für Schritt... neunzig Grad, einundneunzig Grad, zweiundneunzig Grad, neunundneunzig Grad. Dann kommt der Hundert-Grad-Punkt - der Verdampfungs- punkt, und plötzlich ein Sprung... und das Wasser löst sich in Dampf auf, es verdampft.

Nun, beides passiert. Wenn ihr mich fragt: Ist Ver- dampfung ein plötzlicher Sprung? werde ich antwor- ten, ja, es ist ein plötzlicher Sprung. Weil das Wasser

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genau bei hundert Grad einen Sprung macht. Die Form ändert sich, sie wird verwandelt. Es ist nicht mehr Was- ser, es wird Dampf. Und es passiert in einem plötzli- chen Sprung.

Aber der Prozeß des Erhitztwerdens ist allmählich. Natürlich, Wasser ist bei neunzig Grad Wasser, bei achtzig Grad Wasser. Selbst bei neunundneunzig Grad ist es immer noch Wasser - heiß, es kommt immer näher an die hundert Grad heran. Du kannst es bei neunundneunzig Grad anhalten. Dann verdampft es nie; dann kühlt es sich wieder ab. Dreh die Flamme aus: das Wasser wird Wasser bleiben. Der plötzliche Sprung ist nie eingetreten - aber er bereitete sich vor. Aber ihr könnt dem Wasser nicht dazu verhelfen, plötzlich von neunzig Grad aus zu springen und zu Dampf zu werden. Das ist nicht möglich. Allmählich und plötzlich sind keine Gegensätze. Es geht nicht darum, zwischen beiden zu wählen. Beide werden auf ihre Weise gebraucht.

Wegen solcher Widersprüche glaubt der logische Kopf, daß religiöse Menschen verrückt sind. Ein logi- scher Kopf kann diesen Dingen keinen Sinn abgewin- nen. Er besteht immer nur darauf, daß entweder dies oder jenes möglich ist, beides aber nicht.

Die Zen-Meister z.B. sagen, daß Buddha nie ein ein- ziges Wort ausgesprochen hat, und gleichzeitig sagen sie ständig, daß er fünftausendundachtundvierzig Wahrheiten ausgesprochen hat. Welches von beiden ist wahr? Beides ist wahr. Er hat Millionen von Worten gesagt und hat trotzdem kein einziges Wort von der Wahrheit gesagt.

Der Meister Foso Hoyen sagte: ... Bedeutet nicht all dies ein Ja-Sagen?

Aber andererseits sagt Yoka, - ein anderer erleuchteter Meister -

im Gesang der Erleuchtung daß es keine Wesen und keine Buddhas gibt -

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Weise sind Wasserblasen, und große Geister nur Wetterleuchten. Bedeutet nicht all dies ein Nein-Sagen?

Nun, Yoka ist ein Anhänger Buddhas, ein Jünger Buddhas, einer der Buddha liebt. Trotzdem sagt er, daß es keine Wesen und keine Buddhas gibt und daß Weise Wasserblasen sind. Und eben dieser Yoka ver- richtete jeden Morgen, jeden Abend, seine Andacht; verbeugte sich vor dem Stein-Buddha seines Tempels und sang zur gleichen Zeit seinen Gesang der Erleuch- tung - daß Weise Wasserblasen seien. Was hat das zu bedeuten? Was meint er damit? Wenn Weise Wasser- blasen sind, dann hör doch auf, Buddha zu preisen, Buddha anzubeten, seine Füße zu berühren, dich zu verbeugen - hör mit all diesem Unsinn auf!

Aber wenn du Yoka fragst, wird er sagen: Dies - daß Weise Wasserblasen sind und daß es keine Buddhas gibt - habe ich von diesem Menschen Gautam Buddha gelernt. Also muß ich mich ihm erkenntlich zeigen. Diese Einsicht ist mir durch ihn gekommen. Er hat den Weg gezeigt. Es geschah einmal: Ein Zen-Meister feierte den Geburtstag seines Meisters. Der Meister war gestor- ben. Jemand fragte ihn: „Warum feierst du? Denn soviel ich weiß, hat der Meister dich abgelehnt. Er hat dich niemals als Jünger angenommen. Du hast es lange versucht, soviel weiß ich. Du hast es wieder und wieder versucht. Soviel weiß ich. Aber jedes Mal wurdest du abgelehnt. Du wurdest nie von ihm eingeweiht. Warum also feierst du seinen Geburtstag? Der Tradition nach darf er nur von denjenigen gefeiert werden, die als Schüler akzeptiert wurden." Der Meister lachte und sagte: „Eben weil er mich abgelehnt hat, feiere ich. Jetzt kann ich sein Mitgefühl verstehen. Hätte er mich akzeptiert, wäre ich einfach ein Nachahmer geworden. Weil er mich ständig auf mich selbst zurückwarf, kam ich nach und nach auf meinen eigenen Füßen zu stehen. Nach und nach gab ich die verzweifelte Suche auf, mich

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an irgend jemand anderen zu klammern. Er hat mir geholfen. Er war mein Meister. Durch seine Zurück- weisung akzeptierte er mich."

Aber dies ist unlogisch. Und trotzdem könnt ihr es verstehen, wenn ihr durch die Augen eines Dichters seht, durch die Augen eines Liebenden. Intellektuell

wird es schwerfallen, aber wenn ihr intelligent seid, ist es eine einfache Tatsache.

Manchmal heißt verweigern geben. Manchmal heißt ablehnen annehmen. Manchmal ist Nichthelfen die einzige Möglichkeit zu helfen.

Aber andererseits sagt Yoka, im Gesang der Erleuchtung,

daß es keine Wesen und keine Buddhas gibt - Weise sind Wasserblasen,

und große Geister nur Wetterleuchten. Bedeutet nicht all dies ein Nein-Sagen?

Der Meister sagt hier seinen Zuhörern, daß Buddha etwas sagt, das wie Ja-Sagen aussieht; und dann sagt Buddhas Schüler Yoka etwas, das absolut negativ aus- sieht, wie ein Nein-Sagen...

Oh meine Schüler, wenn ihr ja sagt, leugnet ihr Yoka,

und wenn ihr nein sagt, widersprecht ihr Buddha.

Wenn Buddha hier unter euch wäre, wie würdet ihr dieses Problem lösen?

Wenn wir wüßten, wo wir stünden, würden wir Buddha jeden Morgen in Frage stellen

und jeden Abend grüßen.

Seht euch den Widerspruch an: Wir würden Buddha jeden Morgen in Frage stellen, und jeden Abend begrüßen. Das ist das Siegel des wirklichen Suchers. Er forscht mit tiefer Liebe und Achtung. Er forscht nicht von seinem Wissen her; er forscht aus seinen lebendi-

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gen Problemen heraus. Die Krise des Lebens selbst veranlaßt sein Nachforschen. Er tut es nicht zum Schein. Er stellt nicht deshalb seine Frage, weil er ein Buch gelesen hat, und sich daraus eine Frage ergeben hat, sondern fragt, weil sein Leben ein Problem erzeugt hat.

Und wenn er fragt, bringt er nichts mit - kein Vorur- teil, keinen Begriff. Er fragt aus der Reinheit des Her- zens, wie ein unschuldiges Kind. Er fragt nicht, um von etwas überzeugt zu werden; er ist bereits überzeugt. Er fragt nicht, um zu streiten, zu debattieren, zu diskutie- ren. Erfragt, um zu wissen. Erfragt, um zu verstehen.

Wenn wir wüßten, wo wir stünden... Die ganze Sache ist: Erst wenn du weißt, wo du ste-

hen sollst, wenn du zu einem Zustand gelangt bist, wo dein Geist nicht mehr schwankt, nur dann ist richtiges Fragen möglich. Wenn du innerlich zitterst, wenn du innerlich schwankst, kannst du nicht die richtige Frage stellen. Die richtige Frage kommt nur dem in den Sinn, der zu einem Zustand der Unerschütterlichkeit gelangt ist, zu einer gewissen inneren Ruhe. Aus diesem Schweigen heraus erhebt sich das richtige Fragen.

Irgendwann las ich einmal von einem Mann, der sei- nen Arzt aufsuchte, und der Arzt untersuchte seine Hände. Sie zitterten. Der Arzt sagte: „Mein Gott, Sie trinken zuviel. Ihr ganzes Blutsystem ist vergiftet. In Ihren Adern fließt praktisch nur noch Alkohol, und kein Blut mehr. Sie trinken zuviel." Der Mann sagte: „Nein, ich trinke kaum, denn das meiste verschütte ich, wenn ich das Glas anfasse... praktisch alles wird vorher verschüttet, ich trinke kaum."

Wenn du innerlich schwankst, wird die ganze Intelli- genz verschüttet. Intelligenz wird zum Stausee, wenn du nicht schwankst. Denkt immer daran, dem inneren Schwanken die Kooperation zu versagen, es nicht zu unterstützen. Leiht ihm nicht eure Energie, bleibt ihm gegenüber gleichgültig - ein bißchen auf Abstand, weit

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weg - und nach und nach werdet ihr sehen, daß das Schwanken immer weniger wird. Und wenn ihr gleich- gültig werdet, und euch nicht mehr verwickeln laßt und nicht mehr identifiziert, kommt irgendwann der Tag, wo ihr euch in einem Augenblick völliger Stille befin- det. Dann steht ihr auf dem richtigen Boden. Dann steht ihr in eurem Sein. Dann werdet ihr zum ersten Mal fähig zu stehen.

Wenn wir wüßten, wo wir stünden würden wir Buddha jeden Morgen in Frage stellen

und jeden Abend grüßen.

Morgen und Abend sind symbolisch. Der Morgen bedeutet den Beginn der Aktivität. Wenn der Verstand aktiv ist, werden wir Buddha jeden Morgen in Frage stellen. Der Abend bedeutet Inaktivität, Passivität,

Empfänglichkeit. Und wenn der Geist passiv ist, nicht aktiv, werden wir Buddha grüßen.

Aktiv und passiv... wenn dein Geist aktiv ist und du sicher stehst, ohne zu schwanken, kannst du eine rich- tige Frage stellen, die dir helfen kann. Und wenn dein Geist nicht schwankt, wirst du sehr bald sehen, wie die inaktive Phase kommt, wo du Buddha grüßen und rüh- men wirst, wo du dich verbeugen wirst und den Mann achten wirst, der dir aus einer Krise herausgeholfen hat.

Aber da wir nicht wissen, wo wir stehen will ich euch in ein Geheimnis einweihen:

Wenn ich sage, dies ist so, ist es vielleicht kein Ja-Sagen,

wenn ich sage, dies ist nicht so, ist es vielleicht kein Nein-Sagen.

Vergeßt nicht: Nicht alles Ja-Sagen ist Ja-Sagen. Wenn deine Einstellung negativ ist, ist auch dein Ja-

Sagen negativ. Und nicht alles Nein-Sagen ist negativ. Wenn deine Einstellung positiv ist, wird sich auch dein

Nein-Sagen am Ende ins Positive wenden.

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Jesus erzählt eine Geschichte. Ein Vater bat seinen ältesten Sohn, in den Garten zu gehen und dort zu arbeiten. Der Sohn sagte: „Ja, Vater, ich will hinge- hen" - aber ging nie. Sein Ja-Sagen war nicht gerade ein Ja-Sagen. Er war hinterlistig. Er war falsch, unaufrich- tig. Der Vater fragte seinen jüngeren Sohn. Der sagte: „Nein, ich habe keine Zeit und werde nicht hingehen". Aber dann überdachte er es und ging. Sein Nein-Sagen war kein Nein-Sagen.

Worauf es wirklich ankommt, ist, was in dir ist, nicht, was du sagst. Buddha sagt, es gibt keinen Gott. Aber ihr könnt nirgends einen göttlicheren Menschen finden als ihn. H.G. Wells hat geschrieben, daß Gau- tam Buddha der gottloseste und zugleich göttlichste Mensch der menschlichen Geschichte war. Buddha sagt, daß es keinen Gott gibt - aber glaubt ja nicht, daß dies ein Nein-Sagen wäre.

Schaut euch Buddha an. Er ist so unbestreitbar eins mit Gott, daß es falsch wäre, zu sagen, daß es Gott gibt. Das würde eine Teilung erzeugen. Er sagt, es gibt kei- nen Gott. Schert euch nicht um seine Worte. Schaut auf ihn, beobachtet ihn, und ihr werdet einen Gott auf Erden wandeln sehen. Schon indem ihr fragt, ob es einen Gott gibt, habt ihr gefehlt. Ihr hättet hinschauen sollen. Gott stand vor euren Augen.

Buddha sagt ständig: Es gibt keinen Gott. Und er meint es nie. Er erschüttert damit nur eure Vorstel- lung, hämmert auf euer Denken ein. Er sagt damit nur Nein zu eurem Vorurteil, nicht zu Gott.

Es geschah eines Tages, daß am Morgen ein Mann kam und Buddha sagte: Es gibt keinen Gott. Und es kam ein zweiter Mann am Nachmittag, und Buddha sagte: Ja, es gibt einen. Und dann kam ein dritter Mann am Abend, und Buddha blieb still und antwortete weder so noch so. Sein Jünger Ananda war sehr ver- wirrt, weil er jedes Mal dabei war. Er sagte: „Ich werde heute nacht nicht schlafen können, wenn du es mir nicht erklärst. Was willst du damit sagen? Zu dem einen sagst du Nein, zu dem zweiten sagst du Ja. Sie

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stellten die gleiche Frage. Und zum dritten, der eben- falls die gleiche Frage gestellt hat, hast du gar nichts gesagt, bist du einfach still geblieben. Was soll das hei- ßen?"

Buddha sagte: „Der erste Mann, zu dem ich ,Nein' gesagt habe, war ein Theist. Er hat einen Begriff von Gott, eine Ideologie darüber. Ich mußte diese Ideolo- gie erschüttern, so daß er von seinen Ketten befreit werden kann und offen wird für die Wahrheit. Ich mußte Nein sagen. Um ihm zu helfen, Gott zu erfah- ren, mußte ich Nein sagen zu seiner Ideologie, daß Gott existiert. Sonst wäre er in Worten eingesperrt geblieben.

Der Mann, zu dem ich sagte: ,Ja, es gibt Gott', ist ein Atheist. Er hat einen Glauben, daß es keinen Gott gibt. Ich mußte ihn erschüttern. Jeder muß aus seinem Glau- benssystem herausgeholt werden, so daß Erfahrung möglich wird. Dem dritten gegenüber, der weder noch ist, der ein wahrer Sucher ohne Vorurteil ist, blieb ich still. Ich sagte ihm: ,Sei still. Diese Fragen sind sinnlos, bedeutungslos. Sei einfach still, und du wirst es wissen.' Und er verstand. Und er verbeugte sich und ging fort mit tiefem Verständnis. Alles Ja-Sagen ist also nicht Ja- Sagen. Alles Nein-Sagen ist nicht Nein-Sagen.

Laßt mich euch eine Anekdote erzählen: Über einem Glas Bier sagte Müller zu Schmidt: „Mein Psy- chiater redet ständig von etwas, das er Ambivalenz nennt. Und ich kann es, verdammt nochmal, nicht ver- stehen." - „Kein Problem", sagte Schmidt, „wenn du dich ambivalent fühlst, heißt das, daß du gegensätzli- che Gefühle hast. Wenn dir etwas gefällt und auch nicht gefällt. Wenn du jemanden haßt und gleichzeitig liebst." - „Genau das sagt er auch", sagte Müller, „aber ich kann einfach nicht kapieren, wie man zwei gegen- sätzliche Gefühle gleichzeitig haben kann." - „Also dann will ich dir ein Beispiel geben. Stell dir vor, du hast dir gerade einen nagelneuen Mercedes für 50000 DM gekauft, und stell dir vor, am ersten Tag, wo du ihn besitzt, versagen die Bremsen und der Wagen schießt

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in einen Abgrund von einem Kilometer hinein. Wie würde sich das für dich anfühlen?" - „Grauenhaft!" - „Aber stell dir vor, daß der einzige Mensch in dem Auto in diesem Augenblick deine Schwiegermutter ist. Was dann?"

Euer Ja und euer Nein bedeuten nicht viel; sie sind äquivalent. Manchmal, wenn ihr Nein sagen wollt, sagt ihr Ja, nur um das Nein zu verstecken. Und manchmal, wenn ihr Ja sagen wollt, sagt ihr nicht Ja, sagt ihr Nein, nur um euer Ego zu beweisen, eure Stärke, eure Macht. Nein verleiht eine gewisse Macht. Immer, wenn du Nein sagst, fühlst du dich mächtig. Immer wenn du Ja sagst, fühlst du dich ein wenig gedemütigt.

Beobachte es. Dein Ja mag ein Nein verbergen, dein Nein mag ein Ja verbergen. Wenn du weinst und schluchzt, muß das nicht notwendigerweise heißen, daß du nicht innerlich lächelst. Denn das Umgekehrte passiert jeden Tag - du lächelst, und du versuchst nur, deine Tränen zu verbergen.

Aber wenn du Menschen beobachtest und dich nicht von ihren Worten einfangen läßt, wirst du augenblick- lich herausfinden, was wirklich los ist. Die Wahrheit läßt sich nicht verbergen. Wenn jemand lächelt, nur um seine Tränen zu verbergen, hör nicht auf sein Lächeln. Beobachte ihn einfach, und du wirst sofort sehen - hin- ter dem Lächeln warten die Tränen nur darauf, zu flie- ßen. Jedesmal wenn jemand Nein sagt, beobachte den Betreffenden. Beobachte die ganze Person. Es muß Hinweise geben, die zeigen, daß er tief im Inneren Ja sagt.

Und hört immer nur auf die Tiefe. Und kümmert euch nicht darum, was die Leute sagen. Die Welt kann sehr sehr schön werden, und das Leben kann wirklich ein Fest werden, wenn ihr aufhört, auf die Worte der Leute zu hören und stattdessen auf die Herzen der Menschen hört. Dann kann euch nichts mehr täuschen.

Es geschah: Eine Frau war gestorben, und der Beer- digungszug wurde gerade vorbereitet. Sandy Macta- vish, der trauernde hinterbliebene Gatte, stand hilflos

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und linkisch in seinem schwarzen Anzug da. Der Beer- digungsunternehmer flüsterte ihm bedeutungsvoll zu: „Und sie werden im ersten Wagen neben Ihrer Schwie- germutter sitzen." Sandy runzelte die Stirn. „Mit mei- ner Schwiegermutter?" - „Ja natürlich." - „Ist das nötig?" - „Absolut. Der trostlose Ehemann mit der trostlosen Mutter - die beiden engsten Überlebenden zusammen." Sandy warf einen Blick auf die große schluchzende Masse seiner Schwiegermutter und sagte: „Na gut. Wenn's denn sein muß. Aber das will ich Ihnen sagen: Damit haben Sie mir den Spaß an der Sache gründlich verdorben."

Feierlich in Schwarz gekleidet, angemessen der Situation - aber im Innern glücklich, daß die Frau tot ist.

Beobachtet einfach die Leute, und ihr werdet fest- stellen können, daß ihr Ja nicht Ja bedeutet, und ihr Nein nicht Nein bedeutet. Die Menschen sind wider- sprüchlich.

Das Gleiche passiert auch einem Buddha, aber aus anderen Gründen. Ihr seid doppeldeutig; darum bedeuten eure Aussagen nicht, was sie gern zeigen möchten. Ein Buddha ist widersprüchlich, weil er ver- sucht, eine Wahrheit in eine solche Sprache zu fassen, die beide Extreme in sich umfaßt.

Ihr seid widersprüchlich, weil euer inneres Wesen gespalten ist. Ein Buddha ist widersprüchlich, nicht weil sein inneres Wesen gespalten ist - sein inneres Wesen ist eins geworden - sondern weil er versucht, eine Wahrheit, die jenseits der Dualität liegt, in Spra- che zu fassen. Er muß sich widersprechen.

In den Upanishaden heißt es: Gott ist nah, näher als das Allernächste, und weiter entfernt als das Entfernte- ste. Denn Gott ist beides - das Nahe und das Ferne. Er muß beides sein, weil er alles ist. Gott ist sowohl Leben wie Tod. Er muß beides sein. Gott ist sowohl Teufel wie Gott. Er muß beides sein. Das englische Wort devil - Teufel - ist sehr schön. Es kommt aus einer Wurzel, einer Sanskrit-Wurzel, deva. Von der gleichen Wurzel

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deva stammt divine - göttlich. Und von der gleichen Wurzel kommt Teufel. Devil und divine, Teufel und göttlich, stammen aus der gleichen Wurzel, von dem einen Wort dev. Der Teufel ist ebenfalls göttlich, und das Göttliche muß etwas vom Teufel enthalten. Das Christentum hat die Dualität in zwei getrennte, klar geschiedene Teile zerschnitten. Der Teufel bekämpft Gott, und Gott bekämpft den Teufel. Aber im Osten haben wir niemals die Wirklichkeit gespalten, weil die Wirklichkeit sich nicht spalten läßt. Teufel ist Gott, und Gott ist Teufel Es ist die gleiche Energie, die sich durch gegensätzliche Pole zum Ausdruck bringt. Wenn ein Buddha spricht, muß er Gegensätze benutzen.

Wenn ich sage, dies ist so, ist es vielleicht kein Ja-Sagen, wenn ich sage, dies ist nicht so, ist es vielleicht kein Nein-Sagen.

Blickt nach Osten und seht das heilige westliche Land; blickt nach Süden, um den Nordstern zu sehen.

Paradoxe... aber die Wahrheit läßt sich nur durch Paradoxe zum Ausdruck bringen. Deine innere Fülle läßt sich nur durch Leere zum Ausdruck bringen, und dein wirkliches Leben ist nur möglich durch Tod. Auf- erstehung geschieht nur nach Kreuzigung. Wenn du wirklich lebendig sein willst, dann sei, als wärest du tot. Wenn du wirklich intelligent sein willst, dann lebe, als wärest du ein Idiot.

Laotse hat gesagt: „Die ganze Welt ist weise außer mir. Ich bin ein Idiot." Das Wort Idiot ist schön, es kommt aus der gleichen Wurzel wie das Wort Idiom. Idiom ist ein persönlicher Stil. Idiom bedeutet persönli- cher Stil, und ein Idiot bedeutet einer, der auf seine eigene Weise lebt; ein Idiot bedeutet: einer, der nur das macht, was er will, und sich um die Welt nicht küm- mert. Einer, der kein Nachahmer ist, ist ein Idiot. Es hat nichts mit Dummheit zu tun.

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Der heilige Franziskus nannte sich selbst immer einen Idioten, und Jesus war ebenfalls in seinem Lande als ein Idiot bekannt. Fjodor Dostojewsky hat ein Buch geschrieben, Der Idiot. Es lohnt sich zu lesen. Das Buch handelt von einem sehr einfachen Mann... sehr schlicht, ganz einmalig. Aber weil er bescheiden und einmalig ist, hält die Menge ihn für einen Idioten.

Wenn du versuchst, dein Leben auf deine Weise zu leben, wirst du wie ein Idiot erscheinen. Die Menge wird dich nicht achten. Sie achtet nur Masken, falsche Persönlichkeiten, nicht authentische Leute. Wenn du wirklich intelligent sein willst, sei wie ein Idiot. Und wenn du ein Idiot sein willst, dann sammle Wissen. Sei ein Pandit, und du wirst ein Idiot sein.

Versucht, tief in diese Paradoxe einzudringen. Alle Religion bringt sich im Idiom des Paradoxons zum Aus- druck.

Blickt nach Osten und seht das heilige westliche Land...

Denn wenn du das heilige westliche Land sehen willst, wirst du dich normalerweise nach Westen wen- den. Warum sich nach Osten wenden? Weil es im wirk- lichen Leben tatsächlich so ist. Wende dich dem entge- gengesetzten Pol zu.

Habt ihr schon einmal einer alten Standuhr zugese- hen? Das Pendel bewegt sich immerfort - von rechts nach links, von links nach rechts. Was passiert wirklich in der Uhr, wenn es nach links geht? Wenn es nach links geht, sammelt es Schwungkraft, um nach rechts zu gehen. Wenn es nach rechts geht, bereitet es sich dar- auf vor, nach links zu gehen. Um nach rechts zu gehen, geht es nach links; um nach links zu gehen, geht es nach rechts. Tagsüber arbeitet ihr schwer. Dann, in der Nacht, überlaßt ihr euch einem tiefen Schlaf. Widersprüche. Die gewöhnliche Logik würde sagen, daß ihr euch den ganzen Tag über entspannen solltet, wenn ihr gut schla-

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fen wollt. Übt es! Legt euch aufs Bett, bleibt den gan- zen Tag lang auf dem Bett liegen. Denn wenn ihr es den ganzen Tag lang übt, wird es natürlich nachts umso bes- ser klappen. Das ist die gewöhnliche Logik.

Und genau das passiert in westlichen Ländern. Schlaflosigkeit ist allgemein geworden. Und der Grund? Der Grund hat nichts mit Schlaf zu tun, son- dern hat etwas mit Arbeit zu tun. Wenn ihr nicht hart arbeitet, könnt ihr euch nicht dem Schlaf überlassen. Wenn ihr nicht tief schlaft, werdet ihr am nächsten Morgen nicht hart arbeiten können.

Das Leben existiert in Gegensätzen. Wenn jemand zu mir kommt und sagt, daß er Schwierigkeiten mit dem Schlafen hat, sage ich ihm, er soll sich keine Gedanken um seinen Schlaf machen. Lauf morgens vier Meilen und abends vier Meilen. Der Schlaf ist nicht das Problem. Du entspannst dich offenbar zuviel; dann ist Schlaf nicht nötig. Denkt immer daran, daß tiefer unten sich alle Widersprüche begegnen und Teil eines einzigen Ganzen sind.

Leute kommen zu mir und wollen still werden; sie möchten gerne in einen Zustand der Gedankenleere hineinkommen. Ich sage ihnen, daß sie hart arbeiten sollen: kathartische Meditationen, Dynamische, Kun- dalini... springt, bewegt euch, schüttelt euch! Sie sagen: „Aber wir wollen doch still sein! Können wir uns nicht einfach hinsetzen und still sein, genau wie Bud- dha?"

Hinsetzen könnt ihr euch, aber still werdet ihr dadurch nicht; innerlich rast das Chaos. Tut also lieber das Gegenteil: Springt, rennt, joggt, tanzt. Strengt euch an, erschöpft euch, und danach beginnt das Pen- del, sich zum entgegengesetzten Extrem hin zu bewe- gen. Stille ist erst möglich, wenn ihr euch erschöpft habt. Dann setzt euch still hin. Dann geschieht die Ent- spannung von selbst. Vergeßt niemals dies Grundgesetz. Sonst nämlich, wenn ihr euch nach der gewöhnlichen Logik richtet, nach der aristotelischen Logik, geht ihr am Leben vor-

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bei. Geht einfach zum Gegenpol. Wenn du wirklich vernünftig sein willst, dann sei fähig, unvernünftig zu sein; sei fähig, in deinen Wahnsinn zu gehen. Genau das lehre ich. Sei verrückt, wenn du wirklich vernünftig sein willst. Wenn du dich zu sehr anstrengst vernünftig zu sein, wirst du verrückt. Alle allzu vernünftigen Leute werden verrückt. Sie müssen verrückt werden. Sie strengen sich zu sehr an, vernünftig zu bleiben - genau diese Anstrengung unterstützt das Pendel auf seinem Weg zum entgegengesetzten Pol.

Strengt euch nicht an vernünftig zu sein, und ihr wer- det vernünftig sein. Sobald sich eine Gelegenheit bietet verrückt zu sein, entspannt euch und werdet verrückt. Laßt euch keine Gelegenheit entgehen. Wenn Leute tanzen, dann tanzt. Werdet verrückt. Wo immer ihr eine Gelegenheit finden könnt verrückt zu sein, seid verrückt - und ich kann euch garantieren, ihr werdet niemals verrückt werden. Ihr werdet geistig gesund bleiben. Ihr werdet eine geistige Gesundheit besitzen, die durch niemanden mehr gestört werden kann, die durch keine Umstände mehr zu stören ist. Ja, Foso Hoyen hat recht:

Blickt nach Osten und seht das heilige westliche Land; blickt nach Süden, um den Nordstern zu sehen.

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Kapitel 8

Muscheln sammeln 18. Februar 1976

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Wie kann ich das Leben jeden Tag neu erleben? Bitte erkläre.

Das Leben ist frisch, du aber bist verbraucht; und du bist verbraucht, weil du ständig all die Gestern mit dir herumschleppst. Die Vergangenheit wirkt als Barriere zwischen dir und dem Leben. Stirb der Vergangenheit in jedem Augenblick, dann kannst du das Leben so frisch fühlen und erleben, wie es tatsächlich ist.

Das Leben ist niemals alt; es erneuert sich alle Augenblicke und bildet sich neu. Es ist ewig frisch. Aber das Denken kann nicht frisch sein. Der Mechanis- mus des Denkens selbst verhindert, daß es frisch sein kann. Es muß alt sein, es muß tot sein. Im Augenblick, da etwas zum Gedanken wird, ist es schon vergangen. Gewußt, ist es schon tot. Ein Vogel singt im Baum. In dem Augenblick, in dem dein Kopf wunderbar sagt, ist es schon alt. Es ist schon nicht mehr Gegenwart; es ist schon vergangen. Im Augenblick, da du zu jemandem sagst: „Ich liebe dich", ist es schon vergangen. Kaum greift der Kopf etwas auf, stirbt es auch schon.

Frisch zu sein bedeutet, ohne Kopf zu sein. Höre den Vögeln zu, ohne daß die Gedanken dazwischentreten. Schau dir die Bäume an, ohne die Gedanken sich ein- mischen zu lassen. Du mußt lernen, ohne Verbalisie- rungen auszukommen. Dort liegt die Wurzel des gan- zen Übels.

