Predigt über Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit ... · PDF...

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Predigt über Motette „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ (BWV 226)

bzw. Römer 8, 26-27 zu Kantate, 14.5.2017, Altstadtkirche, Pfr.D.Schüttler

Liebe hörende und singende Gemeinde!

Johann Sebastian Bach in seiner schöpferisch bedeutsamsten Zeit, in

Leipzig. Gerade hat er die Johannespassion und darauf die Matthäuspassion

komponiert. Nun ist er, 44 ½ Jahre alt, seit gut sechs Jahren Kantor an der

Thomasschule in Leipzig. Da fertigt er im Oktober 1729 diese Motette als

Auftragsarbeit an. Eine Gelegenheitskomposition, erbeten anlässlich der

Beerdigung des langjährigen Rektors der Thomasschule in Leipzig und

Universitätsprofessors, Johann Heinrich Ernesti, mit 77 Jahren verstorben.

Der hatte sich kurz vor seinem Tod auch die Bibelstelle gewünscht,

nämlich Römer 8, die Verse 26 bis 27.

Allerdings erweist sich die Motette in mehreren Hinsichten als ein

überraschendes Werk. Zum ersten und überhaupt: Die Musikgattung

Motette als ein kurzes, zu einem Bibelwort komponiertes, mehrstimmiges

Musikstück für Chor, das als solches seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar

ist, hatte zu Bachs Lebzeiten eigentlich ihre beste Zeit längst hinter sich.

Bach belebt die Gattung in seiner Leipziger Zeit wieder und gibt ihr eine

neue Prägung. Dabei gehört die eben zu Gehör gebrachte Motette zu den

nur sechs belegbar echten Bachmotetten. Sie sind meist doppelchörig

besetzt, also für acht Chorstimmen, und wenn überhaupt instrumental

begleitet, dann vor allem zur Unterstützung der Stimmen. - Zum zweiten ist

überraschend, in welch kurzer Zeit Bach dieses Chorwerk zustande

gebracht haben muss - im Blick auf den Anlass einer Beerdigung. Auch

wenn es, was jedenfalls nicht auszuschließen ist, vor dem Versterben

Ernestis kleine Vorarbeiten gegeben haben mag, so hat Bach die Motette

doch mit Sicherheit unter erheblichem Zeitdruck fertiggestellt, dann durch

händisches Abschreiben gemeinsam mit Familie und Beauftragten

kurzfristig für die Chorstimmen vervielfältigt und schließlich mit dem

Thomanerchor noch schnell einstudiert. Eine gewaltige Leistung. – Und

das dritte überraschende Moment ist die – sagen wir mal: ungewöhnliche -

Stimmung für eine Beerdigungsmusik. Die Motette steht in B-Dur und

beginnt als ein beschwingter französischer Rundtanz, ein Passepied. Im

freudigen 3/8-Takt mit Sechzehntel-Noten. Das ist zumindest gewagt.

Was ist das nun für ein Geist, der uns in der Bach’schen musikalischen

Interpretation der Paulusworte aus dem Römerbrief begegnet? Jedenfalls

kein Trauergeist. Gottes Geist als ein Tanzender? Und das zu einer

Beerdigung? Was ist das für eine Botschaft, die Bach mit seiner Musik

vermitteln will? - Keine Frage, sie ist froh, sie will froh machen. Tod und

Trauer werden hier nicht angesprochen. Es ist wohl Bachs Absicht, seine

Hörer vor allem zu trösten und zu ermutigen. Entsprechend eindrucksvoll

vertont er die pfingstlich-stärkende Botschaft, die Paulus im Römerbrief

weitergeben will. Im Motettentext lautet sie:

„Der Geist hilft unser Schwachheit auf,

denn wir wissen nicht, was wir beten sollen,

wie sich‘s gebühret;

sondern der Geist selbst vertritt uns aufs Beste

mit unaussprechlichem Seufzen.

