Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie...

29
SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Reinhardt Rummel Konfliktprvention: Etikett oder Marken- zeichen europischer Interventionspolitik? S 45 November 2003 Berlin

Transcript of Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie...

Page 1: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Reinhardt Rummel

Konfliktprävention: Etikett oder Marken-zeichen europäischer Interventionspolitik?

S 45 November 2003 Berlin

Page 2: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2003 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372

Page 3: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Aufgaben 7Präventionsbedarf 7Selbstgesteckte Ziele 8Reichweite der Ambitionen 10

Akteure 11EU-Institutionen 11Die Mitgliedstaaten 14Regionale und internationale Akteure 15

Aktionsmittel 17Mobilisierung vorhandener Instrumente 17Mainstreaming 17Systematische Konfliktverhütung 18Aufbau neuer Kapazitäten 19Fonds für Sofortmaßnahmen 19Zivile Instrumente der ESVP 20Militärische Fähigkeiten 21Künftige Fähigkeiten 22

Aktivitäten 24Regionale Präventionsaktivitäten 24Exkurs 1: Fallstudie Makedonien 25Funktionale Präventionsaktivitäten 26Exkurs 2: Fallstudie Kleinwaffenregime 27Steigerung des Anspruchs 29

Abkürzungen 29

Page 4: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Page 5: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

5

Problemstellung und Empfehlungen

Konfliktprävention:Etikett oder Markenzeicheneuropäischer Interventionspolitik?

Versuche, das Potential der Europäischen Union (EU)durch eine Politik zur Verhütung beziehungsweiseDämpfung von Gewaltkonflikten international besserzu nutzen, sind bisher eher enttäuschend ausgefallen.Weder sind bei der Konfliktverhütung viele Erfolgs-meldungen zu verbuchen, noch hat sich am Standingder EU etwas geändert. Allerdings können auch andereprominente internationale Akteure, allen voran dieVereinten Nationen (VN) und die USA, keine bessereBilanz vorweisen. Das muß indessen nicht heißen, dieganze Entwicklungsrichtung sei verfehlt und dieAkteure seien nicht fähig, Konflikten vorzubeugen.Vielmehr gilt nach wie vor, daß eine weltweite »Kulturder Konfliktprävention« (Kofi Annan) erstrebenswertist und daß zumindest die EU grundsätzlich gerüstetbleibt, dazu einen führenden Beitrag zu leisten.

Die EU könnte sich auf diesem Feld sogar eine unver-wechselbare Qualität schaffen und damit ein zusätz-liches europäisches Gewicht in die internationalestrategische Waagschale legen. Denn bis auf weiteresgilt: Von ihren Ambitionen und Anlagen her kann dieEU weder eine Zivilmacht bleiben noch zu einer mili-tärischen Supermacht werden, sie wird aber internatio-nal zunehmend gefordert und kann sich der Verant-wortung auf Dauer auch nicht entziehen. Unter diesenUmständen käme die Spezialisierung auf Präventions-politik einer Optimierungsstrategie für europäischeSicherheits- und internationale Ordnungspolitikgleich. Konfliktverhütung müßte vom Etikett zumMarkenzeichen europäischer Interventionspolitikavancieren.

Um ein solches Ziel zu erreichen, müßten sich dieEU und ihre 25 Mitgliedstaaten weitaus entschiedenerzu präventiver Politik bekennen als das Europa derFünfzehn bisher. Hier liegt lohnendes Entwicklungs-potential, das sich mit wenigen Reformschrittenfruchtbar machen ließe, zumal der Anfang bereitsgemacht ist. Der präventive Ansatz wurde in denJahren 2000/2001 programmatisch mit viel Optimis-mus lanciert und mit operativer Kleinarbeit in dielaufenden außen-, entwicklungs- und sicherheits-politischen Aktivitäten der Union eingefügt. Nachdiesem breitflächigen Auftakt wäre in einer zweiten

Page 6: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Problemstellung und Empfehlungen

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

6

Entwicklungsphase (2004/05) das Schwergewicht aufdie strategische Nutzung dieser Ressourcen zu legen.

Erster Reformschritt wäre die Operationalisierungder Vorgabe aus der Europäischen Sicherheitsstrategie– ein eigenständiges europäisches Krisenmanagementmit starker präventiver Komponente. Die EU würdenicht nur von ihren vielen komparativen Vorteilensprechen, sondern ihre Fähigkeiten auch nutzen:

Sie müßte ihre Glaubwürdigkeit als friedlicheUnion ehemals verfeindeter Mitgliedstaaten selbst-bewußt einsetzen, um sich als Autorität weltweiterKonfliktpräventionspolitik zu etablieren.

Die Tatsache, daß die EU die größte Geberorgani-sation ist, müßte als Rechtfertigung für den An-spruch auf einen größeren Einfluß auf die Gestal-tung der internationalen Ordnung offensiv genutztwerden.

Die EU müßte die ebenso seltene wie gefragte Fähig-keit, zivile Hilfe mit souveränitätsschonender Mili-tärintervention zu verbinden, vermehrt als welt-politische Dienstleistung anbieten.Zur Umsetzung dieser Imperative wären in einem

zweiten Innovationsschritt ihre Sonderbeziehungenmit Staaten und Regionalorganisationen für dieZwecke präventiver Anliegen zu instrumentieren.Nicht nur die eigene Außen- und Sicherheitspolitikmuß neu ausgerichtet werden, Ziel muß es sein, diePräventionsfähigkeit derjenigen zu fördern, die durcheskalierende Konflikte und langjährige Kleinkriegelokal betroffen sind. Die EU hat vergleichsweise sehrgute Voraussetzungen dafür:

Ihre neue Nachbarschaftspolitik könnte die Gravi-tation der Union dazu nutzen, auf das Verhaltender Staaten und Gesellschaften an den erweitertenGrenzen der EU einzuwirken.

Ihre Entwicklungs- und Vertragsbeziehungen könn-ten stärker mit Auflagen verknüpft werden, wie mitden Staaten des Cotonou-Abkommens und jüngstmit Iran bereits begonnen.

Die Union könnte ihre bilateralen Dialoge mitIndustrieländern stärker in den Dienst internatio-naler Präventionspolitik stellen und zu operativenPartnerschaften ausbauen.Mit einem dritten Innovationsschritt würde die

Union auf die Übernahme eines erkennbaren Teilsweltweiter Verantwortung abzielen. Sie würde einendeutlicheren Unterschied zwischen den Präventions-aufgaben machen, die sie mit eigenen Mitteln wahr-nehmen will und kann, und den Präventionsaufgaben,für die sie sich Kooperationspartner sucht beziehungs-weise für die sie selbst als Mitwirkende nachgefragt

wird. Die EU müßte sich dazu mehr auf ihre Koop-tionsmacht stützen:

Die Unionsführung müßte ihre Präventionsagendamit der amerikanischen Regierung abstimmen undsich dort, wo es zweckmäßig ist, an rollenspezifi-schem Vorgehen beteiligen.

Die EU müßte sich so wie in der G 8 auch im VN-System als Motor der Präventionspolitik verstehen,aber – über die ideelle Zielansprache hinaus – inder Praxis Kooperationsverbindungen mit der Welt-organisation sowie ihren Unter- und Regionalorga-nisationen eingehen.

Schließlich müßte Brüssel die horizontalen Präven-tionsmaßnahmen (Normensetzung, Regimebildung,Wissensmanagement, Training) erweitern und demdafür unerläßlichen multilateralen Ansatz größe-res Gewicht verschaffen.Alle drei Entwicklungsschritte erfordern strategi-

sches Denken und strategisches Handeln auf euro-päischem Niveau, was derzeit noch die Ausnahme ist,aber zur Regel werden müßte. Die EU mit ihren Brüsse-ler Institutionen und Wirkungsmöglichkeiten schafftdiesen qualitativen Sprung allein nicht. Erst wenn dieMitgliedstaaten ihre eigenen Präventionspolitiken indie EU einbringen, entsteht die notwendige Qualität.Die Synergien zwischen der EU-Ebene und der Aktions-ebene der Mitgliedstaaten würden die entscheidendenImpulse schaffen. Die Mitgliedstaaten hätten akzep-tiert, daß Konfliktprävention kein Selbstläufer ist,kostspielig und risikoreich sein kann sowie ein Vor-gehen erfordert, dessen Wirkung überprüft werdenmuß, um Lernprozesse zu ermöglichen.

Die amtierende deutsche Bundesregierung hatsowohl in ihren Koalitionsvereinbarungen wie imRegierungsprogramm eine Erhöhung des Stellenwertsvon Prävention betont. Offen geblieben ist, ob sichdieses Ansinnen allein auf das nationale, ressortüber-greifende Aktionsprogramm bezieht, an dessen kon-zeptioneller Gestaltung gegenwärtig gearbeitet wird,oder ob entsprechender Einfluß auch in Brüssel,Washington und New York geltend gemacht werdensoll. In jedem Fall wäre der Informations- und Erfah-rungsaustausch mit den EU-Mitgliedstaaten hinsicht-lich präventiver Vorhaben bereits ein bereichernderAnfang.

Page 7: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Präventionsbedarf

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

7

Aufgaben

Auch in Zukunft wird die EU einer großen Bandbreiteunterschiedlicher Gewaltkonflikte in der Welt gegen-überstehen, ohne daß es verläßliche Mittel gäbe, dieeskalatorische Dynamik dieser Konflikte im gewünsch-ten Ausmaß in allen Fällen zu kontrollieren. Für dieVerantwortlichen in der Union stellt sich deshalb dievielschichtige Aufgabe der Auswahl sowie die derVorgehensweise im konkreten Fall.1

Den vielen innerstaatlichen Kontroversen mitTendenz zur Gewaltanwendung (wie etwa in Algerienoder Indonesien) ist von außen mit einem anderenAnsatz zu begegnen als den sich mehrenden regio-nalen Dauerkonflikten (wie in Zentral- oder West-afrika) und den zunehmenden Fällen der Kriegs-nachsorge (wie etwa in Afghanistan oder Irak). Gleich-zeitig reicht es nicht aus, sich lediglich einzelneLänder vorzunehmen, wenn sich die »gewaltoffenenRäume« erweitern, wenn die sogenannten NeuenRisiken in ihrer globalen Dimension weiter zunehmenund wenn die Quellen der gefährlichsten Formen desinternationalen Terrorismus diffus bleiben.

Es handelt sich also neben den innerstaatlichen umeine große Anzahl transnationaler und weltweiterhorizontaler Probleme, denen sich die EU stellenmuß.2 Dabei – so auch die Aussage in dem Papier zurEuropäischen Sicherheitsstrategie (ESS) – könnte sichdie Verknüpfung einzelner Sicherheitsgefährdungen,insbesondere des Terrorismus und der Proliferation

1 In ähnlicher Weise ist auch die folgende Abhandlung alseine Selektion aus unterschiedlichen praktischen Vorgabenund analytischen Einschätzungen zu sehen, die von einemeinzelnen nicht geleistet werden kann. Der Autor istChristoph Bertram und Ulrich Schneckener (beide SWP)für die kenntnisreiche Mitwirkung an der vorliegendenStudie dankbar.2 Die wissenschaftliche Aufbereitung weltweiter, horizon-taler Konfliktfaktoren bleibt noch immer weit hinter derjeni-gen zurück, die sich auf Länder und Regionen konzentriert.Ebenso fehlt es an systematischer prospektiver Konfliktana-lyse im Vergleich zur retrospektiven Erforschung von Kon-fliktursachen. Siehe Heidelberger Institut für internationale Kon-fliktforschung (Hg.), Konfliktbarometer 2002, Heidelberg 2003;Universität Hamburg, Fachbereich Sozialwissenschaften, Arbeits-gemeinschaft Kriegsursachenforschung, <www.akuf.de>.

von Massenvernichtungswaffen, als ultimative Bedro-hung erweisen.3

Präventionsbedarf

In Brüssel erfolgt die Auswahl aus dieser ebenso infla-tionistischen wie anspruchsvollen Liste sicherheits-politischer Einzelaufgaben anhand der Interessen derMitgliedstaaten und der Fähigkeit, diese Interessenauf Unionsebene durchzusetzen. Das Ergebnis läßtsich generisch nicht bestimmen. Erst die konkreteSituation zeigt, in welcher Weise sich die europäi-schen Akteure betroffen fühlen, in welchem Ausmaßsie sich engagieren wollen und zu welchen Anstren-gungen sie wirklich in der Lage sind. Bei diesem prag-matischen Weg ist offen, inwieweit es überhaupt zueiner rationalen Auswahl kommt, nicht vielmehrAgenda und Prioritäten der EU weitgehend durch dieäußeren Umstände erzwungen werden. Zu diesenUmständen zählen so unterschiedliche Faktoren wiedie Dramatik vor Ort, die Einflüsse der Medien, dieKampagnen nichtstaatlicher Akteure und AnfragenDritter an »Europa«, denen sich die Brüsseler Institu-tionen und einige gewichtige Hauptstädte in der EUnicht ohne weiteres verschließen können.

Ein gewisser Zugzwang geht regelmäßig von globa-len Organisationen (VN, Weltbank) sowie von Regional-organisationen (OSZE, Europarat) aus, denen die EUselbst angehört, und schließt meist auch das Drängender USA sowie weiterer enger Partner ein. Sie alleunterstellen eine potentiell starke Interventionsfähig-keit der EU und folglich einen großen und vielfältigeneuropäischen Beitrag zur Bewältigung internationalerGewaltkonflikte. Auch die lokalen Akteure in den Kon-fliktregionen sehen in der EU einen äußerst potentenPartner. Schließlich ist sie dem ständigen Drängenderjenigen Nichtregierungsorganisationen (NROs) aus-gesetzt, die sich auf die Verhütung von Konflikten

3 Javier Solana, Ein sicheres Europa in einer besseren Welt,Europäischer Rat, Thessaloniki, 20.6.2003, <http://ue.eu.int/pressData/de/reports/76257.pdf>. Das Strategiepapier gilt alsEntwurf und wird für den Europäischen Rat im Dezember2003 überarbeitet. [Alle www-Adressen eingesehen imNovember 2003.]

Page 8: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aufgaben

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

8

spezialisiert haben. Die EU braucht sich also um dasSetzen von Prioritäten nicht zu sorgen, ist umgekehrtaber ihrerseits daran interessiert, möglichst vieleAnspruchsteller als Mitstreiter zur gemeinsamenKonfliktverhütung zu gewinnen.

Schließlich macht es sich bei der Definition derAufgaben in vieler Hinsicht bemerkbar, daß sich dieAußen- und Sicherheitspolitik der Union noch imAufbau und in der Erprobung befindet. Themen aufder Agenda der EU und das, was mit ihnen geschieht,nehmen daher nicht selten einen (ungewollten) Test-charakter hinsichtlich der politischen Geschlossenheitder Europäer, ihrer Entschlossenheit, der materiellenEigenständigkeit und der professionellen Durchfüh-rung an.

In diesem Sinne wird seit einiger Zeit der BereichKonfliktprävention als ein neues Feld der Sicherheits-und Europapolitik erprobt und entwickelt. Der BegriffKonfliktprävention bezieht sich auf die Anstrengun-gen zur Dämpfung und Verhütung von Gewaltkon-flikten, und zwar überwiegend vor und nach dem Aus-bruch von Kampfhandlungen sowie auf die Ausfüh-rung, mit militärischen oder nichtmilitärischenMitteln. Davon unterschieden wird der Begriff Krisen-management, der hier so gebraucht wird, daß er diemilitärischen und diplomatischen Aktivitäten währendder kriegerischen Phase eines Konflikts umfaßt. In derpolitischen Praxis der EU wird die Unterscheidungdieser beiden Formen von Intervention nicht durch-gängig angewandt. Selbst wenn eine Aktion der EUvorwiegend der Konfliktprävention gilt, wird siehäufig unter der (ungenauen bzw. unzutreffenden)Überschrift »Krisenmanagement« abgehandelt.4

Präventionspolitik muß als zentrales Thema der EU-Außen- und Sicherheitspolitik gesehen werden, dienicht zuletzt ihren Wert und ihre Existenzberech-tigung aus der Zielsetzung bezieht, weltweit zur Kon-fliktvermeidung und -bewältigung beitragen zukönnen. Die EU nimmt insofern eine besondere Rolleein, als sie neben den Vereinten Nationen als einzigeinternationale Organisation in der gesamten Band-breite von ziviler und militärischer Prävention tätigist. Die strategische Ausrichtung auf das Ziel Konflikt-

4 Eine vorbeugende Militärintervention im Sinne eines »pre-emptive strike« beschreibt eine eigene Kategorie von Konflikt-bearbeitungspolitik, die in dieser Studie weder als Teil vonKonfliktprävention noch von Krisenmanagement betrachtetwird. Inwieweit »preemptive engagement« Teil der hierbehandelten EU-Aktivitäten ist oder sein sollte, kann erstgesagt werden, wenn der Begriff im überarbeiteten Strategie-papier Solanas inhaltlich geklärt worden ist.

prävention stärkt mithin die Bedeutung der EU alsglobaler Akteur und erzeugt eine Reihe von Effekten:Sie gibt zahllosen Einzelmaßnahmen der EU einenRahmen und eine normative Orientierung. Sie führtdazu, die zivilen Maßnahmen der EU (von der Ent-wicklungszusammenarbeit über die Außenhandels-politik bis hin zu Polizeimissionen) in ein sicherheits-politisches Konzept einzubetten und damit in ihrerBedeutung aufzuwerten. Sie bedeutet ferner den Auf-bau eigenständiger militärischer Kapazitäten sowiedie Verknüpfung ziviler und militärischer Instru-mente.

