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Ralf Bub Der Buddhismus in der westlichen Gesellschaft Magisterarbeit Geisteswissenschaft

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Ralf Bub

Der Buddhismus in der westlichenGesellschaft

Magisterarbeit

Geisteswissenschaft

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Der Buddhismus in der westlichen Gesellschaft

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Der Buddhismus in der westlichen Gesellschaft

Magisterarbeit Zur

Erlangung der Würde des Magister Artium

der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und

Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität

Freiburg i.Br.

vorgelegt von

Ralf Bub aus Stuttgart

WS 2005/2006

Soziologie

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INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT........................................................................................................................................................... 3 EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 7 1. BUDDHAS LEHRE – EIN KURZER ÜBERBLICK .................................................................................... 9

1.1 DAS LEBEN DES BUDDHA............................................................................................................................ 10 1.2 DIE VIER EDLEN WAHRHEITEN................................................................................................................... 15

1.2.1 Die Erste Edle Wahrheit: Es gibt Leid ............................................................................................... 15 1.2.2 Die Zweite Edle Wahrheit: Es gibt eine Ursache für das Leid ........................................................... 16 1.2.3 Die Dritte Edle Wahrheit: Es gibt ein Ende des Leides...................................................................... 18 1.2.4 Die Vierte Edle Wahrheit: Es gibt einen Weg, der zum Ende des Leidens führt ................................ 19

1.3 SICHTWEISE: DIE VIER PHILOSOPHISCHEN SCHULEN DES BUDDHISMUS .................................................... 20 1.3.1 Die Philosophie des Theravāda: Vaibhāshika und Sautrāntika ......................................................... 21 1.3.2 Die Philosophie des Mahāyāna: Yogacāra und Mādhyamaka........................................................... 22 1.3.3 Buddhistische Philosophie und westliche Wissenschaft ..................................................................... 23

1.4 MEDITATION ............................................................................................................................................... 25 EXKURS: MAX WEBER UND SEINE BUDDHISMUS-STUDIE................................................................................. 29

2. DIE IDEALTYPISCHE TRÄGERSCHICHT DES BUDDHISMUS......................................................... 31 2.1 ZWEI IDEALTYPISCHE HISTORISCHE SITUATIONEN ...................................................................................... 31 2.2 DIE THESE................................................................................................................................................... 35 2.3 BILDUNG IM ALTEN INDIEN ......................................................................................................................... 36 2.4 THEORETISCHE AUSARBEITUNG DER THESE ............................................................................................... 38

2.4.1 Der positive Einfluss ökonomischer Faktoren.................................................................................... 38 2.4.2 Der positive Einfluss geistiger Qualifikationen.................................................................................. 39

2.5 WEBERS KONZEPT DER INTELLEKTUELLENSOTERIOLOGIE ......................................................................... 42 2.6 DIE URSPRÜNGLICHE TRÄGERSCHICHT DES BUDDHISMUS .......................................................................... 43 2.7 DIE IDEALTYPISCHE TRÄGERSCHICHT: ÜBERSETZT IN MODERNE KATEGORIEN .......................................... 48 2.8 DER SOZIOKULTURELLE HINTERGRUND DER WESTLICHEN BUDDHISTEN.................................................... 50 2.9 WARUM BUDDHISMUS? .............................................................................................................................. 58

3. BUDDHISMUS UND CHRISTENTUM....................................................................................................... 62 3.1 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN BUDDHISTISCHER UND CHRISTLICHER LEHRE BZW. PRAXIS.............................. 62 3.2 RELIGION NACH DER AUFKLÄRUNG ............................................................................................................ 68

4. DER BEITRAG DER RELIGIONSSOZIOLOGIE .................................................................................... 78 4.1 RELIGIONSSOZIOLOGIE UND WESTLICHER BUDDHISMUS............................................................................. 78 4.2 FUNKTION DER RELIGION IM WESTLICHEN VERSTÄNDNIS .......................................................................... 81

