Reisebericht Seidenstrasse - 3. Teil

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AUF DER SEIDENSTRASSE NACH HONGKONG Eindrücke einer 5 1/2 monatigen Reise mit Bus, Bahn, Sammeltaxi und Schiff. Von der Türkei in den Iran und weiter über Pakistan nach China. 3. TEIL: SHANGHAI - HONGKONG

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3. Teil: Eindrücke einer 5 1/2monatigen Reise mit Bus, Bahn, Sammeltaxi und Schiff von Shanghai nach Hongkong und Hainan, dem südlichsten Punkt des Reichs der Mitte.

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A U F D E R S E I D E N S T R A S S E N A C H H O N G K O N G

Eindrücke einer 5 1/2 monatigen Reise mit Bus, Bahn,

Sammeltaxi und Schiff. Von der Türkei in den Iran und

weiter über Pakistan nach China.

3 . T E I L : S H A N G H A I - H O N G K O N G

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7 5 Der Weg ist das Ziel ...

Nach vier Tagen ziehen wir weiter nach Suzhou, ein-

einhalb Eisenbahnstunden westlich von Shanghai.

Suzhou ist eine kleinere, ländliche Stadt (lediglich

800.000 Einwohner), die von vielen Kanälen durchzo-

gen wird. Das „Venedig des Ostens“, wie es Marco

Polo bezeichnete, liegt direkt am Kaiserkanal, der über

1.800 km Hangzhou in Südchina mit Beijing, den

Yangtsekiang mit dem Huang He, dem Gelben Fluß,

verbindet. Der Kanal führt durch die am dichtest be-

siedelten Gebiete Chinas und sorgte schon vor 800

Jahren für den reibungslosen Transport von Gütern

zwischen den Zentren des Staates.

Suzhou ist auch die Gartenhauptstadt von China.

Über 150 dieser Kunstlandschaften sollen sich in der

Stadt befinden. Chinesische Gärten sind eine Wissen-

schaft für sich. Soll doch die umfassende Weltformel

(die Kunst, die Zahlen von 1 bis 9 in einem Quadrat

so aufzuschreiben, daß die Quersumme jeweils 15 er-

gibt) sowie die chinesischen Musterlandschaften von

28. 10. - 10. 11. Shanghai – Kanton Entlang des Kaiserkanals von den Gärten Suzhous an den West-See in Hangzhou und weiter nach

Guangzhou, dem ärmeren Bruder Hongkongs

S U Z H O U

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Hangzhou und Guilin in einem Gebilde integriert werden.

Klar, daß so eine komplizierte Aufgabe immer zu ähnlichen Lösungen führen

muß, denen sich die Chinesen mit jeder Menge Steine und neuerdings Beton zu

nähern versuchen. So behaupten die Banausen unter den Europäern, daß man,

wenn man einen chinesischen Garten gesehen hat, alle gesehen hat. Trotzdem

versäumen auch wir nicht, in Würdigung aller Bürokraten, den Garten des ein-

fältigen Beamtens oder wie wohlwollendere Autoren übersetzen, des bescheide-

nen Verwalters zu besuchen.

Nächste Station unserer Reise ist Hangzhou, eine Millionenstadt am Ufer des in

ganz China berühmten West-Sees. Wir wohnen in der Villa von Marschall Lin

Biao, einem der wichtigsten Führer der Kulturrevolution, während der das gan-

ze Land ins Chaos gestürzt wurde. Gleich in der Nachbarschaft liegt das Xizi-

Hotel, das ehemalige Landhaus von Mao Zedong. - Wie man sieht gibt es auch

im Arbeiter- und Bauernparadies Gleichere unter den Gleichen.

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H A N G Z H O U

L I N G Y I N K L O S T E R

Verstehen kann ich sie ja. Auch wir genießen noch die warmen Sonnenstrahlen

am Ufer des Westsees, gehen spazieren, lesen die täglich neue „China Daily“

oder erkunden mit Fahrrädern die Umgebung. Nur die Dame an der Rezeption

irritiert uns am Anfang etwas, weil sie uns täglich erzählt, wir könnten das

Zimmer nur mehr für einen Tag haben. Doch spätestens am dritten Tag kann

uns das auch nicht mehr beunruhigen. Einen Tag früher als geplant reisen wir

in Richtung Guangzhou ab. Es haben sich gerade zwei freie Hardsleeper-Plätze

ergeben, was für eine 38stündige Bahnfahrt ein ganz gutes Argument ist.

Witzig sind auch unsere Mitreisenden. Sie verhalten sich sehr zivilisiert, nie-

mand spuckt oder rotzt auf den Boden. Ganz genau beobachten sie, wie wir

uns benehmen und was wir essen. Am Schluß - wir trauen fast unseren Augen

nicht - putzen auch sie sich mit Taschentüchern die Nase. Um die luxuriöse

Bahnreise würdig zu beenden, fahren wir in Guangzhou mit einem Taxi zu un-

serem Billig-Hotel. - Okay, ich gebe ja schon zu, daß um 23.00 Uhr keine

Stadtbusse mehr gefahren sind.