Im Konzept der Konfliktprävention wird ein zen-traler Unterschied zwischen operativer (auf die Ein-hegung des akuten Konflikts gerichteter) und struk-tureller (an den Ursachen von Gewalteskalationansetzender) Prävention gemacht. Beiden Bereichenlassen sich eigene Maßnahmen zuordnen, und damitsind auch unterschiedliche Kompetenzbereiche derEU angesprochen: die Gemeinschaftsinstrumente derEU-Außenbeziehungen vorwiegend für die Struktur-probleme, die Wirkungsmöglichkeiten der GASP eherfür die akuten Fälle. Präventionspolitik darf nicht als»fertiges« EU-Rezept gesehen werden, das Brüssel nur»richtig« umzusetzen braucht. Vielmehr ist auf einigeAmbivalenzen hinzuweisen, vor allem in bezug aufEinmischung von außen versus Konfliktbehandlungvon innen, Gewaltvermeidung versus notwendigersozialer Wandel, kurz- versus langfristige Maßnahmen,zivile versus militärische Instrumente. Konfliktpräven-tion ist insofern ein Lernprozeß, reich an Widersprü-chen und Rückschlägen. Was haben sich die EU undihre Mitgliedstaaten angesichts dieser Ausgangslagevorgenommen und wie weit reichen ihre Ambitionen?5

Selbstgesteckte Ziele

Die heutige Konfliktpräventionspolitik der EU geht imwesentlichen auf zwei politische Anstöße zurück. Dereine hat sich aus den Entwicklungen Mitte der letzenDekade ergeben, als die EU Zeuge von Massenmordenim Westlichen Balkan und in Ostafrika wurde. DasBeunruhigende daran war, daß diese Konflikte schonlange zuvor als kritische Fälle bekannt waren, dieinternationale Gemeinschaft (einschließlich der EU)

5 Für eine ausführliche Beantwortung dieser Frage sieheArzu Hatakoy, Konfliktprävention und Krisenmanagementin der Europäischen Union, Berlin: Stiftung Wissenschaftund Politik, Juli 2002 (Aktuelle SWP-Dokumentation, Reihe D,Nr. 27).

Page 9: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Selbstgesteckte Ziele

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

9

aber nicht rechtzeitig und nicht energisch genug,vielleicht auch in falscher Weise, eingegriffen hat, umVölkermord, Fluchtbewegungen und massive Zerstö-rungen verhindern zu helfen. Dabei hat die EU aucherfahren müssen, daß ihre langjährigen Investitionenin zum Teil kostspielige Entwicklungsprojekte binnenWochen oder sogar Tagen durch Bürgerkrieg undgrenzüberschreitende Kämpfe zunichte gemachtwurden. Gleichzeitig wurde Brüssel mit unabweis-baren Forderungen konfrontiert, humanitäre Hilfe zuleisten und umfangreiche Mittel für den Wiederauf-bau bereitzustellen. Die EU und ihre Mitgliedstaatenzogen daraus den Schluß, daß die menschlichen Opferund die materiellen Kosten einer Politik, die zu spätzu wenig erreicht, einen innovativen Wechsel impolitischen Ansatz erfordern.

Der zweite Anstoß ist jüngeren Datums und gehtauf die Erfahrungen zurück, die Brüssel im Kosovo-Krieg und später auch bei der Antwort auf den 11. Sep-tember 2001 gemacht hat, als Washington das inter-nationale Krisenmanagement in einem Ausmaß domi-nierte, das den Europäern keine andere Wahl ließ, alsdem Vorgehen der USA weitgehend zu folgen. Die EUhätte möglicherweise selbst ein Vorgehen gewählt,welches dem nahegekommen wäre, was die amerika-nische Führung schließlich durchsetzte. Aber es wurdeden Europäern doch deutlich, daß sie keinen Einflußmehr hatten, nachdem militärische Gewalt den Kon-flikt zu beherrschen begann. Konsequenz aus dieserErkenntnis war, daß die Union in Zukunft frühzeiti-ger, energischer und gezielter vorgehen und sich auchmilitärisch besser wappnen müsse, um sich mehrHandlungsoptionen zu erhalten beziehungsweise zuerschließen.

Die übergreifende Schlußfolgerung der Staats- undRegierungschefs der EU aus diesen Anstößen war, daßsie die Aufgaben der Konfliktprävention strategischerangehen und sich bessere Voraussetzungen für auto-nomes Handeln schaffen müßten. (Solche Konsequen-zen wurden später auch aus den Erfahrungen mitdem Irak-Krieg gezogen.) Teil dessen sollte es sein,der Verhütung von Gewaltkonflikten einen höherenStellenwert in der Außen- und Sicherheitspolitik derEU einzuräumen. Sie beauftragten daher die außen-politischen Handlungsträger der Union, also die Prä-sidentschaft, den Generalsekretär des Rates/HohenRepräsentanten der GASP (SG/HR) und die EuropäischeKommission, eine möglichst umfassende Konzeptionfür die Verhütung von Konflikten zu entwickeln. DieseInitiative führte zu folgenden Schlüsseldokumenten:

Gemeinsamer Bericht des SG/HR und des Kommissarsfür Außenbeziehungen der Kommission (November2000),6

Mitteilung der Europäischen Kommission zu Konflikt-prävention (April 2001),7

Programm zur Prävention von Gewaltkonflikten(Juni 2001), das vom Europäischen Rat unter derschwedischen Präsidentschaft verabschiedet wurde.8

Der Gemeinsame Bericht 2000 von Javier Solana undChris Patten vermittelt in Form und Inhalt die Absichtder europäischen Institutionen, gemeinsam an demKonzept und der Umsetzung einer proaktiven Außen-und Sicherheitspolitik der EU zu arbeiten. Der Berichthebt vier Aufgaben hervor, denen sich die EU stellenmuß: Verbesserung der Frühwarnung, Beseitigungmangelnder Kohärenz der verschiedenen Instrumente,Aufbau effektiver Partnerschaften, Entwicklung lang-fristiger präventiver Maßnahmen.

Die Mitteilung 2001 der Kommission, vom General-sekretariat für Außenbeziehungen verfaßt, erklärt dielangfristige Stabilisierung konfliktbeladener Regionenzum Primärziel. Dafür soll die gesamte Bandbreite deraußenpolitischen Instrumente der EU mobilisiertwerden. Der kurzfristigen Prävention wird nur geringeBedeutung eingeräumt, die Verbindung von kurz- undlangfristigen Maßnahmen wird überhaupt nicht zumThema gemacht.

Das Programm 2001 des Europäischen Rates betontdie Bedeutung der Verhütung von Gewaltkonfliktenneben dem Ausbau der Kapazitäten für Krisenmanage-ment (ESVP, Planziel). Der Wille, Konfliktpräventionals eine eigenständige Priorität der EU-Außenbezie-hungen zu etablieren, wird durch das Festlegen einesHandlungsrahmens deutlich gemacht: Aufstellen einesAktionsprogramms präventiver Maßnahmen durchjede Präsidentschaft und jährliche Überprüfung derUmsetzung. Parallel dazu werden operative Struktur-verbesserungen vereinbart: vertiefter Austausch vonInformationen und Analysen zwischen den Geheim-diensten, Anreicherung der Interventionsinstrumente

6 Vgl. den Gemeinsamen Bericht der Kommission und desRates: Improving the Coherence and Effectiveness of Euro-pean Union Action in the Field of Conflict Prevention,Brüssel, November 2000 (Doc. 14088/00), <http://register.consilium.eu.int/pdf/en/00/st14/14088en0.pdf>.7 Vgl. Communication of the European Commission on Con-flict Prevention, Brüssel, April 2001, <http://europa. eu.int/comm/external_relations/cfsp/news/com2001_211_en.pdf>.8 Swedish Ministry of Foreign Affairs, EU Programme for thePrevention of Violent Conflicts, Stockholm, Juni 2001, <http://www.eu2001.se/static/eng/pdf/violent.pdf>.

Page 10: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aufgaben

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

10

der Mitgliedstaaten, Herstellung von Partnerschaften(Kofinanzierung, Training) mit internationalen Orga-nisationen.

Reichweite der Ambitionen

Wird die Aufgabendefinition, die sich die EU gegebenhat, dem oben umrissenen Präventionsbedarf und denErwartungen von außen gerecht? Das Programm 2001des Europäischen Rates (zusammen mit den Vorbe-richten) markiert gewiß einen Einstieg in einen neudefinierten Verantwortungs- und Entwicklungsbereichder EU. Das Ausmaß des Engagements bleibt indessenoffen und kann allenfalls indirekt aus den vereinbar-ten operativen Neuerungen abgelesen werden. Immer-hin wird deutlich, daß Konfliktprävention als eigenerPolitikbereich gesehen und behandelt werden soll, derneue Analyse- und Politikansätze erfordert, mit denvorhandenen Gremien und Instrumenten allein nichtauskommt und neue Verfahren und Formen der Zu-sammenarbeit voraussetzt. Ganz offensichtlich wollendie Mitgliedstaaten auf der Ebene der EU ein neuesAufgabenfeld gestalten, das noch nicht durch diegemeinschaftlichen Außenbeziehungen, die Entwick-lungskooperation, die Humanitäre Hilfe oder daszivile und militärische Krisenmanagement abgedecktwird, mit diesen Politiken aber in enger Verbindungsteht.

Für die Union ist es als Erfolg zu werten, daß es ihreInstitutionen in wenigen Monaten geschafft haben,das Thema Konfliktprävention konzeptionell aufzu-nehmen und operativ auf den Weg zu bringen.9 Zwarwurde das Programm 2001 des Europäischen Rates nichtauf den Status einer »Gemeinsamen Strategie« angeho-ben, wie es die schwedische Präsidentschaft gewünschthatte. Vielmehr wird darauf vertraut, daß die EU-Insti-tutionen und die Mitgliedstaaten vorhandene Kapa-zitäten auf den neuen Zweck hin ausrichten. Das istfür einen Teil der Aufgaben auch nachvollziehbar, dasich nicht unerhebliche Überschneidungen mit tradi-tionellen Politiken und Programmen ergeben. Ohne

9 Schon die Ankündigung und Erwartung der EU-Erweite-rung kann sich stabilisierend auf die Beitrittsländer aus-wirken und einer gewalttätigen Eskalation von Konfliktenvorbeugen. Vgl. Reinhardt Rummel, Conflict Prevention inCentral and Eastern Europe: Concepts and Policies of theEuropean Union, in: Wolfgang Heinz (Hg.), Human Rights,Conflict Prevention and Conflict Resolution, Brüssel 1996,S. 51–78.

Eigenmittel kann aber Präventionspolitik nicht dauer-haft durchgesetzt werden.

Schon hinsichtlich der vollen Nutzung des vorhan-denen Potentials der EU ist die Meßlatte sehr hochgehängt. Gerade die Erfüllung des Anspruchs, die vor-handenen Ressourcen der EU für den internationalenEinfluß auch wirksam machen zu können, galt bisherals Hauptschwäche ihrer Außen- und Sicherheitspoli-tik. Warum sollte dieses Dauerproblem im schwieri-gen Umfeld einer für die EU neuen Präventionspolitiküberwindbar sein? Es muß also bezweifelt werden,daß die Mitgliedstaaten den politischen Willen auf-bringen, sich immer für angemessene Interventionenzu entscheiden. Ähnliche Zweifel sind bei der Über-windung der EU-internen Kohärenz und der externenZusammenarbeit mit Präventionspartnern angebracht.

Andererseits gibt es Anzeichen dafür, daß sich dieAufgaben nicht nur darin erschöpfen, der Union einenweiteren Aktionsbereich erschlossen und dafür tech-nische Voraussetzungen geschaffen zu haben. Diejährlichen Sachstandsberichte, die den Staats- undRegierungschefs vorgelegt werden müssen, sind nichtnur ein Versuch, den Prozeß der Politikentwicklungzu überwachen und in Gang zu halten, sie dienen auchzur Kontrolle des in den Konfliktregionen Erreichten.Die ersten beiden Berichte (Juni 2002 und Juni 2003)10

sind naturgemäß noch organisationslastig und könnennur wenige bahnbrechende Politikergebnisse vermel-den. In Zukunft wird hier aber eine aussagekräftigereEvaluierung möglich sein. Die Berichte bleiben vorerstauch hinsichtlich der Aktivitäten der Mitgliedstaatender EU erstaunlich stumm, obwohl die Staats- undRegierungschefs ihr Programm 2001 wesentlich auf dasZusammenwirken der EU-Institutionen mit den Mit-gliedstaaten abgestellt hatten. An dem Anspruch einessystematischen und umfassenden Konfliktverhütungs-ansatzes wird aber in vollem Umfang festgehalten.Wie weit sind die politischen Akteure der EU auf dieseAufgabe vorbereitet?

10 Spanish Presidency on EU Conflict Prevention Report,Juni 2002, und Greek Presidency Report on EU ConflictPrevention, Juni 2003, <http://ue.eu.int/pressData/en/misc/71115.pdf> bzw. <http://register.consilium.eu.int/pdf/en/03/st10/st10680en03.pdf>.

Page 11: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

EU-Institutionen

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

11

Akteure

Mit welchen Akteuren läßt sich Konfliktpräventionam besten ein- und durchführen? Die EU hat sichzunächst auf die vorhandenen Institutionen gestützt,um den neuen Politikbereich zu etablieren. Nur ingeringem Umfang sind neue Gremien für die Wahr-nehmung von Präventionsaufgaben geschaffenworden. Wichtiger war die Entwicklung neuer Ver-fahrensweisen in den betreffenden Organen der EUund zwischen ihnen. Wichtiger war auch, die gemein-samen Anstrengungen auf europäischer Ebene mitder individuellen Präventionspolitik der EU-Mitglied-staaten sowie mit der Politik weiterer internationalerAkteure zu verbinden.

EU-Institutionen

Mit dem Programm zur Konfliktprävention vom Juni2001 hat sich der Europäische Rat in seiner klassi-schen Rolle als Impulsgeber in die EU-Außenbezie-hungen eingeschaltet. Er läßt sich jährlich einenFortschrittsbericht zur Konfliktprävention vorlegen.Abgesehen davon greift er in die operativen Prozessedes Ministerrates und der Kommission nicht unmit-telbar ein, allerdings mit zwei Ausnahmen: Gelegent-lich hat er Erklärungen zu internationalen Konfliktenabgegeben, wenn sich diese zum Zeitpunkt seinerTagung in einer brisanten Entwicklungsphase befan-den. Bei solchen Gelegenheiten werden der HR sowie»die relevanten Gremien der EU« gewöhnlich damitbeauftragt, die Interessen der EU bei der Behandlungeines spezifischen regionalen Konflikts oder einesQuerschnittsproblems wahrzunehmen.