Du siehst eine Rose, und sofort fangen die Gedan- ken an, sich zu drehen... „Eine wunderbare Rose; ich habe noch nie eine so schöne Rose gesehen!" Nun siehst du die Rose schon nicht mehr. Du bist in die Ver- gangenheit gegangen. Du vergleichst sie mit anderen Rosen. Und wenn du sie mit anderen Rosen ver- gleichst, hast du die Rose, um die es geht, völlig verges- sen.

Die anderen Rosen sind nur in deiner Erinnerung da - Eindrücke der Vergangenheit. Und das Seltsamste ist: Schon damals, als diese Rosen lebendig vor dir stan- den, hast du sie ebenfalls mit irgendwelchen anderen

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Rosen verglichen, die schon tot waren. Und auch in Zukunft wird sich dieser seltsame Vorgang wiederho- len. Eines Tages, wenn du wieder eine Rose siehst, wirst du sie mit dieser Rose vergleichen, die du dann gar nicht mehr vor dir hast.

Sieh dir das Leben an und laß keine Worte dazwi- schen. Sieh ohne Worte. Schau, ohne zu denken - dann ist plötzlich alles frisch, dann ist plötzlich alles so neu, wie es nur sein kann. Das muß man erfahren. Jedes Kind weiß es. Es ist eine Fähigkeit, die du von Geburt an hast, es ist etwas Angeborenes. Aber dann über- nimmt die Gesellschaft die Kontrolle und fängt an zu belehren, zwingt das Kind zum Lernen. Worauf die Gesellschaft abzielt ist, die Gewohnheit zu erzeugen, innerlich zu verbalisieren. Und mit der Zeit lagert sich dann im Inneren Schicht um Schicht ab, und schließlich geht das Kind am Leben vorbei.

Die Psychologen sagen, daß jedes Kind bis zum Alter von vier Jahren völlig ungetrübt und intelligent bleibt. Jedes Kind ist bis zum Alter von vier Jahren intelligent. Es gibt kein dummes Kind; das gibt es ein- fach nicht. Jedes gesunde Kind ist intelligent, und bis zum Alter von vier Jahren lernt ein Kind am meisten. Fünfzig Prozent von dem, was es in seinem ganzen Leben lernt, hat es schon im Alter von vier Jahren absorbiert.

Mit acht ist das Kind kein Kind mehr. Es ist nun Teil der Gesellschaft geworden, es hat die Kniffe und Tricks gelernt. Jetzt ist es keine Person mehr, es ist zum Mechanismus geworden. Und im Alter von acht Jahren endet das Lernen. Das Akkumulieren allerdings geht weiter - es sammelt unentwegt Kenntnisse an - aber mit dem Lernen ist Schluß, alles Frische verschwindet.

Beobachtet einmal kleine Kinder, die jünger als vier Jahre sind, und ihr werdet finden, daß sie von frischer Energie nur so übersprudeln. Beobachtet sie nur ein- mal, schaut zu, wie sie mit allem umgehen, und ihr wer- det immer feststellen, daß sie originell, offen, frisch und einzigartig sind. Jedes Kind ist ein Genie, aber die 232

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Gesellschaft kann nicht zulassen, daß es so viele Genies gibt, und die Gesellschaft kann nicht so viele offene Menschen gewähren lassen. Sie würden ein Chaos schaffen.

Ein origineller Mensch ist eine Gefahr. Nur sehr sel- ten gelingt es einem Menschen, dem Gefängnis der Gesellschaft zu entkommen. Eine kleine Anzahl origi- neller Menschen kann die Gesellschaft tolerieren. Hier und da einmal ein Buddha oder ein Einstein kann tole- riert werden. Aber nur eine sehr kleine Menge an wirk- licher Intelligenz... und manchmal wird sogar das zuviel. Dann muß ein Jesus gekreuzigt werden, dann muß ein Sokrates vergiftet werden. Solche Menschen bleiben Kind. Sie bleiben unberührt, sie bleiben jung. Sie bleiben originell. Sie bleiben einzigartig und offen. Schaut hin! Nennt Erwachsene niemals Menschen; sie sind keine. Sie sind Maschinen. Nur kleine Kinder sind Menschen. Erwachsene sind schon tot. Erwachsene bestehen nur noch aus Nützlichkeit.

Ich habe beobachtet, daß ein Erwachsener, der zu mir kommt, entweder ein Doktor, ein Professor oder ein Ingenieur ist, aber nie ein Mann oder eine Frau. Er dient irgendeinem Zweck, irgendeiner gesellschaftli- chen Funktion. Er ist keine Person mehr.

Wenn kleine Kinder zu mir kommen, sind sie einfach Menschen. Keines von ihnen ist Doktor, keines ist Ingenieur, keines Wissenschaftler - sie sind ganz ein- fach Menschen... offen, frisch, ohne jeden Antrieb, etwas mitzunehmen. Schaut Kindern in die Augen - solch grenzenlose Stille, und doch nicht tot; vibrierend vor Leben. Schaut euch Kinder an - sie sind so springle- bendig, so beweglich, so empfänglich. Wenn sie größer werden, legen sie sich ein Verhalten zu, ein fixiertes Verhalten, eine feste Struktur. Dann funktionieren sie nur noch innerhalb dieser Struktur.

Wenn jemand kommt und sagt: „Ich bin Doktor", dann begreife ich sofort: das heißt, daß ich diesem Menschen nicht begegnen kann, sondern nur dem Doktor. Der Doktor steht im Weg. Wenn jemand

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kommt und sagt, er sei Professor, dann weiß ich genau: Wenn ich ihm die Hand geben will, werde ich sie nicht finden, weil sie unter seinen Handschuhen versteckt ist - den Handschuhen eines Professors, den Handschu- hen eines Doktors. Dieser Mann ist nicht erreichbar; er versteckt sich hinter seinem Zweck. Was bedeutet es, ein Doktor zu sein? - Es bedeutet, daß dieser Mensch einen bestimmten Zweck innerhalb der Gesellschaft erfüllt. Er ist für die Gesellschaft von gewissem Nut- zen. Einen solchen Zweck zu erfüllen heißt, zu einer Ware zu werden. Zu einem Zweck zu werden heißt, zu einer Sache zu werden.

Kinder erfüllen keinen Zweck, sie sind frei von jedem Zweck - deshalb sind si& Menschen. Wenn du einem Kind die Hand gibst, gibst du ihm tatsächlich die Hand. Da sind keine Handschuhe dazwischen, die Hände sind nackt und bloß. Aber im Alter von acht Jahren verschließt sich fast immer etwas. Die Fenster und Türen verschließen sich. Und von dem Zeitpunkt an gehst du dein Leben lang am Leben vorbei, wird alles, was du tust, zur Pflicht, zur Plackerei, zur Last. Irgendwie muß man es durchstehen. Es ist kein Fest mehr.

Ich habe gehört: Zwei Freunde trafen sich auf der Straße. Sie hatten sich lange Zeit nicht gesehen. Der eine fragte den anderen: „Für wen arbeitest du eigent- lich jetzt?" - „Immer noch für die gleiche Firma", ant- wortete der andere, „für meine Frau und sechs Kin- der."

Sogar für deine Frau und für deine Kinder arbeitest du nicht aus Liebe... es ist Pflicht, Verantwortung, eine Bürde. Sogar sie sind eine Firma, für die du arbei- test. Du würdest gern fliehen, aber die Vernunft erlaubt es nicht. Du würdest gern ausreißen, aber du weißt - wo solltest du denn schon hin? Du würdest gern abhauen, aber du hast überhaupt keine Energie mehr, abzuhauen. Du würdest dich gern aus dem Staube machen, aber du hast dich zu sehr an dein Verhaltens- muster gewöhnt. Es würde dir schwerfallen, ohne seine

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ständige Begleitung zu leben. Aber inzwischen gleitet dir das Leben aus den Händen.

Eine kleine Geschichte: Zwei elende Gestalten stan- den am Straßenrand und schauten sich einen Begräb- niszug an. Alles war im feinsten Stil, angefangen beim großen, spiegelblanken Leichenwagen über die blu- menbeladenen Fahrzeuge mit den Kränzen bis hin zu der eindrucksvollen Autoschlange, die dem Zuge folgte. Einer der beiden sagte: „Das ist ein reicher Knabe. Ich habe solche Begräbnisse schon früher gese- hen. Das da ist ein echter Mahagonisarg, der so glän- zend poliert ist, daß du dein eigenes Gesicht darin sehen kannst, und er hat innen ein Seidenfutter, und die Griffe sind aus reinem Gold. Sie werden ihn in einem großen Mausoleum beisetzen, mit Steinporta- len, Statuen, Blumen, Gebet und Gesang."-„Donner- wetter", sagte der andere mit glänzenden Augen, „das nenn ich ein Leben!"

Mit der Zeit gleicht dein Leben so sehr dem Tode, daß sogar der Tod wie Leben wirkt - jedenfalls wenn er luxuriös, reich und teuer ist. Dann weckt sogar der Tod euren Neid. Euer Leben ist nahezu sinnlos. Ihr habt überhaupt noch nicht gelebt. Ihr habt ein paar Tricks gelernt und spielt diese Tricks ständig aus. Und ihr wißt, daß ihr darüber euer Leben versäumt; aber den- noch hängt ihr an diesen Tricks, weil sie für euch zu Sicherheiten geworden sind; ihr habt Angst, sie zu ver- lieren. Ihr habt Angst, die Annehmlichkeiten zu verlie- ren, die durch tote Gewohnheiten entstehen.

Du fragst mich, wie du das Leben immer neu erleben kannst. Werde einfach wieder zum Kind - verlerne alles, was du gelernt hast. Höre auf zu verbalisieren. Lausche diesen Vögeln ohne irgendwelche Worte in dir aufsteigen zu lassen. Plötzlich durchflutet dich eine Woge der Frische, du spürst eine Energie, die nicht alt ist. Dieser Vogel jetzt war noch nie da, und er ist sich der Vergangenheit absolut nicht bewußt. Er hat noch nie so gesungen. Das Heute ist für ihn ganz neu. Er ist voll-

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kommen und total hier jetzt. Wenn du ihm ohne Worte zuhören kannst, wird plötzlich, so als würde ein Messer dein Wesen durchdringen, die Frische des Lebens den in dir angesammelten Staub durchdringen - so wie ein Lichtstrahl die Dunkelheit durchdringt.

Überall um dich herum ist alles unberührt und frisch, mit Ausnahme der Menschen. Berühre den Baum, sprich ein wenig mit dem Fluß, schau in den Himmel, beobachte die Sterne, leg dich auf die Erde, entspanne dich, geh ans Meer, beobachte das endlose Kommen und Kommen und Kommen der Wellen... ohne Absicht, einfach im Genuß der Energie... Und mit der Zeit wirst du bemerken, daß der Staub verschwindet; der Spiegel deines Geistes wird gereinigt.

Sprache und Sprachsucht sind die Wurzel des Übels. Worte und Worte und Worte - und dahinter versteckt sich dein Wesen. Je mehr Worte du ansammelst, umso weiter bist du von dir selbst entfernt, und umso schwie- riger wird es für dich werden, nach Hause zurückzu- kehren - weil dazwischen ein Wald liegt, ein Urwald von Worten. Es ist fast wie ein Irrgarten, ein Chaos.

Das Leben ist frisch. Der Verstand kann niemals frisch sein. Wenn du das verstehst, dann schau das Leben ohne den Verstand an. Laß den Verstand bei- seite. Ich sage nicht, daß du den Verstand ganz verges- sen sollst. Er ist nützlich. Benutze ihn. Er ist ein biolo- gischer Computer. Benutze ihn - aber laß dich nicht von ihm benutzen. Benutze ihn, wenn er dir nützt. Es gibt viele, viele Situationen, in denen du ihn brauchst. Du mußt rechnen; dazu wirst du ihn brauchen. Du mußt dich an den Weg zum Bahnhof erinnern; dazu brauchst du ihn. Du mußt dich an vieles erinnern, und dazu brauchst du ihn. Benutze ihn also, wann immer es notwendig ist. Wenn er nicht notwendig ist, dann laß ihn beiseite, laß ihn ruhen. Und wenn der Verstand ruhen kann, werden zwei Dinge mit dir geschehen. Dein Leben wird frisch werden, und dein Verstand wird sehr, sehr kräftig werden. Euer Verstand ist ganz einfach müde: vierundzwanzig Stunden in Betrieb... 236

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auch eine Maschine muß sich mal erholen. Sogar ein Auto braucht Pausen. Sogar eine Maschine wird müde. Fragt einen Wissenschaftler. Die neuesten Forschun- gen haben ergeben, daß sogar Metall müde wird. Es braucht Ruhe.

Und euer Verstand arbeitet und arbeitet, Tag und Nacht. Im Wachen oder im Schlafen - der Verstand arbeitet weiter. Er wird müde; deshalb kann er nicht gut funktionieren. Er ist ein ständig laufender Schleif- stein; er schleift unentwegt. Auch wenn es gar nichts zu schleifen gibt, schleift er trotzdem. Er kaut ständig und immerzu irgendwelches alte Zeug wieder.

Lernt, eurem Verstand eine Pause zu gönnen. Das wird ihn kräftiger machen. Ihr bekommt ein besseres Gedächtnis davon. Auch Logik und Denkvermögen werden dann schärfer. Und wenn man den Verstand beiseite lassen kann, wird man immer für das neue Leben offen sein, und das neue Leben wird auch immer für dich offen sein.

Wenn du nach Hause kommst, dann lege den Ver- stand ab. Im Büro ist er notwendig, bei deinen Kindern brauchst du ihn nicht. Spiele mit ihnen. Bei ihnen brauchst du kein Erwachsener zu sein. Werde zum Menschen. Bei deiner Frau brauchst du kein Doktor zu sein. Bei einem Patienten ist das völlig in Ordnung, aber sie ist deine Frau; du brauchst bei ihr kein Doktor zu sein. Bei einem Freund brauchst du kein Ingenieur zu sein, brauchst du kein Geschäftsmann zu sein. Du brauchst niemand zu sein. Du kannst ganz einfach du selbst sein... wieder ein Kind sein, das am Strand spielt und Muscheln sammelt, ohne jede Absicht.

Diese absichtslosen Augenblicke werden es dir mög- lich machen, frisch zu bleiben.

Bhagwan, wozu bin ich da? Zu nichts. Du bist ohne jeden Grund da. Möchtest du ein Ding werden? Dinge sind für etwas da. Wenn du mich fragst, wozu dieser Stuhl da ist, dann hat die Frage einen Sinn, und die Antwort ist einfach - um darauf zu

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sitzen. Wenn du mich fragst, wozu dieses Mikrophon da ist - um hineinzusprechen. Wenn niemand da wäre, der auf dem Stuhl sitzt, so wäre er völlig unnütz; man müßte ihn wegwerfen. Wenn niemand da wäre, der durch dieses Mikrophon spricht, und wenn es keinen Grund gäbe, es zu tun, dann wäre es ganz einfach unnütz; es hätte dann keinen Daseinsgrund.

Aber wozu bist du da? Zu nichts. Du bist kein Stuhl, du bist kein Mikrophon. Du bist auch kein Haus, in dem man leben kann. Du bist ohne jeden Zweck. Und das ist das Schöne, das ist das Herrliche am Leben: Es ist ein zweckfreies Phänomen. Es existiert ohne Grund. Oder es existiert um seiner selbst willen. Beides ist das gleiche.

Sachen existieren für etwas; sie sind Mittel. Men- schen existieren um ihrer selbst willen; sie sind Selbst- zweck. Du liebst jemanden. Wozu? - um der Liebe wil- len. Wenn du sagst, du hebst diesen Menschen wegen seines Geldes, dann hebst du ihn nicht. Wenn du sagst, du liebst diesen Menschen, weil es Ansehen bringt, ihn zu lieben, dann liebst du nicht. Dann tust du etwas anderes. Irgend etwas anderes ist im Gange, aber nicht Liebe - Geschäft, Politik, vielleicht noch etwas ande- res, aber auf keinen Fall Liebe. Liebe trägt den Zweck in sich selbst. Du liebst einfach um der Liebe willen.

Weshalb singen diese Vögel? Wozu? - einfach aus reiner Freude am Singen. Sie singen nicht, um irgendei- nen Preis zu gewinnen. Sie singen nicht wegen irgendei- nem Wettbewerb. Sie singen nicht einmal, damit ihr ihnen zuhört. Sie singen ganz einfach. Sie sind voller Energie, und die Energie fließt über. Die Energie ist zu stark-was sollen sie damit anfangen? Also teilen sie sie mit der Existenz. Sie sind Verschwender, keine Knau- ser. Wenn du singst, überlegst du dir erst, weshalb du singst. Werden die Leute dir Beifall spenden? Wirst du irgendwie dafür belohnt werden, offen oder versteckt? Dann bist du kein Sänger... sondern ein Händler. Wenn du tanzt, um von einem Publikum gesehen zu

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werden, und weil es dir um seine Gunst geht, seinen Applaus, dann bist du kein Tänzer.

Ein Tänzer tanzt einfach. Wenn das die Leute sehen und schön finden und sich daran freuen, ist das eine andere Sache. Aber das ist nicht der Zweck. Ein Tän- zer kann ganz für sich allein tanzen, es braucht keiner da zu sein, der ihm zuschaut. Ein Sänger kann allein singen. Dies zu tun gibt ihm schon so viel, daß er dabei kein anderes Ziel zu haben braucht, keine andere Absicht.

Du existierst um deiner selbst willen. Deine Frage zeigt schon, daß du das Leben vom Kopf her betrach- test. Der Kopf kennt nur Zwecke. Das Herz ist frei von jeglichem Zweck.

Die Frage zeigt, daß du gern eine Sache werden möchtest, eine Ware, die man auf dem Markt verkau- fen kann.

Eine Prostituierte liebt, aber das ist keine Liebe, sondern eine Ware auf dem Markt. Wenn du liebst, ist es keine Ware; es ist überfließende Energie. Du teilst deine Freude, deine Seligkeit mit jemandem. Du fühlst dich gut mit jemandem zusammen; du fühlst eine gewisse Harmonie. Du fühlst dich mit jemandem im Einklang. Was du tust, ist in sich selbst wertvoll; der Wert ist ein innerer. Es ist kein äußeres Ziel da. Es führt zu nichts. Es führt nur zu sich selbst. Dies will ver- standen sein. Alles Schöne im Leben ist so beschaffen; es hat einen Wert in sich selbst. Und alles Gewöhnliche ist zweckgerichtet.

Die Menschen fragen sich unentwegt, warum Gott die Welt geschaffen hat: „Warum hat er sie geschaf- fen?" Sie stellen sich Gott als eine Art Fabrikant vor. Warum? Warum hat er die Welt geschaffen? Da gibt es kein Warum, und alle Antworten, die schon auf dieses Warum gegeben wurden, sind offenkundiger Unsinn. Er schuf sie, weil er seinen Spaß daran hatte. Schöpf- ung an sich ist Freude. Er erschuf eben gern. Er genoß es, sie zu erschaffen. Die Christen berichten, daß Gott die Welt erschuf

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und sie sich dann besah und sagte: „Gut, gut." Zu wem soll er das gesagt haben? Da war niemand. Er sagte zu sich selbst Gut. Er hatte seine Freude daran; ein unge- heures Vergnügen erfaßte ihn. Er schuf die Welt - und liebte sie.

So wie ein Maler malt und dann ein gutes Stück von seinem Gemälde zurücktritt und es sich aus verschiede- nen Blickwinkeln anschaut und sich glücklich fühlt, ungeheuer glücklich. Nicht, weil das Gemälde ihm eine Menge Geld einbringen wird - vielleicht bekommt er gar kein Geld dafür...

Einer der größten Maler, Vincent van Gogh, lebte wie ein Bettler, weil er seine Gemälde nicht verkaufen konnte. Und nicht nur konnte er sie nicht verkaufen; er wurde zudem noch von allen verachtet, weil er angeb- lich verrückt war. Wer wollte schon solche Gemälde kaufen? Sie waren ohne jeden Wert. Heute ist jedes dieser Gemälde Millionen von Dollar wert, aber zu sei- ner Zeit war niemand bereit, sie zu kaufen. Er pflegte seine Gemälde seinen Freunden zu schenken, und sogar diese fürchteten sich, sie in ihren Ateliers aufzu- hängen, weil Besucher hätten denken können, auch sie wären verrückt. Nicht ein einziges Gemälde van Goghs wurde zu seinen Lebzeiten verkauft.

Sein eigener Bruder, Theo van Gogh, war sehr besorgt. Er war Geschäftsmann, und er konnte sich einfach nicht erklären, wieso ein Mensch ständig wei- termalen konnte, wenn nichts davon zu verkaufen war. Also gab er einem Freund Geld und überredete ihn, zu van Gogh zu gehen und ihm auf diese Weise zumindest ein Gemälde abzukaufen. Der würde sich sicher dar- über freuen. Also begab sich der Mann zu van Gogh. Natürlich war er überhaupt nicht an Gemälden interessiert; es war für ihn nur eine Freundespflicht. Der Bruder des Malers hatte ihm das Geld gegeben, und er sollte nur irgendein Gemälde kaufen, ganz gleich, welches. Van Gogh schöpfte sofort Verdacht; denn der Besucher schaute sich die Gemälde nicht einmal an. Er sagte nur:

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„In Ordnung, das hier gefällt mir. Nehmen Sie dieses Geld dafür."

Van Gogh warf das Geld mitsamt dem Mann aus dem Haus und sagte zu ihm: „Lassen Sie sich nie wieder hier blicken! Ich habe den Verdacht, daß dieses Geld nicht Ihr eigenes ist und daß Sie auch nicht an den Bil- dern interessiert sind. Hinter der ganzen Sache muß mein Bruder stecken. Machen Sie, daß Sie fortkom- men. Ich werde das Bild nicht verkaufen."

Van Gogh brachte sich in sehr jungen Jahren um - er war sechsunddreißig oder siebenunddreißig Jahre alt - er hatte das Gefühl, alles geschaffen zu haben, was er schaffen konnte, und er wollte nicht weiter in einem unglücklichen Leben herumkrebsen, in dem er nicht einmal genug zu essen hatte... Er aß nur an drei Tagen in der Woche, denn sein Bruder gab ihm zwar genug Geld zum Essen, aber er mußte auch Farben, Lein- wand und Pinsel kaufen. Also sparte er das Essensgeld von vier Tagen für Farben und Malutensilien, und wäh- rend der restlichen drei Tage aß er. Aber er war ein ungeheuer glücklicher Mensch. Niemand bewunderte sein Werk, also schaute er sich selbst seine Gemälde an. Er muß ebenso wie einst Gott gesagt haben: „Gut, gut. Ich habe es mal wieder geschafft."

Frage niemals, wozu du da bist. Du bist um deiner selbst willen da. Und wenn du das nicht erkennst, wird dir viel entgehen. Tief in dir wartet dein innerstes Wesen ständig darauf, daß jemand dich um deiner selbst willen liebt; nicht aus irgendeinem anderen Grund, sondern nur um deiner selbst willen... jemand der sagt: „Ich liebe dich um der Liebe willen. Ich liebe dich so, wie du bist. Ich liebe dich, weil du bist. Ich liebe dich, dein Dasein, und dahinter steht keine Absicht, dahinter steckt kein Grund."

Wenn dir nicht jemand begegnet, der dich ohne jede Absicht liebt, wirst du die Herrlichkeit des Lebens nicht kennenlernen. Denkt daran: Genau in dieser Absichtslosigkeit liegt der ganze Sinn des Lebens ver- borgen. Wenn jemand dich aus einem bestimmten

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Grund liebt, hat er dich damit schon zu einem Objekt reduziert. Du bist eine Ware, und er ist ein Käufer.

Wenn jemand dich ausschließlich um deiner selbst willen liebt, aus keinem anderen Grund, dann blüht plötzlich deine innere Blume auf. Du wirst so akzep- tiert, wie du bist. Liebe akzeptiert dich immer wie du bist, und durch die- ses Angenommenwerden findet eine große Transfor- mation statt.

Du kannst aufblühen. Nun gibt es keine Angst mehr. Jetzt wird nichts mehr von dir erwartet, du kannst dich entspannen. Jetzt gibt es kein Ziel mehr, das über dich hinausgeht; du selbst bist das Ziel. Du kannst tanzen und feiern.

Folgende Geschichte: Im vierten Jahrhundert vor Christi Geburt gründete-der große Athener Philosoph Plato eine Schule, Die Akademie, in der die Mathema- tik zum Grundelement des Lehrplans wurde. Plato liebte die Mathematik sehr. Er war ein Poet der Mathe- matik, ihr Liebhaber. Auf dem Eingangstor seiner Akademie stand geschrieben: „Wenn du nichts von Mathematik verstehst, dann tritt bitte hier nicht ein." Man mußte sich in der Mathematik auskennen, bevor man Die Akademie betreten durfte. In dieser Schule wurde mit der äußersten Strenge gelehrt, zu der man in jener Zeit fähig war. Dort beschäftigte man sich mit mathematischen Formen und Theorien, die zu neuen Arten des Rechnens führten.

Ein Student, dem eine schwere geistige Übung auf- getragen worden war, die sich auf das platonische Kon- zept der Mathematik bezog, suchte vergeblich nach einer Anwendungsmöglichkeit derselben für die ver- schiedenen Zweige des Handwerks, für die, wie er wußte, mathematische Konzepte nützlich sein konn- ten. Schließlich sagte er zu Plato: „Aber, Meister, zu welchem speziellen Nutzen können diese Theoreme dienen? Ich sehe keinen praktischen Nutzen in ihnen. Die Theoreme an sich sind wunderbar, dies ist reine Mathematik, aber worin hegt ihr Nutzen? Wozu kön-

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nen diese Theoreme dienen? Welchen Gewinn kann man aus ihnen ziehen?" Der alte Philosoph blickte den fragenden Studenten böse an, wandte sich dann einem Sklaven zu und sagte: „Gib diesem jungen Mann eine Münze, damit er das Gefühl hat, er habe aus meinen Lehren irgendeinen Nutzen gezogen, und wirf ihn dann aus dem Haus."

Das ist schwierig zu verstehen, dann für Plato war die Mathematik seine Liebe, seine Geliebte. Um Profit ging es ihm nicht; etwas zu erreichen war für ihn ohne Bedeutung. Einfach diese Formen zu betrachten, diese reinen mathematischen Formen, war ihm genug. Diese Betrachtung allein führt einen ins Unbekannte.

Es geht nicht darum, irgend etwas zu erreichen. Das Leben ist sich selbst genug. Und wenn du versuchst, irgendein Ziel zu erreichen, wirst du das Leben verfeh- len. Das hat man dich von Anfang an gelehrt. Eltern versuchen ständig, dich in irgendeine Nützlichkeit hin- einzuzwängen. Sie sind besorgt, daß du ein Vagabund werden könntest, ein Landstreicher werden könntest. Sie sind besorgt, daß du ein Nichtsnutz werden könn- test. Sie sind besorgt, daß du für die Welt ohne jeden Nutzen bleiben könntest. Wer würde dich dann ach- ten?

Ihre Egos sind besorgt, weil sie sich durch dich die Erfüllung ihrer eigenen unerfüllten Egos erhoffen. Ihre Eltern machten es mit ihnen genauso; nun wiederholen sie es mit dir. Und du wirst es dann wieder mit deinen eigenen Kindern so machen.

Ihr werdet ständig von Toten verfolgt. Dein Vater mag tot sein, aber er verfolgt dich noch immer. Jedes- mal wenn du dich entspannst, hörst du die Stimme dei- nes Vaters: „Was machst du da? Du faules Stück! Tu endlich was!" Und augenblicklich schreckst du aus dei- ner Faulheit auf, rennst herum und tust etwas, weil du auf dem besten Wege warst, nutzlos zu werden. Die Frage „Wozu?" kommt daher, daß jeder dazu konditioniert wurde, irgendwie nützlich zu sein. Und wenn man dann keine Antwort findet, fühlt man sich

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sehr konfus und verwirrt. Gebt all diesen Unsinn auf. Du genügst, so wie du bist. Ich meine damit nicht, daß du faul werden sollst. Ich meine damit nicht, du sollst ein Parasit werden. Ich sage, daß du dein Leben als einen Wert in sich selbst leben sollst. Tu, was immer du tun willst, aber tu es nicht, um zu beweisen, daß du nützlich bist. Tu es, weil du es gerne tust. Tu es, weil es dich glücklich macht, wenn du es tust. Tu es, weil es deine große Liebe ist. Und plötzlich nimmt alles eine andere Farbe an, und alles beginnt zu leuchten.

Meine eigenen Eltern wollten, daß ich Wissenschaft- ler werden sollte; und wenn schon kein reiner Wissen- schaftler, dann zumindest Arzt oder Ingenieur. Ich habe sie betrogen. Heute haben sie das völlig verges- sen, und sie sind glücklich. Sie sind sehr gute und einfa- che Leute. Aber zu der Zeit, als ich sie betrog, fühlten sie sich sehr verletzt. Sie hatten so viel Hoffnung in mich gesetzt! Alle Eltern hoffen, und durch ihre Hoff- nung zerstören sie ihre Kinder. Ihr müßt euch von den Eltern freimachen, genauso, wie das Kind eines Tages den Schoß der Mutter verlassen muß; andernfalls bedeutet der Schoß seinen Tod. Nach neun Monaten muß das Kind den Schoß verlassen, es muß die Mutter verlassen. Wie schmerzlich das auch sein mag, und wie leer sich die Mutter danach auch fühlen mag, das Kind muß heraus.

