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Pocta Karlu Schellemu k 60. narozeninám Karel Schelle zum 60. Geburtstag

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PoctaKarlu Schellemu

k 60. narozeninám

Karel Schelle zum 60. Geburtstag

Editoři:

JUDr. Miroslav FrýdekJUDr. Jaromír Tauchen, Ph.D., LL.M. Eur. Integration (Dresden)

Recenzenti:

doc. Ing. Jiří Blažek, CSc.doc. JUDr. Ladislav Křížkovský, DrSc.

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1. Die Ältesten Quellen zur geschichte des ABGBDer zweihundertjährige Bestand des allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches gab den an-

stoß zur vorbereitung einer edition der ältesten noch vorhandenen materialien zur Kodifika-tionsgeschichte des österreichischen privatrechts.1 zahlreiche Dokumente zur entstehungsge-schichte des Codex theresianus und seiner Umarbeitungen wurden bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert von philipp harras­harrasowsky 1883/86 ediert. Die ältesten materialien aber, welche 1753 am Beginn der ausarbeitung des 1766 vollendeten Codex theresianus durch die sogenannte Kompilations kom mission standen, sind für die Forschung bislang in gedruckter Form nicht zur verfügbar. Sie sind im archiv verblieben.

hierbei handelt es sich um den ersten von Josef azzoni im mai 1753 vorgelegten „plan“ 2 zu diesem projekt, der aber mehr als nur ein formelles Gliederungs konzept („Kurtzer anblick“), sondern auch bereits eine inhaltliche Beschreibung („vorläuffiger Innhalt“) enthält, und damit schon als „vorentwurf“ zum projekt des Codex theresianus angesehen werden kann; sowie um die von den mitgliedern der Kompilationskommission als materielle Grundlage zu diesem 1753 initiierten projekt zur vereinheitlichung des privatrechts für die deutschen erbländer der öster-reichischen monarchie gelieferten Darstellungen über die privatrechtssituation in den einzelnen Ländern. harrasowsky hat von diesen materialien in seiner 1868 veröffentlichten „Geschichte der Codification des österreichischen Civilrechtes“ 3 beziehungsweise in seiner edition in den anmerkungen bloß die Gliederungsüberschriften von azzonis vorentwurf wiedergegeben. Die Darstellungen der einzelnen Länderrechte haben in seiner edition des Codex theresianus zwar Berücksichtigung gefunden – allerdings nur punktuell und auch in den anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln der drei Bücher des Codex weit verstreut.

* ao. Univ.­prof. Dr. iur. Christian neschwara, Institut für rechts­ und verfassungsgeschichte, rechtswis-senschaftliche Fakultät der Universität wien, republik österreich.

1 neschwara Ch. (ed), Die ältesten materialien zur Kodifikationsgeschichte des österreichischen aBGB. Josef azzonis vorentwurf zum Codex theresianus (1753) und Josef Ferdinand holgers anmerkungen über das österreichische recht (1753) (= Fontes rerum austriacarum. österreichische Geschichtsquel-len, Dritte abteilung Fontes iuris, 22. Band, wien 2012) [Fra III/22].

2 harrasowsky hat ihn 1868 in seiner Geschichte der Codification (siehe sogleich Fußnote 3) zunächst als „Generalplan“, später, 1883 in seiner edition des Codex theresianus, aber als „hauptübersicht“ be-zeichnet – beziehungsweise nach den bis november 1753 folgenden modifikationen durch die Kompi-lationskommission auch als „arbeitsplan“ und in der weiteren ausarbeitung durch azzoni schließlich als „Detailplan“. Die vorliegende edition verwendet die Kennzeichnung als „vorentwurf“: So Braune-der w., Das allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten Deutschen erbländer der öster-reichischen monarchie von 1811 [aBGB], Gutenberg­Jahrbuch LXII (mainz 1987), 205 – 254, hier 212.

3 harrasowsky ph. harras von, Geschichte der Codification des österreichischen Civilrechtes, wien 1868, 51 – 59.

ÜBER JOSEF AZZONI UND SEINEN VORENTwURF ZUM CODEX THERESIANUS

Christian neSChWARA *

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von diesen materialien ist bei den akten des Justizarchivs in wien in vollem Umfang nur die Darstellung von holger über das in nieder­ und Oberösterrreich geltende privatrecht 4 erhal-ten geblieben. von den entsprechenden arbeiten der 1753 anderen Beisitzer zur ausarbeitung des Codex theresianus eingesetzten Kompilationskommission, von azzoni 5, waldstätten 6 und hormayr 7, liegen nur Fragmente vor, jene für Innerösterreich stand selbst harrasowsky nur als Leihgabe der Familie thinnfeld zur verfügung; sie gilt als verschollen.8 Diese Materialien wurden zunächst in der registratur der Obersten Justizstelle verwahrt und 1849 vom Ober-sten Gerichtshof übernommen. 1897 erfolgte die ablieferung an das neue archiv des Justizmi-nisteriums und 1921 sodann die zusammenfassung mit den akten des Innenministeriums zum „Staatsarchiv des Inneren und der Justiz“. ein Großteil dieser im wiener Justizpalast verwahr-ten Bestände, etwa Dreiviertel, ist durch die Brandkatastrophe vom 15. Juli 1927 vernichtet worden.9 Der rest konnte zwar vor der zerstörung bewahrt werden, weist aber weitgehende Beschädigungen durch einwirkung von Feuer und Löschwasser auf. Diese akten zählen zu den sogenannten „Brandakten“.10

von den ältesten materialien zum Codex theresianus ist nach dem Justizpalastbrand nur der „vorentwurf“ von azzoni sowie von den Darstellungen der Länderrechte noch jene von holger zum österreichischen privatrecht – mehr oder weniger vollständig – erhalten geblieben. Die beiden ak-tenkonvolute weisen zwar auch deutliche Spuren der Brandkatastrophe von 1927 auf, die Schäden sind aber nicht umfassend, sodass sie im österreichischen verwaltungsarchiv für eine Benützung zur verfügung gestellt werden konnten und eine transkription dieser texte möglich war.11

4 österreichisches Staatsarchiv, allgemeines verwaltungsarchiv, Oberste Justiz [ava], hofkommission [OJ / hfk], Karton 17, Faszikel 10/13: protokoll der Kom pilations­hofkommission vom 1753 XI 5.

