Reitzenstein, Richard - Gedanken Zur Entwicklung Des Erlöserglaubens

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hKt Historische Zeitsclirift Begründet von Heinrich v. Sybel Unter Mitwirkung von Paul Bailleu, Georg von Below, Otto Hintze, Otto Krauske, Max Lenz, Erich Marcks, Sigmund Riezler, Moriz Ritter herausgegeben von Friedrich Meinedce und Fritz Vigener Der ganzen Reihe 126. Band Dritte Folge 30. Band ^1 0-4.* München und Berlin 1922 Druck und Verlag von R. Oldenbourg

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Reitzenstein war bis zu seinem Abitur im Jahre 1879 Schüler des Maria-Magdalenen-Gymnasiums in Breslau. Anschließend studierte er in Berlin bei Theodor Mommsen und wurde 1884 bei Johannes Vahlen mit einer quellenkritischen Studie über verschollene Autoren bei Cato und Columella promoviert. Anschließend arbeitete er im Auftrag Mommsens lange Zeit in italienischen Bibliotheken. Am 24. Februar 1888 habilitierte sich Reitzenstein in Breslau mit einer Studie über Detailprobleme der Überlieferung des Alexanderfeldzuges bei Arrian. 1889 wurde er außerordentlicher Professor für klassische Philologie in Rostock. Von 1892 bis 1893 war Reitzenstein Ordinarius in Gießen und wechselte dann nach Straßburg. Die Begegnung mit den dortigen Repräsentanten historisch-kritischer Exegese sowie die Bekanntschaft mit dem Ägyptologen Wilhelm Spiegelberg, den Reitzenstein 1898 auf eine Studien- und Forschungsreise begleitet und deren Papyrusfunde den Grundstock zu Reitzensteins Straßburger Handschriftensammlung bildet, regten Reitzenstein zur Auseinandersetzung mit religionsgeschichtlichen Fragen an. 1911 wurde er nach Freiburg im Breisgau und 1914 als Nachfolger von Friedrich Leo nach Göttingen berufen. Dort wurde er als Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule bahnbrechend, obwohl er sich in dieser Zeit kaum mehr zu religionsgeschichtlichen Themen, sondern fast ausschließlich mit lateinischen Autoren beschäftigte. 1928 wurde Reitzenstein emeritiert. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl wurde Eduard Fraenkel. Nach seinem Tod widmeten ihm seine Schüler zu seinem 70. Geburtstag am 2. April 1931 eine Festschrift, die von Eduard Fraenkel und Hermann Fränkel herausgegeben wurde.Seit 1890 war Richard Reitzenstein mit Antonie Keil (1864–1934) verheiratet. Das Paar hatte eine Tochter und zwei Söhne: Den Bibliothekar Richard Reitzenstein (1894–1982) und den Altphilologen Erich Reitzenstein (1897–1976).

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  • hKt

    Historische ZeitscliriftBegrndet von Heinrich v. Sybel

    Unter Mitwirkung von

    Paul Bailleu, Georg von Below, Otto Hintze, Otto Krauske,

    Max Lenz, Erich Marcks, Sigmund Riezler, Moriz Ritter

    herausgegeben von

    Friedrich Meinedce und Fritz Vigener

    Der ganzen Reihe 126. Band

    Dritte Folge 30. Band

    ^1

    0-4.*

    Mnchen und Berlin 1922

    Druck und Verlag von R. Oldenbourg

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlser-glaubens.')

    Von

    R. Reitzenstein.

    Wenn ich als Vertreter der sogenannten klassischen Phi-lologie es wage, hier ein Thema zu behandeln, das nur in einembei der Krze dieses berblickes weniger hervortretenden Teilin mein eigenstes Arbeitsgebiet herbergreift und mich zwingt,weite Gebiete der benachbarten Disziplinen unter fremderLeitung zu durchwandern, habe ich das Bedrfnis, solcheKhnheit aus dem eigenen Erleben zu rechtfertigen, und tuees um so lieber, als dieses eigene Erleben vielleicht am klarstenzeigt, wie wir, um in die letzten Probleme des Einzelfacheseinzudringen oder wenigstens Freiheit des Blickes fr sie zugewinnen, immer wieder gezwungen sind, seine Grenzen zuberschreiten, um dann von auen her zu ihm zurckzu-

    *) Einen Vortrag, welchen ich in der Philologen-Versammlung zuJena gehalten habe, mit einigen dort nur angedeuteten Ergnzungenber das Verhltnis der indischen zur persischen Religion hier zu ver-ffentlichen, veranlat mich der inzwischen erschienene zweite Bandvon Ed. Meyers groem Werk Ursprung und Anfnge des Christentums"durch seine Polemik gegen mein Buch Das iranische Erlsungsmyste-rium". Der Gegenstand des Streites wre an sich fr mich sehr klein.Beide behaupten wir, da der Erlsungsglaube im Judentum unter derEinwirkung iranischer Religiositt entstanden ist; nur gengt ihmwie Frheren zum Nachweis der reine Zarathustrismus, whrend ichdie Frage aufgeworfen hatte, wie weit jngere, bis an die Grenzen desJudentums vorgedrungene Sekten und Mischformen dabei mitgewirkthaben; ber ihr frhzeitiges Auftreten und damit ber die Mglichkeit

    Historische Zeitschrift 126. Bd.) 3. Folge 30. Bd. 1

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    kehren. Was in voll zureichender Weise nur ein einheitlichesZusammenarbeiten der verschiedensten Fachvertreter leistenkann, mu der einzelne suchen, von ihnen beraten in sich

    sind wir durchaus einig (Meyer, S. 86 ff.). Da er so mhevolle Einzel-fragen, wie die von mir behandelte mandische und manichischeReligion sie bieten, whrend der Vollendung seines Werkes durcharbeite,htte bei der staunenswerten Weite, die sein Forschungsgebiet ohnedieshat, niemand, am wenigsten ich, von ihm verlangt. Da er zwar sagt,er sei nicht imstande, sich in diese Literatur tiefer einzuarbeiten, aberdennoch, ohne die Texte oder die Literatur ber sie zu kennen, Urteilefllt, mir entgegenhlt, sie seien synkretistisch", und mir zuschreibt,ich wolle aus ihnen den Parsismus (bzw. die in der zoroastrischenReligion herrschenden Vorstellungen, S. 352) herstellen, bedaure ichdeshalb, weil es Religionsforscher zu der Ansicht bringen kann, siedrften sich unter Berufung auf seine Autoritt der Nachprfung ent-ziehen. Damit geschhe den Mnnern, die jetzt in hingebender Lebens-arbeit uns die Urkunden jener Religionen erschlieen, ebenso unrecht,wie dem Andenken W. Boussets, dessen gewaltiges Werk ber die Haupt-probleme der Gnosis Ed. Meyer zwar uerlich benutzt, nach Grund-gedanken und Ergebnissen aber vollkommen ignoriert. Die Frage istberall nur, was sich durch uere oder innere Grnde als so alt erweisenlt, da es auf das Judentum der letzten vorchristlichen Jahrhundertegewirkt haben kann. Die Unklarheit, damit die ganz andere Frage zuverquicken, was echt zarathustrisch sei, fllt nicht mir, sondern aus-schlielich Ed. Meyer zur Last. Ich habe auf S. 1 meines Buches scharfmeine Aufgabe umrissen, in der mandischen und manichischen Religioneinen bestimmten einheitlichen Ideenkomplex (Unsterblichkeits- undErlsungsglauben) zu verfolgen, dessen Ursprung sicher iranisch sei,der aber die Gestalt angenommen habe, die der iranische Glaube aufbabylonischem und syrischem Boden annehmen mute; seinen Einfluauf die Umbildung des Judentums und die Entstehung des Christentumssuchte ich nachzuweisen, da er nicht orthodox-zarathustrisch, ja nichteinmal rein iranisch sei, betonte ich nachdrcklich. Fr die Vorstellungdes Antichrist freilich habe ich in der ersten flchtigen Erwhnung(Nachr. d. Ges. d. Wissensch. 1919, S. 22) dadurch, da ich einmal auchdas Wort persisch gebraucht habe. Ed. Meyer (S. 352 A. 1) den Anla ge-geben, hierfr parsisch einzusetzen und dies als zoroastrisch zu deuten.Die breitere Ausfhrung (Erlsungsmyst., S.7 A, 1) hat er wieder nichtgelesen. Aber den Unfug, Mithras als letzten Gesandten des Parsismus(bzw. des Avesta) zu bezeichnen und ihm in diesem einen falschenMithras gegenberstehen zu lassen, konnte ich doch wohl nicht begehen.Hat doch der Parsismus den altiranischen Mittlergott durch Zarathustra,bzw. dessen Abkmmlinge ersetzt; aber bei Mani erscheint er wieder alsder dritte und letzte Gesandte (freilich tritt bald auch hier Mani als seinStellvertreter fr ihn ein), und da hier jedes Gottwesen einen zauber-kundigen avrirtxfoe hat, den man gern In den Gttern der einst ber-

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    vorauszunehmen, um jenes Zusammenarbeiten praktisch erstmglich zu machen. Denn bestenfalls wird er selbst, da erauf vielen Gebieten Dilettant bleiben mu, nur das gemein-same Ziel weisen und eine Forderung der Wissenschaft auf-stellen knnen, nicht aber abschlieende Resultate erzielen.Von einem solchen Versuch auf dem Gebiete der Religions-geschichte mchte ich hier berichten, in den eine Reihe vonZufllen mich hineingezwungen hat.