5. FUNKTION DES BUDDHISMUS IM WESTEN ........................................................................................ 85 5.1 ERFÜLLT DER BUDDHISMUS EINE GESELLSCHAFTLICHE FUNKTION? .......................................................... 87 5.2 ERFÜLLT DER BUDDHISMUS EINE PSYCHOLOGISCHE FUNKTION?................................................................ 89 5.3 BUDDHISMUS UND PSYCHOLOGIE ............................................................................................................... 91 5.4 DER BUDDHISMUS UND DIE SPIRITUELLE FUNKTION................................................................................... 98

5.4.1 Die Frage nach dem Sinn in der Moderne ......................................................................................... 98 5.4.2 Sinn, Glück und Spiritualität ............................................................................................................ 102 5.4.3 Die Frage nach dem Glück in der Moderne ..................................................................................... 105 5.4.4 Warum Buddhismus? Der Mittlere Weg und die Rationalität des Glücks. ....................................... 112

6. DIE EXPANSION DES BUDDHISMUS IM WESTEN SEIT DEN 60ER JAHREN............................. 117 7. SCHLUSS ...................................................................................................................................................... 125 LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 133

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Vorwort

Mit der vorliegenden Arbeit will ich mich einem Thema widmen, welches von der

europäischen Soziologie bis dato praktisch nicht behandelt wurde. Während der Buddhismus

im Westen kulturell enorm einflussreich ist und viele Anhänger gewinnt, dreht sich der

religionssoziologische Diskurs vorwiegend um Säkularisierung, New Age und

Fundamentalismus. Ungeachtet des weiter ansteigenden Interesses an der Weltreligion aus

Indien und ihrer institutionellen Verankerung in allen europäischen und westlich geprägten

Gesellschaften hat man in der Soziologie keine Anstrengungen unternommen, dieses

Phänomen in seiner ganzen Bandbreite darzustellen und soziologisch zu erklären. Somit wage

ich mich mit meinen zentralen Thesen in unbekanntes Terrain vor, da sie von keiner

soziologischen Koryphäe in der Weise formuliert oder gar erschöpfend behandelt wurden.

Allein Max WEBER hat einen bedeutenden Beitrag zur Soziologie des Buddhismus geleistet –

allerdings nicht des hier behandelten westlichen Buddhismus – und wird meine

Argumentation, u.a. mit seiner Charakterisierung des Buddhismus als einer Soteriologie

(griech. Heilslehre) für intellektuell Geschulte, unterstützend begleiten.

Mein Interesse an dem Thema wurde durch die eigene buddhistische Praxis, den

Austausch mit Buddhisten aus mehreren westlichen Ländern und den Besuch diverser

internationaler Meditationskurse geweckt. Als praktizierender Buddhist bin ich

gewissermaßen selbst Teil des zu untersuchenden Phänomens, was sowohl Vorteile als auch

potentielle Fallstricke mit sich bringt. So kann die eigene Überzeugung zu einer eingeengten

und für die buddhistische Lehre voreingenommenen Sichtweise führen. Dem will ich durch

zwei konzeptuelle Absicherungen entgegenwirken, die im Folgenden kurz dargestellt werden.

Für die Arbeit soll die Perspektive des methodologischen Agnostizismus grundlegend

sein.1 D.h. religiöse Inhalte werden als für den Menschen relevant und gegeben anerkannt,

ohne dass eine Aussage über ihren Wahrheitsgehalt gemacht wird und gemacht werden kann.

