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PERS NAL FÜHRUNG DAS FACHMAGAZIN FÜR PERSONALVERANTWORTLICHE AUSGABE 7-8.2016  / € 9,80 www.dgfp.de Agilität und Effizienz richtig ausbalancieren Themenschwerpunkt Agiles Personalmanagement „Wer nicht reagiert, wird abgehängt“ Sabine Josch über den digitalen Wandel, neue Arbeitsformen und veränderte Unternehmenskultur Neu: PERSONAL- FÜHRUNG- Newsletter

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PERS NAL FÜHRUNG

DAS FACHMAGAZIN FÜR PERSONALVERANTWORTLICHE

AUSGABE 7-8.2016  / € 9,80 www.dgfp.de

Agilität und Effizienz richtig ausbalancieren

Themenschwerpunkt Agiles Personalmanagement

„Wer nicht reagiert, wird abgehängt“Sabine Josch über den digitalen Wandel, neue Arbeitsformen und veränderte Unternehmenskultur

Neu: PERSONAL-FÜHRUNG-Newsletter

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

1E D I T O R I A L

Agiles Personalmanagement

KATHARINA HEUER ▶ DGFP-Geschäftsführerin und Herausgeberin der PERSONALFÜHRUNG

Für viele Unternehmen liegt die Antwort auf die Herausfor-derungen sich immer schneller verändernder Märkte in der Agilität – also dem dynamischen Zusammenspiel mehrerer Elemente oder Akteure in einem offenen System. Doch agile Arbeitsweisen eignen sich nicht unbedingt per se in allen Un-ternehmensbereichen. Insbesondere dort, wo stabile Rahmen-bedingungen vorherrschen, Prozesse wenig komplex sind und Skaleneffekte erzielt werden sollen, liegen die Stärken klassi-scher effizienzorientierter Arbeitskonzepte. HR steht daher in Abhängigkeit von der jeweils zu lösenden Aufgabe vor der He-rausforderung, sowohl effizienz- als auch agilitätsorientierte Arbeitsweisen im Unternehmen zu fördern. Ruth Stock-Hom-burg, Matthias Groß und Daniel Roller plädieren deshalb für ein integriertes Personalmanagement (S. 18).

Um die Anforderungen der Fachabteilungen zu erfüllen, muss sich das Personalmanagement ständig an die sich ändernden Ge-gebenheiten der Umwelt sowie die variierenden Anforderungen der Abteilungen anpassen und darauf flexibel reagieren. Wie sich bewährte Methoden des agilen Projektmanagements auf das HR-Management übertragen lassen, beschreiben Herbert Gölzner, Christine Heldmann und Marco Ahammer (S. 26).

Axel Springer verfolgt Digitalisierung und Transformation kon-sequent, zügig und erfolgreich. Dabei ist für das Verlagshaus das innovative und agile Unternehmen Zielbild der Veränderung. Dieses beschreibt einen Ort, an dem interdisziplinäre Teams schnell Ideen und Prototypen entwickeln, diese testen und aus Feedback und Fehlern lernen, um das Produkt noch besser und erfolgreicher zu machen. Johannes Burr erläutert, was in der HR-Funktion bei Springer unter Agilität verstanden wird, warum Transformation ein Zielbild voraussetzt, diese sowohl bei der Per-son als auch der Organisation ansetzen muss und wie die Perso-nalentwicklung agile Produkte erstellen kann (S. 32).

Im Tech-Bereich von Zalando sind aufgrund des kräftigen Wachs-tums der vergangenen Jahre Führungsstrukturen entstanden, die den Anforderungen eines sich permanent wandelnden, dynami-schen Marktes zuletzt nicht mehr vollständig gerecht geworden sind. Zusammen mit Kienbaum hat der Online-Retailer daher mit „Radical Agility Leadership“ im Tech-Bereich ein neues Führungs-modell entwickelt. Kennzeichnend dafür sind drei unterschiedliche Führungsrollen. Für diese Rollen wurden mit der Hilfe von agilen

„Development Talks“ passende Führungs-kräfte identifiziert, berichten Maren Kroll, Isabella Efthimiou und Jan-Marek Pfau (S. 40).

Bei OTTO ist die digitale Transformation gelungen, anders als bei vielen ehemaligen Wettbewerbern, die nicht mehr exisitieren. Früher ein klassischer Katalog-Versandhänd-ler, betreibt das Hamburger Unternehmen heute den weltweit zweitgrößten Online-Shop für den Endverbraucher und erzielt 90 Prozent seines Umsatzes im Online-Handel. „Wer nicht reagiert, wird abge-

hängt“, sagt Sabine Josch, Personaldirektorin bei OTTO. Im He-rausgeber-Interview spricht sie über den digitalen Wandel, neue Arbeitsformen und veränderte Unternehmenskultur (S. 50).

Mit seinem Cultural Executive Education Program (CEEP) hat der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI ein einzigarti-ges Weiterbildungsprogramm für High Potentials in der Wirt-schaft entwickelt. Das Seminar schärft kulturelle Kompetenzen und ist dafür konzipiert, Personalentwicklungs- und HR-Strate-gien von Unternehmen und Institutionen nachhaltig zu berei-chern. In der Interaktion mit Intendanten, Künstlern, Dirigenten, Literaten, Kunstsammlern und Kuratoren werden neue Lösungs-wege für Problemstellungen in der Arbeitswelt aufgezeigt, die Re-flexionsfähigkeit gestärkt und innovatives Denken gefördert (S. 56).

Mit einem Newsletter wollen wir künftig Ihnen, den Lesern der PERSONALFÜHRUNG, einen zusätzlichen Service bieten. Per Mail informieren wir Sie über die Inhalte der neuesten Ausgabe und aktuelle Entwicklungen im deutschen Personalmanagement. Als re-gelmäßiger Bezieher des Magazins erhalten Sie den Newsletter auto-matisch. Wir freuen uns über Ihr Feedback an [email protected].

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und bedanke mich ganz herzlich bei allen, die an der aktuellen Ausgabe mitgewirkt haben. • ●

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

2 I N H A L T A U S G A B E 7 - 8 / 2 0 1 6

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Agiles Personalmanagement

Der Schwerpunkt im Überblick

AKTUELLES THEMENSCHWERPUNKT

04 EVIDENZ TO GOWas bringt Coaching?

06 HR VOR ORTDGFP-Tagung zur Bildungspolitik, HR Innovation Roadshow

08 HR PERSÖNLICHAngela Titzrath, Klaus-Dieter Peters, Joachim Sauer, Anke Schmidt, Bettina Orlopp, Frank Annuscheit, Katja Steinweg, Dieter Babiel, Gabriele Fanta

12 KURZ GESAGTChange-Ausbildung macht fit für Digitalisierung, Studie „Mobiles Arbeiten“, VisionForum 2016 zur Zukunft der Arbeit

18 AGIL UND EFFIZIENTRuth Stock-Homburg / Matthias Groß / Daniel Roller, Darmstadt

26 PRINZIPIEN AGILEN PERSONALMANAGEMENTSHerbert Gölzner / Christine Heldmann / Marco Ahammer, Salzburg

32 HR-PRODUKTE BEI AXEL SPRINGERJohannes Burr, Berlin

40 ZALANDO MIT NEUEM FÜHRUNGSMODELLMaren Kroll / Isabella Efthimiou / Jan-Marek Pfau, Berlin

46 DISKUSSIONSIMPULS DGFPKatharina Heuer, Frankfurt/M. / Christian Lorenz, Berlin

48 AGILES PERSONALMANAGEMENTMaterialien für die Personalarbeit

18 Zwischen Agilität und Effizienz Agile Arbeits-weisen sind kein Allheilmittel: Unternehmensbereiche, die durch stabile Rahmenbedingungen und einfache Prozesse geprägt sind, erfordern eher effizienzorien-tierte Arbeitskonzepte. Die Kunst besteht darin, Agilität und Effizienz richtig auszubalancieren – durch integriertes Personalmanagement.