    Als vor etwa 20 Jahren bei einer rein philologischenArbeit eine fast unbeachtete griechische Schrift aus der ZeitPhilos von Alexandria und gyptischen Ursprungs meinenBlick fesselte, weil sie ein heidnisches Gegenbild zu derspteren christlichen Gnosis bot, hielt ich es fr Philologen-pflicht, ihren Gedankeninhalt, literarische Form und ber-lieferungszusammenhnge zu erklren, so weit das damalsmglich war. Was wir fr ein antikes Kochbuch oder einealchemistische Schrift als unsere Pflicht betrachten, darf freine heidnische Prophetenpredigt von der Weltschpfung undder Heimkehr des Menschen zu Gott nicht deshalb als ver-wehrt gelten, weil es in Gebiete bergreift, die auch derTheologe nebenbei behandelt. Meine These, die HermetischeLiteratur, in der die Schrift berliefert ist, sei im Kern vonorientalischer Religiositt, in der Form von griechischer Spe-kulation bestimmt, wurde leidenschaftlich bestritten; dergyptologe Flinders Petrie wollte das ganze Corpus dieserSchriften als getreue bersetzung aus dem gyptischenfassen, Philologen, wie Jos. und Wilh. Kroll, in ihm nurgriechische Philosophie sehen und einzelne Heisporne selbstden Ursprung aus gypten am liebsten in Zweifel ziehen.Die Entscheidung htten schon damals die gyptischen

    wundenen Vlker wiederfindet, ist die Einfhrung eines falschen Mithrasin der Gestalt des hethitischen Kriegsgottes Teschub (oder JuppiterDolichenus) im Iranischen leicht begreiflich; im Judentum hat derfalsche Messias, den als Zauberer schon die lteste mandische Schriftkennt, keinen rechten Anhalt oder Ausgangspunkt. So darf man wohlvermuten, da es diese Vorstellung mit bernahm, als es mit der eigenenErwartung des davidischen Knigs die iranische eines letzten Gesandtenverband. Mit Meyer den Messias aus dem Iran ins Judentum, denAntimessias aus dem Judentum in den Iran kommen zu lassen, fielemir schwer.

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    Zauberpapyri und spter eine frhchristliche Gebetsammlunggyptischen Ursprungs geben knnen, da in ihnen der eigent-lich religise Teil, die Gebete, wrtlich wiederkehrt; inneuester Zeit hat sie das Selbstbekenntnis des Verfasserseiner derartigen Schrift, eines Dieners des gyptischen GottesImhotep (Pap. Oxyrh. 1381), gegeben, der sich rhmt, unterder Inspiration seines Gottes eine gyptische Schrift des-selben von der Weltschpfung ins Griechische bertragen zuhaben; den alten Mythos, der ja doch immer nur Wahrschein-lichkeit biete, habe er dabei aus der untrglichen Philosophieergnzt, dadurch das berflssige beschrnkt, das Notwendigezugefgt und Wiederholungen und Unstimmigkeiten besei-tigt, Zweck seiner Arbeit sei und sei gewesen, da jede grie-chische Zunge bekenne, Imhotep, der Sohn des Ptah, seiwirklich Gott. Wir haben es mit einer zunchst fr dieGriechen gyptens und weiter wohl die Griechen der Oiku-mene bestimmten Missionsliteratur zu tun; ihr Wert liegtdarin, da sie uns heidnische Mystik in der Prgnanz dergriechischen Sprache bietet und da diese Literatur ihreWirkungen bis tief in Vorderasien hinein bt. Der Inhaltder Schrift, von der ich ausgegangen war^), handelte im

    ^) Ed. Meyer (S. 371 ff.) versucht sie jetzt als eine von Philo be-einflute philosophische berarbeitung des jdischen Schpfungs-berichtes zu fassen, indem er nur hervorhebt, was sich mit ihm not-drftig in Einklang bringen lt. So stammt nach ihm die Gestalt desGottes Mensch aus Philos Idee des Menschen", die freilich niemalsin die Materie versinkt, wie der Mensch" jener Schrift. Da nun geradedies Versinken eines Gottes Mensch in die Materie den Kernpunkt einerheidnischen Erlsungslehre in vielen Religionen darstellt und da wiesie auch die fragliche Schrift eine Erlsung des Menschen durch die Er-kenntnis seines Selbst schildert, bercksichtigt er nicht. Da auch derLogos erwhnt wird, gengt ihm, Philo als Grundlage zu bestimmen,whrend doch der Logos dieser Schrift ein ganz anderer als der Philosist. Dabei vermischt schon Philo zwei ganz verschiedene Anthropos-Vor-stellungen (vgl. die Leg. alleg. 131 einsetzende Quelle ^itj nr&Q(n(arytit;, Erlsungsmyst., S. 105, mit Saturnil bei Irenaeus I 24, 2 duoenim genera . . hominum"). Ich halte danach Meyers Behauptung frunerwiesen und seine chronologischen Folgerungen fr falsch, gehe aberdarauf nicht ein, da die Poimandres-Schrift mir zwar vor zwanzigJahren zufllig Ausgangspunkt dieser Untersuchungen geworden ist,jetzt aber nicht mehr ihre Grundlage bildet, wie Ed. Meyer anzunehmenscheint; ausdrcklich habe ich mehrfach (z. B, Erlsungsmyst., S. 159A. 2) erklrt, da ihr System jetzt anders dargestellt werden mte.

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    Hauptteil von einem Gotte Mensch, der Ursprung und In-begriff aller Seelen sein sollte. Da diese Lehre nicht altgyp-tisch sei, war damals schon klar; in dem Bericht der Welt-schpfung glaubte ich noch wesentlich gyptisches suchen zusollen. Diesen Irrtum berichtigte nach Jahren ein Zufall.

    Ich hatte fr den ersten Unterhaltungsabend der Straburgerwissenschaftlichen Gesellschaft ein mglichst allgemein be-

    kanntes literarhistorisches Thema zu suchen und whlte dieErzhlung des Apuleius von Psyche und Cupido, in der Ludw.Friedlnder und ihm folgend bekannte Mrchenforscher einaltgriechisches Volksmrchen gesehen hatten, whrend icheinen orientalischen Mythos in schriftstellerischer Ausgestal-tung zu erkennen glaubte. Ausschlielich der literarischen

    Form galt damals mein Interesse, und erst eine etwas leiden-schaftliche Polemik, die nach der spteren Verffentlichungdes Vortrags einsetzte, ntigte mich, Abbildungen jenesMythos zunchst in der hellenistischen Kleinkunst gyptensnachzuweisen. Sein Ursprung aus Asien war klar, die Re-ligion, der er angehrte, war damals noch unbestimmbar.Erst nach geraumer Zeit fhrte ein weiterer Zufall mich zueinem Vortrag von Prof. Fr. C. Andreas ber ein manich-isches Turfanfragment, welches in drei Schpfungen dieHauptgtter entstehen lt; den Namen des letzten Gott-wesens wute er nicht recht zu deuten; die Etymologie wiesauf ein Geisteswesen entsprechend dem lateinischen Wortmens; das Wort selbst kam noch in einem anderen aus demGriechischen bersetzten Text vor, den ich zufllig gutkannte, und mit Erstaunen entdeckten wir in dem Gesprch,der Name bedeute: die groe Psyche. .Meine Gttin, diein gypten Jahrhunderte vor Mani bekannt war, waralso gefunden. Auch die Volksreligion, der sie angehrt, liesich auf einigen Umwegen mit Sicherheit bestimmen, und alssie bestimmt war, sah ich, da es der Umwege gar nichtbedurft htte; sie steht in etwas anderer Namensform schonin den ltesten, von Prof. Andreas bersetzten Gathas(Hymnen) des persischen Avesta, in denen wir ZarathustrasLehre am allernchsten kommen. Freilich brauchte ich jeneUmwege nicht zu beklagen; sie ntigten mich, unter gtigerLeitung von Prof. Andreas zu untersuchen, wie viel von

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    lterem persischen Glauben Mani in sein Religionssystembernommen habe. Galt es doch bis vor kurzem, als wirnur drftige Referate darber kannten, als willkrliche Neu-schpfung dieses groen Gnostikers oder als im wesentlichenbabylonisch; erst die von Prof. F. W. K. Mller im Jahre1904 verffentlichten in Turfan gefundenen Reste manich-ischer Schriften hatten schon durch das berwiegen derpersischen Gtternamen H. Lders bestimmt, seinen irani-schen Grundcharakter nachdrcklich hervorzuheben. Mitdem Manichismus wieder berhrt sich eng eine betrchtlichltere Bildung, die Religion der Mander, einer wohl immerkleinen Sekte oder Volksgemeinschaft, die seit vorislamischerZeit an dem unteren Euphrat wohnt, frher aber, wie be-sonders die Verehrung des Jordans als des Himmelsstromesund Lebensspenders beweist, weiter westlich und in nchsterNhe des Judentums ihren Sitz gehabt oder von dort denGrundstock ihrer heiligen Schriften und die Grundlehrenihrer Religion bernommen hat. Die erste der zahlreichenSchriften, die wir datieren knnen, fllt in die Zeit der Zer-strung Jerusalems durch Titus. Sie atmet glhenden Hagegen das Judentum und das noch ihm zugerechnete jungeChristentum, und der Ha gegen das letztere bleibt zu allenZeiten und in allen Schichten ihrer Literatur gleich stark.Die noch neuerdings von Pallis wiederholte Vermutung, siehtten sich mit ihrer Selbstbezeichnung als Nasorer frChristen ausgeben wollen, bedrfte starker Beweise, besonderswenn man beachtet, da gerade der berwinder des ,, Lgen-Christus", der gttliche Enosh (Mensch), als ,,Enosh derNasorer" bezeichnet wird. Dabei steht im Mittelpunkt ihresGlaubens eine Lehre von der Erlsung der Menschenseele,und diese Lehre ist, wie schon W. Brandt erkannte, wesent-lich iranisch, wenn sie auch in Einzelheiten der Ausgestaltungvom orthodoxen Zarathustrismus abweicht und wenn auchandere Teile der Religion manche Einwirkungen von anderenReligionen und phantastische Ausgestaltungen angenommenhaben.i)

    *) Ich kenne die Hauptsammliing ihrer Schriften (den Genz)durch die Gte M. Lidzbarsl