Ob diese Inhalte nun einer letztendlichen Wahrheit entsprechen oder nicht, werden sie doch

das subjektive Empfinden der Menschen und damit ihr Handeln beeinflussen, womit sie in der

Gesellschaft beobachtbare Folgen nach sich ziehen. Formuliert ist diese Einsicht im Thomas-

1 Vgl. Knoblauch, H.: Religionssoziologie. Berlin New York 1999, S.14f.

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Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences".2 Deshalb

halte ich es für gerechtfertigt, an ausgewählten Stellen die buddhistische Innenperspektive

darzustellen und, wie im Fall der Ausrichtung auf das dauerhafte Erleben von Glück, einen

inneren Zusammenhang zwischen der buddhistischen Praxis und den Folgen für das

persönliche Erleben anzunehmen. Dabei kann unter Anwendung des Thomas-Theorems ganz

davon abgesehen werden, ob die zugrunde liegende buddhistische Philosophie zutreffend ist

oder nicht. Da diese in soziologischen Fachkreisen und auch allgemein kaum bekannt ist und

meine These, dass die buddhistische Lehre in spezifischen gesellschaftlichen Situationen eine

besondere Anziehungskraft auf bestimmte soziale Schichten ausübt, eine genaue Kenntnis

dieser Philosophie voraussetzt, werde ich sie relativ ausführlich vorstellen.

Ein offenes Verhältnis zu religiösen Lehren kann bei der Untersuchung des

Phänomens ein enormer Vorteil sein. So kann es die Reflexion ihrer Resonanz in modernen

Gesellschaften zugleich anstoßen und sehr fruchtbar machen, wenn Werturteilsfreiheit

gewahrt bleibt und die Analyse nicht auf Glaubenssätze zurückgreift. Dies haben nicht zuletzt

Max WEBER und Peter BERGER mit ihren Beiträgen zur Religionssoziologie verdeutlicht.3 In

meinem Fall habe ich mir u.a. durch ein einsemestriges Studium der buddhistischen

Philosophie in New Delhi, den Besuchen von Meditations- und Philosophiekurse und nicht

zuletzt der eigenen, über vierjährigen Meditationspraxis ein lebendiges und umfangreiches

Bild des „westlichen“ (und durch die Indienreise auch „östlichen“) Buddhismus machen

können; was mich darauf hoffen lässt, die Lehre und ihre Auswirkungen adäquat und ohne oft

geäußerte Missverständnisse darstellen zu können und die Motivationsstruktur der

konvertierten Buddhisten treffend zu erfassen.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, durch eine direkte Verknüpfung von

Theorie, welche in allen Punkten mittels anerkannter Forschung fundiert werden soll, und

Empirie eine die Kernpunkte treffende Erklärung der buddhistischen Erfolgsgeschichte im

2 Thomas/Thomas: The Child in America. New York 1928, S.571f. 3 Zum Verhältnis Webers zur Religiosität siehe Weiß, J.: Max Webers Grundlegung der Soziologie. Eine Einführung. München 1975. Nach Weiß war Weber „ohne jeden Zweifel“ kein Atheist: „Gelegentlich bekannte er, um ein persönliches Verhältnis zu Gott bemüht zu sein und fand in sich zumindest die Möglichkeit mystischer Religiosität angelegt“. Diese Stellungnahmen dokumentieren für Weiß, „dass Max Weber zur inneren Möglichkeit religiöser Existenz und zur 'echten Sinnhaftigkeit des Religiösen' eine lebendige Beziehung besaß.“ (alle Zitate mit den jeweiligen Literaturangaben ebd. S.104). Prof. Dr. Weiß lehrt Soziologie in Kassel. Berger identifiziert sich nach eigenen Angaben mit dem liberalen Protestantismus und hat eines seiner Bücher aus dieser christlichen Sichtweise geschrieben (Berger, P.: A far glory. The Quest of Faith in an Age of Credulity. New York 1992, S.20). In diesem mahnt er kritisch an, dass vielleicht wichtige (religiöse) Wahrheiten im Modernisierungsprozess verloren gegangen sind und die Kirche ihre Wahrheiten nicht aufgeben soll; darüber hinaus hält er die Existenz von Engeln für sehr wahrscheinlich (ebd. S.13). Der 1929 in Wien geborene Soziologe Berger erhielt 1956 seine erste Professur an der Universität von North Carolina und ist neben Thomas Luckmann der wichtigste Vertreter der neoklassischen Religionssoziologie, mit letzterem hat er u. a. den Klassiker der Soziologie Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit verfasst.