26 Flexibel reagieren Die Märkte verändern sich immer schneller – und mit ihnen die Anforderungen an Führungskräfte. Agiles

Personalmanagement geht einen Schritt über das gängige HR-Business-

Partner-Konzept hinaus, indem HR-Aktivitäten zeitlich begrenzt, situationsabhängig angepasst

und autonom gestaltet werden.

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

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Agiles Personalmanagement

Der Schwerpunkt im Überblick

SERVICEFACHBEITRÄGEHERAUSGEBER-INTERVIEW

50 „SILOS EINREISSEN“Sabine Josch, Personaldirektorin des Online-Händlers OTTO, über den digitalen Wandel und die Spuren, die er in der Unter-nehmenskultur hinterlässt. Das Personalma-nagement sei dann besonders stark, sagt sie, wenn es in vorderster Reihe Verände-rungsprozesse mitgestalte. Dazu müssten Silos eingerissen und interdisziplinäre Teams gebildet werden.Katharina Heuer, Frankfurt/M.

76 AKTUELLE RECHTSPRECHUNG72 ARBEITSRECHT74 BILDNACHWEISE68 BÜCHER

70 DIGITALE FÜHRUNG Es geht nicht nur um IT und neue Technologien, wenn Unter-nehmen die digitale Transformation einleiten. Mindestens ebenso wichtig seien menschliche, kulturelle und soziale Aspekte, betonen Martin A. Ciesielski und Thomas Schutz in ihrem neuen Buch „Digitale Führung“. PERSONALFÜHRUNG hat Ciesielski zum Autorengespräch gebeten.

01 EDITORIAL74 INSERENTEN78 LOHNSTEUERRECHT14 TERMINE80 VORSCHAU / IMPRESSUM

56 FÜHREN DURCH KUNSTMit dem Cultural Executive Education Program (CEEP) schärft der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. die kultu-rellen Kompetenzen von Führungskräften. Plus: Interview mit BASF-Arbeitsdirektorin Margret SuckaleJuliet Kothe / Dorothea Lemme, Berlin

62 ALTER IST RELATIVDas Best-Practice-Beispiel Mercedes-Benz zeigt, dass Mitarbeiter lern- und leistungs-fähiger sind, wenn ihr Unternehmen umdenkt: von einer defizit- zu einer poten-zialorientierten Bewertung des Alters.Fabiola H. Gerpott / Heino Niederhausen / Sven C. Voelpel, Bremen

32 „Walk the Talk“ Die Axel Springer SE wandelt sich von einem klassi-schen Verlagshaus zu einem digitalen Medienunternehmen. Die Personal-entwicklung begleitet diesen Prozess intensiv und verdient sich so das Prä-dikat „agil“. Wichtige Erkenntnis: HR-Produkte „von der Stange“ haben keine Zukunft, sie werden durch bewegliche Angebote ersetzt.

40 Pragmatisch und wertschätzend Zusam-men mit Kienbaum bringt der Online-Händler

Zalando ein neues Führungsmodell an den Start: „Radical Agility Leadership“ zeichnet sich durch drei unterschiedliche Führungsrollen aus. Geeig-nete Kandidaten für diese Rollen werden durch

„Development Talks“ identifiziert.

46 DGFP-Standpunkt: Believe the hype!Agiles Vorgehen kann Organisationen schneller reagieren und näher an die Bedürfnisse ihrer internen wie externen Kunden heranrücken lassen. Wer aber glaubt, Agilität per Order ausrufen zu können, der irrt. Notwendig sind ein Kulturwandel und eine Organisationsanpassung zugleich, die durchaus Jahre dauern können.

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

39WO IST MEIN SCHREIBTISCH? MOBILES UND FLEXIBLES ARBEITENWie Unternehmen die Arbeit für ihre Mitarbeiter mobil und flexibel gestalten können

DGFP // KOMPETENZ-

FORUMLösungsansätze

für die Praxis

// Die Grundprinzipien mobiler und flexibler Arbeit Mehrwert für Unternehmen und Mitarbeiter, Modelle, Voraussetzungen

// Die rechtlichen Rahmenbedingungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, Daten- und Informationsschutz, Arbeitszeit, Haftungsfragen

// Der Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit Gefährdungsbeurteilung, gesetzliche Verpflichtungen etc.

// Die Erfahrungen aus der Unternehmenspraxis Betriebsvereinbarungen, Auswahlkriterien, Arbeitszeit/Nichterreichbarkeit, Implementierung, Stolpersteine etc.

Praxisbeispiele aus zahlreichen Unternehmen, Vorträge mit hohem Praxisbezug und kleine Gruppen für den Erfahrungsaustausch und die Diskussion www.dgfp.de/mobiles-und-flexibles-arbeiten

Diskutieren Sie u.a. mit diesen ExpertenDr. Peter Cammerer, Betriebsrat, BMW GroupDr. Andreas Hoff, Inhaber, Dr. Hoff ArbeitszeitsystemeBirgit Isenmann, Human Resources, Robert Bosch GmbH Monika Kwiatkowski, Senior Expert Time Management, Merck GroupEsther Löb, Talent Acquisition Lead, Microsoft Deutschland GmbHProf. Dr. Jochen Prümper, Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) BerlinArno Rühl, Group Headquarters & Group Services, Deutsche Telekom AGDr. André R. Zimmermann LL.M., Fachanwalt für Arbeitsrecht, Orrick, Herrington & Sutcliffe LLP

Weitere Ausbildungen und Veranstaltungen zu Personal management- und Personalführungsthemen finden Sie unter: akademie.dgfp.de

Wir beraten Sie gerne! Fon 069 713785-200, E-Mail [email protected]

DIE THEMEN IM FOKUS

08. November 2016, Telekom AG, Bonn

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

D I S K U S S I O N S I M P U L S D G F P

Fast 15 Jahre nachdem das „Agile Manifest“ von einer Gruppe aus 17 renommierten Softwareentwicklern veröffentlicht wurde, scheint der Trend im Personalmanagement angekommen zu sein. Alles und jeder ist agil oder will es sein. Ob HR-Manager, Teams, die ganze Organisationseinheit oder das eigene Tun: Agilität ist das Schlagwort unserer Zeit. Mehr noch, der Agilität hängt fast etwas Mystisches an: Agilität scheint der Heilsbringer in einer Welt voll eingefahrener Prozesse, starrer Hierarchien und klarer Verantwortlichkeiten respektive Zuständigkeiten zu sein. Agilität verspricht Innovation, Geschwindigkeit und Kreativität.

Klar, Agilität bekommen wir nicht zum Nullpreis, soweit haben wir verstanden. Wir müssen loslassen können, müssen Verant-wortung übernehmen, über den Tellerrand schauen, uns vernet-zen, ganzheitlich denken und so weiter. Aber mal ehrlich, das sollte doch kein Problem sein, das machen wir – zumindest aus unserer eigenen Wahrnehmung – doch sowieso schon immer. Fasst man nach, wird man genauer, so wird das Eis oft dünn. Kaum einer von uns weiß tatsächlich, wie er den Begriff definie-ren soll, was sich dahinter verbirgt. Agilität ist vor allem ein At-tribut, das wir uns gerne zuschreiben – dem Begriff Flexibilität geht es ähnlich.Zwei Fragen drängen sich auf: Warum kommt das Schlagwort erst jetzt so richtig im Personalmanagement an, und was verbirgt sich dahinter?