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H A R D S L E E P E R

Jetzt ist es Mitternacht und noch immer haben wir Hunger. Das Reisbox-Essen

am Nachmittag im Zug war nicht besonders ergiebig. Ich finde mich schon da-

mit ab, mit Kohldampf ins Bett zu gehen, als Klaus mich überrascht: „Na, dann

gehen wir eben Essen.“ - „Wie bitte? Es ist jetzt 24.00 Uhr. Mindestens drei

Stunden zu spät, um noch etwas zu bekommen.“ - „Vergiß das. Wir sind hier in

Guangzhou. Das private Restaurant um die Ecke hat sicher noch offen.“

Tatsächlich, da brennt noch Licht und es stehen Tische und Stühle heraußen.

Zusammen mit einem „Bohemian“ sitzen wir noch bis 2.00 Uhr früh. Es ist

noch warm, richtig angenehm. Endlich habe ich nicht mehr das Gefühl, vor

dem Winter zu fliehen, mit dem unverschämten Glück, den wärmsten Herbst

seit Jahren erwischt zu haben.

Guangzhou ist wirklich die westlichste Stadt von China. Der Einfluß des rei-

cheren Bruders Hongkong ist überall zu spüren. Viele private Läden, die all die-

sen verabscheuungswürdigen weil unnützen Hongkong-Schrott anbieten. Aber

nach zwei, drei Monaten tut es ganz gut zu sehen, daß es all diesen Überfluß

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noch gibt. Auch in das Angebot staatlicher Läden mischen sich Westwaren:

San Miguel Bier, Joghurt von Danone und natürlich weltumspannend: Nestle.

Auch die Menschen sind lockerer und umgänglicher. Sie haben all die Kam-

pagnen während vierzig Jahren kommunistischer Herrschaft und Jahrhunder-

ten nordchinesischer Kaiser nie mit der Verbissenheit anderer Landesteile mit-

gemacht. Ist es das heiße Klima, das sie weniger extreme Energie entwickeln

läßt, daß es immer noch einen zweiten Weg zu geben scheint? Die Kantonesen

sind Südländer, Händler. Graue Theorie und komplizierte Technik waren noch

nie ihre Stärke.

Ganz lustig ist auch der Besuch des Museums für die Stadtgeschichte. Aus-

führlich wird über die Entwicklung vom Jahre Schnee bis zur Gegenwart be-

richtet. Einschneidende Veränderungen werden ganz im Sinne des historischen

Materialismus erklärt: Wurden die armen, entrechteten Volksmassen von ei-

nem kapitalistischen Feudalherrn zu sehr unterdrückt, erhoben sich die Recht-

losen und wieder wurde ein Kapitel kommunistischer Revolution neu hinzuge-

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fügt. Auffallend ist, daß die englische Übersetzung in

der Abteilung über die Zeit der Opiumkriege immer

spärlicher, dafür aber um so bösartiger und giftiger

wird. Ich möchte nicht wissen, was da alles auf chine-

sisch drinsteht.

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Obwohl es geographisch Richtung Süden geht, führt

die Fahrt nach Hongkong in den Westen. Schon die

Bahnreise nach Shenzhen, der chinesischen Grenz-

stadt, ist ungewöhnlich luxuriös: Selbst der Hardseat-

Waggon hat eine Klimaanlage, die aus Prestigegründen

voll aufgedreht ist, obwohl es heute ohnehin nicht so

heiß ist. So frösteln wir bei siebzehn Grad - aber das

wäre ja noch schöner! Eine Klimaanlage haben und sie

nicht einschalten. Da könnte man ja meinen, daß sie

nicht funktioniert, kaputt sei.

Reisende, die den Mittelgang blockieren, gibt es auch

keine mehr. Jede Fahrkarte beinhaltet eine Platzreser-

vierung. Anders wäre das hektische „business“, das die

Chinesen während der zweistündigen Fahrt veranstal-

ten, auch nicht möglich. Ununterbrochen ziehen Wä-

gelchen mit Medikamenten, Heilkräutern, Ginseng-

Wurzeln und Essen vorbei. Die Reisenden, in der

Mehrzahl „Hongkongis“, kaufen auf Teufel komm

raus.

Shenzhen, die Endstation auf chinesischer Seite, ist ei-

10. 11. - 22. 11. Hongkong Nach 4 Monaten in der britischen Kronkolonie wieder die Segnungen westlicher Zivilisation genießen

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ne der zwanzig Sonderwirtschaftszonen (SEZ) von China. In den SEZ dürfen

ausländische Unternehmer auf eigene Rechnung Betriebe aufmachen und pro-

duzieren. Ein durchschlagender Erfolg: Innerhalb von fünf Jahren investierten

vor allem Hongkonger Geschäftsleute, Überseechinesen, Amerikaner, Japaner

und einige Europäer mehr als drei Milliarden US-Dollar.

Die Bevölkerung von Shenzhen hat sich innerhalb von vier Jahren verzehn-

facht - und genau so sieht es auch aus: wenig gezielte Stadtplanung, ein häßli-

ches Mischmasch aus Fabriken und Wohnburgen - abstoßend.