5 Fragmente mit dem titel „Kurtzer Begriff deren Königlichen Böheimischen Landes= Gesätzen Gewo-hnheiten und rechts= Übungen … zu Bemerckung des Unterschiedes vonn gemeinen römischen und anderen rechten“ zu einleitung inklusive abschnitt vI („Gegenstand der rechten“) sowie zum ersten teil (recht der personen) inklusive eines teils der abhandlung „von der vätterlichen Gewalt“: ava, OJ / hfk, Karton 17/16.

6 ava, OJ / hfk, Karton 3: von waldstättens Darstellung („auszüge der hauptsächlichen abfällen ... von dem allgemeinen römischen recht“) ist der text nicht zur Gänze erhalten: von der einleitung nur der 1. und 2. abschnitt (die übrigen vier fehlen); vom 1. teil sind die abhandlungen nur bis einschließlich „von der vätterlichen Gewalt“ vorhanden, zum teil aber aufgrund von Brandeinwirkungen unlesbar beziehungsweise zerstört; der 2. teil ist weitgehend lesbar; der 3. teil ist durch Brandeinwirkung zum teil zerstört oder unlesbar. – herrn Kollegen Ondřej horák (Brünn, Olmütz) verdanke ich den hinweis auf die existenz eines manuskripts im Umfang von 120 Folioseiten im mährischen Landesarchiv Brünn mit dem titel „rechte des markgrafthum mähren nach der Ordnung der Institutionum Juris romani verfaßt, im Jahre 1753“, bei welchem es sich um die Darstellung des mährischen Landesrechts nach der Gliederung von azzonis vorentwurf handelt.

7 ava, OJ / hfk, Karton 43, entwurf, in den ersten Sitzungen wegen anderer Geschäfte in tirol verhin-dert, 147. – ein in den akten der Gesetzgebungs­hofkom mis sionen befindliches Fragment („Sammlung deren sonderbaren geschriebenen Gesätzen...“ mit dem später beigefügten titel „notae Statutaria tÿ­rolenses über den entwurff des Codicis theresiani“) ist wohl ihm zuzuschreiben. Seine Darstellung bricht im zweiten teil beim abschnitt „Schenckungen unter Lebenden“ ab: ava, OJ / hfk, Karton 17, Fazikel 10/17.

8 harrasowsky, Codex I 3 anmerkung 6; vergleiche Loschelder 37. 9 [http://www.siemens.at/e­public_day2007/pages/download/nachlese_mi koletzky.pdf] (17.1.2012),

Seite 7: zum Justizpalastbrand und seinen Folgen für die betroffenen archivbestände.10 [http://oesta.gv.at/site/4986/default.aspx] (4.1.2012).11 Die Drucklegung wird vorbereitet, mit der veröffentlichung ist in der ersten Jahreshälfte 2012 zu rech-

nen. Die bibliographischen Daten finden sich oben in Fußnote 1.

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2. VOM PROJEKT DES CODEX THERESIANUS ZUM ABGB2.1 Der Codex Theresianus 1766

Der Beginn der entstehungsgeschichte des aBGB liegt eingebettet in die während der re­gierungszeit von maria theresia (1740 –1780) einsetzenden Umstrukturierungen der habsbur-gischen Länderver bindung, die zielbewusst zu einem föderativ organisierten monarchischen ein heitsstaat mit aufgeklärt­absolutisti schem regierungssystem umgebaut wird. mit Schaffung eines, straff organisierten, hierarchisch gegliederten staatlichen Be hördenapparates, der eine uneingeschränkte Durchsetzung der monarchi schen Staatsgewalt gegenüber allen Un tertanen ermöglicht, entsteht der Bedarf an einer einheitlichen, überschaubaren und praktikablen rechtsordnung.12 Die rechtsvereinheitlichung als mittel der be absichtigten Staatsreformen geht in ihren zielsetzungen weit über das privatrecht hinaus. Sie will mit sogenannten „allgemeinen“ Ge setzen, Kodifikationen mit umfassender örtlicher Geltung, die gesamte rechtsordnung erfas-sen, begreift aber nur die zum heiligen römischen reich gehörigen, sogenannten deut schen er-bländer der österreichischen monarchie; der Komplex der ungarischen Länder blieb aus staats-rechtlichen erwä gungen ausgeklammert.13 zur Durchführung der privat rechtsvereinheitlichung wurde 1753 eine besondere Gesetzgebungs kommission, die sogenannte Kompilationskommis-sion, einbe rufen und mit der abfassung eines privat rechtsgesetzbuches unter einschluss einer Gerichtsordnung beauftragt. nach Sich tung der Landesrechte begannen konkre te arbeiten am geplanten Gesetzbuch selbst. zielsetzung war es aber nicht, eine bloße Kompilation aus den harmonisierten Landesrechten zu erarbeiten, sondern ein systemati sches Gesetzbuch zu schaf-fen. zur Über prüfung der arbeitsergebnisse wurde 1755 eine revisionskommission instal liert, die seit 1756 allein als Gesetzge bungskommission fungierte. zu ende 1766 lag ein vollständiger entwurf, der Codex theresianus vor, allerdings ohne die als anhang dazu geplante Gerichtsord­nung. Die erwartete Sanktionierung blieb aber aus, nachdem ein vom Staats rat als Beratungs-organ der monarchin eingeholtes Gutachten 1769 negativ aus gefallen war. Gerügt wurde ins-besondere der immense Umfang von mehr als 8000 Bestimmungen, sowie die enge anlehnung an die tradition des Usus modernus. mit seinem lehrbuchartigen Konzept und seinem weit-läufigen, komplizierten aufbau schien der Codex theresianus als Gesetz buch unpraktikabel zu sein. Der Gesetzge bungskommission wurde eine Straffung des textes aufgetragen, womit seit 1771 Johann Bernhard horten befasst war. als ergebnis lag 1773 eine Kurzfassung des Codex theresianus vor, die bis mitte fol genden Jahres zu einem neuen entwurf umgearbeitet wurde. Die in der Gesetzge bungskommission darüber aufgenomme nen Beratungen mussten aber 1774 zugun sten der Fertigstellung der Gerichtsord nung, die von der privatrechtskodifika tion inzwi-schen abgekoppelt worden war, endgültig abgebro chen werden.14

2.2 Das Teil-ABGB 1786mit regierungsantritt Josefs II. gewann die privatrechtsvereinheitlichung nach erlass der all-

gemeinen Gerichtsordnung (1781) wieder an Bedeutung. Die liegenge bliebene Bearbeitung des

12 neschwara Ch., Oberste Justizstelle [OJSt] und gesamtstaatliche rechtsvereinheitlichung, in: winkel-bauer th. / hochedlinger m. (ed), verwaltungsgeschichte der habsburgermonarchie in der Frühen neuzeit (1500 –1800), 1. Band (Drucklegung vorbereitet für 2012); wiener arbeitsgemeinschaft rechts-geschichte (ed), rechts­ und verfassungsgeschichte [manual], wien 2011, 111 f, 137 ff (randziffer 1337 ff, 1352 ff); Brauneder, w., österreichische verfassungsgeschichte, 11. auflage, wien 2009, 79 ff.