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Westen geben zu können. Dabei versuche ich konsequent die Evidenzen aus den

verschiedenen Bereichen zusammenzutragen und in einem schlüssigen Gesamtkonzept zu

vereinen. Meine Hoffnung ist, dass die Arbeit, obwohl an einigen Stellen sicherlich

kontrovers und von exploratorischem Charakter, in ihrer Konzeption und den Ergebnissen

überzeugend und anregend ist.

Zur Quellenlage: Aus der Lebenszeit Buddhas liegen praktisch keine historischen

Quellen vor.4 Die früheste vollständige Quelle, der in Sri Lanka verfasste Pali-Kanon des

Theravāda-Buddhismus datiert aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Während die frühesten

Fragmente von Mahāyāna-Sutras etwa aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen, wurden die

buddhistischen Tantras erst ca. 1000 Jahre nach Buddhas Wirken schriftlicht niedergelegt und

auch heute noch zu einem großen Teil nur mündlich weitergegeben. Von vielen westlichen

Fachgelehrten wird der tantrische Buddhismus in ihrer Darstellung weitestgehend negiert,

oder als eine späte Abwandlung des „ursprünglichen Buddhismus“ behandelt. Als zentraler

Grund hierfür kann gelten, dass unsere Wissenschaftskultur auf schriftlichen Quellen beruht

und der Theravāda-Buddhismus als die eigentliche Lehre Buddhas erfasst wird, da sein

Lehrkanon als erster vollständig schriftlich fixiert wurde. Im Buddhismus gelten Lehrer und

ihre Belehrungen dann als authentisch, wenn sie sich über eine mündliche Tradition bis auf

einen Buddha bzw. den historischen Buddha selbst zurückführen lassen, worauf im

tantrischen bzw. tibetischen Buddhismus besonderer Wert gelegt wird. So kann jede Schule

des tibetischen Buddhismus einen „spirituellen Stammbaum“ vorweisen, der die Echtheit der

Belehrungen bezeugen soll. In meiner Darstellung wird der tantrische bzw. tibetische

Buddhismus eine zentrale Rolle einnehmen, da er einen kohärenten Erklärungsrahmen für die

Philosophien aller buddhistischen Schulen bietet und v.a. im Westen enorm erfolgreich ist.

Noch eine Bemerkung zum Verhältnis von intellektueller Kapazität und

buddhistischer Praxis. In der vorliegenden Arbeit werde ich es in der Weise darstellen, dass

geistige Qualifikationen wie abstraktes Denkvermögen und die Fähigkeit zur Konzentration

für die erfolgreiche Ausübung von Buddhas Lehre sehr wichtig sind. Das soll nicht darüber

hinwegtäuschen, dass Offenheit und Hingabe noch bedeutendere Kriterien darstellen, da sie

eine Person überhaupt erst zur (freiwilligen) Praxis animieren werden. In dem Sinne gibt es

einzelne Beispiele in der buddhistischen Geschichte, in welchen schlecht ausgebildete

Praktizierende mit niedriger Auffassungsgabe durch enorme Hingabe und Offenheit eine hohe

Verwirklichung erlangt haben sollen.

4 Zur schwierigen Quellenlage siehe: Conze, E.: Eine kurze Geschichte des Buddhismus. Frankfurt am Main 1984, S.12. Buddha selbst lebte wahrscheinlich im 5.oder 6.Jahrhundert v.Chr.

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„Alle Versuche, das 'Wesen' der Religion 'objektiv' (und sei es: phänomenlogisch) zu

bestimmen, können als gescheitert gelten“, konstatiert LUHMANN in seinem Werk Die

Religion der Gesellschaft.5 So werde ich den Buddhismus als Religion bezeichnen, da er

üblicherweise als eine solche angesehen wird, ohne den Begriff näher zu konzipieren. Auf

Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum werde ich in einem eigenen Kapitel

näher eingehen.