An der Grenze machen wir noch ein kleines Geschäft. Gegen Vorlage unserer

Wechselbelege tauschen wir Renminbi zum offiziellen Kurs in Hongkong-

Dollar. Da wir aber die Renminbi nicht in der Bank sonder auf dem Schwarz-

markt gegen FEC eingetauscht haben, mache ich bei dieser Transaktion rund €

14,50 oder 100% Gewinn. Klar, daß so ein gutes Geschäft nur auf einen

Tausch von rund 150 Yuan pro Ausreise beschränkt ist.

N E U B A U T E N

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Mit der Eisenbahn fahren wir dann von Lo Wu, der Station auf Hongkong-

Seite, weiter zur Halbinsel Kowloon. Eine Dreiviertelstunde lang geht es durch

die New Territories, den Schlafstädten von Hongkong. Riesige Wohnsilos säu-

men die Strecke. In der „South China Morning Post“ liest sich das dann ganz

locker: Da oder dort plane die Regierung eine Siedlung für 300.000 (in Worten

dreihunderttausend) Menschen zu errichten. Eine Meldung am Rande, ohne

herausragende Bedeutung.

In Kowloon Tong steigen wir auf die „Mass Transit Railway“ (MTR), die U-

Bahn, um. Hier komme ich aus dem Staunen nicht heraus: Wieder richtig west-

liche Werbung, bunt und aggressiv, nicht grau und angestaubt. Oder „Wir ent-

schuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die der Umbau verursacht.“ In

China gab es permanent Unannehmlichkeiten, ohne daß es irgend jemand nur

in den Sinn gekommen wäre, sich dafür zu entschuldigen.

Nachdem wir im Travellers Hostel, im sechszehnten Stock des Chungking

Mansions, unser Quartier bezogen haben, gehen wir zu Mc Donald's und wer-

C E N T R A L

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fen uns einen „Big Mac“ ein. Danach klemmen wir uns im Aufenthaltsraum

hinter die Glotze: Was für ein Unterschied zu China! Moderne Nachrichtenprä-

sentation, westliche Filme, im Fünfzehn-Minuten-Takt von Werbung unterbro-

chen.

Nicht Werbung wie im chinesischen Fernsehen: viermal Kühlschrank hinterein-

ander, kastenförmig, grün und gleich aussehend. Modernste Werbetechnik, auf

das Unterbewußtsein zielend, brillant gemacht. Nicht en bloc sondern in regel-

mäßigen Intervallen immer derselbe Spot, bis Du ihn auswendig kennst, bei der

vierten Wiederholung vielleicht mit einer kleinen Abänderung, damit Du nicht

die Aufmerksamkeit verlierst.

Die reinste Gehirnwäsche, bis Du es glaubst, daß nur Rolex richtige Uhren,

BMW sportliche Autos und Mild Seven wahre Zigaretten herstellt, Korean Air-

lines die einzige Fluggesellschaft ist und Kühe nur im „Anchor-Land“ glücklich

sein können, es sei denn, ihre Milch wird nicht vorher zu Milka-Schokolade

verarbeitet.

V I C T O R I A P E A K

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Am nächsten Morgen zelebrieren wir unser erstes Hongkong-Frühstück: Nicht

wie in China Löskaffee und trockene Kekse sondern Schinken, Käse und Ho-

nig, dazu täglich frisches Schwarzbrot aus der Bäckerei des „Holiday Inn“. Die

kleine Küche ist auch Treffpunkt der „Chungking-Mansions-Szene“, Cocktail

aus Schicksalen der Dauergäste und Durchreisenden.

Der Australier, der dringend einen Job braucht und dem die Hongkong-

Chinesen bis Oberkante Unterlippe stehen, der pensionierte Englisch-

Professor aus Beijing, der im Winter für ein halbes Jahr nach Hongkong zieht

und Unterricht in Mandarin (Hochchinesisch) gibt.

Die zwei Deutschen, die unter Tarnung eines Second-Hand-Bookshops billige

Transsib-Tickets aus Budapest verklopfen, mit gefälschten Studentenausweisen

handeln oder Schmuggel-Trips vermitteln. Das sind Flüge nach Taiwan und

Südkorea, das Gepäck vollgestopft mit Hongkong-Kram, der in diesen Län-

dern an Mittelsmänner übergeben und verkauft wird. Oder die heißeste Sache:

Ein Kilogramm Gold nach Kathmandu, Nepal. Wenn es klappt werden die

C E N T R A L

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Flugkosten bezahlt plus US$ 1.000,– Taschengeld; wenn nicht: zehn Jahre

Knast.

Da gibt es dann noch eine Australierin, angeblich Journalistin, die in Vietnam

verheiratet war, mit der Machtübernahme der Roten Khmer hinausflog und die

Sache wohl nie ganz verkraftet hat. Jetzt schreibt sie an einem Buch über die

Leiden des vietnamesischen Volks, aus dem sie mir unter beträchtlichem Alko-

holeinfluß vorliest. Dann die überraschende Frage, ob mein Präsident

(Waldheim) ein Nazi sei. Ohne meine Antwort abzuwarten, kramt sie in ihren

Unterlagen und meint, daß er kein schlechter Mensch gewesen sein könnte, weil

er irgend etwas über das Schicksal der Vietnamesen gesagt hat.