13 neschwara Ch., Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch in Ungarn, in: w. Brauneder (ed), 200 Jahre aBGB, 3 Bände, Berlin 2010 – 2012, 3. Band (Das aBGB außerhalb österreichs) (= Schriften zur euro-päischen rechts­ und verfassungsgeschichte 57), Berlin 2010, 33 –133, besonders 35 ff.

14 neschwara Ch., einleitung zu Fra III/22, 1. teil, 13 – 43.

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entwurfs hor ten wurde wieder aufgenommen. noch vor ihrer Beendigung kam es aus prakti­schen erwägungen aber zum erlass von privatrechtlichen einzelgesetzen, die das eherecht und das gesetzliche erbrecht vereinheitlichten. während das ehepa tent 1783 eine neuschöpfung dar-stellte, ging das erbfolgepatent 1786 als modifi zierter teil aus dem Kodifikationsentwurf hortens hervor. Damit war der weg zur realisierung der gesamten privatrechts kodifikation vorgezeich-net: zu ende 1786 wird hiervon auch das personen­, Fami lien­ und erbrecht als allgemeines Bür­gerliches Gesetzbuch, 1. teil (später Josefi nisches Gesetzbuch genannt), in Geltung gesetzt. Die er wartete Sanktion der ausständigen teile unterblieb dann jedoch, weil das Straf recht von der Gesetzgebungskommis sion vorrangig zu erledigen war. nach er lass des Strafgesetzbuches und der Kri mi nal gerichtsordnung (1787/88) wur den die arbeiten zur vervollständigung der privat-rechtskodifikation aufgrund per sönlicher Differenzen innerhalb der Ge setzgebungskommission aber nicht mehr konsequent weiterverfolgt.15 Sie gerieten nach dem tod Josefs II. auch in den Sog von Bestrebungen, die maß nahmen des Kaisers wieder abzubauen.

2.3 Das galizische BGB 1797Die einsetzung einer neuen Gesetzge bungskommission unter vorsitz des wie ner naturrechts-

lehrers Karl anton von martini leitete 1790 den neubeginn der Kodifikationsarbeiten im privat-recht ein. Seit 1791 unterzog sie das teil­aBGB einer vollständigen revision und arbeite te die noch fehlenden teile auf Grundlage des entwurfs hortens aus. Der 1792 fertig gestellte 1. teil des revidierten entwurfs wurde sodann, jeweils am Sitz der appellationsgerichte eingerichteten Län derkommissionen sowie den rechtsfakul täten der erbländischen hochschulen zur Begutach-tung zugewiesen. Diese vor gangsweise schien aber nicht praktikabel, martini arbeitete daher seit 1793 einen vollkommen neuen entwurf aus. 1794 lag hiervon der 1. teil dem Kaiser zur Sanktion vor. nach Intervention des Direktori ums, der höchsten staatlichen verwal tungsbehörde, wurde eine Überprüfungs kommission unter vorsitz von Josef von Sonnenfels eingesetzt. Da sie aber zu nächst vollkommen passiv blieb, nahm martini seine Bemühungen vehement wieder auf und konnte bis mitte 1795 sei nen entwurf zur Gänze fertig stellen. Um die Kodifikationsarbeiten zu beschleuni gen, sollten Stellungnahmen der Länder kommissionen eingeholt werden. ehe der ent-wurf aber zur Begutachtung versendet werden konnte, wurde er überraschend im verlauf des Jahres 1797 zunächst für west galizien als Bürgerliches Gesetzbuch (sogenanntes westgalizisches Gesetzbuch), sowie in der Folge auch für Ostgalizien und die damit ver bundene Bukowina mit Jahresbeginn 1798 in Kraft gesetzt. Dazu motivierte aber nicht, wie in der Literatur oft be hauptet, das legistische anliegen einer erprobung des künftigen gesamtstaatli chen aBGB, sondern das fühlbar gewor dene Bedürfnis nach einer modernen pri vatrechtsordnung für das nach Unruhen völlig zerrüttete Galizien. Das schon für 1796 geplante gleichzeitige Inkrafttreten mit der neuen, sogenannten westgalizischen Gerichtsordnung konnte nicht realisiert werden, da die überstürzte, fehlerhafte Drucklegung des Bürgerlichen Gesetzbuches eine verschiebung erzwang.

2.4 Das ABGB 1811Für die Kodifikations geschichte des aBGB bildet das Galizische Gesetzbuch als erste vollständige

privatrechtskodifikation ein markantes zwischenergebnis. als entwurf eines Bürgerlichen Gesetz-buches lag es den weiteren Kodifikationsarbeiten zugrunde. zum zweck der Überarbeitung des gali-zischen als Urentwurf für das gesamtstaatliche privatrechtsgesetzbuch wurden die Länderkommis-sionen in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden. Die in der zwischenzeit unter redaktioneller Leitung von Franz zeiller, einem Schüler von martini, neugebildete Gesetzgebungskommission nahm sodann nach einlangen der Stellungnahmen 1801 die sogenannte erste Lesung des entwurfs auf, 15 ebenda, 43 f, 45 f.

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1806 schloss sich eine revision des arbeitsergebnisses durch einen ausschuss der Gesetzgebungs-kommission an. 1808 schien der entwurf sanktionsreif, ein Kundmachungspatent lag dem Kaiser vor. Änderungswünsche des monarchen und kritische Äußerungen des Staatsrates, sowie aus der Gesetz-gebungskommission führten aber 1809 noch zu einer Superrevision, die anfang 1810 abgeschlossen werden konnte. Im Juli 1810 erhielt der entwurf die kaiserliche Sanktion, ausgenommen die Bestim-mungen über den Darlehensvertrag, die wegen der inflationären Lage des Staates fragwürdig gewor-den waren. nach ergänzenden Beratungen darüber erhielt das aBGB seine endfassung, am 26. april 1811 erfolgte die Sanktion der ausständigen Bestimmungen. nach Kundmachung zum 1. Juni 1811 und publikation des Gesetzes in Buchform trat es am 1. Jänner 1812 in Kraft.16