Und später dann muß sich das Kind von den Erwar- tungen seiner Eltern lösen. Erst dann wird es zum ersten Mal zu einem freien, eigenständigen Wesen. Dann steht es auf eigenen Füßen. Dann wird es wirk- lich frei. Und wenn Eltern wacher werden, verständnis- voller, werden sie ihren Kindern helfen, so frei wie möglich zu werden, und zwar so bald wie möglich. Sie werden ihre Kinder nicht dazu konditionieren, nützlich zu sein; sie werden den Kindern helfen, Liebende zu werden. Eine vollkommen andere Welt wartet darauf, geboren zu werden, in der die Menschen arbeiten wer- den... Der Zimmermann wird arbeiten, weil er das Holz liebt. Der Lehrer wird in der Schule unterrichten,

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weil er gerne unterrichtet. Der Schuhmacher wird Schuhe machen, weil er gerne Schuhe macht.

Im Augenblick geht alles drunter und drüber. Der Schuhmacher ist Chirurg geworden, der Chirurg ist Schuhmacher geworden. Beide grollen. Der Zimmer- mann ist Politiker geworden, der Politiker ist Zimmer- mann geworden. Beide grollen. Das ganze Leben scheint voller Wut zu sein. Schaut die Leute an - jeder scheint zu grollen! Jeder scheint irgendwo zu stecken, wo er nicht hingehört. Jeder scheint ein Versager zu sein. Jeder scheint aufgrund dieser Vorstellung von Nützlichkeit unerfüllt zu sein; sie ist ein ewiger Stachel.

Ich habe eine wundervolle Geschichte gehört: Als Mrs. Ginsberg in den Himmel gekommen war, sprach sie den Engel an der Rezeption etwas verlegen an: „Können Sie mir sagen", sagte sie, „ob es möglich ist, mit jemandem, der hier im Himmel ist, ein Gespräch zu führen?" Der Empfangsengel antwortete: „Natürlich, vorausgesetzt, die Person, die Sie sprechen möchten, befindet sich tatsächlich im Himmel." - „Oh, das tut sie. Da bin ich mir ganz sicher", sagte Mrs. Ginsberg. „Ich möchte nämlich die Jungfrau Maria sprechen." Der Engel vom Empfang räusperte sich: „Ach so. Unglücklicherweise befindet sie sich in einer anderen Abteilung, aber wenn Sie darauf bestehen, werde ich Ihre Bitte weiterleiten. Sie ist eine äußerst gefällige Dame, und vielleicht macht es ihr Freude, ihre alte Nachbarschaft einmal wieder zu besuchen." Die Bitte wurde getreulich weitergeleitet, und die Jungfrau erwies sich auch tatsächlich als gefällig. So verging nicht viel Zeit bis Mrs. Ginsberg die Ehre zuteil wurde, die Gegenwart der Jungfrau erleben zu dürfen. Mrs. Ginsberg schaute die strahlende Gestalt vor sich lange Zeit einfach nur an, bis sie schließlich sagte: „Bitte ver- geben Sie mir meine Neugierde, aber ich wollte Sie schon immer etwas fragen. Bitte sagen Sie mir, was es für ein Gefühl ist, einen Sohn zu haben, der so wunder- voll ist, daß ihn seit seinen Lebzeiten Millionen von Menschen als Gott verehrt haben?" Darauf antwortete

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die Jungfrau: „Um ehrlich zu sein, Mrs. Ginsberg, wir hatten gehofft, er würde Arzt werden."

Eltern hoffen immer - und ihre Hoffnung wird zu Gift. Laßt es mich euch sagen: Liebt eure Kinder, aber hofft niemals durch sie. Liebt eure Kinder so sehr ihr nur könnt und gebt ihnen das Gefühl, daß sie um ihrer selbst willen geliebt werden und nicht irgendeinem Nutzen zuliebe, den sie für euch haben könnten. Liebt eure Kinder so stark wie ihr könnt und gebt ihnen das Gefühl, daß sie akzeptiert werden, so wie sie sind. Sie sind nicht dazu da, irgendwelche Forderungen zu erfül- len. Ob sie dies oder jenes tun, darf für die Liebe, die sie bekommen, nicht von Belang sein. Liebe ist bedin- gungslos. Dann kann eine vollkommen neue Welt ent- stehen. Dann werden die Menschen auf natürlichem Wege zu den Dingen finden, die ihnen liegen. Sie wer- den ganz von selbst in die Richtung gehen, von der sie instinktiv wissen, daß es die Richtung ihres eigenen Stromes ist.

Aber was läßt sich über gewöhnliche Eltern sagen? Ich will euch noch eine Geschichte erzählen: Rabbi Joshua, der ein vorbildliches Leben geführt hatte, von allen bewundert, starb endlich und kam in den Himmel. Dort wurde er mit Hosianna und Jubel begrüßt. Unerklärlicherweise schreckte er jedoch zurück, bedeckte das Gesicht mit seinen zitternden alten Händen und lehnte es ab, an dem Ehrenfest teil- zunehmen. Als keine Überredung half, wurde er respektvoll vor den Richterstuhl Gottes selbst geleitet. Der edle Rabbi badete in der sanften Atmosphäre der persönlichen Gegenwart Gottes, und die göttliche Stimme erfüllte sein Ohr: „Mein Kind", sprach Gott, „es ist hier bekannt, daß du dein Leben vollkommen nach meinen Wünschen gelebt hast, und doch weist du die Ehrungen zurück, die dir vollkommen zu Recht erwiesen wurden. Warum tust du dies?" Rabbi Joshua antwortete mit gebeugtem Haupt und sanfter Stimme: „Oh, Heiliger Gott, ich verdiene es nicht. Irgendwie muß mein Leben eine falsche Wendung genommen

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haben. Denn mein Sohn wurde ungeachtet meines Bei- spiels und meines Wunsches zum Christen." „Ärm- ster!" antwortete die göttliche Stimme, zärtlich erfüllt von unendlicher Sympathie, „dann verstehe ich völlig und vergebe dir. Schließlich hat mein Sohn das gleiche getan."

Erwartungen, Erwartungen... Die Menschen hof- fen immerfort durch andere. Sie legen ihren Ehrgeiz in andere hinein. Hört auf mit diesem Irrtum eurer Eltern. Und denkt daran, daß dies die einzige Möglich- keit ist, wie ihr ihnen vergeben könnt. Und denkt auch daran, daß dies die einzige Möglichkeit für euch ist, sie eines Tages respektieren zu können.

Solange du nicht erfüllt bist, solange du nicht etwas gefunden hast, das nicht einfach nur ein Beruf ist, den du ausübst, sondern etwas wie eine Neigung, eine Berufung, wirst du niemals mit deinen Eltern zufrieden sein können, denn sie sind der Grund, daß du in dieser elenden Welt lebst. Du kannst ihnen nicht dankbar sein; es gibt nichts, wofür du dankbar sein könntest. Bist du erst einmal erfüllt, wirst du dich ungeheuer dankbar fühlen.

Und Erfülltsein ist dir nur möglich, wenn du nicht zur Ware wirst. Deine Bestimmung ist es, eine Person zu werden. Deine Bestimmung ist es, ein Wert in dir selbst zu werden, deine Bestimmung ist es, ein Selbst- zweck zu werden. Gestern hast du gesagt, daß alles vollkommen ist, hier und jetzt, daß nichts geändert werden muß und alles ist so, wie es sein sollte. Was, Bhagwan, machen wir dann aber hier in den Meditationscamps? Bitte erkläre das.

Wenn du verstehst, was ich gesagt habe, dann ist es nicht notwendig, irgend etwas zu tun. Wenn du es aber nicht verstehst, dann ist viel zu tun. Du nimmst an Meditationen teil, weil es dir am Verständnis mangelt. Wenn sich das Verständnis bei dir entwickelt hat, sind keine Meditationen mehr nötig. Wenn du verstehst, wird dein ganzes Leben zur Meditation. Gleich, was du

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dann tust, du tust es meditativ. Du ißt meditativ, du schläfst meditativ, du gehst meditativ. Dann ist Medita- tion nichts Abgetrenntes mehr - es ist dann wie Atmen oder der Pulsschlag des Herzens. Sie wird zu einer Das- einsqualität. Du meditierst dann nicht, sondern du wirst meditativ. Was du auch tust, Meditation folgt dir wie ein Schatten. Wenn du verstehst, ist Meditation nicht etwas, das getan werden muß; sie ist eine Folge des Verstehens. Aber wenn du nicht verstehst, dann mußt du meditieren, denn nur durch Meditation wirst du mit der Zeit gereinigt, und Verstehen wird möglich.

Beides hängt voneinander ab. Entweder du ver- stehst - dann folgt die Meditation; oder du verstehst nicht - dann mußt du meditieren, und das Verstehen folgt. Beides hängt zusammen. Frage nicht, was zuerst kommt - das Ei oder die Henne. Keins von beiden ist zuerst da; sie hängen zusammen. Die Henne kann nicht da sein, wenn nicht zuvor ein Ei dagewesen ist, und das Ei kann nicht existieren, wenn nicht zuvor eine Henne dagewesen ist.

Aber irgendwo muß man anfangen. Laß dich nicht verwirren. Gehe zum Markt - kauf entweder eine Henne oder bringe ein Ei mit, aber handle. Sitz nicht einfach herum und erwäge philosophisch, daß du ja erst entscheiden mußt, was was ist und was zuerst da war. So kommst du niemals zu einer Entscheidung. Nie- mand war je in der Lage zu entscheiden, was zuerst da war.

Tatsächlich erscheinen sie nur als zwei, sie sind nicht zwei. Das Ei ist nichts weiter als eine noch unsichtbare Henne, und die Henne ist nichts weiter als ein enthüll- tes Ei. Die Henne ist nichts weiter als die Methode des Eis, weitere Eier zu produzieren. Beide sind miteinan- der verbunden.

Entweder Verstehen oder Meditation. Wenn du ver- stehst, ist nichts weiter nötig. Aber mach dir nicht selbst etwas vor, denn Selbsttäuschung passiert sehr leicht. Du kannst denken: „Ja, ich verstehe." Du kannst glauben, daß du verstehst, weil es eine große 248

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Ego-Bestätigung ist, zu denken, daß man versteht - wozu also noch meditieren?

Sobald sich aber die wahre Einsicht eröffnet, ver- schwinden alle Probleme sofort. Wenn dann immer noch Probleme zurückbleiben, mußt du dich getäuscht haben. Wenn immer noch Wut da ist, wenn immer noch Haß da ist, wenn immer noch Eifersucht da ist, wenn immer noch Angst da ist, hast du dich selbst getäuscht. Dann fange bitte an zu meditieren. Dann gibt es viel zu bereinigen.

Meditation ist nichts weiter als eine Katharsis. Medi- tation wirft allen Unrat aus dir heraus. Wenn der Spie- gel klar ist, reflektiert er perfekt. Das ist Einsicht - ein klarer Spiegel des Bewußtseins. Aber wenn der Spiegel mit Staub bedeckt ist, mußt du zunächst den Staub abwaschen, mußt du den Spiegel säubern. Das ist der Sinn der Meditation. Meditation ist das Reinigen des Spiegels. Einsicht ist der saubere Spiegel, der gerei- nigte Spiegel.

Wenn du also das Gefühl hast, daß du noch nicht ver- stehen kannst, was hier zu dir gesagt wird, dann fahre fort zu meditieren. Eines Tages wirst du es sehen kön- nen. Wenn du verstanden hast, ist es nicht mehr not- wendig. Aber verstehen bedeutet, daß es keine Pro- bleme mehr gibt.

Erst vor wenigen Tagen kam ein Mann zu mir, der sagte, er habe seit Jahren meditiert, und ich fragte ihn: „Wie fühlst du dich?" Er antwortete: „Wunderbar, ausgezeichnet. Meditation hat mir ungeheuer gehol- fen. Ich bin vollkommen ruhig geworden, und ich habe Visionen und sehe Licht und dergleichen." Ich sagte: „Dann ist ja alles bestens. Warum bist du zu mir gekommen?" Er antwortete: „Aber diese Wut und der Sex und die Gier - das ist alles noch da." Da sagte ich: „Dann mußt du dich selbst getäuscht haben. Du mußt die Visionen, das Licht und die Stille geträumt haben. Du mußt dir selbst eingeredet haben, daß du nun ruhig geworden bist, denn es ist nicht möglich, ruhig zu wer- den und von Licht erfüllt zu sein und dennoch wütend

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und gierig - das ist unmöglich. Entweder hast du dich selbst getäuscht oder du versuchst, mich zu täuschen."

Wenn du verstehst, besteht kein Grund, irgend etwas zu tun. Dann verschwindet einfach alles. Du bist aufgewacht. Der Schlaf ist vergangen, und alle Träume sind verschwunden.

Ein Zen-Meister wachte eines Morgens auf. Er rief einen Jünger zu sich, der gerade vorüberging, und sagte zu ihm: „Hör zu. Ich hatte einen Traum. Würdest du ihn mir deuten?" Der Jünger sagte: „Warte." Und er ging nach draußen, brachte einen Eimer voll Wasser herein und sagte dem alten Mann, er solle sein Gesicht waschen. Der Alte tat es, lachte, segnete den Jünger und sagte: „Richtig. Das ist die richtige Interpretation des Traumes." Dann wurde ein anderer Jünger herein- gerufen, der gerade vorüberkam, und der Meister sagte zu ihm: „Schau, ich hatte einen Traum, und ich bat die- sen Jünger darum, ihn zu deuten, und er brachte mir einen Eimer Wasser. Würdest du dies bitte deuten?" Dieser Jünger sagte: „Warte." Er ging hinaus und kam mit einer Tasse Tee zurück. Er sagte: „Bitte trink eine Tasse Tee. Schluß! Der Traum ist aus. Warum sich also noch Gedanken darüber machen?"

Wenn du aufgewacht bist, bist du aufgewacht. Wenn du verstanden hast, daß es ein Traum ist, ist keine Interpretation mehr erforderlich. Schluß! Ein Traum bedeutet, daß er nicht existiert. Wozu sollte es nötig sein, etwas zu interpretieren, das nicht da ist?

Natürlich, Freud würde dieser Gedanke überhaupt nicht gefallen. Er hat ein großes Geschäft daraus gemacht. Er war ein Jude. Er machte die Psychoana- lyse zu einem großen Geschäft. Heute ist sie eins der größten Unternehmen der Welt; sogar General Elec- tric und Ford sind nichts dagegen. Die Psychoanalyse wird bestehen bleiben...

Die östliche Haltung ist: Wenn du einmal erkannt hast, daß ein Traum ein Traum ist - dann Schluß! Dann ist der Schlußpunkt da. Wenn du schon verstehst, was ich sage, ist dieses Verständnis allein schon genug.

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Wenn du aber nicht verstehst, mußt du meditieren. Dann mach dir nichts vor. Intellektuelles Verstehen hilft nicht. Natürlich kannst du alles, was ich sage, intel- lektuell verstehen. Intellektuelles Verstehen ist kein Verstehen. Egal was ich sage, du hörst es, du hörst zu, du kennst die Sprache, und alles ist klar. Aber das ist nicht Verstehen.

Verstehen ist etwas Totales. Reines Zuhören - und bloß durch dieses Zuhören geschieht etwas in dir - eine Wende... das, was Buddha paravritti zu nennen pflegte, eine Umwandlung. Buddha pflegte zu sagen, daß es nur ein Wunder gibt. Er nannte es die Umkehr zum tiefsten Kern des Bewußtseins - paravritti.

Wenn du mir zuhörst, geschieht etwas in deinem Bewußtsein - eine Umkehr findet statt. Du bist nicht mehr der gleiche. Nicht etwa, daß du irgendwelches intellektuelle Wissen bei mir eingeholt hättest, und du wärest nun besser informiert. Nein, du bist plötzlich einfach nicht mehr der gleiche. Als der eine bist du gekommen, um mir zuzuhören, als ein anderer gehst du wieder davon. Eine Pause, eine Diskontinuität; ein Tod ist geschehen... eine Kreuzigung und eine Aufer- stehung. Es geschieht sehr selten.

Verstehen ist sehr selten. Es erfordert ungeheuren Mut, in einem einzigen Augenblick zu sterben und wie- dergeboren zu werden. Aber es kommt vor. Wenn es dir noch nicht geschehen ist, dann meditiere weiter. Eines Tages haben dich die Meditationen bereit gemacht. Der Spiegel wird immer klarer werden. Eines Tages wird sein Spiegeln vollkommen sein, und das Verstehen wird zu dir kommen. Verstehen ist eine voll- ständige Transformation deines Wesens. Halte dich nicht zu sehr mit Worten auf; befasse dich stattdessen mehr mit mir. Halte dich nicht zu sehr damit auf, was ich zu dir sage, sondern achte mehr darauf, was ich hierjetzt bin. Dann besteht eine größere Chance für Transformation und Verstehen. Wenn du mir einfach immer nur zuhörst, kannst du viele Möglichkeiten fin- den, auszuweichen und davonzulaufen.

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Worte sind nur Worte. Kein Wort ist real. Worte sind nur künstliche Werkzeuge - nützlich, aber sehr begrenzt. Sprache ist rein zufällig entstanden. Sie hat keine letzte Verbindlichkeit. Das ist der Grund, wes- halb es so viele Sprachen gibt. Für ein und dieselbe Sache gibt es auf der ganzen Welt Tausende von Wör- tern. Es gibt nahezu Tausende von Sprachen. Sie sind künstlich.

Ob du nun eine Rose eine Rose nennst oder ob du sie gulab nennst, macht für die Rose keinen Unterschied. Die Rose ist sich glücklicherweise nicht dessen bewußt, wie du sie nennst. Sonst würde sie sehr verwirrt wer- den. Es gibt tausend Wörter für die Rose. Die Rose würde nicht mehr blühen können, wenn sie linguistisch zu gebildet wäre, wenn sie zu intellektuell wäre. Die Rose ist nicht daran interessiert, wie du sie nennst. Und ob du sie nun eine Rose oder gulab nennst, was für einen Unterschied macht das schon? Eine Rose bleibt eine Rose. Sprache ist künstlich, zufällig.

Ich habe eine wundervolle Geschichte gehört, sie ist fast zu unglaublich, um wahr zu sein: Josef und Maria waren auf dem Weg nach Bethlehem, um sich dort von der Volkszählung erfassen zu lassen. Maria, die hoch- schwanger war, saß natürlich auf dem Esel. Josef wan- derte geduldig an ihrer Seite. Plötzlich vertrat sich Josef an einem Stein auf der Straße, den er nicht gese- hen hatte, den Knöchel und fiel fast zu Boden. Im Schock stieß er leise aus: „Jessas na!" Da wandte Maria sich ihm mit leuchtenden Augen zu und sagte: „Jesus? Das ist genau der richtige Name für das Kind."

So entsteht Sprache - durch Zufälle. Befasse dich nicht allzusehr mit dem, was ich sage; beschäftige dich mehr damit, was ich bin. Und dann entsteht eine andere Art von Verstehen, die absolut nicht intellektu- ell, sondern total ist - ein Verstehen, das dir bis ins Mark geht, das dir im Blut kreist, das dir im Herzen schlägt, das du ein- und ausatmest, das Teil deines Wesens wird. Dann ist keine Meditation mehr nötig. Aber halte dich bitte nicht selbst zum Narren, bevor

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es soweit ist. Denn ich weiß - viele von euch werden denken: „Sehr gut. Also ist es jetzt nicht mehr notwen- dig zu meditieren." Nein, du kannst das Meditieren nicht aufgeben, bevor du nicht zum Verstehen gelangt bist. Mach weiter. Ich weiß, daß alles, so wie es im Augenblick ist, in Ordnung ist. Alles ist perfekt. Ich kann euch als vollkommene Wesen sehen, als Bud- dhas, als leuchtende Wesen voller Licht, aber ihr seid euch dessen nicht bewußt. Allein deshalb, weil ich es euch sage, wird es noch nicht mit euch geschehen. Ihr müßt eure Augen reinigen, eure Wahrnehmung.

Meditation ist Medizin. Sie hilft, die Augen zu reini- gen. Sie hilft, die Wahrnehmung zu klären. Sie schenkt euch die Klarheit der Sicht.

Die letzte Frage. Hört genau zu, weil dies die Art ist, wie der Verstand versucht, schlau und gerissen zu sein, und wie er euch reinlegen kann. Natürlich, kein ande- rer wird getäuscht, aber ihr könnt euch selbst täuschen. Und wenn ihr euch selbst reinlegt, gibt es für euch keine Möglichkeit, da wieder herauszukommen, weil es dort niemanden gibt, der euch heraushelfen könnte. Dort seid ihr allein. Die Täuschung kann zu einer stän- digen werden. Hört zunächst die Frage... auf ihre Art eine wundervolle.Frage. Gestern sagtest du: „Folgt mir nicht!" Später hast du uns dann geraten, Sannyasins zu werden. Dies scheint mir ein Widerspruch zu sein. Ich folge dir nicht. Bitte erkläre.

Alles, was ich sage, ist widersprüchlich. Hört endlich auf, euch über die Widersprüche Sorgen zu machen. Ich akzeptiere meine Widersprüche total, also braucht ihr euch keine Sorgen deswegen zu machen; dieses Thema ist für alle Zeiten abgeschlossen. Denkt jetzt an etwas anderes.

Es ist so leicht, einen Widerspruch zu sehen; sogar ein Kind kann das. Es will nicht viel heißen. Es zeugt nicht von großer Intelligenz. Um einen Widerspruch zu sehen, ist wirklich gar keine Intelligenz nötig. Sogar ein

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Dummkopf kann einen Widerspruch erkennen. Wenn du jedoch gerade durch den Widerspruch etwas zu sehen vermagst, das nicht widersprüchlich ist, dann steigt deine Intelligenz, steigst du höher.

Es ist leicht, den Widerspruch zwischen Leben und Tod zu sehen. Sie sind widersprüchlich. Es ist nicht not- wendig, das zu beweisen, dazu ist keine Logik erforder- lich. Es ist eine einfache Tatsache... scheinbar ist es so - aber schaut einmal ein wenig tiefer. Leben und Tod sind nicht widersprüchlich. Sie sind zwei Pole der glei- chen Energie, des gleichen Kreislaufs. Der Tod ist nicht dem Leben entgegengesetzt; der Tod ist der Höhepunkt des Lebens, sein äußerstes Crescendo. Der Tod beendet nicht das Leben; tatsächlich macht der Tod es dem Leben erst möglich, da zu sein. Wenn es keinen Tod gäbe, gäbe es auch kein Leben. Der Tod macht es dem Leben erst möglich, da zu sein. Wie kön- nen sie einander widersprechen? Sie ergänzen einan- der.

Wenn du Intelligenz besitzt - nicht nur einen logi- schen, trainierten Verstand, sondern Intelligenz, die tiefer schauen kann, unter die Oberfläche, die bis zur Mitte selbst vordringen kann - dann wirst du sehen, daß alle großen Religionen und alle großen religiösen Lehrer stets widersprüchlich und doch auch konse- quent gewesen sind.

Nun will ich dir erklären, wie das möglich ist. Gestern sagtest du: „Folgt mir nicht." Du hast also den Widerspruch gesehen. Jetzt liefere ich dir noch einen weiteren Widerspruch: Gestern sagtest du: „Folgt mir nicht." Wenn du mir also jetzt nicht folgst, folgst du mir in Wirklichkeit. Verstehst du? Wenn ich sage, du sollst mir nicht folgen, und du folgst mir dann nicht, dann folgst du mir damit natürlich. Dann besteht die einzige Möglichkeit, mir nicht zu folgen, darin, mir zu folgen. Werde also ein Sannyasin. Meinen Widerspruch kannst du sehen; kannst du denn deinen eigenen nicht sehen? Du sagst: „Ich folge dir nicht." Genau nichts anderes erwarte ich von all meinen Anhängern.

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Ich will dir eine Anekdote erzählen: Ein Fremder betrat eine Bar, in der sich nur der Barmann, ein Hund und eine Katze befanden. Als der Fremde seinen Drink bestellte, erhob sich der Hund, gähnte und sagte: „Nun, bis dann, Joe", und begab sich nach draußen. Dem Fremden fiel die Kinnlade herunter. Er sagte zum Barmann: „Hast du das gehört! Der Hund hat gespro- chen." - „Sei kein Esel", sagte der Barmann, „ein Hund kann nicht reden." - „Aber ich habe ihn doch reden hören." - „Glaube nur weiter, daß du ihn gehört hast. Ich sag dir, Hunde können nicht reden. Das ist nur diese angeberische Katze da drüben. Sie ist Bauch- redner."

Es ist leichter, die Widersprüche anderer zu sehen - sehr leicht. Man genießt es geradezu. Ein wirklich intelligenter Mensch versucht dagegen, die Widersprü- che in sich selbst zu erkennen.

Ja, ich sage, ihr sollt mir nicht folgen. Aber dazu sind gründliche Vorbereitungen nötig. Denn wenn du mir nicht folgst, wirst du jemand anderem folgen. Das wird keinen großen Unterschied machen. Wenn ich sage, folge mir nicht, meine ich damit, folge nicht. Wenn du mir nicht folgst, sondern stattdessen Jesus, wenn du mir nicht folgst und dafür folgst du Buddha, was ist dann der Unterschied? Wenn du mir nicht folgst, und du folgst dann Karl Marx oder Mao Tse Tung, was ist dann der Unterschied? Oder - ich will es genau auf den Punkt bringen - wenn du mir nicht folgst, und du folgst dir selbst, was ist dann der Unterschied? Wenn ich sage, folge mir nicht, dann meine ich damit: folge nicht. Aber es gehört eine gründliche Vorbereitung dazu, ehe du jegliche Neigung, die dich innerlich antreibt, anderen zu folgen, aufgeben kannst. Das ist die Bedeu- tung von Sannyas. Sannyas ist nichts weiter als eine Situation, in der all die inneren Neigungen, anderen zu folgen, zu glauben und sie nachzuahmen, mit der Zeit losgelassen werden. Sannyas bedeutet nicht, mir zu fol- gen. Sannyas ist einfach mit mir sein. Mach dir diesen Unterschied vollkommen klar. Sannyas bedeutet nicht,

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mir zu folgen. Sannyas bedeutet einfach, mit mir zusammen zu sein, in meiner Gegenwart. Sannyas bedeutet nicht, mich zu imitieren. Sannyas bedeutet einfach, bei mir zu sein und deiner eigenen Bestim- mung zu folgen. Ich bin hier, um dir zu helfen, du selbst zu sein. Sannyas ist nur ein Vertrauen, es ist kein Glau- ben. Ich verspreche dir nichts. Ich gebe dir kein Gedan- kensystem an die Hand. Deshalb bin ich widersprüch- lich, denn wenn ich nicht widersprüchlich wäre, würdet ihr ein Gedankensystem um mich her bilden.

Ich bin immer widersprüchlich... in jedem Augen- blick widerspreche ich mir selbst. Und der Grund dafür ist, daß ihr auf diese Weise, wenn ihr euch all meine Äußerungen anschaut, gar kein Gedankensystem dar- aus machen könnt. Und wenn ihr mir folgt, werden die Leute über euch lachen. Sie werden sagen: „Ihr wider- sprecht euch." Nur mit Hilfe gröbster Widersprüche kann der logische, systembildende Verstand zerstört und vernichtet werden. Es gibt keine andere Möglich- keit.

Ich bin widersprüchlich, damit ihr, wenn ihr mich wirklich liebt und ihr mir wirklich nahe seid, mit der Zeit den Verstand loslassen könnt, der sagt, daß dies widersprüchlich und unlogisch ist. So ist es tatsächlich- weil es über alle Logik hinausgeht. Es ist so - weil es höher ist als die Logik. Es ist eine Logik darin enthal- ten, die höher ist als alle Logik. Es klingt ein wenig ver- rückt - aber diese Verrücktheit steht ein wenig höher als das, was ihr Vernunft nennt. R.D.Laing hat irgendwo einmal gesagt, daß jeder Zusammenbruch gleichzeitig auch ein Durchbruch ist. Dem kann ich nicht ganz zustimmen. Er sagt, jeder Zusammenbruch sei auch ein Durchbruch. Ich bin nicht dieser Meinung. Ich weiß, daß jedem Durchbruch ein Zusammenbruch vorausgeht, aber nicht jedem Zusammenbruch folgt ein Durchbruch. Ein Zusam- menbruch ist ganz einfach eine Situation, in der dein sogenannter logischer Verstand nicht funktionieren kann. Er stößt gegen eine Wand, an der es nicht weiter-

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geht - er bricht dann einfach zusammen. Dann sagen wir, ein Mensch sei verrückt geworden.

Auch ich helfe euch, verrückt zu werden. Natürlich hat meine Verrücktheit Methode. Zuerst müßt ihr zusammenbrechen, damit ein Durchbruch möglich wird. Zuerst müßt ihr eingerissen, zerstört werden, damit ihr anschließend neu aufgebaut werden könnt. Ich bin nicht für das Wiederaufbauen alter Gebäude, nein! Laxmi hat dafür etwas übrig, ich nicht. Sie hat ihre Probleme damit. Ich bin absolut dafür, etwas nie- derzureißen und dann vollkommen neu mit dem ABC anzufangen.

Wenn du Sannyasin wirst, erlaubst du mir damit, dich zu zerstören. Dazu ist großes Vertrauen erforder- lich. Dies ist kein Nachfolgen; Nachfolgen ist sehr bil- lig. Es bedeutet vielmehr, sich in Gefahr zu begeben, es bedeutet, ein ungeheures Risiko einzugehen. Und es bedeutet, mit einem Mann zu gehen, der so wider- sprüchlich ist, daß du früher oder später darüber ver- rückt werden wirst.

Was immer ich heute sagen mag, morgen werde ich dem widersprechen. Nur eines ist sicher: daß ich wider- sprüchlich bleiben werde. Nur in einer Hinsicht bin ich beständig, und das ist meine Unbeständigkeit. Aber wenn du es mir erlaubst... Sannyas ist nur eine Geste, daß du es mir erlaubst... dann kann ich dich niederrei- ßen. Und anschließend kann aus diesem Abriß ein voll- kommen neues Wesen erstehen. Ganz gleich, was die Gesellschaft mit dir macht, ich kann es wieder rückgän- gig machen; das ist alles... ich kann etwas rückgängig machen. Das ist alles.