Oder die Afrikaner, die sich schmuggelnd und jobbend durchs Leben bringen,

wobei durchschnittlich nur jeder Dritte für die Übernachtung auch bezahlt. Als

einem gedroht wird, daß er für eine Woche nachzahlen muß, meint er ganz

cool: „Für eine Woche? Oh ja, das machen wir.“

C H U N K I N G M A N S I O N S

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Die Tage sind für mich mit Geschäften ausgefüllt: Reisebüros nach billigen

Flugtickets Richtung Europa abklappern, Straßenmärkte und Geschäfte nach

neuen Klamotten, einen neuen Rucksack kaufen, ein neues China-Visum be-

sorgen, Geld tauschen und telefonieren.

Zu Abend essen wir meistens in einem indischen Restaurant. So verschlingen

wir für € 4,30 jedes Mal ein traumhaftes Essen. Billig und gut europäisch Essen

ist in Hongkong nicht möglich und die chinesische Küche ist nach über zwei

Monaten in China auch nicht mehr so attraktiv.

Erst nach einer Woche beginne ich so richtig mit dem Sightseeing. Besonders

toll ist eine Fahrt mit der Doppelstock-Straßenbahn. Mein Lieblingsplatz ist die

erste Reihe im Oberdeck. Bis auf wenige Zentimeter fahren wir auf andere

Trams heran, jedes Mal glaube ich, jetzt und jetzt kracht es. Außerdem hat man

von hier oben einen tollen Überblick auf das Straßenleben.

Eine Steigerung des Action-Gefühls ist nur mehr mit den Doppeldecker-

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Bussen möglich. Besonders spannend: Eine Fahrt über die gebirgige Hong-

kong-Insel und die Steilküste im Süden entlang. Dabei komme ich auch durch

Gebiete, die ich nach dem hektischen Hongkong-Central gar nicht erwartet hät-

te: Richtig gemütlich, fast ländlich geht es hier an der weniger dicht besiedelten

Südküste zu. Die Landschaft erinnert mich etwas an Korsika. Auch die Tempe-

raturen: Ende November ist es angenehm warm, gerade richtig, auch einmal ein

paar Stunden faul am Strand zu liegen, abzuspannen von der Hektik und Enge.

Central scheint hunderte Kilometer entfernt zu sein.

S T A N L E Y

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23. 11. - 27. 11. Macau Die erste und letzte Kolonie auf chinesischem Boden

Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt von Großbritan-

nien nach Portugal. Nicht im Überschall-Jet sondern

mit der Hi-Speed-Ferry von Hongkong nach Macau.

Fast doppelt so lange wie mit dem Boeing-Jetfoil, ei-

nem von zwei Jumbo-Triebwerken befeuerten Trag-

flügel-Katamaran.

„Time is money“ in Hongkong, auch in der Freizeit,

wenn Tausende am Wochenende nach Macau fahren

und ihr Glück in den in Hongkong verbotenen Spiel-

höhlen versuchen. Wem die bis zu 55 km/h schnelle

Fahrt in der Hi-Speed-Ferry zu lange dauert, kann sich

schon an Bord mit den l $ fressenden Slot-Machines

auf das Kommende einstimmen. Oder nach verlasse-

nem Glück in die Traumwelt der Bordvideos schlüp-

fen.

Trotz all diesem Angebots sind die Passagierzahlen auf

den konventionellen Hi-Speed-Ferries stagnierend; die

Zukunft gehört den an die 90 km/h schnellen Jetfoils,

Hover-Ferries, Hydrofoils und Jetcats. Hoffnungslos

veraltet und darum eingestellt wird die alte Shun-Tak-

M I T V O L L G A S N A C H M A C A U

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Fähre, ein 1.000-Passagier-Pott, der gemütlich in zweieinhalb Stunden die 75

km nach Macau durchpflügt. Auch wenn der Chefredakteur der „South China

Morning Post“ wehmütig an die heißen Stunden in einer Zweibett-Kabine nach

einer durchspielten Nacht zurückdenkt.

Macau wirkt nach Hongkong provinziell, eine Mischung aus überkommener

portugiesischer Kolonialverwaltung mit chinesischem Fußvolk. 1557, fast 300

Jahre früher als Hongkong, trat das chinesische Kaiserreich die Kolonie an die

Portugiesen ab. Damit ist Macau die älteste europäische Kolonie in Asien und

wird auch die letzte sein, wenn sie 1999, zwei Jahre nach Hongkong, an die Chi-

nesen zurück-gegeben wird.

Dabei wollte Portugal schon Mitte der Siebziger Jahre, als die verbliebenen Ko-

lonien in Afrika in die Unabhängigkeit entlassen wurden, Macau an China zu-

rückgeben. Doch damals wollte die Volksrepublik nicht. Erst als China sich in-

ternational für den Kampf gegen den westlichen Imperialismus stark machte,

wurde es von anderen Entwicklungsländern aufmerksam gemacht, doch vor der

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eigenen Haustür in Hongkong und Macau reinen Tisch zu machen.