3. Josef Azzonis Vorentwurf zum Codex Theresianus

3.1 Über Josef Azzoni (1712 –1760)Josef azzoni 17 wurde im Jahr 1712 in prag geboren und verstarb am 25. november 1760 in Baden

bei wien. er entstammte einer von mailand nach Böhmen zugewanderten adeligen Familie, mehrere verwandte sind im verlauf des 18. Jahrhunderts in prag in höheren Stellungen nachweisbar. Im Jän-ner 1760 wurde ihm – knapp vor seinem tode – die erbländische ritterstandswürde 18 verliehen.

nach absolvierung des philosophischen Studiums 1733 erwarb azzoni 1738 an der rechtswis-senschaftlichen Fakultät der Universität prag den Doktorgrad.19 Die kurz davor erlangte zulassung zur advokaturpraxis und die dabei gewonnenen erfahrungen waren der 1740 erfolgten Berufung als außerordentlicher professor für praktische rechtslehre an die prager hochschule 20 durchaus förderlich. 1747 wurde er zum Ordinarius für die Institutionen ernannt. azzoni hinterließ nur we-nige publikationen aus seiner zeit als Universitätslehrer; lediglich die folgenden werke sind anzu-führen: „Justitia terrae renata“ (prag 1732), eine (rechts)philosophische abhandlung; „thomas de aquino, jurisprudentiae ad normam legis aeterne instaurator“ (prag 1747); ferner sind gedruckte Dissertationen überliefert, bei welchen er bei der proposition den vorsitz führte.21

azzoni war von 1751 bis 1753 Dekan der Juristenfakultät und 1754 überdies rektor der Universität prag. er war eingebunden in die Studienreformbemühungen seiner zeit, welche schließlich zur theresianischen Studienreform von 1753 führten. neben seiner Lehrtätigkeit 16 Fra III/22, 1. teil, 45 – 48; neschwara, Ch., allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (österreich), in:

ramm t. (ed.), ergänzbares Lexikon des rechts, Ordner 5, Gruppe 13: Grundlagen des privatrechts, 60. Lieferung, neuwied 1997, 5 ff; neschwara, Ch., allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811, in: Gamauf r. / Olechowski t. (ed.), Studienwörterbuch rechtsgeschichte römisches recht, 2. auflage wien 2010, 16 f; neschwara, Ch., westgalizisches Gesetzbuch, in: erler a. / Kaufmann e. (ed.), handwörterbuch zur deutschen rechtsgeschichte [hrG], 5. Band (38. Lieferung, Berlin 1995), 1308 –1314; neschwara, in manual, 111 f (randziffer 1352 ff).

17 zum Folgenden maasburg, Justizstelle 127 –130; Dölemeyer, azzoni 73 – 77.18 ava, adelsarchiv, Karton 13, Konvolut 64.19 Der titel seiner Dissertation lautete humanum perpetuitatis Inventum, In perpetuam Familiarum Illustri-

um Conservationem Ordinatum, seu tractatus Juridicus De Fideicommissis Familiæ perpetuis, quem sub. Imperatoris Caroli vI., archi­Ducis austriae etc., in alma Caesarea regiáque Carolo­Ferdinandea Univer-sitate pragensi. Sub rectoratu Joannis Seidel. – azzoni hatte seine Dissertation vor der prager Juristenfa-kultät am 21. Juli 1735 unter vorsitz von professor w. X. neumann von puchholtz zu verteidigen.

20 Über seine Collegia juridico­practica seu ... praxeos judiciariae ... waren vorlesungsmitschriften über-liefert: maasburg F., Geschichte der obersten Justizstelle in wien (1749 –1848), 2. auflage, prag 1891, 128; čelakovský J., O účasti právníkův a statů ze zemí českých na kodifikaci občanského práva rakous-kého, prag 1912, 6 f anmerkung 9.

21 Darunter die abhandlung seines Schülers Johann Bernhard zencker. – ein werkverzeichnis für azzoni findet sich bei Brauneder w. (ed), Juristen in österreich 1200 –1980, wien 1987, 309 f.

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und seinen akademischen Funktionen gehörte er außerdem mehreren prager Gerichtsstellen als richterlicher Beamter an, unter anderem wurde er 1747 auch in die hofkanzlei übernommen, obwohl er „der böhmischen Sprache“, welche bei dieser hofstelle zwar „höchst noth wendig“ war, „nur in etwa, jedoch nicht vollkommen kündig“ 22 war.

aufgrund seiner rechtskenntnisse – er galt als „ein ausbündig gelehrter mann“ – und seiner praxiserfahrungen, durch welche er auch – vor allem bei den prager anwälten – als „ein starker Criticus“ gefürchtet war 23, wurde er als experte in jene Kommission berufen, welche 1748 mit der Kompilierung einer neuen Landesordnung für Böhmen beauftragt worden war, und er gehör-te außerdem der 1751 für die angleichung der Strafrechtsgesetzgebung österreichs und Böh-mens eingesetzten Kriminalkommission an. Schließlich wurde azzoni als Beisitzer in die mitte Februar 1753 in wien zur ausarbeitung einer „allgemeinen“ Gerichtsordnung, sowie eines „glei-chen“ Landrechts für die deutschen erbländer eingesetzte Kompilationskommission als Beisit-zer berufen. aufgrund seiner Fachqualifikationen war azzoni auch prädestiniert für die Funktion des hauptreferenten bei der ausarbeitung des seit 1752 geplanten Codex theresianus.

er lieferte anfang mai 1753 eine Gliederung für den künftigen zivilkodex, welche in der Folge im einvernehmen mit den Beisitzern der Kommission auch mit knappen Inhaltsangaben versehen wurde, womit anfang Juni 1753 bereits ein erster vorentwurf zum Codex theresianus vorlag; später – wohl erst gegen Jahresende – lieferte azzoni auch eine Darstellung des böhmischen Landesrechts. Seine rolle als hauptreferent erlaubte es ihm, maßgeblich auf den Gang der Beratungen einfluss zu nehmen; dadurch gewann das böhmische recht auch einen weitergehenden einfluss auf die inhalt-liche Gestaltung des entwurfs als die anderen rechtstraditionen der habsburgischen Länder.24

nach auflösung der in Brünn wirkenden Kompilationskommission wurde er 1756 in die 1755 in wien zur Überprüfung des bis dahin abgelieferten ersten teils des Codex theresianus einge-setzte revisionskommission übernommen; und er blieb auch hauptreferent der weiteren Gesetz-gebungsarbeiten am zivilkodex. Seit 1759 gehörte er außerdem der zur ausarbeitung eines allge-meinen Strafgesetzes für die deutschen erbländer, der späteren Constitutio Criminalis theresiana (1768), eingesetzten Kriminalkommission als Beisitzer an. Sein prager Schüler Johann Bernhard zencker, seit 1755 als mitglied der revisionskommission, fungierte 1756 neben azzoni als zweiter referent und rückte nach dessen tod zum hauptreferenten für den entwurf des zivilkodex auf.