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    Beide Religionen, Mandismus und Manichismus, sind,wie bei der lteren schon der Name zeigt, nur Teilerschei-nungen des Gnostizismus, jener groen individualistischenund mystizistischen Bewegung, die von den Kirchenvterninnerhalb des jungen Christentums bekmpft wird und daherbis in die neueste Zeit nur im Rahmen seiner Entwicklungbetrachtet und ausschlielich von Theologen behandelt ist,wiewohl wir sie doch in den verschiedensten heidnischen Re-ligionen und natrlich auch im Judentum wiederfinden.Erst Wilh. Bousset wagte, schchterne theologische undphilologische Versuche entschlossen fortfhrend, den kirchen-geschichtlichen Rahmen und die durch ihn gegebene Betrach-tungsart zu verlassen, und wies nach, da die christlicheGnosis unter dem dnnen Firnis griechischer Terminologieund den leicht abzubltternden Zustzen christlicher Namenund Zitate oder phantastischer Einflle altorientalische Re-ligionen, oder vielmehr in ihrem Grundstock eine altorienta-lische Religion bietet, und da der Seelen- und Erlserglaube,der all die verschiedenen Erscheinungsformen beherrscht,nicht dem Christentum, sondern dieser Religion entstammt.Da er mit dieser khnen These, die sich oft, wie bei denUrkunden der Naassener, sogar textkritisch beweisen lt,unsere ganze Betrachtungsweise umgekehrt und uns un-mittelbar vor die Frage gestellt hat, wie weit die Entstehungdes Christentums selbst aus der gnostischen Bewegung zuerklren ist, hat Bousset wohl erst allmhlich erkannt und dieEinheit jener Bewegung zunchst noch zu wenig empfunden,aber eine gewaltige Tat war es, da er schon damals stattder Gtternamen, Zahlenspiele und Systeme, die willkrlichumgebildet werden, bestimmte Grundgedanken und Vor-stellungskomplexe, an denen das religise Empfinden hngt,in den Mittelpunkt der Forschung stellte. Erst hierdurchward der Gnostizismus einer wirklich religionsgeschichtlichenBetrachtung erschlossen, und der entscheidende Schritt berdie Methode des wahllosen Sammeins einzelner Parallelenhinaus war getan.*)

    ^) Auf Boussets sptere Artikel Gnosis und Gnostiker bei Pauly-Wissowa R. E. VII 2, Sp. 1503 und 1534, verweise ich noch besonders.Sie ziehen die letzten Folgerungen noch nicht, aber kein Religionsforscherkann sie ohne schweren Schaden ignorieren.

  • 8 R. Reitzenstein,

    Auf einen derartigen Vorstellungskomplex hatte alsonicht theoretische Erwgung, sondern die zufllige Entwick-lung einer in den Anfngen rein philologischen Arbeit michgefhrt; um ein paar hellenistische Schriftdenkmler undDarstellungen voll zu erklren, galt es jetzt die Geschichtedes Erlsungsglaubens selbst zu untersuchen. Nun lie sichleicht zunchst auf dem Boden des Zweistromlandes, auf demja babylonische und persische Religion sich mischen, sodannaber in vielen dem Perserreich einst unterworfenen Lndern,Phrygien, gypten, Syrien um den Beginn unserer Zeit-rechnung eine einheitliche Anschauung nachweisen, die vonder vollen Gleichsetzung des Kosmos und des Menschen aus-gehend das Gttliche und Immaterielle in beiden je nachBedrfnis als inneren Menschen (kosmisch als gttlichenUrmenschen oder Mann) mnnlich oder als Seele (kosmischals groe Seele oder Weltseele) weiblich, immer aber als Gott-wesen fat, das aus der hheren, geistigen Welt in die ihmfeindliche Materie gekommen ist, dereinst aber wieder gelstund mit den anderen Teilen der Gottheit wieder vereinigtwerden soll.^) Die vllige Gleichsetzung dieses geistigen Teilesmit der Gottheit selbst steht dabei in schroffem Widerspruchzu allem, was wir von den lteren semitischen Religionenund den meisten arischen Naturreligionen wissen. Nur dieindische bietet auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ver-blffende bereinstimmungen, die sich freilich bald in einerganz abweichenden Fortentwicklung wieder verlieren, undin der persischen, deren Einwirkung wir nach dem Voraus-gehenden sogar erwarten, finden wir diese Lehre breit aus-gefhrt. Am klarsten ausgeprgt liegt sie in einem neuenZarathustra-Fragment" vor, das Prof. Andreas in den mani-chischen Turfanfragmenten (M. 7) fand^): vom Himmel istZarathustra zur Erde gesendet, um den hier in der Umklam-merung des Todes, d. h. der Materie, schlummernden Teil

    ') Vgl. die Abhandlung Die ttin Psyche in der hellenistischenund frhchristlichen Literatur, Nachr. d. Heidelberger Akademie 1917,Abh. 10, und die Analyse der Naassenerpredigt Poimandres, S. 83.

    =*) Von mir verffentlicht Hellenistische Mysterienreligionen*,S. 125, ausfhrlich besprochen in dem Iranischen Erlsungsmysterium,S. 2 ff.

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    der Gottheit, sein Selbst, zu erwecken und ihn zur Heimatzurckzufhren. Erwnschte Besttigung bietet ein weiteresFragment (M. 42), dessen bersetzung ich dank der Gtevon Prof. Andreas hier verffentHchen darf^): Mach du auchsichtbar deine Langmut durch das Geheimnis der frucht-tragenden Lichtwesen.. Die Welt und die Geburten wurdenherangehoben (?), meinetwegen stieg herab Zor(o)hust zurHerrschaft von Pars (Persien) und zeigte die Wahrheit, erwhlte aus meinen Krper aus den sieben glnzenden Licht-wesen. . Als Satan hingebracht wurde (herbeikam, sichnherte), schickte er wegen dessen (des Zor(o)hust) Herabkunftdie uranfnglichsten (ltesten) Zornteufel von der Gegen-seite (ihm entgegen?); Schaden ward dir, o Freund, durchderen (der Teufel) Handlungen und geschdigt (? geschmht?)(ward) die Weisheit." In diesem zweiten Fragment handeltes sich um das historische Faktum der Bekehrung der Perserzu der wahren Religion, in dem ersten (M. 7), das uns spternher beschftigen wird, um eine liturgische Darstellung derErlsung der Seele durch die Himmelsbotschaft; Zarathustraist beidemal ein Gottwesen. Dem entspricht bis in die Einzel-worte genau ein groes manichisches Mysterium, das nachder Flle der schon bisher gefundenen Handschriftenresteim Mittelpunkt des manichischen Kultes gestanden haben

    ') Prof. Andreas schreibt mir dazu: M. 42 im Norddialekt, derReichssprache der Arsakiden, umfat auf einem Blatt je zwei Kolumnenzu 26 Zeilen; die ersten Zeilen der Kolumnen 2, 3 und 4 sind teils abge-rissen, teils verwischt, so da sich der Zusammenhang der Kolumnennicht mehr erkennen lt. Dazu kommen ungewhnliche sprachlicheSchwierigkeiten; eine Anzahl von Wrtern kenne ich einstweilen nuraus diesem Fragment (zu ihnen sind Fragezeichen gesetzt); die ber-setzung darf daher nur als vorlufiger Versuch angesehen werden.Die Prterita sind im Mitteliranischen immer passivisch konstruiert,wrtlich hiee es z. B. von ihm (ward) gezeigt die Wahrheit". ZweiPunkte nacheinander bedeuten in der Handschrift schwere Interpunk-tion. Der Text beginnt Kol. IV Z. 7, ihm folgen noch 2, Zeilen, dieschwer bersetzbar sind. Ich fge hinzu: der Redende des Haupt-teiles scheint Mani; der erste Satz fleht um Offenbarung des Geheim-nisses der Paradiese; sie erfolgt im nchsten. Die sieben glnzendenLichtwesen sind aus der Poimandres-Schrift zu erklren als Vertreterder sieben Hauptstmme. Mani scheint zu behaupten, da Zara-thustras Lehre frhzeitig verflscht worden ist.

  • !0 R. Reitzenstein,

    mu, nur da Mani hier fr Zarathustra als der Himmelsboteeingetreten ist, der aus dem Paradiese zu dem in der Materieschlummernden Teil der Gottheit kommt; freilich fhlt ersich dabei nur als der Vertreter des dritten und letzten Ge-sandten, des Gottes Mithras^); das Lied aber, in dem er sichals den Himmelsboten vorstellt, hatte, wie Prof. Lidzbarskierwiesen hat^), ursprnglich eine andere Bedeutung und bezogsich auf das historische Faktum der Bekehrung der Perserzu Manis Religion. Jenes ,,Zarathustra-Fragment" (M. 7),das uns nur in manichischer Bearbeitung vorliegt, kannnun aber nicht eine Erfindung Manis oder gar seiner Anhngersein; eine berraschend hnliche Erfindung legt etwa einJahrhundert vor Mani der Gnostiker Justin nach einerjdischen berheferung seinem Bericht zugrunde: Der Schp-fungsgott ist zu dem Urgott emporgestiegen, hat aber seinPneuma in der Materie gelassen; um es ebenfalls heraufzu-holen wird Baruch, der dritte Gesandte, in sie herab-gesendet und erlst es.^) Tatschlich haben in jdisch-gnostischen Kreisen dem Avesta nachgeahmte Schriftenzirkuliert, in denen Baruch fr Zarathustra eingesetzt war;in orthodoxen Kreisen hie es daher, dieser Baruch habe denGlauben der Vter verleugnet und den Persern das Avestageschrieben. Wir knnen mit Sicherheit folgern: Das Lied,welches ein manichischer Dichter in M. 7 als Zeugnis desfrheren Glaubens anfhrt, war schon vor Beginn unsererZeitrechnung bei den Zarathustriern in kultlichem Gebrauch;schon in dieser Zeit besteht im Iran eine Erlsungslehre, dieMani nur bernommen hat.