Der Hohe Repräsentant ist ohne Zweifel der auf-fälligste Akteur der EU-Politik zur Konfliktverhütung.Mit der Einrichtung dieses Amtes haben die EU-Außen-beziehungen an Sichtbarkeit, Kohärenz und Gewichtgewonnen. Die nahezu ständige Präsenz ein und der-selben europäischen Persönlichkeit, die mit der Auto-rität der EU und ihrer Mitgliedstaaten ausgestattetund von der halbjährlichen Rotation befreit ist, hateine Wirkungsreserve geschaffen, die sich gerade beiPräventionsaufgaben gut einsetzen läßt. Das ist beson-ders auf dem Balkan augenfällig, wo Javier Solanadurch seine ausführliche Vermittlungstätigkeit vor

Ort zur Entschärfung gefährlicher Konfrontationen(besonders in Makedonien und im Verhältnis Monte-negro/Serbien) und gleichzeitig zu einer »Europäisie-rung« der internationalen Diplomatie bezogen auf dieBalkan-Konflikte beigetragen hat. Bescheidener fälltdie Bilanz im Nahen Osten aus, wo die regionale Rolleder EU zwar dank der sichtbaren Aktivitäten des HRerheblich aufgewertet werden konnte, aber der poli-tische Einfluß im Vergleich zu den wirtschaftlichenund finanziellen Beiträgen der EU noch immer als zugering erscheint.

Dieses Urteil kennzeichnet auch die meisten ande-ren kritischen Weltregionen, in denen die EU dankder Umtriebigkeit des HR durchaus an politischemProfil gewonnen hat, der Mehrwert dennoch nicht sorecht zu greifen ist. Die EU hat nun zwar einen berufs-mäßigen »trouble-shooter«, der in den Beziehungenmit den USA, bei den G 8, der NATO und auf VN-Ebeneals ständiger Ansprechpartner in Bereitschaft ist, aberdoch nicht durchgängig als unverzichtbar bei präven-tiven Aktivitäten anerkannt wird. Noch kann der HRden Bogen von der akuten Vermittlung in Spannungs-situationen hin zu struktureller Prävention, die beiden tieferliegenden Ursachen der Gewaltkonflikte undbei den Stabilisierungsaufgaben der Kriegsnachsorgeansetzt, nicht überzeugend genug schlagen.

Das ist weniger eine Frage der persönlichen Rivali-tät zwischen Solana und Patten, wie in der Öffentlich-keit angenommen wird, sondern liegt an der unzurei-chenden Ausstattung des HR-Amtes sowie dem Mangelan institutioneller Verknüpfung von Rat und Kommis-sion auf der Arbeitsebene. So kann sich der HR zwarauf die Analysen seiner Planungs- und Frühwarn-einheit (Policy Unit) stützen und seine Sonderbeauf-tragten als Informationsquelle vor Ort nutzen, aberdiese Kapazitäten sind äußerst begrenzt und werdendurch Kanäle zu den Delegationen der Kommissionund den Botschaften der Mitgliedstaaten nicht syste-matisch genug ergänzt. Insbesondere kann die PolicyUnit nicht unmittelbar auf die reichhaltigen regio-nalen und funktionellen Kompetenzen der außen-politischen Generaldirektionen der Kommissionzugreifen. Hätte der HR ein eigenes Initiativrecht,könnte er die dafür notwendigen Informationeneinfordern.

Page 12: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Akteure

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

12

Relativ gesehen sind die Sonderbotschafter, die derHR koordiniert, in einer besonders geeigneten Lage,Aufgaben der Konfliktprävention zu übernehmen.Zwar erreicht kein EU-Sonderbotschafter das Gewichtseiner amerikanischen Kollegen, aber für die Verhält-nisse der EU, die bisher ohne ein europäisches Außen-ministerium und erst recht ohne einen europäischenPräsidenten Sicherheits- und Konfliktpräventions-politik betreibt, sind hier potentielle Einflußmöglich-keiten geschaffen. Insgesamt läuft inzwischen einbreiter Informationsstrom von den verschiedenenAkteuren der EU im Lagezentrum beim HR zusam-men, so daß sich das Problem – wie exemplarisch ameuropäischen Satellitenzentrum in Torrejon sichtbar –von der Beschaffung zur Auswertung der Informatio-nen zu verlagern beginnt. Die Kanalisierung der Ana-lysekapazität mit Hilfe der Liste relevanter Konflikt-fälle und anstehender Querschnittsaufgaben erlaubtes, mit den begrenzten Ressourcen zunehmend effi-zienter umzugehen.

Für Präventionsinitiativen hat sich der Übergangvon der Analyse zur Aktion als besonders anspruchs-voll erwiesen. Bisher hatte sich der Rat darauf institu-tionell nur bedingt eingestellt und vertraute darauf,daß seine traditionellen Akteure im Rat (Präsident-schaft, Ausschuß der Ständigen Vertreter, EuropäischeKorrespondenten, Politische Berater, Arbeitsgruppender GASP) im richtigen Moment aktiv würden. Dieshatte häufig zur Folge, daß sich keines der angespro-chenen Gremien verantwortlich fühlte. Hier entstehtAbhilfe durch die neuen ratsinternen Gremien derEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik(ESVP), deren Arbeit bisher außerhalb der EU entwederbei der NATO, der WEU oder bei ad hoc zusammenge-setzten Gruppen von Staaten geleistet wurde. Ein Teildieser Gremien ist inzwischen – ähnlich wie die ESVPselbst – nicht allein auf Krisenmanagement, sondernauch auf Konfliktpräventionsaufgaben eingestelltworden. Das trifft besonders für das neue Politischeund Sicherheitspolitische Komitee (PSK), den Militär-ausschuß (EUMC) und den Militärstab (EUMS) sowieden Ausschuß für Zivile Fragen (CIVCOM) zu.

EUMS und CIVCOM waren in ihrer Anfangsphase(2000–2002) vorwiegend mit dem Aufbau ihrer jewei-ligen Handlungsinstrumente beschäftigt. Das wirdsich in beiden Fällen zwar noch über längere Zeit fort-setzen, gleichzeitig können aber Erfahrungen aus denersten operativen Aufträgen (EU Police Mission, Con-cordia, Artemis, Proxima) gewonnen werden. EUMCund PSK sowie Policy Unit und HR sind hingegen vonAnfang an mit operativen Aufgaben betraut worden.

Materielle Basis und Zugriff auf Handlungsinstru-mente bleiben indessen auch bei ihnen eine Entwick-lungsaufgabe. Inwieweit ein Gremium von 15 (dem-nächst 25) nationalen Vertretern zu effizienten Ent-scheidungen und deren Durchführung in sensiblenKonfliktfällen und Krisensituationen kommt, bleibteine erhebliche Herausforderung.11 Je gezielter sichaber die präventive Infrastruktur des Rates entwickelt,um so plausibler wird eine eigenständige Initiativ-kompetenz für den HR, so wie sie der Außenkommis-sar für den Gemeinschaftsbereich selbstverständlichnutzen kann, dies in der Vergangenheit aber in nureingeschränktem Maße getan hat.

In seinem Programm zur Konfliktprävention hat derEuropäische Rat der Kommission eine bedeutendeRolle neben dem HR und den Mitgliedstaaten zuge-wiesen. Die Kommission setzt auf eine kleine Anzahlgezielter Reformen, die in der Zeitspanne 2000–2002eingeleitet wurden und sich im wesentlichen auf diebeiden Generaldirektionen (GD) Außenbeziehungenund Entwicklung beziehen.12 Die Zusammenarbeitzwischen GD Entwicklung und GD Außenbeziehungenist eher auf der Projekt- als auf der Programmebenegewährleistet. Das ist vor allem dem Umstand zu ver-danken, daß im Jahr 2000 mit EuropeAid eine Behördegeschaffen wurde, die die bisher dezentral bei mehre-ren Generaldirektionen angesiedelten Dienststellenzur praktischen Umsetzung der Förder- und Entwick-lungsprogramme der EU an einer Stelle zusammen-führt. Außen- und Entwicklungskommissar teilen sichdie Leitung dieser neuen Behörde, die für die prakti-sche Durchführung von Konfliktprävention vor Ortvon kaum zu überschätzender Bedeutung ist, falls dieentsprechende Expertise unter ihren weit über tausendMitarbeitern gestärkt werden kann. EuropeAid dirigiertheute die überwiegende Mehrzahl der praktischenStabilisierungs- und Aufbauaktivitäten der EU, was ihrhohes Potential für langfristige Konfliktpräventions-politik unterstreicht.

11 Die Entscheidungsstrukturen der ESVP (zivile Kompo-nente) sind phasenweise in Organigrammen aufgelistet in:House of Lords, EU – Effective in a Crisis?, London, 11.2.2003,<http://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/ld200203/ldselect/ldeucom/53/53.pdf>.12 Weder in der GD Erweiterung noch in der GD Handelsind die Imperative der Konfliktprävention Anlaß für nen-nenswerte institutionelle Veränderungen gewesen, so daßhier ein gewisses Potential verschenkt wurde. Auch sindweitere Generaldirektionen (z.B. Finanzfragen, Umwelt)nicht ernsthaft erwogen worden.

Page 13: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

EU-Institutionen

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

13

Die GD Entwicklung hat ihre Mitte der neunzigerJahre erworbene Präventionskompetenz an die GDAußenbeziehungen abgegeben. Dort wurden Fragender Prävention zunächst von der zentralen Planungs-einheit koordiniert, sowohl innerhalb der eigenenGeneraldirektion wie zwischen den sachlich beteilig-ten anderen Generaldirektionen der Kommission.

Im Jahr 2001 wurde ein neues Referat »Konflikt-prävention, Krisenmanagement und Politische Fragender AKP-Länder« gebildet, das nicht mehr direkt demGeneraldirektor zuarbeitet wie die Planungseinheit,sondern lediglich eines unter vielen Fachreferatender GASP-Abteilung in der GD Außenbeziehungen ist.Dieses neue Referat bringt Schlüsseldokumente zurKonfliktprävention heraus wie beispielsweise die »Mit-teilung 2001 zu Konfliktprävention«, führt das präven-tive Konzept in die Länderstrategiepapiere/Regionen-strategiepapiere ein und unterrichtet die Beamten inden Delegationen und in Brüssel zu Fragen der Kon-fliktprävention.13

Das Referat hat bisher weder die Personalkapazität(das zivile Lagezentrum ist noch immer nicht errich-tet) noch die fachliche Autorität und die nötige poli-tische Anbindung, um im Einzelfall überzeugendePräventionsstrategien zu entwickeln und sich im Kabi-nett des Außenkommissars oder im PSK dafür Gehörzu verschaffen. Es wirkt sich nun aus, daß viele der-jenigen, die in der Kommission sowie in den Dele-gationen mit sicherheitspolitischen Aufgaben beauf-tragt sind, weder das Faktenwissen noch das metho-dologische Verständnis haben, welches für Konflikt-prävention notwendig ist.14

Insofern ergeben sich ernsthafte Zweifel an demVerfahren, Konfliktprävention über ein einziges Sach-referat in die Arbeit der Kommission einzuführen.Die Konzentration der Präventionsaufgabe in einemReferat, das seinerseits zur Initiative nicht fähig ist,widerspricht offensichtlich ihrer horizontalen Natur.Die Kommission kann damit das umfangreiche Prä-

13 Zu diesem Zweck wurde ein »elektronisches Handbuch«entwickelt; vgl. SWP-CPN (Andreas Mehler, Céline Moyroud, Lucvan de Gor), Conflict Prevention and Peace Building: A Practi-cal Guide, Berlin/Brüssel: Stiftung Wissenschaft und Politik,Dezember 2001(CD-ROM). Zu SWP-CPN siehe <www.conflict-prevention-associates.org>.14 Reinhardt Rummel, EU-Friedenspolitik durch Konflikt-prävention: Erfahrungen mit dem Conflict Prevention Net-work (CPN), in: Peter Schlotter (Hg.), Macht–Europa–Frieden?,Baden-Baden: Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konflikt-forschung, 2003 (AFK-Friedensschriften, Bd. 30), S. 240–278.

ventionspotential, was in ihren Programmen, Politi-ken und Fonds steckt, nicht voll zum Tragen bringen.

In der Tagespolitik arbeiten der HR und der Außen-kommissar weitgehend an ein und derselben Konflikt-agenda, wenn auch von unterschiedlicher institutio-neller Warte aus, mit eigenen Instrumenten und unterBetonung sich ergänzender kurz- beziehungsweiselangfristiger Zielsetzungen. Dies hört sich nach einernaheliegenden und reibungslosen Arbeitsteilung an,aber in der Praxis wirken sich die institutionellen undprozeduralen Unterschiede doch gravierend aus. JavierSolana fordert deshalb, die Beziehungen zwischen HRund Außenkommissar zu institutionalisieren.

Das Europäische Parlament, eigentlich der dritteAkteur im außenpolitischen Institutionendreieck derEU, spielt bei Konfliktprävention, wie bei Außen- undSicherheitspolitik insgesamt, eher eine eingeschränkteRolle. Dies nicht nur wegen seiner geringen exeku-tiven Kompetenzen (Parlamentarierdelegationen und-dialoge), sondern auch wegen des bisher relativ be-scheidenen Anteils gemeinschaftlicher Außenpolitikan der Entwicklung und Durchführung von Präven-tionsstrategien. Das Parlament ist deshalb nicht sozum Zuge gekommen, wie es von einem Mitentschei-dungsorgan zu erwarten wäre, während seine Einfluß-möglichkeiten auf die GASP-/ESVP-Aktivitäten ohnehinmoderat sind. Immerhin hat das Europäische Parla-ment im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, Kom-mission, HR und Ratspräsidentschaft bei Präventions-initiativen zu unterstützen.15

Bis auf eine kurze Zeitspanne 1999/2000, als sichdas Parlament eine Planungsgruppe für die Außen-beziehungen leistete, hat es keine institutionellenNeuerungen im Parlament gegeben, die eigens mitdem Ziel einer proaktiveren Sicherheitspolitik der EUzu verbinden wären.16 Zur Zeit sieht es nicht danachaus, als werde das Europäische Parlament größere Um-stellungen im Blick auf Präventionsaufgaben der EUvornehmen. Erst die Ergebnisse des Konvents sowieder anschließenden Regierungskonferenz könnten

15 Entschließung des Europäischen Parlaments zu derMitteilung der Kommission zur Konfliktprävention (KOM(2001)211, C5-0458/2001, 2001/2182(COS)), in: Amtsblatt derEuropäischen Gemeinschaften, Mitteilungen und Bekannt-machungen (Luxemburg), 25.7.2002, C 177, S. 291–296.16 Unter Federführung des Außenausschusses verfügte dasEuropäische Parlament über eine monatlich tagende Gruppe(External Relations Planning Group), zusammengesetzt ausVertretern der verschiedenen Funktionsbereiche des Europäi-schen Parlaments, die sich mit Außenbeziehungen befassen,die mit Hilfe externer Expertise des CPN eine Prioritätenlistekritischer Konfliktfälle aufstellte und regelmäßig überprüfte.

Page 14: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Akteure

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

14

hier Neuerungen bringen, etwa dann, wenn das Par-lament in substantieller Weise in die Bewilligung vonMitteln für Konfliktverhütung einbezogen würde oderwenn es zu einer Plenardebatte des jährlichen Fort-schrittsberichts zur EU-Konfliktprävention käme.17

Zusammengenommen bedeuten die institutionel-len Neuerungen auf EU-Ebene zugunsten der Konflikt-bearbeitung eine spürbare Ausweitung der zwischen-staatlichen Strukturen der Union und damit einegesteigerte Verantwortung der Mitgliedstaaten. Diegemeinschaftlichen Institutionen, Kommission undParlament, scheinen die Gelegenheit verpaßt zuhaben, ihre Positionen in den neu hinzugekomme-nen Aktionsfeldern Konfliktprävention und Krisen-management stärker zu entwickeln. Bezeichnend istdie Entwicklung der Rolle des HR. Seine Funktionhätte in beträchtlichem Ausmaß als gemeinschaft-liches Wirken interpretiert und gestaltet werdenkönnen.18 Diese institutionelle Gewichtsverlagerunghat positive Auswirkungen auf die Sichtbarkeit der EUund ihren Aktionswillen, wird aber erkauft mit einerBeeinträchtigung der breiten politischen Akzeptanzund der europaweiten demokratischen Absicherungder häufig kostenintensiven und gelegentlich poli-tisch kontroversen Interventionen der EU.19

Die Mitgliedstaaten

Die Verschiebung der präventiven Hauptaktivitätenvon den Gemeinschaftspolitiken hin zur GASP/ESVPweist den Mitgliedstaaten der EU einen höherenAnteil der Verantwortung und der Lasten zu. DieserAufgabenzuordnung werden sie aber bisher nichtgerecht. Zwar haben einige von ihnen in jüngster

17 Solche Vorschläge haben Parlamentsvertreter vergeblichin den Europäischen Konvent eingebracht. Für weitere Forde-rungen des Europäischen Parlaments siehe European Parlia-ment, Report on the Annual Report from the Council to theEuropean Parliament on the Main Aspects and Basic Choicesof CFSP ..., 8.10.2003 (Final A5-0348/2003), <http://www2.europarl.eu.int/registre/seance_pleniere/textes_deposes/rapports/2003/0348/P5_A(2003)0348_EN. doc>.18 Javier Solana wehrt sich gegen die pauschale Einschät-zung, sein Amt führe zu einer direkten Ausdehnung desintergouvernementalen Anteils der EU, Address of JavierSolana to the External Action Working Group of the Conven-tion, Brussels, 15.10.2002 (SO 186/02), S. 9, <http://europa.eu.int/futurum/documents/speech/sp151002_en.pdf>.19 Tobias Debiel/Martina Fischer, Crisis Prevention and Con-flict Management by the European Union. Concepts, Capaci-ties and Problems of Coherence, Berlin: Berghof Stiftung fürKonfliktforschung, 2000 (Berghof Report Nr. 4).