3.2 Über Azzonis Vorentwurf (1753)3.2.1 Gliederung und Darstellung

Unmittelbar im anschluss an die erste Sitzung der Kompilationskommission vom 7. mai 1753 begann azzoni im einvernehmen mit den Beisitzern mit der ausarbeitung eines Gliederungs­plans. nach nur vier wochen lag der Kommission am 4. Juni bereits das ergebnis vor. Um eine „vorhersicht des ganzen wercks gleichsam in einem Grund= riß“ zu ermöglichen, legte er nicht nur die Gliederung 25 des Stoffes – als „Kurzer anblick“ über die hauptteile und die darin ent-haltenen abhandlungen bezeichnet – vor, sondern auch eine erste inhaltliche Skizzierung des entwurfs – als „vorläufiger Innhalt demnächstigter ver abfassung“ bezeichnet. 22 čelakovský, 7 anmerkung 10.23 maasburg, Justizstelle 128.24 čelakovský, 9 anmerkung 14.25 Dieser hinweis findet sich in dem aktenverzeichnis („zaiger. Deren in diesem Band enthaltenen ... Stuc-

ken“) zu dem vorentwurf azzonis und dazu beiliegenden materialien: ava, OJ / hfk, Karton 43. – zahlreiche Belege zur Gliederung finden sich auch bei harrasowsky, Codex I 33, 54, 86, 140, 148, 169, 265; II 3, 37, 41, 60, 76, 98, 104, 126, 136, 156, 163, 201, 224, 256, 286, 343, 352, 368, 404, 432, 442, 451, 471, 475, 478, 487, 500, 518; III 3, 52, 119, 137, 195, 199, 204, 229, 244, 261, 278, 322, 336, 346, 380, 388, 400.

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Der entwurf folgt mit der Differenzierung in vier hauptteile – das „recht der personen“ (inklusive Familien­ und ehegüterrecht, sowie Untertänigkeits­ und Dienstverhältnisse), „der Sachen“ (einschließlich des erbrechts als sachenrechtlichen erwerbstitel) und „verbindun-gen“ samt der „Ordnung gerichtlichen verfahrs“ 26 – dem klassischen muster des römischen Institutionensystems. auch in der weiteren Untergliederung des Stoffes in abhandlungen und abschnitte schlägt dieses vorbild streckenweise durch, vor allem im ersten teil. modifikatio-nen nahm azzoni im vermögensrecht vor, das er in ein „dingliches“ und ein „persönliches“ Sa-chenrecht als zweiten und dritten teil gliedert, wobei der dritte teil zur verfahrensordnung im vierten teil vielfältige verbindungen aufweist. Ob die subtile Untergliederung 27 ein konkretes vorbild hat, ist in der Literatur bisher nicht näher erörtert worden. Das damals in mitteleuropa aktuellste Gesetzgebungsvorhaben, das „project des Corpus Juris Fridericiani ... in preußen“, das sich selbst als ein „in der vernunft und Landesverfassungen gegründetes Landrecht“, „worin ... ein Jus certum und universale ... statuirt wird“, verstand, scheidet – ungeachtet der im titel zum ausdruck gebrachten Charakterisierung seiner zielsetzungen und Grundlagen, welche frappant an die im Umfeld der Initiativen zur ausarbeitung des Codex theresianus gebrauchten Formu-lierungen erinnern, – als vorlage jedenfalls aus.28

3.2.2 Inhalt

3.2.2.1 Im Allgemeinen

azzoni beginnt seine Darstellung mit einer knappen Umreißung der Gesetzgebungsmoti-ve der Monarchin 29 und der der Kommission vorgeschriebenen arbeitsmethode.30 Konkrete rechtsquellen führt azzoni in seinem text nicht an, allgemeine hinweise auf die zu seiner zeit das geltende recht prägenden rechtstraditionen finden sich allerdings schon: am häufigsten sind solche verweise (19) auf das „(gemeine) römische recht“ oder auf „römische (Gesäz[e])“ 31; vereinzelt wird auf naturrecht (5) 32 sowie kanonisches recht (4) 33, nur selten jedoch auf hei-misches Gewohnheitsrecht (3) 34 hingewiesen.

auf die knappe „vorbemerckung“ zu methode und Gliederung des entwurfs lässt azzoni im anschluss an das Inhaltsverzeichnis eine – über weitgehend stichwortartig formulierte Skizzie-rung des „vorläuffigen“ Inhalts für den auszuarbeitenden zivilkodex im Umfang von insgesamt 120 halbseitig auf vorder­ und rückseite beschriebenen Blättern folgen.

26 vergleiche Loschelder m., Die österreichische allgemeine Gerichtsordnung von 1781. Grundlagen­ und Kodifikations geschichte, Berlin 1978, 33 f.

27 Überschriften bei harrasowsky, Geschichte 51 ff, sowie bei harrasowsky, Codex I (in anmerkungen am Beginn der einzelnen Kapitel) und bei höslinger r., Die gemeinrechtlichen quellen des Codex the-resianus in der von holger besorgten zusammenstellung, in: österreichisches archiv für Kirchenrecht, 1. Band (1950), 72 – 83, besonders 72 f.

28 Die Gliederung des 1751 in halle veröffentlichten Gesetzestextes zeigt keine Übereinstimmungen mit der Ordnung von azzonis vorentwurf zum Codex theresianus.

29 Fra III/22, 2. teil, I, fol.1.30 ava, OJ / hfk, Karton 17, Faszikel 10/10; dazu auch das protokoll der Kommissionssitzung vom 5. XI.

1753: ebenda Faszikel 10/13. vergleiche auch die Darstellung bei zeiller F., Commentar über das all-gemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten Deutschen erbländer der österr. monarchie, Band I, wien­triest 1811, Band I, 7 ff.

31 Fra III/22, 2. teil, I, bei fol.4v, 5r, 6r, 8r, 9r, 10v, 22r, 37v, 39v, 44v, 49v, 50r, 60v, 61r, 64r, 70v, 71r, 71v.32 ebenda fol.1v, 6v, 10v, 20r, 49v, 61r.33 ebenda fol.6v, 11v, 13v, 18r, 18v.34 ebenda fol.1r, 8r, 17r.

