Reitz, Mathematik in der modernen Finanzwelt; Derivate, Portfoliomodelle und Ratingverfahren (2011)

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    Stefan Reitz

    Mathematik in der modernen Finanzwelt

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    Stefan Reitz

    Mathematikin der modernenFinanzweltDerivate, Portfoliomodelle und Ratingverfahren

    STUDIUM

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    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

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    1. Auflage2011

    Alle Rechte vorbehalten Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

    Lektorat: Ulrike Schmickler-Hirzebruch | Barbara Gerlach

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    leichtem PapierPrinted in Germany

    ISBN 978-3-8348-0943-8

    Prof. Dr. Stefan ReitzHochschule fr Technik

    Fakultt Mathematik

    Schellingstrae 2470174 Stuttgart

    [email protected]

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    Vorwort

    Modelle zur Beschreibung von Finanzmrkten und der dort gehandelten Produkte bil-den seit einer Reihe von Jahren einen wichtigen Schwerpunkt bei der Anwendungmathematischer Resultate im Wirtschaftsleben. Demzufolge werden an Universitten

    und Hochschulen in den einschlgigen Studiengngen der (Wirtschafts-)Mathematikund der quantitativ orientierten Wirtschaftswissenschaften in zunehmendem UmfangLehrveranstaltungen angeboten, die verschiedene Aspekte der Modellierung von Fi-nanzmrkten zum Gegenstand haben.Bei der Vermittlung der Inhalte besteht die besondere Herausforderung darin, dasseinerseits ein weitreichendes Verstndnis der Funktionsweise von modernen Kapital-mrkten und Bankprodukten erreicht werden soll und andererseits parallel dazu dienicht unerheblichen mathematischen Instrumentarien zur Modellbildung zu vermittelnsind. In diesem Buch wird der Versuch unternommen, beide Gesichtspunkte gleicher-maen und angemessen zu bercksichtigen.Die vorliegende Darstellung richtet sich an Studierende in Bachelor- und Masterstu-diengngen sowie an Mitarbeiter von Finanzinstitutionen, die die mathematischenGrundlagen der Bewertung von Derivaten, der Berechnung von Risiken mit Portfolio-modellen und der Beschreibung von Kreditrisiken durch Ratingmodelle kennen lernenwollen. Um den Einstieg zu erleichtern, wird hier bewusst auf eine streng formale Ab-handlung der zu Grunde liegenden Theorie der stochastischen Prozesse sowie auch derStochastischen Analysis verzichtet. Dennoch werden die wichtigsten Sachverhalte die-ser Teilgebiete formuliert und deren Anwendung aufgezeigt; deshalb ist ein gewisseRoutine im Umgang mit mathematischen Begriffsbildungen, wie sie etwa in den beiden

    ersten Studienjahren erworben werden, unumgnglich. Auch sollten die Leser bereitseine einfhrende Vorlesung zur Finanzmathematik absolviert haben, in der die The-men Renten-, Barwert- und Tilgungsrechnung behandelt wurden. Beim Durchbltterndes Buches fllt auf, dass die Sprache der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik einefundamentale Bedeutung fr die quantitative Beschreibung von Finanzmrkten hat daher werden in Kapitel 2 dieses Buches die wichtigsten Sachverhalte aus der "Welt desZufalls" errtert, bevor dann in den nachfolgenden Kapiteln deren Anwendung aufge-zeigt werden kann.Der Stil dieses Buches ist geprgt durch einen Wechsel zwischen einer eher formal-

    mathematischen Sprache ("Satz-Definition-Beispiel") und einer weniger formalen, mehrbeschreibenden Sprache auch dadurch wird deutlich, dass der hier behandelte Gegen-stand ein interdisziplinrer ist, der die Anwendung mathematischer Sachverhalte auf

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    reale Probleme beschreibt. Einen besonderen Stellenwert haben die zahlreichen Beispie-le und die bungsaufgaben, die in den Text eingestreut sind sie sollen die Einbungund das Verstndnis der Theorie untersttzen.Die Auswahl des Stoffes orientiert sich an den Themengebieten, die heutzutage beim

    Handel mit Finanzprodukten in Finanzinstitutionen eine wichtige Rolle spielen. Dabeiwerden auch aktuelle Aspekte zur Modellierung der Finanzmrkte, die im Zuge derFinanzmarktkrise seit 2007 an Bedeutung gewonnen haben, behandelt. Des Weiterenfindet auch die Umsetzung der angesprochenen Modelle in der Praxis sowie deren je-weilige Strken und Schwchen Erwhnung.Grere Teile des Textes sind aus einschlgigen Vorlesungen in den Bachelor- und Mas-terstudiengngen zur Finanz- und Versicherungsmathematik an der Hochschule frTechnik in Stuttgart hervorgegangen. Ich danke den Studierenden in diesen Vorlesun-gen fr die zahlreichen Hinweise zur Darstellung des Stoffes.Bei Herrn Dr. Tin-Kwai Man (BHF-BANK Aktiengesellschaft, Frankfurt), Herrn Dr.Carsten S. Wehn (DekaBank, Frankfurt) und Herrn Stephan Bellarz (DZ BANK AG,Frankfurt) mchte ich mich fr die Kurzbeitrge "Aus der Praxis" bedanken (vgl. Seite212, 271 und 274).Dem Herausgeber der Reihe "Studienbcher Wirtschaftsmathematik", Herrn Prof. Dr.Bernd Luderer, danke ich fr die Aufnahme dieses Lehrbuchs in die Reihe; dem Vie-weg+Teubner Verlag danke ich fr die hervorragende Zusammenarbeit.

    Lehnheim, im Mai 2010 Stefan Reitz

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    Inhalt

    1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung 1

    1.1 Finanzmrkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

    2 Grundlagen aus der Stochastik 37

    2.1 Wahrscheinlichkeitsrume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.2 Bedingte Wahrscheinlichkeit und Unabhngigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 412.3 Zufallsvariablen und Verteilungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422.4 Erwartungswert und Varianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502.5 Zweidimensionale Zufallsvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532.6 Empirische Gren und Kursmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562.7 Grundlegende Begriffe der Portfoliotheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592.8 Die mehrdimensionale Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622.9 Stochastische Prozesse und bedingte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . 65

    3 Das diskrete Mehrperiodenmodell 73

    3.1 Das Einperiodenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733.2 Das Mehrperiodenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

    4 Bewertung in stetiger Zeit 93

    4.1 Vom Mehrperiodenmodell zum stetigen Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

    4.2 Modellierung von Kursen in stetiger Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.3 Einige Grundlagen aus der Stochastischen Analysis . . . . . . . . . . . . . . . 1014.4 Die It-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044.5 Arbitragefreiheit, Martingalma und Numraires . . . . . . . . . . . . . . . . 1104.6 Aktien-, Devisen-, Rohstoff- und Energiederivate im Black-Scholes-Modell . . 1164.7 Bewertung unter dem Zeit-T-Forward-Ma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1294.8 Ausblick auf numerische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1324.9 Ergnzungen zum Black-Scholes-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1364.10 Zinsderivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

    4.11 Zinsstrukturmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584.12 Bewertung von Kreditderivaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1904.13 Kontrahentenrisiko und Credit Value Adjustment . . . . . . . . . . . . . . . . 209

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    x Inhalt

    5 Portfoliorisikomodelle 215

    5.1 Marktrisikomodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2155.2 Kreditrisikomodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2315.3 Portfolioabhngige Kreditderivate und Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . 250

    5.4 Aspekte des Risikomanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

    6 Rating-Verfahren 277

    6.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2776.2 Gtekriterien zur Trennschrfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2796.3 Schtzung von Ausfallwahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2846.4 Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2906.5 Rating-Migrationen: Stresstests und Szenarioanalysen . . . . . . . . . . . . . . 292

    Literaturverzeichnis 297

    Index 299

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    Kapitel 1

    Grundlagen zu Finanzmrktenund deren Modellierung

    1.1 Finanzmrkte

    Finanzinstitutionen, wie z. B. Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften sind ebensowie Staaten, groe Industrieunternehmen, kleinere Firmen oder auch PrivatpersonenTeilnehmer der Finanzmrkte. Finanzmrkte knnen auf verschiedene Weisen unterteiltwerden, z. B. anhand der nachfolgenden Kriterien:

    Laufzeiten: Kurz-, mittel- und langfristige Mrkte,

    Produktarten: Eigenkapital-, Fremdkapital-, Devisen- und Derivatemrkte,

    Art des Handels: Brsenhandel oder direkter Handel zwischen den Marktteilneh-mern (Over-The-Counter (OTC)-Mrkte),

    Regionen: Nationale und internationale Mrkte.

    Stellen Sie sich z. B. vor, Sie nehmen einen Ratenkredit bei Ihrer Bank auf. Ein sol-cher Kredit kann ganz unterschiedliche Laufzeiten haben. Da es sich um einen Kredit

    handelt, Sie sich also fremdes Kapital leihen, spricht man auch von Fremdkapital. DerKreditvertrag wird zwischen Ihnen und Ihrer Bank direkt abgeschlossen, so dass einnichtbrsliches Geschft, also ein OTC-Geschft vorliegt.Betrachten wir als zweites Beispiel einen groen, international agierenden deutschenKonzern mit einer Tochterfirma in Amerika, der eine brsengehandelte Dollaranleiheherausgibt (emittiert) und damit bei einer Vielzahl von Investoren einen Kredit auf-nimmt: Dabei handelt es sich um eine langfristige Transaktion in einem organisiertenMarkt (Wertpapierbrse), bei der eine fremde Whrung involviert ist (dementsprechendist eine Zuordnung zum Fremdkapital- und Devisenmarkt zu treffen).

    Oftmals wird der Finanzmarkt innerhalb eines Whrungsbereiches in den sog. Geld-marktund denKapitalmarktunterteilt. Whrend die Bezeichnung Geldmarktgeschf-te fr den krzeren Laufzeitbereich (ein Tag bis ein Jahr) verwendet wird, umfasst der

    S. Reitz,Mathematik in der modernen Finanzwelt, DOI 10.1007/978-3-8348-9860-9_1,

    Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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    2 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Begriff Kapitalmarkt alle Finanzinstrumente mit lngeren Laufzeiten (auch unendlicheLaufzeiten sind theoretisch denkbar).Im Folgenden betrachten wir die wichtigsten Finanzinstrumente des Geld- und Kapi-talmarkts; vgl. hierzu auch die einfhrende Darstellung in [3]. Diese sind Gegenstand

    der finanzmathematischen Modellierung.

    1.1.1 Geldmarkt

    Finanzmarktteilnehmer, die fr einen relativ kurzen Zeithorizont Geld anlegen oderaufnehmen mchten, schlieen Geldmarktgeschfte ab. Man spricht in diesem Zusam-menhang auch vom sog.Liquidittsmanagement. Die Abgrenzung der zum Geldmarktgehrenden Transaktionen ist nicht scharf. Wir zhlen hier alle Formen von Tages- undTermingeldern, mit denen gehandelt wird, zum Geldmarktsegment. Wenn Sie z. B. bei

    Ihrer Bank Geld auf einem Tagesgeldkonto anlegen, so ttigen Sie ein Geldmarktge-schft. Dabei wird kein fester Rckzahlungstermin vereinbart, d. h. Sie knnen jeder-zeit den gesamten Betrag wieder abheben. Professionelle Marktteilnehmer nutzen denHandel mit Tagesgeldern, um die tglich anfallenden Zahlungsein- und -ausgnge ausder regulren Geschftsttigkeit zu steuern.Termingeldersind Geldanlagen oder -aufnahmen mit einer festen Laufzeit oder einer

    bestimmten Kndigungsfrist. Sie werden meist hher verzinst als Tagesgelder und ha-ben fr die Bank den Vorteil, dass die Flligkeiten bekannt sind und somit eine besserePlanung mglich ist.