    Ich greife einen anderen Zug heraus. Wie spt sich inIndien ein Begriff und Kanon der Elemente entwickelt, hat

    ') Besttigt durch eine Mnzlegende, die Prof. Lidzbarsl

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 11

    H. Oldenberg, Vorwissenschaftliche Wissenschaft, Die Welt-anschauung der Brahmana-Texte S. 58ff., verfolgt. Wohlfinden sich die fnf spteren groen Krper", nmlichaksa (leerer Raum), Wind, Feuer, Wasser, Erde frhzeitigzusammen genannt, aber mit ihnen verbinden sich ganzandere Gott- oder Weitwesen, z. B. Sonne, Mond, Him-mel, Pflanzen, Weltgegenden u.a.; auch fehlen immerwieder einzelne. Erst in der zweiten Hlfte des ersten Jahr-tausends setzt jener Kanon der fnf Elemente sich durch.hnlich mu es in Persien gewesen sein. Zarathustra kennt,wie der altchinesische Kanon, Feuer, Erde, Pflanzen, Metallund Wasser, aber er personifiziert sie^) und deutet sie be-kanntlich in geistigem Sinne als beste Weisheit, heilbringendeGesinnung, Leben, wnschenswerte Herrschaft und Gesund-heit um, und nicht sie allein zhlen zu den ,,unsterblichenFrderern", sondern schon in den frhesten Gathas (Hymnen)tritt Vohuman, der Schutzgeist der Tiere, vielleicht auch derbald verblate Spenta mainyu (heilige Geist) als Schutzherrder Menschen oder spter Sraosha (Gehorsam) hinzu. DerUrbegriff der Elemente ist in dieser gttlichen Siebenzahl

    ^) Ich mache von vornherein auf eine Eigentmlichkeit der unsim folgenden beschftigenden Religionssysteme aufmerksam, auf dieSeltenheit der Individualnamen gegenber den Appeilativnamen frdie Gtter. Gewi ist ein Teil der letzteren uraltes, spter unverstan-denes Volksgut, die Mehrzahl aber Produkt und sicheres Kennzeichender Spekulation eines Priesterstandes. Das gilt fr Rom, wo die Ponti-fices eine Zeit lang derartige Begriffsgtter schaffen, wie in erhhtemGrade fr den Orient, wo ganz anders zahlreiche und mchtige Priester-verbnde die religise Spekulation ausbilden. Mit ihr hngt die begriff-liche Ausbildung der Gtterbezeichnung eng zusammen, so wennMithras im Manichismus der dritte Gesandte wird und nur allmhlichaus dem Volksglauben der Individualname und die alte Vorstellungsich wieder eindrngt. Auch fr Zarathustra scheint mir sicher, da ervon einem in priesterlicher Spekulation ausgebildeten System ausging,auch wenn er nicht selbst Priester war, und dies System nur individuellausbildete. Interessant ist in den Geheimkulten dann die Rckbildung,die den Begriffsgttern wieder willkrlich geschaffene Individual-namen gibt (vgl. die lehrreichen Ausfhrungen des Alchemisten Zosimosim Poimandres, S. 104). Auch in Babylonien, wo die Priesterspekulationsich im wesentlichen der Astrologie zuwendet, scheint sie brigensin der gleichen Zeit wie in Persien und Indien zu der Zusammenstellunggrerer Werke bergegangen zu sein.

  • 12 R. Reitzenstein,

    offenbar aufgegeben, wirkt aber doch auch immer nach. EineSiebenzahl nennt auch Herodot (I, 131): Himmel, Sonne,Mond, Erde, Feuer, Wasser, Wind; die ,,chaldische" Quelledes Apologeten Aristides^) nennt Himmel, Erde, Wasser,Feuer, Wind, Sonne, Mond, (Sterne)^) und Mensch, offen-bar den gttlichen Urmenschen, der aus diesen Elementenbesteht, die der Kaiserzeit angehrige Mithrasliturgie Hauch,Feuer, Wasser, Erde und Mensch^), die Simonianer (Hip-polyt, El. VI, 13) Himmel, Erde, Sonne, Mond, Luft, Wasserund Aion (fr Mensch). Wenn Mani scheinbar die fnfindischen Elemente annimmt (Feuer, Wasser, Wind, Licht-erde und Hauch), so hat er sie nicht etwa selbst dem Bud-dhismus entlehnt; sie tragen die alten Namen, erscheinenauch als Tugenden und bilden in dieser Fnfzahl den gtt-lichen Urmenschen oder Ormuzd, vor allem aber sie begegnenschon fast sechs Jahrhunderte frher in der

    ,,gyptischen"

    Lehre des Manetho (Fr. 81) und Hekataios (bei Diodor):Sonne (Osiris) und Mond (Isis) sind die groen Gtter; dererstere schafft Feuer (Hephaistos) und Luft (Athene), dieletztere Wasser (Okeanos) und Erde (Demeter) und beidezusammen den Hauch (Zeus); so ist die Siebenzahl voll-kommen. Wenn diese Lehren von gypten nach Babylonbertragen sein sollen, so sehen wir daraus, da man sicheiner bereinstimmung mit damals schon lngst iranisierten,,chaldischen" Lehren bewut war, ja eine solche direkt be-nutzte (vgl. Aristides). In Wahrheit ist diese Art Elementen-kult nicht gyptisch, wie mir Prof. Sethe besttigt. Nuraus Persien kann sie gekommen sein. Da sie in gyptennun weiter dauert, zeigt der Papyrus Rhind I, nennt abernur eine Fnfzahl, Sonne, Mond, Luft, Wasser und Feuer.*)

    *) Sie knnte sptestens ins erste Jalirhundert n. Chr. fallen, istaber wahrscheinlich lter.

    =*) Sonne, Mond und Sterne bilden im Persischen das Intervallzwischen Erde und Lichtreich.

    =") Auf den gttlichen Urmenschen ist offenbar das in der Licht-welt befindliche aw/za tihtov, das aus den vier Lichtcicmenten besteht,zu deuten. Die Zahl ist von der herrschenden griechischen Philosophiebeeinflut, wie ja auch bei Bardesanes.

    *) Vgl. Hellenistische Mysterienreligionen '^, 88 ff. Die Totenwerden aus anderem Grunde hinzugefgt sein.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 13

    Dann aber mu Mani seine Fnfzahl lterem iranischenGlauben entnommen haben; Zarathustra bot hier eine Neu-bildung, die sich nicht voll durchsetzte. Es handelt sich

    ja schon bei ihm um eine priesterliche Spekulation, wie inden Brahmana-Texten, oder wie in der Lehre des gyptischenKnigs Echnaton, und Priesterspekulationen wandern.

    Weitere Belege bieten sich dem, der die Reste der mani-chischen Schriften selbst kennt, auf Schritt und Tritt, undmancher wird im folgenden noch Erwhnung finden. Frjetzt mchte ich nur noch betonen, wie viele der konstituie-renden Elemente der jungiranischen Bildungen doch in denGathas selbst schon begegnen und nur in den Darstellungender zarathustrischen Religion zu wenig hervortreten, weilman jene jngeren Bildungen nicht genug beachtet, und weilunsere Forschung sich zu ausschlielich an Gtternamen undMyth^en heftet und dabei leicht in Gefahr kommt, die leitendenIdeen zu bersehen. Vorausgesetzt wird eine Scheidung derbeiden Welten, der materiellen und immateriellen^), dieExistenz einer Gesamtseele, die aus der letzteren in erstereherabgesendet ist 2); die Scheidung nach Wissen oder Un-wissenheit (in soteriologischer Bedeutung), nach Wahrheitoder Lge (Gath. 4, 12) und die beiden Wege (4, 2); zur im-materiellen Welt und Herrlichkeit fhrt den Wahrhaftigendie eigene Person empor; ebenso fhrt sie den Snder zurHlle^); die Seele verfllt im Reich der Materie in (trunkenen)Schlummer, ein Gottwesen erweckt sie, sie (oder der Prophet)

    ) Gatha 1, 2 (Yasna 28, 2): Die Gaben der beiden Welten, sowohlder krperhaften als der des Geistes, durch die ihr mich emporhebenund so in Seligkeit versetzen mget.

    *) Gatha 4, 11 (Yasna 31, 11): Seit du, Weiser, durch deinen Geistzuerst Anwesen schufest und die Personen (Person = Selbst, Icfi) unddie Geisteskrfte; seit du die Psyche krperhaft machtest.

    8) Gatha 4, 20 (Yasna 31, 20): Wer zum Wahrhaften hingeht,Herrlichkeit ist hernach sein Besitz. Langdauernde Finsternis, bleSpeise, nichts als Weheruf: in die Welt wird euch, ihr Lgner, eureeigne Person durch eure Taten fhren. Nach Yast 22 fhrt den Gutenin die Lichtwelt sein Selbst als schnes Mdchen, das durch seineguten Gedanken, Worte und Taten so schn geworden ist (den Schlech-ten schleppt zur Hlle sein Selbst als widrige Alte, die durch seineschlechten Gedanken, Wortfe und Taten so hlich geworden ist; beideBilder werden im Manichismus breit ausgemalt).

  • 14 R. Reitzenstein,

    mu, von jenem Gottwesen untersttzt, sorgen, da sie wachbleibt^); es gibt zwei uranfngliche Geister, welche die selbst-herrlichen Zwillinge heien und in ihrem Denken, Reden undTun das Gute und das Bse sind; die Gesamtheit ihresWirkens ist das Leben und der Tod; frei hat sichein jeder von ihnen sein Wesen und Werk erwhlt, ebensodie Geister, die ihnen anhangen, und die Menschen (Gath. 3 =Yasna 30).^) Diese wenigen Grundanschauungen, die ich ab-sichtlich nur den von Prof. Andreas bersetzten ltestenGathas entnommen habe, geben alle Voraussetzungen dermanichischen wie der mandischen, ja berhaupt aller gno-stischen Erlsungslehre. Sie beruht bei Mani ja auch nichtauf Spekulation. Wie in Versteinerung liegen die alten, zumTeil sich widersprechenden Mythen und Anschauungen un-ausgeglichen nebeneinander. Von dogmatischem Denken odergar Philosophie ist wenig zu spren, Manis Strke liegt offen-bar in der Kraft der Empfindung, der Organisationsgabe unddem weltumspannenden Plan. Alle ihm bekannten Erlsungs-religionen, Zarathustrismus, Buddhismus und Christentum,will er zu einer Einheit zusammenfassen, oder vielmehr dieiranische Religion, wie er sie auffat, zur Weltreligion machen,und in der Tat ist ja keine andere in ihrem Vordringen nachOsten und Westen diesem Ziele nher gekommen; sie ist inihren Wirkungen vom Atlantischen bis zum Stillen Ozeangegangen. Noch bei seinen Lebzeiten wandern seine Botennach allen Weltgegenden und empfangen jeder fr ihn zu-

    1) Gatha 1, 4 (Yasna 28, 4): Der ich eins mit dem Guten Sinnedarauf bedacht bin, da die Seele wach sei. Das Bild von dem trun-kenen Schlummer der Seele in der Materie begegnet schon Im hidischen,vgl. Maitryana Up. IV, 2, und Buddha ist der Erwachte. Es ist alsoverflt, wenn neuerdings Leisegang, Zeitschr. f. Missionskunde undReligionswissensch. XXXVI, 1921, dies Bild in den manichischenund parsischen Texten aus dem Griechischen herleiten will (mit Ver-weis auf Norden, Agnostos Theos 132, 199, 4).