Sannyas ist keine Nachfolge, es ist eine Freund- schaft. Du wirst nicht zu meinem Schatten werden und mir folgen. Du wirst mit mir kommen, Hand in Hand, Schulter an Schulter. Es ist eine Liebesgeschichte, eine Freundschaft. Aber denke daran, wenn du mir nicht folgst, wirst du mir gerade folgen. Also nimm besser Sannyas.

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Kapitel 9

Mit großer Würde - tot

19. Februar 1976

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Der Meister Fugai war ein guter Maler, und er wurde für weise und großzügig gehalten.

Aber er war auch ausgesprochen streng - sowohl mit sich als mit seinen Schülern.

Es wird erzählt, daß Fugai seinem Ende auf eine außergewöhnliche Weise begegnete.

Als er fühlte, daß sein letzter Tag gekommen war, ließ er schnell ein Loch ausheben,

kletterte hinein und befahl dem Gräber, ihn mit Erde zu bedecken.

Der erstaunte Mann rannte davon.

Als er an Ort und Stelle zurückkehrte, fand er den Meister aufrecht in dem Loch stehen,

mit großer Würde - tot.

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Das Leben ist eine Chance. Du kannst sie nutzen, du kannst sie mißbrauchen, oder du kannst sie auch ein- fach vertun. Es hängt von dir ab. Außer dir wird nie- mand verantwortlich sein. Die Verantwortung liegt beim Einzelnen. Sobald du dies erkennst, fängst du an, wach, bewußt zu werden. Dann fängst du an, auf eine völlig andere Art zu leben. Dann wirst du tatsächlich zum ersten Mal lebendig.

Sonst nämlich leben die Menschen in einer Art Traum - halb schlafend, halb wach... einfach irgendwo zwischen Bewußtheit und Unbewußtheit. So ein Leben ist nicht wirklich ein Leben. Du existierst - aber du lebst nicht. Die Existenz wird dir geschenkt. Die Exi- stenz ist eine Gabe. Leben muß man sich verdienen. Wenn Existenz sich selbst zuwendet, wird Leben dar- aus. Existenz wurde dir vom Ganzen gegeben; du hast nichts dafür getan. Sie ist einfach da. Eine gegebene Tatsache. Wenn aus Existenz Leben wird... Im glei- chen Augenblick, wo du anfängst, auf bewußte Art und Weise zu existieren, wird aus Existenz sofort Leben. Existenz, bewußt gelebt, ist Leben.

Das Leben ist eine große Herausforderung, ein Abenteuer ins Unbekannte hinein, eine Abenteuer- fahrt in das, was ist. Wenn du ein unbewußtes Leben lebst, wenn du einfach existierst, wirst du immer Angst vor dem Tod behalten. Der Tod wird immer gerade um die Ecke sein, wird irgendwo in einer Ecke herumhän- gen. Nur das Leben geht über den Tod hinaus. Existenz kommt, verschwindet. Sie wird dir gege- ben, weggenommen. Sie ist eine Welle im Meer... hebt sich, fällt zurück, verschwindet. Aber Leben ist ewig. Sobald du es hast, hast du es für immer. Leben kennt keinen Tod. Leben hat keine Angst vor dem Tod. Sobald du weißt, was Leben ist, verschwindet der Tod. Wenn du immer noch Angst vor dem Tod hast, dann wisse wohl - du hast das Leben noch nicht kennenge- lernt. Tod existiert nur in der Unwissenheit - in der Unwissenheit darüber, was Leben ist. Man lebt einfach dahin. Man geht von einem Augenblick zum andern

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weiter, von einer Handlung in die nächste, völlig ohne zu wissen, was man tut, warum man es tut, warum man von diesem Punkt zu jenem Punkt treibt.

Wenn du ein wenig meditativ wirst, kannst du dich viele Male am Tag dabei ertappen, wie du völlig unbe- wußt dahintreibst.

Die ganze Anstrengung der Religion besteht darin, dir deine Existenz bewußt zu machen. Existenz plus Bewußtheit ist ewiges Leben - das, was Jesus immer- währendes Leben nennt, was Jesus das Reich Gottes nennt.

Dieses Reich Gottes ist in dir. Du hast bereits den Samen in dir. Du brauchst ihn nur sprießen zu lassen. Du brauchst ihm nur zu erlauben, in die sonnenbe- schienene Welt des Himmels herauszukommen, frei zu werden, sich in Freiheit zu bewegen, höher und höher zu steigen, das Unendliche selbst zu berühren. Es ist möglich, sich in die Höhe zu schwingen - aber das Grundlegende ist Bewußtheit.

Kurz bevor Carl Jung starb, sagte er in einem Inter- view: „Wir müssen die menschliche Natur besser ver- stehen lernen, weil die einzige wirkliche Gefahr, die es gibt, der Mensch selbst ist. Er ist die große Gefahr, und das ist uns auf katastrophale Weise unbewußt. Wir wis- sen nichts über den Menschen".

Ein großer Irrtum besteht fort. Und der Irrtum ist, daß ihr, weil ihr da seid, zu wissen meint, wer ihr seid. Ihr fühlt, daß ihr seid, aber ihr wißt nicht, wer ihr seid. Nur ein konfuses Gefühl, ein gemischtes Gefühl, ein schattenhaftes Gefühl, daß ihr seid ist nicht genug. Es muß kristallklar werden. Es muß zu einer unerschütter- lichen Flamme in euch werden. Nur dann weiß man, was der Mensch ist. Im Sanskrit haben wir für Mensch das Wort purusha. Dieses Wort ist ungeheuer schön. Es ist schwierig zu übersetzen, weil es drei Bedeutungen hat. Es kann mit drei verschiedenen Betonungen ausgesprochen wer- den. Das Wort heißt purusha. Es kann als pur u sha aus- gesprochen werden. Dann bedeutet es: „die Dämme-

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rung in der Stadt"... „derjenige, der von Licht erfüllt ist".

Es kann auch als puru sha ausgesprochen werden. Dann bedeutet es: „von Weisheit und ewigem Glück erfüllt"... „ein Bürger des Himmels". Es kann als pu rusha ausgesprochen werden. Dann bedeutet es: „der, dessen Leidenschafen geläutert wurden" und „der tod- los geworden ist".

Es gibt viele Möglichkeiten in dir, Schicht über Schicht. Die erste Schicht ist die des Körpers. Wenn du dich mit dem Körper identifizierst, identifizierst du dich mit dem Zeitlichen, dem Vergänglichen. Dann muß zwangsläufig die Angst vor dem Tod da sein. Der Körper ist ein Fließen, wie ein Fluß - sich ständig ver- ändernd, in Bewegung. Er hat nichts vom Ewigen in sich. Jeden Augenblick verändert sich der Körper. Ja, der Körper stirbt jeden Augenblick. Es ist nicht so, daß du eines Tages nach siebzig Jahren plötzlich stirbst. Der Körper stirbt jeden Tag. Der Tod währt siebzig Jahre lang; er ist ein Prozeß.

Der Tod ist kein Ereignis; er ist ein langer Prozeß. Nach und nach, ganz allmählich, erreicht der Körper einen Punkt, wo er sich nicht mehr halten kann. Er löst sich auf.

Wenn du mit dem Körper identifiziert bist, ist natür- lich ständig die Angst da, daß der Tod näher kommt. Du kannst leben, aber du kannst nur in Furcht leben. Und was für eine Art Leben ist möglich, wenn die Grundmauern ständig wackeln, und man auf einem Vulkan sitzt, und der Tod jeden Augenblick möglich ist? Und nur eines ist gewiß - daß der Tod kommt. Und alles andere ist ungewiß. Wie kann man leben? Wie kann man feiern? Wie kann man tanzen und singen? Und sein? Unmöglich! Der Tod wird es nicht zulassen. Der Tod ist zuviel und zu nahe.

Dann gibt es eine zweite Schicht in dir: die des Gei- stes - die noch zeitgebundener und noch vergänglicher ist als der Körper. Der Geist löst sich ebenfalls ständig auf. Der Geist ist der innere Teil des Körpers und der

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Körper ist der äußere Teil des Geistes. Diese beiden Dinge sind nicht zweierlei. Geist und Körper drückt es nicht richtig aus. Der richtige Ausdruck ist Geistkör- per. Ihr seid psycho-somatisch. Nicht, daß es den Kör- per gibt und den Geist gibt. Der Körper ist der grobe Geist, und der Geist ist der subtile Körper... zwei Sei- ten der gleichen Münze - die eine äußerlich, die andere innerlich.

So gibt es also Menschen, die mit dem Körper identi- fiziert sind. Das sind die materiellsten. Sie können nicht leben. Sie versuchen es verzweifelt, natürlich, aber sie können nicht leben. Ein Materialist tut nur so, als würde er leben; er kann nicht leben. Sein Leben kann nicht sehr tief sein; es kann nur oberflächlich, flach sein - weil er versucht, durch den Körper zu leben - der ununterbrochen stirbt. Er lebt in einem Haus, das in Flammen steht. Er versucht, sich in einem Hause auszuruhen, das brennt. Wie kannst du dich ausruhen, wie kannst du lieben?

Der Materialist kann nur Sex haben, kann nicht lie- ben. Denn Sex ist zeitlich; Liebe ist etwas Ewiges. Er kann sehr oberflächliche Kontakte mit Menschen her- stellen, aber er kann keine Beziehungen eingehen. Er ist ständig unterwegs, weil er mit dem Körper identifi- ziert ist. Der Körper hat niemals Ruhe; er ist eine unun- terbrochene Bewegung.

Allerhöchstens kann er Sex haben - eine zeitliche, eine momentane Sache; nichts Tieferes, nichts Seeli- sches, nichts, was mit dem Innersten zu tun hat. Das Wesen anderer bleibt fern; nur Körper begegnen und mischen und trennen sich wieder.

Der Materialist ist der idiotischste Mensch, weil er versucht, durch den Tod zu leben. Darin besteht seine Dummheit. Dann gibt es einen anderen Typ von Mensch, den Idealisten - einer, der mit dem Geist iden- tifiziert ist, mit Ideen, Ideologien, Idealen. Er lebt in einer sehr ungreifbaren Welt - in keiner Weise besser als der materielle. Natürlich mit mehr Befriedigung für das Ego, weil er den Materialisten verdammen kann.

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Er redet von Gott, er redet von der Seele, er redet von Religion und großen Dingen. Er redet von der jenseiti- gen Welt - aber das ist alles bloß Gerede. Er lebt im Geist: denkt immer nur, brütet, spielt mit Ideen und Worten. Er bastelt Geistesutopien, große schöne Träume - aber auch er vertut seine Chance. Weil die Chance hier und jetzt ist, und er immer nur an ein Anderswo denkt.

Das Wort Utopia ist schön. Es bedeutet: „das, was nie kommt". Er denkt an etwas, das nie kommt. Das gar nicht kommen kann. Er lebt irgendwo anders. Er existiert hier und lebt irgendwo anders. Er lebt in einer Dichotomie, in einem Dualismus. Mit großer Span- nung existiert er. Die Politiker, die Revolutionäre, die sogenannten Theologen, die Priester, sie alle leben ein mit dem Geist identifiziertes Leben.

Und wirkliches Leben ist jenseits sowohl vom Kör- per wie vom Geist. Ihr seid im Körper und ihr seid im Geist. Aber ihr seid weder noch. Der Körper ist eure äußere Schale, der Verstand ist eure innere Schale, aber ihr seid jenseits von beidem. Diese Einsicht ist der Beginn wirklichen Lebens. Wie aber mit dieser Ein- sicht beginnen? Genau darum geht es bei der Medita- tion. Fang an, Zeuge zu sein. Während du auf der Straße gehst, werde ein Zeuge. Schau zu. Der Körper geht... und du, von deinem innersten Kern her, schaust einfach zu. Bist Zeuge, beobachtest.

Plötzlich wirst du einen Sinn von Freiheit verspüren. Plötzlich wirst du sehen, daß der Körper geht; du gehst nicht. Manchmal ist der Körper gesund, manchmal ist der Körper krank. Schau zu, schau einfach zu. Und plötzlich wirst du ein Gefühl von einer ganz anderen Daseinsweise verspüren. Du bist nicht der Körper. Der Körper ist krank, natürlich, aber du bist nicht krank. Der Körper ist gesund - aber das hat nichts mit dir zu tun. Du bist ein Zeuge. Ein Wächter auf den Hügeln... weit jenseits. Natürlich, an den Körper gebunden, aber nicht mit dem Körper identifiziert; im Körper verwur- zelt, aber immer jenseits und ihn übersteigend.

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Die erste Meditation ist es, dich vom Körper zu tren- nen. Und nach und nach, wenn du in deiner Wahrneh- mung des Körpers schärfer wirst, fängst du an, die Gedanken zu beobachten, die sich ständig in deinem Geist abspielen. Aber fang erst an, den Körper zu beobachten, weil er grobstofflich ist, leichter zu beob- achten ist, nicht so viel Aufmerksamkeit erfordert. Sobald du dich eingestimmt hast, dann fang an, den Verstand zu beobachten.

Alles, was beobachtet werden kann, ist getrennt von dir. Alles, was du als Zeuge sehen kannst - du bist es nicht. Du bist das Bewußtsein, das zusieht. Das Gese- hene ist das Objekt; du bist die Subjektivität.

Der Körper und ebenfalls der Geist bleiben weit weg, wenn du zum Zeugen wirst. Plötzlich bist du da - ohne Körper und ohne Geist... ein reines Bewußtsein, eine einfache klare Reinheit, eine Unschuld, ein Spie- gel. In dieser Unschuld weißt du zum ersten Mal, wer du bist. In dieser Reinheit wird Existenz zum ersten Mal Leben. Zum ersten Mal bist du. Davor hast du ein- fach nur geschlafen, geträumt; jetzt bist du. Und wenn du bist, dann gibt es keinen Tod. Dann weißt du, daß du auch deinen Tod als Zeuge sehen wirst. Jemand, der fähig geworden ist, dem Leben als Zeuge zuzuschauen, ist auch fähig geworden, dem Tod als Zeuge beizuwoh- nen. Denn der Tod ist nicht das Ende des Lebens; er ist dessen absoluter Höhepunkt. Er ist sein absoluter Gip- fel. Das Leben erreicht im Tod seinen Gipfel. Weil ihr Angst habt, verfehlt ihr ihn. Sonst nämlich ist der Tod der größte Orgasmus, den es gibt.

Ihr habt den kleinen Orgasmus des Sex kennenge- lernt. Auch im Sex kommt es zu einem kleinen, einem winzigen Tod. Eine gewisse Lebensenergie wird aus eurem Körper freigelassen - ihr fühlt euch orgasmisch, entlastet, entspannt. Stellt euch aber nur den Tod vor! Die gesamte Energie, die ihr habt, wird freigesetzt. Der Tod ist der größte Orgasmus. Im sexuellen Orgas- mus wird nur eine kleine, winzige Menge eurer Energie entspannt. Selbst dann fühlt ihr euch so wunderbar.

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Selbst dann fühlt ihr euch so entspannt und verfallt in einen tiefen Schlaf. Alle Spannungen haben sich gelöst. Ihr werdet harmonisch. Stellt euch den Tod als die Frei- setzung des gesamten Lebens vor. Aus jeder Pore eures Körpers wird das gesamte Leben freigesetzt - zurück ins Ganze. Es ist der größte Orgasmus, den es gibt. Ja, der Tod ist der größte Orgasmus.

Aber die Menschen gehen aus Angst ständig daran vorbei. Das gleiche passiert mit dem sexuellen Orgas- mus. Viele Menschen gehen daran vorbei. Aus Angst können sie keinen Orgasmus haben. Sie können nicht total in ihn hineingehen. Denkt daran, Menschen, die Angst vor dem Tod haben, haben auch Angst vor dem Sex.

Ihr könnt beobachten, wie das in diesem Land der Fall ist. Indien hat seine Angst vor dem Sex behalten, und dieses Land hat ebenfalls sehr viel Angst vor dem Tod. Ihr könnt keine größeren Feiglinge sonstwo auf der Welt finden. Ihr könnt nirgendwo feigere Leute fin- den. Was ist passiert? Leute, die Angst vor dem Tod haben, haben ebenfalls Angst vor dem Sex. Weil ein kleiner Tod auch im Sex passiert. Leute, die Angst vor dem Sex haben, klammern sich allzu sehr ans Leben. Sie werden geizig. Den Geizigen entgehen erst die sexuellen Orgasmen und dann entgeht ihnen der große Orgasmus, die Erfüllung des ganzen Lebens.

Sobald du weißt, was der Tod ist, wirst du ihn mit großer Festlichkeit empfangen. Du wirst ihn willkom- men heißen. Er ist die Erfüllung der Anstrengung dei- nes ganzen Lebens. Er ist die Frucht der Mühe deines ganzen Lebens. Die Reise kommt zum Ende. Man kommt nach Hause zurück. Aber im Tod stirbst du nicht. Nur die Energie, die dir durch den Körper und durch den Geist geschenkt worden war, wird freige- setzt, geht zurück in die Welt. Du kehrst nach Hause zurück.

Wenn du nicht richtig stirbst, wirst du wiedergebo- ren werden. Nun, laßt mich euch das erklären. Wenn ihr nicht richtig sterbt - wenn ihr nicht zu dem totalen

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Orgasmus gelangt, welcher der Tod ist - werdet ihr wie- dergeboren werden; weil ihr ihn verfehlt habt und eine neue Chance bekommen müßt.

Gott hat sehr viel Geduld mit dir. Er gibt dir immer neue Gelegenheiten. Er ist barmherzig. Wenn du dieses Leben verfehlt hast, gibt er dir ein nächstes. Wenn du diesmal versagt hast, schickt er dich zurück in die Welt zu einem neuen Anlauf. Solange du nicht das Ziel erfüllst, wirst du immer von neuem zurückgeschickt werden. Das ist die Bedeutung der Theorie der Wiedergeburt.

Der christliche Gott ist ein wenig knauserig. Er gibt immer nur ein Leben. Das erzeugt große Spannung. Nur ein Leben? Nicht einmal Zeit zu irren, keine Zeit, Fehler zu machen? Das erzeugt eine tiefe innere Span- nung. Im Osten haben wir die Vorstellung eines sehr viel barmherzigeren Gottes geschaffen, der immerzu von neuem gibt. Du hast dieses verfehlt? Hier ist ein neues.

Und in gewisser Weise ist das sehr einsichtig. Es gibt keinen personifizierten Gott, der euch euer Leben schenkt. In Wirklichkeit seid ihr es selbst. Habt ihr es manchmal beobachtet? Abends geht ihr schlafen. Schaut einfach zu. Wenn ihr einschlaft, wenn ihr gerade einschlaft, beobachtet einmal den allerletzten Gedanken. Den letzten Zipfel im Kopf. Und dann, wenn ihr am Morgen merkt, daß ihr wach werdet, öff- net noch nicht die Augen; schaut nur wieder hin. Das letzte Bruchstück wird wieder das erste Bruchstück sein.

Wenn du beim Einschlafen an Geld gedacht hattest, wird genau der gleiche Gedanke wieder der erste Gedanke am Morgen sein. Du wirst wieder an Geld denken - weil dieser Gedanke in deinem Kopf geblie- ben ist, darauf gewartet hat, daß du zurückkommst. Wenn du an Sex gedacht hast, wirst du am Morgen an Sex denken. Gleich, was es war... wenn du an Gott gedacht hast, und du hast gebetet, und das war dein Allerletztes am Abend, wirst du als erstes am Morgen ein Gebet in dir aufsteigen sehen.

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Der letzte Gedanke am Abend ist der erste Gedanke am Morgen. Der letzte Gedanke dieses Lebens wird der erste Gedanke eines nächsten Lebens sein. Der letzte Gedanke, wenn du diesmal stirbst, wird das erste Samenkorn deines nächsten Lebens sein.

Aber wenn ein Buddha stirbt, ein Mensch, der ange- kommen ist, stirbt er einfach ohne jeden Gedanken. Er genießt den Orgasmus, der so befriedigend ist, so end- gültig befriedigend, daß man nie wieder zurückzukeh- ren braucht. Er verschwindet im Kosmos. Es ist nicht nötig, noch einmal einen Körper anzunehmen.

Im Osten haben wir die Todeserfahrung der Men- schen beobachtet. Die Art, wie du stirbst, spiegelt dein ganzes Leben wider, wie du gelebt hast. Wenn ich nur deinen Tod zu sehen bekomme, kann ich deine ganze Biographie schreiben - weil in diesem einen Augen- blick dein ganzes Leben zusammengedrängt wird. In diesem einen Augenblick, wie ein Blitz, zeigst du alles.

Ein kleinlicher Mensch wird mit geballten Fäusten sterben - noch immer haltend und klammernd, immer noch versuchend, nicht zu sterben, immer noch versu- chend, sich nicht zu entspannen. Ein liebender Mensch wird mit offenen Händen sterben - gebend... selbst sei- nen Tod schenkend, wie er sein Leben geschenkt hat. Du kannst alles auf dem Gesicht geschrieben sehen - ob dieser Mensch sein Leben völlig wach, bewußt gelebt hat. Wenn ja, dann wird auf seinem Gesicht ein Licht scheinen; um seinen Körper wird eine Aura sein. Du kommst ihm nah und wirst dich still fühlen - nicht traurig, sondern still. Es kommt sogar vor, daß, wenn ein Mensch selig gestorben ist, in einem totalen Orgas- mus, du dich plötzlich in seiner Nähe glücklich fühlst.

Das ist mir in meiner Kindheit passiert. Ein sehr hei- liger Mensch in meinem Dorf starb. Ich hatte eine gewisse Zuneigung zu ihm. Er war ein Priester in einem kleinen Tempel, ein sehr armer Mann, und jedesmal, wenn ich vorbeikam - und ich kam mindestens zweimal am Tag vorbei, jedesmal wenn ich zur Schule neben dem Tempel ging, kam ich daran vorbei - dann rief er

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mich und gab mir jedesmal irgendeine Frucht, irgend- etwas Süßes.

Als er starb, war ich das einzige Kind, das ihn aufsu- chen ging. Die ganze Stadt versammelte sich. Plötzlich konnte ich nicht glauben, was geschah - ich fing an zu lachen. Mein Vater war dabei - er versuchte, mich zu bremsen, weil es ihm peinlich war. Ein Todesfall ist keine Zeit zum Lachen. Er versuchte, mich zum Schweigen zu bringen. Er befahl mir wieder und wie- der: „Halt doch den Mund!"

Aber ich habe nie wieder einen solchen Drang ver- spürt. Seit damals habe ich es nie wieder gespürt; nie zuvor war mir danach zumute gewesen - so laut zu lachen, als wäre etwas Wunderschönes passiert. Und ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich lachte laut, jeder war mir böse, ich wurde zurückgeschickt und mein Vater sagte zu mir: „Nie wieder wirst du bei einer ernsten Angelegenheit dabei sein dürfen. Deinetwegen mußte sogar ich mich schämen. Warum hast du gelacht? Was war los? Was gibt es am Tod zu lachen? Alle weinten und schluchzten, und du hast gelacht?"

Und ich sagte ihm: „Es passierte etwas. Dieser alte Mann ließ etwas aus sich heraus und das war ungeheuer schön. Er starb einen orgasmischen Tod." Nicht genau in diesen Worten, aber ich sagte ihm, daß ich das Gefühl hatte, daß er sehr glücklich starb, sehr selig starb, und daß ich an seinem Lachen teilhaben wollte. Er lachte. Seine Energie lachte. Man hielt mich für ver- rückt. Wie kann jemand lachend sterben? Seitdem habe ich sehr viele Tode beobachtet, aber ich habe diese Art von Tod nie wieder gesehen.

Wenn man stirbt, läßt man seine Energie frei. Und mit dieser Energie seine ganze Lebenserfahrung. Ganz gleich, was man gewesen ist - traurig, glückhch, hebe- voll, jähzornig, leidenschaftlich, mitleidvoll - ganz gleich, was du gewesen bist, diese Energie enthält die Schwingungen deines ganzen Lebens. Immer, wenn ein Heiliger stirbt, ist es ein großes Geschenk, ihm einfach nur nahe zu sein; einfach nur von seiner Energie über-

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schüttet zu werden ist eine große Inspiration. Du wirst davon in eine völlig andere Dimension gehoben. Du wirst von seiner Energie berauscht, du wirst dich betrunken fühlen. Der Tod kann eine totale Erfüllung sein. Aber das ist nur möglich, wenn das Leben gelebt wurde.

Ein geistesabwesender Wissenschaftler sagte sich plötzlich eines Tages, daß er seiner Familie zu wenig Beachtung geschenkt hätte. Am selben Abend kam er also nach Hause, küßte seine Frau und Kinder, rasierte sich, duschte, zog sich vor dem Essen um und gab sich Mühe, mehrere amüsante Geschichten während des Essens zum Besten zu geben. Als es vorbei war, pfiff er fröhlich vor sich hin, räumte den Tisch ab, und bestand darauf, alles Geschirr selber abzuwaschen und abzu- trocknen.

Nachdem er alles aufgeräumt hatte, kam er ins Wohnzimmer und fand seine Frau in Tränen. „Alles ist heute schiefgegangen," schluchzte sie. „Erst ging der Staubsauger kaputt, dann schmiß Willi einen Fußball durch unser Schlafzimmerfenster, Annie fiel von der Turnstange und hat ihr bestes Kleid zerrissen und jetzt kommst du völlig betrunken nach Hause und weißt nicht mehr, was du machst."

Kein Mensch weiß, was er macht. Dazu braucht man kein Rauschmittel. Ihr seid einfach geistesabwesend. Ihr seid einfach unbewußt - als ob ihr eure eigene Unbewußtheit in euch selbst erzeugt. Als ob ihr ständig in eurer Blutbahn irgendeine alkoholische Flüssigkeit erzeugt. Ihr produziert ständig irgendwelche Drogen in euch. Und genau so ist es. Solange ihr euch nicht äußerste Mühe gebt, bewußt zu werden, euch aus der Volltrunkenheit, in der ihr euch befindet, herauszureißen, werdet ihr nicht erken- nen können, was eigentlich los ist. Gewöhnlich tut ihr alles, was ihr tut, wie Automaten. Du fährst ein Auto: Du brauchst nicht bewußt zu sein. Du fährst das Auto einfach maschinell. Du hast den Bogen raus. Du singst und rauchst und redest dabei, und denkst über tausend-

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undeine Sache nach, und der Körper fährt dabei weiter Auto.

Du ißt - du ißt wie ein Automat. Du gehst - du gehst wie ein Automat. Der Körper hat den Bogen raus; er spielt seine Platte ab. Deine Aufmerksamkeit ist nicht erforderlich. Deine Aufmerksamkeit ist nur dann erforderlich, wenn es einen Unfall gibt. Wenn etwas schiefläuft, dann wird deine Aufmerksamkeit gebraucht. Ansonsten kannst du mit deinen Gedanken spielen und du kannst sie schweifen lassen, wohin du willst. Du brauchst nicht da zu sein, in dem was du tust; gegenwärtig zu sein ist nicht notwendig.

Wenn zum Beispiel irgendein neues Geräusch im Motor beginnt, dann wirst du plötzlich hellwach. Sonst aber, wenn der Wagen weitersummt wie üblich, fährst du einfach weiter. Wenn alles okay ist, tippst du einfach weiter. Der Verstand ist fast wie ein Computer: einmal geschult, richtig gespeist, informiert, funktioniert er von alleine weiter. Je eingeschliffener du in deinem Leben wirst, desto unbewußter wirst du.

Kinder sind bewußter, sie müssen es sein, weil sie nichts wissen. Könnt ihr euch erinnern, als ihr zum ersten Mal anfingt zu schreiben? Damals war jedes Wort so langsam und ihr mußtet es mit einer so großen Aufmerksamkeit schreiben! Schaut euch ein kleines Kind beim Schreiben an. Sein ganzer Körper geht mit, sein ganzer Geist geht mit. Es wird ganz und gar Augen. Und es mag gar nicht viel sein; vielleicht schreibt es nur ein ganz winziges Wort.

Ein paar Kinder schreiben mir Briefe. Sie schreiben Liebe, aber ich weiß, wieviel Mühe sie da hineinge- steckt haben müssen. Sie müssen darüber nachgedacht und gebrütet haben, und dabei schreiben sie nur einen kleinen Brief - Liebe. Natürlich: Libe - aber sie haben ihre ganze Aufmerksamkeit hineingelegt. Es steckt sehr viel mehr Bedeutung darin, als wenn ihr Liebe richtig schreibt, weil ihr einfach nur aus Gewohnheit schreibt. Es mag euch nicht einmal bewußt sein, was ihr da schreibt.

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Ich kenne jemanden, einen sehr kultivierter Men- schen, sehr gesittet. Ich saß einmal in seinem Zimmer, als er sehr wütend wurde. Und er wurde so sehr wütend mit seinem Diener, daß er sagte: „Geh' zur Hölle, bitte!" Da fragte ich ihn: „Was meinen Sie mit,bitte'?" Er sagte: „Einfach alte Gewohnheit."

Ihr mögt Liebe schreiben; das mag vielleicht nur alte Gewohnheit sein. Es mag euch überhaupt nicht bewußt sein, was ihr sagt. Meint ihr es wirklich? Denn das Wort Liebe auszusprechen heißt, etwas Heiliges ausspre- chen, etwas ungeheuer Bedeutsames aussprechen, so wie ihr es schreibt oder benutzt... hmm?