    Zum Segment des Geldmarktes gehren auch Anleihen mit kurzer Restlaufzeit, sog.Geldmarktpapiere, die der Kufer zum jeweils aktuellen Kurs erwirbt, und die ein- odermehrmalig Zinszahlungen leisten, bevor dann am Laufzeitende eine Rckzahlung desKapitals erfolgt. Bekannte Beispiele sind die sog. Schatzanweisungen der ffentlichenHand oder die von Unternehmen herausgegebenen Commercial Papers.Auch die sog.Derivate, auf die wir im nachfolgenden Abschnitt nher eingehen, sinddem Segment Geldmarkt zuzuordnen, sofern sie eine entsprechend kurze Laufzeit auf-weisen.Alle Geschfte des Geldmarktes unterliegen bestimmtenVerzinsungsarten. Je nach Artdes Geschftes orientiert sich die Verzinsung an einem bestimmten Referenzzinssatz,

    der sich als Durchschnittszinssatz der von den Marktteilnehmern verwendeten markt-aktuellen Zinsstze ergibt. Die wichtigsten Referenzzinsstze werden im Handel derBanken untereinander (Interbankenhandel) bestimmt und sie heien EURIBOR, EO-NIA und LIBOR.Der EURIBOR (Euro Interbank Offered Rate) ist der tglich verffentlichte Durch-schnittszinssatz, zu dem sich erstklassige Banken untereinander Geld (fr eine Woche

    bis zu zwlf Monaten) leihen.Der durchschnittliche Tagesgeldzinssatz, der im Interbankenhandel Anwendung findetund fr Geldausleihungen "overnight" verwendet wird, ist der EONIA (Euro Overnight

    Index Average). Er wird tglich von der Europischen Zentralbank ermittelt.Am Finanzplatz London wird an jedem Bankarbeitstag fr alle wichtigen Whrungender LIBOR (London Interbank Offered Rate) als Durchschnittszinssatz bestimmt, zu

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    1.1 Finanzmrkte 3

    dem sich groe, am Bankplatz London agierende erstklassige Banken Kredite von ei-ner Woche bis zu einem Jahr anbieten. Fr die Whrung Euro spricht man auch vomEURO-LIBOR.Ein funktionierender Geldmarkt ist notwendig zur Aufrechterhaltung der Wirtschafts-

    kreislufe. Nur wenn die Versorgung der Banken mit Geld (auch Liquidittgenannt)gewhrleistet ist, knnen die Banken wiederum Kredite und andere Finanzprodukteanbieten. Insbesondere in Krisenzeiten, wie z. B. in der zweiten Jahreshlfte 2008, sinddie Geldmrkte bisweilen erheblich gestrt. In solchen Fllen ist dann das Eingreifender Zentralbanken am Markt gefordert, um die Versorgung mit Liquiditt sicherzustel-len.

    1.1.2 Kapitalmarkt

    Der Begriff Kapitalmarkt bezeichnet die mittel- und lngerfristigen Transaktionen. Da-zu gehren u. a. folgende Arten von Finanzinstrumenten, sofern ihre Laufzeit mindes-tens ein Jahr betrgt:

    Wertpapiere, wie z. B. Aktien, Genussscheine, Anleihen (auch Bonds, Schuldver-schreibungen oder Obligationen genannt) und Fondsanteile,

    Kredite und Schuldscheine,

    Derivate und Wertpapiere mit besonderen Ausstattungsmerkmalen (z. B. Zertifi-kate).

    Aktien sind Beteiligungen an Unternehmen, die die Rechtsform einer Aktiengesell-schaft (AG) haben. Jeder Aktionr einer AG leistet mit seinem Aktienkauf einen Beitragzum Eigenkapital des Unternehmens. Dafr steht ihm u. a. das Recht zu, an Entschei-dungen ber die Unternehmensleitung, Gewinnverwendung oder Fusionen mit ande-ren Unternehmen mitzuwirken (im Rahmen der Hauptversammlung) und natrlich amUnternehmensgewinn beteiligt zu werden (Dividendenausschttung an die Aktionre).Das besondereRisikoeiner Aktienbeteiligung besteht darin, dass der Kurs einer Aktiesignifikant schwanken kann oder dass der Aktionr im Falle einer Insolvenz und Ab-wicklung des Unternehmens in der Regel den gesamten Wert seiner Aktie verliert.

    Aktien werden an Brsen gehandelt. Die bekannteste internationale Brse ist die NewYork Stock Exchange (NYSE) in der Wallstreet in Manhattan. In Deutschland gibt esmehrere Brsen, die grte Brse ist die Frankfurter Wertpapierbrse (FWB). Zuneh-mende Bedeutung haben Computerbrsen, z. B. die XETRA (Exchange Electronic Tra-ding), wo Kauf- und Verkaufauftrge (sog. Orders) elektronisch abgewickelt werden.Kauf- und Verkaufauftrge knnen mit Kursgrenzen versehen werden, d. h. limitiertwerden.Ein wichtiger Indikator fr die allgemeine Entwicklung von Aktienkursen sind sog.Ak-tienindices. Der wichtigste deutsche Aktienindex ist der DAX(Deutscher Aktienindex).

    Der DAX ist eine Kennziffer, die ber Entwicklung und Stand der deutschen Aktien-kurse der 30 grten und umsatzstrksten Unternehmen an der Frankfurter Wertpa-pierbrse Auskunft gibt. Er wurde am 1. Juli 1988 eingefhrt.

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    4 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Neben den Aktien zhlen auch die Anleihen zu den Wertpapieren. Anleihen wer-den von Unternehmen, groen Organisationen oder staatlichen Stellen herausgegeben(emittiert). Je nach Emittent spricht man von Unternehmens-, Bank- oder Staatsanlei-hen. Zustzlich existieren Sonderformen wie z. B. Pfandbriefe oder sog. Asset Backed

    Securites (ABS). Im Unterschied zu einer Aktie erwirbt der Kufer einer Anleihe keineBeteiligung, sondern er gibt lediglich einen Kredit, der am Ende der Laufzeit der Anlei-he vom Emittenten zurckzuzahlen ist (Fremdkapital). Der Gesamtbetrag des Kreditswird in Anteile gestckelt; die Gre eines Anteils heit Nominal(betrag). Der Emittentmuss die Anleihe nach einer festgelegten Zeit, der Laufzeit, zurckzahlen (Tilgung derAnleihe). Das Ende der Laufzeit heit Flligkeit. Die Anleihe existiert also vom Zeit-punkt der Emission bis zum Zeitpunkt der Flligkeit. Die Anleger erhalten whrendder Laufzeit (oder nur einmalig am Ende) regelmige Zinszahlungen (sog.Kupons),die unterschiedlich ausgestaltet sein knnen (z. B. feste Kupons oder variable Kuponsoder Mischformen).Beispiele fr Anleihearten sind festverzinsliche Anleihen, variabel verzinsliche Anlei-hen (Floating Rate Notes), Nullkuponanleihen (Zerobonds), Optionsanleihen, kndba-re Anleihen und diverse strukturierte Anleihen.Ein Zerobondleistet im Unterschied zu einer gewhnlichen Anleihe keine regelmi-gen Kuponzahlungen, sondern nur eine Auszahlung am Ende der Laufzeit, die denZins- und Tilgungsbetrag enthlt. Der Gewinn fr den Anleger besteht damit nur in derDifferenz zwischen dem ursprnglichen Kaufpreis und dem Rckzahlungsbetrag bzw.Verkaufspreis. Zerobonds werden eher selten direkt gehandelt (z. B. im Geldmarktbe-reich als Commercial Papers); sie spielen allerdings eine wichtige Rolle bei der theoreti-

    schen Bewertung von Finanzinstrumenten, wie wir spter noch sehen werden.Optionsanleihensind Anleihen mit Zusatzrechten. Sie beinhalten das Recht zum Be-zug von Aktien oder auch anderen handelbaren Vermgenswerten des Emittenten zufestgelegten Konditionen in einem von der Anleihe abtrennbaren Optionsschein(engl.Warrant). Der Optionsschein kann eigenstndig an der Brse gehandelt werden. DieOptionsanleihe bleibt auch nach der Ausbung des Bezugsrecht aus dem Optionsschein

    bestehen.BeiWandelanleihen(Convertible Bonds) darf der Investor whlen, ob der den Nomi-nalbetrag zurckgezahlt bekommt oder ob er die Rckzahlung in Form der Lieferungvon Aktien des Emittenten wnscht (Umwandlung der Anleihe in eine Aktie). Die An-leihe erlischt dann.Beikndbaren Anleihendarf der Emittent die Anleihe vor dem Flligkeitstermin zu ei-nem festgelegten Kurs zurckzahlen; weitere Kuponzahlungen finden dann nicht mehrstatt.Strukturierte Anleihenzeichnen sich dadurch aus, dass die Zins- und Tilgungszahlun-gen in ihrer Ausgestaltung von gewissen Variablen (z. B. Zinsen, Wechselkursen, Ak-tienkursen, Bonittsmerkmalen) in komplexer Weise abhngen knnen.

    Wenn man als Investor eine Anleihe kauft, geht man verschiedene Risiken ein. Zu-nchst besteht das Risiko, dass sich der Kurs der Anleihe negativ entwickelt und siean Wert verliert. Dieses Risiko hngt mit der Zinsentwicklung am Markt zusammen(Zinsnderungsrisiko) wir werden spter darauf zurckkommen. Ferner besteht das

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    1.1 Finanzmrkte 5

    Risiko, dass man sein eingesetztes Kapital oder die Kuponzahlungen nicht erhlt, weilder Emittent der Anleihe in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist. Dieses Risi-ko, das Ausfallrisikooder Kreditrisiko, wird von Banken und sog. Rating-Agenturen"benotet". Dazu verwendet man sog. Rating-Verfahren, welche die Wahrscheinlichkeit

    eines Kreditausfalls quantifizieren. Die Ratings erfolgen typischerweise in Form vonBuchstabenkombinationen (z. B. AAA, AA, A, BBB, BB, B, CCC, CC, C, D) und jederRating-Kategorie wird eine Ausfallwahrscheinlichkeit zugeordnet. Anleihen mit demRating AAA heien "triple A"-Anleihen und haben die beste Bonitt (das geringste Kre-ditrisiko). Viele Staatsanleihen haben z. B. ein AAA-Rating. Anleihen mit einem RatingBB und schlechter gelten als riskant. Anleihen mit einem Rating CCC, CC oder C hei-en Junk-Bonds (Schrottanleihen). Sie sind extrem riskant, werfen aber andererseits einesehr hohe Rendite ab. Anleihen, bei denen der Emittent bereits ausgefallen ist, erhaltendas Rating D.

    Anleihen werden an Brsen oder auch auerbrslich gehandelt, zum jeweils aktuellenPreis (Kurs). Whrend der Laufzeit der Anleihe kann man diese jederzeit zum aktuellenKurs kaufen und wieder verkaufen. Kurse werden in Prozent angegeben (notiert): Beieinem Kurs von 105% hat ein Anteil von 1.000 Euro einen Preis von 1.050 Euro. Dies gilt

    jedoch nur am Kupontermin, d. h. am Tag der Kuponzahlung. Bei einem Kauf zwischenzwei Kuponterminen (oder Zinsterminen) muss der Kufer dem Verkufer zustzlicheinen Teil des nchstflligen Kupons bezahlen (sog.Stckzins).

    Die Emission von Aktien oder Anleihen erfolgt auf demPrimrmarkt, wo die Wertpa-piere von den Investoren erstmalig erworben werden knnen. Ein Weiterverkauf von

    bereits im Umlauf befindlichen Wertpapieren findet am sog.Sekundrmarktstatt.Die Teilnehmer am Finanzmarkt knnen Wertpapiere jederzeit zum aktuellen Kurs kau-fen oder verkaufen. Hat ein Investor eine positive Anzahl von Wertpapieren in seinemPortfolio, so sagt man, er hat eine long Position in den Wertpapieren. Interessanter-weise kann ein Investor auch eine negative Position (ein sog.short Position) in einemWertpapier haben: Er leiht sich eine gewisse Menge von Wertpapieren und verkauftdiese am Markt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einemLeerverkauf.Da er die entliehenen Wertpapiere spter wieder zurckgeben und sie dazu notwendi-gerweise wieder an der Brse erwerben muss, hat er bis zum Zeitpunkt der Rckgabe

    eine short Position. Er profitiert dabei wegen der Rckkaufverpflichtung von fallendenKursen und er verliert bei steigenden Kursen.