    *) Die Voraussetzung ist, da ber jenen Zwillingen ursprnglichein allumfassendes Wesen steht. Das zeigt wieder ein Vergleich mit demIndischen: Prajpati ist nicht nur Wahrheit und Licht sondern auchUnwahrheit und Finsternis (Sh. Br. V, 1, 2, 10), ist der Vater der Asuraswie der Gtter (Oldenberg, Vorwissensch. Wissenschaft 203). Sie habenvon ihm Wahrheit und Unwahrheit geerbt; die gehrten zuerst beidengleichmig; die Gtter hielten sich dann an die Wahrheit und lieen

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 15

    rechtgemachte Schriften^), die spter dann in den allgemeinenKanon bergegangen sind. Gewi hat der persische Dualis-mus, wenn man das Avesta vergleicht, eine sehr viel welt-feindhchere Frbung angenommen, aber die kampfesfroheStimmung klingt noch nach: die Glubigen sind die KmpferGottes gegen den Bsen, nur da statt der priesterlichenMagier Mnche ihnen bergeordnet sind. Mani hatte sie imBuddhismus kennengelernt. Aber seine Forderung dersexuellen Askese fr die Vollkommenen hngt nicht not-wendig mit dieser Fortbildung des Dualismus zusammen.Fr die sehr viel lteren Mander, welche dieselbe weltfeind-liche Grundstimmung zeigen, ist gerade die sexuelle Askeseder Christen besonders anstig; als sie das Mnchtumkennen lernen, weckt es geradezu glhenden Ha. Dafr,da jene Umgestaltung des iranischen Dualismus sich inweiten Kreisen schon lange vor Mani vollzogen hatte, be-sitzen wir einen weiteren meines Erachtens zwingenden Beweis.

    die Unwahrheit fahren (Sh. Br. 1X5, 1,12 ff., 01denberg92, vgl. 30A.1,Ch. Up. Vlll, 7 ff.). Jnger ist dann der Schlu der MaitryanaUpanishad Wahrheit zu schmecken samt Lge ward zur Zweiheit dasgroe Selbst" (Oldenberg 180). So ist Prajpati auch Werden und Ver-gehen, Leben und Tod. Ob schon Zarathustra darber nachgedachthat, in welchem Verhltnis Ahura Mazda, der weise Herr, zu Spentaraainyu, dem Gegensatz zu dem bsen Geist (spter Ahriman), steht,werden wir vielleicht nicht sagen knnen. Aber die fr das vierte Jahr-hundert gesicherte Anschauung, da Ormuzd und Ahriman Zwillings-shne des Allgotts Zarvan sind, gibt eine dem Indischen entsprechendeiranische Fortbildung. Sie wird leidenschaftlich von Mani bekmpft,und im spteren Manichismus tritt Zarvan in einzelnen Schichtenganz fr Ormuzd als Gott des Guten ein.

    *) So empfngt Pataecius, der nach einem ungedruckten Fragmentins Rmerreich gesandt wird, die Epistula fundamenti, in der Jesuswirklich als mythologisches Wesen erscheint (an anderen Stellen istder Name einfach nur fr den Mondgott eingesetzt). Auch sonst lassensich fr christliche Leser bestimmte Schichten leicht aussondern. Daein eigener Bote sofort nach gypten entsendet wird und dort bleibt,erwhne ich schon hier. Einwirkungen auf Indien werde ich in derZeitschrift fr neutestamentliche Theologie in einem buddhistischenMrchen nachzuweisen versuchen. Es scheint mir bezeichnend, daDiokletian, der selbst Mithras als Schtzer seiner Herrschaft verehrt,noch vor der Christenverfolgung den Manichismus offenbar als inner-asiatische und daher reichsfeindliche Religion mit Strenge unter-drckt.

  • 16 R. Reitzenstein,

    Nicht mit Unrecht hatte schon Baur auf bereinstim-mungen des Manichismus mit indischer ReUgiositt ge-achtet; doch gestattet erst die Kenntnis von Originalurkundendes ersteren ein einigermaen sicheres Urteil. So viel ltsich schon jetzt erkennen, da die engen bereinstimmungenmit dem Indischen sich auf eine relativ kurze Epoche be-schrnken, als fr den vedischen Gtterglauben in der Zeitder Brahmana-Texte und Upanishaden, also etwa in der erstenHlfte des ersten Jahrtausends v. Chr., eine an Begriffsgttersich anschlieende religise Spekulation sich entwickelt. AlleGrundbegriffe des Manichismus kehren in der Tat in ihrwieder^), so zunchst der wunderliche, in den Religionen desWestens, wie es scheint, unbekannte Begriff des Selbst, undzwar als das

    ,,groe Selbst" (Weltselbst) und zugleich als

    unser persnliches Selbst^), ferner die Gleichsetzung diesesSelbst mit dem Mann" {purusha), der wieder als der groeoder als der gebundene, also im Herzen des einzelnen woh-nende bezeichnet wird 3), und mit dem Wissen {brahman,Mand d'Haije), die Vorstellung eines Allgottes, der Zeit,Raum und Lebensprinzip ist, einer Erlsung durch das Wissen,

    ^) Ich danke den Hinweis darauf im wesentlichen Frau LuiseTroje, die ihre Stellensammlungen und das Manuskript einer hoffentlichdemnchst in dem Archiv fr Religionswissenschaft erscheinendenArbeit ber die Geburt des Aion mir opferwillig zur Verfgung stellte.

    2) Reiche Belege bringen die trkisch-manichischen Fragmente,in denen auch der Allgott Zarvan als das lebendige Selbst bezeichnetwird; in den persischen hat Prof. Andreas neuerdings das Wort grevberzeugend als Selbst gedeutet, hnlich schon Chavannes und Peliot,Journal Asiatique 1911, p. 538A unter Verweis auf soghdisch-chine-sische Bilinguen; ber daena im Avesta vgl. das Iranische Erlsungs-mysterium, S. 31, Com. Tiele, Geschichte der Religion im AltertumII, 258.

    ^) Es ist der daumenlange, also kleine purusha; auch der Ausdruckinnerer Mensch" begegnet schon fr ihn; dem gebundenen purushaentspricht in den manichischen Hymnen das gebundene oder gefesselteSelbst, der Adakas (verborgene Adam) der Mander. Wohl die ltesteBezeugung fr den groen purusha bringt bekanntlich der Rgveda"(X, 90): ein Teil von ihm sind alle Wesen, drei Teile sind unsterblichim Himmel"; man vergleiche die von den Kirchenvtern oft besprocheneFormel Manis, da ein Teil des Lichts (fioiyt n rot ftorf) in dieMaterie gebunden sei. Ob es wohl zufllig ist, da auf den Gleichklangder griechischen Worte fr Licht und Mann sptere Mystiker so hohenWert legen?

  • Gedanken zur Entwicklung des Eriserglaubens. 17

    einer Gleichheit von Welt und Mensch (Makrokosmos undMikrokosmos), die Neigung zu Zahlenspielen und Zerlegungaller Begriffe in Pentaden und die aus dem tiefen Empfindenfr den Gegensatz und Zusammenhang von Einheit und Viel-heit entsprungene Rechnungsart, zu den Teilen das Ganzehinzuzurechnen. Die bereinstimmung geht bis in kleineZge. Wenn im Avesta der nach dem Tode aufsteigendenSeele ihr eigenes Selbst als schnes Mdchen begegnet, dasdurch ihre Gedanken, Worte und Werke so schn gewordenist, und bei Mani der bei dem Aufstieg fhrende Weise derSeele in Gestalt eines Mdchens, das ihr hnlich ist, erscheintund sie mahnt weiterzusteigen, wird fr den an die Wunder-macht des Opfers glaubenden Inder das Opfer zum Selbstdes Opferers im Jenseits und ruft ihn, wenn er die Welt ver-lt, komm hierher; hier bin ich".^) Freilich sind die Unter-schiede auch gro. Im Iran erlst immer der Gott den Men-schen, es handelt sich um Religfon, in Indien erlst derMensch sich selbst 2), es handelt sich um Spekulation; der

    *) Sh. Br. XI, 2, 1, 6 That sacrifice becomes the sacrificers Seif inyonder world. XI 2, 2, 6 And verily whatever offering he there performs,that offering becomes his body in yonder world, and when he who knowUlis, departs this world, then that offering being behind (?) him, callsout to him Come hither, here I am, thy body". Die Gleichsetzung vonKrper und Selbst wird sich spter erklren. Ich habe es im IranischenErlsungsmysterium, S. 62, noch zu leicht genommen, da bei denMandern statt des gttlichen Gesandten und seiner Begleiter bisweilenauch Lohn, Werke, Almosen und Wohltat (oder hnliche Zusammen-fassungen der Leistungen) die Seele fhren; freilich hatte Brandtebensowenig recht, die Seele dann als ohne himmlisches Geleit aufstei-gend zu fassen; es handelt sich um Parallelvorstellungen. Uralte Ritual-formen wirken hier nach, vgl. Mundaka-Up. 1, 2, 6: Komm mit, kommmit", so sprechen die Spenden glanzreich Und fhren auf Sonnen-strahlen den Opferer aufwrts, Mit lieben Worten redend und ihmschmeichelnd: Dort winkt euch die heiige Brahmanwelt des Frommen"(vgl. Sh. Br. VI, 6, 4, 7, onward, onward lead thou the giver). Die ltesteParallele, auch zu dem iranischen Erlsungsmysterium, gibt Rgveda X,14, 7: Vorwrts, vorwrts gehe auf den Pfaden von ehedem, auf denenhinweggegangen unsere Vter vor alters. Beide Knige wirst du sehen,Yama und Varuna, den Gott. Vereinige dich mit dem pitar und Vama,mit dem, was an Gutem du vollbracht

    . . . strahlend vereinige dichmit deinem neuen Leibe."