Vorher wurde Macau ohnehin als nahezu wertlos betrachtet und Hongkong

war durch Jahrzehnte, unabhängig von der innenpolitischen Situation, Chinas

Tor zum Westen. Wozu also die Lage unnötig verkomplizieren? Wenn die

Volksrepublik wirklich gewollt hätte, wäre es ein Leichtes gewesen, die Kolo-

nien unter eigene Kontrolle zu bringen. Man hätte nur die lebenswichtige Ver-

sorgung mit Wasser, Strom und Lebensmitteln unterbrechen müssen oder ein-

fach die Grenzen den Hunderttausenden Fluchtwilligen öffnen. Unter dieser

Menschenwelle wären die Kolonien sicher zusammengebrochen.

Heute hängt das Ablaufdatum 1997 bzw. 1999 wie ein Damoklesschwert über

Hongkong und Macau. Man hat aber den Eindruck, als ob dadurch die Wirt-

schaft nur angeheizt würde. Jeder versucht noch so viel Geld wie möglich zu

machen, wobei die Oberschicht schon längst einen Zweit- oder gar Drittpaß

im Hemdsärmel hat. Ein Problem stellen nur die unteren Schichten dar, die

großteils nicht einmal einen zweitklassigen britischen Reisepaß sondern nur ei-

L E A L S E N A D O

F O R T A L E Z Z A D O M O N T E

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ne Aufenthaltsgenehmigung für Hongkong haben. Trotzdem hoffen alle, daß

China clever genug ist, die Tür zum Westen nicht zuzustoßen.

Jetzt wird auch in Macau an allen Ecken und Enden gebaut, die Infrastruktur

verbessert und Betriebe angesiedelt, um nicht nach der Rückgabe an die Volks-

republik in die Bedeutungslosigkeit zwischen Hongkong und Guangzhou abzu-

sinken. Trotzdem wirkt Macau wie eine Zwischenstufe von Hongkong und

Guangzhou. Auch für mich sind meine Tage in der portugiesischen Kolonie ei-

ne Dekompressionszeit im Eintauchen nach China.

Einzig der alljährlich im November stattfindende „Grand Prix von Macau“

bringt etwas Hektik in die Stadt. Auf allen Straßen wird eifrig trainiert und auch

im öffentlichen Verkehr ist so manches „Rennauto“ mit kaputtem Auspuff un-

terwegs.

Zum Essen gehe ich immer in ein kleines Cafe mitten in der Altstadt. Hier geht

es richtig volkstümlich zu. Da sitzt die Omi aus der Nachbarschaft genauso

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beim Abendessen wie die junge Angestellte oder der Arbeiter. Es wird nicht

gerade „Grande Cuisine“ zelebriert, sondern es gibt bodenständige chinesische

Küche mit stark portugiesischem Einschlag. Die Speisekarte ist natürlich zwei-

sprachig, chinesisch und portugiesisch, was mich anfangs ziemlich ins Schwit-

zen brachte, denn es war mir nicht so klar, was denn da bei galinha, cozido,

cabrito, carreiro oder peixe so alles kommen wird.

H O T E L - C A S I N O L I S B O A

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28. 11. - 10. 12. Macau – Yangshou Von der portugiesischen Kolonie entlang des Perl-Flußes ins Traveller-Ghetto unter Zuckerhütten

Durch die Portas do Cerco, das Grenztor, reise ich

wieder in China ein. Per pedes. Ich folge einfach der

Menschenmenge. Irgendwann stehe ich dann vor dem

chinesischen Zollabfertigungsgebäude. Einen portu-

giesischen Ausreisestempel habe ich nicht bekommen.

Die Zollkontrolle ist überraschend gründlich. Man

sucht nach der Bibel, christlichen Schriften, die in der

Volksrepublik anscheinend verboten sind. Nach einer

Stunde ist die Prozedur vorbei, ich bin wieder in Chi-

na.

Ganz ungewohnt stürzen als erstes Geldwechsler und

Schlepper auf mich. Einer zehrt mich zu einem Mini-

bus nach Guangzhou. Die Fahrt soll RMB 40,– kos-

ten, worauf ich aussteige. Der Fahrer geht auf RMB

30,– herunter, was mir aber noch immer als zu teuer

erscheint. So fahre ich dann letztendlich für RMB 20,–

in einem luxuriösen Mitsubishi-Bus. Der Innenraum

ist angenehm klimatisiert - jetzt weiß ich endlich auch

wie Touristen-Gruppen reisen.

Nach vier Stunden und einem Riesenstau bei der

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Stadteinfahrt bin ich wieder in Guangzhou, das mir jetzt schon wesentlich chi-

nesischer vorkommt. Nach einem Tag Akklimatisation fahre ich mit einem

Schiff nach Wuzhou, ca. 280 km weiter nordwestlich.

Auf dem Boot gibt es nur eine Klasse: Schlafsaal. Von seinem Nachbarn ist

man nur durch ein kleines Holzbrett getrennt. Böse Zungen behaupten, daß

diese Unterbringung fatal an ein Konzentrationslager erinnere.

