Raman Spektroskopie Master Versuch Skript ver. 1.1 · Dies ist hier am Beispiel zweier CO2...

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Modul PC-MPR-1 Praktikum Physikalische Chemie V Versuch 2: RAMAN-Spektroskopie Marburg 2009

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Modul PC-MPR-1

Praktikum Physikalische Chemie V

Versuch 2:

RAMAN-Spektroskopie

Marburg 2009

1. Theorie der RAMAN-Streuung 1.1 Einführung Die RAMAN-Spektroskopie basiert, im Gegensatz zu Transmissionsexperimenten wie der IR-Spektroskopie, auf inelastischer Streuung von Licht an der Probe. Damit erlaubt die RAMAN-Spektroskopie, teilweise komplementär zur IR-Spektroskopie, neben der Auf-nahme von reinen Schwingungsspektren auch die Betrachtung von Rotationsübergängen. Im deutlichen Gegensatz zu IR Methoden, welche im mittleren und fernen Infrarot arbei-ten, wird für die RAMAN-Spektroskopie vor allem der sichtbare und nahinfrarote Spektral-bereich genutzt. Dies erlaubt einen Verzicht auf Infrarot Spezialoptiken und eine Messung fast ohne Probenvorbereitung. Dies ist von großem Vorteil, z.B. bei einer Identifikation von Substanzen „im Feld“ oder auch bei der zerstörungsfreien Prüfung, z.B. bei der Ana-lyse von Pigmenten in Kunstwerken. Gerade auch die Tatsache, dass sich wässrige Proben gut mit RAMAN-Methoden untersuchen lassen, macht RAMAN zu einem idealen Werkzeug bei biologischen Anwendungen, hier vor allem im Bereich der RAMAN-Mikroskopie.

Abbildung 1 – Der RAMAN-Effekt. Wird Licht an einem Molekül gestreut, so findet man neben der gegenüber der Anregung energetisch unveränderten Rayleigh-Streu-ung auch inelastische Streubeiträge bei höheren und niedrigeren Energien. Diese zusätzlichen Emissionen sind um den Energieabstand von internen Niveaus wie Vibrationen oder Rotationen von der Anregungswellenlänge weg verschoben. Hier-bei ist die niederfrequentere Stokes-Streuung immer stärker, da hierfür keine Popu-lation in angeregten Zuständen benötigt wird.

1.2. Klassische Darstellung der RAMAN-Streuung Zunächst soll hier auf Grundlage einer klassischen Betrachtungsweise eine einfache Theo-rie der RAMAN-Streuung entwickelt werden. Hierzu untersuchen wir die Polarisation die Licht in einem oszillierenden Molekül hervorruft. Eine elektromagnetische Welle indu-ziert elektrische Dipolmomente, wenn sie ein Medium durchläuft. Je besser polarisierbar ein Medium ist, desto größer wird das induzierte Moment bei gleicher elektrischer Feld-stärke. Für hinreichend schwache elektromagnetische Felder gilt die folgende Proportio-nalität zwischen induziertem Dipolmoment P und dem elektrischen Feld E :

)(~)( tEtP α= (I)

Hierbei beschreibt der Proportionalitätsfaktorα~ die Polarisierbarkeit des Moleküls. Da Dipolmoment und elektrisches Feld Vektorgrößen sind, würde, wenn α~ ein Skalar wäre, die Orientierung des Moleküls zum elektrischen Feld keinen Einfluss auf die Polarisier-barkeit haben. Dass dies nicht allgemein gilt, lässt sich leicht an planaren Molekülen wie Benzol nachvollziehen. Außer im Fall eines sphärischen Moleküls (z.B. CCl4) ist die Pola-risierbarkeit daher ein Tensor 2. Stufe. Mathematisch beschreibt dieser Tensor eine Abbil-dung des elektrischen Feldvektors auf das resultierende Dipolmoment. Eine Illustration der Wirkung eines Polarisierbarkeitstensors auf ein elektrisches Feld in z-Richtung findet sich in Abbildung 2.

x xx xy xz x x xx x xy y xz z

y yx yy yz y y yx x yy y yz z

z zx zy zz z z zx x zy y zz z

P E P E E EP E P E E EP E P E E E

α α α α α αα α α α α αα α α α α α

⎛ ⎞ = + +⎜ ⎟

= ⋅ = + +⎜ ⎟⎜ ⎟ = + +⎝ ⎠

Abbildung 2. Matrix-Darstellung des Polarisierbarkeitstensors. Da die Polarisier-barkeit eines Moleküls aus dem Vektor des elektrischen Felds den resultierenden Polarisierbarkeitsvektor beschreibt, muss sie die Form einer 3×3-Matrix und damit die eines Tensors 2. Stufe annehmen. Mathematisch betrachtet, beschreibt dieser Polarisierbarkeitstensor nichts anderes als eine Abbildung, die den elektrischen Feldvektor auf den Polarisationsvektor P abbildet. Auf dieselbe Art lassen sich auch Symmetrieoperationen wie Spiegelungen und Rotationen darstellen.

Setzt man nun für das zeitabhängige elektrische Feld des Anregungslasers

0 0E(t) E cos( )tω= (II)

mit der Amplitude E0 und der Zentralfrequenz ω0 in Gleichung (I) ein, erhält man ein zeit-lich veränderliches Dipolmoment beschrieben durch

0 0( ) E cos( ).P t w tα= (III)

Hierbei wird zunächst auf eine vektorielle Darstellung verzichtet, also ein isotroper Fall diskutiert. Da zeitlich veränderliche Dipolmomente elektromagnetische Strahlung abge-ben (HERTZscher Dipol), strahlt das polarisierte Molekül eine elektromagnetische Welle ab. Diese als RAYLEIGH-Streuung bezeichnete Abstrahlung ist um so stärker, je höher die Frequenz des Anregungslichtes ist; die abgestrahlte Leistung bei gleichem Dipolmoment steigt mit der 4. Potenz der Wellenlänge an (vgl. Gl. (X)). Dieser Effekt ist z.B. für das Blau des Himmels verantwortlich, da blaue Spektralkomponenten mit höherer Wahr-scheinlichkeit in Richtung des Betrachters gestreut werden. Für die RAMAN-Spektroskopie hat dies zur Konsequenz, dass Laser mit kürzerer Wellenlänge entsprechend stärkere RA-MANsignale erzeugen. Kann ein Molekül z.B. zu einer Schwingung angeregt werden, so kann die Polarisierbar-keit des Moleküls abhängig vom jeweiligen Schwingungszustand sein. Damit wird die Polarisierbarkeit eine Funktion der Schwingungsnormalkoordinate q. Entwickelt man diese Abhängigkeit in einer Taylorreihe und bricht diese nach dem zweiten Term ab, er-hält man mit hinreichender Genauigkeit

00

( ) .q qqαα α α

⎛ ⎞∂= = + ⎜ ⎟∂⎝ ⎠

(IV)

Die zeitliche Änderung der Normalkoordinate q(t) während der Schwingung wird mittels eines harmonischen Oszillators beschrieben, der mit der Frequenz ωOSZ schwingt