DEN TREND SETZTEN ANDERE – WARUM ERST JETZT?

Im IT-Bereich ist man schon vor Jahren zu der Erkenntnis ge-kommen, dass die tradierten Vorgehensweisen nur bedingt hel-fen bei der Umsetzung von Projekten „in time and budget“. Fast noch relevanter: Jeder, der sich einmal daran gemacht hat, ein Lastenheft – sprich einen Anforderungskatalog – für ein Produkt zu definieren, wird wissen, wie schwierig es ist, alle Eventualitä-ten bereits im Vorfeld zu bedenken. Agile Ansätze beziehungs-weise Frameworks, wie zum Beispiel Scrum, können helfen, in iterativen kurzen Sprints sich dem Ziel – einer Website, einer App, einer Fachanwendung et cetera – Stück für Stück zu nähern und immer wieder gegenzusteuern, ohne das finale Ergebnis be-reits im Voraus zu kennen. Dieses vermeintliche Try-and-error-

Agiles Personalmanagement: Believe the hype?

Verfahren übt einen großen Reiz aus – auch außerhalb der Softwareentwicklung.

In einem geschäftlichen Umfeld, das zu-mindest gefühlt immer unberechenbarer und unstabiler wird, suchen wir nach Lö-sungsansätzen, die eine schnelle Anpassung an sich permanent verändernde Rahmen-bedingungen ermöglichen. Warum aber kommt der Ansatz im Vergleich zu den Entwicklungsabteilungen erst jetzt in der Breite im Personalmanagement an? Die Antwort ist kurz: vielleicht weil das Perso-nalmanagement nicht immer an der Speer-spitze der Bewegung die Trends setzt, son-dern abwartet, was sich bewährt, um es dann zu adaptieren. Das wäre die positive Formulierung. Spannender ist jedoch die Frage, was hinter einem agilen Vorgehen im Personalmanagement eigentlich steckt und was es bringt.

WEG VOM PROZESS – REIN IN DIE VERANTWORTUNG

Die Musterdefinition für ein „agiles Per-sonalmanagement“ existiert nicht, die Band-breite der Ausprägungen reicht „von... bis...“. Im Kern geht es aber immer um die Frage, wie HR flexibel und vor allem schnell auf veränderte Anforderungen aus dem Business reagieren kann. Das agile Vorgehen steht damit in einem Spannungs-verhältnis zu den festen Prozessen und kla-ren Hierarchien. Zu welchem Grad sich Unternehmen oder Funktionen von die-sen lösen, entscheidet also – etwas verkürzt formuliert – über den Grad ihrer Agilität. Was heißt aber Lösen von festen Prozes-sen und klaren Hierarchien beziehungs-weise Verantwortlichkeiten konkret? Pro-

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

zesse dienen im Wesentlichen dazu, Abläufe zu standardisieren und damit effizienter zu gestalten. Gleichzeitig erschweren es die-se, auf veränderte Rahmenbedingungen schnell zu reagieren. Ver-einfacht gesagt, verlagert sich beim agilen Vorgehen folgerichtig der Fokus vom Prozess zum Team oder Mitarbeiter. Sie stehen in der Verantwortung, im gesetzten Rahmen passende Lösungen zu finden. Sie tragen dafür die Verantwortung, haben aber auch die notwendigen Freiräume. Die Arbeit wird also autonomer, we-niger prozessgetrieben.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Wenn in Projektkontexten ge-dacht wird, nicht in Hierarchieebenen, wenn in kurzen Interval-len und nicht langfristigen Zeiträumen geplant wird, wenn aus kleinen Zellen und Teams heraus agiert wird und nicht aus gro-ßen Organisationseinheiten, kann das, was seit langer Zeit gefor-dert wird, tatsächlich Realität werden: Das Personalmanagement kann näher an die Anforderungen des Business heranrücken und schneller reagieren. Gleichzeitig, und das ist die schlechte Nach-richt, kann es sich nicht mehr hinter Prozessen und Instrumen-ten verstecken. Der Wind weht härter und schneller. Keine ver-lockende Aussicht für jeden. Auch das muss gesagt werden.

AUF DEM WEG ZUR AGILEN ORGANISATION – WELCHE ROLLE KANN HR SPIELEN?

Welche Rolle kann HR auf dem Weg zu einer agilen Gesamtor-ganisation spielen? Professorin Dr. Ruth Stock-Homburg von der TU Darmstadt beschreibt es schön: „Die Unterstützung der Ar-beitsweisen durch HR kann indirekt oder direkt erfolgen.“ Indi-rekt kann das Personalmanagement auf Organisation, Führungs-verständnis und Unternehmenskultur einwirken, direkt nimmt HR Einfluss über das Recruiting von Personen mit dem richti-gen „Mindset“, die Personalentwicklung, die Performance-Bewer-tung, die Vergütung und so weiter. HR kann, wenn es die Zei-chen der Zeit richtig deutet, durchaus seinen Anteil bei der Ent-wicklung hin zu einer agilen Organisation haben.

Hier zeigt sich gleichzeitig auch das Dilemma: Der Weg ist ein weiter, eine Umstellung erfolgt nicht über Nacht. Agilität ist nichts, was sich verordnen oder gar beschließen lässt. Vielmehr müssen wesentliche Bereiche angegangen werden. Wenn Ziele

beispielsweise nicht mehr langfristig gesetzt werden können, wie erfolgt dann eine am Grad der Zielerreichung ausgerichtete Ver-gütung? Wenn Führungskräfte weit weni-ger stark inhaltlich und fachlich in Projek-te involviert sind, wer bewertet dann die Performance der Mitarbeiter? Nicht, dass es auf diese Fragen keine Antworten gäbe, die Implementierung in der Organisation und den Köpfen der Mitarbeiter und Füh-rungskräfte jedoch dauert lange.

BELIEVE THE HYPE – ABER MIT LANGEM ATEM

Agilität aber ist kein Wundermittel oder Heilsbringer, noch löst es die Probleme starrer Hierarchien, strikter Prozesse und klarer Zuständigkeiten über Nacht. Also: Don't believe the hype? Das nun auch wie-der nicht. Agiles Vorgehen kann Organi-sationen oder Organisationseinheiten – und somit auch das Personalmanagement – schneller reagieren und näher an die Be-dürfnisse ihrer internen wie externen Kun-de heranrücken lassen. Allein deswegen lohnt es sich, die Konzepte und Ansätze näher zu beleuchten und zu verstehen. Wer aber glaubt, Agilität per Order ausrufen zu können, der irrt. Es ist ein Mind Shift, ein Kulturwandel und eine Organisationsan-passung zugleich, die, glaubt man denen, die es durchlaufen haben, durchaus Jahre dauern kann. Ein langer Atem und viel Wandlungsfreude sind also gefragt. ●

Katharina Heuer, Geschäftsführerin der DGFP e.V.

Christian Lorenz, Leiter des Hauptstadtbüros der DGFP e.V.