Zeit besondere Anstrengungen unternommen, umbei der eigenen, einzelstaatlichen PräventionspolitikFortschritte zu erzielen.20 Ein Problem bilden aberjene Mitgliedstaaten, die die Verhütung von Gewalt-konflikten bisher noch nicht zu einer außen-, sicher-heits- und entwicklungspolitischen Priorität gemachthaben. Ihre Mitwirkung an der Verbesserung der Kon-fliktpräventionspolitik auf Unionsebene läßt zuwünschen übrig. Es fehlt an Verständnis für den ge-samten Sachbereich, an Engagement bei einer Reihekritischer Fälle sowie an Unterstützung der EU-Institu-tionen in einem zum Teil neuartigen und schwierigenAufgabenfeld.21

Sowohl Vertreter der Kommission als auch der Rats-bürokratie beklagen die zögerliche Haltung und denMangel an Übereinstimmung bei den Mitgliedstaaten.Die Durchschlagskraft der EU-Initiativen werde damitentscheidend geschwächt, insbesondere bei Präven-tionsmaßnahmen.22 Anerkannt werden muß, daß ineinem gewissen Ausmaß doch eine Reorientierungstattgefunden hat. Einige Mitgliedstaaten haben denAppell von Göteborg ernst genommen und inzwischeneigene Mittel für Konfliktprävention ausgewiesen(Belgien, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien),andere haben bereits bestehende Budgets erhöht(Großbritannien, Niederlande, Schweden, Finnland,Deutschland23). Damit hat der einzelne Mitgliedstaatzwar mehr für seine Präventionspolitik getan, auf derEU-Ebene macht sich dieser Wandel – außer beim Auf-

20 SWP-CPN, Record of Preventive Capacities, MainstreamingConflict Prevention, A Survey by the Conflict Prevention Net-work, unveröffentlichtes Kompendium, Berlin/Brüssel:Stiftung Wissenschaft und Politik, September 2001.21 Die belgische und die spanische Präsidentschaft habenden Aufgabenkomplex Konfliktprävention, wie er von derschwedischen Präsidentschaft entwickelt worden war, nichtnennenswert vorangebracht. Der in Sevilla im Juni 2002 vor-gelegte Jahresbericht Madrids zur EU-Konfliktprävention istmehr als dürftig. Auch die dänische Präsidentschaft hat dasThema klein geschrieben. Die griechische Präsidentschaft hatsich auf die Entwicklung der militärischen Komponente derESVP konzentriert. Sie hat aber in ihrem Jahresbericht zurKonfliktprävention Aufgaben an die italienische Präsident-schaft formuliert.22 Die Kommission verweist in ihrem Bericht immer wiederauf die Bringschuld der Mitgliedstaaten. Auch der HR beklagtderen Mangel an politischem Willen. Siehe Vortrag von JavierSolana, 15.10.2002 [wie Fn. 18], S. 5.23 Für eine Darstellung der deutschen Bilanz zum ThemaKonfliktprävention, siehe Gunilla Fincke, Deutsche Konflikt-prävention – Aufwand und Ertrag staatlicher Aktivitäten,Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2003(Aktuelle SWP-Dokumentation, Reihe D, Nr. 36).

Page 15: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Regionale und internationale Akteure

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

15

bau der ESVP-Kapazitäten – kaum bemerkbar. Es istnicht genügend Masse entstanden, um die verschiede-nen Strukturschwächen der EU (Finanzvolumen, Ver-hältnis HR/Kommission, Bereich militärische/nicht-militärische Instrumente, Schnittstelle mit der inter-nationalen Gemeinschaft) zu überwinden.

Wie könnten die Mitgliedstaaten zu mehr kollek-tiver Verantwortung bewogen werden? Der politischeWille kann ganz gewiß nicht durch Mehrheitsent-scheidungen im Rat erzwungen werden, auch wenndieser Weg gerade in der Perspektive einer erweitertenEU vermehrt beschritten werden sollte. Eher sind Fort-schritte über eine stärkere Beteiligung nationalerVertreter am Entscheidungs- und Umsetzungsprozeßin Brüssel zu erwarten, das heißt eine Verlagerungaußen- und sicherheitspolitischer Aufgabenbewälti-gung von der nationalen hin zur europäischen Ebene.Dies trifft sich mit Vorstellungen im Entwurf des Ver-fassungsvertrags, nämlich dem Aufbau einer außen-politischen Bürokratie im Rat als Quasi-Außenmini-sterium der EU verbunden mit der bereits erwähntenVerknüpfung der Funktionen des Außenkommissarsund des HR.

Regionale und internationale Akteure

Soweit die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht in derLage sind, Initiativen zur Konfliktverhütung zu ergrei-fen oder materiell eigenständig durchzuführen, bietetdie Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internatio-nalen Organisationen einen Ausweg. Partnerschaftenentstehen jedoch nicht von selbst, es sei denn die EUbeläßt es bei der finanziellen Unterstützung von Maß-nahmen anderer Akteure. Die überwiegende Erfah-rung ist vielmehr, daß die verschiedenen Akteure sichweder bei der Entwicklung von Präventionsstrategiennoch bei deren Umsetzung vor Ort abstimmen. Amehesten findet noch Konzertation statt, wenn es umProklamationen geht.

Die öffentliche Verbreitung der Zielsetzung Kon-fliktverhütung ist durchaus eine wichtige Funktionbei der Entwicklung einer »culture of prevention« (KofiAnnan). Die EU hat insofern den VN-Generalsekretärnach Kräften unterstützt und sich am Dialog mit denVertretern des VN-Systems beteiligt. Dieser Dialog istim letzten Jahrzehnt vor allem mit den internatio-nalen Finanzorganisationen (Weltbank, IWF) immerwieder angeschoben worden, aber auch immer wiederversiegt. Gründe dafür sind auf beiden Seiten zu fin-den. Es ist gegenwärtig nicht zu sehen, wie der HR

oder die Kommission diesen Dialog verstetigen undsubstantiieren könnten. Dies ist nicht ausschließlich,aber doch zu einem großen Teil eine Frage der EU-Außenvertretung und ihrer internationalen Rechts-persönlichkeit, die nun im Verfassungsentwurf ent-halten ist. Die internationalen Finanzinstitutionensind zum Teil nicht zu aktiver Konfliktverhütungfähig, weil sie laut Satzung in politische Konfliktenicht eingreifen dürfen und sich daher auf Wieder-aufbaumaßnahmen konzentrieren müssen.

Positiv hervorzuheben ist dagegen das Forum derG 8, das die EU, die darin mehrfach vertreten ist(vier Mitgliedstaaten, Präsidentschaft, Kommission),zur Definition und Anerkennung des Präventions-konzepts, aber auch für konkrete Anliegen (Klein-waffenkontrolle, Diamantenhandel, Kindersoldatenu.a.) gut genutzt hat. Vor allem den EU-Vertretern istes zu verdanken, daß die Staats- und Regierungschefsder G 8 mit immer neuen Initiativen Jahr für Jahr(von Okinawa bis Genua und von Kananaskis bisEvian) daran erinnern, daß die Politik der Konflikt-verhütung weltweit verbessert werden müsse, undzwar unter Einhaltung der VN-Charta sowie der nach-haltigen Stärkung der demokratischen Institutionen,der Menschenrechte und des Rechtsstaats. Obwohl dieG 8 regelmäßig die Agenda der wichtigsten Regional-krisen durchgehen, bestand wenig Neigung bei denteilnehmenden Mitgliedstaaten der EU und bei derKommission, der Gruppe eine operative Aufgabe imRahmen der Konfliktprävention zu übertragen.24

Im Dialog der EU mit Regionalorganisationen sindbescheidene Fortschritte zu vermelden, insbesonderein Europa (OSZE, Europarat) und bezogen auf Erfah-rungsaustausch und Trainingsprogramme. Wenigererfolgreich ist hingegen der Versuch, einen DialogEU–NATO zu institutionalisieren, der neben Krisen-managementaufgaben auch Fragen der wechselseiti-gen Abstützung bei Präventionsaufträgen dienenkönnte. Mit der Berlin-Plus-Vereinbarung (für den Zu-gang der EU zu NATO-Mitteln und -Fähigkeiten vom14. März 2003) mag sich dies ändern. Andererseits hates bereits Formen pragmatischer Zusammenarbeit vorOrt (Westlicher Balkan) gegeben. Ob sich die Absichtender EU verwirklichen lassen, die präventiven Fähig-keiten regionaler (Asean, SARC, AU) und subregionaler(SADCC, ECOWAS, IGAD) Organisationen mit ausbau-

24 Reinhardt Rummel, Advancing the EU’s Conflict Preven-tion Policy, in: John J. Kirton/Radoslava N. Stefanova (Hg.),Conflict Prevention and Human Security: G 8, UnitedNations, and EU Governance, Ashgate Aldershot 2003,Kapitel 8.

Page 16: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Akteure

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

16

fähigem Mandat im Bereich Konfliktpräventionzu stärken, scheint auf absehbare Zeit eher fraglichzu sein. Dennoch wäre die Richtung dieser Initiative,nämlich die Eigenverantwortung der örtlichen Akteurein den Konfliktregionen anzuheben, voll und ganz zuunterstützen. Man darf sich von dieser Anstrengungaber keine Wunder versprechen, vor allem nicht imSinne einer unmittelbaren Entlastung der EU.

Jenseits des staatlichen Bereichs haben der HR unddie Kommission versucht, den Kontakt mit den ein-schlägigen NROs, akademischen Einrichtungen unddem privaten Sektor zu intensivieren, um die Konflikt-prävention voranzubringen. Am ehesten ist dieser Ver-such mit den NROs gelungen, die im Rahmen derProjektausführung über die EuropeAid mit Aufträgenbetraut wurden einschließlich der Verbindung zu dennichtstaatlichen Organisationen und Gruppen in Kon-fliktregionen.25

Die Einstimmung der Akteure und Gremien in derEU auf die gemeinsame Aufgabe Konfliktpräventionist zwar vorangekommen, bleibt aber insgesamt einrelativer Fortschritt. Zu tief sitzen die historisch dys-funktional gewachsenen institutionellen Strukturen,als daß sie von einem Politikbereich her flexibilisiertwerden könnten. Die Mitgliedstaaten zögern, Kom-petenzen und Kapazitäten an Brüssel abzugeben,nehmen aber selbst das Heft nicht in die Hand. Soweisen die EU und ihre Mitgliedstaaten zwar einebreite Schnittfläche mit internationalen Partnern auf,aber die Kooperation bleibt sporadisch und wird nichtstrategisch konzentriert.

25 Die auf Konfliktprävention spezialisierten NROs inEuropa haben sich im Jahr 2000 zum European Peace-building Liaison Office (EPLO) in Brüssel zusammengeschlos-sen, um Lobbyismus zu betreiben und als Ansprechpartnerder EU-Institutionen zu dienen. Noch hat sich EPLO selbstnicht vor Ort in Konfliktregionen eingeschaltet, umdort lokale NROs zu unterstützen oder selbst Präventions-aufgaben zu übernehmen.

Page 17: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Mobilisierung vorhandener Instrumente

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

17

Aktionsmittel

In der Frühphase der europäischen Konfliktpräven-tionspolitik war es für die EU-Institutionen wie für dieMitgliedstaaten gelegentlich verlockend, laufendeentwicklungspolitische Programme und Projekte,die sich auf die Einhaltung der Menschenrechte, dieEinführung unabhängiger Medien, die Stärkung derZivilgesellschaft oder den weiteren Aufbau der Demo-kratie richteten, einfach mit dem Etikett »Konflikt-prävention« zu versehen. Zwar waren solche Zuord-nungen nicht völlig falsch, entsprangen aber meisteher dem Wunsch, auf der Höhe der Zeit zu erschei-nen, und konnten weder Prioritäten noch Fokus derEU-Politik ernsthaft verändern. Der Politikwechselbeginnt erst mit der Umsetzung der Entscheidungenaus den Jahren 2000/2001, die die Mobilisierung dervorhandenen Instrumente der EU vorsah und – soferndiese nicht ausreichten – zum Aufbau neuer Kapazi-täten eigens für die Zwecke der Konfliktpräventionführen sollte.26

Mobilisierung vorhandener Instrumente

Zu den bisherigen Instrumenten der EU, mit deneneine präventive Wirkung entfaltet werden kann,gehören in erster Linie ihre entwicklungspolitischenProgramme sowie die mit fast allen Staaten der Weltgeschlossenen Kooperations- und Partnerschafts-verträge einschließlich des Politischen Dialogs undder Menschenrechtsklauseln. Sie haben alle gemein-sam, daß sie zwar in allgemeiner Form zur Konflikt-verhütung beitragen können, daß sie aber nicht Teileines Präventionspakets sind, das eigens für einenspezifischen Eskalationsfall und bezogen auf ursäch-liche oder auslösende Konfliktfaktoren geschnürtworden wäre. Sie dienen in der Regel anderen Ziel-setzungen, die in Teilen mit denen der Präventiondeckungsgleich sind, etwa wenn die EU dazu bei-tragen will, grundlegende Defizite im Staatsaufbau

26 In der EU haben in erster Linie Kommissar Patten und der HRSolana die Mobilisierung der EU-Instrumente für Präventions-aufgaben angestoßen. Siehe Gemeinsamer Bericht 2000 [wie Fn. 6],S. 2; sowie European Commission Conflict Prevention and Crisis Manage-ment Unit, Civilian Instruments for the EU Crisis Management,Brüssel, April 2003.

und in der Gesellschaft eines Landes zu beseitigen,oder wenn ihre Diplomaten versuchen, in Konfliktenzu vermitteln und auf Deeskalation hinzuwirken.

Derartigen Aktivitäten zur Stabilisierung, wie etwaim Westlichen Balkan oder im Nahen Osten, habensich die EU und ihre Mitgliedstaaten schon bisherausgiebig gewidmet.27 Beim Aufbau einer eigenstän-digen Politik zur Konfliktprävention ist indessen einezusätzliche Anstrengung erforderlich, um herkömm-liche Politiken für präventive Aufgaben zu instrumen-tieren, sei es durch die Integration präventiver Ziele ineinzelne Politiken (Mainstreaming) oder durch dieBündelung verschiedenartiger Programme zu vorbeu-genden Aktionen (systematische Konfliktprävention).

Mainstreaming

Um traditionelle Politiken nach den Grundsätzen derPrävention auszurichten, werden eigene Methodenangewandt: Konfliktindikatoren, Frühwarnung, Ver-fahren zur kurz- und langfristigen Prävention, Moni-toring, Wirkungsanalyse.28 Den bisherigen Politikenwird gewissermaßen ein »Prüfraster Konfliktpräven-tion« vorgeschaltet. Konzeptionelle Überlegungendieser Art in den Planungsabteilungen der EU undeinigen ihrer Mitgliedstaaten haben die Programm-entwicklung einzelner Unionspolitiken inzwischenmaßgeblich beeinflußt.