Verwendete Abkürzungen

vgl. = vergleiche / siehe

Kap. = Kapitel

tib. = tibetisch

skt. = Sanskrit

p. = Pali

engl. = englisch

lat. = lateinisch

griech. = griechisch

zit. = zitiert nach

ebd. = ebenda

u.a. = unter anderem

v.a. = vor allem

s.o. = siehe oben

Anm. = Anmerkung

FN = Fußnote

5 Luhmann, N.: Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt am Main 2000, S.320.

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Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll das Phänomen des Buddhismus im Westen nach zentralen

soziologischen Gesichtspunkten näher untersucht werden.6 Zunächst ist die Frage von

Bedeutung, ob das gegenwärtige Interesse am Buddhismus als eine kurzfristig aufflackernde

und eventuell rein medial inszenierte modische Erscheinung angesehen werden kann, oder ob

es sich um eine kontinuierliche und breite Entwicklung mit tiefgehenden Ursachen handelt.

Eine oberflächliche Betrachtung kann Anlass dazu geben, den Buddhismus als eine durch die

Pop-Ikone des Dalai Lama repräsentierte reine Trendreligion einzustufen. So wurden allein

im Jahr 1997 in Hollywood der Dreh von sieben Spielfilmen über ihn und sein Heimatland

Tibet initiiert. Darüber hinaus ist er weltweit regelmäßiger Gast in Talkshows, ziert

Titelbilder von der Bild-Zeitung bis zum Geo und zog auf dem Kirchentag 2004 in Berlin mit

15.000 Zuschauern die größte Aufmerksamkeit auf sich.7 Dabei kann der Anschein erweckt

werden, dass die Faszination für die fremde Religion zwar groß ist, sich aber kaum eine

größere Gruppe von Westlern ernsthaft der spirituellen Praxis zugewendet hat. In dem Fall

könnte die Buddhismus-Welle ohne weiteres von heute auf morgen wieder abebben und wäre

schnell in staubigen Geschichtsarchiven als „Modetorheit“ abgeheftet.

Viele Anzeichen sprechen allerdings dafür, dass der Buddhismus in den westlichen

Gesellschaften Fuß gefasst hat und einen einflussreichen Faktor auf kulturellem und

religiösem Gebiet darstellt. Ersteres zeigt sich daran, dass der Grad an Institutionalisierung

seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine wachsende Zahl an Meditationsgruppen-

und Zentren und die Bildung von Dachverbänden wie der Deutschen Buddhistischen Union

(DBU) kontinuierlich zunimmt und inzwischen über eine Million Westler die neue Religion

praktizieren.8 Obwohl der Anteil an bekennenden Buddhisten westlicher Herkunft in den

jeweiligen Gesellschaften zumeist unter 1% liegt, scheint sich der Buddhismus großer

Popularität zu erfreuen und mit seiner Botschaft den Nerv der Zeit zu treffen. So gaben allein

in Frankreich 15% der Teilnehmer einer Umfrage an, dass sie am Buddhismus interessiert

6 Unter „Buddhismus im Westen“ sollen alle Erscheinungsformen des Buddhismus außerhalb Asiens gefasst werden, wie sie in Europa, Nordamerika, Australien, Südamerika und Südafrika in einem ähnlichen Muster hinsichtlich Heterogenität der Schulen, historischer Ausbreitung und sozialkultureller Adaptation auftreten (einen kurzen Überblick bietet: Prebish/Baumann (Hrsg.): Westward Dharma. Buddhism beyond Asia. Berkley/Los Angeles/London 2002, Introduction: Paying Homage to the Buddha in the West. S.1-7). 7 Zum Buddhismus-Boom im Westen und der exponierten Stellung des Dalai Lama siehe Zotz, V.: Auf den glückseligen Inseln: Buddhismus in der deutschen Kultur. Berlin 2000, S.9ff. 8 Allein in Deutschland ist die Zahl der buddhistischen Gruppen im Zeitraum von 1975 bis 1999 von 40 auf über 500 gestiegen (Baumann, M.: Buddhism in Europe. Past, Present, Prospects. In: Prebish/Baumann (Hrsg.): Westward Dharma. Buddhism beyond Asia. Berkley/Los Angeles/London 2002, S.85-3105, hier: S.93).