    Anleger knnen neben Aktien und Anleihen auch in Fondsanteile investierern. Diessind Anteile an bestimmten Portfolien (Fonds), die von sog. Kapitalanlagegesellschaf-ten gebildet werden. Dabei wird das von den Investoren eingezahlte Geld nach be-stimmten Kriterien in Vermgensgegenstnde (z. B. Immobilien oder Wertpapiere) frRechnung der Anteilsinhaber des Fonds investiert.

    Ebenfalls zum Kapitalmarktbereich zhlen klassische Kredite, die meist von Bankenvergeben werden. Die Bank tritt hier als Fremdkapitalgeber auf und trgt das Kredit-risikogegenber ihren Kunden, wofr sie Sicherheiten verlangt. Kreditnehmer sinddabei hufig Privatpersonen, Unternehmen, Finanzinstitutionen oder staatliche Stellen.

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    6 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Die vergebenen mittel- und langfristigen Kredite dienen vor allem zur Finanzierungvon Konsumgtern, Investitionen oder Hausfinanzierung (Hypotheken und Bauspar-darlehen). Die Rckzahlung der Kredite erfolgt schrittweise ber einen lngeren Zeit-raum (Tilgungsdarlehen) oder in einem Betrag zuzglich der anfallenden Zinsen.

    Sonderformen des Kreditgeschfts sind dasFactoringund dasLeasing. Beim Factoringkauft eine Gesellschaft (die Factoringgesellschaft) bestehende Geldforderungen aus Lie-ferungen und Leistungen von ihren Kunden. Beim Leasing handelt es sich um die Ver-mietung oder Verpachtung von Wirtschaftsgtern (z. B. Fahrzeugen oder Immobilien)gegen Entgelt (die Leasinggebhr). Der Leasingvertrag wird zwischen einem Leasing-nehmer und einem Leasinggeber abgeschlossen und bezieht sich auf ein Leasingobjekt.

    Wichtige Kapitalmarktprodukte sind schlielich auch die sog. Derivate(von lateinischderivare = ableiten). Dies sind abgeleitete Produkte, die sich auf alle oben genannten Fi-nanzinstrumente oder Zinsstze beziehen knnen. Beispiele sind

    Forwards und Futures (unbedingte Termingeschfte),

    Optionen (bedingte Termingeschfte),

    sonstige Derivate wie Swaps oder Kreditderivate.

    Ein Derivat ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien, in dem der knftige Kauf oder Ver-kauf eines Finanzinstruments zu einem heute bereits festgelegten Preis oder der Aus-tausch von gewissen knftigen Zahlungen vereinbart wird, deren Hhe heute nochnicht feststeht (letzteres z. B. bei Zins- und Kreditderivaten). Im Gegensatz zu den De-

    rivaten werden Finanzgeschfte, bei denen die Abwicklung (Zahlung und Lieferung)unmittelbar nach dem Geschftsabschluss erfolgt, auch als Kassageschftebezeichnet.An den Finanzmrkten wird eine unberschaubare Anzahl von Derivaten gehandelt.Diese beziehen sich u. a. auf

    Wertpapiere (z.B. Aktien oder Anleihen)

    Fremdwhrungen,

    Zinsstze,

    Bonitten,

    Immobilien,

    landwirtschaftliche Produkte,

    Metalle,

    Energie (Strom, l, Gas),

    Naturereignisse.

    Jedes Derivat hat eine bestimmte Laufzeit, nach der es dann endet. Bei Abschluss einesDerivats muss oftmals ein Geldbetrag (der Barwert des Derivats) von einer Partei an die

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    18/314

    1.1 Finanzmrkte 7

    andere gezahlt werden. Manchmal ist der Barwert auch gleich 0: Dann fliet zunchstkein Geld zwischen den Vertragsparteien.Derivate werden zum groen Teil auerbrslich gehandelt (OTC), es gibt aber auchgroe Derivatebrsen (sog. Terminbrsen), wo in groem Umfang Derivate gehandelt

    werden. Die EUREX (European Exchange) in Frankfurt ist eine der weltweit fhrendenTerminbrsen.

    Forwards und Futures

    EinForward(-Geschft)ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien mit der Verpflichtung,

    ein bestimmtesUnderlying(oder Basisinstrument oder Basisgut),

    in einer vereinbarten Menge (derKontraktgre),

    zu einem anfangs festgelegten Preis (demTerminpreisoderStrike(-Preis)),

    zu einem festgelegten Zeitpunkt (dem Lieferzeitpunkt oder Settlementterminoder Flligkeitstermin oder Verfallstermin)

    zu kaufen oder zu verkaufen. Es handelt sich um ein sog. unbedingtes Termingeschft.Diejenige Vertragspartei, die das Underlying kaufen muss, hat eine sog.long Forward-Position, und der Vertragspartner (Kontrahent), der verkaufen muss, hat eine short

    Forward-Position.Bei Forward-Geschften ist eine genaue gedankliche Unterscheidung zwischen demPreis (oder Barwert) des eigentlichen Forward-Geschftes (also der vertraglichen Ver-

    einbarung) und dem Strike-Preis wichtig: Der Strike-Preis wird im Vertrag fest verein-bart und ndert sich dann auch nicht mehr; er kann im Prinzip beliebig gewhlt werden.Nachdem der Strike-Preis feststeht, ergibt sich der Barwert des Forward-Geschftes;dieser hngt natrlich vom aktuellen Kurs des Underlyings und vom vereinbartenStrike-Preis ab und ndert sich permanent. Die genauen Zusammenhnge werden wirspter finanzmathematisch untersuchen. Frs Erste ist die Erkenntnis wichtig, dass esimmer mglich ist, einen sog. fairen Terminpreis oder Forward-Preis rechnerisch zu

    bestimmen: Dies ist derjenige Strike-Preis fr das Underlying, der nach der aktuellenMarktlage "fair" ist. Fair bedeutet hier, dass bei der Wahl des fairen Terminpreises als

    Strike-Preis der Barwert des Forward-Geschftes zum Abschlusszeitpunkt gleich 0 ist beide Vertragsparteien haben zu Beginn dieselben Gewinn- und Verlustchancen ausdem Forward-Geschft.

    Der Barwert eines Forward-Geschftes zum Abschlusszeitpunkt ist 0, wenn als Strike-Preis der faire Terminpreis (Forward-Preis) vereinbart wird.

    Aus Sicht desjenigen, der das Underlying zum vereinbarten Preis Kkauft (long For-ward-Position), fallen folgende Zahlungen an:

    Zum Zeitpunkt 0: Zahlung des Preises (Barwerts) des Forward-Geschfts (kannaus Sicht des Kufers auch 0 oder negativ sein, je nach Wahl des Strike-PreisesK).

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    19/314

    8 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Zum SettlementzeitpunktT: Zahlung des Strike-PreisesK, Erhalt des Underlyingsmit aktuellem KursST.

    Der KursSTweicht natrlich im Allgemeinen vonKab. Der Kufer erzielt einen Ge-winn, wenn der KursSToberhalb vonKliegt, andernfalls macht er einen Verlust. Der

    Gewinn (oder Verlust) (die sog. Auszahlungsfunktion) des Kufers zum Settlementzeit-punkt lsst sich wie folgt schreiben:

    ST K.

    Aus Sicht des Verkufers (short Forward-Position) ist die Auszahlungsfunktion

    K ST.

    bung 1.1 Welchem Geschft entspricht die Kombination aus einer short Forward-Position

    und einer long Position? (Hinweis:Addieren Sie die Auszahlungsfunktionen).

    DieMotivation fr den Handel mit Forwards(und allgemein mit Derivaten) sind viel-fltig: Zum einen knnen Forwards fr Zwecke der Risikoabsicherung (engl. Hedging)verwendet werden. Die Idee dabei ist, eine Position in einem bestimmten Finanzinstru-ment mit aktuellem Wert S0 fr eine gewisse Zeitperiode von 0 bis Tgegen Kursver-nderungen abzusichern. Handelt es sich bspw. um eine long Position, so knnte eineshort Forward-Position mit Settlementtermin inTund Strike-PreisK=S0abgeschlos-sen werden. Falls zum ZeitpunktTein Kursverlust eingetreten ist, alsoST< S0gilt, so

    wird dieser Verlust gerade durch die Auszahlung aus dem Forward-Geschft in HhevonK ST=S0 STausgeglichen.Neben dem Hedging erffnen Derivate vielfltige Mglichkeiten zurSpekulation, in-dem gezielt auf Kursentwicklungen "gewettet" wird. Dies kann z. B. dadurch gesche-hen, dass eine long Position in einem Forward-Geschft abgeschlossen wird mit derAbsicht, aufgrund von steigenden Kursen zum Settlementtermin eine hohe Auszahlungzu erhalten. Im Falle sinkender Kurse besteht dabei ein entsprechendes Verlustrisiko.Eine dritte Motivation fr den Handel mit Derivaten ist die sog. Arbitrage. Dies sindspezielle Handelsstrategien, bei denen mit geringem (oder gar keinem Risiko) Kursun-

    gleichgewichte an verschiedenen Mrkten oder Marktsegmenten ausgenutzt werden,um Gewinne zu erzielen. Wir werden bei der Behandlung des Bund-Futures ein Bei-spiel dafr kennen lernen.

    Forward-Geschfte knnen auch ber die Brse abgeschlossen werden sie werdendann Futures(-Kontrakte) genannt. Ein wichtiges Beispiel ist der sog. Euro-Bund-

    Future, der an der Terminbrse EUREX in Frankfurt gehandelt wird und eine groeBedeutung fr die internationalen Finanzmrkte besitzt.Beim Bund-Future handelt es sich um ein Terminkauf- oder -verkauf einer Staatsanleiheder Bundesrepublik Deutschland zum aktuell gltigenfairen Terminpreis. Die Besonder-

    heit besteht darin, dass das zugrunde Finanzinstrument (Underlying) nicht eine ganzbestimmte Anleihe ist, sondern eine "fiktive" Anleihe der Bundesrepublik Deutschlandmit

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    20/314

    1.1 Finanzmrkte 9

    einer Restlaufzeit von 8,5 bis 10,5 Jahren,

    einem Kupon von 6%,

    und einem Nominalvolumen von 100.000 Euro.Eine Anleihe mit genau dem genannten Kupon muss es am Markt nicht geben; sie wirdnur deshalb verwendet, damit bei der Abwicklung des Anleihekaufs oder -verkaufsam Settlementtermin eine eindeutige Berechnungsgrundlage zur Verfgung steht. Tat-schlich ist es aber so, dass derjenige Marktteilnehmer, der einen Terminverkauf (short

    Future-Position) gettigt hat, sich zum Flligkeitstermin aussuchen darf, welche Anlei-he er dem Terminkufer (long Future-Position) genau liefern mchte. Die Auswahl istdabei allerdings beschrnkt auf bestimmte Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 8,5

    bis 10,5 Jahren (lieferbare Anleihen) und es erfolgt fr die gewhlte Anleihe dann eine

    Umrechnung (mittels eines sog. Konversionsfaktors) auf die o. g. fiktive Anleihe miteinem Kupon von 6%.Die Brsenteilnehmer an der EUREX knnen bei Kauf oder Verkauf eines Futures nurauf gewisse Standardflligkeiten zurckgreifen: Zu einem beliebigen Handelszeitpunktknnen jeweils nur Geschfte (man spricht auch vonFuture-Kontrakten) mit einem Fl-ligkeitstermin am zehnten Kalendertag der jeweils nchsten drei Quartalsmonate ausdem Zyklus Mrz, Juni, September und Dezember abgeschlossen werden. Beispiels-weise bestand am 24. Juli 2009 die Mglichkeit, Future-Kontrakte mit den Flligkeits-terminen im September und Dezember 2009 sowie im Mrz 2010 abzuschlieen.Die Kurse des Bund-Futures (auch Future-Preisegenannt) fr die verschiedenen Sett-lementtermine werden brsentglich verffentlicht, und zwar als Prozentzahl bezogenauf das Nominalvolumen. Diese Preise kommen alleine durch Angebot und Nachfragean der EUREX zustande. So bildet sich immer dann ein neuer Future-Preis, wenn ein-ander entsprechende Handelsauftrge (Orders) zweier Marktteilnehmer (Kufer undVerkufer) an der Brse ausgefhrt werden.