0( ) cos( ).OSZq t q tω= (V)

Einsetzen von (V) in (IV) und weiter in (III) liefert die Polarisation eines schwingenden Moleküls, welches von einem elektrischen Feld angeregt wird

( )0 0 0 00

( ) cos cos( ).OSZP t q t E tqαα ω ω

⎡ ⎤⎛ ⎞∂= +⎢ ⎥⎜ ⎟∂⎝ ⎠⎣ ⎦

(VI)

Für das Produkt zweier Kosinus-Funktionen wie in Gleichung (VI) gilt

{ }1cos cos cos( ) cos( ) .2

A B A B A B= + + − (VII)

Wendet man (VII) beim Ausmultiplizieren von Gl. (VI) an, ergibt sich

( ) ( ) ( )0 0 0 0 0 0 0 0 00 0

1 1( ) cos cos( ) cos( ).2 2OSZ OSZ

RayleighStokes anti Stokes

P t E t q E t q E tq dqα αα ω ω ω ω ω

⎛ ⎞ ⎛ ⎞∂ ∂= + − + +⎜ ⎟ ⎜ ⎟∂⎝ ⎠ ⎝ ⎠

(VIII)

Nach Gleichung (VIII) setzt sich das induzierte Dipolmoment aus drei Summanden zusammen: Der Erste beschreibt die RAYLEIGH-Streuung, die aus der zeitunabhängigen Polarisierbarkeit resultiert. Der zweite Summand steht für die STOKES-Strahlung, deren

Frequenz um -ωOSZ von der Anregungswellenlänge verschoben ist. Schließlich beschreibt der dritte Summand die anti-STOKES-Strahlung, die bei ωOSZ+ω0 auftritt (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3 - Ein Streuzentrum mit zeitlich unabhängiger Polarisierbarkeit emit-tiert Streustrahlung nur auf gleicher Wellenlänge wie die Anregung (RAYLEIGH-Streuung). Oszilliert das streuende Molekül und ändert sich mit dieser Oszillation die Polarisierbarkeit periodisch, wird die angeregte Polarisation folglich mit der gleichen Frequenz moduliert. Eine Frequenzanalyse dieser Wellenform zeigt, dass zwei zusätzliche Frequenzen im Spektrum auftauchen, die in diesem Fall den RA-MAN-Banden entsprechen.

Die von den letzten beiden Termen beschriebene RAMAN-Streuung kann nur dann von Null verschieden sein, wenn sich die Polarisierbarkeit beim Schwingen durch die Gleichgewichts-lage ändert, d.h.:

0.qα⎛ ⎞∂

≠⎜ ⎟∂⎝ ⎠ (IX)

Die Notwendigkeit einer Änderung der Polarisierbarkeit ist gleichzeitig die Grundlage der Auswahlregeln für die RAMAN-Spektroskopie. Abbildung 4 verdeutlicht dies am Beispiel von CO2.

Abbildung 4 – Die RAMANaktivität von Normalmoden. Damit eine Mode RAMAN aktiv ist, darf die Ableitung der Polarisierbarkeit nach der Normalkoordinate nicht verschwinden. Dies ist hier am Beispiel zweier CO2 Normalmoden illustriert.

Die Diskussion in diesem Abschnitt erfolgte zum Großteil ohne Berücksichtigung der vekto-riellen Eigenschaften von Dipolmoment und elektrischem Feld. Eine Folge dieses Vektorcha-rakters ist das Auftreten von polarisierter RAMAN-Streuung. Im nächsten Abschnitt werden nun diese Polarisationseigenschaften der RAMAN-Streuung betrachtet. 1.3. Polarisation der RAMAN Streuung

Die im vorherigen Abschnitt hergeleitete zeitabhängige Polarisation strahlt gemäß der klassi-schen Elektrodynamik ein elektromagnetisches Feld mit der Intensität I ab, hierbei gilt:

4

22 3

0

.32

I Pc

ωπ ε

= (X)

Die Polarisation der erzeugten Strahlung ist entlang der Schwingungsebene der Polarisation P orientiert. Zunächst ist zu klären, welche Komponenten der Polarisation in einem RAMAN-Versuch ein detektierbares Signal ergeben. Hierzu betrachten wir zunächst ein ortsfestes Streusystem. Der Anregungslaser ist entlang der z-Achse polarisiert (vgl. Abb. 5), der Detek-tor ist in x-Richtung positioniert. Dieser kann hier Licht mit y und z Polarisation detektieren. Für die gesamte in dieser Richtung detektierbare Intensität gilt daher

4

2 22 3

0

( ).32z y z yI P P

cωπ ε+ = + (XI)

Da elektromagnetische Strahlung nur in Form von Transversalwellen abgestrahlt wird, kann eine Polarisation in x-Richtung nicht von einem Detektor entlang dieser Achse aufgenommen werden. Für die, durch Anregung mit einem nur in EZ Richtung polarisierten Laser, induzier-ten Polarisationen gilt:

y yx x yy y yz yy y yz z

z zx x zy y zz zy z zz z

P E E E P EP E E E P E

α α α αα α α α

= + + =⇒

= + + = (XII)

und damit

4

2 2 22 3

0

( ) .32z y yz zz zI E

cω α απ ε+ = + (XIII)

Werden z und y polarisiertes Licht getrennt detektiert, z.B. durch einen Analysator vor dem Detektor, geben die Intensitätsverhältnisse die Verhältnisse der jeweiligen Tensor Kompo-nenten wieder. Da jedoch im Versuch keine ortsfesten Streusysteme vorliegen, sondern Mole-küle in der Flüssigkeit, können diese relativ zum, eben diskutierten, Labor Koordinatensystem frei rotieren, es muss also eine Mittelwertbildung über alle Molekülausrichtungen erfolgen.

Abbildung 5 – Streugeometrie mit ortsfestem Molekül. Der Detektor kann in dieser Geometrie nur Polarisation in z- und x- Richtung detektieren, da Licht eine trans-versale Welle ist.

So wie ein Vektor im kartesischen Koordinatensystem als Pfeil dargestellt werden kann, ist die geometrische Repräsentation eines Tensors zweiter Stufe ein Ellipsoid. Es kann gezeigt werden, dass nach Rotation des Ellipsoids im Raum für einen ortsfesten Beobachter zwei Größen invariant unter dieser Transformation bleiben:

( )13 xx yy zzα α α α= + + (XIV)

( ) ( ) ( )

( )

22 2

2

12

6 .

xx zz yy zz zz xx

xy yz zx

γ α α α α α α

α α α

⎡= − + − + −⎢⎣

⎤+ + + ⎥⎦

(XV)

Hierbei können die von α wiedergegebene Spur des Tensors als der mittlere Radius einer sphärischen Komponente und γ als Anisotropie interpretiert werden. Bei einem Medium freier RAMAN-Streuer ist es also nicht mehr möglich einzelne Tensorkomponenten direkt zu bestim-

men, sondern nur noch die transformationsinvarianten Komponenten α und γ. Um die Kom-ponenten zu bestimmen, die das im Laborkoordinatensystem beobachtbare Signal liefern, müssen nun die mittleren Tensorkomponenten in diesem Koordinatensystem ermittelt werden. Für die Mittelwerte kann gezeigt werden, dass gilt:

22222

454 γαααα +=== zzyyxx (XVI)

2 2 2 21 .15xy xz yzα α α γ= = = (XVII)

Setzt man nun diese gemittelten Werte in Gleichung (XIII) ein, erhält man für die gesamte in x-Richtung detektierte Intensität eines flüssigen RAMAN-Streuers

4

2 2 22 3

0

7( )32 45z y zI E

cω α γπ ε+ = + (XVIII)

Betrachtet man nun das Verhältnis von z- und y- polarisiertem Streulicht einzeln, so ergibt sich für die beiden Polarisationsebenen:

4

2 2 22 3

0

4( )32 45z zI I E

cω α γπ ε

= = + (XIX)

4

2 22 3

0

1( )32 15y zI I E

cω γπ ε⊥= = (XX)

Das Verhältnis von I und I⊥ wird als Depolarisationsgrad ρ bezeichnet und gibt Auskunft über die Symmetrieeigenschaften der entsprechenden Schwingung. Für den Depolarisations-grad gilt daher (im Fall eines linear polarisierten Anregungslasers)

2

2 2||

3 .45 4

II

γρα γ

⊥= =+

(XXI)

Der maximal erreichbare Depolarisationsgrad einer vollständig depolarisierten RAMAN-Bande ist abhängig von der Polarisation des Anregungslichtes. Unpolarisiertes Anregungslicht ergibt Depolarisationsgrade bis hin zu 6/7, während eine linear polarisierte Quelle, wie der Laser im vorliegenden Experiment, nur Polarisationsgrade bis hin zu 3/4 zeigen kann. Betrachtet man mögliche Extremwerte, die ρ annehmen kann, unter Berücksichtigung von Gleichungen (XIV) und (XV), so erkennt man, dass im Fall einer vollständig polarisierten Mode (ρ = 0) γ Null werden muss und damit alle Außerdiagonalelemente des Tensors verschwinden. Im Fall einer vollständig depolarisierten Bande (ρ = ¾, α=0) verschwinden hingegen die Diagonal-elemente des Tensors.

1.4 RAMAN-Übergänge – Quantenmechanik und Gruppentheorie Damit ein quantenmechanischer Übergang in einem Molekül angeregt werden kann, muss dieses ein zeitlich veränderliches Dipolmoment als „Angriffspunkt“ anbieten. Die entspre-chende Größe, die einen beliebigen Übergang zwischen zwei Zuständen (ψa, ψb) beschreibt, ist das Übergangsdipolmoment µtrans. Ähnlich zur Bestimmung eines Erwartungswerts einer Observablen gilt für µtrans:

,ˆ .trans

a b a bO dμ ψ ψ τ= ∫ (XXII)

Hierbei wird das Integral über alle vorhandenen Koordinaten der Wellenfunktionen geführt. Im Unterschied zur Bestimmung eines Erwartungswerts erfolgt die Integration hier über zwei verschiedene Zustände, zwischen denen der Übergang stattfindet. Da Integrale wie das obige häufig auftauchen, wird dafür oft die Kurzform

,ˆ| |trans

a b a bOμ ψ ψ= (XXIII)

verwendet, welche auch unter dem Namen DIRAC-Notation bekannt ist. Diese erlaubt ein schnelles, formales Rechnen mit umfangreichen Integralausdrücken. Die Wahrscheinlichkeit eines Übergangs ist unter anderem proportional zum Quadrat des Übergangsdipolmoments. Um nun einen Absorptions- oder Streuvorgang zu beschreiben, müssen zunächst geeignete Wellenfunktionen aufgestellt und ein Operator gefunden werden, welcher den spektroskopischen Übergang beschreibt. Bei Molekülen müsste nun zur quantitativen Bestimmung der einzelnen Matrixelemente eine numerische Analyse mittels quantenchemischer Rechnung durchgeführt werden. Um jedoch abschätzen zu können, ob bestimmte Oszillationen in einem RAMAN- oder IR-Spektrum auf-tauchen, genügt es oft, die Symmetrie der Wellenfunktionen und die des Operators im Integral (XXIII) zu untersuchen. Oft kann eine solche Abschätzung schon ausreichen, um eine be-stimmte Struktur durch Messung von RAMAN- und IR- Spektren zu verifizieren. So sei hier z.B. an das Alternativverbot von RAMAN- und IR- Signalen bei inversionssymmetrischen Mo-lekülen erinnert. Findet man also beim Vergleich von RAMAN- und IR- Spektren eines unbe-kannten Moleküls eine Bande in beiden Methoden, so kann eine Struktur mit Inversionszent-rum für das betrachtete Molekül ausgeschlossen werden. Allgemein gilt, dass ein N-atomiges Molekül 3N-6 Schwingungsfreiheitsgrade besitzt (3N-5 im Fall linearer Moleküle). Will man anhand von Symmetriebetrachtungen nun festlegen, welche dieser Schwingungen IR oder RAMAN aktiv sein können, so kann ohne konkrete Rech-nung, anhand der Symmetrie der beteiligten Funktionen und Operatoren festgestellt werden, ob das entsprechende Übergangsdipolmoment von Null verschieden sein kann oder nicht. Hierzu muss ein Integral über ein Produkt von drei Funktionen (vgl. (XXIII)), wie z.B.

1 2 3( ) ( ) ( )I f x f x f x dx= ∫ (XXIV)

mit den Methoden der Gruppentheorie untersucht werden. Im nächsten Abschnitt werden da-her die Grundlagen der Gruppentheorie im Hinblick auf die Symmetrie von Schwingungen diskutiert. Die hier vorgestellte kurze Zusammenfassung von Gruppentheoretischen Konzep-ten orientiert sich an [1] wo sich auch eine vertiefende Diskussion findet. Alle Symmetrieelemente, die auf Moleküle angewendet werden können, wie z.B. Spiegelun-gen, Drehungen etc. sind lineare Abbildungen, d.h. sie können durch eine Matrix dargestellt werden, die auf einen Koordinaten-Vektor wirkt (vgl. Abb. 6). Dem gleichen Schema zur Darstellung von Abbildungen durch Matrizen folgt auch der Polarisierbarkeitstensor α (vgl. Abb. 2). Dieser stellt eine Abbildung des elektrischen Feldvektors auf den Vektor des indu-zierten Dipolmoments dar.

Abbildung 6 – Die Wirkung von Symmetrieoperationen auf einen Vektor a. Die rechte Seite zeigt die mathematische Umsetzung der linearen Abbildungen als Glei-chungssystem oder in kürzerer Form als Matrix. Der Quader links unten wäre zu beiden dargestellten Symmetrieoperationen symmetrisch.