    *) Einzelne Ausnahmen finden sich in lteren Texten allerdings

    ;

    auf Kthaka Up. II, 23(= Mundaka Up. III, 2, 3): Nicht durch Be-Historiscbe ZeiUchrift (126. Bd.) 3. Folge 30. Bd. 2

  • 18 R. Reitzenstein,

    Dualismus ist im Iran ganz anders, und zwar mehr nach derethischen Seite, ausgebildet; nicht das Leid, wie in Indien,sondern die Snde ist das Widergttliche, den Tod Bewir-kende, die Meditation tritt gegenber dem Handeln zurck.Man sieht, die gleichen Grundgedanken haben bei den beidenVlkern allmhlich verschiedene Frbung angenommen. Aberschon diese Grundgedanken sind so abstrakt, da es sichnicht um gemeinsamen Urbesitz handeln kann, noch wenigerfreilich um Vlkergedanken" in Bastians Sinn, die an ver-schiedenen Orten unabhngig voneinander entstehen; nurder Gedankenaustausch zweier benachbarter und verwandterVlker kann sie geschaffen haben, und wenn wir manchmalwie bei der Aufzhlung der Glieder der Gtter Prajpatiund Ormuzd das indische als das gebende vermuten mchten,scheint bei einzelnen anderen bereinstimmungen auch man-ches fr die Prioritt des persischen Denkens zu sprechen.Nur genaueste Untersucllung durch die Fachmnner kannhierber Klarheit schaffen, und in grerem Umfang mssenerst die Originalurkunden der manichischen Religion vor-liegen. Eines aber steht sicher: Mani, der als die indischeErlsungsreligion nur den Buddhismus kennt, hat diese Grund-anschauungen gar nicht aus dem Indischen bernehmenknnen, da die meisten im Buddhismus schon fehlen. i) Ihre

    lehfung wird ei langt der Atman, Nicht durch Verstand und vieleSchriftgeiehrtheit; Nur wen er whlt, von dem wird er begriffen.Ihm macht der Atman offenbar sein Wesen" (so Oldenberg; seinSelbst erwhlt der Atman als sein eigenes" Deussen) und KaushitakiUp. III, 8 Er (das Bewutseinsselbst) ist es, der das gute Werk dentun macht, welchen er aus diesen Welten emporfhren will, und er istes, der das bse Werk den tun macht, welchen er abwrts fhren will(vgl. die iranische Anschauung oben S. 13) folgt die ganz an diewestliche Gnosis anklingende Shvetasvatara Up. VI, 18 Zu... demGott, der sich erkennen lt aus Gnade, Nehm ich Erlsung suchendmeine Zuflucht" ( d'tt yvu/ad'fjvai fiot/.trni xai ytyt'iuaxernt to" iSion).Ahnlich Maha-Naryana Up. 10, 1 Des Kleinen Kleinstes und desGroen Grtes wohnt er als Selbst im Herzen dem Geschpf hier;Den willensfreien schaut man fern von Kummer Durch Gottes Gnadeals den Herrn der Gre." So versteht derGnostiker das savrov yiyvd-anetr.

    ') So der Begriff des Selbst, auf den Menschen wie auf das Allbertragen, die Vorstellung eines Aufsteigens der Seele, der Gottes-begriff. Dem Ideenkreis, den Mani im Indischen kennen lernte, mgen

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 19

    bernahme mu schon frher erfolgt sein. Tatschlich reichendie bereinstimmungen ja bis in den Zarathustrismus hinein.Hinzutreten wrden ferner alle in der ltesten Schrift der Man-der bereinstimmenden Zge sowie jedenfalls der Grund-stock der in ihrem Totenbuch (Genz links 1 1) bezeugten Vor-stellungen, die im Manichismus wiederkehren, endlich ausden gnostischen Systemen die mit dem Manichismus ber-einstimmenden soteriologischen Lehren i) genug, um unsvon den Nebenformen und Weiterbildungen des iranischenGlaubens eine Anschauung zu geben. 2)

    Es wird, ehe ich den gewi noch unzulnglichen Versucheiner Entwicklungsgeschichte des Erlserglaubens wage, gutsein, auf diese Vorstellungen, die ja zunchst befremdenmssen, noch etwas nher einzugehen.

    Was ist zunchst das Selbst, der Zentralbegriff all dieserGedankenreihen? Da man, sobald man ber die Tatsachenachzusinnen begann, da in uns ein unsichtbares Lebens-und Geistesprinzip waltet, das Selbst des Menschen im Krpersuchte, lt sich bei vielen Vlkern sprachlich nachweisen^);

    auer dem oben besprochenen Mnchtum Einzelzge in der An-schauung des Vollendeten, Bezeichnungen (z. B. fr das Sterben),vielleicht auch Formen des Kults und der Literatur (vgl. A. v. Le Coq,Chuastuanift, Abhandl. d. Preu. Akad. 1911, S. 5) gehren, doch istschon hier immer auch mit der Mglichkeit einer Rckwirkung desManichismus auf den Buddhismus zu rechnen. Ganz hiervon zu schei-den sind die spten Einflsse, die in Gegenden, wo beide Religionennebeneinander wirken, die buddhistische Literatur auf die manichischebt.

    ^) Einzelheiten in dem Weltbild oder dei Mythologie mag Maninatrlich ebenso frei erfunden oder anders woher entnommen haben,wie seine gnostischen Vorgnger, nur sind sie im Vergleich mit denleitenden Ideen von geringer Bedeutung.

    *) Die Vorstellung, da Mani aus allen christlichen HresienBrocken zusammengelesen haben knne, um sie in die persischeReligion zu bertragen, scheint mir mehr als willkrlich, ihre still-schweigende Voraussetzung, das Christentum sei die einzige ErlOsungs-religion, nachweislich falsch.

    ') An die Gegenberstellung von airs und ya^'I bei Homer er-innert sich wohl jeder Leser. Sehr charakteristisch fr die Sprachen,in denen ein Substantiv sich bildet (sogar frher als das Pronomen),scheint mir der Gebrauch in der uigurischen, in der t-z das Fleisch-Selbst, isig z das warme Selbst, das Leben bedeutet; daneben findet

    2*

  • 20 R. Reitzenstein,

    darauf, da es auch im Iran wie in Indien geschehen sei undan beiden Stellen das gleiche Wort tnu den Krper und diePerson, das Ich des Menschen, bezeichne, wies mich Prof.Wackernagel. Die Seele ist dann der von auen gekommeneHauch oder Odem {tman), der ihn beim Tode wieder ver-lt; gerade, weil sie nicht sein Selbst bildet, braucht sienoch gar nicht individuell, nur als allgemein wirkende Kraftempfunden zu werden. Schon der Krper bildet nun einRtsel: Der Arm, das Bein, der Kopf handelt gesondert, unddoch bilden sie zusammen eine Einheit, und erst diese Einheitist das Selbst, ich mu, um den Begriff des Menschen vollzu haben, diese Einheit zu den Gliedern und ihrer Zahl hin-zufgen; der Mensch ist eine Fnf, aber er ist in gewissemSinne wieder eine Sechs^); die fnf Glieder sind nur dieWerkzeuge oder Waffen, durch die jenes sechste einheitlicheWesen wirkt, aber sie knnen eben darum auch ihm gegen-ber als etwas anderes gefat werden, als eine Einheit, dievon dem Menschen oder seinem Selbst noch verschieden ist.Dies Selbst ist in ihnen, sie sind sein Gewand, seine Hlle.Die Vorstellung von den Gliedern, die sich nur in wenigensicheren Spuren erhalten zu haben scheint^), vertieft sichnun zu einer etwas erknstelten Vorstellung von fnf Hllennicht mehr um das Ganze, sondern um das Innerste; es sind

    sich ein Ausdruck tirig z das lebendige Selbst (Mitteilung von Prof.A. V. Le Coq). Wenn dann z im Osmanischen das beste Teil einesDinges, das Innere, das Herz oder Mark, das Wesen oder die Essenzbezeichnet (die oft besprochene Gleichsetzung der Seele und Perleberuht auf hnlichen Gedanken, vgl. Festschrift f. Fr. C, Andreas,S. 46), so entspricht auch das indischem Denken.

    ^) Die schon frher erwhnte, seltsam ursprngliche Rechnungsartwird im Indischen und Iranischen sehr frh auf die Welt und auf Gottbertragen; da sie nur vom Menschen ausgehen kann, scheint mirsicher.

    2) So in dem Verzeichnis der fnf Glieder und fnf geistigenGlieder Gottes im Fihrist, ferner in der Bezeichnung der Gesandte derfnf Glieder in den Thomasakten (Bousset, Zeitschr. f. neutest. Wissen-schaft XVIII, 1 ff.), endlich in dem buddhistischen Mrchen vomPrinzen Fnfwaffe (Marie Lders, Buddhist. Mrchen 1921, S. 1) undin der Versiegelung der Hnde, Fe und des Kopfes des alexandrinischenBildes des Aion (Iranisches Erlsungsmysterium, S. 203). Unklarerist die im Indischen bisweilen begegnende Teilung in Haupt, rechte undlinke Seite, Rumpf und Unterteil (Fundament).

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 21

    Haar, Haut, Fleisch, Knochen, Mark^); sie umgeben dasSelbst. Notwendig wird dieses Selbst dadurch zu jenem un-sichtbaren Lebens- und Geistesprinzip, dem Odem, tman,und diese Auffassung ist im Indischen durchaus herrschendgeworden; nur schwache Spuren verraten noch, da auch hierdereinst dies Selbst der Krper gewesen ist, 2) Die Vor-bedingung fr eine Individualisierung der Seele ist damitgewonnen, aber freilich noch nicht die Notwendigkeit dazu;sie kann erst eine wachsende Ethisierung der Religion brin-gen. An sich gestattet die Verlegung des Selbst in den tmanauch eine andere Folgerung: ist dieses Selbst nun die all-gemeine Lebens- und Geisteskraft, so gibt es in gewissemSinne kein Ich oder doch nur ein scheinbares, irrtmlichesIch, der Mensch ist selbst das All.^) Die indische Spekulation

    ^) Zahlreiche Belege bieten besonders die soghdischen und trki-schen Manicherfragmente und die indischen Texte der Brahmana-Zeit, z. B. Sh. Br. X, 1, 3, 2. 4: Dies waren seine (des Allgottes Praj-pati) fnf sterblichen tdnu (Teile): Behaarung, Haut, Fleisch, Knochen,Mark. Und dies die unsterblichen: Geist, Rede, Atem, Gesicht, Gehr."Oldenberg, Vorwissenschaftliche Wissenschaft 101.