    Beispiel 1.1 Am 24. Juli 2009 um 10.48 hatte der Bund-Future (mit Liefertermin im Septem-ber 2009) einen Kurs von 120,36%. Vereinfacht gesprochen bedeutet dies Folgendes (die Realittist etwas komplizierter, siehe unten): Ein Marktteilnehmer geht bei einem Kauf eines Future-Kontraktes zu diesem Zeitpunkt die vertagliche Vereinbarung ein, am zehnten Kaldendertag desSeptembers 2009 die o. g. fiktiven Bundesanleihen im Nominalvolumen von 100.000Euro zuerwerben und dafr dann den(Clean-)Preis100.000 120,36%zu zahlen. Was bedeutet dasWort Clean-Preis hier? Es ist zu beachten, dass beim Kauf einer Anleihe immer der aktuelle Br-senkurs zuzglich der Stckzinsen zu zahlen ist. Dementsprechend ist am Settlementtermin frdie Abrechnung des Future-Kontrakt vom Kufer der Anleihe der o. g. Clean-Preis vermehrt umdie Stckzinsen der gelieferten Anleihen zu zahlen.

    Tatschlich ist die Praxis des Future-Handels an der Brse noch etwas komplizierter alsim Beispiel skizziert: Fr Kufer eines Bund-Futures fallen die folgende Zahlungen an:

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    10 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Zum Zeitpunkt 0: Der Barwert des Future-Geschftes ist 0, da fr den spterenErwerb des Underlyings der faire Terminpreis vereinbart wurde. Es ist jedoch einGeldbetrag als Sicherheitsleistung bei der Brse zu hinterlegen (dies ist die sog.

    Margin-Zahlung).

    Tglich bis zum Settlementtermin: Ausgleich von Gewinnen und Verlusten zwi-schen Kufer und Verkufer.

    Zum Settlementzeitpunkt T: Erwerb einer lieferbaren Anleihe und Zahlung desaktuell gltigen Preises dieser Anleihe.

    Der Kufer muss also (ebenso wie der Verkufer) die Marktwertvernderungen gegen-ber der Brse ausgleichen ber ein sog. Margin-Konto: Wenn der Kurs steigt, erhltder Kufer eine Gutschrift und der Verkufer eine entsprechende Belastung. Der Sinndieser Vorgehensweise besteht darin, dass evtl. auftretende Verluste sofort ausgeglichenwerden und damit das Kreditrisiko gegenber den Vertragsparteien eliminiert wird.Man kann sich berlegen, dass (bei unvernderlichen Zinsen) der permanente Aus-gleich von Gewinnen und Verlusten im Ergebnis dazu fhrt, dass die Summe aller Zah-lungen aus Sicht des Kufers zum Settlementzeitpunkt gerade PVT Kbetrgt, wobeiPVTder Kurs der fiktiven Bundesanleihe ist und Kder int =0 gltige Forward-Preis.Dies ist die Auszahlungsfunktion eines long Forwards mit Strike-Preis K.

    Beispiel 1.2 Der heutige (in t=0gltige) Future-Preis fr den nchsten Settlementtermin,

    der in vier Tagen sei, betrage96,00%. Die Future-Schlusskurse an den nachfolgenden Tagenseien95,00%,95,50%,96,50%und96,25%. Fr den Kufer eines Bund-Future-Kontraktesergeben sich dann folgende Zahlungen:

    In t=0: Einzahlung einer von der Brse festgelegten Sicherheit auf das Margin-Konto.

    In t=1: Einzahlung des Betrages(96,00% 95,00%) 100.000=1.000Euro auf dasMargin-Konto.

    In t= 2: Gutschrift des Betrages (95,50% 95,00%) 100.000= 500 Euro auf demMargin-Konto.

    In t=3: Gutschrift des Betrages (96,50% 95,50%) 100.000=1.000Euro auf demMargin-Konto.

    In t= 4: Einzahlung des Betrages (96,50% 96,25%) 100.000= 250 Euro auf dasMargin-Konto.

    Der Kufer erhlt am Ende den kompletten Betrag auf dem Margin-Konto ausgezahlt. Abzg-lich der ursprnglichen Sicherheitsleistung ist dies der Betrag 250 Euro =(96,25% 96,00%) 100.000Euro. Zustzlich erhlt der Kufer eine lieferbare Anleihe und zahlt fr diese den aktu-

    ellen Preis (vgl. hierzu die Ausfhrungen in Abschnitt 1.2.8).

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    1.1 Finanzmrkte 11

    Der Kufer oder Verkufer eines Future-Kontraktes ist keineswegs gezwungen, diesenbis zum Settlementtermin zu behalten: Er kann jederzeit whrend des zulssigen Han-delszeitraums den Kontrakt wieder veruern (man sagt auch glattstellen) oder wei-tere Kontrakte hinzukaufen. Diese Mglichkeit stellt einen wichtigen Unterschied zum

    OTC-Handel mit Forwards dar.Neben brsengehandelten Anleihefutures haben auchAktienindexfutures eine hohe Be-deutung. An der EUREX wird derDAX-Futuregehandelt. Dabei handelt es sich um einTermingeschft auf den DAX-Index. Bei Abschluss eines DAX-Future-Kontraktsver-einbart der Kufer (Inhaber der long Future-Position) vom Verkufer (Inhaber der shortDAX-Future-Position) den fiktiven "Kauf" von 25 DAX-Index-Positionen zum Preis desmomentanen DAX-Future-Index-Standes (= Forward-Preis fr die "Lieferung" einerDAX-Index-Position). Die verfgbaren Settlementtermine sind am dritten Freitag (so-fern dies ein Handelstag ist, ansonsten spter) der jeweils nchsten drei Monate aus dem

    Zyklus Mrz, Juni, September, Oktober. Da der DAX-Index kein physisches Produkt ist,das gekauft oder verkauft werden kann, erfolgt keine Lieferung des Underlyings, son-dern ein sog. Barausgleich (Cash Settlement). Tatschlich findet dieser Barausgleich wie

    beim Bund-Future brsentglich ber ein Margin-Kontostatt. Im Ergebnis ergibt sichdaraus fr den Kufer bis zum Settlementtermin eine rechnerische Auszahlung vonST K, wobeiKder ursprnglich vereinbarte Preis undSTder Preis des DAX-Indexam Settlementtag ist.

    Optionen

    Eine Option ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien (Kontrahenten) analog zum Forward-

    Geschft, allerdings mit folgendem Unterschied: Der Kufer der Option erwirbt dasRecht (nicht die Pflicht), das Underlying am Flligkeitstermin zum festgelegten Preis(demStrike(-Preis)oderAusbungspreis) zu kaufen oder zu verkaufen. Es handelt sichum einbedingtes Termingeschft. Der Verkufer der Option hat die Pflicht, des Under-lying zu verkaufen bzw. zu kaufen, sofern der Kufer der Option von seinem RechtGebrauch macht, d. h. die Option ausbt. Als Gegenleistung zahlt der Kufer dem Ver-kufer eine Prmie (Optionspreis).Eine Option, die das Recht zum Kauf eines Underlyings einrumt, heit eine Kaufopti-on oderCall(-Option). Eine Option, die das Recht zum Verkauf eines Underlyings ein-

    rumt, heit eine Verkaufsoption oderPut(-Option)

    . Der Kufer eines Calls bzw. Putshat einelong Call-bzw.long Put-Position. Analog hat der Verkufer eines Calls bzw.Puts eineshort Call-bzw.short Put-Position.Der Kufer eines Calls (bzw. Puts) profitiert von steigenden (bzw. fallenden) Kursendes Underlyings. Der Verkufer eines Calls (bzw. Puts) profitiert von gleich bleibendenoder fallenden (bzw. steigenden) Kursen, da er ggf. die Prmie ohne Gegenleistung ein-genommen hat.Eine sog.Europische Optionkann nur am Verfalltermin ausgebt werden. EineAme-rikanische Option kann (einmalig) zu jeder Zeit zwischen dem Abschlusszeitpunkt unddem Verfalltermin ausgebt werden, wann immer es der Kufer der Option wnscht.

    Optionen werden meist OTC gehandelt; es gibt jedoch auch eine Reihe brsengehan-delter Optionen an der EUREX, z. B. Optionen auf Einzelaktien oder DAX-Optionen.

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    12 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Beispiel 1.3 Eine Bank erwirbt eine Europische Call-Option auf eine Aktie. Die Laufzeit derOption betrage ein Jahr und der vereinbarte Strike-Preis sei K=50Euro. Dafr muss die Bankeinen Optionspreis bezahlen. Nach einem Jahr kann der Aktienkurs bspw. bei45Euro,50Euro

    oder55 Euro liegen. Im ersten Fall verzichtet die Bank auf die Ausbung ihres Optionsrechts,da sie5Euro mehr fr die Aktie zahlen msste, als sie tatschlich wert ist. Auch im zweiten Fallbringt die Ausbung des Optionsrechts nichts, whrend im dritten Fall ein Erwerb der Aktie zu50Euro einen Gewinn von5Euro bringt, denn die Aktie kann zu50Euro erworben und dannan der Brse zum tatschlichen Preis von55Euro weiterverkauft werden.

    Der Wert derAuszahlungsfunktion einer Call- bzw. Put-Optionam FlligkeitsterminThngt vom KursSTdes Underlyings zum ZeitpunktTab. Die Auszahlungsfunktionen

    fr eine long Call- bzw. long Put-Option mit StrikeKlauten:CT :=max{ST K,0} bzw. PT :=max{K ST,0}.

    Bei einer short Position sind die genannten Auszahlungsfunktionen mit einem Minus-zeichen zu versehen.

    Abbildung 1: Auszahlungsfunktionen mitK=100

    Eine Option heit im Geld(in-the-money), falls sich eine Ausbung zur Zeit t lohnenwrde (falls also St > Kbeim long Call gilt). Sie heit am Geld (at-the-money), fallsSt=Kgilt und andernfallsaus dem Geld(out-of-the-money). Die Gre max{St K}

    bzw. max{K St} heit der innere Werteiner long Call- bzw. long Put-Position. Fr

    t=Tist der innere Wert gleich der Auszahlungsfunktion.Die finanzmathematische Berechnung von Optionspreisen erfordert eine aufwendigeTheorie (die sog.Optionspreistheorie). Wir kommen darauf spter zurck.

    long Call

    short Call

    long Put

    short Put

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 13

    In verschiedenen strukturierten Wertpapieren, z. B.Zertifikaten, sind mitunter Optio-nen enthalten. Ein bekanntes Beispiel sind etwa die am Markt angebotenenDiscount-Zertifikate, deren Rckzahlung von der Kursentwicklung einer Aktie abhngt: DerKufer eines Discount-Zertifikats, welches sich auf eine Aktie mit heutigem Kurs S0

    bezieht, erwirbt das Discount-Zertifikat zum heutigem Preis, der kleiner alsS0ist. ZumZeitpunkt T> 0 der Flligkeit des Discount-Zertifikat erfolgt eine Rckzahlung, diesich an der Kursentwicklung der Aktie orientiert. Ist der Preis der Aktie gestiegen, sosteigt auch der Rckzahlungsbetrag des Zertifikats, allerdings nur bis zu einer gewissenSchwelleK. Falls der AktienkursSTzum Flligkeitszeitpunkt oberhalb von Kliegt, sowird nur der BetragKausgezahlt; liegtSTunterhalb vonK, so wird der AktienkursSTausgezahlt. Damit lautet die Auszahlungsfunktion aus Sicht des Kufers:

    min{K, ST}.

    Ist die Ausgestaltung des Zertifikats so gewhlt, dass K< S0 gilt, so wird der Kuferam Ende auch dann noch die maximale AuszahlungKerhalten, sofern der Aktienkursbis zur SchwelleKabsinkt insofern ist dann ein Risikopuffer vorhanden. Die finanz-mathematische Bewertung (also die Berechnung des heutigen Preises) des Zertifikatsgeht davon aus, dass sich die Auszahlungsfunktion zerlegen lsst in die Auszahlungeiner long Position in einer Aktie sowie in eine short Position in einer EuropischenCall-Option auf die Aktie mit StrikeK:

    min{K, ST} =ST+ min{K ST,0} =ST max{ST K,0}.