Ich kenne Leute, die sagen: „Ich hebe meinen Wagen. Ich hebe mein Haus", oder: „Ich liebe Eis- creme." Nun, diese Leute entweihen ein heiliges Wort. Wenn sie zu einer Frau sagen: „Ich hebe dich", bedeu- tet das nicht viel. Sie sagen das gleiche zu Eiscreme. Es enthält nichts, daß aus ihrem Herzen, ihrer Bewußt- heit, ihrem Wesen kommt.

Ein Kind ist bewußter. Beobachtet ein Kind - voll von Energie, frisch, bewußt, offen, hellwach. Aber wir lehren es etwas anderes. Die Gesellschaft will keine Bewußtheit. Bewußtheit ist gefährlich für die soge- nannte Gesellschaft, weil die Gesellschaft krank ist und diese Gesellschaft ein Interesse an Unbewußtheit hat.

Wenn Menschen bewußt sind, was wird dann aus der Industrie, die Zigaretten produziert? Was wird aus der Industrie, die ständig Alkohol produziert? Was wird aus der Industrie, die ständig die Sexualität der Men- schen und ihre sexuellen Wünsche ausbeutet? Was wird aus den Politikern? Was wird aus den Priestern? Sie alle existieren, weil ihr unbewußt seid. Sie können euch alle ausbeuten, weil ihr unbewußt seid. Wenn eine Gesellschaft bewußter wird, wird eine solche Gesellschaft eine Rebellion erleben. Sie wird in Revolution leben. Nicht, daß sie eine Revolution machen wird, denn eine Revolution machen - das alles ist Unsinn. Revolution ist nicht etwas, das man machen kann und dann hat man es hinter sich, Revolution ist

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eine Lebensweise. Sie ist ein Prozess. Ihr könnt sie nicht machen und sie dann für erledigt halten. Ihr lebt so bewußt, daß ihr in Rebellion lebt. Bewußtheit ist nicht gut für diese Gesellschaft. Diese Gesellschaft lebt von der Unbewußtheit.

Ich habe eine Geschichte gehört. Eine kleine Keim- zelle, eine Krebszelle, traf im Blutkreislaufeines Kör- pers auf eine andere Krebszelle. Die erste Zelle fragte die zweite: „Du sieht nicht gut aus. Bist du krank oder was?" Sie antwortete: „Es scheint, ich habe mir Penicil- lin geholt."

Ihr holt euch nie Penicillin. Ihr holt euch die Grippe, ihr holt euch andere Krankheiten. Aber denkt einmal an Krankheitskeime - sie holen sich Penicillin. Diese Gesellschaft ist krank. Bewußtheit wird sie töten. Diese Gesellschaft kann nicht mit vielen bewußten und wachen Menschen existieren. Sie wären ihr gefährlich. Sie fängt augenbhcklich die Kinder ein und schränkt ihren Verstand ein, macht sie unbewußt, flößt ihnen Drogen ein - und dieses Einflößen von Drogen wird in dieser Gesellschaft Einschulung, Erziehung, genannt.

Geht einmal in eine Schule für kleine Kinder, in eine Grundschule. Schaut durch das Fenster hinein. Kinder sind sehr lebendig. Nichts ist aus ihrer Bewußtheit aus- geschlossen. Alles wird eingeschlossen. Ein Vogel fängt an zu singen; natürlich schauen sie aus dem Fen- ster. Den Lehrer ärgert das. Er sagt: „Bitte, hört her. Mehr Aufmerksamkeit!"

Nun, wie soll ein Kind Aufmerksamkeit zeigen? Was soll es machen? Es tut so, als ob. Es sieht den Lehrer an, strengt seinen Kopf an, strengt seine Augen an, tut so, als würde es aufmerksam sein. Und der Lehrer ist zufrieden. Sein Ego fühlt sich erfüllt. Alle Kinder pas- sen auf, was er sagt. Von allen Seiten schauen die Augen auf ihn. Kleine Kinder werden verdorben, dem Ego dieses Mannes zuliebe.

Immer wieder erweitert sich der Winkel ihrer Auf- merksamkeit. Immer wieder ruft der Vogel, bellt ein Hund, redet irgend jemand auf der Straße, fährt ein 274

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Auto vorbei. Tausend-und-ein Ding passiert, die Welt ist riesig groß, und ein Kind ist lebendig. Aber der Leh- rer möchte, daß es aufmerksam ist.

Der Lehrer ist zufrieden, wenn alle Kinder ihm auf- merksam zuhören. Vielleicht erzählt er reinen Unsinn. Vielleicht unterrichtet er Geschichte - was einfach Dummheit ist, die man am besten für immer vergißt. Warum sollte man wissen, daß irgendwann ein Wahn- sinniger wie Alexander existiert hat? Oder ein Adolf Hitler?

Besser, man vergißt es. Alpträume. Aber nein: Ihr müßt euch diese Alpträume aufmerksam anhören.

Ich las einmal eine Geschichte: Müller hielt mit sei- nem großen und teuren Wagen auf der Landstraße und starrte verwirrt nach draußen. Er bemerkte einen jun- gen Landarbeiter, der an einem Zaun lehnte, und rief: „He, Sie, wie weit ist es bis München?" Der Landarbei- ter dachte nach und sagte: „Weiß nicht." - „Gut, aber wie kommt man am besten hin?" Wieder dachte der Landarbeiter nach und sagte: „Weiß nicht." - „Nun gut, dann sagen Sie mir, wo die nächste Tankstelle ist, wo ich eine Autokarte bekomme." Der Landarbeiter dachte noch etwas länger nach, aber sagte wieder: „Weiß nicht." Der Mann am Steuer sagte voller Ver- achtung: „Da wissen Sie aber nicht viel, nicht wahr?" Der Landarbeiter sagte: „Ich weiß, wo ich bin."

Die Kinder wissen, wo sie sind. Und wir belehren sie ständig. Und all unser Lehren wird nur eine Schranke gegen das Leben sein, weil das Leben einen weiten Geist braucht, offen nach allen Seiten. Und jedes Leh- ren erfordert einen engen Geist - Konzentration, Auf- merksamkeit, nicht Bewußtheit. Bewußtheit ist ein Geist, der in alle Richtungen gleichzeitig fließt. Ihr hört mir zu. Ihr hört aber auch diesen LKW, der gerade auf der Straße vorbeifährt. Ihr hört auch die Vögel. Nichts wird ausgeschlossen, und nichts ist eine Ablenkung. Alle Dinge existieren zusammen. Ich spreche weiter; die Vögel stört das nicht. Die Vögel singen weiter; warum sollte mich das

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stören? Und wenn ihr zuhören könnt, einfach bewußt, werden beide Teil einer einzigen Harmonie.

Aber alles Lehren beruht auf Konzentration. Kon- zentration bedeutet, das Kind zu vergiften. Konzentra- tion bedeutet, sein Wesen zu verengen. Nur ein kleiner Schlitz wird offen sein, und alles andere verschlossen. Nur ein kleines Loch, das ihr Konzentration nennt, wird offen sein, und dieser riesengroße Himmel wird verschlossen sein... Alle Türen und Fenster verschlos- sen. Setzt euch einfach mal an ein Schlüsselloch und schaut immerzu durch das Schlüsselloch - genau das ist Konzentration.

Aber der Lehrer fühlt sich wunderbar, der Lehrer fühlt sich großartig. Alle schauen auf ihn, jeder zollt ihm Aufmerksamkeit. Alle Kinder tun nur so - denn wie kann man auf etwas aufmerksam sein, das nicht von Natur aus attraktiv ist?

Wenn draußen ein Hund bellt, sagt der Hund nicht: „Achtet auf mich." Er bellt einfach, und das Kind will hingehen und nachschauen, was los ist. Es ist attrakti- ver als der Lehrer. Wenn ein Vogel anfängt zu singen und seine einfache Melodie wiederholt, ist das attrakti- ver als der Lehrer. Der Vogel fordert nicht, er wirbt nicht; es steht dir frei, auf ihn zu achten oder nicht auf ihn zu achten. Aber das Kind möchte darauf achten. Das Leben ist ungeheuer schön... Und dieser Lehrer steht da.

Und nach und nach wird der Lehrer das Kind zwin- gen, denn wir spielen sehr häßliche Spiele. Wir spielen wirklich sehr häßliche Spiele und wenden alle mögli- chen Zwangsmittel an. Überlegt einmal: Ein Kind sitzt sechs Stunden lang da, wird gezwungen, auf einer Bank zu sitzen, einer harten Bank, und darf sich nicht rüh- ren. Fragt die Psychologen, was die dazu sagen. Sie sagen, daß ein Kind, das sich mehr bewegt, intelligen- ter ist, und daß ein Kind, das dasitzt wie stumm und taub, praktisch verdummt. Energie rührt sich. Energie ist lebendig. Ein wirklich lebendiges Kind kann nicht lange stillsitzen. Es ist

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lebendig. Es ist nicht tot. Es möchte am liebsten her- umspringen und herumrennen und Millionen von Din- gen tun. Es sprudelt über. Und wir zwingen es zum Sit- zen.

Was geschieht? Wenn so ein Mensch dann endlich von der Universität kommt, ist er fast völlig gelähmt. Zwanzig Jahre lang ununterbrochen dazu gezwungen, sich zu konzentrieren... Und auf diese Konzentration legt die Gesellschaft so viel Wert! Dann gibt es die Examen. Wenn er durchfällt, ist er verurteilt. Wenn er Erfolg hat, wird er geschätzt. Jetzt spielen wir das Ego- Spiel. Wir lehren das Kind, egoistisch zu sein. Wir leh- ren es einen häßlichen Wettkampf - sich feindlich gegen jeden anderen zu stellen. Und wir lehren es, daß der einzige Wert in dieser Gesellschaft der ist, noch mehr zu leisten, nicht aber, bewußt zu sein.

Jetzt kommt der Punkt, den es zu verstehen gilt. Wenn du leistungsfähiger werden willst, ist weniger Bewußtheit gut, weil eine Maschine leistungsfähiger ist als ein Mensch. Eine Maschine wiederholt sich einfach. Sie irrt sich nie, sie geht niemals fehl. Der Verstand muß also wie eine Maschine werden: du drückst den Knopf, und hier kommt die Antwort. Du drückst den Knopf, und hier fließt Effizienz.

Das ganze Bestreben der Gesellschaft ist es, euch auf effiziente Mechanismen zu reduzieren. Und ungeheure Geldsummen werden darauf verschwendet, euch zu verkrüppeln, euch zu zerstören, euch zu lähmen. Dann plötzlich, eines Tages, bemerkt ihr, daß euch alles fehlt. Ihr habt das Leben noch nicht gekostet. Ihr habt gelebt, und doch könnt ihr nicht sagen, daß ihr gelebt habt. Ihr habt geliebt, und doch könnt ihr nicht sagen, daß die Liebe euch begegnet ist. Ihr seid leben- dig gewesen, und doch könnt ihr nicht sagen, was der Geschmack des Lebendigseins ist, was der Duft des Lebendigseins ist.

Alles, was man bis heute Erziehung genannt hat, ist das größte Unglück, das der Menscheit zugestoßen ist. Und an dem Tag, an dem das ganze Erziehungssystem

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fallengelassen wird und eine vollkommen neue Erzie- hung, die nicht auf Effizienz basiert... Denn was tut es schon, wenn die Menschen ein bißchen weniger effi- zient sind? Was tut es, wenn sie lebendiger sind und etwas weniger effizient? Es macht überhaupt nichts.

Sobald wir Erziehung auf Bewußtheit gründen, sind die Menschen vielleicht nicht mehr so effizient im Töten, im Krieg; sind vielleicht nicht mehr so effizient wie Beamte, sind vielleicht nicht so effizient wie Ver- waltungsbeamte - aber das ist nur gut. Denn wenn die Menschen im Töten nicht so gut organisiert sind, völlig in Ordnung! - Es werden weniger Menschen getötet. Wenn der Mann, der die Atombombe auf Hiroshima abwarf, weniger effizient gewesen wäre und sie auf irgendeinen Wald geworfen hätte, was wäre daran ver- kehrt gewesen? Das wäre völlig in Ordnung gewesen. Es wäre ein Glück gewesen.

Wenn deutsche Menschen weniger effizient wären, dann wäre Hitler kein so großes Unglück für die Menschheit geworden. Wenn sie ein bißchen faul gewesen wären, weniger diszipliniert, weniger geschult, weniger roboterhaft, wäre Hitler gescheitert. Aber er hatte sich das richtige Land für seine Geburt ausgesucht. Diese Leute sind immer sehr sehr klug. Sie suchen sich immer das richtige Land für ihre Geburt aus. Und dann hat er es fertiggebracht, aus dem ganzen Land ein Kriegslager zu machen. Weniger Effizienz ist kein Problem. Mehr Bewußt- heit ist nötig. Und wenn ich sage, weniger effizient, meine ich nicht, daß es unbedingt so sein muß. Wenn man es mit irgendetwas ausprobiert... Zum Beispiel mit Gehen. Wenn du bewußt und wach gehst, wirst du das Gefühl haben, daß du nicht so zuverlässig gehen kannst wie vorher. Wenn du einen Wagen mit Bewußt- heit fährst, wirst du spüren, daß du den Wagen nicht so zuverlässig wie zuvor fahren kannst. Aber das ist nur am Anfang so. Nach ein paar Tagen wirst du sehen - die Zuverlässigkeit kehrt zurück, und nicht auf Kosten der Bewußtheit. Wenn Effizienz mit Bewußtheit einher-

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geht, ist sie völlig in Ordnung, ist sie begrüßenswert. Anderenfalls würde man ein praktisch totes Leben füh- ren.

Es geschah einmal: Ein Mann hatte einige Monate lang einen Hirnklempner aufgesucht, weil er glaubte, ein Pudel zu sein. Eines Tages fragte ihn ein Freund, was für Fortschritte die Behandlung mache. „Nun", sagte der Patient, „ich kann nicht behaupten, daß ich schon geheilt wäre. Aber ich habe einen gewissen Fort- schritt gemacht. Mein Psychiater hat mich schon davon abgebracht, hinter Autos herzurennen."

Wenn du weiterhin unbewußt und roboterhaft bleibst, sind allenfalls solche Veränderungen möglich. Du wirst ein Pudel bleiben, allenfalls magst du aufhö- ren, hinter Autos herzurennnen.

Der ganze Mechanismus der Gesellschaft versucht, euch so unbewußt wie eh und je zu belassen. Die Gesellschaft macht sich erst dann Sorgen, wenn eure Unbewußtheit ihr Funktionieren stört. Dann versucht sie, euch zu helfen. Wenn du nicht hinter Autos her- rennst - denn das führt zu Verkehrsproblemen - wenn du also nicht hinter Autos herrennst und nur in deinem Kopf davon träumst, daß du ein Pudel seist - vollkom- men okay! Das kümmert die Gesellschaft nicht.

Der Gesellschaft bist du, mit allem, was in deinem Kopf vor sich geht, egal. Der Gesellschaft bist du erst dann nicht egal, wenn du der Gesellschaft Schwierig- keiten machst. Ansonsten ist es völlig okay, eine unschuldige Sache, wenn du dich für einen Pudel hältst. Es ist keine Sünde - nur renn nicht hinter Autos her. Sobald du deine Phantasien ausagierst, wird daraus ein Verbrechen. Wenn du in deinen Phantasien bleibst und sie nicht ausagierst, ist es vollkommen okay, das küm- mert die Gesellschaft nicht.

Dies ist der Unterschied zwischen Sünde und Ver- brechen. Sünde ist es, wenn du dich für einen Pudel hältst und kein Pudel bist. Es ist eine Sünde - weil du auf diese Weise versäumst, ein Mensch zu sein. Wenn du hinter Autos herrennst, wird es ein Verbrechen,

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weil du so eine Störung im Verkehr hervorrufst und der Polizist daran Anstoß nimmt. Jetzt mußt du behandelt werden.

Die Menschen sind fast wahnsinnig, aber die Gesell- schaft kümmert sich nicht um sie... Außer wenn ein Wahnsinniger irgendwelche Schwierigkeiten macht. Zwischen euch und den Wahnsinnigen, die in den Irrenhäusern sind, besteht kein Unterschied der Quali- tät sondern nur der Quantität - gradweise. Sie mögen bei einhundertundein Grad sein, ihr mögt bei neunund- neunzig Grad sein. Ihr mögt diesseits, sie mögen jen- seits sein, aber der Unterschied ist nicht groß - nur ein oder zwei Schritte, und auch ihr könnt wahnsinnig wer- den. Aber die Gesellschaft toleriert euch. Euer Wahn- sinn ist vollkommen akzeptabel, wenn er privat ist. Sobald ihr ihn öffentlich macht, fängt die Störung an.

Solange ihr nicht bewußt werdet, bleibt ihr wahnsin- nig. Ihr mögt euch nicht für wahnsinnig halten, und nie- mand wird euch sagen, daß ihr wahnsinnig seid, aber ihr bleibt wahnsinnig. Nur ein Buddha ist nicht wahn- sinnig. Nur ein erleuchtetes Bewußtsein ist nicht wahn- sinnig. Solange das nicht erreicht ist, geht alles verloren - und die Chance verschwindet jeden Augenblick.

Die Menschen beschließen viele Male, sich zu verän- dern, aber dieser Entschluß gehört ebenso zu ihrem unbewußten Zustand; er hilft nicht viel. Daher die Wichtigkeit eines Meisters, die Wichtigkeit, einem Meister zu vertrauen. Du schläfst fest; du kannst dich nicht selbst aufwecken. Allerhöchstens kannst du träu- men, daß du bereits wach bist. Du wirst dich auf einen Wecker verlassen müssen.

Aber ein Wecker ist ein Wecker. Er mag eine Situa- tion herstellen, wo er deinen Schlaf stört, aber du kannst dich sehr schlau anstellen, du kannst denken, du kannst einen Traum erzeugen, daß du in einem Tempel sitzt und die Tempelglocken läuten. Jetzt ist der Wek- ker nutzlos. Er kann nicht helfen.

Du brauchst einen lebendigen Wecker - genau das ist ein Meister - den du nicht täuschen kannst, der dich

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weiter rüttelt; der dich aus deinem Schlaf wachrüttelt. Deine Entschlüsse sind nicht von großem Wert, weil sie deine Entschlüsse sind. Du kannst dich nicht auf sie verlassen.

Ein Mann sagte zu seinem Freund: „Ich habe mich jetzt entschlossen. Es wird Zeit, daß ich mich verän- dere. Ich werde nie wieder eine andere Frau anschauen. Heute abend werde ich meiner Frau beich- ten und sie um Vergebung bitten." Der Freund sagte: „Es freut mich, das zu hören. Es ist höchste Zeit, daß du das tust." Am selben Abend war seine Frau äußerst verletzt durch seine Beichte und verlangte zu wissen, wer es war, der sein Herz gestohlen hatte. „War es diese Blonde von der Post?" - „Es tut mir leid", ant- wortete er höflich, „aber ich kann es nicht sagen." Seine Frau blieb hartnäckig. „Ich wette, es ist dieses Fotomodell aus der Nachbarstraße." Er blieb still. „Jetzt weiß ich, wer es war - die Braune aus dem Hotel!" - „Tut mir leid, ich kann es dir nicht sagen." - „Gut denn", sagte seine Frau wütend, „wenn du mir nicht sagst, wer es ist, werde ich dir nicht vergeben." Am nächsten Tag auf dem Weg zur Arbeit traf er sei- nen Freund. „Nun?", sagte der Freund erwartungsvoll. „Hat sie dir vergeben?" - „Nein", kam die Antwort, „aber sie hat mir drei gute Tips gegeben."

Genauso läuft es in einem unbewußten Kopf. Man kann sich nicht auf ihn verlassen. Nun die Zen- Geschichte, eine der schönsten überhaupt.

Der Meister Fugai war ein guter Maler und er wurde für weise und großzügig gehalten.

Aber er war auch ausgesprochen streng - sowohl mit sich als mit seinen Schülern.

Bevor wir in diese Geschichte hineingehen, müssen ein paar Dinge verstanden werden. Zen ist die einzige Religion auf der Welt, die bisher kreativ gewesen ist. Alle anderen Religionen haben den Menschen nur unkreativ gemacht, und das ist nicht gut. Ein unkreati-

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ver Mensch mag wohl still sein, aber glücklich sein kann er nicht. Ein unkreativer Mensch mag wohl sehr fried- lich werden, aber er kann niemals selig sein. Alle Selig- keit kommt aus Kreativität. Solange du nichts Kreati- ves tust, kannst du dich nicht selig fühlen - unmöglich. Nur Gott kann selig sein. Und indem du etwas erschaffst, wirst du zu einem kleinen Gott.

Wenn du etwas erschaffst, nimmst du an Gott teil. Wenn du etwas erschaffst, erlaubst du Gott, durch dich hindurch zu fließen. Tatsächlich wird, wann immer etwas geschaffen wird, es immer durch Gott erschaf- fen; du wirst zum Werkzeug, zum Medium. Gott ergreift Besitz von dir. Immer, wenn ein großes Gemälde entsteht, ist der Maler nur Werkzeug. Gott malt es. Immer, wenn große Dichtung entsteht, ist der Dichter nicht der Schöpfer; die Dichtung fließt durch ihn hindurch. Der Dichter läßt es nur zu. Der Dichter überläßt sich einfach. Der Dichter läßt sich von etwas besitzen, das größer ist als er, gewaltiger als er, tiefer als er, höher als er.

Zen ist die einzige Religion auf der Welt, die kreativ ist. Und das ist etwas ungeheuer Wichtiges.

Ich möchte, daß auch ihr kreativ seid. Denn wenn ihr unkreativ werdet... Natürlich könnt ihr dann auch leichter still werden; denn ein unkreativer Mensch hat keine Verbindung mehr zur Welt. Ein unkreativer Mensch ist ein Weltflüchtling. Er läuft in den Himalaya davon. Er verbirgt sich in einer Höhle, sitzt, beobach- tet seinen Nabel, vergißt die ganze Welt.

In gewisser Hinsicht gut - weil er so keinen Schaden anrichten kann - aber das ist auch das einzig Gute daran. Er wird nichts Schlimmes tun, er wird kein Poli- tiker werden, er wird kein General werden, er wird keine Menschen ausbeuten. Er wird aus dem Weg sein. Gut. Aber dies Gute ist sehr negativ, nicht genug - es muß mehr sein. Er wird nichts Schlechtes tun, aber er wird nicht fähig sein, Gutes zu tun. Und wenn man nichts Schlechtes tut, fühlt man sich friedlich, denn jedesmal wenn man etwas Schlechtes

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tut, wird man verstört. Man wird still sein, aber diese Stille wird die Qualität der Traurigkeit besitzen - iso- liert, allein. Solche Stille wird nicht lebendig sein, sie wird etwas Totes sein - die Stille des Kirchhofs, die Stille eines Leichnams; nicht die Stille einer Blume, nicht die Stille der Sterne. Ihm wird etwas fehlen, ihm wird die Seligkeit des Lebens fehlen. Man muß auch kreativ sein.

Gelangt zu eurem inneren Wesen. Gelangt zu dem, was weder Körper noch Geist ist, und fangt dann zu fließen an. Euer inneres Wesen wird sich dann wie von selbst in irgendeine Richtung wenden und zu fließen beginnen. Irgendetwas Kleines genügt. Du kannst ein Gärtner werden oder ein Maler oder ein Dichter oder ein Schuhmacher... oder was es auch sei. Denn es ist nicht eine Frage der Nützlichkeit, es ist eine Frage der Kreativität. Kreiere etwas, so daß dein innerstes Wesen Ausdruck findet, Gestalt annimmt.

Zen-Meister waren entweder Dichter oder Maler oder Gärtner, und alles, was sie taten, das taten sie mit einem Unterschied. Ein Zen-Garten unterscheidet sich total von jedem anderen Garten der Welt. Es muß so sein, weil alle anderen Gärten von unbewußten Men- schen gemacht werden. Ein Zen-Garten wird von bewußten Menschen gemacht. Ihm haftet eine andere Aura an.

Es war einmal ein Zen-Meister, der war ein großer Gärtner. Selbst der Kaiser ging bei ihm in die Schule, und der Meister sagte: „Bestelle den Garten im Palast, und in drei Jahren werde ich kommen und ihn mir anschauen. Wenn ich ihn billige, dann hast du die Prü- fung bestanden. Wenn du sie nicht bestehst, dann mußt du noch einmal drei Jahre daran arbeiten. Dann mußt du noch einmal von vorn lernen." Natürlich war es der Palast des Kaisers, und so waren Tausende von Gärt- nern darin beschäftigt. Der Kaiser befahl einfach, und was immer er dazulernte, wurde sofort in seinem Gar- ten angewandt. Es wurde ein ungeheuer schöner Gar- ten. Nach drei Jahren kam der Meister. Er sah sich um.

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Der Kaiser bekam Angst, fing an zu schwitzen. Der Meister nämlich sah sehr streng drein. Er lächelte abso- lut nicht. Schließlich sagte er: „Du bist durchgefallen, denn ich kann kein einziges totes Blatt im Garten sehen. Wie kann Leben ohne Tod sein? Und wie kön- nen so viele Bäume ohne totes Laub existieren? Weil es hier keine toten Blätter gibt, ist der Garten tot." Und noch am selben Morgen hatte der Kaiser den Garten von totem Laub säubern lassen! Kein einziges welkes Blatt war übrig geblieben! Und so fiel er durch. Der Meister ging hinaus. Draußen lag ein Haufen von totem Laub, das man aus dem Garten entfernt hatte. Er holte alle toten Blätter wieder herein, warf sie auf die Parkwege. Winde fingen an, mit dem toten Laub zu spielen, der Garten wurde lebendig. Das Geräusch welker Blätter, die hierhin und dorthin liefen... der Garten wurde lebendig. Und der Meister sagte: „Jetzt, jetzt ist alles in Ordnung. Leben kann nicht ohne Tod existieren. Du bist durchgefallen. Jetzt wirst du noch einmal drei Jahre üben müssen."

Zen-Meister schufen Gärten. Ihre Art von Garten gibt es sonst nirgendwo auf der Welt, kann es nir- gendwo anders geben. Der Meister sagte zum Kaiser: „Dein Garten ist schön, aber er verrät zu sehr den menschlichen Verstand. Gott ist abwesend. Du hattest alles zu sehr geplant. Immer wenn etwas zu sehr geplant ist, verliert es an Natürlichkeit. Plane so," sagte er, „daß niemand den Plan erkennt. Die Kunst ist dann am größten, wenn die Kunst nicht zu entdecken ist. Wenn man sie entdecken kann, dann ist die menschli- che Signatur da. Wenn man sie nicht entdecken kann, wenn ein Garten unberührt wirkt, dann ist etwas Gött- liches zugegen."

Sie sind Maler, sie sind Dichter gewesen - kleine Gedichte, Haikus... ungeheuer schön, voller Finger- zeige.

Mit ganz wenigen Worten, mit nur siebzehn Silben, kann ein Haiku Dinge sagen, die selbst ein Buch kaum sagen könnte. Ein Haiku von Basho:

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Alter Teich Frosch springt rein

Plop!

Fertig. Ein alter Teich... Laßt das Bild vor eurem inneren Auge aufsteigen. Ein alter Teich, uralter Teich, alles still, nur ein Warten...

Alter Teich Frosch springt rein

Plop!

Fertig. Das Gedicht ist fertig - aber es hat viele Dinge gesagt. Es hat das ganze fast gemalt. Du kannst das Aufplatschen hören. Du kannst den Frosch sehen. Du kannst den alten Teich sehen. Du kannst ihn fast berühren. Du kannst ihn spüren. Alles, was Zen-Mei- ster angefaßt haben, ob es groß war oder klein, es hat diese Qualität - die Qualität, die von der Berührung durch einen Erleuchteten kommt.

Der Meister Fugai war ein guter Maler, und er wurde für weise und großzügig gehalten.

Aber er war auch ausgesprochen streng...

Ja, sie sind sehr mitfühlend - und deswegen sehr streng. Gerade wegen ihres Mitgefühls sind sie streng. Und wenn sie nicht streng sind, werden sie euch nicht viel helfen können.

Erst gestern abend suchte mich ein Mädchen auf. Sie sagte, daß sie es sich mit Sannyas erst noch überlegen wolle, weil sie noch nicht so weit ist. Ich konnte in ihr sehen, daß sie so weit sei. Nur der Kopf ist nicht bereit, das Herz ist bereit - aber der Kopf versuchte, den Boß zu spielen. Also sagte ich: „Okay, überleg dir's. Aber vergiß eines nicht: Wenn du das nächste Mal kommst und um Sannyas bittest, werde ich es mir auch überle- gen müssen. Und ich werde dich vielleicht abweisen. Ich kann dir in diesem Augenblick Sannyas geben -

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wenn du es ohne zu denken annimmst. Wenn du nach- denkst, dann muß ich auch nachdenken. Wenn du das nächste Mal fragst, kann es sein, daß ich ablehne."

Es war hart für das arme Mädchen. Ich konnte ihr Gesicht sehen. Sie sagte: „Okay", aber sie fühlte sich verletzt. Dann sprach ich zu anderen Sannyasins-über ihre Probleme, ihre Meditationen - und dann kam Govinddas und spielte auf seinem Instrument, und dann sagte ich, daß alle tanzen sollten. Das Mädchen tanzte mit. Dieser Tanz half - sie ließ sich aus dem Kopf ins Herz hineinfallen. Und nach dem Tanz fragte ich: „Bist du jetzt soweit?" Sie sagte: „Ja, jetzt fühle ich mich sehr offen und dir sehr nahe." Jetzt ist sie eine Sannyasin. Ich mußte etwas streng sein. Wenn ich das nicht gesagt hätte... Es war unfreundlich, zu sagen, daß ich sie ablehnen würde - wo ich doch nie jemanden ablehne. Ihr könnt mich ablehnen, ihr könnt mich akzeptieren - ich akzeptiere euch immer. Ich hatte überhaupt nicht vor, sie abzuweisen, aber ich mußte es sagen. Das half. Sie brauchte einen Schlag auf den Kopf.