    *) Ich fhre aus den Vorschriften fr den Bau des Feueraltares,bei dem der Opfernde darstellen mu, wie er den Feuergott Agnigewissermaen im Mutterscho trgt, an Sh. Br. VII, 4, 1, 1: Beingabout to built Agni, he takes him in his own Seif; for from out of his ownSeif he causes him to be born" oder VI, 6, 2, 13 himself (Agni) entersnow into his own Seif". Parallelen aus anderen Religionen sind wohlallgemein bekannt. Ahnlich klar ist Maitryana Up. VI, 16 Die Sonneist das Selbst des Brahman (Wissen)", d. h. sein sichtbarer Krper,oder VI, 17 Das Brahman ... ist der Atman, . . dessen Selbst dieUnendlichkeit ist". Ein Krperselbst und Bewutseinsselbst werdengeschieden Aitareya Aranyaka (Keith) 111,2,3: The person (purusha)of the body is the incorporeal Sei]. Its essence is the incorporeal consciousSeif."

    ') Die Vorstellung wird selbst auf den Krper bertragen. ImManichismus wird sie in der chinesisch erhaltenen Schrift (Chavannesund Peliot, Journal Asiatique 1911, S. 527) lehrhaft vorgetragen: dermenschliche Leib gleicht dem Weltall wie eine kleine Abbildung demheiligen Elefanten. In den Kosmogonien wird sie mythologisch darge-stellt. In den Totentexten der Mander wirkt sie nach: mit dem Todedes Menschen geht die materielle Welt zugrunde. Kosmologie (Eschato-logie) und Soteriologie, die man nach theologischem Schema so gerntrennen mchte, flieen fr diese Betrachtungsart notwendig in einszusammen.

  • 22 R. Reitzenstein,

    greift den an sich nocli primitiven Gedanken entschlossenauf und vertieft ihn in einer eigentmlichen Mystik: Wersein Selbst als das Weltselbst erkannt hat, ist von dem Wahndes Ich-Seins befreit und damit von dem Leid erlst, dasdies Ich-Sein im Leben mit sich bringen mu. Den Wider-spruch, in welchem dieser Schlu notwendig zu dem Aus-gangspunkte steht, lst Buddha, indem er das Selbst ber-haupt aufgibt oder in das unerkennbare Dunkel zurck-schiebt. Ohne die reinen und schwungvollen Gedanken, diesich dabei entwickeln, zu verkennen, mchte ich doch be-tonen, wie entscheidend fr die Entwicklung einer Religionder Fortschritt ist, den das iranische Empfinden zunchstfreilich noch in unklarer Form hier bringt.

    Jenes innere Selbst oder den inneren Menschen suchenviele Vlker sich als eine Art Doppelgnger oder Abbild, alsoauch wieder krperlich zu denken; auch die Seele mu fnfTeile haben; man mag sie grobsinnlich als Kopf, Arme undBeine denken, wie in den Totentexten der Mander, als auf-einander folgende geistige Funktionen, wie in den System-bildungen der Manicher Verstand, Vernunft, Einsicht, Er-wgung und berlegung^) oder endlich, da die Seele gttlichund Gott das Gute ist, als Tugenden. 2) So hat Gott Ormuzdfnf Lichtelemente zu Gliedern und fnfTugenden als

    ,

    geistige

    Glieder"; seine heilige Zahl ist Zehn^); jene fnf Elementebilden seinen Leib, der von der Materie verschlungen wird,die fnf Tugenden sein Selbst, das offenbar nicht mitgefesselt

    1) Acta Archelai c. 10, vgl. Theodor bar Khoni bei Pognon, S. 184.Sie heien auch die fnf innerlichen Glieder, Bousset, Hauptproblemeder Gnosis, S. 235. Das gleiche System ist auch in soghdisch-mani-chischen Urkunden durchgefhrt; da es lter ist als Mani, hat Bousset,Zeitschr. f. neutestam. Wissenschaft XVIII, 1917, S. 15, aus derVerbreitung der griechischen Form erwiesen und es richtig mit derElementenlehie verbunden.

    *) Auch diese Auffassung ist alter als Mani; sie liegt, wie ich mehr-fach ausgefhrt habe, in christlicher Umgestaltung schon dem drittenKapitel des Kolosseibriefes zugrunde. Wie leicht sie gerade im Iranentstehen konnte, zeigt ein Blick auf Zarathustras Amehaspentas, indenen ja die fnf Elemente in ethischer Umdeutung wiederkehren.

    3) Auch diese Rechnung lt sich durch die Hermetische Literatur(cap. XI II) als vormanichisch erweisen, wenn auch dort sieben Tugen-den und drei Wesensbeschaffenheiten die Zehnzahl bilden.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 23

    wird. Auch hierzu bietet die indische Religionsentwicklungdas volle Gegenbild in dem Sarpkhya-Systemi) in denjngeren Upanishaden, und die Frage, auf welcher Seite dasOriginal zu suchen ist, wird hchste Bedeutung gewinnen.Mir will, abweichend von Frau Troje, von Anfang an derstarke Dualismus von Gott und Materie, das allmhliche Vor-treten eines persnlichen Gottes, die Lehre von der Fesselung

    und Befreiung des bhuttman, des Elementen-Selbst, undmanche Einzelheit den Eindruck erwecken, als ob hier irani-sches Denken in indischer Umgestaltung vorlge. Den Leibbilden die fnf bekannten groben Elemente zusammen mitden fnf feinstofflichen Elementen, den Grundstoffen vonSchall, Gefhl, Farbe, Geschmack, Geruch-); in ihm wohntund handelt der natrliche tman {bhuttman), von dem aneinzelnen Stellen noch der innere purusha (Mann) als Er-zeuger der Handlung geschieden wird, whrend er ursprng-lich wohl mit ihm identisch ist. Wie im Gefngnis ist erfreiheitsberaubt, wie einen, der vor dem Totenrichter steht,umgibt ihn viele Furcht. Wie Rauschtrank, so berauschtihn der Trank der Verblendung. Wie einer groen SchlangeBi, so hat ihn der Bi der Sinnenwelt getroffen. Wie tiefeFinsternis, so ist er blind von Leidenschaft."^ Er vergitder hchsten Welt. Aber er kann diese Welt verlassen undmit dem groen tman oder purusha, der in ihm ja nur un-bewut mit einem Teil von sich in die Welt niedergestiegenist, wieder zur Vereinigung kommen*), sei es durch Wissen,

    *) Vgl. Oldenberg, Die Lehre der panisliaden und die Anfngedes Buddhismus, 206 ff

    .

    2) Das erinnert einerseits an die Zusammensetzung des Ormuzd,anderseits an die indische, doch ltere Beschreibung des Prajpati oben(S. 21, 1). Die Tugenden kann nicht brauchen, wer auch, die geistigenElemente in die Welt der Materie versenkt sein lt.

    ') Maitryana Up. IV, 2. Ihr ist auch das Folgende im wesent-lichen entnommen. Alle Bilder kehren in den manichischen Beschrei-bungen wieder.

    *) Die erschtternde Schilderung der Sehnsucht des durch eigeneSchuld (Betrung und Verfhrung) in die Welt der Natur verschlagenenund umherirrenden Geistes im Epos (Oldenberg, Lehre der Upanishaden,242) nach seiner Heimat und seinem Ursprung entspricht Zug fr Zugden mandischen und manichischen Texten und dem Seelenliededer Naassener.

  • 24 R. Reitzenstein,

    Askese und Meditation, sei es durch Gnade (oben S. 18,2).Natrlich taucht dabei die Frage auf, ob es nur einen oderviele purushas gibt; ebenso der Zweifel, wie es mglich ist,da das eine Wesen innerhalb und auerhalb der Welt desWerdens, d. h. der Materie, steht, und Bilder mssen darberhinwegtuschen, wie: ,,Das eine Feuer (oder die eine Luft)in die Welt eingehend, Schmiegt jeder Form sich an undbleibt doch drauen."^)

    Wie man ber die Prioritt des indischen Denkens oderdes iranischen Glaubens auch entscheide, begreiflich ist jetzt,wie fr letzteren Gott Ormuzd selbst in die Materie versenktsein kann, whrend er zugleich auch wieder als in der Licht-welt thronend gedacht wird, und wie die Einzelseele anseinem Erleben Teil haben kann. 2) Fr die Mehrzahl derTexte freilich hat whrend der Zeit des Kampfes GottOrmuzd seinen Leib, offenbar sein Selbst, auf Erden; es istder fnfgliedrige Urmensch, der Fnfgott der trkisch-manichischen Texte, der oft genug auch einfach Ormuzdheit; seine Seele weilt in der Lichtwelt; vereinigen sichbeide bei dem Endgericht wieder, so wird Ormuzd bzw. derUrmensch zu einem neuen Gott. Das weist auf eine alteVorstellung der Auferstehung auch des Leibes. Bei dem End-gericht gehen ja nach iranischem Glauben auch die Leiber,durch das Feuer nur gelutert, aber nicht verletzt, in die Licht-welt ein, und ein hnliches Empfinden scheint in dem lterenIndischen bei der Leichenverbrennung das Feuer als Seeleunsichtbar den Leib zum Himmel emportragen zu lassen.So ist es begreiflich, da in dem Zarathustra-Fragment, dasich im Eingang erwhnte, Zarathustra sein Selbst zumHimmel emporheben will, whrend in der Parallelerzhlung

    1) Es sind die Elemente des Gottes Ormuzd weit eher als dieeigentlich sinnlichen.