Betrachtet man Abbildung 6, so fällt auf, dass keine der beiden Symmetrieoperationen x-Ko-ordinaten mit y-Werten mischt oder umgekehrt. Es sollte also möglich sein, eine vereinfachte Darstellung für die jeweiligen Symmetrieoperationen zu finden und nur das jeweilige Trans-formationsverhalten dieser „reduzierten“ Darstellungen zu untersuchen. Dies wird von ent-scheidender Bedeutung, wenn man sich klarmacht, welche Form die in Abbildung 6 darge-stellten Transformationsmatritzen annehmen, wenn an Stelle eines Punktes im zweidimensio-nalen Vektorraum ein vieratomiges Molekül wie SiCl4 untersucht wird. Um hier eine Trans-formationsmatrix aufzustellen, muss die Position aller vier Atome mit drei Koordinaten be-stimmt werden, der entsprechende Vektor hat damit 12 Elemente, was zu einer Transforma-tionsmatrix mit 144 Matrixelementen führt1. Um trotzdem einen direkten Zugang zum Symmetrieverhalten des Moleküls und dem Auftreten RAMAN oder IR aktiver Schwingungen zu erhalten, wird ein Formalismus benötigt, der schnelle Aussagen über die Übergangsdipol-moment-Matrixelemente von Schwingungen anhand ihrer Symmetrie erlaubt, ohne die betei-ligten Transformationsmatritzen selbst vollständig aufstellen zu müssen. Eine Matrix stellt eine lineare Abbildung, z.B. ein Symmetrieelement wie eine Spiegelung, innerhalb einer gegebenen Basis des entsprechenden Vektorraumes dar. Da beliebige Abbil-dungen meist die Koordinaten verschiedener Atome mischen können, ist es allgemein nicht der Fall, dass die Matrixdarstellung einer Transformation Diagonalform hat. Es ist generell möglich, ein und dasselbe System in verschiedenen Koordinatensystemen darzustellen, d.h. den entsprechenden Vektorraum mit verschiedenen Basen aufzuspannen. Die Transformation zwischen diesen unterschiedlichen Darstellungen erfolgt ebenfalls durch eine Matrix. Vorge-geben durch die Symmetrie des Problems, sollte es daher möglich sein einen Basissatz zu fin-den, der ein Minimum an Mischung zwischen verschiedenen Koordinaten unter Symmetrie-operationen ermöglicht. Mathematisch gesprochen wird dabei die Abbildungsmatrix einer

1 Dem geneigten Leser wird nahe gelegt, zur Übung auf diese Weise das Symmetrieverhalten eines Fullerens zu untersuchen. Mit Rücksicht auf den Assistenten kann diese Übungsaufgabe leider nicht korrigiert werden.

Symmetrieoperation durch eine Ähnlichkeitstransformation in die so genannte Blockdiagonal-form überführt. Eine Ähnlichkeitstransformation transformiert die Matrixdarstellung einer Symmetrieoperation von einer in eine andere Basis. In der Blockdiagonalform nimmt die Matrix, welche die Symmetrieoperation darstellt, eine Form an, bei der zwischen den Blöcken keine Durchmischung der Koordinaten mehr stattfindet (vgl. Abb. 7). Die ideale Form hierbei ist die echte Diagonalmatrix, hier wurde ein Basissatz gefunden, dessen Koordinaten unter der gegebenen Transformation überhaupt nicht mehr mischen. Es lässt sich allerdings nicht jede Abbildungsmatrix in eine Diagonalmatrix überführen, so dass häufig Blöcke von 2×2- oder 3×3- Koordinaten stehen bleiben, die unter einander mischen2.

Abbildung 7 – Irreduzible Darstellungen und Blockdiagonalform. Eine Symmetrie-operation lässt sich als Matrix darstellen, die abhängig vom verwendeten Koordi-natensystem die einzelnen Positionsvektoren vertauscht. Durch optimale Wahl des Koordinatensystems kann die Zahl der untereinander vertauschten Vektoren mini-miert werden. Mathematisch entspricht dies der Reduktion der Darstellungsmatrix in die Blockdiagonalform, bei der außer innerhalb eines Blockes keine weiteren Vertauschungen mehr stattfinden.

Die Blöcke einer Matrix in Blockdiagonalform sind nun die kleinsten Einheiten, welche die entsprechende Transformation beschreiben. Eine Transformationsmatrix kann aus diesen nicht mehr weiter verkleinerbaren Einheiten aufgebaut werden, man spricht daher bei diesen Blöcken von irreduziblen Darstellungen. Die Matrixdarstellung der Symmetrieoperation eines Moleküls, z.B. in einem kartesischen Koordinatensystem, die nicht Blockdiagonalform hat, heißt daher reduzible Darstellung, da sie durch eine Ähnlichkeitstransformation (nichts ande-res als der Wechsel der Basis) in eine Blockdiagonalmatrix aus irreduziblen Darstellungen übersetzt werden kann. Je nach Symmetrieelementen, die ein Molekül besitzt, kann dies in eine bestimmte Punkt-gruppe eingruppiert werden. Punktgruppen entsprechen der Sammlung aller Symmetrieopera-tionen, die ein Molekül in sich selbst überführen. Die Punktgruppe gibt nun durch ihr Sym-metrieverhalten vor, welche irreduziblen Darstellungen geeignet sind, alle Transformationen der Punktgruppe in Blockdiagonalform wiederzugeben. Dazu ist zu beachten, dass die einzel-nen irreduziblen Darstellungen unter verschiedenen Symmetrieoperationen jeweils unter-schiedlich transformieren. Um nun nicht jedes Mal das Transformationsverhalten der einzel-nen irreduziblen Darstellung ableiten zu müssen, wird deren Verhalten unter den Transforma-tionen der Gruppe in einer Charaktertafel zusammengefasst. Der Charakter einer irreduziblen Darstellung entspricht der Spur der Matrix, welche die Darstellung wiedergibt. Damit gilt für den Charakter C einer Matrix mit den Matrixelementen amn und der Dimension k:

2 Irreduzible Darstellungen werden z.B. in Charaktertafeln nach einem Nomenklatursystem benannt: Eindimensionale Darstellungen heißen a (symmetrisch zur Hauptdrehachse) und b (antisymmetrisch zur Hauptdrehachse), zweidimensionale Darstellungen e und dreidimensionale t (vgl. Aufspaltung im oktaedrischen Komplex).

k

mmm

C a=∑ (XXV)

Ist die Darstellung eindimensional, entspricht der Charakter daher dem einzigen Matrixele-ment dieser Darstellung. Allgemein kann man zeigen, dass zur Symmetrieanalyse das Rech-nen mit dem Charakter einer Darstellung ausreichend ist und nicht die Darstellung selbst be-trachtet werden muss. Mathematisch kann allgemein gezeigt werden, welche irreduziblen Darstellungen in einer be-stimmten Punktgruppe vorkommen können und wie diese sich unter den Symmetrieoperatio-nen der Gruppe verhalten. Die Resultate dieser formellen, mathematischen Betrachtungen werden in Charaktertafeln tabelliert, die in Büchern nachgeschlagen werden können. Charak-tertafeln zeigen das Verhalten aller irreduziblen Darstellungen einer Punktgruppe unter allen Symmetrielementen dieser Gruppe. Weiterhin finden sich in der Charaktertafel einer Punkt-gruppe noch zwei weitere Spalten, hier sind mögliche Basisfunktionen der jeweiligen irredu-ziblen Darstellungen angegeben3. Tabelle 1 zeigt die Charaktertafel der Punktgruppe C2v.