In der Handelspolitik befürwortet die EU ein »Kon-zept der offenen Tür« (wie die Initiative »Alle Warenaußer Waffen«) und verfolgt Strategien gegen den un-lauteren Handel mit Luxusgütern, wobei es beispiels-weise im sogenannten Kimberley-Prozeß darum geht,

27 Kommissar Patten hat diesen Anpassungsprozeß vontraditionellen Instrumenten an neue Aufgaben der Präven-tion als besondere Leistung beschrieben. Siehe die Debattedes Europäischen Parlaments zu Konfliktprävention undKrisenmanagement, Straßburg, 14.3.2001. <http://www3.europarl.eu.int/omk/omnsapir.so/debatsL5?FILE=20010314DE&LANGUE=DE&LEVEL=TOC2&CHAP=5>.28 Zum Begriff vgl. die Mitteilung der Kommission zurKonfliktprävention [wie Fn. 7], S. 10. Ausführlicher zumKonzept siehe SWP-CPN, Record of Preventive Capacities,Mainstreaming Conflict Prevention [wie Fn. 20], S. 7.

Page 18: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktionsmittel

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

18

die Verbindung zwischen dem Handel mit Roh-diamanten und Gewaltkonflikten aufzubrechen. Inder Umweltpolitik spannt die EU den Bogen zu demRegime gegen die weltweite Klimaänderung (Protokollvon Kyoto), um potentielle Zusammenhänge mit ört-lichen Konfliktentwicklungen zu erfassen.29 In derMenschenrechtspolitik bemüht sich die EU unteranderem um die Wahrung der Rechte von Minder-heiten, und zwar in potentiellen konfliktträchtigenRegionen und in Regionen, in denen Wiederaufbau-maßnahmen im Anschluß an Kriegshandlungengeleistet werden. In ihrer Stabilisierungspolitik fördertdie EU Programme für demokratisches »good gover-nance«, die Entwicklung einer starken Zivilgesell-schaft, die Durchsetzung des Rechts (auch die Nutzungdes Internationalen Strafgerichtshofs), die Verbesse-rung der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung unddie Reform des Sicherheitssektors eines Konfliktlandes.

Ein Vorteil des Mainstreaming besteht darin, daßes keine neuen Finanzzuweisungen voraussetzt, viel-mehr genügen entsprechende Richtlinien sowie neueVerfahren und gemeinsame Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten. Auf der Basis des Programms 2001haben die Staats- und Regierungschefs insofern ent-schieden, im Rahmen der Unionsaußenpolitik zunächstdie Expertise zu Menschenrechtsfragen und zur Demo-kratieentwicklung zu stärken sowie das Augenmerkstärker auf militärische Aspekte der Konfliktpräventionzu legen. Diese Fähigkeiten werden für alle Stadien imKonfliktzyklus benötigt, zur Frühwarnung, als Mittelder Kriegseindämmung sowie für die Stabilisierungs-aufgaben nach Kriegsende. Ein Nachteil des Main-streaming ist, daß Konfliktprävention nur zu leichthinter dem primären Zweck der sie tragenden tradi-tionellen Politiken zurückbleiben kann.

Systematische Konfliktverhütung

Um dieser Gefahr zu entgehen, hat der Rat im Mai2002 einen »systematischen Konfliktverhütungs-ansatz« beschlossen, der auf eine effektive Frühwar-nung hin ausgerichtet ist, die wiederum zu frühzeiti-

29 Reinhardt Rummel, Umwelt- und Sicherheitspolitik.Thesen und Imperative zur Weiterentwicklung deutscherKrisenprävention, in: Auswärtiges Amt (Hg.), Umwelt undSicherheit: Krisenprävention durch Kooperation, Berlin 2000,S. 130–137.

gen Maßnahmen führen soll.30 Der Rat hat offensicht-lich erkannt, daß Konfliktverhütung den kombinier-ten Einsatz von Instrumenten erfordert, die in unter-schiedlichen EU-Politiken angesiedelt sind. In der Sichtder EU kann das jeweilige Interventionspaket gleicher-maßen aus militärischen wie zivilen Mitteln bestehen,und kann auch Anreize und Sanktionen sowie struktu-relle und akute Maßnahmen enthalten – eine Mischungje nach der Natur der Präventionsaufgabe.

Die Kommission ist beauftragt, eine »Kontroll-Liste«der Länder zu führen, die sich in kritischer Lage befin-den. Sie hat dafür eine Reihe von Konfliktindikatorenaufgestellt und ist mit deren Hilfe auf eine Liste vonmehr als 120 Ländern mit potentieller Tendenz zurKonfliktverschärfung gekommen. Im Laufe der Jahre2002/2003 hat die Kommission mit mehr als neunzigLändern Strategiepapiere vereinbart, in denen dereninterne Konfliktbereiche bezeichnet und die Konflikt-indikatoren eingefügt wurden. Die Länderstrategie-papiere sind noch zu neu, um etwas über ihre prak-tische Auswirkung zu sagen, sie geben jedoch zu be-rechtigten Erwartungen auf erfolgreiche Konflikt-regulierung Anlaß, zumal Vertreter der betroffenenLänder in deren Erarbeitung einbezogen worden sind.

Ein potentieller Fortschritt besteht auch darin, daßkurz- und langfristige Prävention erstmals in engemZusammenhang gesehen werden. Für die kurzfristigePrävention haben die EU-Institutionen ein breitesSpektrum von Instrumenten parat, unter anderemErkundungsmissionen (einschließlich gemeinsamerTeams von Rat und Kommission), Überwachungs-aufträge (EUMM), Vermittler (zum Beispiel die Togo-Vermittler), Wahlbeobachtungsmissionen, Menschen-rechtsbeobachter, Sonderbeauftragte. Beim Vorgehengegen die eigentlichen Konfliktursachen ist die Ent-wicklungszusammenarbeit mit dem Schwerpunkt aufArmutsbekämpfung, wirtschaftlicher Entwicklungund »good governance« ein Bestandteil der strukturellenKonfliktverhütung. Die EU erfährt, daß ihr Drängenauf akuten Abbau von Spannungen erst mit sicht-baren Investitionen in eine grundsätzliche Verände-rung der wirtschaftlichen und politischen Lage glaub-würdig wird.

Die Identifikation der akuten kritischen Fälle, dieder systematischen Intervention potentiell zugänglichsind, bleibt schwierig. Das Ratssekretariat hat aus-gehend von Übersichtsberichten und Risikoeinschät-

30 Der Begriff »systematischer Konfliktverhütungsansatz«wird im Bericht der spanischen Präsidentschaft vom Juni2002 verwendet.

Page 19: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aufbau neuer Kapazitäten

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

19

zungen einen eigenen Frühwarnprozeß entwickeltund dem PSK zugänglich gemacht. Seine Berichtewerden von der Policy Unit, der Abteilung Intelligencedes Militärstabs und dem Lagezentrum zusammen-gestellt. Auch sind Vereinbarungen getroffen worden,um die Konsultation mit externen Partnern zu inten-sivieren. Als Grundlage für diese Arbeit werden auchhier schrittweise Indikatoren eingeführt. Die allseitigeFaktenerhebung ist gewiß ein wertvolles Potential,wichtiger aber bleibt die Auswertung, die dadurcherschwert wird, daß die von verschiedenen Gremiender EU benutzten Indikatorenlisten bisher nicht auf-einander abgestimmt sind.

Aufbau neuer Kapazitäten

Bei kritischer Prüfung ihrer Präventionsinstrumentemußte die EU feststellen, daß es nicht ausreicht, vor-handene Aktionsmittel für Präventionsaufgaben zumobilisieren. Es fehlten einige unverzichtbare finan-zielle, zivile und militärische Kapazitäten. Eigene,zum Teil neuartige Interventionsmittel waren zuschaffen, insbesondere der Fonds für Sofortmaßnah-men und die ESVP mit ihren zivilen und militärischenFähigkeiten.

Fonds für Sofortmaßnahmen

Wie die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung2001 konstatierte, bleibt die Finanzhilfe an Dritt-staaten eine der wichtigsten Instrumente der EU-Außenpolitik und stellt wahrscheinlich den bedeu-tendsten Hebel europäischer Konfliktprävention inEntwicklungsländern dar.31 Damit fördert die EU ihreGrundwerte in der Welt und versucht, den Ursachenbewaffneter Konflikte zu Leibe zu rücken. Die EU hatihre externen Verpflichtungen durch Präventions-aufgaben erweitert, die Mittel dafür aber nicht ent-sprechend erhöht, wie ein Vergleich der Haushalts-ansätze der Jahre 2001–2003 zeigt. Insbesonderespiegelt sich die Verlagerung der Präventionsaufgaben

31 Vgl. European Commission, Report on the Implementationof the European Commission’s External Assistance, D(2001)32947. Dieses Dokument stellt erstmals all die Aktionen zu-sammen, die im Rahmen der verschiedenen externen Hilfs-programme der Kommission im Jahr 2000 vorgenommenworden sind. Nicht aufgeführt werden Vormitgliedschaftsin-strumente, die Makro-Finanzhilfe, die GASP-Aktivitäten unddie Vorhaben im Rahmen des Fonds für Sofortmaßnahmen.

zum Rat (und dort zum HR) in der Finanzausstattungnicht wider. Javier Solana betrachtet den Umfangseines Budgets (also das der GASP) als »lachhaft.«32

Vorerst sind die zugeteilten Mittel mit 30 MillionenEuro in der Tat bescheiden. Zwar trifft es in denmeisten Fällen zu, daß die Verhütung von Gewalt-konflikten kostengünstiger ist als die Eskalation poli-tischer Auseinandersetzungen in einen Krieg, abererfolgreiche Prävention setzt eben doch Finanzierungvoraus.33

Indessen stellt nicht der Geldmangel das Haupt-problem dar, sondern die Schwerfälligkeit der Finan-zierung.34 Bereits der Europäische Rat von Helsinkihatte die Kommission beauftragt, einen Rahmen fürSofortmaßnahmen zu schaffen. Es dauerte geraumeZeit, bis die Vereinbarung über einen entsprechendenFonds im Februar 2001 zustande kam. Die Maß-nahmen des Fonds für Sofortmaßnahmen sollen dazubeitragen, spezifische Rahmenbedingungen zu erzeu-gen, unter denen die Präventionspolitik der EU undihre Kooperations- und Entwicklungsprogrammemehr Aussicht auf Erfolg haben.35 Der Fortschritt desFonds für Sofortmaßnahmen im Vergleich zu den bis-her eingesetzten Finanzinstrumenten der EU liegtin der Schnelligkeit und Flexibilität, mit denen inSituationen erhöhter Anspannung unmittelbar vor,während und nach Krisen agiert werden kann.36

Bisher ist der Fonds vor allem für Maßnahmen ein-gesetzt worden, die aus einer akuten Krisensituation

32 Address of Javier Solana [wie Fn. 18], S. 8.33 Das Europäische Parlament hat immer wieder eine Erhö-hung des Budgets für Auslandseinsätze, insbesondere im prä-ventiven Bereich, gefordert. Siehe als ein Beispiel News inBrief, European Security Review, (Januar 2002) 10, S. 5; sowieauch Renata Dwan, Conflict Prevention, in: Security and Con-flicts, Stockholm 2002 (SIPRI Yearbook 2002).34 »The important thing about conflict prevention is that itshould be quick and effective, and I repeat the word ›quick‹«(Chris Patten, Remarks Made in the European Parliament,Brüssel, 17.1.2001, <http://europa.eu.int/comm/xternal_relations/news/patten/rrf_17_01_01.htm>).35 Potentielle Interventionen können sein: Linderung vonFinanzkrisen, Menschenrechtsarbeit, Wahlbeobachtung, Auf-bau von Institutionen, Unterstützung unabhängiger Medien,Grenzsicherung, Humanitärere Hilfe, Minenräumung, dieAusbildung von Polizeikräften, Bereitstellung von Polizei-ausrüstung, Nothilfe, Wiederaufbaumaßnahmen, Umsied-lung und Konfliktmediation.36 Kommissar Patten hat die besonderen Eigenschaften diesesHandlungsrahmens eigens herausgehoben: European Commis-sion, Council Adopts Rapid Reaction Mechanism, Press Infor-mation, 26.2.2001, <http://europa.eu.int/comm/external_relations/cfsp/news/ip_01_255.htm>.

Page 20: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktionsmittel

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

20

heraus (wie der in Makedonien Ende 2001) notwendigwerden, sowie zur Startfinanzierung von Program-men, die längerfristige Folgemaßnahmen erfordern(wie in Afghanistan zu Beginn des Jahres 2002). Gelderfür die Entspannung einer Situation (wie in Nepal imAugust 2002) sind damit ebenso rasch verfügbar wiedie Unterstützung von Friedensinitiativen (etwa dieVerhandlungen in Somalia oder die Hilfe bei derDemarkation der Grenze zwischen Eritrea und Äthio-pien). Insgesamt ist der Fonds für Sofortmaßnahmenin seinem ersten Jahr fünf Mal zum Einsatz gekom-men, im Jahr 2002 waren es fast doppelt so viele Ein-sätze. Die Gesamtausstattung des Fonds lag für 2001bei 20 Millionen Euro, die auch fast vollständig ausge-geben wurden. Für 2002 sind die Mittel auf 25 Millio-nen Euro jährlich angehoben worden, für 2003 auf30 Millionen.37

Bedenkenswert ist die mangelnde Transparenz derSofortmaßnahmen, zumal über sie nach dem schrift-lichen Verfahren entschieden wird. Ohne Zweifelzeigen sich hier auch Nachteile des Beschleunigungs-verfahrens.38 Andererseits gilt es für die EU, Erfahrun-gen mit einem Instrument zu sammeln, das Interven-tionen erlaubt, die sonst nur Staaten zur Verfügungstehen. In einem finanziell sehr begrenzten Ausmaßkann die EU damit ihre Reaktionsfähigkeit (Früh-warnung plus frühes Handeln) testen. Sollten gute Er-fahrungen gemacht werden, könnte erwogen werden,die verfügbaren Mittel zu erhöhen und eventuell demSG/HR einen direkteren Zugriff auf den Fonds zu er-möglichen, ein Recht, das im EU-Verfassungsentwurfbereits vorgesehen ist.

Zivile Instrumente der ESVP

Nach dem Grundsatzbeschluß von Helsinki, wonachdie ESVP eine militärische und eine nichtmilitärischeKomponente haben soll, sind auf dem EuropäischenRat von Santa Maria da Feira (Juni 2000) in Ergänzung

37 Ursprünglich waren deutlich höhere Mittel vorgesehen;vgl. den Haushaltsunterpunkt B7-671 des Vorschlags für eineRichtlinie des Rates zur Schaffung eines Krisenreaktions-mechanismus (5–12 Millionen Euro für jede Intervention, ab2002 jährlich 40 Millionen), 11.4.2000, COM(200) 119 final.38 Jane Backhurst, The Rapid Reaction Facility: Good Newsfor Those in Crisis? (World Vision, <http://www.oneworld.org/voice/jane2b.html>). Siehe auch Creating the Rapid-Reaction Mechanism, Council Regulation Nr. 381/2001,Brüssel, 26.2.2001, <http://europa.eu.int/eur-lex/pri/en/oj/dat/2001/l_057/l_05720010227en00050009.pdf>.

zum militärischen Planziel der ESVP vier prioritäreBereiche festgelegt worden, in denen die EU zivileKapazitäten für Konfliktprävention und Kriseneinsätzevorhalten will: Polizeikräfte, Expertise im Rechts-bereich, für Verwaltungsfragen und für den Zivil-schutz. Zwar hat die ESVP mit der europäischenPolizeimission in Bosnien-Herzegowina (EUPM)39

bereits ihren ersten operativen Auftrag übernehmenkönnen, sie befindet sich aber weiterhin in allen vierBereichen im Aufbau.40

Die Mitgliedstaaten stellen der EU 5000 Polizei-beamte zur Verfügung, von denen 1400 in wenigerals 30 Tagen mobilisiert werden können. Es handeltsich überwiegend um Polizeikräfte mit Zivilstatus,lediglich Frankreich, Italien, Spanien, Griechenlandund Portugal entsenden auch paramilitärische Kräfte.Die EU hat einen Polizeiaktionsplan für zwei Einsatz-arten aufgestellt: zum Ersatz und zur Unterstützunglokaler Polizeikapazitäten. Der Einsatz der EUPM inBosnien-Herzegowina läuft als Unterstützungsaktion,bei der weitere zivile Instrumente der ESVP bishernicht zur Anwendung kommen.