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sind, wobei ihn zwei Millionen Franzosen als ihre Lieblingsreligion bezeichneten.9 Wie der

deutsche Religionswissenschaftler BAUMANN anmerkt, ist der buddhistische Einfluss auf

unsere Kultur trotz der vergleichsweise geringen Zahl an Buddhisten relativ hoch, da viele

Konvertierte Berufe wie Lehrer, Journalisten und Künstler ausüben, denen eine

Multiplikatorrolle zugeschrieben wird.10

Prägnant formuliert soll in der Arbeit folgenden Fragen nachgegangen werden: (1) wer

praktiziert Buddhismus (empirische Untersuchung), (2) warum wird Buddhismus praktiziert

(funktionale Perspektive) und (3) welchen Einfluss haben und hatten gesellschaftliche

Faktoren auf die Rezeption des Buddhismus (soziologisch-historische Analyse). Eine

Einführung in den Buddhismus wird im 1. Kapitel gegeben. Im 2. Kapitel wird die erste

Frage behandelt und die These formulieren, dass Buddhas Lehre aufgrund ihres

intellektuellen Anspruches vor allem innerhalb der hochgebildeten, humanistischen Mittel-

bis oberen Mittelschicht auf Resonanz stoßen wird. Diese Affinität sollte in idealtypischen

historischen Konstellationen besonders hervortreten, in denen wertrationale Gründe für die

Konversion zum Buddhismus ausschlaggebend sind. Eine solche Situation lag bzw. liegt

meines Erachtens zu Buddhas Zeit und in der jüngsten Vergangenheit im Westen vor. In

Kapitel 2.6 und 2.8 wird die These einer empirischen Überprüfung unterzogen, in der sie sich

als stichhaltig herausstellen wird. Der zweiten Frage nach dem funktionalen Aspekt werde ich

mich erstmals in Kapitel 2.9 zuwenden, in welchem die Suche nach Glück und das Bedürfnis

nach Sinn als die zentralen Beweggründe für die Ausübung der buddhistischen Praxis genannt

werden. Da das Christentum auf die Befriedigung derselben Bedürfnisse ausgerichtet ist, stellt

sich die Frage, warum eine wachsende Zahl von Westlern sich von der ihnen eher vertrauten

Religion abwendet und sich dem „exotischen“ Buddhismus anschließt. In Kapitel 3 wird der

Versuch einer Antwort unternommen. Als die zwei entscheidenden Faktoren werden dabei

der Glaubwürdigkeitsverlust des theistischen Christentums nach der Aufklärung und die

Parallelen zwischen aufklärerischem und buddhistischem Denken herausgearbeitet. In Kapitel

4 wird der religionssoziologische Diskurs mit ernüchterndem Ergebnis auf eine mögliche

Erklärung des buddhistischen Phänomens hin befragt, wobei die Arbeit des amerikanischen

Soziologen COLEMANS zum westlichen Buddhismus eine Ausnahme bildet.11 Zunächst

werden im selben Kapitel die der Religion im Allgemeinen zugeschriebenen Funktionen

9 Tweed, T.A.: Who is a Buddhist? Night-stand Buddhists and Other Creatures. In: Prebish/Baumann (Hrsg.): Westward Dharma. Buddhism beyond Asia. Berkley/Los Angeles/London 2002, S.17-33, hier: S.20. Tweed beschreibt auch, dass viele 100.000 Amerikaner buddhistische Meditationen durchführen, ohne sich einer Gruppe anzuschließen (ebd. S.17). 10 Baumann, M.: Buddhism in Europe. Past, Present, Prospects. S.100. 11 Coleman, J.W.: The new Buddhism: the western transformation of an ancient tradition. Oxford 2001.