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48 SCHWERPUNKT A G I L E S P E R S O N A L M A N A G E M E N T

DAS PRAXISPAPIER DER DGPF „Agile Unter-nehmen – Agiles Personalmanagement“ sticht aus der Vielzahl an Literatur, die sich derzeit mit dem Thema Agilität beschäftigt, hervor. Zum einen weil sich das Papier, das noch unter der wissenschaft-lichen Ägide von Professor Dr. Sascha Armutat und unter der Mitarbeit von Unternehmen, Be-ratern und Wissenschaftlern entstanden ist, dezidiert mit der Rolle des Personalmanagements in agilen Unternehmen beziehungsweise bei deren Entwick-lung beschäftigt. Zum anderen weil mit dem Pra-xispapier der Versuch gestartet wird, einen systematischen Rah-men für die Personalarbeit in agilen Unternehmen anzudenken und anzubieten. Im Einzelnen befasst sich das Papier mit „Eck-punkten“ und „Merkmalen“ agiler Unternehmen. Dann widmet es sich den „Aufgaben des Personalmanagements“ bei der Entwick-lung agiler Unternehmen und benennt zentrale „Gestaltungsfelder“ der Funktion. Demnach ist es Aufgabe des Personalmanagements,

WELCHE HERAUSFORDERUNGEN kommen auf das Personal-management in Unternehmen zu, die agile Methoden und insbe-sondere Scrum einsetzen? Mit dieser Frage haben sich Boris Gloger und André Häusling in ihrem Buch „Erfolgreich mit Scrum. Ein-flussfaktor Personalmanagement“ systematisch entlang der gesam-ten HR-Prozesskette auseinandergesetzt. Der Einsatz agiler Me-thoden wirkt sich aber nicht nur auf Beschaffung und Auswahl

von Talenten, Talent Management und Retention, Performance Management, Compensation und Benefits sowie Tren-nungsmanagement und Leadership aus. Vielmehr muss sich die Funktion nach Ansicht der Autoren selbst wandeln, will sie in einem agilen Umfeld andere erfolgreich unterstützen. Danach muss sich HR intensiv mit dem Geschäft sei-ner Kunden auseinandersetzen und die-sen „rasch und adäquat“ Lösungen anbie-ten können. In einem agilen Umfeld muss HR zudem die eige nen Prozes se verschlanken, beschleunigen sowie trans-parent darstellen und die von der Funk-

DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PERSONALFÜHRUNG (DGFP) E.V. (2016) ▶ Agile Unternehmen – Agiles Personalmanagement. PraxisPapier, Best Practices 01/2016.

Kostenfreier Download unter static.dgfp.de/assets/publikationen/2016/2016-02-09-Praxispapieragileor-ganisationen.pdf

BORIS GLOGER / ANDRÉ HÄUSLING ▶ Erfolgreich mit Scrum. Einflussfaktor Personalmanagement.

Hanser, 2011, 219 S., € 34,90 ISBN 978-3-446-42515-6

Agiles Personalmanagement kompakt Materialien für die Personalarbeit

zunächst beim Design agiler Organisationsstrukturen, einer agilen Arbeitsorganisation, einer agilen Unter-nehmenskultur und beim Lernen und Wissensaus-tausch mitzuwirken. Daneben ist es Aufgabe der

Funktion, agile Mitarbeiter zu gewinnen, zur Verfügung zu stellen und zu entwickeln sowie „agile Führung“ zu designen. Daneben umfasst Personalmanagement in agilen Unternehmen Design und Begleitung ständiger Veränderungen sowie, Impulse für agile Or-ganisationen zu setzen. In dieser Hinsicht, so die Quintessenz, muss die Funktion selbst Vorbild für Agilität sein und entspre-chend agieren, etwa im Rahmen von HR-Projekten. •

tion eingesetzten Instrumente und Projekte an agilen Prinzipien ausrichten.

2016 erscheint von Boris Gloger zudem die fünfte Auflage von „Scrum. Produkte zuverlässig und schnell entwickeln“. Das Buch zeigt angefangen von den Prinzipen der Methode über Rollen, stra- te gi sche Planung und Produktentstehung (Sprints) bis hin zu Re-

por ting und nicht zuletzt Leadership, wie Scrum eingesetzt werden kann. In der neuen Auflage sind ganze Passagen neu verfasst, und in so manches Kapitel ha-ben die Autoren inhaltlich gravierend ein-gegriffen. Hinzugekommen sind außer- dem Fallstudien aus den Unterneh men EWE (Oldenburg) und Holtzbrinck. In dem globalen Medienunternehmen sind unter Leitung von Dr. Sascha Theißen Kanban und Scrum in der Rechtsabtei-lung eingeführt worden. Das Fallbeispiel zeigt die erstaunliche Wandlung einer Funktion, die gemeinhin kaum mit Agi-lität in Verbindung gebracht wird. •

BORIS GLOGER ▶ Scrum. Produkte zuverlässig und schnell entwickeln.

Hanser, 2016 (5. Aufl.), 344 S., € 39,99 ISBN 978-3-446-44723-3

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

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HOLAKRATIE VERSTEHT SICH als eine „revolutionäre Ma-nagementphilosophie“ (Vahlen), die agile und sich dynamisch entwickelnde Organisationsstrukturen ermöglichen will. Was unter dem Managementansatz zu verstehen ist und wie die-ser durch die bewusste Verteilung von Macht und Autorität „Selbstorganisation“ ermöglicht, stellt Brian K. Robertson in seinem Buch „Holacracy“ vor. Entscheidend für Selbstorgani-sation ist danach „Governance“. Im Unterschied zu den „tat-sächlichen“ Strukturen einer Organisation, die sich implizit im Schatten formeller Hierarchien herausgebildet haben, stellt Holarchie jene Form von Struktur dar, die für die Organisati-on „erforderlich“ ist, um erfolgreich zu sein. Nach Robertson entwickeln Organisationen, die explizite hierarchische Macht-strukturen hinter sich lassen wollen, implizite Machtstrukturen.

Diese seien jedoch oft po-litischer Natur und zudem nur schwer zu verändern. Implizite Struktu ren könn-ten zwar sehr wohl wirk-samer sein als konventio-nelle und expli zite Hierar-chien, aber es gebe „weit-aus bessere Lösungen“, so Robertson. Für diese werden in einer Holakra-tie Selbstorga nisation er-möglichende Rollen, Auf-gaben und Verantwort-lichkeiten definiert – und aufgrund wahrgenomme-ner Spannungen (Diskre-panzen zwischen aktuell bestehenden und erforder-lichen Strukturen) laufend angepasst (Governance). „Diese Definitionen wer-den ständig weiterentwi-

ckelt, um neue Lernerfahrungen zu integrieren und sie mit der sich fortlaufend verändernden Realität der Organisation in Übereinstimmung zu bringen“, schreibt Robertson, der im Abschluss vertiefter auf die sich dann doch als komplex erwei-senden Organisationsstrukturen der Holakratie und deren Pra-xis eingeht. •

BRIAN J. ROBERTSON ▶ Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt.

Vahlen, 2016, 205 S., € 24,90 ISBN 978-3-8006-5087-3

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H E R A U S G E B E R - I N T E R V I E W50

„WER NICHT REAGIERT, WIRD ABGEHÄNGT“

SABINE JOSCH, PERSONAL DIREKTORIN BEI OTTO, ÜBER DEN DIGITALEN WANDEL,

NEUE ARBEITSFORMEN UND VERÄNDERTE

UNTERNEHMENSKULTURDas Gespräch führte Katharina Heuer Ende Mai in Hamburg.

PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

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„WER NICHT REAGIERT, WIRD ABGEHÄNGT“

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H E R A U S G E B E R - I N T E R V I E W52

Frau Josch, Ihr Chef Michael Otto sagte kürzlich, die Digi ta li­sierung müsste noch schneller und konsequenter umgesetzt werden und mit einem Kulturwandel einhergehen. Wo stehen Sie derzeit im Wandel vom traditionellen Versandhandel zum E­Commerce­Unternehmen?

SABINE JOSCH Wir sind natürlich schon ein gutes Stück vorange-kommen, aber nach wie vor auf der Reise. Wir machen heute 90 Pro-zent unseres Umsatzes im Online-Geschäft. Der klassische Versand-katalog hat zwar nach wie vor eine Bedeutung, aber er ist nicht mehr der prominente Verkaufskanal wie früher. Dadurch hat sich für die

Menschen, die hier arbeiten, vieles verändert. Die Jobprofile etwa, wir suchen neue Kollegen mit ganz speziellen Anforderungen. Rund 60 Prozent der Neueinstellungen kommen aus den Bereichen Busi-ness Intelligence, E-Commerce und IT. Und dass sich die Kultur im Unternehmen durch neue Arbeitsformen und durch nachwachsen-de Generationen verändert, ist eine logische Konsequenz. Die Her-ausforderung für die Zukunft wird sein, zu erkennen, was in der Welt um uns herum und im Markt mit seinem sehr schnellen Wett-bewerb passiert.

Mit Blick auf die Dynamik: Viele Unternehmen tun sich nach wie vor schwer, den digitalen Wandel zu akzeptieren und proaktiv zu gestalten. Wie war das bei OTTO?

JOSCH Der Wandel ist bereits seit zehn Jahren spürbar. Angefan-gen hat er über Projekte, die damals „Big Online“ hießen, und er reichte bis hin zu großen Veränderungsprozessen, in denen wir das Denken in E-Commerce auch in ganz anderen Organisationseinhei-ten verankert haben, beispielsweise im klassischen Einkauf. Natür-lich bedeutet Veränderung auch immer ein Aufbrechen von alten Verhaltensweisen, von Denkmustern und Zuständigkeiten. Auch die Menschen müssen sich verändern. OTTO hat eine sehr ausgepräg-te Unternehmenskultur. Viele Mitarbeiter haben eine sehr lange Zu-gehörigkeit und eine hohe Identifikation mit diesem familiengeführ-ten Unternehmen. Sie, aber auch die jungen Menschen im Unter-nehmen, gilt es mitzunehmen auf die Reise.

Sind dies eher zwei Welten ­ die alte und die neue oder eine Welt mit unterschiedlichen Ausprägungen?

JOSCH Eindeutig das Zweite: eine Welt mit unterschiedlichen Ausprägungen. Ich er-lebe keine Gräben zwischen verschiedenen Generationen oder unterschiedlichen Jobpro-filen. In meiner Wahrnehmung sind wir ein Unternehmen mit hoher Vielfältigkeit. Und die gegenseitige Inspiration und der Blick aus verschiedenen Perspektiven machen die gro-ße Stärke von OTTO aus.

Unternehmen erleben es gerade als große Herausforderung, diese zwei Welten in der Organisation zusammenzubringen. Ich finde es spannend, dass Sie bei OTTO an diesem Punkt schon so weit sind.

JOSCH Natürlich gibt es auch bei uns manchmal Unterschiede zwischen Jung und Alt, zwischen althergebrachtem Arbeiten und modernen Arbeitsformen wie Agilität. Aber ich erlebe es wirklich so, dass der Spaß an der Veränderung und die Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen, auch für Kollegen gelten, die noch in sehr klassischen Jobs unterwegs sind.

Was waren für Sie die großen Heraus­forderungen der Vergangenheit, welche sind es jetzt?

JOSCH Die Schnelligkeit und die Komple-xität des Wandels stellen uns vor ungeheure Herausforderungen. Wir spüren im Markt ein stark verändertes Kundenverhalten durch die Verwendung von Smartphones oder Tablets. Die Zyklen sind viel schneller und kürzer geworden. Und wer nicht reagiert, wird abgehängt.

MARKTANFORDERUNGEN NACH SCHNELLIGKEIT

Eine ganz große Herausforderung dabei liegt in der Organisation und ihren Struktu-ren. Wir sind kein Start-up, das sich mit ei-ner neuen, selbst gewählten Struktur analog der Prozesse aufstellen kann. Wir sind schon eher ein Tanker, wenn auch ein sehr beweg-licher. Es gilt, diese Organisation in einen Zustand zu überführen, mit dem sie den Marktanforderungen nach Schnelligkeit ge-recht werden kann. Dazu werden wir in Zu-kunft sicher sehr viel mehr themenbezogen

SABINE JOSCH Eine kaufmännischen Ausbildung und ein Psychologiestudium legten den Weg zu HR sicher nahe. Doch Sabine Josch, heute Personaldirektorin bei OTTO in Hamburg, kennt auch andere Fachbereiche. So war sie für den Versandhändler unter anderem als Be-reichsleiterin interne und externe Kommunikation, Pres-sesprecherin sowie als Marketingleiterin tätig. Seit fünf Jahren leitet sie nun das Personalressort und profitiert – wie sie im Interview berichtet – vom Blick über den Tellerrand.

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arbeiten und ganz andere Organisationsformen mit mehr Flexibili-tät zum Einsatz bringen.

Wie weit sind Sie in der internen Diskussion um die Flexibilität und Agilität der Organisationsstrukturen?

JOSCH Bei der Agilität sind wir schon gut vorangekommen. Wir haben vor drei Jahren unsere Software für Otto.de komplett neu gebaut. Dabei haben wir uns entschieden, die Programmierung nicht extern zu vergeben. Über hundert Mitarbeiter aus unserem E-Com-merce-Bereich waren damit beschäftigt. Einen Shop in dieser Größe

ten. Aber genauso müssen wir uns fragen, welche anderen Strukturen neben der flexi-blen Organisation weiter ihre Berechtigung haben. Klassische Buchhaltungsprozesse wird man nicht agil gestalten können. Aber eine spannende Frage könnte sein: Was kann man aus dem agilen Mindset übertragen?

Das bedeutet auch, Heterogenität zu managen und Unterschiedlichkeit zuzu­

zu programmieren, ist für einen Software-Entwickler ein Traumjob. Das hat uns auch als Arbeitgeber sehr attraktiv gemacht. Und die Software-Entwicklung haben wir in agiler Arbeitsweise erstellt: sehr iterativ, ohne langfristig angelegten Projektplan. Wir haben in Tria-den gearbeitet und nicht in einer klassischen Aufbauorganisation. An-spruchsvoll war es dann auch, die Entwicklungsphase zu verlassen und in den Regelbetrieb zurückzukehren. Hier mussten wir eine drit-te Form von Arbeit entwickeln, nach der klassischen Aufbauorgani-sation und der agilen Arbeitsweise, um beides miteinander zu verbin-den. Gerade im Großunternehmen sind Aufbauorganisationen ja sehr historisch geprägt. Hier müssen wir uns ganz konsequent am Kun-dennutzen orientieren und die Organisationsstruktur danach ausrich-

lassen. Was waren die Haupttreiber des Kulturwandels bei OTTO?

JOSCH Wir haben natürlich auch ge-merkt, dass die Generation Y bei uns an die Tür klopft und fragt: Welche Entwick-lungsmöglichkeiten gibt es neben einer klas-sischen Karriere? Und zugleich sind wir in einem sehr engen Markt unterwegs. Wir suchen ja nicht als einzige in Deutschland Experten für E-Commerce, Business Intel-ligence und IT. Ein weiterer Treiber ist das geänderte Kundenverhalten und damit das

Auf der Trauerfeier für Unternehmens­

gründer Werner Otto bezeichnete ihn der

frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt als

„Ideal eines euro pä­ischen Unternehmers“.