    Der heutige Wert des Zertifikats ist daher gleich dem heutigen Wert der Aktie minusdem heutigen Wert des Calls.

    bung 1.2 Zeichnen Sie die Auszahlungsfunktion des Discount-Zertifikats.

    Die gngigsten Typen von Derivaten werden auch alsplain vanilla Derivate bezeichnet.Davon abzugrenzen sind Derivate mit besonderen Ausstattungsmerkmalen, die auch

    unter dem Begriffexotische Derivatezusammengefasst werden.

    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik

    1.2.1 Barwertberechnung und Sensitivitten

    Die grundlegenden Begriffe aus der Finanzmathematik zur Zins-, Tilgungs-, Barwert-,Rendite- und Rentenrechnung werden hier als bekannt vorausgesetzt. Wir verweisenauf die zahlreichen hervorragenden Lehrbcher (z. B. [27], [34], [46]).

    Wir fhren kurz die fr uns relevanten Bezeichnungen ein: DerBarwertoderPresentValue(PV) eines knftigen Zahlungsstroms (Cashflows), bestehend aus den Zahlun-genZt1 , . . . , Ztn zu den Zeitpunktent1, . . . , tnist aus Sicht des Zeitpunktest =0 (heute)

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    14 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    gegeben durch

    PV=n

    i=1

    Zti DFti

    mit den Diskontfaktoren Dti

    . Wir verwenden zunchst fr alle Diskontfaktoren zu-nchst einen einheitlichen Zinssatzr. Je nach gewhlter Zinskonvention berechnen sichdie Diskontfaktoren dann gem

    DFti = 11+rti

    (einfache (oder lineare) Verzinsung),

    DFti =

    11+r

    ti(exponentielle (oder diskrete) Verzinsung mit jhrlichen Zins-

    gutschriften; auch Verzinsung mit Zinseszinsen genannt),

    DFti = 11+r/mmti

    (exponentielle Verzinsung mitmjhrlichen Zinsgutschriften), DFti =e

    rti (stetige Verzinsung).

    Die einfache Verzinsung wird oft fr Zahlungen im unterjhrigen Bereich (bis ein Jahr)verwendet, whrend die exponentielle Verzinsung bei Krediten oder Anleihen mit Lauf-zeiten oberhalb eines Jahres zur Anwendung kommt. Die stetige Verzinsung deckt z. B.den Fall einer Geldanlage mit permanenter Bercksichtigung des Zinseszinseffektes ab(Tagesgeldkonto mit tglicher Zinsgutschrift, auchmoney market accountgenannt).

    Auf den Finanzmrkten haben sich ganz bestimmte Vorschriften zur Zhlung derZinstage und Bercksichtigung von Feiertagen herausgebildet, die sog. Tageszhlkon-ventionen(Day Count Conventions). Diese sind bei den Berechnungen stets zu berck-sichtigen, um korrekte Resultate zu erhalten. Die Tageszhlkonventionen werden in derForm "Zhler / Nenner" angegeben, wobei der Zhler die Zhlweise der Tage eines vol-len Monats und der Nenner die Zhlweise fr die Anzahl der Tag innerhalb eines Jahresangibt. Wichtige Beispiele sind:

    act/365: Die tatschliche Anzahl der Kalendertage zwischen Anfangsdatum undEnddatum wird gezhlt und dann durch 365 geteilt.

    act/360: Die tatschliche Anzahl der Kalendertage zwischen Anfangsdatum undEnddatum wird gezhlt und dann durch 360 dividiert.

    act/act: Fr den Zhler und den Nenner ist die tatschliche Zahl der Kalendertagemageblich.

    30/360: Volle Monate werden mit 30 Tagen gezhlt, volle Jahre mit 360 Tagen.

    Meist wird bei der Feststellung des zwischen den Kalenderdaten liegenden Zeitraumsso verfahren, dass das zweite Datum als Tag mitgezhlt wird, das erste jedoch nicht.

    Der Euro Interbanken-Geldmarkt verwendet die Konventionact/360, whrend am Eu-ro Anleihe- und Zinsderivatemarkt berwiegend die 30/360 Methodik vorzufinden ist.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 15

    Das Einlagengeschft der Filialbanken wird in der Regel ebenfalls nach der Konvention30/360 abgerechnet.

    Definition 1.1 DieRendite(oder Rendite auf Flligkeit oder Yield-to-Maturity(YtM)) ei-nes Zahlungsstroms Zt1 , . . . , Ztn , der zum Anschaffungsgpreis A angeschafft wird (oder wurde),ist derjenige Zinssatz y, fr den dieBarwertformelgilt

    A = PV=n

    i=1

    Zti 1

    (1 +y)ti. (1.1)

    Es ist y (fr engl.yield) ein annualisierter Zinssatz auf Basis der exponentiellen Verzinsung.

    Zur Berechnung der Renditey ist offensichtlich eine Gleichung hheren Grades zu l-sen, was in der Regel die Anwendung numerischer Nherungsverfahren erfordert.

    Beispiel 1.4 Eine Anleihe mit Nominalbetrag100und einer Restlaufzeit von n Jahren zahlteinen jhrlichen nachschssigen Kupon von C. Der nchste Kupontermin ist in t= 1. Was lsstsich in t=0ber die Rendite dieser Anleihe bei einem Anschaffungspreis von a) A < 100, b)A=100, c) A > 100aussagen?Antwort:Die gesuchte Rendite y ist Lsung der Gleichung

    A =

    n

    i=1

    C(1 +y)i +

    100(1 +y)n .

    Ausklammern des Terms 1(1+y)n und anschlieende Anwendung der geometrischen Summenfor-

    mel auf der rechten Seite der Gleichung liefert nun

    A = 1

    (1 +y)n

    C

    (1 +y)n 1y

    + 100

    .

    Dementsprechend ist die Rendite im Fall b) genau y =C%=C/100, whrend sie im Fall a)

    grer ist als C%und im Fall c) kleiner als C%.

    Beispiel 1.5 (Praktikerformel)Ersetzen Sie in der zweiten Gleichung des vorhergehenden Beispiels den Ausdruck (1+y)n

    durch den Nherungswert1+y n und lsen Sie nach y auf. Welche Nherungsformel (sog.Praktikerformel) erhalten Sie fr die Rendite r?

    Antwort:Es ergibt sich A = Cn+1001+ny ,also r C+ 100An

    A .

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    16 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    SensitivittenEine wichtige Fragestellung in der Praxis lautet, wie sich der mittels Formel (1.1) berech-nete Preis einer Anleihe verndert, wenn sich die Rendite yverndert. Dahinter stehtdie berlegung, dass die knftige Entwicklung der Preise von Anleihen eines gegebe-

    nen Marktsegments (z. B. Anleihen einer Laufzeit, Whrung oder Emittentengruppe)bestimmt wird durch die Vernderung der "durchschnittlichen" Rendite des jeweils be-trachteten Marktsegments.In diesem Zusammenhang bezeichnet man zufllige Renditenderungen auch als Risi-kofaktorenund spricht vomZinsnderungsrisikoals dem Risiko fallender Anleiheprei-se aufgrund von Renditenderungen.Im Folgenden verwenden wir die BezeichnungKuponanleihe fr eine Anleihe mit einerRestlaufzeit vontn > 0 Jahren bei nachschssiger KuponzahlungCzu den Zeitpunkten0 t1 < t2 < . . . < tnund NominalbetragN, der zum Flligkeitszeitpunkttnvom Emit-tenten zurckgezahlt wird.Wir untersuchen den qualitativen Verlauf der Barwertformel als Funktion vony.

    0.02 0.04 0.06 0.08Rendite

    20

    40

    60

    80

    100

    120

    140

    Barwert

    Abbildung 2: Barwert einer Kuponanleihe

    Es handelt sich um eine monoton fallende, konvexe Funktion. Die nderung des Bar-wertsPVder Kuponanleihe bei einer nderung der Rendite um die Gre yknnenwir ber eineTaylorapproximationbeschreiben:

    PV(y+ y) PV(y) PV(y) y+ 0, 5 PV(y) (y)2.

    Die hier auftretenden Ableitungen des Barwerts der Kuponanleihe nach der Variablenybezeichnet man auch alsSensitivitten. Statt der ersten Ableitung wird in der Praxisoftmals die Gre

    PVBP:= PV(y+ 0,0001) PV(y) PV(y) 0,0001,

    der sog. Price Value of a Basis Point, verwendet. Diese Gre drckt die Wertnde-rung der Anleihe bei einer Erhhung der Rendite um einen Basispunkt (entspricht0,01%=0,0001) aus. Damit knnen wir unter Vernachlssigung der hheren Ableitun-

    gen folgendelineare Approximationder Barwertfunktion angeben:

    PV(y+ y) PV(y) PVBP 10.000 y. (1.2)

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 17

    Neben dem PVBP spielt auch dieDurationeiner Anleihe eine Rolle bei der Analyse desZinsnderungsrisikos. Die DurationDeiner Kuponanleihe mit BarwertPV(y)ist wiefolgt definiert:

    D:= (1 +y) PV(y)

    PV(y) =

    n

    i=1 ti

    Zti(1+y)ti

    n

    i=1

    Zti(1+y)ti

    =ni=1

    ti

    Zti(1+y)ti

    PV(y).

    Der letzte Ausdruck zeigt, dass die Duration interpretiert werden kann als barwertge-wichtete Summe der knftigen Zahlungszeitpunkte einer Anleihe.

    bung 1.3 Begrnden Sie die Aussage

    D (1 +y) PVBPPV(y)

    10.000.

    berlegen Sie sich ferner, dass die Duration einer Kuponanleihe mit Laufzeit tnimmer eine Zahlzwischen0und tnist.

    Die Duration kann als (einfaches) Ma fr das Zinsnderungsrisikoeiner Anleihe her-angezogen werden. Ersetzen wir nmlich in (1.2) den Ausdruck PVBP 10.000 durch

    1

    1+y D PV(y)(entsprechend der Gleichung in der bung), so folgt

    PV(y+ y) PV(y) y1 +y

    D PV(y).

    Daraus ergibt sich, dass der Barwert einer Anleihe bei einem Renditeanstieg von y > 0um so strker zurckgeht, je grer der Wert von Dist (denn je grer Dist, um somehr wird vonPV(y)auf der rechten Seite subtrahiert).Die Duration eignet sich auch als Ma fr das Zinsnderungsrisikos eines Portfolio auslong Positionen von Anleihen (sofern alle Anleihen bzgl. derselben (laufzeitunabhngi-gen) Renditeybetrachtet werden). Besteht das Portfolio aus mAnleihen mit BarwertenPV1(y), . . . , PVm(y)und istPV(y)der Gesamtwert des Portfolios, so haben wir

    D = (1 +y) PV(y)PV(y)

    = (1 +y)

    PV1(y) + . . . +PVm(y)

    PV(y)

    = (1 +y) PV1(y)

    PV1(y)

    PV1(y)PV(y)

    . . . (1 +y) PVm(y)PVm(y)

    PVm(y)

    PV(y)

    =m

    i=1

    Di PVi(y)PV(y)

    ,

    wobeiDidie Duration deri-ten Anleihe ist. Wir sehen also: Die Duration eines Portfo-lios von Anleihen ist gleich der Summe der einzelnen Durationen, gewichtet mit demjeweiligen Barwertanteil der i-ten Anleihe am Gesamtwert des Portfolios.

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    18 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    1.2.2 Kurs- und Renditerechnung bei Aktien

    Der Kurs einer Aktie zu einem (knftigen) Zeitpunkttwird mitStbezeichnet es han-delt sich dabei um einezuflligeGre. IstDt+1die (zufllige) Dividendenzahlung proAktie am Ende der Periode[t; t+ 1], so gilt

    St+1=St+1 Dt+1,

    wobei hierSt+1den Kurs unmittelbarvorder Dividendenzahlung bezeichnet, undSt+1den Kursdanach. Der Kurs, welcher gerade den Marktwert des Unternehmens wider-spiegelt, verringert sich also rechnerisch um den ausgeschtteten Gewinnbetrag proAktie. DieAnlagerenditefr das betrachtete Zeitintervall lautet

    Rt=(St+1+Dt+1) St

    St,

    wobei zu beachten ist, dass der Investor die Dividendenzahlung erhlt und daher beider Berechnung mit bercksichtigen muss. Betrachtet man mehrere Perioden, bspw. die

    Jahre[0; 1], [1;2], . . . , [n 1; n], so gilt fr die auf den gesamten Zeitraum bezogene, an-nualisierte AnlagerenditeRdie Beziehung

    (1 +R)n =n1

    i=0

    Ri R=n1

    i=0

    R1/ni 1.