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dargestellt, um sie im anschließenden 5. Kapitel auf ihre Relevanz für die Erklärung der

buddhistischen Erfolgsgeschichte im Westen hin zu untersuchen. Nachdem ausgeschlossen

werden kann, dass der Buddhismus im Westen primär soziologische (Kap. 5.1) oder

psychologische (Kap. 5.2) Funktionen wie soziale Integration und Kontingenzbewältigung

bedient, werde ich versuchen, seine Breitenwirkung durch die hinreichende Befriedigung des

spirituellen Bedürfnisses nach dauerhaftem Glück und geistiger Weiterentwicklung zu

begründen (Kap. 5.4).

Die Ebene der soziologisch-historischen Analyse soll im abschließenden 6. Kapitel

vertieft werden, in der das exponentielle Wachstum der buddhistischen Gemeinde im Westen

mit entscheidenden Veränderungen auf den drei Achsen von Bildung (Bildungsexpansion),

Wohlstand und Globalisierung in Verbindung gesetzt wird.

1. Buddhas Lehre – ein kurzer Überblick

Bei der Darstellung der buddhistischen Lehre werde ich mich vor allem auf die Erläuterungen

zeitgenössischer buddhistischer Meister und Gelehrter beziehen. Diese Herangehensweise

erscheint sinnvoll, da das Ziel der vorliegenden Arbeit darin besteht, das Interesse am

Buddhismus in den aufgeklärten westlichen Gesellschaften zu erklären, und dieses

hauptsächlich von den Schriften und Belehrungen lebender Buddhisten geweckt wird.

Wahrscheinlich wurde niemand von Max WEBERS Ausführungen zum Buddhismus oder

denen anderer „außenstehender“ Intellektueller dazu inspiriert, sich für den buddhistischen

Weg zu öffnen. Das wird unter anderem daran liegen, dass es sich, wie im Fall von Max

WEBER, zumeist um eine westlich-intellektuelle Auslegung auf der Grundlage von durch

Nicht-Buddhisten übersetzten Texten handelt, welche weder vom Übersetzer, noch vom

Autor von (Meditations-)Erfahrungen und einem explizitem Verständnis der Theorie begleitet

wurde.12 Wenn man nun den Ursachen der Begeisterung für den Buddhismus auf den Grund

12 Deutlich wird dies bei dem zentralen Begriff der „Leerheit“ (engl. Emptiness), mit dem häufig aber fälschlicherweise „Nichts“ assoziiert wird. Die gleichen Probleme bereitet die nihilistische Vorstellung vom Nirvana als einem „Erlöschen von allen Empfindungen“, wie sie nur von Gelehrten ohne Kontakt zu fortgeschrittenen Praktizierenden und Meditationspraxis gehegt werden kann, die ihren Geist noch nie in einem völlig in sich selbst ruhenden, eigenbewussten Zustand erlebt haben, der höchst freudvoll und anregend sein soll und kein schwarzes Loch des Nicht-mehr-Lebendig-seins beinhaltet (zu einer solchen falschen Vorstellung siehe z.B. Bellebaum, A.: Glücksangebote in der Alltagswelt. In: Bellebaum, A. (Hrsg.): Glück und Zufriedenheit. Ein Symposion. Opladen 1992, S.208-220). In Deutschland setzt die verzerrte Darstellung schon bei dem ersten bekannten Buddhismus-Interpreten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) ein. Bei ihm „und in nachfolgenden Interpretationen deutscher Dichter und Denker, so etwa von Kant, Herder, Schelling, Hegel und Nietzsche, zeigten sich Missverständnisse und Fehldeutungen, die sowohl der spärlichen Quellenlage als auch europäischen Vorstellungen und Projektionen entsprangen“ (Baumann, M.: Deutsche Buddhisten. Geschichte und Gemeinschaft. 2. durchges. und aktualisierte Aufl. Marburg 1995, S.44). An amerikanischen Universitäten haben