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68 R E S S O U R C E N F Ü R D I E P E R S O N A L A R B E I T

BUCHTIPPS AUS DER REDAKTION

B Ü C H E R

Das Buch zeigt, wie Unternehmen ihre strategische Personalarbeit gestal-ten, die durch HR-Excellence einen echten Wertschöpfungsbeitrag im Unternehmen leistet. Die Leser erfahren, wie sie Personalmanagement und Neurowissenschaft zusammenführen: durch mehr Leistung für ihre Personalabteilung und HR-Excellence für ihr Personalmanagement. Die Autoren zeigen anschaulich, wie Unternehmen HR-Strategien in exzellen-te Personalarbeit umsetzen, die neueste Erkenntnisse der Neurowissenschaft berücksichtigt. So gestalten sie eine schlagkräftige HR-Organisation, die mit dem 3E-Modell nachhaltigen Nutzen für das Unternehmen und sei-ne Mitarbeiter stiftet. In dem umfassenden Werk werden die Themenbe-reiche HR-Excellence durch wertschöpfendes HR-Management, Effek-tivität und Effizienz in Strategie und Prozessen, das HR-Haus: Navigation für die gesamte Personalarbeit, Human Resources 4.0: die digitale Trans-formation, Mitarbeitergewinnung und -bindung, Talent Management, Personalentwicklung und Employer Branding beleuchtet.

PERSONALMANAGEMENT MEETS NEUROWISSENSCHAFT

ARNE PRIESS ▶ Schlüsselfaktor Strategisches Personalmanagement: Arbeitgeber­attraktivität steigern durch zukunftsfähige HR­Konzepte und Neurowissenschaft.

Haufe Lexware, 2016, 470 S., € 39,95 ISBN 978­3­64807­863­1

DIE KRAFT AGILEN DENKENS

Dauerhaft werden nur agile Unternehmen er folgreich sein – Unternehmen, die fokus-siert, schnell und flexibel neue Geschäfts-felder entdecken und entwickeln und bereit sind, traditionelle Kontexte zu verlassen. Doch was ist eigentlich Agilität? Welche Voraus setzungen müssen agile Unternehmen mitbringen? Und welche Konsequenzen hat das für Management, Führungskräfte und Mitarbeiter? Antworten darauf liefert die ses Buch. Der Diplom-Psychologe und langjäh-rige Projekt manager Valentin Nowotny zeigt in seinem neuen Buch, wie Unternehmen die Kraft agilen Denkens und Handelns er-folgreich nutzen. Anschaulich und fundiert erklärt er die psychologischen Grundprinzi-pien agiler Methoden wie zum Beispiel Scrum, Kanban oder De-sign Thinking. Nowotny beschreibt die agilen Werte, Prinzipien

VALENTIN NOWOTNY ▶ Agile Unternehmen – fokussiert, schnell, flexibel. Nur was sich bewegt, kann sich verbessern.

Business Village, 2016, 396 S., € 29,80 ISBN 978­3­86980­330­2

und Rituale, die passende Unternehmens-kultur sowie mögliche Wege einer Transfor-mation unterschiedlicher Bereiche, Abteilun-gen und Arbeitsgruppen. Schritt für Schritt zeigt er, wie der erforderliche Prozess gestal-tet werden muss, um alle Hierarchieebenen eines Unternehmens in ein agiles System einzubinden. Reduziert auf die wesentlichen Denk- und Handlungsprinzipien agiler Sys-teme zeigt dieses Buch anschaulich, wie der Erfolg von zeitgemäßen, digital aufgestellten Unternehmen, zum Beispiel Apple, Face-

book, Google und Spotify, für Unternehmen jeder Größenord-nung und Branche versteh- und nutzbar wird.

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die etlichen Male, wo er knapp einer Katastrophe entging, eben-so wie seine vielen triumphalen Erfolge. Vor allem aber ruft er Erin ne run gen wach an die prägen-den Freund schaften, die Nikes Wesen ausmachen, wie etwa das Verhältnis zu seinem ehemaligen Lauftrainer oder zu seinen ersten Angestellten, einem bunt zusam-mengewürfelten Haufen von Aus-steigern und Inselbegabten, aus denen sich innerhalb kürzester Zeit eine unerschütter li che, dem Swoosh verschworene Bruder-schaft formierte. Gemeinsam bün-delten sie ihre Kraft, angetrieben von einer mutigen Vision und dem gemeinsamen Glauben an die erlösende, Grenzen überschrei-tende Macht des Sports, und schufen eine Marke und eine Kultur, die vollkommen neue Maßstäbe setzte.

BUCHTIPPS AUS DER REDAKTION

Das digitale Zeitalter erfordert eine gänz-lich neue Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen. Die erhöhte Flexibili-tät, die durch den digitalen Fortschritt be-dingt wird, sowie die zunehmende Transpa-renz, die das Internet mit sich bringt, stel-len an die Unternehmen gänzlich andere Anforderungen als noch vor wenigen Jahren. Bewerber sind heute in der Position, sich im Voraus und recht einfach im Internet über ihren potenziellen neuen Arbeitgeber informieren zu können – das Unterneh-men wird gläsern. Die Unternehmen müs-sen sich daher attraktiv präsentieren und stehen untereinander in ständiger Konkur-renz um die besten Köpfe. Die Autoren

Als junger, abenteuerlustiger Business-School-Absolvent auf der Suche nach einer Herausforderung lieh Phil Knight sich von seinem Vater 50 Dollar und gründete eine Firma mit einer klaren Missi-on: qualitativ hochwertige, aber preiswerte Laufschuhe aus Japan importieren. In jenem ersten Jahr, 1963, verkaufte Knight Lauf-schuhe aus dem Kofferraum seines Plymouth heraus und erzielte einen Umsatz von 8 000 Dollar. Heute liegen die Jahresumsätze von Nike bei über 30 Milliarden Dollar. In unserem Zeitalter der Start-ups hat sich Knights Firma Nike als Maßstab aller Dinge eta-bliert, und das Logo, der „Swoosh“, wird nahezu in jedem Win-kel unseres Erdballs sofort wiedererkannt. Den Anfang markiert eine klassische Situation am Scheideweg: Der 24-jährige Knight be-reist als Rucksacktourist Asien, Europa und Afrika, ihn bewegen die ganz großen philosophischen Fragen des Lebens. Und er entschei-det sich für einen unkonventionellen Lebensweg. Anstatt für ein großes etabliertes Unternehmen zu arbeiten, beschließt er, etwas ganz Eigenes zu schaffen – etwas, das neu, dynamisch und anders ist. En détail beschreibt Knight die vielen unberechenbaren Risi-ken, mit denen er sich auf seinem Weg konfrontiert sah, die niederschmet ternden Rückschläge, die skrupellosen Konkurrenten, die zahllosen Zweifler und Widersacher, die abweisenden Banker,

EDGAR K. GEFFROY / DORIS ALBIEZ ▶ Herzenssache Mitarbeiter. Die neue Unterneh­menskultur im digitalen Zeitalter.