Mir gefällt diese Bootsfahrt aber ganz gut: Man kann das Flußleben beobach-

ten oder sich auf seinem Schlafplatz langstrecken. Nach neunzehn Stunden le-

gen wir um 7.30 Uhr in Wuzhou an. Hier wartet noch eine zehnstündige Bus-

fahrt nach Yangshuo auf mich. Extrem kurvenreich geht die Fahrt durch das

süd-chinesische Bergland. Die Landschaft gefällt mir: Hügelland, das im safti-

gen Grün der Tropen leuchtet.

Nach Mittag halten wir in irgendeinem kleinen Dorf zum Essen. Total ver-

blüfft bin ich, als ich sehe, daß das Straßenrestaurant sogar eine englische Spei-

G U A N G Z H O U - W U Z H O U

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sekarte hat. - Ich bin wirklich auf den ausgefahrensten Touristengleisen unter-

wegs. In Yangshuo angekommen falle ich sofort todmüde ins € 0,80 teure

Schlafsaalbett.

Ein kurzer Rundgang durch das Dorf bestätigt am nächsten Morgen, daß

Yangshuo zu 100% von Rucksacktouristen erobert ist. Überall Langnasen,

Fahrradvermietungen und private Lokale, die Bananenomeletten, Müsli und

Kaffee, kurz, den internationalen Traveller-Eintopf anbieten. Typisch chinesi-

sches Dorfleben braucht man hier nicht mehr suchen.

Trotzdem gefällt es mir in Yangshuo ganz gut: Das Leben ist billig (rund € 3,25

pro Tag), und ich bin mitten in der grandiosen Mondlandschaft, die mit dem

Fahrrad auf Nebenstraßen problemlos erobert werden kann. Auch der Reise-

führer droht: „So billig und landschaftlich schön wie hier, wird es danach lange

nicht mehr sein!“

Diese typische Zuckerhütchen-Landschaft ist vor über zweihundert Millionen

Y A N G S H U O

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Jahren entstanden. Damals reichte das Meer bis in diese Gegend und Muschel-

kalk lagerte sich ab. Dann hob sich die Erdkruste, Kalkformationen brachen

auf und schichteten sich um. Häufige Niederschlage höhlten allmählich das

weiche Gestein aus und rundeten die Berge.

M O O N H I L L

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11. 12. - 23. 12. Yangshuo – Sanya Am südlichsten Punkt von Hainan, dem chinesischen Hawaii, noch einmal richtig ausspannen

Nach neun Tagen breche ich zur Insel Hainan auf. Ei-

ne zweitägige Bus-Zug-Bus-Schiff-Bus-Fahrt wartet

auf mich. Hier im Süden sind die Tickets relativ prob-

lemlos für Renminbi zu bekommen. So kosten mich

die über 1.200 km lediglich € 3,60.

Erste Zwischenstation ist Liuzhou, eine 600.000 Ein-

wohner zählende Stadt am Rande der Karstlandschaft.

Hier habe ich acht Stunden Aufenthalt und ich nütze

die Zeit und schreibe Weihnachtspostkarten.

Heute ist bereits der dritte Adventsonntag, aber Weih-

nachten ist hier in der chinesischen Provinz Lichtjahre

entfernt. Lediglich in Hongkong bin ich schon Mitte

November durch Weihnachtsmänner und Christbäu-

me in den Geschäften daran erinnert worden. „Stille

Nacht“ haben sie mir auch schon vorgespielt - auf chi-

nesisch natürlich.

Im Nachtzug nach Zhanjiang erhalte ich eine neue

Lektion, wie man innerhalb kürzester Zeit den Fußbo-

den versauen kann. Habe ich bisher geglaubt, daß Erd-

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9 9 Der Weg ist das Ziel ...

n ü s s e

das beste Mittel seien, so werde ich hier eines Besseren belehrt: Zuckerrohr er-

zeugt den maximalen Dreck. Wie Biber nagen sich die Spezialisten durchs

Rohr, lutschen den süßen Zucker heraus und spucken den Rest aus. - Man

lernt nie aus.

Die Überfahrt auf die Insel Hainan erfolgt mit einem Hovercraft. Das in Nor-

wegen gebaute Schiff fliegt geradezu über die Wellen - ein tolles Gefühl. Ein

Teil der mit-fahrenden Chinesen hat aber ganz andere Gefühle: Sie sind see-

krank und kotzen wie die Reiher.

Die Herbergssuche in Haikou, die Hauptstadt der Provinz Hainan, ist überra-

schend langwierig: Unter € 18,60 pro Nacht scheint es keine Herberge zu ge-

ben. Den Vogel schießt ein Hotel ab, wo man mich für lächerliche € 43,90

nächtigen lassen will. Ein Betrag, der in Südchina normalerweise für die Über-

nachtungen eines ganzen Monats ausreicht.

L I U Z H O U

S A N Y A

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1 0 0 Auf der Seidenstraße nach Hongkong

Ich laufe von Pontius zu Pilatus, bei jeder Rezeption

lasse ich mir die Standorte anderer Hotels in den

Stadtplan einzeichnen. Nach zwei Stunden lande ich in

einem frisch renovierten Chinesenhotel, wo ich fürs

Zimmer mit Tee € 2,70 bezahle.