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gehen will, müssen die Auslöser betrachtet werden, die sie hervorrufen. Als ein

entscheidender Auslöser kann die buddhistische Lehre selbst betrachtet werden, in der Form,

wie sie von zeitgenössischen buddhistischen Lehrern wie dem Dalai Lama oder Lama Ole

Nydahl vermittelt wird.13

Buddha hat ununterbrochen 45 Jahre gelehrt und seine Lehre umfasst im tibetischen

Kanon 108 Bücher.14 Er hat sehr detaillierte Erklärungen über den Weg zur Erleuchtung, die

Funktionsweise des Geistes und beinahe alle Aspekte des Lebens gegeben. Im Rahmen der

vorliegenden Arbeit kann nur ein sehr kurzer Überblick über die buddhistische Lehre gegeben

werden, der sich auf allgemein grundlegende Aspekte und für die weitere Arbeit wichtige

Inhalte beschränkt.

1.1 Das Leben des Buddha

Max WEBER hat Buddha als einen exemplarischen Propheten charakterisiert, da er durch sein

Beispiel den Weg zur Erlösung vorgelebt hat.15 Damit steht er im Gegensatz zum Heiland, der

seinen Anhängern den Zugang zum Paradies durch äußere Hilfe verspricht. Von

soziologischer Seite sind in dieser Beziehung zwei Zusammenhänge von Interesse. Zum einen

kann untersucht werden, welchen Einfluss Buddhas soziokultureller Herkunft auf sein Wirken

ausgeübt hat. Zum anderen kann vermutet werden, dass Buddha als exemplarischer Prophet

Menschen mit ähnlichem Hintergrund hinsichtlich Status und Lebenserfahrung besonders

ansprechen sollte. Dieser Verdacht kann in Bezug auf Bildung und eine von materiellen

Sorgen entlastete Kindheit an späterer Stelle bestätigt werden (vgl. Kap. 2.6 bzw. 2.8). Im

Folgenden will ich seine Lebensgeschichte kurz vorstellen.

Der spätere Buddha Śākyamuni wurde wahrscheinlich im 5. oder 6. Jahrhundert v.

Chr. in Lumbini im heutigen Nordindien unter dem Namen Siddhārta Gautama als Sohn

eines lokalen Kleinkönigs geboren.16 Nach seiner Geburt wurde seinen Eltern von einem

eine größere Offenheit und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema dazu geführt, dass die beschriebenen Schwierigkeiten der verzerrten Darstellung viel seltener auftreten. Einige Gelehrte, wie z.B. der Soziologieprofessor Coleman, können auf eine langjährige Meditationspraxis verweisen, und die Universitäten stehen mit praktizierenden Buddhisten in einem engeren Austausch. In Kulturen, die mit dem Buddhismus vertrauter sind, wie z.B. Indien oder Japan, ist ein falsches Verständnis ebenfalls viel seltener anzutreffen. 13 Ebenfalls eine große Bedeutung spielt das Charisma, mit welchem z.B. der Dalai Lama zu beeindrucken weiß (mehr zu dem Thema in Kap. 4.2). 14 Vgl. Seegers, M.: Wissen über Meditation. Sichtweise und Meditation im Diamantweg-Buddhismus. Sulzberg 2002, S.34. Manfred Seegers ist autorisierter buddhistischer Lehrer in der Karma Kagyü Schule des tibetischen Buddhismus und Autor mehrere buddhistischer Bücher. 15 Weber, M.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 2. 6. photomechanisch gedruckte Auflage Tübingen 1978b, S.268. 16 Zum genauen Geburtsjahr existieren verschiedene Theorien, siehe Schumann, H.W.: Der historische Buddha. Leben und Lehre des Gotama. Köln Neuausgabe 1988, S.22-26; Keown S.24; Groner, P. (Übersetzer und Hrsg.):