Redline, 2016, 224 S., € 19,99 ISBN 978­3­86881­621­1

VON EINEM, DER EINE MARKE SCHUF

DIE ZUKUNFT DER MITARBEITERBINDUNG

bieten einen Ausblick darauf, wie die Zu-kunft der Mitarbeiterbindung aussieht und was Unternehmen heute tun müssen, um die besten Mitarbeiter an sich zu bin-den. Nur wer den Mitarbeiter zum Mit-telpunkt der Geschäftsstrategie macht, wird von motivierten und erfolgsorien-tierten Angestellten profitieren – für lang-fristigen Erfolg muss der Mitarbeiter zur Herzenssache werden.

PHIL KNIGHT ▶ Shoe Dog. Die offi­zielle Biografie des Nike­Gründers.

FinanzBuch Verlag, 2016, 448 S., € 19,99 ISBN 978­3­89879­992­8

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AUTORENGESPRÄCH „DIGITALE FÜHRUNG“

Herr Ciesielski, im Vorwort räumen Sie ein, ein unbequemes Buch geschrieben zu ha­ben. Wo genau legen Sie den Finger in die Wunde?

MARTIN A. CIESIELSKI Allerorten wird über die digitale Transformation gesprochen, über Indus-trie 4.0, über die Anpassung von Geschäftsmodel-len und Veränderung von Organisationsprozes-sen. Die Diskussion ist sehr IT-getrieben, wir stellen die Frage nach der „Human Transfor-mation“ und plädieren dafür, sich bewusst zu machen, welche neuen, digital unterstützten Ansätze es in der schönen neuen Führungs- und organisationalen Wertewelt braucht.

Das heißt, Sie suchen den menschlichen Aspekt in der digitalen Transformation und zeigen auf, wie Technologien für die Unter­nehmenskultur sinnvoll eingesetzt werden können. Ist das nicht ein Widerspruch? Technologie und Kultur?

CIESIELSKI Wir müssen uns bewusst machen, von welchen Be-ziehungen wir im Kontext mit sozialen Medien sprechen und welche Beziehungen wir im Unternehmen wollen. Wie wollen wir eigentlich zusammenarbeiten? Kultur ist am Ende immer das stärkere Moment: „Culture eats technology for breakfast!“ in An-lehnung an Peter Drucker. In der Digitalisierung steckt enormes Potenzial, doch um dieses im Unternehmen heben zu können, müssen wir uns zuerst unsere kulturellen Werte anschauen und die historisch gewachsene und gelebte Kultur.

Organisationen sollen also nicht bedingungslos dem Ruf der Digitalisierung folgen, sondern eher die Technologie so gestal­ten, dass der Einsatz dem eigenen Werteverständnis entspricht?

CIESIELSKI Die Frage ist doch, inwieweit können oder wollen wir unsere Werte anpassen? Diese sind oft in Organisationskul-

Kultur ist stärker als TechnologieDie menschliche, kulturelle und soziale Seite der Digitalisierung ist genauso wichtig wie die IT-getriebene Diskussion. Martin A. Ciesielski warnt davor, den Technologien blind hinterherzulaufen: Führungskräfte hätten vor allem die Aufgabe, über Beziehungen, Kultur und Werte zu führen, so der Autor.

turen stark verwurzelt und haben das Unter-nehmen lange erfolgreich getragen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Veränderungen oft mit Unbehagen und Skepsis verbunden sind. Es gilt zu hinterfragen, was die Organi-sation stark macht, und dies in Einklang mit der Digitalisierung und auch mit einer über digitale Technologien vermittelten und un-terstützten Führung zu bringen. Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

VERTRAUENS­ UND BEZIEHUNGSARBEIT

Digitalisierung ist ein Kultur­ und Leader­ship­Thema und damit auch ein HR­Thema. Welchen Beitrag kann und muss HR leis­ten, um digitale Führung im Unternehmen zu etablieren?

CIESIELSKI Digitale Führung ist Beziehungs- und Vertrauensarbeit. Unserer Meinung nach

ist eine Vertrauenskultur absolute Voraussetzung für einen sinn-vollen und effektiven Einsatz von Technologien. Viele sehen es aber noch andersherum und denken, mit der Transparenz, die die Techno-logie mit sich bringt, kommen Vertrauen, Selbstorganisation und bes sere Performance von ganz allein. Je schneller Menschen mitein-an der interagieren müssen, umso eher passieren Fehler, und auch persönliche Einstellungen und Fehlleistungen werden schnell öffent-lich. Es entsteht ein gewisser Kontrollverlust. Ohne eine vertrauens-volle Zusammenarbeit lassen sich Unsicherheiten jedoch nicht auf fan gen. Wir nennen dieses Leitbild: Make the other one look good – lass den anderen gut aussehen! Und hier muss HR ansetzen. Ziel der Qualifizierung von Führungskräften muss die Haltung sein: Wir müssen einander gut aussehen lassen in diesen Zeiten. Diese Haltung spiegelt sich bereits darin, wie die Generationen Y und Z mit den digitalen Technologien umgehen. Sie agieren eher

MARTIN A. CIESIELSKI / DR. THOMAS SCHUTZ ▶ Digitale Führung. Wie die neuen Technologien unsere Zusammen­arbeit wertvoller machen.

Springer Gabler, 2016, 183 S., € 29,99 ISBN 978­3­662­49124­9

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AUTORENGESPRÄCH „DIGITALE FÜHRUNG“

MARTIN A. CIESIELSKI ist geschäftsführender Gesellschafter der in Berlin ansässigen medienMosaik GbR mit dem Fokus auf Innovation, Entrepre­neurship, Führung und Corporate Games. Er arbeitete von 2001 bis 2004 im Silicon Valley und studierte Kommunikationswissenschaften, Medien­psychologie und BWL an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitglied im Applied Improvisation Network (AIN). Das AIN hat als Expertennetzwerk weltweit mehr als 2 500 Mitglieder, die als Coaches, Berater und Trainer mit künstlerisch­kreativen Methoden in Organisationskontexten arbeiten.

koope rativ und weniger kompetitiv. Sie lassen sich ungeachtet der Hierar chien Informationen zukommen. Der Aspekt der digitalen Reputa tion wird immer wichtiger. In Zukunft müssen Führungs-kräfte außerdem noch mehr Rollen im Unternehmen und außer-halb des Unternehmens einnehmen, und zwar parallel und gleich-zeitig, wodurch vermehrt Widersprüche und Konflikte entstehen. Mal sind sie Entscheider, mal Teamplayer, mal Coach, mal Mentor, Vater, Freund, Spezialist. Viele Unternehmen arbeiten noch sehr auf einer Fach- oder Methoden ebene. Es geht aber in Zukunft um die sozialen und Rollenkompetenzen in realer und virtueller Hinsicht.

Inwieweit denken Sie, dass die flexiblen und agilen Erforder­nisse der digitalen Führung an die Grenzen der derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen stoßen?