Am nächsten Tag fahre ich quer durch die Insel nach

Sanya, der südlichsten Stadt Chinas. Mein Hotel liegt

direkt am Dadonghai-Strand. Auf der rund zwei Kilo-

meter langen Bucht tummeln sich vielleicht fünfzig

Touristen, in der Mehrzahl Skandinavier, die vor den

Eisbären in ihrer Heimat geflüchtet sind.

Nach ein paar ruhigen Tagen am Strand will ich

durchs Landesinnere nach Haikou zurückfahren.

Doch daraus wird nichts: Nach einer halben Woche

bekomme ich hohes Fieber und liege zwei Tage im

Bett. Am dritten Tag geht es mir dann langsam wieder

etwas besser. Ich habe wieder etwas mehr Appetit und

lege mich an den Strand. Der geplante Ausflug ins

Landesinnere fällt somit ins Wasser. Jetzt will ich mich

erst einmal richtig auskurieren.

Als ich am Abend wieder in meiner Stammkneipe sitze

und die obligatorischen Nudeln mit Shrimps für € 0,40

esse, setzt sich der Kassierer zu mir. Es ist der Vater

des Restaurantbesitzers und kommt aus Shanghai. Als

ich ihn frage, wo er so gut Englisch gelernt habe,

meint er: „Well, ich habe 1937 in New York mein

High-School-Examen gemacht.“

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1 0 1 Der Weg ist das Ziel ...

Am Abend des dreiundzwanzigsten heißt es Abschied

nehmen von China. Mit dem Nachtbus fahre ich nach

Haikou, von wo zu Mittag die Fähre ans Festland ab-

legt. Um 16.30 Uhr geht es dann per Bus weiter nach

Guangzhou. Busfahren - einmal eine ganz andere Be-

schäftigung für den Heiligen Abend. Aus dem Weih-

nachtskarpfen wird leider auch nichts, weil das Restau-

rant, wo zum Abendessen gestopt wird, so dreckig ist,

daß sogar ein Teil der Chinesen die Nahrungsaufnah-

me verweigert. Ich halte mich mehr an Weihnachts-

Bananen.

Am Morgen des Christtags erreichen wir Guangzhou.

Auch hier ist von Weihnachten wenig zu spüren. Le-

diglich ein paar exklusivere Hotels haben für Gäste aus

Hongkong die Weihnachtsrobe angelegt. Ich halte

meine private Weihnachtsfeier auf der Terrasse der Ju-

gendherberge ab und mampfe die köstlichen Kuchen

aus der Konditorei des Shengli-Hotels.

Im Bahnhof erwartet mich am nächsten Tag vor den

Schaltern nach Hongkong eine lange Schlange von

Wartenden. Nach eineinhalb Stunden komme ich an

24. 12. - 27. 12. Sanya – Oberndorf Der Heilige Abend im Bus und ein Bahnhof als Weihnachtsgeschenk - Rückkehr ins winterliche Europa

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1 0 2 Auf der Seidenstraße nach Hongkong

die Reihe. Die Beamtin will mir nur ein Softseat-Ticket

für den Drei-Uhr-Zug verkaufen. Ich will aber ein

Hardseat-Ticket für den Zwölf-Uhr-Zug haben. Als

ich auch noch den Preis beanstande und ihr erkläre,

daß ich das sehr unhöflich finde, läuft sie davon und

will mir gar nichts mehr verkaufen.

Darauf blockiere ich zehn Minuten lang den Schalter.

Da die Leute hinter mir schon zum Schimpfen anfan-

gen, kommt ein Hongkongi, um sich als Dolmetscher

anzubieten. Aber auch er kann die „Sprachprobleme“

nicht ausräumen: Sie weigert sich, mir ein Ticket zu

verkaufen.

Darauf gehe ich zu CITS, der staatlichen Tourismus-

organisation. Doch auch hier können sie mir erwar-

tungsgemäß nicht weiterhelfen. Als ich die Angestellte

nach dem zweiten Bahnhof von Guangzhou frage,

zuckt sie nur mit den Schultern und behauptet, daß es

keinen zweiten Bahnhof gäbe.

Da aber heute Abend mein Flug Richtung Frankfurt

geht, muß ich irgendwie nach Hongkong kommen.

Die Idee, mit Bussen nach Macau zu fahren und von

dort per Schiff weiter nach Hongkong, muß ich auch

aufgeben, weil heute keine Busse mehr fahren.

Darauf setze ich mich auf gut Glück in den Bus Nr.

272, weil der Hongkongi gemeint hat, daß dieser even-

tuell zum zweiten Bahnhof fahre. Tatsächlich ist die

Endstation bei einem neu erbauten Bahnhof im Nord-

osten der Stadt.

Auch dort wartet eine lange Schlange vor dem einzi-

A L T E E N D S T E L L E D E R B A H N K A N T O N - H O N G K O N G

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gen offenen Schalter. Als mich eine Beamtin entdeckt,

winkt sie mich vor und verkauft mir problemlos ein

Hardseat-Ticket nach Shenzhen. Sie ist total glücklich

und kann es kaum fassen, daß auch eine Langnase den

Weg zu „ihrem“ Bahnhof gefunden hat.