Die Mitgliedstaaten haben jedoch der EU 282 Exper-ten (u.a. 72 Richter, 48 Staatsanwälte, 72 Strafvollzugs-beamte, 38 Mitarbeiter aus den Verwaltungsdiensten)für den Bedarfsfall fest zugesagt. Diese Kräfte werdenzur Zeit noch für ihre kommenden Einsätze vorberei-tet. Wie im Bereich Polizei werden auch die Rechts-experten auf zwei Arten der Verwendung vorbereitet,einmal zur Stärkung der lokalen Strukturen durchBeratung und Ausbildung, zum anderen zur Wieder-herstellung der Rechtsstaatlichkeit, wobei Beamtevorübergehend mit Exekutivaufgaben betraut werdenkönnen. Ein EU-Pilotprojekt fördert die Vernetzungder nationalen Schulungseinrichtungen im BereichRechtsstaatlichkeit, um Ausbildungsmodule zu ent-wickeln und Trainingskurse abzuhalten.

Solche Vorbereitungslehrgänge finden auch fürExperten der Zivilverwaltung statt. Es gibt noch keinengenauen Umfang des aufzubauenden Expertenpools,

39 Die EUPM, die zur Zeit 470 europäische Polizeioffiziereund 70 Experten umfaßt, wird von dem Dänen Sven ChristianFrederiksen geleitet. Für 2002 standen 14 Millionen Euro zurVerfügung, für 2003–2005 jährlich 38 Millionen, und zwarzusammengesetzt aus Gemeinschaftsmitteln und Beiträgenvon Mitgliedstaaten.40 Für eine ausführliche Darstellung siehe Silke Weinlich,Die zivile Komponente der Europäischen Sicherheits- undVerteidigungspolitik, Berlin: Stiftung Wissenschaft undPolitik, Januar 2003 (Aktuelle SWP-Dokumentation, Reihe D,Nr. 32).

Page 21: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aufbau neuer Kapazitäten

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

21

weil das Einsatzfeld in einer Krisenregion sehr weitgefächert sein kann. Insofern entstehen zunächstoffene Listen von Fachkräften, die kurzfristig Bera-tungs-, Trainings- und Kontrollaufgaben sowie exeku-tive Funktionen übernehmen können.

Beim Katastrophenschutz sind drei Aufgaben-bereiche vorgesehen: Betreuung von Flüchtlings-strömen; Bevölkerungsschutz im Fall bewaffneter Kon-flikte oder terroristischer Angriffe (auch bei Einsatzvon ABC-Waffen); sowie Epidemien, Krankheiten undHungersnöte, die mit Krisensituationen zusammen-hängen. Die Mitgliedstaaten haben für diese Einsatz-felder ihre Beiträge an das entsprechende Über-wwchungs- und Koordinierungszentrum der Euro-päischen Kommission gemeldet. Nominell wurden diegesteckten Ziele (ca. 2000 Experten) inzwischen er-reicht. Die qualitative Auswertung der gemeldetenKontingente sowie ihre Schulung und Ausrüstung alskomplementäre Einsatzteams sind noch zu leisten.41

Der Stand der Vorbereitung in den vier Planberei-chen ist zwar als fortgeschritten, nicht aber als zufrie-denstellend zu bewerten.42 Insbesondere leuchtet un-mittelbar ein, daß die aus unterschiedlichen politi-schen und administrativen Traditionen kommendenKräfte den gemeinsamen Auslandseinsatz und dasZusammenwirken mit Einheiten aus anderen Staatenerst trainieren müssen.43 Dabei ist die flankierendeUnterstützung seitens der Europäischen Kommissionhilfreich, weil sie mit ihren Programmen sowohl dieInteroperabilität der zivilen Interventionskräfte44 als

41 Diese Kapazitäten sind auch als Antwort auf die organi-sierte internationale Kriminalität sowie ihre regionalen undlokalen Ausprägungen zu sehen. Die praktische Koordinationsolcher Maßnahmen vor Ort mit anderen Hilfsmaßnahmender EU sowie solchen der internationalen Organisationenkommt nicht sehr gut voran. Ein Grund dafür ist, daß dieBereitschaft, Zivilschutzkapazitäten für den Einsatz in risiko-reicher Umgebung zu schaffen, nicht verläßlich ist. Gelegent-lich wird in diesem Zusammenhang daher auf private Zivil-schutzorganisationen verwiesen.42 Zu dieser Einschätzung vgl. auch House of Lords, EU – Effec-tive in a Crisis? [wie Fn. 11].43 Civilian Crisis Management – Overview, <http://europa.eu.int/comm/external_relations/cpcm/cm.htm>. Siehe auchMitteilung der Kommission zur Konfliktprävention[wie Fn. 7], S. 25.44 Ursprünglich war erwogen worden, Expertenkontingenteauf EU-Ebene aufzustellen. Die Kommission hat diesen Planfallengelassen und hat damit begonnen, Kapazitäten dadurchaufzubauen, daß sie gemeinsame Ausbildungsprogrammesowie Koordinierungsmechanismen entwickelt, um die benö-tigten Spezialisten bei den Mitgliedstaaten rasch verfügbarzu machen.

auch die Stärkung von Kooperationspartnern in denbetroffenen Ländern betreibt.45 Der Rat tendiert abereindeutig dazu, die operative Verantwortung in denvier (und eventuell weiteren) Planbereichen an sichzu ziehen, selbst wenn ihm dafür zur Zeit noch dieManagementkapazitäten fehlen.

Militärische Fähigkeiten

Nachdem sich die Mitgliedstaaten der EU bereits 1999auf die Entwicklung einer europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik verständigt hatten, habensie auf ihrem Gipfeltreffen in Nizza im Dezember2000 offiziell festgelegt, eine Eingreiffähigkeit im Um-fang von 60 000 Heeressoldaten plus erforderlicheLuft- und Seestreitkräfte einschließlich der Unterstüt-zungs- und Transportkapazitäten verfügbar zu machen.Die Truppenteile sollen ab dem Jahr 2003 (Planziel)voll einsatzfähig sein und (wenn nötig mit Unterstüt-zung der NATO) Aufgaben in den Bereichen humani-täre Hilfe, Peacekeeping und Krisenmanagement über-nehmen. Ziel ist es, autonome, weltweite, anspruchs-vollste (most demanding) Einsätze der Europäer zuerlauben. Dabei werden die Truppen nicht als ganzeseingesetzt, sondern fallweise für spezifische Aufgabenmaßgeschneidert.

Innerhalb des Ministerrates sind dafür Entschei-dungs- und Umsetzungsstrukturen geschaffen worden.Die Zusammensetzung der geplanten Kapazitätenselbst ist weniger schnell vorangekommen als vonden Staats- und Regierungschefs versprochen. DieBestimmung der verschiedenen nationalen Beiträgehat Schwierigkeiten gemacht, weil erforderliche mili-tärische Fähigkeiten nicht oder nicht ausreichend auf-geboten wurden. Auch der Aufbau der zugehörigenmilitärischen Infrastruktur hat sich als zum Teiläußerst aufwendiger und langwieriger Prozeß erwie-sen, hat inzwischen aber das Stadium von Projekt-gruppen erreicht. Als weitere Problembereiche sinddie Planungs-, Logistik-, Führungs- und Kommunika-tionsaufgaben zu nennen. Der vorgesehene Rückgriffauf ergänzende Kapazitäten der NATO erfordert seiner-seits umfangreiche Klärungsprozesse. Die Berlin-Plus-

45 Die Kommission hat schon bisher eine Reihe von Program-men lanciert, die die Ausbildung von Polizei- und Justizbeam-ten sowie den Aufbau effizienter Verwaltungsstrukturen undden Zivilschutz in krisengefährdeten Ländern (wie etwa inGuatemala, El Salvador, Südafrika, Algerien, Makedonien)zum Ziel haben.

Page 22: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktionsmittel

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

22

Vereinbarungen sind zwar in Kraft, die praktische Um-setzung verläuft aber nicht reibungslos.

Trotz all dieser Unzulänglichkeiten hat die EU ihreEingreiftruppe schon im Dezember 2002 als einsatz-fähig erklärt und mit Concordia in Makedonien undArtemis in der Demokratischen Republik Kongo bereitszwei begrenzte Stabilisierungsaufgaben übernommen.In beiden Fällen handelt es sich um Maßnahmen, dieverhindern sollen, daß vorhandene Spannungen undFeindseligkeiten zwischen rivalisierenden Gruppen zuweiterer Gewaltanwendung eskalieren. Auch wenn diemilitärischen Eingreifkapazitäten nicht in erster Liniefür die Wahrnehmung von Präventionsaufgaben kon-zipiert worden sind, können sie de facto in vielfältigerWeise dazu beitragen. In dieser Perspektive hat dasProgramm 2001 einen seiner Schwerpunkte auf die Ab-rüstung, Demobilisierung, Minenbeseitigung und dieReintegration der Soldaten in ehemaligen Kriegsgebie-ten gelegt, um in diesen Bereichen mitzuhelfen, dasEntstehen neuer Gewalt zu unterbinden.

Auch bei horizontalen Präventionsaufgaben willdie EU ihre militärische Expertise und Durchsetzungs-fähigkeit einbringen, etwa durch die Ratifizierungund praktische Umsetzung von Vereinbarungen, diedas Problem der unkontrollierten Verbreitung vonKleinwaffen entschärfen sollen, was auch das ent-sprechende VN-Aktionsprogramm einbezieht.46 Fernerbefürwortet der Rat Untersuchungen, die heraus-finden sollen, wie die Instrumente der Entwaffnung,der Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitungsowie der vertrauens- und sicherheitsbildenden Maß-nahmen systematischer für präventive Zielvorgabeneingesetzt werden können.

Künftige Fähigkeiten

Insgesamt könnten die Mobilisierung vorhandenerund der Aufbau neuer Präventionsinstrumente einesTages eine Interventionskapazität ergeben, die denvon der EU selbst formulierten und den an sie heran-getragenen Aufgaben eher entsprechen. Allerdings istdas ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft, da sichdas Präventionspotential der EU vielfach noch ineinem frühen Entwicklungsstadium befindet (etwadie militärische und – vor allem – die zivile Rüstungs-agentur) und die gegebenen Ressourcen erst durchgeeignete politische Führung voll nutzbar gemacht

46 Vgl den Brahimi-Report, New York 2000, <http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/>.

werden können. Diese Situation wird sich auch durchdie Erweiterung der EU nicht spürbar verbessern, dadie neuen Mitgliedstaaten ihrerseits eher einen Nach-holbedarf haben, als daß sie selbst geeignete Ressour-cen einbringen können.

Andererseits darf das erreichte Entwicklungsstadi-um auch nicht unterbewertet werden. Immerhin kannder Fonds für Sofortmaßnahmen weltweit verwendetund mit anderen Maßnahmen zu einer Interventions-initiative speziell für den Bedarf einer Krise zusam-mengestellt werden. Die EU und besonders die Kom-mission, die den Fonds verwaltet, sind jetzt in einerbesseren Ausgangslage: Sie können nicht nur schnellund unbürokratisch agieren, sie können damit gleich-zeitig ihre herkömmlichen Instrumente fruchtbarermachen und den Boden für die Anwendung der neuenAktionsmittel bereiten. Hinter der einzelnen Sofort-maßnahme steht also in der Regel ein weiterreichen-des politisches Ziel. Ein ähnlicher Effekt geht von denneuen militärischen Instrumenten der ESVP aus. Inso-fern setzt die EU nicht einfach ihre gut eingeführteRolle einer Geberorganisation fort, sondern wirdselbst zu einem international Mitwirkenden, der seinGestaltungsinteresse ausdrückt.

Zahlenmäßig sind die zivilen Kontingente der ESVPbisher nicht sehr beeindruckend, und zwar weder imVergleich zu den vorgesehenen militärischen Kontin-genten noch im Verhältnis zum wachsenden Bedarfan zivilem Interventionspersonal. Offensichtlich wirddie zivile Komponente der ESVP in der Öffentlichkeitund gelegentlich auch in der Europapolitik unterbe-wertet, deckt sie doch Aufgabenfelder ab, die für dieStabilisierung von Krisenregionen entscheidend seinkönnen und bisher häufig von Soldaten im Rahmenfriedenserhaltender Maßnahmen wahrgenommenwerden mußten. Auch wird die zivile Eingreifreserveder ESVP bislang vorwiegend auf die Nachsorge undweniger auf die Verhütung von Gewaltkonfliktenausgerichtet. Ihre Verbindung zur militärischen Kom-ponente der ESVP läßt ebenfalls auf sich warten. Dievier bisherigen Einsätze der ESVP haben noch kaumAnhaltspunkte für das zivil-militärische Zusammen-wirken liefern können, da sie entweder nur zivile odernur militärische Instrumente verwenden. Der kom-plexe Einsatz von Präventionsinstrumenten setzt abereine erhöhte Koordinierungsleistung voraus.

Ein erster Trockentest der Entscheidungsstränge inBrüssel, der Verbindung zu den Mitgliedstaaten unddes Zusammenspiels der an einem EU-geführten Aus-landseinsatz zu beteiligenden internationalen Organi-sationen wurde bereits im Mai 2002 unter dem Titel

Page 23: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Künftige Fähigkeiten

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

23

CME 02 durchgeführt. Die insgesamt erfolgreicheÜbung, die sich auf den angenommen Fall eskalieren-der Spannungen zwischen zwei ethnischen Gruppenauf einer fiktiven Insel im Atlantik bezog, ließ einigeszu wünschen übrig. Noch schien der Koordinations-mechanismus im Ratssekretariat verbesserungswürdig,insbesondere hinsichtlich der Kooperation zwischenInstrumenten aus der sog. ersten und der zweitenSäule der Union. Wer koordiniert welche Instrumente?Wo liegt die Verantwortung für die Polizeikomponen-te? Hat der EU-Sonderbeauftragte ein Koordinierungs-recht? Die sich überschneidenden Kompetenzenwerden ein Problem, wenn der Beginn und das Endeeiner Krise definiert werden sollen, denn währendder Krise hat der Rat das Sagen, dagegen übernimmtdie Kommission die Führung, sobald es um struktu-relle Konfliktprävention und Wiederaufbaumaß-nahmen geht.

Damit wurde bereits bei einer sehr begrenztenÜbung – die Zusammenarbeit mit der NATO wurdenoch nicht getestet47 – offenkundig, daß es auf poli-tisch-strategischem Niveau an Führung und Kohärenzmangelt. Im Herbst 2003 wird es eine weitere, etwasumfangreichere Übung geben. Wichtige Führungs-elemente (Strategiepapier, europäischer Außen-minister) werden auch dann noch nicht zur Verfü-gung stehen. Andererseits werden sich die Erfahrun-gen aus den bisherigen EU-geführten Einsätzenheranziehen lassen. Zusammen mit den institutio-nellen Verbesserungen des Verfassungsvertrages sinddurchaus weitere Fortschritte bei der Handlungs-fähigkeit der EU vorstellbar. Besonders gespannt darfman sein, ob der Einsatz militärischer Aktionsmitteltatsächlich zu mehr Nachdruck von EU-Interventionenführt, oder ob Europas Glaubwürdigkeit (in Afrika)weiterhin auf Entwicklungskooperation beruht, wieetwa Kommissar Nielson bisher annehmen konnte.48

47 Getestet wurde die Zusammenarbeit NATO–EU im Novem-ber 2003 in einer Krisenmanagementübung (CME/CMX 03).48 Poul Nielson, Building Credibility: The Role of EuropeanDevelopment Policy in Preventing Conflicts. Speech at theForeign Policy Centre, London, 8.2.2001, <http://europa.eu.int/rapid/start/cgi/guesten.ksh?p_action.gettxt=gt&doc=SPEECH/01/58|0|RAPID&lg=EN>.