Vergeßt nicht: Mitgefühl kann streng sein. Ja, nur Mitgefühl kann streng sein. Denn sonst - wozu? Wen kümmert's? Wer macht sich die Mühe? Es kommen Leute zu mir und sie sagen: „Warum bestehst du so auf Sannyas?" Weil ich euch liebe und ich etwas mit euch teilen möchte, das sich nur teilen läßt, wenn ihr mir nahe gekommen seid.

Aber er war auch ausgesprochen streng - sowohl mit sich als mit seinen Schülern.

Es wird erzählt, daß Fugai seinem Ende auf eine außergewöhnliche Art begegnete.

Als erfühlte, daß sein letzter Tag gekommen war...

Wenn du deinem Körper und Geist gegenüber Zeuge bleiben kannst, wirst du vor deinem Tod erken- nen können - fast sechs Monate vorher - daß du jetzt

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sterben wirst. Sechs Monate zuvor fängt der Körper an, sich innerlich aufzulösen. Du und dein Körper, euer Verhältnis lockert sich, ihr trennt euch, ihr fallt ausein- ander. Es dauert etwa sechs Monate, um den ganzen Vorgang zum Abschluß zu bringen. Aber genau drei Tage vorher kann man die Stunde, die Minute, die Sekunde nennen. Genau drei Tage vorher macht etwas im Inneren „Klick!", und man ist bereit zu sterben.

Wenn du richtig gelebt hast, völlig bewußt, wirst du wissen können, wann dein Tod kommt. Jetzt im Augenblick bist du dir noch nicht einmal des Lebens bewußt - daß es schon da ist. Dann wirst du dir sogar des Todes bewußt sein, der Schritte des Todes. Du wirst den unmerklichen Ton näher und näher und näher kommen hören.

Jetzt im Augenblick kannst du noch nicht einmal leben. Und dann wirst du sogar fähig sein, zu sterben. Und es wird etwas Bewußtes sein. Es wird nicht so sein, daß dir der Tod zustößt; du wirst bewußt sterben. Du wirst dich bewußt dem Tod überlassen. Du wirst den Tod bewußt willkommen heißen. Das ist der Sinn die- ser Geschichte.

Es wird erzählt, daß Fugai seinem Ende auf eine außergewöhnliche Weise begegnete.

Als erfühlte, daß sein letzter Tag gekommen war, ließ er schnell ein Loch ausheben...

Genauso ist es richtig. Man sollte dem Tod ein klein wenig, ein paar Schritte entgegengehen. Wenn du weißt, daß der Tod kommt, dann geh und tritt ihm am Tor entgegen. Heiße den Tod willkommen.

... ließ er schnell ein Loch ausheben, kletterte hinein und befahl dem Gräber,

ihn mit Erde zu bedecken.

Er muß ein sehr außergewöhnlicher Mensch gewe- sen sein. Er wollte den Tod in seiner ganzen Fülle aus-

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kosten. Er wollte sich noch nicht einmal unbewußt begraben lassen - erst wenn er fort war! Selbst das will er bewußt geschehen lassen, während er da ist und zuschaut und Zeuge bleibt. Indem er dasteht, während er mit Erde zugedeckt wird...

... und befahl dem Gräber, ihn mit Erde zu bedecken.

Der erstaunte Mann rannte davon.

Er konnte nicht glauben, was passierte. Und später würde man ihn einfangen und anklagen, den Meister ermordet zu haben. Er lief einfach weg.

Als er an Ort und Stelle zurückkehrte, fand er den Meister aufrecht in dem Loch stehen,

mit großer Würde - tot.

Ein Mann von Weisheit hat selbst in seinem Tod Würde. Ein Mann, der ein unbewußtes Leben lebt, hat selbst in seinem Leben keine Würde. Ein unbewußtes Leben ist das Leben eines Bettlers - ohne Würde und mit eintausendundeiner Demütigung. Ein bewußter Tod... selbst ein Tod hat, wenn er bewußt ist, Würde, gewaltige Würde und Schönheit und Anmut. Ich las vor kurzem: Charles de Talleyrand-Perigord war ein französischer Politiker, außerordentlich fähig aber völlig charakterlos, wie eben Politiker sind. Er überlebte unzählige Regierungswechsel, indem er seine Genossen immer rechtzeitig verriet. Während der französischen Revolution war er Republikaner, dann diente er Napoleon als Außenminister, intrigierte rechtzeitig genug mit Napoleons Feinden, um den Sturz des Kaisers zu überleben, und dann gelang es ihm auch noch, den Sturz der Restaurationskönige zu über- leben. Schließlich, im Jahre 1838, im Alter von 84, war es an der Zeit für ihn zu sterben, und der Bürgerkönig Louis Philippe saß an der Seite seines Bettes. „Ach",

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seufzte Talleyrand, der größte Schmerzen litt, „ich erleide Höllenqualen!" Und Louis Phihppe antwortete höflich, ohne mit der Wimper zu zucken: „Schon?"

Ein Mann, der ein unbewußtes Leben geführt hat, erleidet die Hölle, während er lebt, erleidet die Hölle, wenn er stirbt - weil die Hölle aus eurer Unbewußtheit, durch eure Unbewußtheit, mit eurer Unbewußtheit kommt. Die Hölle ist nichts anderes als der Horror, der durch eure Unbewußtheit entsteht. Ein Mann, der das Licht seines inneren Wesens entzündet hat, lebt im Himmel, stirbt im Himmel. Denn Bewußtheit ist das Paradies.

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Kapitel 10

Im Nirvana leben 20. Februar 1976

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In einem deiner Vorträge hörten wir, daß das Ego, wenn wir versuchen, es zum Beispiel durch Demut zu über- winden, im Gewand der Demut zurückkehrt. Außer- dem hörten wir, daß die einzige Chance, vom Ego frei- zukommen, die Meditation sei. Aber kommt nicht das Ego auch durch sie zurück? Ich frage dies, weil ich lebende Beispiele hierfür im Ashram habe herumlaufen sehen.

Laß mich dir mit einer Anekdote antworten: Ein Psychologe führte bei einem jungen Mann einige Per- sönlichkeitstests durch. Er zeichnete eine vertikale Linie und fragte ihn: „Woran denken Sie, wenn Sie dies hier anschauen?" - „Sex", sagte der junge Mann. Als nächstes zeichnete der Psychologe einen Kreis. „Und woran denken Sie hierbei?" - „Sex", antwortete der junge Mann wieder. Nun zeichnete der Psychologe einen Stern. „Und das hier?" fragte er. „Warum? An Sex natürlich", antwortete der junge Mann. Der Psy- chologe legte den Stift beiseite. „Meiner Meinung nach sind Sie sexuell besessen." - „Ich bin besessen?!" ent- rüstete sich der junge Mann. „Wer von uns beiden hat denn alle diese ordinären Bilder gezeichnet?"

Wenn du vom Ego besessen bist, wirst du überall, wo du hinkommst, lebende Beispiele für das Ego finden, und du wirst denken, andere seien egoistisch - es ist deine Projektion. Wenn du einmal demütig wirst, wird die ganze Welt für dich demütig. Plötzlich verschwin- det dann das Ego nicht nur aus dir, gleichzeitig ver- schwindet es auch aus der ganzen Welt.

Ein nicht-egoistischer Mensch wird nie dem Ego begegnen. Nicht etwa, daß andere egolos würden, weil dieser Mensch egolos geworden ist, sondern weil er egolos ist, kann er die Egos der anderen nicht sehen. Es verschwindet einfach für ihn. Es ist eine Frage deiner eigenen Einstellung.

Das erste, woran du also denken mußt, ist: Such die Ursachen aller Erscheinungen, die dir begegnen, zunächst in dir. Mach dir keine Sorgen darüber, warum

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andere egoistisch sind. Laß sie egoistisch sein, wenn sie es sind. Sie werden genug Strafen für ihr Ego erleiden; ihr eigenes Ego wird sie genügend bestrafen. Du brauchst dir darüber keine Sorgen zu machen.

Immer wenn du siehst, daß jemand egoistisch ist, dann wende dich sofort nach innen, schließ deine Augen und versuche, den Grund dafür in dir selbst zu finden. Das wird helfen. Wenn du einen Grund in dir selbst findest, kannst du ihn loslassen, kann er transfor- miert werden. Und wenn du egolos wirst, wirst du plötzlich ungeheuer selig werden.

Warum sich den Kopf um andere zerbrechen? Denk nur einmal darüber nach. Sei ein wenig eigensüchtiger. Du gibst dir zu große Mühe, selbstlos, altruistisch zu sein. Sei ein wenig selbstsüchtiger. Denke an dein eige- nes Sein und an die Vergeudung deines eigenen Lebens.

Alles was dir begegnet - immer besteht die Möglich- keit, daß es irgendwo tief in deinem Innern dein eige- nes Problem ist.

Betrachte es einmal so: Immer wenn du wütend wirst, passiert das nicht, weil andere die Wut in dir erzeugt haben. Die Wut war schon vorher da; sie schlief vielleicht in dir. Andere können nur das in dir wecken, was schon da ist. Ihre Beleidigungen können keinen neuen Ärger in dir schaffen. Wenn er nicht schon da ist, kann eine Beleidigung ihn nicht schaffen. Eine Beleidi- gung kann ihn nur provozieren, wenn er schon da ist. Wut wird nicht durch irgend jemand anders erzeugt; sie ist da oder sie ist nicht da. Und wenn niemand die Wut provoziert, wirst du anfangen, selbst einen Grund dafür zu suchen.

Ich habe Menschen gesehen, die auf ihre Schuhe wütend waren und vor Wut damit um sich warfen. Ich habe Menschen gesehen, die wütend auf Türen waren und diese vor Wut zuknallten. Was hat die Tür dir denn getan? Was kann der Schuh dir denn tun? Du kannst nur keine menschlichen Objekte finden. Niemand hat dich beleidigt, niemand ist für dich zum Vorwand

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geworden, und du zitterst vor Wut. Du befindest dich schon kurz vor der Explosion - alles und jedes könnte sie auslösen.

Alles, was dir in anderen begegnet, ist mehr oder weniger eine Projektion deines eigenen Geistes. Dies ist die grundlegende religiöse Haltung. Sobald du glaubst, es ginge vom anderen aus, ist das die politische Haltung.

Deshalb ändert ein Politiker ständig andere Leute. Eine Revolution ist nötig - in der Gesellschaft, nicht in ihm selbst. Die Welt muß verändert werden, nur dann kann er in Frieden leben.

Der Politiker kann niemals friedlich leben; das ist unmöglich. Die Welt wird so nicht verändert. Das geht nicht so leicht. Das Leben ist kurz, und die Welt ist schon immer praktisch die gleiche geblieben, und sie wird auch in Zukunft praktisch unverändert bleiben. Nur du selbst kannst dich ändern, weil nur du bewußt werden kannst. Bewußtsein ist Revolution. Bewußt- sein ist Transformation. Werde also in dir selbst bewußt.

Wenn du jemand anderen als egoistisch erlebst, so danke ihm auf der Stelle. Er hat dir geholfen, dir dein eigenes Ego bewußt zu machen. Sei ihm dankbar und vergiß ihn dann völlig. Geh jetzt nach innen. Sieh ein- mal nach, wo die Ursache liegt - warum du das Gefühl hattest, dieser Mann sei egoistisch. Irgendwo ist dein eigenes Ego verletzt worden. Jedesmal, wenn ich etwas will, geschieht genau das Gegenteil davon, und ich habe das Gefühl, ich werde verrückt. Es fühlt sich so an, als hätte ich keine Gewalt mehr darüber, was mit mir geschieht.

Niemand hat sie, weil niemand ist. Macht ist nur möglich, wenn du da bist. Du bist aber nicht da. Das Ganze ist. Diese individuellen Egos sind nicht da. Es sind falsche Wesenheiten, es sind nur Illusionen. Eine Illusion kann keine Macht haben. Was nicht ist, was nicht existiert - wie kann das Macht haben? Es ist von

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Natur aus impotent. Das ist das erste, was man verste- hen muß. Das Ego ist impotent.

Das Ganze ist allmächtig; der Teil ist ohnmächtig. Aber der Teil ist nur dann ohnmächtig, wenn er ver- sucht, losgelöst vom Ganzen zu existieren. Wenn er sich einmal im Ganzen auflöst, wird er zum Ganzen. Dann ist er nicht mehr ohnmächtig, dann wird auch jener Teil allmächtig.

Wenn du etwas tun willst, wirst du dich hilflos füh- len. Das Leben geschieht, es hat nichts mit Tun zu tun. Durch Anstrengung machst du dir nur Probleme. Ver- suche nicht, gegen den Strom zu schwimmen. Sonst hast du das Gefühl, der Fluß kämpft gegen dich. Es ist aber nicht der Fluß. Der Fluß weiß überhaupt nichts von dir. Der Fluß hat mit dir nicht das Geringste zu schaffen. Der Fluß tut dir nichts; der Fluß ist nicht gemein zu dir. Du versuchst nur, flußaufwärts zu schwimmen, deshalb hast du das Gefühl, der Fluß sei gegen dich.

Wenn du anfängst, mit dem Fluß zu treiben, ist die Feindschaft des Flusses weg. Das heißt nicht, daß sie wirklich vom Fluß kam; sie kam aus dir. Wenn du etwas tun willst, wird das Gegenteil geschehen. Das ist das Elend des menschlichen Egos, das ist seine Hölle.

Ich habe eine wunderbare Geschichte gehört: Ein Asket, ein großer Asket, der sein ganzes Leben lang im Zölibat gelebt hatte, der jungfräulich geblieben war, der sehr gegen Sex gewesen und dessen ganzes Leben von dem Bemühen geprägt war, gegen den Sex zu kämpfen, gegen die Liebe - dieser Mann starb. Sein Hauptjünger vermochte diesen Schock nicht zu überle- ben; nur wenige Stunden später starb auch er. Als die- ser Jünger die jenseitige Welt erreichte, glaubte er, sei- nen Augen nicht trauen zu können, er war schockiert. Da saß sein Meister, der große Asket - und auf seinem Schoß saß fast unbekleidet Marilyn Monroe, und sie küßte und umarmte den Mann! Der Jünger war sehr schockiert, aber schließlich verstand auch er mit sei- nem etwas schwerfälligen Kopf. Er dachte: „Natürlich,

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Gott ist gerecht, und mein großer Meister ist für all seine Kasteiung königlich belohnt worden." Also trat er näher, berührte die Füße seines Meisters und sagte: „Meister, jetzt kann ich glauben, daß Gott gerecht ist. Im Himmel bist du reichlich belohnt worden für all deine Kasteiungen, die tapascharya, die du dir im Leben auferlegt hast." Der Meister sah ihn giftig an und sagte verächtlich: „Du Dummkopf! Wir sind nicht im Himmel, und ich werde nicht belohnt - sie wird bestraft."

Das andere Extrem kann nicht ausbleiben. Der Asket trifft sich mit Marilyn Monroe; es muß passieren. Der Asket hat es ganz und gar selbst verursacht.

In Indien gibt es viele Geschichten über große rishis, große Seher. Ich verstehe nicht, weshalb man sie große Seher genannt hat, denn sie scheinen nahezu blind zu sein. Die Geschichten erzählen gewöhnlich, daß immer dann, wenn die großen Seher gerade mit ihren Kastei- ungen beschäftigt waren, wenn sie fasteten und ihre sadhanas übten, wunderschöne Frauen aus dem Jen- seits zu ihnen kamen; apsaras, himmlische Fräuleins kamen und versuchten, sie zu verführen.

Es scheint fast unmöglich. Warum sollte das passie- ren? Warum ist das Jenseits so sehr daran interessiert, arme Seher zu verführen? Und wer steckt hinter die- sem ganzen Unsinn? Sie unterwerfen sich Kasteiungen, um sich aus dieser Welt zu lösen, um das Rad sansaras anzuhalten; sie machen sich das Nirvana zum Alp- traum, sie versuchen, wunschlos zu werden - warum werden sie dann nur bestraft? Warum kommen wun- derschöne Frauen zu ihnen und versuchen, sie zu ver- führen?

Trotzdem sind diese Geschichten logisch. Niemand schickt ihnen diese wunderschönen Fräuleins. Da ist niemand, der sie ihnen schicken könnte. Und über- haupt sind gar keine wundervollen Frauen da, die geschickt werden könnten. Diese Leute kämpfen nur gegen den Strom. Je mehr du gegen den Sex kämpfst, umso wirklicher

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werden deine Phantasien. Je mehr du den Sex vermei- dest, je mehr du gegen ihn kämpfst, je stärker du dich gegen ihn wendest, umso mehr schaffst du dir in deinen eigenen Träumen Jungfrauen aus dem Jenseits um dich herum. Dies ist das Resultat der eigenen Bemühung, gegen den Strom zu schwimmen.

Ich sage nicht, daß es unmöglich ist, den Sex zu transzendieren. Es ist möglich, aber es ist möglich... Fast immer ist es möglich, aber es ist nur dann möglich, wenn du mit dem Strom schwimmst, niemals ist es gegen den Strom möglich. Wenn du nicht mit dem Strom kämpfst, werden die Dinge geschehen, von denen du schon immer wolltest, daß sie geschehen, aber weil du sie wolltest, geschahen sie nicht.

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, daß der Mensch denkt und Gott lenkt. Aber warum sollte Gott sich so sehr gegen den Menschen stellen? Warum sollte er so grausam sein? Es gibt keinen Gott, der irgendwas lenkt, und wenn es ihn gäbe, dann könnte er nicht so grausam sein und über eure armseligen Wünsche ent- scheiden. Es ist ja nicht gerade viel, um was ihr bittet. Ihr bittet um fast nichts, es sind Belanglosigkeiten. Warum sollte er sich da einmischen? So knauserig kann er gar nicht sein.

Aber die Wahrheit ist: Im Augenblick, wo du dir etwas vornimmst, hast du schon den Ausgang der Ent- scheidung geplant. Du kämpfst gegen den Strom. Jetzt bewegst du dich stromaufwärts, und du wirst das Gefühl haben, der Fluß wende sich gegen dich.

Fang an, mit dem Strom zu gehen, und du wirst plötzlich bemerken, daß der Fluß dich zum Ozean bringt. Und er ist nicht gegen dich; er ist sehr freund- lich, er ist sehr liebevoll. Es ist nicht einmal nötig zu schwimmen, es ist nicht erforderlich, irgendeine Anstrengung zu unternehmen - fließe ganz einfach mühelos mit, und der Fluß wird dich tragen. Vergeude nicht deine Energie. Die Frage lautet: Jedesmal, wenn ich etwas tun will, geschieht genau das Gegenteil. So muß es kommen. Es

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liegt an deinem Tun. Höre auf, dir etwas vorzunehmen. Laß stattdessen dem Geschehen seinen Lauf. Geh mit den Dingen. Bring nicht deinen Willen und dein Ego ins Spiel. Das Ganze ist riesig, und du bist nur ein win- ziger Teil davon. Akzeptiere das. Löse dich im Ganzen auf, verschmilz mit dem Ganzen. Versuche nicht, die Illusion des Getrenntseins zu schaffen. Du bist es nicht. Wenn diese Illusion einmal losgelassen wird...

Und das meine ich, wenn ich sage: „Laß das Ego los." Das Ego ist nichts weiter als die Illusion des Getrenntseins vom Ganzen. Demut ist nichts anderes als die Wiedervereinigung mit dem Ganzen, eine Wie- dervermählung mit dem Ganzen. Das Ego ist eine Scheidung, Demut ist ein Wiedervermählung, eine Wiedervereinigung, eine unio mystica.

Wenn du wieder mit der ursprünglichen Quelle ver- einigt bist, geschieht alles, von dem du dir immer schon gewünscht hast, daß es geschieht; aber es geschieht nicht eher als bis du aufhörst, es zu wollen.

Darin besteht das Dilemma. Wenn du ständig etwas willst, schafft genau dieses Wollen eine Situation, in der es nicht geschieht. Und natürlich sagt dein Ver- stand dann: „Streng dich mehr an." Der Verstand wird sagen: „Diesmal hast du verloren; setze beim nächsten Mal mehr Willen ein."

Wille ist ein schmutziges Wort. Die größte Dumm- heit, die es überhaupt gibt, ist die Idee der Willens- kraft. Der Wille gehört zum Ganzen, aber nicht zum Teil. Mein Bein kann keinen eigenen Willen haben. Wenn es versucht, seinen eigenen Willen zu haben, wird es gelämt. Meine Hand kann nicht ihren eigenen Willen haben. Das Ganze, mein ganzer Körper - ich - kann einen Willen haben. Wir sind nur die Hände und Beine des Ganzen. Wir können keinen Willen haben - nur das Ganze. Das Ganze will, und mit uns geschieht alles.

Wenn du dies einmal akzeptiert hast, dann ist alle Mühe und aller Kampf vorüber. Man bewegt sich dann mühelos. Alles Gewicht, alle Kopfschwere verschwin-

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det, alle Kopfschmerzen verschwinden. Tatsächlich verschwindet sogar der Kopf selbst, dann ist das Leben eine Ekstase, eine beständige Seligkeit, eine ewige Feier, ein Segen. Aber du versuchst unentwegt, etwas zu tun. Und genau das ist es, eben das ist es, weshalb du dich verlierst. Und je mehr du dich verlierst, umso mehr wünschst du - so entsteht ein Teufelskreis.

Bei einer freundschaftlichen Schachpartie sagte Fat- her Shaughnessy zu Rabbi Ginsberg: „Sagen Sie mir, Rabbi, haben Sie je Schinken gekostet? Bitte, seien Sie ehrlich." - „Einmal", antwortete der Rabbi, leicht errötend, „als ich noch auf dem College war, muß ich gestehen, überkam mich die Neugier, und ich aß ein Schinken-Sandwich. Aber Father, nun antworten auch Sie mir wahrheitsgemäß. Haben Sie jemals etwas mit einem Mädchen..." Diesmal war es Father Shaugh- nessy, der errötete. Er antwortete: „Ich muß gestehen, daß ich einmal, im College, bevor ich ordiniert wurde, davon gekostet habe." Daraufhin wurde es still, und Father Shaughnessy sagte mit einem traurigen Lächeln: „...besser als Schinken, nicht wahr?"

Sobald du mit etwas kämpfst, gibst du ihm unge- heure Macht. Sobald du mit etwas kämpfst, verleihst du ihm eine ungeheure Anziehung. Sobald du mit etwas kämpfst, wird es unerhört einladend für dich.

Sex ist nicht so wunderbar wie diejenigen Leute glauben, die ihn sich versagt haben. Tatsache ist, wenn der Sex völlig zulässig und ohne weiteres zugänglich gewesen wäre, hätte man früher oder später die Nase voll davon. Im Westen ist das schon im Gange. Die Menschen haben dort genug vom Sex; daher die Anzie- hungskraft der Drogen. Und weil die Regierungen die Drogen ständig verbieten - genauso, wie sie es vorher mit dem Sex taten - haben die Drogen eine so unge- heure Anziehungskraft. Was verleugnet wird, gewinnt eine ungeheure Macht über euch, weil der Kopf ständig darüber phantasiert.

Du kannst es mit allem versuchen. Versuche einmal, mit irgendetwas zu kämpfen. Mit kleinen Dingen...

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Wenn ich dir sage, es sei eine Sünde, deine Nase zu berühren... was völliger Unsinn ist, und eine ganz unschuldige Sache: die Nase zu berühren! Aber ver- sucht es einmal. Denkt drei Wochen lang, daß es eine Sünde ist, die Nase zu berühren - ihr werdet verrückt davon. Ihr werdet euch Orte suchen, wo niemand es sehen kann, und dort werdet ihr eure Nase berühren. Und ihr werdet euren Spaß daran haben, das sage ich euch. Und anschließend werdet ihr euch schuldig füh- len, daß ihr schon wieder eine Chance verpaßt habt, in den Himmel zu kommen!

Und je mehr man es vermeidet, je mehr man sich kontrolliert, umso mehr wird man sich fragen: „Was ist nur mit mir los?" Die Nase war noch nie so attraktiv für dich; du hast dich noch nie weiter um sie gekümmert. Du warst dir nicht einmal bewußt, daß sie da ist. Und nun ist sie plötzlich sogar zum Mittelpunkt deiner Auf- merksamkeit geworden! Du wirst nun an lauter Nasen denken, sehr schöne Nasen - nicht nur an eine, an ganze Reihen von Nasen! Immer längere und längere und längere Reihen davon, und in deinen Träumen wirst du Tausende von Nasen berühren, und am Mor- gen wirst du deswegen Schuldgefühle haben, und du wirst zu einem Priester gehen müssen und ihm beich- ten, daß du schon wieder die gleiche Sünde begangen hast. Und genau das ist mit euch allen passiert.

In meiner Kindheit waren in meiner Familie Toma- ten verboten. Ich wurde nämlich in einer Jain-Familie geboren, und Tomaten sehen wie Fleisch aus - schaut sie euch nur einmal an! Sie sind ja ganz unschuldig. Es gibt keine unschuldigeren Leute als Tomaten! Aber sie waren verboten. Sie übten eine enorme Anziehungs- kraft auf mich aus.

Als ich einmal bei einem Freund zu Besuch war, überfiel mich die Neugierde; er bot mir Tomaten an, und ich aß sie. Sie waren so wunderbar; nie mehr sind sie mir seitdem so wunderbar vorgekommen. Aber in der gleichen Nacht übergab ich mich. Ich fühlte mich so schuldig! Und als ich mich übergab, begriff ich endlich,

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daß Tomaten wirklich sehr gefährlich sind. Ich hatte mich noch nie im Leben übergeben. Mein ganzes Wesen stülpte sich um. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, und am nächsten Tag fastete ich, einfach zur Buße. Heute kommt mir das dumm vor; aber damals war es etwas Bedeutsames.

Und so ist es mit allen Dingen - ob es der Sex ist, ob es das Essen ist, oder was auch immer - wenn einmal etwas verwehrt wird, wenn einmal eine Autorität gesagt hat: „Nein, das ist falsch", dann fängt plötzlich dein innerstes Unbewußtes an, sich damit zu beschäfti- gen und zu überlegen, wie es drankommen könnte. Du projizierst es ständig und malst es dir in den buntesten Farben aus, und so machst du es immer schöner.

Laß all diesen Unsinn fallen. Geh mit dem Leben mit. Vertraue dem Leben. Und das ist für mich auch Gottvertrauen. Vergiß alle Götter; sie sind von Men- schen geschaffen, vom menschlichen Geist fabriziert. Vertraue dem Leben, und wohin dich das Leben auch führen mag, dahin folge ihm. Wenn du nicht versuchst, stromaufwärts zu schwimmen, wird alles geschehen, was du dir wünschst - aber nicht, weil du es gerne so hättest.

Tatsächlich ist der tiefe Wunsch danach in dir, weil das Leben schon längst geplant hatte, ihn dir zu erfül- len. Der tiefe Wunsch zeigt einfach an, daß das Leben geplant hat, ihn dir zu erfüllen. Laß nur dem Leben sei- nen Lauf, fließe mit dem Leben mit, dann führt es dich zum gelobten Land. Deshalb drängt ständig ein tiefes Verlangen in dir nach Erfüllung.

Die Menschen versuchen ständig, irgendwo jenseits der Wolken ein Paradies zu schaffen. Das Paradies ist hierjetzt. Ihr denkt euch ein Paradies aus, weil ihr euch ständig viele Dinge versagt und weil ihr viele Dinge wünscht und weil ihr ständig kämpft und weil so das ganze Leben zu einem einzigen Unglück wird.

In eurem Unglück schafft ihr euch eine Hoffnung, weil sonst das Elend zu bedrückend wäre. Jedermann würde Selbstmord begehen, wenn es kein Paradies

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gäbe. Nur wegen des Paradieses machst du weiter - das Elend dauert nur noch ein paar Tage, dann wird alles in Ordnung sein; dann wirst du mit Gott im Paradiese sein! Niemals wirst du mit Gott im Paradiese sein, wenn du nicht hier jetzt mit Gott bist. Sei noch heute mit Gott. Und wie kann man noch heute mit Gott sein? Kämpfe nicht - sondern gib dich hin. Gib dich dem Leben hin. Und du gibst dich nicht irgend jemandem hin. Es ist dein Leben. Also stell dir nicht sofort eine Dualität vor, wenn ich sage, du sollst dich dem Leben hingeben. Du gibst dich keinem anderen hin, sondern deinem Leben; deinem eigenen Selbst... deinem unbe- grenzten Du, deinem allumfassenden Selbst.

Verschiedene Sannyasins haben mir berichtet, daß du nichts von der Makrobiotik hältst. Stimmt das? Ich frage mich, ob deine Kritik mehr einer fanatischen Diät gilt oder den Prinzipien der Makrobiotik selbst. Makrobio- tik ist reiner Taoismus. In ihr gibt es keine Regeln und keine Verbote. Der Akzent liegt auf Bewußtheit, Frei- heit, Sensibilität und Flexibilität. Sie hat nicht das geringste zu tun mit Ernährungsmarotten, strengen Diä- ten oder fixen Ideen. Brauner Reis wird irrtümlich von einigen Leuten als Grundlage der Makrobiotik angese- hen, ist aber nur ein Element davon, und man kann ihn verwenden oder weglassen, ihn wichtig nehmen oder außer acht lassen. Würdest du bitte etwas dazu sagen?

Das erste: Ich bin gehen jede Art von Marotte. Ganz gleich, um welche Art von Marotten es sich handelt, bin ich gegen alle Arten von Marotten, weil Marotten Fanatiker anziehen. Marotten werden zu Schlupfwin- keln für Geisteskranke. Menschen, die abnorm veran- lagt sind, verstecken sich hinter irgendwelchen Schrul- len, und sie schaffen Systeme, Theorien und Dogmen, um zu rationalisieren.