Tabelle 1 - Charaktertafel für die Punktgruppe C2v zu der z.B. Wasser gehört. Die erste Spalte zeigt die irreduziblen Darstellungen. Die nachfolgenden Spalten, deren Charakter unter der angegebenen Transformation. Die beiden letzten Spalten zeigen mögliche Basisfunktionen der irreduziblen Darstellungen.

C2v E C2 (z) σv(xz) σv(yz) Linear, Rotationen Quadratisch

a1 1 1 1 1 z x2, y2, z2 a2 1 1 -1 -1 Rz xy b1 1 -1 1 -1 x, Ry xz b2 1 -1 -1 1 y, Rx yz

Wie lassen sich nun die gerade diskutierten Charaktertafeln auf Schwingungsspektren anwen-den? Die Darstellung hier orientiert sich an [1], wo sich auch eine weitergehende Diskussion findet. Sind die Symmetrien der Normalmoden des Moleküls noch unbekannt, müssen zu-nächst diese bestimmt werden. Dies wird hier am Wassermolekül erläutert, das mit 3 Atomen und damit 9 Koordinaten noch „überschaubare“ Abbildungsmatrizen liefert. Zunächst müssen die Positionen der einzelnen Atome im Raum durch ein Koordinatensystem, das heißt eine Basis, definiert werden, so dass sich die Molekülgeometrie als Vektor formulieren lässt. Hier-bei benötigt jedes Atom drei eigene Basisvektoren, die alle wie das globale kartesische Koor-dinatesystem orientiert sein können aber nicht müssen. Mittels dieses Basissatzes können nun die Abbildungsmatrizen aufgestellt werden, die die jeweiligen Symmetrieoperationen der Punktgruppe C2v, zu der Wasser gehört, wiedergeben. Abbildung 8 zeigt dies für die Identi-tätsoperation E und die Drehung C2. Die Identitätsoperation ist eine Symmetrieklasse, die in jeder Punktgruppe enthalten ist, da sie jeden Basisvektor auf sich selbst abbildet, ihre Abbil-dungsmatrix ist damit eine Diagonalmatrix aus Einsen. Der Charakter von E entspricht damit der Dimension der Transformationsmatrix bzw. der Zahl der Freiheitsgrade und ist damit

3 X,Y, Z sind hierbei die kartesischen Basisvektoren des Koordinatensystems, Rx, Ry, Rz stellen Rotationen um die entsprechenden Achsen dar, die quadratischen Funktionen bzw. ihre Linearkombinationen entsprechen in ihrem Verhalten den d-Orbitalen bzw. auch dem des Polarisierbarkeitstensors α.

beim Wasser 9. Die Rotation C2 um die z-Achse vertauscht die beiden H-Atome und belässt den Sauerstoff an seinem Platz. Daher sind nur die Diagonalelemente des Sauerstoffs ungleich von Null. Sowohl x- als auch y-Vektoren am Sauerstoff werden durch die Drehung in ihr Ne-gatives transformiert, damit wird das entsprechende Diagonalelement -1. Zwei Dinge fallen an der Transformationsmatrix von C2 auf: Die Matrix hat keine Blockdiagonalform, da die Vektoren zwischen den beiden H-Atomen vertauscht werden. Weiterhin zeigt sich, dass nur Atome zum Charakter der Matrix beitragen, die nicht ihren Platz verlassen. Dies lässt sich dazu nutzen, schnell den Charakter der andern Symmetrieoperationen von C2v bei Wasser für reduzible Darstellungen zu ermitteln. Man erhält die in Abb. 5 gezeigte Charakterzeile für das gewählte Basissystem.

Abbildung 8 – a) Basisvektoren am Wassermolekül zur Beschreibung aller 9 Frei-heitsgrade. b) Transformationsmatrizen in der Basis von a) für die Symmetrieope-rationen „Identität“ E und „Drehung um die z-Achse“ C2. c) Die Wirkung aller Symmetrieelemente der Punktgruppe C2v auf die Basisvektoren am Sauerstoff. Außer bei E und σxy werden die beiden Wasserstoffe durch die Symmetrieoperationen im-mer vertauscht, wodurch sie nicht in den Charakter (die Spur) mit einfließen.

Nun muss zunächst ermittelt werden, welche irreduziblen Darstellungen von C2v wie häufig benötigt werden, um die reduzible Darstellung im selbst gewählten Koordinatensystem wie-derzugeben. Da Charaktere von Darstellungen unabhängig vom Koordinatensystem sind, muss die Summe aller Charaktere der irreduziblen Darstellungen dem Charakter der reduzib-

len Darstellung für alle Symmetrieoperationen entsprechen. Die Charaktere der reduziblen Darstellung von Wasser finden sich in Abbildung 8c). In einfachen Fällen könnte man nun also durch Ausprobieren die entsprechenden irreduziblen Darstellungen finden, die eine redu-zible Darstellung enthält. Andernfalls gibt es ein schnelles Verfahren, dies auf mathemati-schem Weg zu finden4. Für Wasser findet man eine Zerlegung in

1 2 1 23 3 2 .redD a a b b= + + + (XXVI)

Da Normalmoden linear unabhängig voneinander sein sollen, dürfen sie nicht durch Symme-trieoperationen des Moleküls gemischt werden. Die Normalmoden müssen also Basisfunktio-nen der irreduziblen Darstellungen bilden. Will man nun aus der Summe in Gleichung (XXVI) die irreduziblen Darstellungen erhalten, die mit Normalmoden verknüpft sind, so müssen die Darstellungen entfernt werden, die mit anderen Molekültransformationen ver-knüpft sind. Das gewählte Koordinatensystem erlaubt neben der Formulierung von Schwin-gungen auch die Darstellung der Translation und der Rotation des gesamten Moleküls. Ana-log der Gleichung zur Bestimmung der Schwingungsfreiheitsgrade eines N-atomigen Mole-küls (3N-6) müssen die mit den entsprechenden Freiheitsgraden verknüpften irreduziblen Darstellungen entfernt werden. Die Charaktertafel von C2V (Tabelle 1) zeigt, dass a1, b1 und b2

wie die kartesischen Translationsvektoren transformieren und a2, b1 und b2 wie die Darstel-lungen der Rotationen um die drei Raumachsen. Man erhält die Charaktere der Normalmo-den, indem man von Gl. (XXVI) diese Beiträge subtrahiert:

1 2 1 2 1 1 2 2 1 2

1 1

(3 3 2 )

2 .

vib

Translation Rotation

D a a b b a b b a b b

a b

⎛ ⎞ ⎛ ⎞⎜ ⎟ ⎜ ⎟= + + + − + + − + +⎜ ⎟ ⎜ ⎟⎝ ⎠ ⎝ ⎠

= +

(XXVII)

Zwei der drei Normalmoden des Wassers sind also Basisfunktionen der totalsymmetrischen Darstellung a1 und dürfen daher die Symmetrie des Moleküls nicht herabsetzen. Totalsym-metrisch sind Streckschwingung und Biegeschwingung des Systems. Übrig bleibt eine Mode, die wie die Darstellung b1 transformiert, d.h. antisymmetrisches Verhalten zur Hauptdreh-achse zeigen muss.