    Auf entsprechende Weise kann diestetige Anlagerenditedefiniert werden

    Rt,st=lnSt+1+Dt+1

    St

    =ln (Rt+ 1)

    (bezogen auf ([t; t+ 1]) sowie, bezogen auf[0; n]:

    exp (n Rst)=exp

    n1

    i=0

    Ri,st

    Rst =

    1n

    n1

    i=0

    Ri,st.

    bung 1.4 Wie ist die Berechnung der Anlagerendite zu modifizieren, wenn bei der Dividen-denausschttung x%des Dividendenbetrages Dt+1als Steuer abzufhren sind?

    Dertheoretisch korrekte heutige Preiseiner Aktie berechnet sich als Barwert aller knf-tig erwarteter Dividendenzahlungen, also gem

    S0 =

    k=1

    Dk(1 +iAktie)k

    ,

    wobei die Dividendenzahlung pro Aktie jeweils am Ende der Periode[k 1; k]erfolgtund eine geeignete Annahme ber den knftigen Dividendenverlauf sowie den zu ver-

    wendenden ZinssatziAkti ezu machen ist (z. B. Erwartungswert der knftigen Anlage-rendite pro Periode). Wir gehen darauf nicht nher ein. Im spteren Verlauf wird derSchwerpunkt auf derstochastischen Modellierungvon knftigen Aktienkursen liegen.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 19

    1.2.3 Credit Spreads von Anleihen

    Um den aktuellen am Markt gltigen AnschaffungspreisAeiner Kuponanleihe anhandder Barwertformel zu bestimmen, wird die aus (1.1) berechnete Renditeyhufig zerlegtin einerisikolose Renditeund einen sog.Credit Spread.

    Die risikolose Rendite zu einer gegebenen Laufzeittnist dabei die Durchschnittsrenditevon am Markt gehandelten Kuponanleihen (mit Restlaufzeit tn) von risikolosen Emit-tenten (typischerweise von Staaten mit sehr guter Bonitt, z. B. Deutschland), bei denenein Kreditausfall als sehr unwahrscheinlich gilt.Im Normalfall ist die Rendite einer Kuponanleihe der Laufzeittnhher als die risikolo-se Rendite desselben Laufzeitbereichs. Die Differenz beider Gren wird auch als (Par-)Credit Spreadbezeichnet. Die Zusatzrendite kompensiert Investoren fr die bernahmedes Risikos, dass mit dem Ausfall von Zins- und Tilgungsleistungen gerechnet werdenmuss. Mit Hilfe der risikolosen Rendite, die wir hier alsy

    risikolosbezeichnen wollen, und

    des Credit Spreads, fr den wir die Bezeichnungswhlen, ergibt sich aus (1.1):

    PV=n

    i=1

    C(1 + (yrisikolos+s))ti

    + 100

    (1 + (yrisikolos+s))tn.

    Die Hhe des Credit Spreadss kann als "Marktmeinung" bzgl. der erwarteten Verlus-tes bei Ausfall des Emittenten eines Finanzinstruments interpretiert werden. Sie hngt

    jedoch zudem von der aktuellen Verfgbarkeit einer Anleihe am Markt, dem absolutenZinsniveau und der aktuellen Risikoneigung der Investoren ab.

    Ein wesentliches Risiko aus Investorensicht besteht darin, dass es zu unvorhergesehe-nen Credit Spread-Ausweitungen fr einzelne Schuldner oder ganze Mrkte kommenkann und infolgedessen zu einem Kursverlust bei den Anleihen. Dies war z. B. deutlichzu beobachten whrend der Jahre 2007 bis 2008, als die Credit Spreads von Unterneh-mensanleihen infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich anstiegen.

    Abbildung 3: Entwicklung von Credit Spreads (in Basispunkten) whrend der

    Finanzkrise 2007 bis 2008, Quelle: Brsen-Zeitung vom 31.12.2008

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    20 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    In der Praxis wird die nderung des Preises eines Finanzinstruments bei einer n-derung des Credit Spreads um s als Credit Spread-Sensitivittbezeichnet. Fr dieKuponanleihe gilt in linearer Nherung:

    Credit Spread-Sensitivitt = PV(s+ s) PV(s) PV(s) s.

    Die Modellierung von knftigen Credit Spread-Vernderungen ist ein wichtiges Teilge-biet der modernen Finanzmathematik und wird uns spter noch beschftigen.

    1.2.4 Zerorates

    In Abschnitt 1.1.1 haben wir die Referenzzinsstze fr Geldmarktgeschfte eingefhrt.Jetzt betrachten wir allgemeiner eine Zahlung, die zu einem knftigen Zeitpunktt > 0stattfinden wird, und fragen uns nach dem Zinssatz, der bei der Berechnung des Bar-werts dieser Zahlung anzuwenden ist. Der zugehrige Zinssatz wird auch als Zerozins-satz, Zerorate oder Spotrate bezeichnet. Fr Zahlungen, die zwischen Banken guterBonitt stattfinden, sind die Zerorates am Markt bekannt; sie werden mit

    L(0, t), t > 0

    bezeichnet (Lsteht hier fr LIBOR; das erste Argument ist der Betrachtungszeitpunkt,das zweite der Flligkeitszeitpunkt). In der nachfolgenden Abbildung sehen Sie die am23. Juli 2009 gltigen Euro-Zinsstze des Interbankenhandels (in Prozent) fr Laufzeiten

    bis ein Jahr (als interpolierteZinskurve). ZurZinskurven-Interpolationgibt es zahlrei-che verschiedene Anstze; eine Einfhrung zu dieser Thematik enthlt [37].

    Abbildung 4: Zinskurve

    bung 1.5 Begrnden Sie, dass fr den Barwert eines (von einer Bank mit guter Bonitt emit-tierten) Zerobonds mit Rckzahlungsbetrag N in t bei Anwendung der jhrlichen exponentiellenVerzinsung gilt:

    PV= N

    (1 +L(0, t))t .

    Bestimmen Sie die Rendite, den PVBP und die Duration des Zerobonds.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 21

    Der in der bung behandelte Zusammenhang zwischen den ZinsstzenL(0, t)und denZerobondpreisen erklrt die Bezeichnung Zerorates: Die Zerorates sind die Renditender Zerobonds.Zwischen dem Preis einer Kuponanleihe, die von einer Bank mit guter Bonitt emit-

    tiert wurde, und den Preisen von Zerobonds besteht ein einfacher Zusammenhang: Wirdenken uns die zu den Zeitpunkten t1 < t2 < . . . < tn stattfindenden Zahlungen derAnleihe als Rckzahlungsbetrge vonnverschiedenen Zerobonds: Der erste Zerobondhat also eine Laufzeit vont1und zahlt dann den BetragC und die brigen Zerobondssind entsprechend zu whlen. Dern-te Zerobond hat somit eine Laufzeit vontnJahrenund den Rckzahlungsbetrag C+N. Da die Zahlungen der Kuponanleihe genau denZahlungen der Zerobonds entsprechen, muss der Barwert der Anleihe mit der Summeder Barwerte der Zerobonds identisch sein:

    PVAnleihe =n

    i=1

    PVZerobondi =n1

    i=1

    C

    (1 +L(0, ti))ti+

    C+N

    (1 +L(0, tn))tn.

    Dieser Zusammenhang ermglicht es, aus aus einer Serie von Preisen verschiedenerKuponanleihen die Zerobondpreise und damit die Zerorates fr die Laufzeitent1bistnrechnerisch zu bestimmen dieses Verfahren wird auchBootstrappinggenannt.

    Beispiel 1.6 Wir betrachten heute(t=0)die folgenden vier Kuponanleihen, welche jeweilsjhrlich nachschssig, erstmals in t=1den jeweils angegebenen Kupon zahlen:

    Anleihe 1: Nominal100, Kupon5%, Laufzeit4Jahre, Kurs99%, Anleihe 2: Nominal100, Kupon4%, Laufzeit3Jahre, Kurs98%,

    Anleihe 3: Nominal100, Kupon3%, Laufzeit2Jahre, Kurs98,5%,

    Anleihe 4: Nominal100, Kupon2%, Laufzeit1Jahre, Kurs99,5%.

    Wie lauten die Zerorates L(0,1), L(0,2), L(0,3)und L(0,4)?Fr Anleihe 4 gilt:

    99,5 = (2 + 100) 1

    (1 +L(0,1))1 , also L(0,1) 2,5%.

    Nun zu Anleihe 3. Fr diese gilt:

    98,5 =3 1

    (1 +L(0,1))1+ 103

    1(1 +L(0,2))2

    .

    Nun haben wir L(0,1)im ersten Schritt schon berechnet und knnen den Wert einsetzen. Damitist L(0, 2)in der letzten Gleichung die einzige Unbekannte und kann ermittelt werden:

    103 1(1 +L(0, 2))2 =98,5 3 10,025 L(0,2) 3,81%.

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    22 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Fr Anleihe 2 knnen wir jetzt wie folgt rechnen:

    98 =4 1

    (1 +L(0,1))1+ 4

    1(1 +L(0,2))2

    + 104 1

    (1 +L(0,3))3.

    Einsetzen der bekannten Gren und Auflsen nach L(0,3)ergibt L(0,3) 4,79%. Eine ana-loge Vorgehensweise mit Anleihe 1 liefert das Resultat L(0,4) 5,38%.

    Beachten Sie, dass wir die ZeroratesL(0, t)fr Flligkeiten bis ein Jahr direkt aus denReferenzzinsstzen des Geldmarkts ablesen knnen, dass jedoch die Zerorates fr Fl-ligkeiten ber einem Jahr nicht direkt am Markt beobachtbar sind und daher auf diesoeben beschriebene Weise aus den Anleihepreisen zu extrahieren sind.

    Bonittsabhngige ZeroratesEin wichtiger Aspekt bei der Barwertberechnung knftiger Zahlungen ist die Fragenach derBonitt des Schuldners. hnlich wie bei den Credit Spreads fr Anleiheren-diten gibt es auch Credit Spreads fr Zerorates: Je schlechter die Kreditwrdigkeit desSchuldners, umso hher die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls und umso hherauch der anzusetzende Zinssatz fr die Diskontierung knftiger Zahlungen. Dement-sprechend errechnet sich der Barwert eines Zerobonds im Allgemeinen zu

    PV= N

    (1 +L(0, t) +st)t ,

    wobeistder von der Laufzeit und der Bonitt abhngige Spread ist.Zur Berechnung von bonittsabhngigen Spreads wird das Bootstrapping-Verfahrenauf Anleihen verschiedener Marktsegmente angewendet: Im Falle von Staatsanleihenerhlt man eine "Staatsanleihen-Zerokurve". Wendet man das Verfahren fr andere An-leihen an (z. B. alle Anleihen einer Rating-Kategorie aus einem bestimmten Industrie-sektor), so erhlt man fr den jeweils ausgewhlten Sektor eine passende Zerokurve.