Ich wohnte einmal bei einer Frau; sie war eine sehr liebenswerte Frau, aber in punkto Sauberkeit war sie fast verrückt. Den ganzen Tag lang reinigte sie das Haus, den ganzen Tag lang schmückte sie es - und das

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ohne jeglichen Grund, denn nie gestattete sie es irgend jemandem, ihr Haus zu betreten. Wenn sie Gäste hatte, pflegte sie diese auf dem Rasen zu empfangen. Ich fragte sie: „Du schmückst und reinigst unentwegt das Haus, aber ich kann nicht sehen, daß du jemals irgendeinem Menschen erlaubst, es zu betreten." Da antwortete sie: „Ach, die Leute machen doch nur alles schmutzig." „Warum machst du dann sauber?" Sie ant- wortete: „Sauberkeit ist Gott am nächsten." Nun, diese Frau ist verrückt. Sauberkeit ist für sie zum Versteck geworden. Sauberkeit ist für sie zum Ritual geworden. Indem sie den ganzen Tag lang putzt, hält sie sich beschäftigt. Sie hat es zu ihrem Lebensinhalt gemacht, den ganzen Tag lang sauberzumachen - es ist die reine Verschwendung. Aber man kann nicht sagen, daß Sau- berkeit an sich schlecht ist; Sauberkeit ist sogar etwas sehr Gutes. Damit hat die Frau einen Grund. Sie ist verrückt mit einem vollkommen rationalen Grund. Selbst ihr Mann durfte nicht ins Wohnzimmer kom- men. Und sie erlaubte sich auch nie, Kinder zu haben, denn Kinder sind schmutzig und würden Ärger machen und alles schmutzig machen. Ihr ganzes Leben war auf dem Altar der Sauberkeit geopfert. Ich sagte zu ihr: „Natürlich, du hast es ja bewiesen, daß die Sauberkeit direkt nach Gott kommt. Du hast sie zu einem Altar Gottes gemacht und dein ganzes Leben darauf geop- fert." Sie antwortete: „Habe ich etwa Unrecht?"

Man kann natürlich nicht sagen, daß sie Unrecht hat. Sauberkeit ist gut, hygienisch - aber es gibt auch Gren- zen. Und ein schrulliger Mensch geht immer über die Grenze hinaus. Tief in seinem Inneren hat er große Schwierigkeiten. Ich sagte der Frau: „Tu folgendes: Putze einmal drei Tage lang dein Haus nicht. Wenn du drei Tage lang gesund bleibst, ohne das Haus zu put- zen, werde ich mich dir anschließen und ebenfalls den ganzen Tag lang das Haus putzen." Sie entgegnete: „Drei Tage ohne zu putzen? Das ist unmöglich. Ich würde verrückt werden." Dabei war sie schon längst verrückt.

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Wann immer sich jemand also hinter einer Marotte versteckt, was für einer Marotte auch immer - Makro- biotik oder etwas anderes - bin ich dagegen. Ich bin gegen jede Haltung von Besessenheit.

Ich will euch eine Anekdote erzählen: Ein Mann kam vom Fußballspiel nach Hause. Seine Frau sah von der Zeitung auf und sagte: „Schau her, Fred, hier steht etwas über einen Mann, der seine Frau für eine Fuß- ball-Saison einem Freund überlassen hat. Du bist ja auch so ein Fußballfan, aber das würdest du doch nicht tun, oder?" Fred sagte: „Natürlich nicht. Dann wär ich ja nicht ganz bei Trost, und außerdem kriminell - die Saison ist ja schon halb vorbei."

So denkt der Fan, der Extremist. Aber solche Leute können sich immer hinter den schönsten Rationalisie- rungen verstecken.

Mahatma Ghandi machte sich ständig Gedanken über seine Verdauung. Er war geradezu besessen davon. Manchmal, wenn dein Magen gestört ist, kann es sein, daß du dir Gedanken darüber machst, aber es ist Unsinn, ständig darüber zu grübeln, zu meditieren und zu brüten. Ghandi dagegen brütete ständig dar- über nach - als ob es auf der Welt kein wichtigeres Thema zum Nachdenken gäbe. Gleich, ob er seine Gebete verrichtete oder den Vizekönig besuchte oder an einer Konferenz teilnahm oder über das Schicksal und die Freiheit Indiens entschied - vorher machte er jedesmal einen Einlauf. Ihr werdet überrascht sein: in seinem Tagebuch ist das Klistier ebenso oft erwähnt wie Gott. Einläufe scheinen für ihn eine Art zweiter Gott gewesen zu sein.

Wenn man jedoch mit ihm diskutierte, konnte er dies vollkommen sinnvoll begründen: der Magen muß völlig sauber sein, weil andernfalls der gesamte Körper vergiftet wird, und so weiter und so fort, und nur wenn der Magen sauber ist, kann auch der Geist rein sein. Wie könnte der Geist gesund sein, ohne daß der Kör- per gesund ist? Und so redete er und so argumentierte er und so grübelte er ständig nach. Aber in Wahrheit ist

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es eine Marotte und außerdem eine Art Krankheit. Und es zeugt nicht von einem gesunden Geist; es beweist, daß ein solcher Geist gerade nicht gesund ist.

Ich bin gegen solche Haltungen. Ich habe es schon zu vielen Sannyasins gesagt... denn sie alle kommen mit ihren Marotten zu mir. Einmal kam ein junger Mann zu mir, der sagte, er sei zu mir gekommen, weil er lernen wolle, wie man ausschließlich von Wasser leben kann! Ich sagte zu ihm: „Du willst mich wohl zu einem Ver- brecher machen? Wenn ich dir sage, wie man nur von Wasser lebt, wirst du sterben!"

Er hielt sich so schon kaum aufrecht und war mager, kurz vor einem Zusammenbruch, aber er hatte die Marotte, nur Wasser würde Reinheit möglich machen: nur Wasser ist rein, und alles andere ist unrein. Seine Augen waren schon ganz gelb, sie sahen krank aus. Er aß nicht genug, sein Körper war ausgehungert, und bald mußte auch sein Kopf anfangen zu fiebern. Und je mehr er vom Fieber erfaßt würde, umso intensiver würde er sich bemühen, sich zu reinigen. Solchen Leu- ten muß ich sagen, daß sie sich in eine sehr, sehr gefähr- liche Richtung bewegen.

Auch Makrobiotik-Süchtige kommen zu mir. Nun stammt diese Frage von Dharmananda. Er hat den Punkt genau erfaßt. Ich bin nicht gegen irgend etwas Spezielles, weil ich auch nicht für irgend etwas bin. Ich bin nur für das Leben - das Leben mit seinem ungeheu- ren Reichtum.

Wenn es deshalb so ist, wie Dharmananda sagt, dann glaube ich nicht, daß ihm die Makrobioten zustimmen werden. Ich will jetzt die Frage noch einmal vorlesen. Ich glaube nicht, daß die Makrobioten ihm zustimmen würden, weil er die ganze Sache kaputtgemacht hat.

Er sagt: Makrobiotik ist reiner Taoismus. Kein Prin- zip, keine Theorie kann reiner Taoismus sein. Sogar der Taoismus ist kein reiner Taoismus. Laotse wider- setzte sich dem sein Leben lang. Er versagte sich seinen Jüngern, er wies all ihre Bitten zurück, aus seinem Prin- zip eine Theorie zu schaffen, weil er sagte: „Wenn das

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tao einmal benannt ist, ist es nicht mehr das tao. Die Wahrheit kann nicht ausgesprochen werden, man kann nicht über sie theoretisieren." Erst an seinem Lebens- ende schrieb er etwas nieder - und das auch nur unter Zwang.

Er verließ China. Offenbar war er auf dem Wege nach Indien. Jeder muß schließlich nach Indien gehen. Nicht Indien als geographischer Ort, sondern als Quelle allen menschlichen Bewußtseins. Jeder, der seine Orientierung wiederfinden will, muß in den Orient gehen. Orient bedeutet einfach Orientierung.

Laotse ...natürlich sagen chinesische Gelehrte nie- mals, daß er auf dem Weg nach Indien war; das verletzt ihr Ego. Sie sagen, daß er auf dem Weg nach Süden war, aber Indien liegt im Süden. Sie sagen, daß er nach Süden zog, aber Indien liegt von China aus gesehen im Süden. Und natürlich ergibt es einen Sinn - Lao Tse kommt zurück nach Indien. Es ergibt einen sehr tiefen Sinn. Indien ist die Heimat aller Menschen. An der chi- nesischen Grenze wurde er von den Zöllnern der Regierung festgehalten, die zu ihm sprachen: „Wir werden dich nicht mit deinem Schatz außer Landes zie- hen lassen. Du mußt deinen Schatz hier lassen." Er fragte sie: „Was meint ihr damit?" Sie antworteten: „Bevor du unser Land verläßt, mußt du ein Buch schreiben. Du weißt etwas; du mußt es niederschreiben und der Regierung übergeben. Dann kannst du gehen." So wurde er an der Grenze von diesen Zöll- nern gezwungen. Daraufhin schrieb er schnell, inner- halb von drei Tagen, das ganze Tao Te King auf. Aber schon in der ersten Zeile sagt er: „Tao kann nicht genannt werden, und das tao, das benannt wird, ist nicht das tao." Also ist auch der Taoismus nicht reines tao - der Ismus macht es unrein. Vergiß also die Makro- biotik - daß sie etwa reiner Taoismus wäre. Das ist Theorie, eine Hypothese.

Es gibt in ihr keine Regeln und Verbote. Wenn es darin keine Regeln und Verbote gibt, warum sollte man sich dann überhaupt unnötige Gedanken über die

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Makrobiotik machen? Was heißt es dann, sich einen Anhänger der Makrobiotik zu nennen, wenn es in ihr keine Regeln und Bestimmungen gibt? Natürlich gibt es sie.

Ich würde wünschen, Dharmananda hätte recht. Es wäre mir sehr recht; das genau ist nämlich mein eigener Standpunkt. Aber Dharmananda wird sicherlich nicht von vielen Makrobioten Zustimmung erhalten. Denn sie haben ihre Regeln und Bestimmungen. In Wahrheit verhält es sich so, daß Dharmananda versucht, mich in die Makrobiotik einzuschmuggeln. Er ist mein Anhän- ger, deshalb ist das natürlich sehr verständlich.

Ihr Schwergewicht liegt auf Bewußtheit, Freiheit, Sensibilität und Flexibilität. Sie hat nicht das geringste zu tun mit Ernährungsmarotten, strengen Diäten oder fixen Ideen. Nun, die werden dir sicherlich nicht beipflich- ten, Dharmananda. Sie werden es nicht tun.

Makrobiotik hat nichts mit braunem Reis zu tun. Diese Leute sind im Gegenteil geradezu besessen von braunem Reis. Sie glauben, brauner Reis sei gut, und wenn man nicht von braunem Reis lebe, sei dies ein unverzeihlicher Fehler. Aber Dharmananda sagt: Brauner Reis wird irrtümlich von einigen Leuten als die Grundlage der Makrobiotik angesehen, ist aber nur ein Element davon, und man kann ihn verwenden oder weg- lassen, wichtig nehmen oder außer acht lassen. Aber was bleibt dann übrig? Wenn sogar brauner Reis außer acht gelassen wird und wenn es keine Prinzipien und keine Regeln gibt, wenn es reiner Taoismus ist, was bleibt dann übrig? Nichts bleibt übrig. Dann kann ich fröhlich sagen: „Ja, sei ein Anhänger der Makrobiotik, kein Problem."

Ich bin gegen Marotten. Ich bin gegen ein diszipli- niertes Leben. Ich bin nicht gegen Disziplin, ich bin gegen ein diszipliniertes Leben. Die Disziplin sollte sich von Augenblick zu Augenblick aus deinem inner- sten Wesen ergeben. Sie sollte ein inneres Licht sein, das nicht von außen aufgezwungen ist. Man sollte in tie- fer Selbstverantwortung durch das Leben gehen. Man

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sollte keiner Vorschrift folgen. Denn wenn du einer Vorschrift folgst, trägst du schon die fix-und-fertigen Schlüsse in dir. Du lebst auf der Grundlage dieser Schlüsse. Du lebst von einer Lenkung aus, die schon feststeht. Dann bist du nicht frei. Dann kannst du nicht flexibel sein. Dein Prinzip, deine fixe Idee, deine Len- kung, dein Schluß werden es dir nicht gestatten, flexi- bel zu sein. Du wirst entsprechend deiner festen Schlüsse reagieren.

Aber wenn du frei bist und jeder Augenblick seine eigenen Schlüsse zieht, wenn diese nicht aus der Ver- gangenheit übernommen sind, dann ist es völlig in Ord- nung. Dann besitzt du Disziplin - wahre Disziplin - aber du führst dann kein diszipliniertes Leben.

Jeder Mensch, der wirklich lebendig ist, hat keinen Charakter, er kann keinen Charakter haben. Charak- ter ist immer tot - eine tote Struktur um dich herum, aus der Vergangenheit überkommen, aus vergangenen Erfahrungen. Wenn du aus deinem Charakter heraus handelst, handelst du in Wahrheit überhaupt nicht; du reagierst dann nur. Du erwiderst nicht. Erwiderung ist etwas Unmittelbares. Das Leben schafft eine Situation, eine Herausforderung - und du erwiderst sie. Du erwi- derst sie aus deinem Wesen heraus, ohne jede Len- kung, ohne Schlüsse. Nicht aus der Vergangenheit her- aus: hierjetzt stellt sich die Erwiderung ein - rein, jung- fräulich.

Das ist die Disziplin, die ich schätze. Solche Diszi- plin liebe ich. Aber jede andere Disziplin, die du dir auferlegst, die du praktizierst, ist gefährlich. Sie wird dich am Ende töten. Auf die Art sind jetzt schon viele Menschen tot. Ihre Disziplin hat sie getötet.

Was ist der Unterschied zwischen „nach innen gehen" und „nirgendwohin gehen"?

Da gibt es keinen Unterschied. Nirgendwohin gehen bedeutet, nach innen zu gehen. Nach innen gehen heißt, nirgendwohin zu gehen. Der Unterschied ist nur begrifflich. Wenn du die Upanishaden fragst, so sagen

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sie: Gehe nach innen. Wenn du Buddha fragst, so sagt er: Gehe nirgendwohin. Und wenn du mich fragst, so ist für mich beides das Gleiche; aber trotzdem ist nir- gendwo besser als nach innen. Warum? Weil du im sel- ben Augenblick, wo du sagst nach innen, eine Spaltung zwischen innen und außen geschaffen hast - als ob Gott nur innen und nicht auch außen wäre. Gott ist auch außen. Gott ist auch innen. Es ist das gleiche Leben, das in mir und auch außerhalb von mir ist, in dir und auch außerhalb von dir. Es ist das gleiche Phänomen. Warum also eine Spaltung schaffen?

Wenn Buddha sagt, gehe nirgendwohin, so ist das Nirvana Nirgendwohin-Gehen. Wenn du es recht ver- stehst, bedeutet Nirgendwohin-Gehen einfach, nicht zu gehen. Nirgendwohin zu gehen, bedeutet nicht, nir- gendwo hinzugehen. Es bedeutet einfach Nichtge- hen... nur sein, überhaupt nicht gehen - weil alles Gehen motiviert ist, alles Gehen aus Verlangen ent- steht.

Wenn kein Verlangen da ist, bleibt alles stehen. Wenn kein Verlangen da ist, ist auch keine Bewegung da. Die Zeit bleibt stehen. Die Zukunft entfällt, die Vergangenheit verschwindet - nur dieser Augenblick, dieser Augenblick...

Gestern zitierte ich Bashos Haiku:

Alter Teich ein Frosch sprang rein

plop

Die Zeit ist stehengeblieben. Auf Japanisch klingt es noch wundervoller; man kann das nicht übersetzen. Wenn ich eine genaue Übersetzung versuchen wollte, so würde es etwa so lauten: Alter Weiher - Frosch hin- einspringen.

Ein Prozeß. Wenn wir sagen: „Ein Frosch sprang hinein", ist das so, als wäre etwas zu Ende, beendet, vollständig. Auf Japanisch heißt es nicht: „Ein Frosch sprang hinein", es heißt: „Frosch hineinspringen". Ein

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fach der Vorgang - plop! - der Ton - und alles ist zu Ende. Basho hat damit auch ein Bild von Frosch und Weiher gezeichnet. Wenn du dem Frosch tief in die Augen schaust, wirst du sehen, daß Bodhidharma dort sitzt. Die Augen des Frosches sind fast so vorstehend wie die von Bodhidharma...

Ein Augenblick, in dem die Zeit stehenbleibt. Und warum springt der Frosch hinein? Da gibt es kein Warum. Ein Hineinspringen - ohne jede Motivation, ohne jedes Verlangen. Es passierte ganz einfach. Es geschah einfach, daß der Frosch sich selbst damit über- raschte, wie er hineinsprang. Ein Wellenschlagen... der Teich schlug Wellen; das Geräusch... die Luft bewegte sich - und dann nichts. Vorher nichts, nachher nichts - und dazwischen ein Geschehen.

Es ist weder ein Hineinkommen noch ein Hinausge- hen. Es ist ein Gehen ins Nirgendwo. Es ist überhaupt kein Gehen. Ein Augenblick, in dem alles stehen- bleibt, ein Augenblick ohne jede Motivation, was aber nicht bedeutet, daß du nicht gehst. Du magst in den alten Teich springen - darum geht es nicht - aber da ist keine Motivation... keine Absicht.

Du bewegst dich aus purer Freude an der Bewegung. Du atmest aus reiner Freude am Atmen. Du wünschst dir nicht, daß sich daraus irgend etwas ergibt. Du wünschst nicht einmal den nächsten Augenblick. Plop. Dieser Augenblick ist genug.

Buddhas Ausdruck Nirgendwohin-Gehen trifft es besser. Aber laß dich nicht von Worten einfangen. Alle Buddhas meinen das gleiche - Jesus, Mahavir, Zara- thustra, Laotse oder Gautama Buddha. Wie sie es auch ausdrücken mögen, sie meinen alle das gleiche. Versu- che nicht gelehrt zu sein, und sei kein Wortfuchser. Es ist alles das gleiche.

Man kann es Hineingehen nennen oder man kann es sogar Hinausgehen nennen. Das Christentum, der Islam, das Judentum, sie alle sagen: Gott ist dort, ein Du, irgendwo außerhalb von dir. Du mußt dich in ihn verlieben und in jener Liebe verschwinden. Hinduis-

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mus, Buddhismus und Jainismus sagen, Gott sei innen, irgendwo in dir. Dann mußt du dahinein verschwinden. Aber all dies sind nur verschiedene Möglichkeiten, es auszudrücken; denn Gott ist außen und Gott ist innen, weil alles Außen und Innen in ihm enthalten ist. Sei kein Wortfuchser, sonst kannst du immer und immer weiter mit Worten herumspielen.

Ich will dir eine Anekdote erzählen: „Das letzte Mal, als ich dir Geld gab," sagte die alte Dame, „versprachst du mir, du würdest nicht sofort ins Wirtshaus gehen und es dort ausgeben." - „Das ist wahr", antwortete der Tramp. „Nun, du hast es aber dennoch getan!" - „Gnädige Frau, kennen Sie denn nicht den Unter- schied zwischen Gehen und Rennen?"

Sei kein Wortfuchser. Ob du ins Wirtshaus gehst oder ob du rennst, ist so ziemlich das gleiche. Der Landstreicher muß ein sehr cleverer Kerl gewesen sein. Er sagte: „Gnädige Frau, kennen Sie denn nicht den Unterschied zwischen Gehen und Rennen? Ich hatte versprochen, nicht zu gehen. Ich hab aber nie verspro- chen, nicht zu rennen."

Denk daran, Worte können ein gefährliches Spiel sein. Worum es geht, ist, daß du frei von Motivation bist. Dann ist es unwichtig, ob du nach innen oder nach außen oder irgendwohin oder nirgendwohin gehst. Sei frei von Motivation.

Zu mir kommen immer wieder Leute, die sagen: „Wir wären gerne glücklich." Ihr ganzes Leben ist geprägt von einem einzigen Motiv - sie wollen glücklich sein. Und ich fühle mich sehr traurig ihretwegen. Denn Glück kann kein Motiv sein. Du kannst entweder in diesem Augenblick glücklich sein, oder du wirst nie- mals glücklich sein. Du kannst nicht sagen: „Ich möchte gerne morgen glücklich sein." Das ist albern. Und Glück braucht keine Voraussetzungen, keine Vorbedingungen. Sieh nur, worum es dabei geht. Du kannst jetzt, so wie du bist, glücklich sein. Wenn du wirklich glücklich sein willst, dann versuche nicht, glücklich zu sein - sei einfach glücklich. Wer steht dir

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im Weg? Wer hindert dich? Wer zwingt dich, unglück- lich zu sein?

Du aber sagst: „Im Augenblick muß ich unglücklich sein, aber morgen möchte ich gerne glücklich sein." Jenes Morgen wird genauso sein. Es wird als Heute daherkommen. Dieses Heute war gestern selbst ein Morgen. Und gestern hast du mir erzählt: „Morgen werde ich glücklich sein."

Wenn das deine Art ist, wenn das deine Logik ist, gibt es nie Glück für dich. Es ist aber schon jetzt da. Sei einfach glücklich. Riskiere einmal einen Versuch. Bleibe einfach einmal vierundzwanzig Stunden lang glücklich. Und immer, wenn du dich dabei erwischst, daß du wieder unglücklich wirst, dann gib dir einen ordentlichen Ruck und sei wieder glücklich. Schüttle den ganzen Körper und sei wieder glücklich. Es ist nur ein Trick. Es hat nichts mit morgen oder mit der Zukunft zu tun. Es ist nur ein Kniff, ein Kunstgriff.

Ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der ein Mensch nicht glücklich sein kann. Und ich habe auch noch keine Situation gesehen, in der ein Mensch nicht unglücklich sein kann. Es hängt ganz von dir ab. Es ist deine Entscheidung. Glück kommt, wenn du im nicht- motivierten Augenblick verharrst... in reiner Freude am Sein.

Wie soll man kreativ sein, wenn man Jobs verrichtet, die keinen Raum für Kreativität zu lassen scheinen, wie Putzen usw. ?

Die Frage stammt von Krishna Radha. Sie putzt. Aber auch ich tue genau dasselbe: jeden Morgen, jeden Abend, vierundzwanzig Stunden lang - ich mache euren Geist sauber, ich reinige ihn. Aber ich habe nie das Gefühl, außerdem noch irgendwie anders kreativ sein zu müssen.

Einen Fußboden zu putzen kann ein ungeheuer kreativer Akt sein. Denk stets daran, daß Kreativität nichts mit einer bestimmten Art von Arbeit zu tun hat. Kreativität hat etwas mit der Qualität deines Bewußt-

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seins zu tun. Alles, was du tust, kann kreativ werden. Was du auch tust, kann kreativ sein, wenn du weißt, was es bedeutet, kreativ zu sein.

Kreativ zu sein bedeutet, jede Arbeit als Meditation zu genießen, jede Arbeit in tiefer Liebe zu verrichten. Wenn du mich liebst und dieses Auditorium reinigst, so ist das kreativ. Wenn du mich nicht liebst, dann ist es natürlich eine unangenehme Arbeit, dann ist es eine Pflicht, die man irgendwie hinter sich bringen muß, ist es eine Last. Dann glaubst du, noch etwas Zeit übrig behalten zu müssen, in der du kreativ sein kannst. Was willst du in dieser freien Zeit tun? Kannst du etwas Bes- seres für dich finden? Denkst du vielleicht, daß du dich kreativer fühlst, wenn du malst?

Aber Malen ist etwas ebenso Alltägliches wie das Fußbodenputzen. Du wirfst Farben auf eine Leinwand. Hier wäschst du den Boden, reinigst du den Boden. Wo liegt da der Unterschied? Wenn du dich mit jemandem unterhältst, mit einem Freund, dann hast du das Gefühl, Zeit zu vergeuden. Stattdessen würdest du lie- ber ein großartiges Buch schreiben; dann wärst du kreativ! Aber nun ist ein Freund gekommen, ein biß- chen Klatschen ist das Schönste auf der Welt. Sei krea- tiv! Alle heiligen Schriften sind nichts weiter als der Klatsch von Leuten, die kreativ waren.

Was glaubt ihr, was ich hier mache? Klatsch erzähle ich! Eines Tages werden daraus mal Evangelien gemacht, aber ursprünglich war es Klatsch. Aber ich habe meinen Spaß daran, ihn zu verbreiten. Ich könnte bis in Ewigkeit damit fortfahren. Ihr werdet mich viel- leicht eines Tages satt haben, ich aber werde ihn nie satt haben. Für mich ist es pures Vergnügen. Mag sein, daß ihr ihn eines Tages so satt habt, daß kein Mensch mehr hier sitzt - nur ich rede dann noch. Wenn man etwas wirklich hebt, ist es damit kreativ. Aber das geht jedem so. Viele kommen zu mir. Wenn sie zum ersten Mal kommen, sagen sie: „Jede Arbeit ist mir recht, Bhagwan. Jede Arbeit - sogar Sau- bermachen!" Genau das sagen sie: „Sogar Sauberma-

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chen! - wenn es nur Arbeit für dich ist, werden wir glücklich sein." Und dann nach ein paar Tagen kom- men sie wieder und sagen: „Saubermachen... Wir möchten gerne irgendeine schöne kreative Arbeit machen."

Ich will euch eine Anekdote erzählen: Weil sie sich über ihr trübes Sexualleben Sorgen machte, überredete die junge Ehefrau ihren Mann schließlich, sich einer Hypnosebehandlung zu unterziehen. Nach einigen Hypnosesitzungen war das sexuelle Interesse des Man- nes wieder erwacht. Allerdings stürzte er nun, während sie sich liebten, gelegentlich aus dem Schlafzimmer ins Bad und kam dann nach einiger Zeit wieder zurück. Neugierig, was da wohl vor sich ginge, folgte seine Frau ihm eines Tages ins Bad. Sie schlich sich auf Zehenspit- zen zur Badezimmertür und fand ihn vor dem Spiegel stehen, in dem er sich anstarrte und murmelte: „Sie ist nicht meine Frau. Sie ist nicht meine Frau."

Wenn du dich in eine Frau verliebst, ist sie natürlich noch nicht deine Frau. Du liebst sie, du hast deinen Spaß, aber dann legt sich das allmählich; jetzt ist sie deine Frau. Jetzt wird die Sache allmählich alt. Jetzt kennst du das Gesicht, kennst du den Körper, kennst du die Topographie, und nun langweilst du dich. Der Hypnotiseur hat genau das Richtige getan. Er schlug nur vor: „Während du deine Frau liebst, brauchst du nur ständig zu denken: Sie ist nicht meine Frau. Sie ist nicht meine Frau."

Also, Krishna Radha, während du putzt, denke fort- während, daß du malst. Das ist kein Saubermachen. Dies ist großartige Kreativität. Und so wird es dann auch sein. Es ist nur dein Verstand, der dir da Streiche spielt. Wenn du es recht verstehst, bringst du deine Kreativität in alles, was du tust. Ein Mensch, der ver- steht, ist immer kreativ. Nicht etwa, daß er versuchte, kreativ zu sein. Schon seine Art zu sitzen ist ein kreati- ver Akt. Beobachte, wie er sitzt. Du wirst in jeder sei- ner Bewegung eine gewisse Qualität des Tanzes finden, eine gewisse Würde.

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Erst gestern lasen wir die Geschichte von dem Zen- Meister, der mit großer Würde in einer Grube stand - tot. Sogar dieser Tod war ein kreativer Akt. Er machte es ausgezeichnet, besser hätte man es gar nicht machen können. Sogar im Tod stand er würdevoll da, mit Anmut.

Wenn du verstehst, wird es egal was du tust - kochen, putzen... Das Leben besteht aus kleinen Din- gen; es ist nur dein Ego, das sagt, dies seien Kleinigkei- ten. Du würdest gern etwas Großes vollbringen - große Dichtung schreiben. Du würdest gern ein Shakespeare, ein Kaiidas oder Milton werden. Dein Ego ist es, das diese Probleme erzeugt. Laß das Ego los, und alles ist kreativ.

Ich habe gehört: Eine Hausfrau war so erfreut über die prompte Lieferung des Kaufmanns, daß sie den Laufburschen nach seinem Namen fragte. „Shake- speare", antwortete der Junge. „Nun, das ist ein berühmter Name." - „Das will ich wohl meinen. Ich lie- fere schließlich nun schon seit drei Jahren in diesem Viertel aus."

Ich mag diese Geschichte. Warum sollte man ein Shakespeare sein wollen? Drei Jahre im Viertel Lebensmittel auszuliefern - das ist praktisch genauso schön wie ein Buch, einen Roman oder ein Schauspiel zu schreiben. Das Leben besteht aus kleinen Dingen. Sie werden groß, sobald du liebst. Dann ist alles unge- heuer groß. Wenn du nicht liebst, sagt dein Ego stän- dig: Das ist deiner nicht wert. Putzen? Krishna Radha, das ist deiner nicht wert! Tue etwas Großartiges - werde eine Jeanne d'Arc. Alles Unsinn. Alle Jeanne d'Arcs sind Unsinn.

Putzen ist wunderbar. Geh nicht auf Ego-Trip. Immer, wenn dein Ego sich einmischt und dich davon überzeugt, daß du irgendwelche großartigen Dinge tun mußt, dann werde dir dessen sofort bewußt und nimm Abstand vom Ego; dann wirst du mit der Zeit heraus- finden, daß das Alltägliche heilig ist. Nichts ist belang- los; alles ist heilig und geheiligt. Und solange nicht alles 316

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für dich heilig wird, kann dein Leben nicht religiös sein. Ein heiliger Mensch ist nicht das, was man so einen

Heiligen nennt. Ein Heiliger mag auf einem Ego-Trip sein. Und außerdem kommt er euch nur darum wie ein Heiliger vor, weil ihr glaubt, er habe große Dinge voll- bracht. Ein Heiliger ist ein gewöhnlicher Mensch, der das alltägliche Leben liebt. Holz hacken, Wasser vom Brunnen holen, kochen - was er anrührt, wird heihg. Nicht daß er etwas Großes vollbringt! Aber was er tut, tut er auf eine Art und Weise.