Page 24: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktivitäten

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

24

Aktivitäten

Seit der Programmverkündigung 2000/2001 stehenalle außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischenAktivitäten der EU unter dem Anspruch von Konflikt-verhütung. Die Europäische Sicherheitsstrategie undder Verfassungsentwurf haben diese Ausrichtungebenfalls bestätigt. Der offizielle Katalog von Aufgaben,die eigens mit der Zielsetzung Prävention versehensind, ist jedoch begrenzt. Anhaltspunkte für das realeAusmaß der EU-Aktivitäten ergeben sich aus einerReihe von Quellen, wie der Agenda der Ratssitzungen,den Aufträgen des HR Javier Solana, der Einführungder Länderstrategiepapiere durch die Kommission undder öffentlichen Berichte und Anhörungen des Euro-päischen Parlaments zu außenpolitischen Fragen.49

Die Kontrollarbeit des Parlaments, einschließlich derBudgetdebatten, liefert Hinweise auf den Wirkungs-grad der EU-Politik. Sie müßten allerdings durch Feld-berichte und wissenschaftliche Analyse erweitert wer-den, damit eingeschätzt werden kann, inwieweit dieEU mit ihren Maßnahmen zur Einschränkung vonGewaltkonflikten beigetragen hat. Im folgenden kannlediglich ein Überblick über die Aktionsbreite der EUmit ein, zwei vertiefenden Beispielen geliefert werden,um eine vorläufige Einschätzung zu geben.50 Dabeisoll analytisch nach regionalen und funktionalen Prä-ventionsaktivitäten unterschieden werden, in derPraxis vermischen sich beide Ansätze zumeist.

Regionale Präventionsaktivitäten

Die EU selbst nimmt bisher keine systematische Ex-post-Bewertung ihrer Interventionen vor. Die spani-sche und die griechische Präsidentschaft äußern sich

49 Für die ausführliche Behandlung einiger konkreter Prä-ventionsaktivitäten der EU siehe Renata Dwan, in: SIPRI Year-book 2002, Stockholm 2002.50 Die Bewertung der Auswirkungen von Präventionsakti-vitäten ist eine schwierige Aufgabe. Weder Wissenschaftlernoch Praktiker haben bisher vermocht, befriedigende Ansätzezu entwickeln. Für einen Überblick über die Herangehens-weise aus EU-Perspektive vgl. Michael Lund/Guenola Rasmoelina(Hg.), The Impact of Conflict Prevention Policy. Cases,Measures, Assessment. SWP–Conflict Pevention Network,CPN Yearbook 1999/2000, Baden-Baden 2000.

in ihrem jeweiligen Jahresbericht eher zurückhaltendzur Leistung der EU-Präventionspolitik. Nicht alleBemühungen der EU seien erfolgreich gewesen, gene-rell gebe es Grenzen für das, was die EU auf diesemGebiet erreichen könne. Der überwiegende Teil dervon der EU in jüngster Zeit bearbeiteten Präventions-fälle betraf innerstaatliche Konflikte mit Tendenz zurAusweitung auf die jeweiligen Nachbarstaaten. Zuverweisen ist auf Interventionen der EU in Kosovound Montenegro, um den Westlichen Balkan vorWeiterungen der Konflikte zu bewahren. Ohne dieKonflikteindämmung in Makedonien wäre womöglichder Balkan insgesamt zur Kriegsregion geworden. Süd-ossetien, Abchasien, Nagorny-Karabach und Java-khetien schienen ähnliche Gefahren für die Kaukasus-region heraufzubeschwören. Mit der Intervention zu-gunsten des Fergana-Tals hat die EU eine Ausbreitungvon Gewaltkonflikten in Zentralasien einzudämmenversucht.

Aus gleichen Motiven heraus ist die EU in der Demo-kratischen Republik Kongo (u.a. mit der MilitärmissionArtemis) und in Äthiopien (mit einem Stabilisierungs-programm) engagiert, um die Region der Großen Seenbeziehungsweise das Horn von Afrika nicht völlig imKonfliktstrudel versinken zu lassen. Dagegen scheintdieses Schicksal nun dem westlichen Afrika bevorzu-stehen, wo die Bemühungen der EU um Liberia, Côted’Ivoire und Nigeria ohne durchschlagenden Erfolggeblieben sind. Akute Eskalationsfälle wie Angola,Simbabwe und Aceh standen ebenso auf der Präven-tionsliste der EU wie Regionen, in denen es langfristigdarum geht, Strukturen der Kooperation und derDemokratie zu entwickeln, um Gewalt als Mittel zurDurchsetzung partieller Interessen zurückdrängenzu können. In einigen Fällen traf akuter Präventions-bedarf mit der Notwendigkeit langfristiger Stabilisie-rung zusammen, insbesondere in Afghanistan und imIrak (nach den Militärinterventionen), im WestlichenBalkan (Stabilitätspakt) und im Nahen Osten (Palästina).Ebenso wie Afghanistan hat auch der Irak erst nachder Beseitigung des repressiven Regimes die volle Auf-merksamkeit der EU mit dem Ziel gewonnen, an derStabilisierung des Landes mitzuwirken und örtlichenGewaltkonflikten frühzeitig entgegenzuwirken (post-conflict conflict prevention).

Page 25: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Regionale Präventionsaktivitäten

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

25

Der Einfluß der EU scheint dort am größten zusein, wo Staaten sich berechtigte Hoffnung auf einespätere Mitgliedschaft in der EU machen können. Dasist ganz sicher im Westlichen Balkan der Fall und hatdort vor allem in Makedonien während der jüngstenkritischen Phase seine Wirkung nicht verfehlt, zu-mal es mit einem gut entwickelten Präventions- undKrisenmangement einschließlich der EUPM verbun-den war.51

Exkurs 1: Fallstudie Makedonien

Als im Januar 2001 albanische Rebellen eine Polizeistation inTetovo angriffen, zeichnete sich ab, daß das Land mit ernste-ren ethnischen Auseinandersetzungen würde rechnen müssen,als dies seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 und imSchatten der schweren Kämpfe in der Nachbarschaft deutlichgeworden war. Zwischen Februar und August 2001 gerietMakedonien durch einen bewaffneten Konflikt zwischen denethnisch-albanischen Extremisten (UÇK) und den regulärenmakedonischen Truppen in eine Eskalationsphase, die mitlokalen Scharmützeln anfing und sich bis zum Beginn einesBürgerkrieges aufschaukelte. Die EU hat zusammen mitanderen Akteuren dazu beigetragen, diese Eskalation zuunterbinden und einen Prozeß der Stabilisierung einzuleiten.Dabei ist ein Großteil der Instrumente, Verfahren und Infra-struktur zum Einsatz gekommen, die sich Brüssel inzwischenfür die Zwecke der Gewaltverhütung geschaffen hatte.

Wie eine analytische Aufbereitung der EU-Funktion imMakedonien-Konflikt zeigt, konnte die EU dank HR Solanaund seines Stabes erstmals sowohl in Brüssel als auch vor Ortentscheidende Koordinierungs- und Vermittlungsaufgabenwahrnehmen.52 Unterstützt von einem Sonderbeauftragtenund ausgestattet mit einem flexiblen Mandat durch die Mit-gliedstaaten, konnte Solana die Autorität der EU gegenüberden Konfliktparteien und in der Zusammenarbeit mit anderenAkteuren, insbesondere der NATO und den USA, durchgängigzum Tragen bringen. Auch andere Schwachstellen bisherigerPräventionsversuche konnten in diesem Falle überwundenwerden. So waren über den Fonds für Sofortmaßnahmen Mittelverfügbar. Es gab die notwendige Abstimmung zwischen denkurzfristigen, politisch-diplomatischen Missionen des Rates

51 Marie-Janine Calic, The EU and the Balkans: From Associa-tion to Membership?, Berlin: Stiftung Wissenschaft undPolitik, Mai 2003 (SWP Comments 7/03).52 Für eine ausführliche Behandlung des PräventionsfallesMakedonien siehe Ulrich Schneckener, Theory and Practice ofEuropean Crisis Management: Test Case Macedonia, in: Euro-pean Centre for Minority Issues (Hg.), European Yearbook ofMinority Issues, 1 (2001/2002), S. 131–154.

und den langfristigen, wirtschaftlich-finanziellen Maßnahmender Europäischen Kommission. Bewährt hat sich, daß der HRund das zuständige Kommissionsmitglied eine gemeinsamePolitik entwickelten und ihre Dienste institutionell zusammen-gearbeitet haben, abgesehen davon aber Solana und Pattenarbeitsteilig und komplementär vorgingen, der erste als Krisen-manager der zweite eher als Strukturpolitiker.

Die von der EU eröffnete Perspektive der Zugehörigkeit zueinem Raum der Prosperität, Stabilität und des Interessenaus-gleichs erwies sich gerade während der Eskalationsphase undin der unsicheren Zeit der Umsetzung der Vereinbarungen vonOhrid als wichtiges Element der Vertrauensbildung für alleKonfliktparteien. Es stellte sich als Vorteil heraus, daß Brüsselbereits Anfang 1999 einen Stabilisierungs- und Assoziations-prozeß für Südosteuropa einschließlich Makedoniens eingelei-tet und im März 2000 die EU-Vertretung in Skopje zu einerständigen Delegation der Europäischen Kommission aufgewer-tet hatte. Die Förderung dieses Annäherungs- und Aufwertungs-prozesses parallel zu den kritischen Entwicklungen in Make-donien war höchst wirkungsvoll. Im Juni 2000 betonte derEuropäische Rat in Santa Maria da Feira, daß die EU weiter-hin die weitestgehende Integration der Länder der Region indie Wirtschaft und Politik Europas anstrebt, und bestätigteihre potentielle Anwartschaft auf eine Mitgliedschaft.

Nach Abschluß der Verhandlungen auf dem Gipfeltreffenvon Zagreb im November 2000 wurden im April 2001 inLuxemburg das Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen (SAA)sowie ein Interimsabkommen beschlossen. Das Interimsabkom-men erlaubte es, den Handelsteil und die mit dem Handelzusammenhängenden Vereinbarungen des SAA vorzeitig inKraft zu setzen. Im Oktober 2001 beschloß die EuropäischeKommission, mit Hilfe ihres Fonds für Sofortmaßnahmen einProgramm zur Vertrauensbildung für Makedonien aufzule-gen. Hauptziel des mit 10,3 Millionen Euro ausgestattetenProgramms war es, rasche Unterstützung für die Umsetzungdes Ohrid-Rahmenabkommens zu leisten, das die wichtigstenpolitischen Führer der Regierungskoalition im August 2001unterzeichnet hatten. Es war besonders wichtig, das Abkom-men umgehend zu unterstützen, um interethnische Spannun-gen zu reduzieren und eine Eskalation des Konflikts oder einÜbergreifen auf die Nachbarregion zu vermeiden. Das Paketstand unter dem Vorbehalt, daß alle konstitutionellen Ergän-zungen angenommen und ein neues Gesetz über Lokalverwal-tungen verabschiedet würde.53

In ähnlicher Weise verhalf das Engagement der NATO denKonfliktparteien über schwierige Hürden: bei der Entwaffnungder UÇK, der Grenzsicherung zu den Nachbarstaaten und derAufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Das Zusammen-

53 Quelle und weitere Informationen: <http://europa.eu.int/comm/external_relations/see/news/ip01_1368.htm>.

Page 26: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktivitäten

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

26

spiel der EU mit den anderen multilateralen Organisationen –NATO, OSZE, VN und Weltbank – war für die kritische Konflikt-phase ebenso bedeutend wie der Zugang zu den Fördermaß-nahmen der EU. Während in vielen Präventionsfällen nichteinmal der Informationsaustausch zwischen den beteiligteninternationalen Institutionen gewährleistet ist, konnte inMakedonien auf der Basis einer gemeinsamen Einschätzungder Sachlage und einer Übereinstimmung bei den Zielen vor-gegangen werden. Die Kooperation und das gemeinsame Auf-treten von HR Solana und NATO-Generalsekretär Robertsonvor Ort haben dazu beigetragen, die Konfliktparteien insbeson-dere bei militärischen Fragen zu Kompromissen zu bewegen.Die Ablösung der International Police Task Force der VN durchdie EUPM hat Stabilität und Perspektive geschaffen. Ähnlichist das Zusammenwirken mit der Weltbank und anderenGeberorganisationen einzuschätzen. In all diesen Fällen wurdedurch konditionierte Angebote an die Konfliktparteien dasEinflußpotential der EU erhöht.

Die Erfahrungen, die die EU in Bosnien und im Kosovoin Nachkriegssituationen gemacht hat, haben sichauch für die präventiven Aktivitäten in Makedonienverwerten lassen: Wichtige Voraussetzung für einenInterventionserfolg ist, daß die internationalen Akteureein abgestimmtes kohärentes Konzept haben, ihre An-strengungen koordinieren und ihre jeweiligen Stärkenarbeitsteilig einsetzen.54 Auch scheint eine Leitstelleunerläßlich zu sein, von der aus die Initiative ergriffenund der Prozeß aufrechterhalten wird.

Bedingungen wie in Makedonien lassen sich indes-sen in anderen Fällen nicht ohne weiteres wiederfin-den beziehungsweise herstellen. So hat die EU realisti-scherweise akzeptiert, daß es viele innerstaatlicheGewaltkonflikte gibt, die von außen äußerst schwerzugänglich sind. Die Situation in Tschetschenien undin Tibet gehört dazu, aber auch die kriegerischen Aus-einandersetzungen in Teilen Indiens sowie die archai-sche Lage in Nordkorea und in Algerien. In einigendieser Fälle hat die EU mit Druck oder Anreizen ver-sucht, Regierungen dazu zu bewegen, lokale Konflikteauf friedlichem Wege zu regeln. Sie hat Staaten davorgewarnt, wieder in einen Bürgerkrieg zu verfallen(Vietnam), Unterdrückung zu weit zu treiben (Myan-mar) oder Selbstbestimmung ethnischer Gruppen mitWaffengewalt zu unterbinden (Indonesien). In ande-ren Fällen hat die EU Sanktionen angedroht undEmbargos verhängt (Simbabwe) oder Vertragsbezie-

54 Ulrich Schneckener, Developing and Applying EU CrisisManagement – Test Case Macedonia, Flensburg: EuropeanCentre for Minority Issues, 2002 (Working Paper 14), S. 37.

hungen konditioniert (Iran). All das hat nicht sofortzu einem Erfolg geführt, aber die Hoffnung auf einenallmählich steigenden Einfluß aufrechterhalten.55

Wo immer möglich, hat die EU versucht, die ört-lichen Akteure in Konfliktregionen zu eigenen Präven-tionsleistungen zu befähigen. Sie hat in den einge-spielten Dialogen mit anderen Staatengruppen einenRahmen, der auch für Konfliktprävention genutztwerden kann. So werden die Partner im Cotonou-Abkommen mit dem Ansatz und den Mitteln derKonfliktverhütung vertraut gemacht. Die Länderder Asean verstehen sich zwar auch als sicherheits-politische Gruppierung, haben aber das Konzept derPrävention bisher nicht verinnerlicht. Es ist durch-gängige Empfehlung der EU, daß Erfahrungen aus derOSZE hier Fortschritte bringen könnten. Der Handels-und Kooperationsvertrag zwischen der EU und derAnden-Gruppe ist zu lange auf ökonomische Zielset-zungen eingeengt worden, ohne die Privatisierung derGewalt und den Einfluß der Drogenmafia zum Themazu machen. Nichtstaatliche Gewalt und Drogenmachtsind weder auf Kolumbien noch auf die Anden-Regionbeschränkt. Die EU, sonst versessen auf den Segenregionaler Kooperation, hat dieses Instrument fürPräventionszwecke bisher nicht voll eingesetzt. AufRegionen bezogene Konfliktprävention bleibt aberbesonders wertvoll, da sie den geographischen mitdem funktionalen Ansatz verbindet.

Funktionale Präventionsaktivitäten

Ähnlich wie bei den regionalen Präventionsfällen hatsich die EU auch bei der Behandlung von Querschnitts-aufgaben auf einige wenige Felder konzentriert, wobeider erzielte Erfolg noch schwieriger auszumachen ist.Als Erfolg kann hier schon gelten, daß die EU bessererkennt, wo die gemeinsamen Ursachen von einzel-nen Fällen der Gewalteskalation liegen und welcheFaktoren regelmäßig dafür verantwortlich sind, daßBürgerkriege geführt werden, militante Rebellionenund Repressionen weit verbreitet und in manchen

55 Andererseits erzeugt das Gegenteil, nämlich die allzugroße Offenheit für Intervention, auch nicht die erhofftenPräventions- und Stabilisierungsergebnisse. Haiti gehörtezeitweise dazu sowie Kolumbien unter US-amerikanischerEinwirkung. In den Fällen Kosovo und Palästinensische Auto-nomiebehörde, in denen die EU sich vor allem finanziell ein-brachte, ist noch nicht entschieden, ob sich die Alimentie-rung in einer dauerhaften Reduzierung der Gewalt nieder-schlagen wird.