    1.2.5 Forwardzinsstze

    Am Geld- und Kapitalmarkt werden regelmig Geschfte vereinbart, die erst in derZukunft stattfinden werden, deren Bedingungen aber schon heute (in t =0) festge-legt werden. Als wichtiges Beispiel betrachten wir eine Forward- Kreditaufnahme bzw.Forward-Geldanlage im Geldmarktbereich, also fr Zeitrume bis ein Jahr. Dies ist einevertragliche Vereinbarung zwischen zwei Parteien zum Zeitpunkt t=0, die eine Geld-aufnahme bzw. Geldanlage in einem zuknftigen Zeitraum von t1 > 0bis t2(t1 < t2 1)vorsieht zu einem heute bereits festgelegten Zinssatz. Man bezeichnet die Transaktionauch alsFRA(Forward Rate Agreement) und den dafr anzuwendenden Zinssatz als

    ForwardzinssatzL(0, t1, t2). Der Kauf eines FRAs (long Position) entspricht einer knf-tigen Kreditaufnahme zum heute vereinbarten Zinssatz und der Verkauf eines FRAs(short Position) entspricht einer Geldanlage.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 23

    Wie kann der aus heutiger Sicht "faire" Forwardzinssatz finanzmathematisch berechnetwerden? Dazu berechnen wir den Barwert der Zahlung Nin t2auf zwei verschiedeneWeisen. Es sei bemerkt, dass in der folgenden Betrachtung die Tatsache ignoriert wird,dass fr Geldaufnahmen und Geldanlagen bezogen auf eine feste Periode blicherwei-

    se unterschiedliche Zinsstze am Geld- und Kapitalmarkt verlangt werden (sog.Geld-Brief-Spanne). Auerdem bercksichtigen wir keine bonittsabhngigen Spreads.Der int2fllige BetragNhat bezogen auft1den Wert

    N1 +L(0, t1, t2)

    ,

    und hier gibt die Anzahl der Zinstage von t1bist2gem Tageszhlkonvention an.Vereinfachend nehmen wir in unserer Rechnung =t2 t1an. Eine weitere Diskontie-rung ergibt den Wert aus heutiger Sicht:

    N(1 +L(0, t1, t2) (t2 t1)) (1 +L(0, t1) t1)

    , (1.3)

    wobei hierL(0, t1)die Zerorate fr den Zeitpunktt1bezeichnet.Nun gilt andererseits, dass der Wert der ZahlungNint2aus heutiger Sicht

    N1 +L(0, t2) t2

    (1.4)

    betrgt. Ein Gleichsetzen von (1.3) und (1.4) und anschlieendes Umstellen der Glei-

    chung nachL(0, t1, t2)fhrt uns auf den gesuchten Ausdruck fr den Forwardzinssatz:

    L(0, t1, t2) =

    1 +L(0, t2) t21 +L(0, t1) t1

    1

    1

    t2 t1. (1.5)

    bung 1.6 Die aktuellen Geldmarktstze seien2%fr sechs Monate und2,5%fr ein Jahr.Beurteilen Sie das Angebot einer Bank, dass der Kunde fr den Zeitraum heute in sechs Monatenbis heute in einem Jahr eine Geldanlage zu2%ttigen kann.

    Aus den Forwardzinsstzen aufeinander folgender Perioden [t1; t2], . . . [tn1; tn],ti 1sowie der Zerorate L(0, t1)lassen sich die Zerorates L(0, t1), . . . L(0, tn)fr Flligkeiten

    bis ein Jahr bestimmen, denn es gilt (bei Anwendung der einfachen Verzinsung) derfolgende Zusammenhang fri 2:

    1 +ti L(0, ti) =

    (1 +t1 L(0, t1)) (1 + (t2 t1) L(0, t1, t2)) . . . (1 + (ti ti1) L(0, ti1, ti)).

    Die dafr bentigten Forwardzinsstze knnen entweder aus den am Markt gehandel-

    ten FRAs extrahiert werden oder sie knnen was hufig geschieht aus Kursen vonbrsengehandelten Zinstermingeschften, den sog. Geldmarkt-Futures, berechnet wer-den.

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    24 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Ein Geldmarkt-Future ist eine spezielle Art von Termingeschft, welches an den Ter-minbrsen (z. B. der EUREX) in den wichtigsten Whrungen gehandelt wird. Er be-zieht sich auf bestimmte Zinsstze, so z. B. den Dreimonats-EURIBOR-Zinssatz beimDreimonats-EURIBOR-Future der EUREX. Beim Abschluss eines solchen Kontraktes

    wird, vereinfacht gesprochen, vereinbart, einen Nominalbetrag von 1 Million Euro ineinem in der Zukunft liegenden Dreimonatszeitraum zu einem heute bereits verein-barten (fairen) Zinssatz anzulegen (long Future) oder aufzunehmen (short Future). Esknnen, hnlich zu den bereits erwhnten Future-Kontrakten an der EUREX, zu belie-

    bigen Handelszeitpunkten jeweils nur Geschfte mit vorgegebenen Flligkeitsterminenabgeschlossen werden. Beim Dreimonats-EURIBOR-Future ist dies der dritte Mittwochder jeweils nchsten zwlf Quartalsmonate aus dem Zyklus Mrz, Juni, September undDezember (die maximale Laufzeit ist 36 Monate).Beachten Sie, dass der Kauf eines Geldmarkt-Futures konomisch vergleichbar ist mitdem Verkauf eines FRAs. Allerdings ist die tatschliche Abwicklung des Geschftes in-sofern etwas komplizierter, als wiederum regelmige Margin-Zahlungen (wie beimBund-Future) stattfinden. Es lsst sich zeigen, dass die Summe aller Margin-Zahlungen(bei nicht zuflligen Zinsen) bis zum Settlementtermintbei einer long Position in einemKontrakt des Dreimonats-EURIBOR-Futures gerade der Auszahlungsfunktion

    1.000.000Euro (L(0, t, t+ 0,25) L(t, t, t+ 0,25)) 0,25

    entspricht. Dabei istL(0, t, t+0,25)der bei Geschftsabschluss gltige faire Forward-zinssatz fr die Periode[t; t+ 0,25]und L(t, t, t+ 0,25)ist der intgltige Dreimonats-EURIBOR-Zinssatz fr diese Periode.

    Der heute (zum Zeitpunkt 0) aktuelle Kurs des Kontraktes wird wie folgt quotiert:(100 L(0, t, t+ 0,25))%.

    Beispiel 1.7 Am 31. Juli 2009 betrug der Schlusskurs des September 2009-Dreimonats-EURIBOR-Futures 99,19%. Dies bedeutet, dass beim Kauf eines Kontraktes der (annualiser-te) Zinssatz (100 99,19)%= 0,81%fr die ab dem dritten Mittwoch im September 2009beginnende Dreimonatsperiode vereinbart wird (Geldanlage von1.000.000Euro).

    Forwardzinsstze werden u. a. dazu verwendet, variabel verzinsliche Anleihen(Floa-ter) zu bewerten. Wir betrachten einen Floater (ohne Kreditrisiko) mit regelmigenKuponzahlungen, die jeweils zu Beginn der Kuponperiode festgelegt werden (in derPraxis zwei Geschftstage vor Beginn der Kuponperiode). Sind 0 =t0 < t1 < t2 < . . . 0 unter allen Marktumstndendenselben Preis haben und im Zeitintervall [0; T) keine Auszahlung leisten, mssenauch heute (in t=0) denselben Wert haben (Law of one Price). Um dies einzusehen,

    bezeichnen wir mitXtbzw. Ytdie Preise der beiden Instrumente zum Zeitpunktt. Nach

    Voraussetzung giltXT=YT. Wre nun bspw.X0 < Y0, so wrden wir eine Minusposi-tion (short Position) im zweiten Finanzinstrument eingehen, was uns den Betrag +Y0einbrchte. Davon wrden wir das erste Finanzinstrument kaufen. Es verbleibt der po-sitive GeldbetragB :=Y0 X0, den wir risikolos bisTzum ZinssatzL(0, T)anlegen. Biszum ZeitpunktTerfolgen keine Zahlungen. Zum ZeitpunktThat unser Portfolio danninsgesamt den Wert

    XT YT+B (1 +L(0, T))T =B (1 +L(0, T))T> 0,

    also haben wir ohne Einsatz von eigenem Kapital und ohne Verlustrisiken einen siche-

    ren Gewinn erzielt. Die ist eine Arbitrage. Da dies aber ausgeschlossen ist, muss unsereAnnahmeX0 < Y0falsch sein. Analog zeigt man, dass auchX0 > Y0falsch ist es bleibtalso nurX0=Y0.

    Beispiel 1.81. Wir betrachten ein Portfolio X, bestehend aus einer long Forward-Position auf eine dividen-

    denlose Aktie (Flligkeitstermin T, Strike K) und einer short Position in der Aktie, sowie einPortfolio Y, bestehend aus einer Kreditaufnahme bis zum Zeitpunkt T mit Rckzahlungsbe-trag K. Die Portfolien bestehen zwar aus ganz unterschiedlichen Instrumenten, haben aber

    zum Zeitpunkt T immer den gleichen Wert, denn es gilt:

    Wert von X = ST K ST = K und Wert von Y = K.

    Beide Portfolien haben dieselbe Auszahlungsfunktion! Gem dem Law of one Price folgt,dass X und Y auch in t= 0 denselben Wert haben. Folglich gilt (mit Anwendung der stetigenVerzinsung) fr den heutigen Wert Fwd(0, T)der long Forward-Position:

    Fwd(0, T) S0

    Wert vonXin 0= K eLst(0,T)T

    Wert von Yin 0 Fwd(0, T) = S0 K e

    Lst(0,T)T.

    Damit haben wir die Bewertungsformel fr eine long Forward-Position hergeleitet.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 29

    2. Nun betrachten wir ein Portfolio X, bestehend aus einer long Position in einem EuropischenCall und einer short Position in einem Europischen Put auf ein Underlying (welches keineAuszahlungen leistet) mit Kurs St, wobei die Optionen den Strike K und die Laufzeit T haben

    sollen. Die Summe der Auszahlungsfunktionen istCT PT = max{ST K,0} max{K ST,0} = ST K,

    wie man leicht nachrechnet. Dies bedeutet, dass der Wert unseres Optionsportfolios gera-de mit dem Wert einer long Forward-Position auf das Underlying mit Terminpreis K undLaufzeit T bereinstimmt und zwar fr jeden mglichen Wert STdes Underlyings. Dahermssen auch fr t=0der Wert des Optionsportfolios und des Forwards gleich sein:

    C0 P0 = S0 K eLst(0,T)T.

    Dies ist diePut-Call-Paritt.

    1.2.8 Preisbildung bei Futures

    Preisbildung beim Bund-Future

    Wir behandeln zunchst die Preisbildung beim Bund-Future. Zur Erinnerung: DerBund-Future bezieht sich auf einefiktiveBundesanleihe mit Restlaufzeit 8,5 bis 10 Jah-ren, Kupon 6% und einem Nominalvolumen von 100.000 Euro.

    Aus Sicht der Finanzmathematik ist die Bestimmung des theoretisch korrektenFuture-Preises relevant. Wir verwenden zur Herleitung die folgenden Bezeichnungen:

    PV0: heutiger Barwert des Underlyings (lieferbare Anleihe) als Prozentzahl bezo-gen auf den Nominalbetrag

    PVclean0 : Clean-Preis des Underlyings: PVclean0 =PV0 Stckzinsen (in Prozent

    bezogen auf den Nominalbetrag),

    PVf ut0 : theoretisch korrekter Future-Preis pro Kontrakt (als Prozentzahl),

    L(0, T): Zinssatz fr die Periode von 0 bis zum Settlementtermin Tdes Bund-Futures (Twird in der Einheit Jahre gemessen),

    E: Ertrag aus der lieferbaren Anleihe zwischen heute (t=0)und T(als Prozent-zahl bezogen auf den Nominalbetrag),

    f: Konversionsfaktor.

    Die berlegungen verlaufen nun ganz entsprechend wie in Abschnitt 1.2.6: Der Future-Preis (bezogen auf den Clean-Preis der Anleihe) ergibt sich aus dem heutigen Clean-Preis der Anleihe, zuzglich der Aufwendungen bis Tfr den Erwerb der Anleihe in

    t=0 abzglich der erzielten Ertrge aus dem Besitz der Anleihe von 0 bis T:

    PVf ut0 = (PVclean0 +L(0, T) T PV0 E)/f. (1.13)

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    30 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    Beachten Sie bei der Formel, dass die Aufwendungen sich aus den zu zahlenden Kre-ditzinsen bezogen auf den BarwertPV0der Anleihe und dem heutigen Clean-Preis derAnleihePVclean0 zusammensetzen. Die ErtrgeEentsprechen den Kuponertrgen von 0

    bisT.