Die Größe liegt nicht in der Sache, die man tut. Die Größe liegt in dem Bewußtsein, das du mitbringst, während du etwas tust. Versuche es einmal. Berühre einen Kiesel mit großer Liebe, er wird zu einem Kohi- noor, einem riesigen Diamanten. Lächle, und plötzlich bist du ein König oder eine Königin geworden. Lache, genieße... Jeder Augenblick deines Lebens muß durch deine meditative Liebe verwandelt werden.

Wenn ich sage: „Seid kreativ", dann meine ich damit nicht, daß ihr alle hingehen und große Maler oder große Dichter werden sollt. Damit meine ich ganz ein- fach, daß ihr euer Leben zu einem Gemälde machen sollt, daß ihr euer Leben zu Poesie werden lassen sollt.

Denkt immer daran, sonst wird das Ego euch in irgendwelche Schwierigkeiten bringen. Fragt einmal Kriminelle, warum sie zu Kriminellen geworden sind: weil sie nichts Großartiges finden konnten, das sie hät- ten tun können. Sie konnten nicht Präsident eines Lan- des werden... Natürlich - nicht jeder kann Präsident eines Landes werden... also brachten sie einen Präsi- denten um, das ist leichter. Sie wurden auf diese Weise ebenso berühmt wie der Präsident. Ihr Bild kam in allen Zeitungen auf die Titelseite.

Vor einigen Monaten tötete jemand sieben Men- schen, und man fragte ihn, warum er das machte - denn diese sieben Menschen hatten keinerlei Beziehung zu ihm. Er hätte nur berühmt werden wollen, sagte er; und keine Zeitung sei bereit gewesen, seine Gedichte und seine Artikel zu veröffentlichen; überall wurden

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sie zurückgewiesen. Niemand war bereit, sein Bild zu veröffentlichen, und so verging sein Leben. Also tötete er sieben Menschen. Sie standen in keinerlei Bezie- hung zu ihm, er hatte auch nichts gegen sie, er wollte nur ganz einfach berühmt werden.

Eure Politiker und eure Kriminellen sind nicht zwei- erlei Arten von Menschen. Alle Kriminellen sind poli- tisch, und alle Politiker sind kriminell - nicht nur Richard Nixon. Der arme Richard Nixon wurde auf fri- scher Tat ertappt, das ist alles. Andere sind offenbar geschickter und schlauer.

Mrs. Moskowitz platzte fast vor Stolz. „Haben Sie schon von meinem Sohn Louie gehört?", fragte sie ihre Nachbarin. „Nein. Was ist denn mit Ihrem Sohn Louie los?" - „Er geht zu einem Psychiater. Zweimal die Woche geht er zum Psychiater." - „Ist das denn gut?" - „Natürlich ist es gut. Er bezahlt vierzig Dollar für die Stunde. Vierzig Dollar! - und er spricht dort ununter- brochen über mich", sagte die Mutter.

Die Mutter fühlte sich sehr geschmeichelt. Laß nie in dir dies Bestreben aufkommen, groß und berühmt zu sein, überlebensgroß zu sein - niemals. Lebensgroß ist völlig genug. Ganz genau lebensgroß, ganz gewöhnlich - so sollte es sein. Aber lebe diese Alltäglichkeit auf außergewöhnliche Weise. Genau das ist mit einem nir- vanischen Bewußtsein gemeint.

Und nun will ich euch noch das Allerletzte sagen. Wenn ihr das Nirvana wie ein großes Ziel vor Augen habt, dann lebt ihr in einem Alptraum. Dann kann Nir- vana zum letzten und größten Alptraum überhaupt werden. Aber wenn Nirvana in den kleinen Dingen ist, in der Art und Weise, wie du sie lebst, wie du jede kleine Tätigkeit in einen heiligen Akt verwandelst, in ein Gebet, und wenn dein Haus zum Tempel und dein Körper zum Haus Gottes wird, und alles, wohin du auch blickst, was du auch anrührst, ungeheuer schön und heilig wird: dann bedeutet Nirvana Freiheit.

Nirvana bedeutet: das gewöhnliche Leben so wach, so voller Bewußtsein, so voller Licht zu leben, daß alles

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leuchtend wird. Es ist möglich. Ich sage dies, weil ich es so gelebt habe, weil ich es so lebe. Wenn ich das sage, sage ich es mit Autorität. Wenn ich das sage, zitiere ich nicht Buddha oder Jesus. Wenn ich das sage, zitiere ich nur mich selbst.

Es ist für mich möglich geworden und es kann für euch möglich werden. Lauft nur nicht eurem Ego nach. Liebt nur das Leben, vertraut dem Leben, und das Leben wird euch alles geben, was ihr braucht. Das Leben wird euch ein Segen sein, ein göttlicher Segen.

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Neubearbeitung Bhagwan Shree Rajneesh antwortet auf Fragen

von Schülern und Besuchern Mit einem Feuerwerk an Witz und Humor, voller

Leichtigkeit und ohne Respekt verabschiedete Bhagwan sich mit diesen Vorträgen von seinen

Sannyasins, bevor er in eine dreieinhalbj ährige Zeit des Schweigens eintrat.

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Die Gans ist raus von Bhagwan Shree Rajneesh

Der Beamte Riko bat einmal den Meister Nansen, ihm das alte Problem mit der Gans in der Flasche zu erklären. „Wenn man ein Gänseküken in eine Flasche steckt", sagte Riko, „und es füttert, bis es ausgewachsen ist, wie kann man dann die Gans herausholen, ohne sie zu töten oder die Flasche zu zerbrechen?" Nansen klatschte kräftig in die Hände und rief: „Riko!" „Ja, Meister?", schreckte der Beamte hoch. „Siehst du", sagte Nansen, „die Gans ist draußen." Dies ist der einzige und endgültige Witz in der Exi- stenz. Ihr seid erleuchtet, Ihr seid Buddhas - die so tun, als wären sie keine, die so tun, als wären sie jemand anders. Und meine ganze Arbeit hier ist, euch zu ent- larven. Seht doch, die Gans ist draußen! Ihr werdet jede Anstrengung machen, sie wieder in die Flasche zu stop- fen; denn wenn die Gans erstmal draußen ist, dann habt ihr keine Probleme mehr...

.. .Euer Leiden ist ein Witz. Ekstase ist eure wirkli- che Natur. Du bist Wahrheit. Du bist Liebe. Du bist Seligkeit. Du bist Freiheit.

Page 322: Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Nirvana - Die letzte Hürde auf dem Weg (1984, 351 S., Text)

Bhagwan Shree Rajneesh

Vorsicht Sozialismus

Neuerscheinung Fünf Vorträge aus dem Jahr 1970

Eine präzise und vernichtende Analyse der bestehenden sozialistischen Systeme. Wie keine andere Ideologie hat der Sozialismus die freie

Entfaltung des Individuums gelähmt und zerstört. Der wahre Sozialismus, sagt Bhagwan Shree

Rajneesh, kann nur aus kapitalistischem Überfluß entstehen - erst dann verschwinden Haß und

Habgier, Arm und Reich. 224 S., DM 12,80 • SFr 12.80 • ISBN 3-9800 883-2-4

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Vorsicht Sozialismus von Bhagwan Shree Rajneesh

Wenn der Mensch überhaupt etwas aus seiner Geschichte lernen soll, dann diese Lektion: Das Indivi- duum darf für nichts auf der Welt geopfert werden.

Selbst die größte Nation hat nicht das Recht, das Opfer auch nur eines einzigen Menschen zu fordern... weil der individuelle Mensch eine lebendige Bewußt- heit ist, und weil es gefährlich ist, diese lebendige Bewußtheit auf dem Altar eines Systems oder einer Organisation zu opfern, mögen sie noch so großartig sein.

...Irgendwann wird der Sozialismus kommen, das steht fest. Aber er wird kommen, nicht um den indivi- duellen Menschen auszulöschen, sondern um ihn zu erfüllen. Vorsicht vor einem Sozialismus, welcher kommt, um das Individuum auszulöschen! Es ist kein Sozialismus, sondern schlicht und einfach Mord am Individuum.

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D ieses kleine Buch beschreibt in prägnanter Kurzform alle wesentlichen Züge des Rajneeshismus: Bhagwans Vision von einem neuen Menschen, die Einrichtungen

und Feiern und die Funktionen der Priester dieser neuen Religion.

Als Anhang sind zwei Texte aus dem Jahr 1983 angefügt, in denen Bhagwan Shree Rajneesh „eine Krise von ungeheuren Ausmaßen" für die Jahre 1984 bis 1999

ankündigt.

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DIE MEDITATIONSTECHNIKEN VON

Bhagwan Shree

RAJNEESH Eine Schatzgrube voller Meditationstechniken für

jede Tageszeit, jede Situation und jeden Ort. Für den Alltag und zum Feiern. Eine Widerspiegelung von

Bhagwans Verständnis und Einblick in den Kern der menschlichen Natur.

Das orangene BUCH

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Vor tausend Jahren entstand in Tibet aus der tiefen Kommunion zwischen dem erleuchteten Meister Tilopa

und seinem Schüler Naropa der „Gesang von Mahamudra". Das ungewöhnliche Dokument stellt den

innersten Kern der Großen Lehre des Tantra dar. Bhagwan Shree Rajneesh erläutert dieses Dokument

höchster menschlicher Einsicht. Bhagwan hat einmal gesagt, daß Freud, Jung, Reich und die gegenwärtige Psychoanalyse im Westen ein Klima

für eine tantrische Explosion erzeugt haben, deren Zeitpunkt gekommen ist... heute.

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the RAjneesh BiBle

BHAGWAN SHREE RAJNEESH SPRICHT WIEDER

Allabendlich antwortet er auf Fragen seiner Schüler und Besucher.

Die Vorträge sind auf Video- und Audiokassetten erhältlich.

Bitte Informationsmaterial anfordern bei Rajneesh Services GmbH • Venloer Str. 5-7 • 5000 Köln 1

0221/5740743

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BÜCHER VON BHAGWAN SHREE RAJNEESH

veröffentlicht von der Rajneesh Foundation International Einen vollständigen Katalog mit Einzelbeschreibungen der Bücher der Rajneesh Foundation International erhalten Sie bei: Rajneesh Foundation International P. O. Box 9, Rajneeshpuram, Oregon 97 741 USA Tel.:001-503-489-33 01 Rajneesh Services GmbH

Venloer Straße 5 - 7, 5000 Köln 1, Tel.: 0221-5740743 Kota Rajneesh Neo-Sannyas Commune Baumackerstraße 42,8050 Zürich, Tel.: 01 - 31216 00

VERÖFFENTLICHUNGEN DER AKADEMIE DES RAJNEESHISMUS Rajneeshism an introduction to Bhagwan Shree Rajneesh and His religion The Book an introduction to the teachings of Bhagwan Shree Rajneesh

Band I von A-H, Band II von I- Q, Band III von P-Z

ANTWORTEN AUF FRAGEN Be Still and Know

The Goose is Out

My Way: The Way of the White Clouds

Walking in Zen, Sitting in Zen

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Walk Without Feet, Fly Without Wings and Think Without Mind Zen: Zest, Zip, Zap and Zing

DIE BAULS The Beloved (2 Bände)

BRIEFE UND FRÜHE SCHRIFTEN A Cup of Tea Briefe an Freunde From Sex to Superconsciousness

And Now, and Here (Band 1) Beware of Socialism

The Long and the Short and the All

The Perfect Way

In Search of the Miraculous (Band 1)

BUDDHA The Book of the Books (Band 1-4 bisher erschienen) Das Dhammapada The Diamond Sutra Das Vajrachchedika Prajnaparamita Sutra

The Discipline of Transcendence (4 Bände) Das Sutra der 42 Kapitel The Heart Sutra Das Prajnaparamita Hridayam Sutra

BUDDHISTISCHE MEISTER The Book of Wisdom (2 Bände) Atishas sieben Ermahnungen The White Lotus Die Sprüche Bodhidharmas

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CHASSIDISMUS The Art of Dying

The True Sage

INITIATIONSGESPRÄCHE ZWISCHEN MEISTER UND SCHÜLER

Hammer On The Rock (10. Dezember 1975-15. Januar 1976) Above All Don't Wobble (16. Januar-12. Februar 1976) Nothing To Lose But Your Head (13. Februar-12. März 1976) Be Realistic: Plan For a Miracle (13. März-6. April 1976) Get Out of Your Own Way (7. April-2. Mai 1976) Beloved of My Heart (3.-28. Mai 1976) The Cypress in the Courtyard (29. Mai-27. Juni 1976) A Rose is a Rose is a Rose (28. Juni-27. Juli 1976) Dance Your Way to God (28. Juli-20. August 1976) The Passion for the Impossible (21. August-8. September 1976) The Great Nothing (19. September-11. Oktober 1976) God is Not for Sale (12. Oktober-7. November 1976) The Shadow of the Whip (8. November-3. Dezember 1976)

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Blessed are the Ignorant (4.-31. Dezember 1976) The Buddha Disease (Januar 1977) What Is, Is, What Ain't, Ain't (Februar 1977) The Zero Experience (März 1977) For Madmen Only (Price of Admission: Your Mind) (April 1977) This Is It (Mai 1977) The Further Shore (Juni 1977) Far Beyond the Stars (Juli 1977) The No Book (No Buddha, No Theaching, No Discipline) (August 1977) Don't Just Do Something, Sit There (September 1977) Only Losers Can Win in this Game (Oktober 1977) The Open Secret (November 1977) The Open Door (Dezember 1977) The Sun Behind the Sun Behind the Sun (Januar 1978) Believing the Impossible Before Breakfast (Februar 1978)

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Don't Bite My Finger, Look Where I'm Pointing (März 1978) Let Go! (April 1978) The 99 Names of Nothingness (Mai 1978) The Madman's Guide to Enlightenment (Juni 1978) Don't Look Before You Leap (Juli 1978) Hallelujah! (August 1978) God's Got a Thing About You (September 1978) The Tongue-Tip Taste of Tao (Oktober 1978) The Sacred Yes (November 1978) Turn On, Tune In, and Drop the Lot (Dezember 1978) Zorba the Buddha (Januar 1979) Won't You Join the Dance? (Februar 1979) You Ain't Seen Nothin' Yet (März 1979) The Shadow of the Bamboo (April 1979) Be Realistic: Plan For a Miracle (Mai 1979) Snap Your Fingers, Slap Your Face And Wake Up (Juni 1979)

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The Sound of One Hand Clapping (März 1981)

JESUS Come Follow Me (4 Bände) Die Worte Jesu (Neues Testament) I Say Unto You (2 Bände) Die Worte Jesu (Neues Testament) The Mustard Seed

Die Worte Jesu (Thomas-Evangelium)

KABIR

The Divine Melody

Ecstasy: The Forgotten Language

The Fish in the Sea is Not Thirsty

The Guest

The Path of Love

The Revolution

MEDITATION The Orange Book - The meditation techniques of Bhagwan Shree Rajneesh

PHOTOBIOGRAPHIEN The Sound of Running Water Bhagwan Shree Rajneesh und sein Werk 1974 -1978

The Lotus Paradise Bhagwan Shree Rajneesh und sein Werk 1978 -1984

SUFISMUS Just Like That

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The Perfect Master (2 Bände)

The Secret

Sufis: The People of the Path (2 Bände) Unio Mystica (2 Bände) Die „Hadiqa" von Hakim Sanai

Until You Die

The Wisdom of the Sands (2 Bände)

TANTRA The Book of the Secrets (Band 4 und 5) Vigyana Bhairava Tantra

Tantra, Spirituality & Sex Auszüge aus: The Book of the Secrets

Tantra: The Supreme Understanding Tilopas Gesang vom Mahamudra

The Tantra Vision (2 Bände) über Sarahas Lied an den König

TAOISMUS The Empty Boat Tschuang Tse, Geschichten

The Secret of Secrets (2 Bände) Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tao: The Golden Gate (Band 1) The Pathless Path (2 Bände) Lieh Tse, Geschichten

Tao: The Three Treasures (4 Bände) Das „Tao Te King" von Lao Tse

When The Shoe Fits Tschuang Tse, Geschichten

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DIE UPANISCHADEN I Am That Isa Upanischade

The Ultimate Alchemy (2 Bände) Atma Puja Upanischade

Vedanta: Seven Steps to Samadhi Akshya Upanischade

Philosophia Ultima Mandukya Upanischade

WESTLICHE MYSTIKER The Hidden Harmony Die „Fragmente" des Heraklit

The New Alchemy: To Turn You On über Mabel Collins Buch „Light on the Path"

Philosophia Perennis (2 Bände) Die „Goldenen Verse" des Pythagoras Guida Spirituale Die „Desiderata"

Theologia Mystica Die Abhandlung des Hl. Dionysius

YOGA Yoga: The Alpha and the Omega (10 Bände) Die Yoga Sutren des Patanjali

Yoga: The Science of the Soul (Band 1-3) (urspr. Titel: „Yoga: The Adpha and the Omega")

ZEN Ah, This!

Ancient Music in the Pines

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And the Flowers Showered

Dang Dang Doko Dang

The First Principle

The Grass Grows By Itself Nirvana: The Last Barrier on the Path (urspr. Titel: The Last Nightmare) Zen: The Special Transmission

No Water, No Moon

Returning to the Source

A Sudden Clash of Thunder

Zen: The Path of Paradox (3 Bände)

ZEN-MEISTER The Search Die zehn Zen-Stiere

Take It Easy (2 Bände) über Ikkyus Gedichte This Very Body the Buddha Hakuins Lied der Meditation

BÜCHER ANDERER VERLAGE

Englische Bücher GROSSBRITANNIEN

The Book of the Secrets (Band 1) (Thames & Hudson) Roots and Wings (Routledge & Kegan Paul)

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The Supreme Doctrine (Routledge & Kegan Paul) Tao: The Three Treasures (Band 1) (Wildwood House)

USA

The Book of the Secrets (Band 1-3) (Harper & Row) The Great Challenge (Grove Press) Hammer on the Rock (Grove Press) I Am The Gate (Harper & Row) Journey Towards the Heart (ursprünglicher Titel: „Until You Die") (Harper & Row) Meditation: The Art of Exstasy (Harper & Row) The Mustard Seed (Harper & Row) My Way: The Way of the White Clouds (Grove Press) The Psychology of the Esoteric (Harper & Row) Roots and Wings (Routledge & Kegan Paul) The Supreme Doctrine (Routledge & Kegan Paul) Words Like Fire (ursprünglicher Titel: „Come Follow Me", Band 1) (Harper & Row)

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BÜCHER IN ANDEREN SPRACHEN DÄNISCH Hemmelighedernes Bog (Band 1) (Borgens Forlag)

Hu-Meditation Og Kosmisk Orgasme (Borgens Forlag)

DEUTSCH Auf der Suche (Sannyas Verlag)

Das Buch der Geheimnisse (Heyne Taschenbuch)

Das Orangene Buch (Sannyas Verlag)

Der Freund (Sannyas Verlag)

Sprung ins Unbekannte (Sannyas Verlag)

Ekstase: Die vergessene Sprache (Herzschlag Verlag, ehemals Ki-Buch)

Esoterische Psychologie (Sannyas Verlag)

Rebellion der Seele (Sannyas Verlag)

Ich bin der Weg (Sannyas Verlag)

Intelligenz des Herzens (Herzschlag Verlag, ehemals Ki-Buch)

Jesus aber schwieg (Sannyas Verlag)

Page 339: Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Nirvana - Die letzte Hürde auf dem Weg (1984, 351 S., Text)

Jesus der Menschensohn (Sannyas Verlag) Kein Wasser, Kein Mond (Herzschag Verlag, ehemals Ki-Buch) Komm und folge mir (Sannyas Verlag) Meditation: Die Kunst zu sich selbst zu finden (Heyne Verlag) Mein Weg: Der Weg der weißen Wolke (Herzschlag Verlag, ehemals Ki-Buch) Mit Wurzeln und mit Flügeln (Edition Lotus) Nicht bevor du stirbst (Edition Gyandip, Schweiz) Die Schuhe auf dem Kopf (Edition Lotus) Das Klatschen der einen Hand (Edition Gyandip, Schweiz) Spirituelle Entwicklung (Fischer) Vom Sex zum Kosmischen Bewußtsein (New Age) Yoga: Alpha und Omega (Edition Gyandip, Schweiz) Sprengt den Fels der Unbewußtheit (Fischer) Tantra: Die höchste Einsicht (Sannyas Verlag) Tantrische Liebeskunst (Sannyas Verlag)

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Die Alchemie der Verwandlung (Edition Lotus) Die verborgene Harmonie (Sannyas Verlag) Was ist Meditation? (Sannyas Verlag) Rajneeshismus - Bhagwan Shree Rajneesh und seine Religion. Eine Einführung (Rajneesh Foundation International) Die Gans ist raus (Rajneesh Foundation Europe) Vorsicht Sozialismus (Rajneesh Foundation Europe) Nirvana, die letzte Hürde auf dem Weg (Rajneesh Foundation Europe)

FRANZÖSISCH

L'éveil à la Conscience Cosmique (Dangles) Je Suis La Porte (EPI) Le Livre Des Secrets (Band 1) (Soleil Orange) La Meditation Dynamique (Dangles)

GRIECHISCH

I Krifi Armonia (The Hidden Harmony) (Emmanual Rassoulis)

HEBRÄISCH

Tantra: The Supreme Understanding (Massada)

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ITALIENISCH L'Armonia Nascosta (Band 1 und 2) (Re Nudo)

Dieci Storie Zen di Bhagwan Shree Rajneesh (Né Aqua, Né Luna) (Il Fiore d'Oro)

La Dottrina Suprema (Rizzoli)

Dimensioni Oltre il Conosciuto (Mediterranee)

Estasi: Il Linguaggio Dimenticato (Riza Libri)

10 Sono La Soglia (Mediterranee)

11 Libro Arancione (Mediterranee)

Il Libro dei Segreti (Bompiani)

Meditazione Dinamica: L'Arte dell'Estasi Interiore (Mediterranee) Nirvana: L'Ultimo Incubo (Basaia)

La Nuova Alchimia (Psiche)

Philosophia Perennis (Alkaest)

La Rivoluzione Interiore (Mediterranee)

La Ricerca (La Salamandra)

Page 342: Osho - Bhagwan Shree Rajneesh - Nirvana - Die letzte Hürde auf dem Weg (1984, 351 S., Text)

Il Seme della Ribellione (Band 1-3) (Rajneesh Foundation Italiy) Tantra: La Comprensione Suprema (Bompiani) Tao: I Tre Tesori (Band 1-3) (Re Nudo) Tecniche di Liberazione (La Salamandra) Semi di Saggezza (SugarCo) Rajneeshismo Una introduzione a Bhagwan Shree Rajneesh e la sua religione

JAPANISCH

Dance Your Way to God (Rajneesh Publications) The Empty Boat (Band 1 und 2) (Rajneesh Publications) From Sex to Superconsciousness (Rajneesh Publications) The Grass Grows by Itself (Fumikura) The Heart Sutra (Merkmal) Meditation: The Art of Ecstasy (Merkmal) The Mustard Seed (Merkmal) My Way: The Way of the White Clouds (Rajneesh Publications)

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The Orange Book (Wholistic Therapy Institute) The Search (Merkmal) The Beloved (Band 1 und 2) (Merkmal) Tantra: The Supreme Understanding (Merkmal) Tao: The Three Treasures (Band 1-4) (Merkmal) Until You Die (Fumikura) Rajneeshism an introduction to Bhagwan Shree Rajneesh and His religion

NIEDERLÄNDISCH

Drink Mij (Ankh-Hermes) Het Boek Der Geheimen (Band 1-5) (Mirananda) Geen Water, Geen Maan (Mirananda) Gezaaid In Goede Aarde (Ankh-Hermes) Ik Ben De Poort (Ankh-Hermes) Ik Ben De Zee Die Je Zoekt (Ankh-Hermes) Meditatie: De Kunst van Innerlijke Extase (Mirananda)

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Mijn Weg, De Weg van de Witte Wölk (Arcanum) Het Mosterdzaad (Bandi und2) (Mirananda) Het Oranje Meditatieboek (Ankh-Hermes) Psychologie en Evolutie (Ankh-Hermes) Tantra: Het Allerhoogste Inzicht (Ankh-Hermes) Tantra, Spiritualiteit en Seks (Ankh-Hermes) De Tantra Visie (Band 1) (Arcanum) Tau (Ankh-Hermes) Totdat Je Sterft (Ankh-Hermes) De Verborgen Harmonie (Mirananda) Volg Mij (Ankh-Hermes) Zoeken naar de Stier (Ankh-Hermes)

PORTUGIESISCH (BRASILIEN)

O Cipreste No Jardim (Soma) Dimensöes Além do Conhecido (Soma) O Livro Dos Segredos (Bandi) (Maha Lakshmi Editora)

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Eu Sou A Porta (Pensamento) A Harmonía Oculta (Pensomento) Meditacáo: A Arte Do Extase (Cultrix) Meu Caminho: O Comainho Das Nüvens Brancas (Tao Livraria & Editora) Nem Agua, Nem Lúa (Pensamento) O Livro Orange (Soma) Palavras De Fogo (Globall Ground) A Psicologia Do Esotérico (Tao Livrarai & Editora) A Semente De Mostarda (Band 1 und 2) (Tao Livrarai & Editora) Tantra: Sexo E Espiritualidade (Agora) Tantra: A Supreme Comprensao (Cultrix) Antes Que Voce Morra (Maha Lakshmi Editora) Extase: A Linguagem Esquecida (Global) Arte de Morrer (Global) SCHWEDISCH Den Väldiga Utmaningen (Livskraft)

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SPANISCH Introducción al Mundo del Tantra (Colección Tantra) Meditación: El Arte del Extasis (Colección Tantra) Psicológia de lo Esotérico: La Nueva Evolución del Hombre (Cuatro Vientos Editarial) ¿Qué Es Meditatión? (Koan/Roselló Impresions) Yo Soy La Puerta (Editorial Diana) Solo Un Cielo (Band 1 und 2) (Colección Tantra) El Sutra del Corazon (Sarvogeet) Ven, Sigúeme (Band 1) (Sagaro)

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RAJNEESH MEDITATIONS-ZENTREN, ASHRAMS UND KOMMUNEN

Es folgt eine Liste der Rajneesh Neo-Sannyas Ashrams und Kommunen, der Sie die Adresse des Ihnen am nächsten gelegenen Zentrums ent- nehmen können. Dort erfahren Sie auch, wo Sie Bücher von Bhagwan Shree Rajneesh auf englisch oder in fremdsprachigen Ausgaben bekommen können. Allgemeine Informationen sind bei der Rajneesh Foundation International in Rajneesh- puram, Oregon, erhältlich.

AMERIKA USA: RAJNEESH FOUNDATION INTERNATIONAL P.O.Box9, Rajneeshpuram, OR97741 Tel.: (503)489-3301 UTSAVA RAJNEESH MEDITATION CENTER 20062Laguna Canyon Rd., LagunaBeach, CA92651 Tel.: (714) 497-4877 CANADA: SHANTI SAD AN RAJNEESH MEDITATION CENTER 1817 Rosemont, Montreal, Quebec H2G 1S5 Tel.:(514)272-4566 BRASILIEN: UDGITI RAJNEESH MEDITATION CENTER R. Macaubal 7, Sumare, 01256 Säo Paulo

AFRIKA

PREETAM RAJNEESH MEDITATION CENTER Spring Valley Estate, P.O.Box 10256, Nairobi, Kenya Tel.: 582093

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ASIEN INDIEN: RAJ YOGA RAJNEESH MEDITATION CENTER C5/44 Safdarjang Development Area, New Delhi 100016 Tel.: 654533 RAJNEESHDHAM NEO-SANNYAS COMMUNE 17 Koregaon Park, Poona 411001, MS Tel.: 28127 JAPAN: SHANTIYUGA RAJNEESH MEDITATION CENTER Sky Mansion 2F, 1-34-1 Okayama, Meguro-ku, Tokyo Tel.: (03)724-9631

AUSTRALIEN

MESTO RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE 4 A Ormond St., Paddington, NSW2021 Tel.: (02)336570 SAHAJAM RAJNEESH NEO-SANNYAS ASHRAM 6 Collie Street, Fremantle 6160, W. A. Tel.: (09)336-2422

EUROPA NIEDERLANDE: DE STAD RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Prinsengracht 719,1017 JW Amsterdam Tel.:020-221296 SCHWEIZ: KOTA RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Baumackerstraße 42, 8050 Zürich Tel.:01-3121600 WESTDEUTSCHLAND: AMIT RAJNEESH MEDITATION CENTER Friesenstraße 15, 3000 Hannover Tel.:0511-342217 BAILE RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Karolinenstraße 7-9,2000 Hamburg 6 Tel.:040-432140

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DÖRFCHEN RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Kurfürstendamm 102,1000 Berlin 31 Tel.: 030-32000725/26 RAJNEESH BYEN NEO-SANNYAS COMMUNE Klenzestraße 41, 8000 München 5 Tel.:089-269077 RAJNEESH STADEN NEO-SANNYAS COMMUNE Kartäuserstraße 96,7800 Freiburg Tel.:0761-31402 WIES RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Schloßstraße 60 A, 7000 Stuttgart 1 Tel.:0711-610571 WIOSKA RAJNEESH NEO-SANNYAS COMMUNE Venloer Straße 5/7,5000 Köln 1 Tel.: 0221-5740730/31

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