Page 27: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Funktionale Präventionsaktivitäten

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

27

Regionen nicht auszumerzen sind. Die EU befaßt sichmit der Ursachenbekämpfung weit weniger systema-tisch als bei der Behandlung der lokalen und regiona-len Fälle. Indikativ dafür ist, daß es keine Dringlich-keitsagenda der Präsidentschaft für Querschnitts-fragen gibt. Dennoch sind die Aktivitäten der EU indiesem Bereich quantitativ und qualitativ durchausbeachtlich. Sie müssen als funktionales Korrelat zurListe der einzelnen Konfliktfälle (siehe oben) gesehenwerden.

Zu den funktionalen Problemkreisen, mit denensich die EU in jüngster Zeit befaßt hat, zählen vorallem die Knappheit bestimmter Ressourcen (Land,Energie, Wasser), die ungleiche wirtschaftliche Ver-teilung (relative Armut, soziale Ungerechtigkeiten,Unterentwicklung), der unlautere Handel (Menschen,Drogen, Diamanten, Waffen), die Geldwäsche, Kriegs-unternehmer (war entrepreneurs) und internationalerTerrorismus. Eskalatorische Konfliktfaktoren, die vonder EU ausgemacht worden sind, umfassen die man-gelnden Rechte ethnischer und religiöser Minderhei-ten, die Schwäche der Regierungssysteme sowie dieDominanz nichtdemokratischer, häufig militärischgeprägter Führungseliten. Neben den notorischenAnlässen für bewaffnete Auseinandersetzungen, wiedie Behandlung von Flüchtlingen und die Klärung vonGrenzfragen, hat die EU neuere konfliktverschärfendeEntwicklungen, wie die bisher noch wenig angespro-chene Privatisierung von Gewalt, als präventive Auf-gabe angenommen.

Die EU geht zu recht davon aus, daß diese Quer-schnittsfaktoren nicht nur lokal bekämpft werdenkönnen, sondern einer übergreifenden Behandlungbedürfen. Dafür gibt es eine Reihe plausibler Begrün-dungen. Über die Bekämpfung von Symptomen hin-aus sind nachhaltige Einstellungsänderungen bei denKonfliktparteien sowie Reformen der staatlichen undgesellschaftlichen Strukturen in Krisengebieten anzu-streben, die sich auch auf internationale Normen undVereinbarungen beziehen lassen müssen. Ohne einensolchen Referenzrahmen ließe sich dafür auch keineUnterstützung, etwa der Weltbank, erlangen. Nebender direkten Beeinflussung der lokalen Konfliktdyna-mik muß das weitere Umfeld mitgestaltet werden, umeine dauerhafte Umorientierung zu erreichen. Einigeder wesentlichen Konfliktursachen sind eben über-regionaler Natur und lassen sich lokal nur unzurei-chend reduzieren. Auch ist die fallweise Bekämpfungvon Konfliktursachen nicht in jeden Fall effizient undmuß deshalb durch ordnungspolitische Maßnahmen(internationale Regime) ergänzt werden. Schließlich

lassen sich aus den Erfahrungen mit Einzelfällen Er-kenntnisse gewinnen, die zu einer generellen Ver-besserung der Präventionspolitik der EU eingesetztwerden können.

Die EU arbeitet an der Verbesserung von Normenfür Rechtsstaat und effiziente Verwaltung sowie gegenunlauteren Handel (mit Menschen, Drogen, Waffen,wertvollen Metallen, Diamanten, u.a.) und den Einsatzvon Kindersoldaten. Die Kimberley-Vereinbarung be-treffend den Diamantenhandel und die Kleinwaffen-konvention sind punktuelle Versuche, auf die konflikt-trächtigen Folgen der wirtschaftlichen Nutzung vonBodenschätzen und des Handels Einfluß zu nehmen.Kritischer noch ist der Handel mit sensiblen Stoffen,wie angereichertem Uran, biologischen oder chemi-schen Substanzen, die von Unbefugten verwendetwerden können, um Massenvernichtungswaffen her-zustellen. Die Stärkung von Nichtverbreitungsregimen(einschließlich der Trägerkapazitäten) ist erst kürzlichan die Spitze der EU-Agenda gerückt worden.56

Exkurs 2: Fallstudie Kleinwaffenregime

Eine typische horizontale Aufgabe ist die Regulierung derVerbreitung von Kleinwaffen, der sich die EU intensiv gewid-met hat. Anders als bei den Rüstungskontrollregimen, die weit-gehend aus der Zeit des Kalten Krieges stammen, gibt es fürdie Überwachung von Kleinwaffen (Mikroabrüstung) keinelangjährige Tradition vertraglicher Verpflichtung und Veri-fikation. Besitz und Verwendung von Kleinwaffen ist über-wiegend bei nichtstaatlichen Akteuren zu suchen, die sie fürillegale Geschäfte, politische Anliegen und kriminelle Zweckeeinsetzen. Sie tragen erheblich zur Destabilisierung ganzerRegionen bei und können im Einzelfall, wie etwa die Bewaff-nung der UÇK in Makedonien, entscheidende Basis für dieGewalteskalation von politischen Konflikten sein. Andererseitssind Kleinwaffen in der Hand staatlicher Ordnungsorganewichtige Voraussetzung für die Durchsetzung von Recht unddie Schaffung interner Sicherheit. Wo diese Elemente nichtgegeben sind, besteht die Gefahr, daß Bürger zur Selbstver-teidigung schreiten und den Gebrauch eigener Waffen be-anspruchen.

56 Council of the European Union, Basic Principles for an EUStrategy against Proliferation of Weapons of Mass Destruc-tion, 10352/03, Brussels 10 June 2003 as well as the ActionPlan for the implementation of the Basic Principles(10354/1/03), <http://register.consilium.eu.int/pdf/en/03/st10/st10352en03.pdf>; <http://register.consilium.eu.int/pdf/en/03/st10/st10354-re01en03.pdf>.

Page 28: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Aktivitäten

SWP-BerlinEU-KonfliktpräventionNovember 2003

28

Eine Reihe von Richtlinien und Entscheidungen des Ratesder EU sowie zahllose Berichte der Europäischen Kommissionund Resolutionen des Europäischen Parlaments sprechen seiteinigen Jahren den unkontrollierten Handel mit Kleinwaffenan.57 Die EU hat als Ganzes die Führung im Kampf gegen diedestruktiven Auswirkungen des Kleinwaffenhandels über-nommen, und zwar unter anderem durch den bereits 1998etablierten Verhaltenskodex58 bezogen auf Exporte an Dritt-länder und durch eine Gemeinsame Aktion des Ministerrates,59

die der destabilisierenden Verbreitung und Anhäufung vonKleinwaffen den Kampf ansagt. Präventionspolitisch wirdHandel mit Kleinwaffen im Gemeinsamen Bericht 2000 alseine zentrale, langfristige Priorität angesehen (siehe Absatz 19).

Damit ist die EU zu einem der aktivsten Mitglieder der VN-Konferenz über Klein- und Leichtwaffen geworden,60 wobei siedank ihrer Gemeinsamen Aktion eine klare und abgestimmtePosition einnehmen konnte. Die EU strebt rechtlich bindendeMaßnahmen an, die Exportkontrollkriterien, das Kennzeich-nen und Aufspüren der Waffen sowie den Informationsaus-tausch erlauben und Wege zur Vermeidung von Überschuß-produktion sowie weitere Marktregulierungen einbeziehen.

57 Second Annual Report on the implementation of the EUJoint Action of 12 July 2002 on the European Union’s contri-bution to combating the destabilising accumulation andspread of small arms and light weapons (2002/589/ CFSP) andrepealing Joint Action 1999/34/CFSP, and the EU Programmeon illicit trafficking in conventional arms of June 1997(8.10.2002), <http://register.consilium.eu.int/pdf/en/02/st13/13000en2.pdf>; Chris Patten, Commission Statement on ArmsExports, European Parliament – Plenary Session Strasbourg,2.10.2001; Gary Titley, Report on the Council’s Third AnnualReport according to Operative Provision 8 of the EuropeanUnion Code of Conduct on Arms Exports (European Parlia-ment, Committee on Foreign Affairs, Human Rights, CommonSecurity and Defence Policy), 10.9.2002, <http://www.nisat.org/EU/European%20Parliament/Code%20Responses/EP%20Report%20on%20Third%20Concil%20Annual%20Code%20Report.pdf>.58 European Union Code of Conduct on Arms Exports(5.6.1998), <http://ue.eu.int/pesc/ExportCTRL/en/8675_2_98_en.pdf>.59 Gemeinsame Aktion vom 17. Dezember 1998 – vom Rataufgrund von Artikel J.3 des Vertrags über die EuropäischeUnion festgelegt – betreffend den Beitrag der EuropäischenUnion zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufungund Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen,in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften: Rechts-vorschriften (Luxemburg), 42 (15.1.1999) L 9, S. 1–5.60 Herbert Wulf, Kleinwaffen – die Massenvernichtungs-waffen unserer Zeit. Die Bemühungen der Vereinten Natio-nen um Mikroabrüstung, in: Vereinte Nationen (Baden-Baden), 49 (Oktober 2001) 5, S. 174–178; United NationsConference on the Illicit Trade in Small Arms and LightWeapons in All Its Aspects New York, 9.–20.7.2001, <http://disarmament.un.org/cab/smallarms/>.

Brüssel drängt auf eine Fortsetzung der Aktivitäten, die mitder VN-Konferenz begonnen worden sind. Nach Ansicht derEU verdient der Einfuhr- und Zollsektor in konfliktträchtigenLändern besondere Aufmerksamkeit, da von dort aus derHandel, auch der mit Kleinwaffen, dirigiert werden kann.Die EU hat sich auf kritische Länder und Regionen konzen-triert, um mit dem Verweis auf die Standards der VN, derOSZE und des EU-eigenen Verhaltenskodex, eine Regulierungdurchzusetzen. So beschäftigt sich in Bosnien eines der effizien-testen Gemeinschaftsprogramme mit dem Aufbau der Zoll-und Fiskalverwaltung (CAFAO), nicht zuletzt um dem unkon-trollierten Fluß von Kleinwaffen besser Herr werden zukönnen. Neben positiven Beispielen ist aber auch deutlichgeworden, daß die interne Blockierung der verschiedenenDienste in der EU noch ein größeres Problem darstellt.61

Die mit Initiativen zur funktionalen Konfliktver-hütung gesammelten Erfahrungen haben sich auchbei anderen Querschnittsaktivitäten als bedeutsamerwiesen. Teil der Erfahrungen ist die nüchterne Tat-sache, daß sich die mit Prävention verbundenenguten Absichten als unzutreffend herausstellen undin manchen Fällen zu gegenteiligen Effekten führenkönnen. Selbst beim Allheilmittel Demokratieentwick-lung muß jeweils sorgfältig geprüft werden, ob es imEinzelfall nicht die Konfliktparteien noch mehr gegen-einander hetzt, als sie zum friedlichen Wettbewerb zuführen. In ähnlicher Weise kann auch die Wirkungder Medien bei Konflikten ambivalent sein, sie könnenGewalt verherrlichen, können aber auch als freie Infor-mationsquelle für Transparenz sorgen, sie könnenethnische Unterschiede gefährlich zuspitzen, könnenaber auch den Dialog zwischen unterschiedlichenVolksgruppen fördern. Noch kritischer ist die Frage,ja der unausgesprochene Vorwurf, die EU könntedurch ihre Entwicklungspolitik selbst zu einer Ver-schärfung von örtlichen Konfliktlagen beitragen. Eswird wegen der notorischen Unzulänglichkeit derlokalen Partner zu recht befürchtet, Brüssel könntedurch die unumgängliche Zusammenarbeit mit denjeweils Regierenden unbeabsichtigt zur Verfestigungder zum Teil repressiven Strukturen in einzelnenLändern beitragen.

61 Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: Tansania istein interessanter Fall, weil ein Fünfjahresplan für das Landentwickelt wurde, bei dem im ersten Jahr Großbritannienden Start gemacht hat und im zweiten Jahr dann die EU fort-setzen sollte. Dazu kam es nicht, weil die GASP und die Kom-mission in einen Kompetenzstreit geraten sind. Daraufhin istdie Angelegenheit an den EUGH geleitet worden.

Page 29: Reinhardt Rummel Konfliktprävention: Etikett oder Marken ... · PDF fileSWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Steigerung des Anspruchs

SWP-BerlinEU-Konfliktprävention

November 2003

29

Fallstricke und Unzulänglichkeiten der oben be-schriebenen Art sind nicht auf funktionale Konflikt-prävention beschränkt. Sie treten auch bei akuten,regional ausgerichteten Präventionsmaßnahmen auf,was die Motivation negativ beeinflußt. Insofern mußdiese Ernüchterung als einschränkender Faktor in diePlanung eingerechnet werden, wenn die Investition inKonfliktverhütung ausgeweitet werden soll. Aber an-statt anzunehmen, der Präventionsansatz sei verfehlt,wäre die Erfahrung für eine Verbesserung des Kon-zepts zu nutzen. Prävention ist eine Expertise mit sehrlang gezogener Lernkurve.

Steigerung des Anspruchs

Die Ergebnisse der ersten Entwicklungsphase gezielterPräventionspolitik zeigen, daß die EU noch in den An-fängen eines Lernprozesses hinsichtlich einer syste-matischen und erfolgreichen Konfliktverhütungs-politik steckt. Zwar hat sie inzwischen das Konzeptder Konfliktprävention flächendeckend in ihren Insti-tutionen eingeführt und hat es auch geschafft, denWeg von der Konfliktwarnung zur frühzeitigen Aktionzu verkürzen, aber die bisher ergriffenen Initiativenund ihre Wirkung vor Ort sind eher bescheiden. Ent-weder lagen die Maßnahmen in geographisch nahenRegionen (Balkan) oder betrafen Querschnittsbereichevon begrenzter Reichweite (Kleinwaffenkodex, Kim-berley-Verfahren).62

Eine EU-Konfliktpräventionspolitik ist auf den Weggebracht, aber weder ist ihr Aufbau abgeschlossen,noch liegen verläßliche Erfahrungswerte über ihrenWirkungsgrad vor.63 Eine eingehende Überprüfung allder Fälle und Sachbereiche, die die EU mit dem Zielder Gewaltprävention behandelt hat, könnte dazu bei-tragen, daß die EU bei der weiteren Ausgestaltungihres Instrumentariums für die Konfliktpräventionenergischer sowie gezielter vorgehen und eine effi-zientere Präventionsstrategie entwickeln kann. Erstdann wird sie sich mit dieser neuen Politik nachhalti-ger profilieren können als bisher.

62 Christoph Heusgen, Eine gemeinsame Außen- und Sicher-heitspolitik der Europäischen Union, in: Die politischeMeinung (Osnabrück), 48 (April 2003) 401, S. 19–26.63 Es reicht nicht aus, wenn die EU Kapazitäten aufbaut.Sie muß sie auch erfolgreich einsetzen. Zum Unterschiedzwischen »output« und »outcome« vgl. Roy Ginsberg, TheEuropean Union in International Politics – Baptism by Fire,Oxford 2001.

Abkürzungen

Asean Association of South-East Asian NationsCAFAO Aufbau der Zoll- und Fiskalverwaltung in Bosnien-

HerzegowinaCIVCOM Ausschuß für zivile FragenCPN Conflict Prevention NetworkCSP Country Strategy PaperEPLO European Peacebuilding Liaison OfficeEPZ Europäische Politische ZusammenarbeitESVP Europäische Sicherheits- und VerteidigungspolitikESVU Europäische Sicherheits- und VerteidigungsunionEUMC EU-MilitärausschußEUMM European Union Monitoring MissionEUMS EU-MilitärstabEUPM European Union Police MissionG 8 Gruppe der AchtGASP Gemeinsame Außen- und SicherheitspolitikGD GeneraldirektionIWF Internationaler WährungsfondsKFOR Kosovo ForceNRO NichtregierungsorganisationOSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit

in EuropaPSK Politisches und Sicherheitspolitisches KomiteeRRM Rapid Reaction MechanismSAA Stabilisierungs- und AssoziationsabkommenSFOR Stabilisation ForceSG/HR Generalsekretär des Rates/Hoher Repräsentant GASPUÇK Kosovo-BefreiungsarmeeVN Vereinte NationenWEU Westeuropäische Union