Nach zweistündiger Fahrt ist die Grenze erreicht und

auch hier warten Hunderte auf die Abfertigung. Bei

der Ausreise will ich auch dieses Mal meine Renminbi

in Hongkong-Dollar wechseln. Die Schalterbeamtin

weigert sich und meint, daß das eine Wechselbestäti-

gung für FEC sei. Ich beharre darauf, daß auf dem

Formular steht, daß ich gegen Vorlage mein überflüs-

siges Geld zurücktauschen könnte. Eine Dreiviertel-

stunde lang diskutieren wir hin und her, worauf sie mir

als Kompromiß anbietet, RMB 50,– zu wechseln. Ich

nehme an - vielleicht war es doch etwas kühn, mit ei-

ner Quittung des teuersten Hotels von Guangzhou,

dem „White Swan“, aufzukreuzen und zu fordern,

Volksgeld (RMB), zum offiziellen Kurs in Hongkong-

Dollar zu wechseln. Wie dem auch sei, ich habe meine

Dollar.

Mit der Eisenbahn und der U-Bahn fahre ich zur Na-

than Road in Kowloon und schrecke die nächste

Geldwechslerin. Das Wechselbüro wirbt, völlig legal,

mit „besten Verkaufskursen“. Der Hacken ist nur, daß

Touristen normalerweise fremde Währungen in Hong-

kong-Dollar wechseln, was aus der Sicht der Bank ein

Kauf ist - und die Kaufraten sind weit davon entfernt,

„die besten der Stadt“ zu sein.

Ich halte ihr meine Hongkong-Dollar unter die Nase

und erkläre ihr, daß ich US-Dollar kaufen möchte. Das

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B A U S T E L L E D E S N E U E N F L U G H A F E N S

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1 0 4 Auf der Seidenstraße nach Hongkong

ist nun ein Verkauf von Fremdwährung und die „best

selling rates“ kommen zur Anwendung. Die Angestell-

te ist ziemlich verwirrt, so oft scheint ihr das noch

nicht passiert zu sein.

Mit dem „Airbus“, einem voll klimatisierten Luxusbus,

fahre ich zum Flughafen, wo ich meine letzten Hong-

kong-Dollar in eine heiße Schokolade umsetze.

Um 22.45 Uhr hebt die TriStar 500 der Gulf-Air Rich-

tung Bahrain ab. Zum Abendessen hat man die Aus-

wahl zwischen zwei Menüs: Reis mit Huhn oder Nu-

deln mit Kalbfleisch. Ich entscheide mich ohne Zö-

gern für das Kalbfleisch. - Mein Bedarf an Reis ist im

Moment irgendwie gedeckt.

Nach elf Stunden Flug und einer Zwischenlandung in

Bangkok setzt der Pilot butterweich auf der Piste von

Bahrain auf. Hier haben wir rund fünf Stunden Auf-

enthalt. Wir müssen unsere Tickets abgeben und erhal-

ten dafür einen Frühstückscoupon fürs Flughafenre-

staurant.

Auch auf der Strecke von Bahrain nach Frankfurt flie-

ge ich wieder mit einer TriStar. Ich hatte mir schon

Hoffnungen gemacht, daß es eine der sieben neuen

Boeing 757 sein könnte, die Gulf-Air erst vor wenigen

Monaten gekauft hat.

Dieses Mal haben wir die Wahl zwischen Lamm und

Huhn. Keine Frage, daß ich bei einer arabischen Flug-

gesellschaft den Hammel wähle. Während der sieben

Stunden nach Frankfurt schaue ich mir zweimal den

G O O B - B Y E , H O N G K O N G

Der Weg ist das Ziel ...

Mit dem Rucksack durch Europa, Asien und Afrika.

W W W . G E O C I T I E S . C O M / G E R A L D _ F I M B E R G E R

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1 0 5 Der Weg ist das Ziel ...

Bordfilm an und probiere das gesamte Musikprogramm durch. Der Amerika-

ner neben mir probiert mehr Wodka-Orange.

Der Flughafen von Frankfurt ist zwar riesengroß, hat aber so wenig Atmo-

sphäre wie ein Hauptbahnhof. Ein wichtiger Vorteil ist, daß direkt unter dem

Flughafen Züge halten. So besteige ich um 16.05 Uhr den EC 27, der mich in

viereinhalb Stunden nach München bringt. Ein richtig ungewohntes Gefühl,

wieder mit komfortablen europäischen Zügen zu fahren.

Von München läßt sich dann der E 3523 zwei Stunden Zeit, um mit mir nach

Salzburg zu rattern. Er kommt gerade rechtzeitig an, daß ich mit der Lokal-

bahn um 23.30 Uhr einen Anschluß nach Ziegelhaiden habe. - Das nenne ich

ein Timing: Im 12.910 km entfernten Sanya vor 103 Stunden rechtzeitig loszu-

fahren, um die letzte Lokalbahn zu erwischen!

B A C K H O M E