Nachdem wir die Symmetrie der Normalmoden des Moleküls analysiert haben, können nun die RAMAN- und IR-Aktivitäten der Moden untersucht werden. Hierzu muss das Dreifachpro-dukt aus Gleichung (XXII), über das beim Übergangsdipolmoment integriert wird, bestimm-ten Symmetrieanforderungen genügen. Es kann gezeigt werden, dass das Integral nur dann nicht Null wird, wenn die Funktion, über die integriert wird, bezüglich der Symmetrieele-mente des Moleküls die totalsymmetrische Darstellung enthält. Um die Symmetrie des Pro-duktes zu ermitteln, reicht es aus, die Symmetrie aller drei Beiträge zu kennen. Die Gesamt-symmetrie ergibt sich dann direkt aus einer einfachen Rechnung mit den Charakteren der Beiträge, dem direkten Produkt. Klären wir zunächst die Symmetrien der einzelnen Funktio-nen: Da im Rahmen des Versuchs ausschließlich Schwingungs-Spektroskopie durchgeführt wird, betrachten wir als beteiligte Wellenfunktionen Schwingungswellenfunktionen des har-monischen Oszillators. Dessen Wellenfunktionen setzten sich immer aus einer Exponential-

4 Eine irreduzible Darstellung R (Charakter der irred. Darst. CR,irred) kommt ai mal in einer reduziblen Darstellung (Charaktere der red. Darst. Cred) vor. Bei einer Gruppe mit h Symmetrielementen gilt:

,.

red R irrediR

a C C=∑ Für eine erweiterte Diskussion siehe 1. F. Engelke, Aufbau der Moleküle (Teubner, 1985).

funktion und einem hermiteschen Polynom zusammen. Da wir hier nur den Übergang zum ersten angeregten Zustand untersuchen wollen, nehmen letztere glücklicherweise noch keine komplizierte Form an. Für die Wellenfunktionen entlang der Normalkoordinate Q der ersten beiden Zustände eines harmonischen Oszillators gilt daher:

2

2

12

1 012

2 1 .

Q

Q

N e

N Qe

α

α

ψ

ψ

=

=

(XXVIII)

Hierbei ist Ni eine Konstante, Q die Normalkoordinate der betrachteten Schwingung und α eine weitere Konstante. Betrachten wir nun die Funktionen hinsichtlich ihrer Symmetrie: ψ1 hängt von Q2 ab und hat damit immer den gleichen Funktionswert unter den Transformatio-nen der Punktgruppe, die ja maximal das Vorzeichen der Normalkoordinate ändern. Die Funktion ψ1 transformiert also immer wie die totalsymmetrische Darstellung der Punktgruppe. ψ2 hingegen beinhaltet ebenfalls einen totalsymmetrischen Anteil, allerdings multipliziert mit der Normalkoordinate der Schwingung. Das entsprechende Produkt transformiert also wie die Normalkoordinate selbst mit der irreduziblen Darstellung der Schwingung. Nun bleibt noch die Symmetrie der Operatoren zu klären. Hierbei gilt, dass der Operator des Dipolmoments wie die kartesischen Basisvektoren transformiert, die in der Charaktertafel mit x,y,z markiert sind. Als Merkhilfe kann der Vektorcharakter des Dipolmoments als Ursache für dieses Transformationsverhalten angenommen werden: Das Dipolmoment, ein Vektor mit drei Komponenten im kartesischen Raum, transformiert wie die Basisvektoren dieses Rau-mes.5 Der Operator der Polarisierbarkeit hat, entsprechend seines symmetrischen Tensorcharakters, sechs unabhängige Komponenten. Ein Blick in die Charaktertafel zeigt, dass die dort ebenfalls angegebenen quadratischen Basisfunktionen wie die Komponenten ei-nes entsprechenden Tensors erscheinen. Tatsächlich transformiert der Polarisierbarkeitsope-rator wie die quadratischen Basisfunktionen. Quadratische Basisfunktionen bilden die Grundlage für die d-Orbitale, wo sie allerdings teilweise in Linearkombination vorkommen. Anhand dieser Orbitale kann daher auch das Symmetrieverhalten dieser Funktionen nachvoll-zogen werden. Um nun die RAMAN-/ IR-Aktivität einer Mode zu untersuchen, benötigt man weiterhin ledig-lich zwei formelle Regeln für den Umgang mit Charakteren: Um die Symmetrie des Integran-den aus den Charakteren der beiden Wellenfunktionen und des Operators zu bestimmen, ver-wendet man das direkte Produkt. Dies stellt eine auf Charakteren basierende Form der Matrixmultiplikation dar und entspricht damit dem hintereinander Ausführen der entspre-chenden Symmetrieoperationen. Das direkte Produkt für den Charakter einer Symmetrieope-ration ergibt sich einfach durch Multiplikation des jeweiligen Charakters der beteiligten Funktionen oder Operatoren, und das jeweils für alle Symmetrieelemente der Punktgruppe. Das direkte Produkt liefert damit den Charakter des Dreifachproduktes unter allen Sym-metrieoperationen der Punktgruppe. 5 Es ist zu beachten, dass die einfache Form des Dipoloperators ˆ i i

ie rμ =∑ eine Summe über alle Kern- und

Elektronenkoordinaten umfasst und damit eine Lösung der gesamt Wellenfunktion des Moleküls erfordert. Im Rahmen der BORN-OPPENHEIMER Näherung kann nun die elektronische Wellenfunktion separiert werden und ein Erwartungswert des Dipolmoments für bestimmte Kernkoordinaten berechnet werden. Dieser Erwartungs-wert, der die Lösung der elektronischen Wellenfunktion erfordert, kann nun als Operator für das Übergangs-dipolmoment der Schwingungswellenfunktion verwendet werden. Im Rahmen dieses Skripts wird daher nur das Symmetrieverhalten dieses Operators diskutiert und nicht seine eigentliche Form. Selbiges gilt auch für die Pola-risierbarkeit.