    DerKonversionsfaktor fdient dazu, wie in Abschnitt 1.1.2 bereits erwhnt, den Preisder ausgewhlten lieferbaren Anleihe (mit einem Kupon von C) umzurechnen auf diefiktive Anleihe. Dies erfolgt dadurch, dass fr den Konversionsfaktor der um die Stck-zinsen bereinigte Preis einer Anleihe mit Nominal 1, jhrlich nachschssigem Kupon C(in Prozent) und Rendite von 6% zum ersten Tag des Liefermonats verwendet wird. Isttdie Anzahl der ganzen Monate zwischen dem ersten Tag des Liefermonats und demMonat des nchsten Kupontermins der lieferbaren Anleihe und hat diese zu Beginn desLiefermonats noch genaun+ 1 Kupontermine, so folgt

    f =

    n

    j=0

    C

    1,06j+t/12 + 1

    1,06n+t/12 C (1 t/12).

    bung 1.10 Vollziehen Sie diese Formel gedanklich nach!

    Der zu bezahlende Rechnungsbetrag des Anleihekufers bei Lieferung der Anleiheninsgesamt ergibt sich bei einem Bund-Future-Kontrakt am Settlementtag nach dem fol-genden Ausdruck:

    Schlusskurs des Bund-Futures(in Prozent) Konversionsfaktorf 100.000

    +Stckzinsbetrag der gelieferten Anleihe.

    Beachten Sie, dass der Konversionsfaktor fr Anleihen mit einem Kupon kleiner als 6%zu einem geringeren Rechnungsbetrag fhrt als bei der fiktiven Anleihe. Analoges giltfr Anleihen mit einem Kupon grer als 6%.

    bung 1.11 Heute sei der 30. Juni 2009. Berechnen Sie den theoretisch korrekten Future-Preis(in Prozent) fr den nchsten Bund-Future Settlementtermin am 10. September 2009 bezogenauf eine lieferbare Anleihe mit heutigem Kurs (Clean-Preis)110%, die noch bis zum 31. Dezem-ber 2018 luft und einen jhrlichen nachschssigen Kupon von5,5%jeweils am 31. Dezemberzahlt. Der Zinssatz L(0, T)von heute bis zum 10. September 2009 betrage 0,8%. VerwendenSie die Tageszhlkonvention act/act.Lsung:Es gilt hier

    S:=Stckzinsen= 181 5,5%

    365 2,73%,

    also PV0 =PVclean0 +S =110% + 2,73%=112,73%.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 31

    Mit T=72/365=Anzahl der Tage zwischen dem 30. Juni und dem 10. September 2009 /365(in der Praxis wrde T=70/365verwendet, da ein heute vereinbartes Geschft (Kreditaufnah-me und Anleihekauf) erst nach zwei Tagen beginnt) ergibt sich

    L(0, T) T PV0 0,18%.

    Weiterhin ist E = 5,5%72365 =1,08%und damit schlielich

    PVf ut0 = (110 + 0,18 1,08)%/f =109,1%/f.

    Nun ist

    f =9

    j=0

    0,0551,06j+4/12

    + 1

    1,069+4/12 0,055 (8/12) 0,96,

    und somitPVf ut0 113,65%.

    Die Cheapest-to-Deliver-Anleihe (CtD-Anleihe)

    Meistens existiert nicht nur eine einzige, sondern verschiedene Anleihen, die zu einemSettlementtermin beim Bund-Future lieferbare Anleihen sind. Die Marktteilnehmersind frei in ihrer Wahl, welche Anleihe sie liefern wollen. Allerdings wird in der Pra-

    xis die zu liefernde Anleihe nach ganz bestimmten Kriterien ausgewhlt im Ergebnisfllt die Wahl dann auf eine bestimmte Anleihe, sie sog. Cheapest-to-Deliver-Anleihe(CtD-Anleihe). Im Folgenden beschreiben wir eine Mglichkeit zur Bestimmung derCtD-Anleihe.Fr jede in Frage kommende lieferbare Anleihe eines Bund-Future-Kontrakts wird diefolgende Rechnung aufgestellt: Man berlegt sich, welcher Ertrag entstnde, wenn mandie Anleihe heute an der Brse kaufte und gleichzeitig eine short Position im Bund-Future einginge, um dann am Liefertermin die gewhlte Anleihe zu liefern. Ein evtl.positiver Ertrag entsteht dann, wenn der Aufwand fr den Kaufpreis plus die Summe

    aus den Stckzinsen bis zum Settlementtag und dem dann erzielbaren Preis aus derLieferung der Anleihe in den Bund-Future-Kontrakt positiv ist. Diese Vorgehensweisenennt man eineCash und Carry Arbitrage.

    Beispiel 1.9 Wir erlutern die Cash und Carry Arbitrage anhand der Anleihe aus bung1.11. Der aktuell am Markt gehandelte Bund-Future-Kurs sei 113,80%, also geringfgig berdem theoretisch korrekten Future-Preis. Die Rechnung zur Cash und Carry Arbitrage lautet:1. Clean-Kaufpreis der Anleihe: 110,00%.2. Rechnerischer Clean-Verkaufspreis der Anleihe am Settlementtag aus dem Bund-Future Ver-

    kauf:113,80% f =109,25%.

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    32 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    3. Zinsertrag aus Anleihe vom Kauftag bis zum Settlementtermin:5, 5 72/365=1,08%.4. Gesamtertrag: 110,00% + 109,25% + 1,08%=0,33%.5. Annualisierter Gesamtertrag im Verhltnis zum investierten Kapital:

    0,33 360/(112,73 72) =1,5.

    Der im letzten Beispiel berechnete prozentuale Ertrag wird Implied Repo Rate(IRR)genannt. Er ist allgemein wie folgt definiert:

    IRR =Ertrag aus Cash und Carry Arbitrage

    Preis der Anleihe inkl. Stckzinsen T,

    wobeiTwie oben angegeben definiert ist. Damit knnen wir nun festhalten:Die CtD-Anleihe ist diejenige unter allen lieferbaren Anleihen, die bei der Cash and

    Carry Arbitrage den hchsten Ertrag abwirft, die also die grte IRR besitzt. Die Preis-bildung des Bund-Futures an der Brse orientiert sich immer am aktuellen Preis derCtD-Anleihe, denn dies ist die Anleihe, die die Marktteilnehmer gem der aktuellenMarktlage am Settlementtag liefern werden.

    Risikoabsicherung mit Bund-Futures

    In Abschnitt 1.2.1 haben wir das Zinsnderungsrisiko von Anleihen angesprochen.Dieses Risiko stellt fr die meisten Finanzinstitutionen einen signifikanten Anteil amGesamtrisiko dar und soll hufig abgesichert werden.

    Stellen wir uns eine typische Bank vor, die einen groen Betrag in verschiedene Anlei-hen investiert hat. Die Bank hat also eine long Position und sie sieht sich dem Risikoausgesetzt, dass die Anleihen an Wert verlieren, wenn die Renditen am Markt steigen.Nun knnte die Bank die Anleihen verkaufen, um diesem Risiko zu entgehen. Nicht im-mer jedoch ist es sinnvoll, die Anleihen zu verkaufen, z. B. dann nicht, wenn die Banknur einen kurzfristigen Renditeanstieg erwartet, langfristig aber wieder von sinkendenRenditen ausgeht. Um sich vorbergehend abzusichern, kann die Bank (neben anderenInstrumenten) u. a. auch brsengehandelte Futures verwenden.Die Idee dabei ist, dass ein Bund-Future-Kontrakt sich bei Renditenderungen prozen-tual in etwa verndert wie die zu Grunde liegende CtD-Anleihe, dividiert durch denKonversionsfaktor. Dies kann man rechnerisch (mit (1.13)) begrnden es gengt aberauch die Feststellung, dass der Bund-Future nichts anderes ist als ein Terminkauf derCtD-Anleihe (Nominal 100.000). Somit kann eine long Position in Anleihen (mit Lauf-zeiten bei etwa zehn Jahren) durch eine geeignet gewhlte gegenlufige Position (eineshort Position) in Bund-Future-Kontrakten abgesichert werden, in dem Sinne, dass dieWertentwicklungen beider Positionen genau gegenlufig sind. Die Frage ist, wie vieleBund-Future-Kontrakte zur Absicherung (auch Hedgegenannt) jeweils bentigt wer-den.Um dies zu klren, machen wir den folgenden Ansatz, der sich zunchst auf eine Ren-

    ditenderung von einem Basispunkt bezieht:

    PVBP(xBund-Future-Kontrakte) +PVBP(Anleiheposition) !=0.

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    1.2 Wichtige Begriffe aus der Finanzmathematik 33

    Nun gilt PVBP(xBund-Future-Kontrakte) = x PVBP(1 Bund-Future-Kontrakt), sodass wir sagen knnen: Eine Position von

    x:= PVBP(Anleiheposition)

    PVBP(1Bund-Future-Kontrakt)

    fhrt dazu, dass sich der PVBP der Bund-Future-Kontrakte und der PVBP der An-leiheposition gerade zu 0 addieren, dass also bei einer Renditenderung von einemBasispunkt insgesamt keine Wertnderung des Portfolios eintritt. Eine entsprechendeberlegung gilt auch (nherungsweise) fr Renditenderungen um mehr als einen Ba-sispunkt, wobei wir allerdings darauf achten mssen, dass der PVBP nur eine lineareAnnherung der Wertnderung der Anleihen ist. Je grer also die betrachtete Rendite-nderung, um so grer der Approximationsfehler (auchKonvexittsfehlergenannt)!Die oben eingefhrte Grexohne das Minuszeichen nennt man auch dieHedge-Ratio.

    Wir knnen jetzt schreiben:

    Hedge-Ratio = PVBP(Anleiheposition)PVBP(1 Bund-Future-Kontrakt)

    = PVBP(Anleiheposition)

    PVBP(CtD(Nominal 100.000))/f.

    Beachten Sie bitte, dass sich ein Bund-Future-Kontrakt auf Anleihen im Nominal von100.000 bezieht.

    Beispiel 1.10 Eine Anleiheposition, bestehend aus Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit vonneun Jahren und Gesamtnominal100.000.000Euro, soll durch Bund-Futures abgesichert wer-den. Der aktuelle PVBP des Anleiheportfolios betrage70.000Euro. Welche Position im Bund-Future wird bentigt, wenn bekannt ist, das der PVBP einer CtD-Anleihe mit Nominal 100Euro den Wert0,0750Euro hat und dass der Konversionsfaktor den Wert1hat?Antwort:Die Hedge-Ratio betrgt

    Hedge-Ratio= 70.000

    1.000 0,0750 933,33.

    Es mssen933Bund-Future-Kontrakte zur Risikoabsicherung verkauft werden.

    Funktioniert die Hedge-Strategie auch fr Anleihen, deren Laufzeit deutlich kleineroder grer als zehn Jahre ist? Dies ist zu verneinen, denn im Allgemeinen wird mandavon ausgehen, dass die Renditenderung im zehnjhrigen Laufzeitbereich, die denWert des Bund-Futures beeinflussen, deutlich abweichen von den Renditenderungenim Bereich unter oder ber zehn Jahren. Ferner reagieren Anleihen unterschiedlicherLaufzeiten im unterschiedlichen Ausma auf Renditenderungen. Es macht also nur

    Sinn, Anleihen zu hedgen mit einem Future, dessen Underlying eine zur Anleihe ver-gleichbare Laufzeit besitzt. So wird man fr Anleihen mit einer Laufzeit von vier bisfnf Jahren zur Absicherung typischerweise den ebenfalls an der EUREX gehandelten

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    34 1 Grundlagen zu Finanzmrkten und deren Modellierung

    sog.Euro-Bobl-Futurewhlen, dessen Underlying eine fiktive Bundesanleihe mit Lauf-zeit 4,5 bis 5 Jahre ist. Auerdem gibt es noch den Euro-Schatz-Future, dessen Under-lying Schatzanweisungen mit einer Laufzeit von 1,75 und 2,25 Jahren sind.

    Preisbildung beim DAX-FutureWir verwenden zur Herleitung die folgenden Bezeichnungen:

    S0: heutiger Kurs des Underlyings (DAX-Index-Stand),

    Sf ut0 : theoretisch korrekter Preis des DAX-Futures (=DAX-Future-Index-Stand alsForward-Preis fr die Lieferun