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Der von azzoni für dieses projekt ausgearbeitete „plan“ beschränkt sich nicht bloß auf eine Gliederung des künftigen Codex theresianus, sondern stellt bereits erste angaben über den künftigen Inhalt zur verfügung. Insofern kann er also durchaus zu recht als „vorentwurf“ 35 cha-rakterisiert werden. allerdings ist er von azzoni nicht als „verabfassung eines Gesazes“ verstan-den worden, sondern sollte nur „zu einigmäßiger vorandeutung künftigen Innhalts“ dienen.36

Die einzelnen abhandlungen sind fortlaufend mit anmerkungen über die dem Inhalt jeweils sachlich entsprechenden römisch­gemeinrechtlichen quellen versehen. Sie sind ausschließlich in lateinischer Sprache formuliert, so dass auch „die zur rechts= Lehre gehörige[n] ausdruk-kungen, und worte in dem gewohnten Latein beÿgerucket“ sind, aber „nicht, um dem römischen recht einen vorzug, oder unmitelbaren einfluss einzuräumen“, sondern um einerseits „darzu-zeigen: welchergestalten alle sämtliche, und sich auf den deutschen Länder= Stand beziehende rechts= Lehre hier einbegriffen werde“; andererseits dienen sie aber vor allem auch dazu, „de-nen, so aus der Schule kommen“, also den Universitätsabgängern, welchen das wissen um das in der praxis gehandhabte recht noch fehlte, „einen Begrif dieses erbländischen rechts mitelst anleitlichen einschaltung deren erlernten gemeinen römischen rechten“ zu erleichtern.

Überdies sollten die lateinischen anmerkungen auch zum „besseren verständnis“ des – grund-sätzlich deutschsprachigen – Gesetzestextes beitragen.37 Sein Bemühen, lateinische aus drücke im entwurf auszumerzen, konnte azzoni auch konsequent durchhalten.38

3.2.2.2 Personenrecht

Das personenrecht wird von azzoni, „so wie in Gemeinen römischen, [und] auch mehreren ... an-deren rechten“, dem Stand „hergebrachter rechts= Lehre“ entsprechend“ 39 gegliedert und behandelt – unter ausschluss von handlungen obrigkeitlicher Gewalt in vollziehung der Gesetze, sowie von stan-desspezifischen Sonderrechten „Geistlicher“, „Lehensträger“ oder „Kriegs= Leute“ – ausschließlich Ge-genstände des allgemeinen privatrechts – und bezieht sich daher nur auf „personen, ... so in burgerlicher Gesellschaft ... leben“.40 hierzu gibt azzoni bei der abhandlung „von Stand der menschen“ den hinweis, dass zwar „alle für freije menschen zuhalten“ seien, dass „jedoch die Freijheit bei Leibeigenen gewißer-maßen eingeschränket“ 41 wäre; ihnen „und anderen Unterthanen“ ist auch eine eigene abhandlung am Schluss des ersten teils gewidmet.42 Die abhandlung „von ehe= verlobnussen“ beschränkt sich auf die vermögensrechtlichen wirkungen der eheschließung – also auf das ehegüterrecht. azzoni bemerkt zu den persönlichen rechtswirkungen zwar, dass diese Fragen „für das geistliche recht“ gehörten, ergänzt aber, dass es „der weltlichen Gewalt“ unbenommen sei, der geistlichen Jurisdiktion auch „maaß und ziel zusezen“.43 Ähnliches gilt für Fragen der verwandtschaft („anverwand­ und Sippschaft“), welche „theils zu dem geistlichen“ recht gehörten, wie die Bestimmungen über ehehindernisse, sowie „theils zu dem offentlichen recht“, wie die Bestimmungen über das namensrecht. auch das Dienstbotenrecht sollte alles ausschließen, „was in Dienstordnung und dießfällig offentliche einrichtung einschlaget“.44

35 Brauneder, aBGB 212.36 Fra III/22, 2. teil, I, fol.120r.37 ebenda fol.4v f.38 ausgenommen der terminus contractus (ebenda 41v, 49r, 49v, 50r, 50v, 57r, der im Schuldrecht regel-

mäßig als lateinisches Synonym neben dem deutschen wort „verbindung“ verwendung findet.39 Fra III/22, 2. teil, I, fol.6r.40 ebenda fol.6r („anmerckung“).41 ebenda fol.9v.42 ebenda fol.16v ff.43 ebenda fol.11v.44 ebenda fol.17v.

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3.2.2.3 Sachenrecht

vom Sachenrecht explizit ausgeschlossen hat azzoni auch rechtsverhältnisse an Sachen, „wel-che zu geistlichen Dingen gehören, oder damit eine Gemeinschaft haben“, ferner solche des „of-fentlichen, oder innerlichen Staats= rechts“ 45 wie landesfürstliche hoheitsrechte und regalien, die Gerichtsorganisation und das verwaltungs­, vor allem das polizeirecht, das Finanzrecht (aea-rar­ sowie Fiskalrecht), sowie das handels­ (oder Kommerzial)recht. ausgenommen sind ferner rechtsverhältnisse, die sich auf landesverfassungsrechtliche quellen bezogen wie ständische Ord-nungen, vorrechte, privilegien und Freiheiten. In einer anmerkung zur abhandlung „von erwer-bung des eigenthums durch das natur= ... recht“ 46 schließt azzoni außerdem die regelung der rechtswirkungen der „ergreiffung der Sachen, so niemandens seÿnd, oder durch Kriegs= Gewalt“ erbeutet wurden, als Gegenstand des allgemeinen privatrechts aus – ausgenommen die Frage, „in wie weit die Jagd, Fisch= oder vogl= Fang zu Grund, und Boden, oder persönlichen Berechtigung ge-hörig ist.“ er weist diese allerdings den „landesherrlichen vorrechten, folglich ... dem offentlichen“ recht zu, und scheidet sie damit als Gegenstände des allgemeinen privatrechts ebenfalls aus.47 Bei der abhandlung „von erbfolge aus lezten willen“ weist azzoni darauf hin, dass sich „hierinnen das gemeine römische recht in der vorsicht allen anderen [rechten] bevorgethan“ 48 und „zugleich so viele Feÿerlichkeit erforderet“ habe, dass man in den erbländern mit „sonderbaren Landes= Gesäzen hievon nicht unbillich zum theil abgegangen“ sei und sich „dem ungekünstleten natur= ...recht in vielen Stucken“ angenähert habe.49 In Bezug auf die „verjährung der Sachen, und rech-te“ bemerkt azzoni, dass eine wiedereinsetzung gegen eine „vollbrachte verjährung ... nicht den ... Gerichten, wie beÿ den römern, sondern ... der höchsten Landes= Gewalt“ 50 vorbehalten sei.