Nun gilt allgemein, dass ein Integral nur dann nicht verschwindet, wenn die Symmetrie des Integranden die totalsymmetrische Darstellung ist oder diese zumindest enthält6. Betrachtet man nun die drei Schwingungsmoden von Wasser, so wurde in Gleichung (XXVII) bereits gezeigt, dass es zwei totalsymmetrische a1-Moden und eine Mode mit b1-Symmetrie gibt. Die Wellenfunktionen des Schwingungsgrundzustandes haben, wie bereits diskutiert, a1-Symmetrie, die des angeregten Zustandes haben jeweils die Symmetrie der Mode. Die drei Komponenten des Dipoloperators transformieren, entsprechend der Charaktertafel (vgl. Ta-belle 1), wie (a1|b1|b2). Für die drei Schwingungsmoden des Wassers gilt also:

Abbildung 9 –Die Anwendung des direkten Produktes zur Bestimmung der IR-/ RAMAN-Aktivität von Moden. Dazu wird die Symmetrie des Dreifachproduktes aus Schwingungswellenfunktionen und Operator untersucht. Die Charaktere der Ope-ratoren ergeben sich aus den Basisfunktionen in der Charaktertafel Tabelle 1. Das direkte Produkt ergibt sich einfach durch Multiplikation der jeweiligen Charaktere der beteiligten irreduziblen Darstellungen. Hierbei bedeuten: ∼“transformiert wie“ und ⊗ “direktes Produkt“. Die Beispielrechnung für die Anwendung des direkten Produktes auf die y-Komponente des Übergangsdipolmoments, ergibt die irreduzible Darstellung a2, die entsprechende Komponente trägt daher nicht zum IR Signal bei.

6 Sollten das direkte Produkt eine reduzible Darstellung aufspannen, kann diese wie vorher schon gezeigt, in irreduzible Darstellungen aufgespalten werden. Enthält diese Aufspaltung dann die totalsymmetrische Darstellung a1 ist das entsprechende Integral von Null verschieden.

Beim Wasser sind damit alle drei Schwingungsmoden IR und RAMAN aktiv, da immer ein Element der jeweiligen Mode die totalsymmetrische Darstellung enthält. Die hier vorgestellte Rechnung erlaubt es weiter, den Polarisationscharakter von RAMAN-Moden vorherzusagen. Wie oben gezeigt, ist für das Signal der Schwingungsmoden υ1,2 die a1-Komponente des RA-MANtensors verantwortlich, wohingegen für υ3 die b1-Komponente relevant ist. Ein Blick in die Charaktertafel zeigt, dass nur die Darstellung a1 die Diagonalelemente des Polarisierbar-keitstensors (x2, y2, z2) enthält, b1 hingegen zum Außerdiagonalelement xz gehört. Denken wir zurück an die Diskussion in Abschnitt 1.3, erwarten wir für die Schwingung υ3 eine de-polarisierte Bande, für die Moden υ1,2 wird hingegen eine polarisierte Bande erwartet. 2. Versuchsaufbau und Messtechnik 2.1. Beschreibung von Aufbau, Messtechnik und Steuerung des Versuchs

Abbildung 10 – Darstellung des RAMAN-Spektrometer Aufbaus. Ein HeNe-Laser wird als Anregungsquelle für das hier vorgestellte RAMAN-Experiment verwendet. Die Optik wurde so entwickelt, dass ein möglichst großer Teil des RAMAN-Signals auf den Eingangspalt des Spektrometers abgebildet wird.

In diesem Abschnitt wird der Aufbau des RAMAN-Spektrometers im Praktikum diskutiert. Eine Übersichtsskizze des Aufbaus ist in Abbildung 10 wiedergegeben. Ein entscheidendes Merkmal der in den vorangehenden Abschnitten theoretisch diskutierten RAMAN-Streuung, ist die sehr geringe Quantenausbeute dieses Prozesses. Die Herausforderung bei einem RAMAN-Experiment ist daher das äußerst schwache RAMAN-Signal neben der notwendigerweise star-ken Anregungsquelle zu detektieren. Dies stellt zwei zentrale Anforderungen an den Messaufbau: Erstens muss es gelingen, die Strahlung der Anregungsquelle vom Detektor fern zu halten, da selbst kleine Streubeiträge deutlich stärker ausfallen als das eigentliche RAMAN-Signal. Zweitens muss die verwendete Detektortechnik in der Lage sein, die schwache RAMAN-Streuung mit ausreichendem Signal-zu-Rausch-Verhältnis aufzunehmen. Zunächst sind zwei Effekte im Hinblick auf die Unterdrückung der Anregungsquelle zu be-rücksichtigen. Da der verwendete Helium-Neon-Laser durch eine elektrische Gasentladung

gepumpt wird, können neben der Laserlinie weitere Emissionsbanden, entstehend durch die Entladung, beobachtet werden. Letztere sind zwar um viele Größenordnungen schwächer als der Laser selbst, doch für den Detektor des RAMAN-Versuchs immer noch sichtbar. Um zu verhindern, dass hierdurch Banden im Spektrum auftauchen, die nicht durch die Probe her-vorgerufen werden, muss der Laser vor der Küvette ein optisch schmalbandiges Filter durch-laufen. Dieses lässt die Laserlinie passieren und unterdrückt alle übrigen Frequenzen im beobachteten Spektralbereich. Weiterhin ist zu beachten, dass in einem optischen System wie einem Monochromator sich Streuung nicht vollständig unterdrücken lässt. Bei Monochromatoren äußert sich das in Form eines deutlich messbaren Hintergrundsignals vor allem in der Nähe der Anregungswellen-länge. Dieser Effekt wird umso kritischer, je stärker das Anregungslicht in Richtung des Mo-nochromators gelenkt wird. Der extremste Fall tritt z.B. ein, wenn bei einem Mikroskopie-Experiment kollinear mit der Anregung detektiert werden muss. Um diesen Hintergrund zu minimieren, wird eine Geometrie gewählt, bei der 90° zur Anregung detektiert wird. Trotz-dem erreicht immer noch relativ viel Streustrahlung den Eingangsspalt des Detektors. Um noch weiter ungewünschtes Hintergrundsignal zu unterdrücken, wurden früher mehrere Mo-nochromatoren in Reihe geschaltet, was die Effizienz und Einfachheit des RAMAN-Aufbaus deutlich beeinträchtigte. Außer in Spezialfällen greift man daher heute zu speziell entwickel-ten dielektrischen optischen Filtern, die eine extrem steile Kante zwischen vollständiger Un-terdrückung und maximaler Transmission nahe der Laserlinie aufweisen. Die Position der Kante wird so gewählt, dass sie die Laserlinie unterdrückt und leicht rot verschoben (im STOKES Fall) schnell auf maximale Transmission ansteigt. Mit einem derartigen Filter kann ungewünschte Streuung der Anregung wirksam unterdrückt und gleichzeitig ein effizienter Schutz für den empfindlichen Detektor vor der intensiven Anregungsstrahlung aufgebaut werden. Die Unterdrückung der hier verwendeten Filter ist so groß, dass z.B. im Fall eines Mikroskops noch direkt im Strahl des Lasers nach der Probe das RAMAN-Signal in guter Qua-lität gemessen werden kann. Der zweite wichtige Faktor ist die verwendete Detektortechnologie. Diese muss in der Lage sein, das schwache Signal der RAMAN-Streuung mit gutem Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu detektieren. Im Fall unseres Aufbaus wird hierzu auf einen Photomultiplier zurückgegriffen. Photomultiplier sind als Detektoren vor allem für geringste Intensitäten interessant, da sie durch ihre große interne Verstärkung selbst das Zählen einzelner Photonen zulassen. Da jedes Messsystem zwangsläufig mit Rauschen behaftet ist, stellt sich bei schwachen Sig-nalen zusätzlich die Herausforderung, diese über das Rauschen zu verstärken. Ein gewöhn-licher Verstärker hilft hierbei nicht, da sowohl Rauschen als auch Messsignal gleichermaßen verstärkt werden. Im Versuch wird hierzu ein Lock-In Verstärker eingesetzt. Dieser lässt vom Prinzip her mit einem Radioempfänger vergleichen. Moduliert man das Anregungslicht mit einer bestimmten Frequenz, hier geschieht es durch einen mechanischen Chopper, so weiß man, dass das Messsignal auch mit dieser Frequenz moduliert wird. Verwendet man nun ein schmal bandiges Filter ausschließlich auf dieser Frequenz wird das Rauschen auf allen übrigen Frequenzen (z.B. Licht, das mit 60 Hz Netzfrequenz oszilliert) nahezu unterdrückt. Ein Lock-In Verstärker erreicht diese Filterung nun dadurch, dass ein Referenzoszillator mit dem Messsignal multipliziert wird, was gegenüber einem reinen Frequenzfilter messtechnische Vorteile bringt.