Der aber die Herzen forschet,

der weiß, was des Geistes Sinn sei;

denn er vertritt die Heiligen

nach dem, das Gott gefället.“

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Viele Menschen, auch wir, kennen sie: die Verlegenheit, die richtigen

Worte zu finden. Auch und gerade beim Beten. Und besonders in der

Trauer. In Zeiten, wo manchen noch nicht einmal das Vaterunser - „wie

sich’s gebühret“ - über die Lippen kommt. Schwachsein im Beten, das ist

etwas zutiefst Menschliches. Was soll ich nur beten, das heißt: Wie soll ich

es Gott sagen? Dabei wäre es so hilfreich, eine persönliche Beschwernis

auch persönlich vor Gott zu bringen. Bachs Motette ist nun in ihrer

Ausgestaltung weniger auf das Schwachsein ausgerichtet als vielmehr auf

die Wirkung des Geistes, der kraftvoll in unser Schwachsein eingreift. Gott

selbst erschließt uns den Zugang zu richtigem Beten. Mittels seines

Geistes, der bei uns ist – gerade in unserer Schwachheit. Er ist die von Gott

ausgehende Kraft, sein Mut machender Tröster, mit dem uns unser

Schöpfer nicht im Stich lässt. Denn Gott will das Gelingen und

Vollbringen. Das drückt sich auch in Bachs Motette aus, die einen Geist

der Zuversicht ausstrahlt. Der Dreiertakt, den Bach in seiner Komposition

zunächst setzt, steht klassisch für die Dreieinigkeit Gottes, besonders auch

für die dritte Person der Dreieinigkeit, den Heiligen Geist. Aus der

belebenden Kraft des Geistes lässt sich Hoffnung schöpfen. Mit der

Aussage: „der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem

Seufzen“ wechselt Bach dann in den Vierertakt. Ein ausdrucksstarkes

fünfstimmiges Fugato in einem eher madrigalischen Stil. Das Seufzen des

Geistes bildet er mit absteigenden Halbtonschritten ab, dem sogenannten

„Seufzermotiv“. Die Betonung liegt aber ganz auf dem Helfen des Geistes.

Was der Mensch nicht vermag, das wird ihm geschenkt. „Aufs Beste“

vertritt uns der Geist, gerade beim Beten. Dann folgt eine vierstimmige

Doppelfuge über die beiden Textglieder „Der aber die Herzen forschet, der

weiß, was des Geistes Sinn sei“ und „denn er vertritt die Heiligen.“ Diese

Doppelfuge erklingt im „stile antico“, im alten Stil, als wolle Bach damit

verdeutlichen: So lehrten es uns schon die Alten, unsere Vorfahren. Als ein

vierstimmiger Schlusschoral, der für uns heute ob seiner befremdlichen

Ausdrucksweise entbehrlich ist, dient die dritte Strophe von Luthers

Pfingstlied „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“.

Der Heilige Geist, er ist für Paulus wie für Bach nicht nur kraftvoller

Tröster der Betrübten, der zum rechten Beten befähigt. Er ist zugleich auch

Anwalt. Anwalt der „Heiligen“, will meinen: derer, die in Taufe und

Glauben zu Gott gehören. Diese Anwaltschaft ist umso bedeutsamer, als es

ja im Textzusammenhang bei Paulus um die Größe der künftigen

Herrlichkeit Gottes geht, als dem Ziel christlicher Zuversicht. Alles

erlebbare Leid wird dann überwunden sein. Gottes Geist wird auch am

Ende vor Gottes Angesicht für uns eintreten, unser Fürsprecher sein. Er ist

ja der Geist Jesu, der Geist seiner sich für uns einsetzenden Liebe. –

Ein Bachkenner hat zusammenfassend über diese Motette geschrieben:

„Der Geist in dieser Musik ist nicht irgendein ‚Hoch im Himmel, über den

Wolken‘, keine dem Menschen fremde Macht, die ehrfurchtsvolle Schauer

in uns erweckt, kein dunkel unbewegt in sich Ruhendes. Bachs Geist klingt

irdisch, tätig, aktiv. Auch senkt sich dieser so lebendige Geist ja nicht von

irgendwo oben auf uns herab, nein, er steigt auf, aus der Schwachheit

unseres Menschseins heraus, fürsprechend Gott entgegen, steigt also aus

menschlichen Leibern heraus auf; er klingt auf in Kehlen dieser Welt, und

warum sollen sich als Sprachrohr dessen, das aus uns heraus klingen will,

nicht die schönsten Stimmen und brillanteste kompositorische Kunst zur

Verfügung stellen!“ (Diether de la Motte) Ja, so sei es. Amen.