3.2.2.4 Schuldrecht

Das Schuldrecht – „recht der verbindungen“ – hat azzoni zwar „nach gemeiner rechts= Leh-re“ konzipiert, allerdings „nicht in jenem allzuweiten verstand“ 51 wie die „römische Gesäze“, welche „zuviel auf die Feÿerlichkeit gesehen“ haben, sodass „man sogar an gewiße vorschrift ... der worte gebunden gewesen“ sei. Die „heutige rechts= Lehre, so mehr dem natürlichen ... recht, dann jener überflüssigen haicklichkeit nachgehet“, habe nur „die verbindung selbst zum augenmerck“, und gestatte auch auf eine viel bequemere, und ungezwungene art „rechtliche hilfe anzusuchen“.

Die aus „verbindungen ... entsprüngenden rechts= handlungen, oder darinnen gegründeten rechts= Klagen“ 52 führt azzoni bei den betreffenden besonderen schuldrechtlichen Bestim-mungen bereits an, einzelheiten zum gerichtlichen verfahren 53 bleiben aber dem vierten teil des entwurfs – „von rechts= hülfe, und gerichtlichen verfahrs“ vorbehalten. Die allgemeinen schuldrechtlichen Bestimmungen sind aber auch mit den anderen beiden teilen des entwurfs, dem personen­ und Sachenrecht koordiniert, denn „rechtsforderungen ... betreffen entweder die personen nach dem Stand, oder die Sachen selbst“.54 45 ebenda fol.18r („fernere anmerckung“).46 ebenda fol.20r f.47 ebenda fol.21r.48 ebenda fol.22r ff.49 ebenda fol. 22v.50 ebenda fol.37v.51 Fra III/22, 2. teil, I, fol.39r.52 ebenda, fol.39v f.53 Siehe unten 3.2.2.5.54 Fra III/22, 2. teil, I, fol.41r f.

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Folglich differenziert azzoni die „verbindungen, und rechts= Forderungen“ nach „ansprü-chen aus dem Stand der personen“ 55, „aus dem eigenthum, und anderen an Sachen haftenden recht“ 56, sowie „aus erblichen recht“ 57 und „persönlicher verbindung“.58 von der Unterschei-dung nach römischem recht 59 „in 4. Gattungen“, nämlich „blosse vergleichungen“ (pacta nuda) und „Contracten, benannte, und unbenannte“ (contractus nominati, innominati), „so durch die Sachen, worte, Schrift, und einwilligung geschlossen werden“ (re verbis, litteris, consenu con-tractae) oder „handlungen, so denen Contracten gleichen“ (quasi contractus), weicht azzoni mit seiner Differenzierung der „vergleichungen nach diesem allgemeinen recht“ insofern ab, als er die starren Grenzen des römischen rechts durch „eine natürliche Ordnung“ modifiziert, in welcher zwar „alle vergleichungen ... aus der einwilligung“ 60 von personen abgeleitet werden, jedoch „mit dem Unterscheid, daß entweder von den vergleichenden einer allein dem ande-ren verbunden“ wird, wie bei Bürgschaft oder Schenkung und Leihe, oder auch „der andere in etwas ruckverbindlich werde“, wie bei verwahrung und hinterlegung beziehungsweise ver-pfändung und vollmacht, oder „beÿde gegeneinander zugleich, und hauptsächlich verbunden werden“, wie bei tausch und Kauf, miete und pacht sowie Gesellschaft, oder „ohne ausdruck-licher vergleichung, aus natur, und eigenschaft des Geschäfts einer dem anderen haupt­ oder ruckverbindlich“ 61 werde, wie bei Geschäftsführung und vormundschaftsverwaltung oder bei der Gemeinschaft des eigentums.

In zusammenhang mit „verbindungen, so aus verbrechen entstehen“ 62, betont azzoni, dass einige Delikte, „welche die römer nicht für offentliche Laster gehalten“ haben, wie Diebstahl und raub, „in der that gemeinschädlich und deswegen für öffentliche verbrechen zu halten“ seien, und in österreich daher auch der Bestrafung gemäß Landgerichtsordnung unterliegen.63

3.2.2.5 Verfahrensrecht

Das verfahrensrecht 64 als vierter teil befasst sich in insgesamt 22 abhandlungen 65 zunächst mit Fragen der zuständigkeit der Gerichte, dem richteramt und den am verfahren beteiligten personen, insbesondere den anwälten („rechtsfreunden“); 66 es folgen Bestimmungen über be-sondere verfahrensarten 67 – gütlicher Streitausgleich im vorverfahren, beschleunigte verfah-rensarten (Besitzstreitigkeiten, Streitigkeiten in Bausachen, wechselverfahren waisen und arme personen betreffende rechtssachen) wie auch das mündliche verfahren; sowie zum ordentli-chen verfahren 68 – Klage, Beweisverfahren, Urteil, rechtsmittel, vollstreckung. Den abschluss 69 55 ebenda fol.42v ff.56 ebenda fol.44v ff.57 ebenda fol.46r ff.58 ebenda fol.48v ff.59 ebenda fol.49r.60 ebenda fol.49v.61 Fra III/22, 2. teil, I, fol.51r.62 ebenda fol.64r.63 ebenda fol.64r f.64 Dazu Loschelder 33.65 auf inhaltliche einzelheiten wird im Folgenden nicht eingegangen, die Gliederung und Bezeichnung der

hauptstücke findet sich unten bei abschnitt 4.2, vierter theil, abgedruckt. 66 Siehe unten 4.2, vierter theil, abhandlungen 1 – 4.67 ebenda, abhandlungen 5 und 6. 68 ebenda, abhandlungen 7 –18.69 ebenda, abhandlungen 19 – 22.

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bilden regelungen über die vorläufige Sicherung der Gläubiger, das Konkursverfahren und au-ßerordentliche rechtsverfahren, wie insbesondere zur abkürzung des verfahrens.

3.2.2.6 SchlussbemerkungenIn seinen Schlussbemerkungen betont azzoni den provisorischen Charakter seines entwurfs,

dessen zweck allein darin besteht, eine „natürliche Ordnung“ als Grundlage für die Kommis-sionsarbeit zu liefern, worauf „die ... anbefohlene demnächstige abfassung“ des Codex the-resianus aufbauen sollte.70 Darüber hinaus war sein vorentwurf von den Beisitzern auch der ausarbeitung ihrer Darstellungen der Länderrechte zu Grunde zu legen. holgers anmerkungen über das österreichische recht folgten strikt den vorgaben des vorentwurfs von azzoni.