CIESIELSKI Vor allem junge Unternehmen sind da sehr erfinde-risch, die bestehenden Strukturen für möglichst größten Freiraum zu nutzen. Es gibt partizipative und demokratische Organisations-formen, in denen Mitbestimmung und Beteiligung aller Mitarbei-ter im Vordergrund stehen, oder Unternehmen, in denen sogar alle Gründer gleichermaßen Geschäftsführerbefugnis haben. Dies braucht definierte Entscheidungsprozesse und entsprechende Rechts-formen, zum Beispiel die der Genossenschaft oder Komman dit-gesellschaft. Um solche Räume in konventionellen Unternehmen zu öffnen, müssen sich Betriebsräte und Führungskräfte ganz neu ins Einvernehmen setzen. Gelingt es den Unternehmen nicht, die-se Räume zu schaffen, werden sich die Mitarbeiter andere Möglich-keiten der Selbstbestimmung suchen, zum Beispiel in der Freibe-ruf lichkeit, im Co-Working oder in einer anderen Form der Be-teiligung. Unter diesen Umständen entstehen zwar auch prekäre Arbeitsverhältnisse, aber zudem gleichzeitig freie, selbst gestaltete Arbeitsformen. Dafür braucht es einen neuen, arbeitsrechtlichen Rahmen, auch in Fragen der Sozialversicherungen, aber ich glaube, dass dies nur ein Nebenkriegsschauplatz ist. Für mich ist es vorran-gig eine Kulturfrage, wie wir in Zukunft miteinander arbeiten wollen. Dafür müssen wir an die Werte der Organisation heran-gehen: Tun wir wirklich das Richtige? Inwieweit sind wir bereit,

loszulassen, Neues zu wagen? Wir müssen uns mit grundlegenden gesellschaftlich-kulturellen Fragen auseinandersetzen, mit Fragen der Sinngebung und des eigenen Lebenswandels. Da liegt meines Erachtens der wirkliche Sprengstoff. Der Ruf nach neuen Regeln und Gesetzen kann nur eine Konsequenz aus den Antworten sein, die wir dort finden werden.

Ist das Modell Silicon Valley das Maß aller Dinge?CIESIELSKI Eben nicht. Ich habe selbst einige Jahre dort gelebt

und meine Magisterarbeit über das Valley geschrieben mit der Er-kenntnis, dass die heutige Arbeitskultur im Valley nur historisch zu verstehen ist. Das Mindset der Siedler, der Gold- und Glücks-sucher, hat sich bis heute durchgesetzt. Dementsprechend ist die Führungs- und unternehmerische Kultur des Valleys nur bedingt eins zu eins reproduzierbar. Auf unsere Diskussion bezogen bedeu tet dies: Vor einem tief greifenden Veränderungsprozess sollte man erst einmal Wurzelforschung betreiben und sich Cluster und Milieus anschauen, die geografisch verortbar sind: Was ist unser Ökosys-tem? Was können wir gut? Wo kommen wir her? Dann merken wir womöglich, dass die Technologie, die wir wirklich brauchen, noch gar nicht erfunden ist! Wir müssen auch den Mut haben, Techno-logien zurückzuweisen. Technologien wirken immer aus bestimm-ten kulturellen Kontexten heraus und in bestimmte kulturelle Kontexte hinein. Wir müssen also weg von dem Credo: Wer nicht im Valley war, weiß nicht, wie Zukunft aussieht, und wer die Tech-nologie skeptisch betrachtet, ist rückwärtsgewandt. Ich denke, es ist nicht zielführend, die Kultur des Silicon Valley als neue Leit-kultur auszurufen. Wir müssen zunächst unsere Kultur auf den Prüfstand stellen und unter Umständen auch gewisse Entwick-lungen hinterfragen, die nicht nützlich oder im Extremfall sogar schädlich für die Organisation und die Mitarbeiter sind. Die neu-en Technologien bieten spannende und schier unendliche Mög-lichkeiten. Doch es zählt am Ende, was der Mensch daraus macht.

Herr Ciesielski, vielen Dank für das Gespräch! •Das Gespräch führte Sabine Schritt.

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PERSONALFÜHRUNG 7-8/2016

Die nächste Ausgabe der PERSONALFÜHRUNG erscheint am 2. September 2016.Wir bitten um Verständnis, falls es aus aktuellen Gründen zu Änderungen kommen sollte.

THEMENSCHWERPUNKT

WEITERE THEMEN

Für gemischte Teams spre-chen nicht nur rechtliche und unternehmensethische Gründe, zahlreiche Studien belegen auch, dass sich Diversität ökonomisch auszahlt. Unser Themen-schwerpunkt im September beleuchtet unter anderem die Diversitätsfaktoren in Belegschaften deutscher

Unternehmen und die daraus resultierenden Herausforderungen für das Personal-management sowie die Möglichkeiten der Integration von geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt.

EMPLOYER BRANDING UND NEUE ZIELGRUPPEN

DER REKRUTIERUNG

ISSN: 0723-3868 49. Jahrgang Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. Hedderichstraße 36, 60594 Frankfurt am Mainwww.dgfp.de

V. i. S. d. P. Katharina Heuer

RedaktionWerner Kipp (Projektleitung)Sabine Schritt Freie MitarbeitRainer Spies, LübeckChristoph Stehr, Hilden Anschrift der RedaktionDeutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. Redaktion PERSONALFÜHRUNG Hedderichstraße 36, 60594 Frankfurt am Main [email protected]

Beitragsangebote [email protected] Titelgestaltung, grafisches Layout, InfografikenElga und Gerulf Morgenstern-Hübner, Essen; Carola Vogel, Rheinberg; Kristina Weddeling, Essen Anzeigen Kai H. Helfritz DGFP-Deutsche Gesellschaft für Personalführung mbH, Anzeigenservice Hedderichstraße 36, 60594 Frankfurt am Main Telefon 069/[email protected] Erscheinungsweise Zehn Ausgaben pro Jahr Bezugspreis (inkl. 7 % MwSt. und Versandkosten)Jahresabonnement € 116,– Studentenabonnement € 88,– Einzelheft € 9,80 Einzelheft Studenten € 8,54Das Jahresabonnement verlängert sich um ein wei te res Jahr, wenn es nicht 3 Monate vor Jahres ende ge kündigt wird. Für Mitglieder / Erfa mitglieder der DGFP e.V. ist der Bezugs preis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Abo-ServiceMonia MejaouelTelefon 069/713785-216Telefax 069/[email protected] CopyrightDer Herausgeber behält sich das ausschließ liche Recht auf Vervielfältigung und Nachdruck der veröffentlichten Beiträge, auch in elektronischer Form, vor. Jede, auch die auszugsweise Veröffent-li chung bedarf der Zustimmung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. Für fehlerhafte Ein-tragungen, Druckfehler etc. wird keine Haftung übernommen.

DruckNeef + Stumme premium printing GmbH & Co. KG, Wittingen

DIVERSE BELEGSCHAFTEN UND FACHKRÄFTESICHERUNG

DAS INTERNET DER DINGE ALS HERAUSFORDERUNG UND INSTRUMENT DER FACHKRÄFTESICHERUNG

Die Arbeit mit dem Internet der Dinge wird zur Schlüsselkompetenz und erfordert neue Qualifizierungsprofile, so die Ergebnisse einer aktuellen Studie unserer Autoren.

Unsere Autoren erläutern, wie sich die Arbeitgebermarke

adressatenbezogen anpassen lässt und wie sich der Employer-Branding-Begriff weiterent-

wickeln könnte.

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Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. // Hedderichstraße 36, 60594 Frankfurt // Fon 069 713785-216 // [email protected]

Märkte und Unternehmen ändern sich. Radikal. Smarte Mitarbeiter wollen mehr als nur in Boxen denken.

Eine Spielwiese für HR, doch auch HR muss sich neu erfinden. Dank positiver Psycho-logie wird das „Weiche“ hart und mittels People Analytics erhält die Wissenschaft Einzug ins Unternehmen.

Lasst uns gemeinsam disruptiv denken, agil experimentieren und das HR von morgen prototypen.

Raus aus der Komfortzone. Volle Kreativi-tät voraus. Willkommen beim DGFP // lab 2016!

DGFP // lab

Prototyping HR29. – 30. September 2016 // Kühlhaus Berlin Die Zukunftsplattform für HR-Professionals & Young Professionals

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