2.2. Betrieb des Aufbaus In diesem Versuch kommt ein 40 mW Laser (Klasse 3B) zum Einsatz. Da Laser dieser Leis-tungsklasse bereits eine Gefahr für die Augen darstellen, muss vor Inbetriebnahme des Auf-baus eine entsprechende Sicherheitsunterweisung stattgefunden haben. Beim Umgang mit La-sern ist immer eine entsprechende Schutzbrille zu tragen, die für den verwendeten Laser auch geeignet ist (Beschriftung der Brille kontrollieren!). Uhren und Schmuck dürfen wegen mög-licher Reflexe bei der Arbeit mit Laserquellen nicht getragen werden. Niemals mit den Augen auf Höhe des Lasers gehen, etwa um zu überprüfen, ob ein Strahlverlauf gerade ist. Bei die-sem Versuch ist vor allem beim Handhaben der Küvette größte Vorsicht geboten da hier leicht Reflexe in Richtung des Benutzers entstehen können. Alle Justagearbeiten die einen Betrieb des Lasers bei offenem Gehäuse erfordern, dürfen nur unter Aufsicht des Assistenten durchgeführt werden. Nach Abschluss der Justage blockiert ein Sicherheitsverschluss den La-ser, sobald ein Deckel des Versuchs geöffnet wird. Zur Detektion des sehr schwachen RAMAN-Signals wird ein Photomultiplier verwendet. Pho-tomultiplier sind in der Lage, Licht bis hin zu Einzelphotonenereignissen nachzuweisen und daher empfindlich gegen zu starke Beleuchtung, welche sie irreversibel beschädigen oder auch zerstören kann. Um zu verhindern, dass das vom Laser erzeugte Streulicht den Detektor erreicht, wird während der meisten Messungen ein Langpassfilter verwendet, das die Laser-wellenlänge blockiert. Für manche Aufgabenstellungen muss dieses Filter entfernt werden. Niemals mit eingesetzter Probe und Photomultiplier-Spannung größer als 500 V die An-regungslinie (Bereich + / - 100 cm-1) überfahren! Achtung: Der Monochromator fährt beim Reduzieren der Wellenlänge sehr weit unter die eingestellte Zielwellenlänge und kann dabei unbeabsichtigt die Laserwellenlänge erreichen. Den Photomultiplier nur in Betrieb nehmen, wenn das Signal beobachtet werden kann, die entsprechende Verkabelung und die Einstellung der Messgeräte vorher überprüfen! Die Beschleunigungsspannung des Photomultipliers nur langsam unter Beobachtung des Messsignals erhöhen!

3. Aufgabenstellung 3.1. Testen und Optimieren des Aufbaus a) Diskutieren sie den Aufbau des Experiments und dessen Steuerung mit dem Assistenten

und nehmen sie die einzelnen Komponenten des Versuchs in Betrieb. Vermessen sie ma-nuell grob die Laserlinie mittels Kommandos an die Messgeräte.

b) Vermessen sie die Auflösung des Aufbaus bei verschiedenen Spaltbreiten. c) Optimieren sie den Aufbau mittels der Fluoreszenz von Nilblau und nehmen sie ein

Fluoreszenzspektrum auf. Nehmen sie niederfrequente Spektren für verschiedene Winkel des Langpass Kantenfilters auf und diskutieren sie die Beobachtung.

d) Messen sie die Impulsantwortfunktion des Lock In Verstärkers für verschiedene Zeitkon-stanten. Berechnen sie Bandbreite der jeweiligen Frequenzfilter.

3.2. RAMAN-Spektren von Lösungsmitteln` a) Nehmen sie ein RAMAN-Übersichtsspektrum von zwei unbekannten Substanzen auf.

Identifizieren sie diese. Wählen sie eine intensive Bande aus und bestimmen sie die Auf-lösung für drei verschiedene Spaltbreiten.

3.3. Polarisationsabhängige Spektren a) Setzen sie den Polarisationsfilter ein und nehmen Teilbereich einer der Substanzen (Rück-

sprache mit Assistent) jeweils ein Spektrum pro Polarisationsebene auf. Bestimmen sie die Depolarisationsgrade.

b) Bestimmen sie die Depolarisationsgrade von SiCl4. Diskutieren sie mittels Gruppentheo-

rie, welche Schwingungsmoden in diesem Molekül RAMAN aktiv sind und welche pola-risiert bzw. depolarisiert auftauchen müssen.

3.4. STOKES- und anti-STOKES-Seite des Spektrums a) Vermessen sie für Chloroform beide Seiten des Spektrums und schätzen sie die

Probentemperatur ab. Welche Probleme ergeben sich bei diesem Vorgehen?

b) Bestimmen sie die BOLTZMANN-Konstante durch die temperaturabhängige Messung einer anti-STOKES-Linie von Chlorcyclohexan.

Literatur: [1] F. Engelke, „Aufbau der Moleküle“ (Teubner, 1996). Gut verständliche Einführung in die Grundlagen der chemischen Gruppentheorie [2] H. Haken und H. Wolf, „Molekülphysik und Quantenchemie“, (Springer Verlag, 2006). Gute Darstellung von Gruppentheorie und erweiterte quantenmechanische Diskussion des RAMAN-

Effektes. Im Universitätsnetz als Ebook verfügbar [4] C. Banwell und E. McCash, „Molekülspektroskopie: ein Grundkurs“ (Oldenburg-

Verlag, 1999) Allgemeine Übersicht über verschiedene Methoden der Molekülspektroskopie [5] W. Demtröder, „Laser Spectroscopy - Basic Concepts and Instrumentation“ (Springer

Verlag, 1996) Lehrbuch über Methoden der Laserspektroskopie [6] B. Schrader, „Die Möglichkeiten der RAMAN-Spektroskopie im Nah-Infrarot-Bereich“

(Teil I - Chem. unserer Zeit 1997, 31(5), 229, Teil II – ibid. 1997, 31(6), 270). Übersichtsartikel über praktische Aspekte der RAMAN-Spektroskopie