3.3 Edition: „Kurzer Anblick deren Haupt=Theilen und darinn enthaltenen Abhandlungen“

3.3.1 BeschreibungDer von azzoni verfasste „plan oder entwurf des Codicis theresiani“ 71 umfasst 119 Blätter.

Sie sind auf vorder­ und rückseite halbseitig beschrieben, Überschriften und text finden sich stets rechts­, anmerkungen und einfügungen zum text stets linksbündig. Der text weist fol-gende Gliederung auf: fol.2r bis 3v enthalten eine Gliederungsübersicht („Kurzer anblick deren haupt=theilen und darinn enthaltenen abhandlungen“), es folgt eine einleitung auf fol.4r bis 5r,

daran schließt der 1. teil mit dem personenrecht ab fol.6r; es folgt der 2. teil mit dem Sachen-recht ab fol.18r sowie der 3. teil mit dem vertragsrecht („rechte der verbindungen“) ab fol.39r; der 4. teil enthält die Gerichtsordnung ab fol.76r; alle vier teile sind gegliedert in abhandlungen und abschnitte; auf fol.120r finden sich Schlussbemerkungen. ab Blatt 1 bestehen jeweils auf der vorderseite in der mitte am rechten rand durch Brand­ und Löschwasserschäden verderbte oder fehlende textpassagen; sie konnten bis auf wenige ausnahmen sinngemäß ergänzt werden.

3.3.2 TranskriptionEinleitung.Von dem Anlaß, Nuzbarkeit, und Abtheilung dieses allgemeinen RechtsErster Theil. Recht der Personen.

Abhandlungen. [1.] von der Gerechtigkeit, und den Rechten. [2.] von Stand der Menschen. [3.] von vätterlicher Gewalt. [4.] von ehe= verlöbnußen. [5.] von anverwandt- und Sippschaft. [6.] von der vormundschaft. [7.] von obsorg, und Pflege deren Minderjährigen. [8.] von Leibeigenen, und anderen Unterthanen. [9.] von dienst= Personen.

Zweÿter Theil. Recht der Sachen. Abhandlungen. [1.] von Sachen, so einem Jedweden zustehen. [2.] von erwerbung des eigenthums. [3.] von erbfolge aus lezten Willen. [4.] von der erb= einsezung. [5.] von zweÿter erb= einsezung, oder nachberuffung.

70 Fra III/22, 2. teil, I, fol.120r.71 ava, OJ / hfk, Karton 43 (Codex theresianus Unbestimmte).

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[6.] von vermächtnußen, und verthrauter Zustelllung der Güter. [7.] von erhebung eines lezten Willens, und darnach= verhaltung. [8.] von erbfolge, oder anfall nach den rechten. [9.] von erb= oder nachfolge durch vergleichung, oder Gemeinschaft der Güter. [10.] von Schanckungen auf den Todes= Fall, und zwischen Lebenden. [11.] von verschiedenen an Sachen gebührenden Rechten. [12.] von dienstbarkeiten. [13.] von Pfand= und versicherungs= recht. [14.] von der Sachen Besiz. [15.] von verjährung der Sachen, und rechten.

Dritter Theil. Recht der Verbindungen. Abhandlungen. [1.] von verbindungen, und Rechts= Forderungen insgemein. [2.] von verbindungen, und rechts= ansprüchen aus dem Stand der Personen. [3.] von rechtlichen ansprüchen aus dem eigenthum, und anderen an Sachen

haftenden Recht. [4.] von anspruch der Sachen aus erblichen recht. [5.] von persönlicher verbindung aus allerleÿ Zusagen, vergleichungen,

und einverständnus. [6.] von vergleichungen, wo nur einer verbunden wird. [7.] von vergleichungen, wo einer Haupt= der andere ruck= verbindlich wird. [8.] von vergleichungen, wo beÿde vergleichende Theil hauptsächlich verbunden

werden. [9.] von verbindungen, so gleichsam aus einer vergleichung entstehen. [10.] von verbindungen, so aus verbrechen entstehen. [11.] von verbindungen, so gleichsam aus verbrechen entstehen. [12.] von verbindungen aus bloßer natürlichen Billichkeit. [13.] von Zugleich= oder neben= verbindungen. [14.] Wasgestalten eine verbindung aufhöre, behoben, oder getilget werde?

Vierter Theil. Ordnung gerichtlichen Verfahrs. Abhandlungen. [1.] von Gerichtsbarkeit, und Rechts=Gehörde. [2.] von richterlichen amt. [3.] von denen zu recht verfahrenden Personen. [4.] von rechts= Freunden, und deren Schuldigkeit. [5.] von versuchender Güte, oder vergleich. [6.] von beschleunigten rechts=verkehr. [7.] von ordentlichen rechts=verfahr, und dessen vorbereitung. [8.] von rechtsklagen und deren verschiedener Gattung. [9.] von rechts=einwendungen. [10.] von ferneren Haupt- oder Sachschriften. [11.] von Beweis und Gegenbeweis. [12.] von Beweis durch Zeugen. [13.] von Beschluss des rechtlichen verfahrs.

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[14.] von erwägung der Stritt=Säz, Urteln, und rechts-Sprüchen [15.] von Rechts=verfahr bey höherer, oder höchster Behörde. [16.] von vollstreckung deren urteln entgegen die person. [17.] von vollstreckung deren urteln an – und entgegen denen Sachen oder

haabschaften. [18.] von Ablassung von der person und vollstreckung gegen die Güter, und

gegenteilig. [19.] von vollstreckungs=verfahr aus verhaftung der Güter, oder auf untadlhafte,

und mit besonderer verbindung versehene Schuld-Brief [20.] von zusprüchen, Kummer und verbott. [21.] von rechtlichen verfahr bey auflauf deren Gläubigern. [22.] von Beschleunigung und Abkürzung gerichtlichen verfahrs.Schluß-Bemerckung.

Summary

Josef Azzoni and his Proposal on Codex Theresianusthe contribution devotes to codification work which originated during government of the

duchess maria teresia, and the Codex theresianus that was titled according to her. the most significant part of the work was carried out by representative for Bohemia Josef azzoni, the professor and former advocate in prague. the contribution describes a history of codification works for Codex theresianus, then it brings a description of personality of Josef azzoni, and it characterizes his proposal and its content.

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