    *) So z. B. in dem Texte v. Salemanns Iranisches Erlsungs-mysterium, S. 38. An dem Kampf des Gottes mit dem Dmon, den dieMythologie in die Urzeit versetzt, nehmen unsere Seelen teil, weil jaauch ihre Aufgabe ist, mit dem Gott gegen die bsen Gewalten zu strei-ten, und weil sie gar nicht als von ihm verschieden gedacht werdenknnen. Es ist die gleiche Unklarheit, wie in der Auffassung des indi-schen purusha.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 25

    von seinem Krper die Rede ist.^) Als die Scheidung zwischenGeisteswelt und Materie strenger wird und letztere als wider-gttlich erscheint, treten fr den Leib die Krfte oder Licht-teilchen ein, die sich so eng mit der Materie verbunden haben,da sie erst bei dem Zerfall des Krpers frei werden. Viel-leicht darf man aus dem neuen Bestattungsbrauch, denZarathustra wenigstens fr die Magier einfhrt, schlieen,wie frh in Persien schon ein Kampf gegen den Glauben anein unmittelbares Aufsteigen auch des Leibes einsetzt, abernoch lange scheint in dem allgemeinen Gebrauch der toteLeib das Lichtgewand und die Siegeskrone erhalten zu haben,die nach den literarischen Texten das Selbst spter dieSeele bei seinem Aufstiege trgt. Doch ehe ich auf diesesptere Ausgestaltung und auf die schwierige Frage eingehe,wer bei diesem Aufstiege Fhrer und Erlser ist, wird esgut sein, eine andere Reihe von Vorstellungen ins Auge zufassen, die sich mit der bisher besprochenen kreuzt und inder die Eigenart iranischen Empfindens strker hervortritt.

    Weit frher noch als die Geisteskraft in sich, an welchedie Spekulationen ber das Selbst oder den tman und berdas brahman oder Wissen im Indischen schlieen, empfindetder Mensch das Leben in sich als Gabe oder Teil der Gott-heit, die ja im Mandischen geradezu als die Summe allesLebens die Leben heit, whrend im Manichismus dieGtter die Lebendigen sind. Die Lebenskraft wieder zu-nchst wohl ein Allgemeinbegriff ist der Gott im Menschen,der freilich bestndig von einer widergttlichen Gewalt, demTode, bedroht wird. Der einzelne erliegt ihm, aber als Ganzesbesteht jene Kraft weiter und erneut sich immer wieder. Diewidergttliche Gewalt fat man in Bildern, die nur der Urzeitentnommen sein knnen, etwa als den Lwen oder die Gift-schlange, in den Flutlern bezeichnenderweise auch als dieberschwemmung, die pltzlich und unentrinnbar ber denMenschen hereinbricht. Ais man sich besser zu schtzen ge-lernt hat, bilden sich Steigerungsformen: Lwe oder Schlangeerhalten Flgel oder verschiedene Hupter, werden zu Un-

    ^) Auch der uns gelufige Vergleich von Haupt und Gliedernscheint im Mandischen schon in sehr alter Zeit zu begegnen.

  • 26 R. Reitzenstein,

    getmen, denen niemand Widerstand leisten kann. DasLeben symbolisiert man in dem Licht und dem Tage, denTod in der Dunkelheit und der Nacht. Endlich verbindet sichdas sittlich Gute oder das Wissen mit dem einen, das sittlichBse oder die Unwissenheit mit der andern. Die alten Bilderbleiben selbst dann und gehen von Jahrhundert zu Jahr-hundert, von Volk zu Volk. Noch im Christentum geht derBse umher, wie der brllende Lwe, und Christus zerbrichtdem Tode die Krallen. Das religise Empfinden heftet sichzunchst an den Gedanken, da Licht und Leben nie ganzuntergehen, die Gottheit erhlt sie; es steigert sich weiterzu der sittlichen Forderung, da in dem fr uns unabseh-baren Kampfe Tag, Licht und Leben zuletzt doch siegen undihre Gegner vernichten mssen, und weiter zu der ber-zeugung, da die Gottheit auch den vom Tode verschlun-genen Teil nicht ganz verloren geben kann, sie mu ihnerlsen. Nur das Iranische freilich zeigt diese Entwicklunguns voll; dem Inder scheint das Leben bald nicht mehr alsdas hchste Gut; es bringt das Leid, von dem man sich zubefreien suchen mu; die Vorstellung des Kampfes ist ganzaufgegeben. Dennoch gestattet gerade die indische Religionuns den besten Einblick in das Werden eines Begriffsgottes.Ein frher wenig hervortretender Genius der Zeugung,Prajpati (der Herr der Nachkommenschaft), wird allmh-lich das durch die ganze Natur ergossene Lebensprinzip, i)

    Da dem Inder die Welt der Natur (Materie) die Welt desWerdens ist auch das Vergehen ist ein Werden , ver-bindet sich mit diesem Lebensprinzip der Begriff der Dauerund der Zeit mit ihrer ewigen Wiederholung der gleichen Ab-

    ^) Der Begriff der Fruchtbarkeit tritt notwendig hinzu und be-dingt, wenigstens fr den spteren Aion, die Forderung der Mannweib-lichkeit; er ist nach dem Asclepius des Pseudoapuicius c. 41 natura-rum omniiim fecunda praegnatio, totiiis natiirae eins conceptu plenis-simae aeterna perseveratio", in dem griechischen Wortlaut der Zauber-papyri fit'jxmi xvo

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 27

    schnitte, und mit der Unendlichkeit der Zeit verbindet sichnotwendig die des Raumes. Das Jahr als Vertreter der Zeitwird sein Abbild. So hat er wie dieses zwlf Teile, ist also,

    da man nach dem frher erwhnten Rechnungsprinzip dasGanze als das Selbst hinzurechnen mu, dreizehn. i) Weil erso als Weltselbst Vielheit und Einheit in sich zusammenfat,wird er identisch mit dem Atman oder dem Purusha, jaselbst dem Brahman; die gleiche Betrachtung, die dort vomMenschen ausging, geht eben hier vom Weltganzen aus. Mankann die Zusammenhnge zwischen dem Iran und Indienkaum besser als dadurch dartun, da auch im Iran nebenOrmuzd ein Gott der Unendlichkeit der Zeit und des Raumes,Zarvan, steht, der noch in den Hymnen der Manicher daslebendige Selbst heit^), das Ganze des Lichtreiches darstelltund daher zwlf Aionen um sich hat, welche durch die zwlfStunden des Lichttages oder Monate des Jahres symbolisiertwerden; sie bilden seinen Krper, er ist ihr Selbst, ihre Seeleund ihr Lenker. Notwendig mu dabei das Verhltnis zuOrmuzd mit seinen fnf oder zehn Gliedern unklar werden.So scheinen jngere Bildungen die Dreizehn auch so zu er-klren, da zu jeder der beiden Pentaden einmal ein Selbstund dann zu den beiden Hlften das sie zusammenhaltendeGanze nochmals als Gesamtselbst gezhlt wird. Aber auchdirekt als der Fnfgott oder Urmensch wird Zarvan bezeichnetund Ormuzd erhlt die zwlf Glieder. Jeder von ihnen kann

    ^) Den ueren Anla dafr mag eine frhere Teilung des Jahresin dreizehn Mondmonate bieten, den Sinn der spteren Spekulationzeigt Kaushitaki Brahmana XIX, 2: Tfiey obtain this thirdteenthadditional month; The year is as great as this thirteenth month; in itverily the whole year is obtained" {hnlich XXV, 1: here verelythe whole, year is made up"). A. B. Keith, Rgveda Brahmanas, HarvardOriental Series XXV. Shat. Br. V, 4, 5, 23: either twelve or thirteen arethere months in the year, and the year is Prajpati'\

    *) Besonders in den trkisch-manichischen. Als Gott der Zeitwird er notwendig auch das Jahr, der Monat,, der Tag; alle drei werdenin den Anrufungen miteinander verbunden. Man hat ohne irgendstichhaltigen Anla versucht, ihn aus semitischen Religionen herzu-leiten; den besten Gegenbeweis bietet seine bildliche Darstellung durchdas Ro, das Opfertier und Sinnbild des Prajpati und des Kala, dasauf den persischen Mnzen von den Numismatikern als Pegasus ange-sprochen wird.

  • 28 R. Reitzenstein,

    als purusha gefat werden. Es ist durchaus verstndlich,wenn in einer iranischen Kosmogonie, die ich vor Jahren ineinem Zauberpapyrus nachweisen konnte^), gelehrt wird,Gott Ormuzd habe einst mit Zarvan Rang und Symbole ge-wechselt. Die Unsicherheit ist nie ganz geschwunden ; schonim 4. Jahrhundert v. Chr. hrte Eudemos von Rhodos aufsein Fragen, Zarvan bedeute die Unendlichkeit der Zeitoder des Raumes und sei der All-Eine, der Vater des Ormuzdund Ahriman also der uranfnglichen Zwillinge Zara-thustras , Ursprung des Guten und Bsen, des Lebensund Todes. Es ist die Lehre einer spten Sekte der Zar-vaniten, aber es ist zugleich die lteste Prajpati-Theologieder Inder. Es ist durchaus glaublich, da erst Zarathustrawirklich Ormuzd als Vertreter des Lichtes an die erste Stellegerckt hat; das System wird ja dadurch unklar, und einGrund fr die nderung wre leicht erkenntlich. Wer aneinen letzten Sieg des Guten und des Lebens und volle Ver-nichtung des Bsen und des Todes glaubt, kann fr einenechten Gott der Unendlichkeit nicht mehr Raum finden undkann ebensowenig an die Spitze der Gtterwelt eine Gottheitstellen, die beide Prinzipien in sich umschliet. Der Zeitgottmu innerweltlich und daher doch wieder befristet erscheinenals Erhalter des Lebens in der Welt und wohl auch als Regent,aber doch als unter dem hchsten Wesen stehend. Steigter beim Weltuntergang zum Himmel empor, so mag er dieSumme des Lebens oder der Seelen mit sich fhren und darumselbst als Erlser erscheinen und mit Gott Ormuzd auch indieser Funktion rivalisieren.

    Wohl habe ich das bisher nirgends im Manichismusoder Zarathustrismus klar ausgesprochen gefunden-) undschliee es zunchst daraus, da die Schilderung der gtt-lichen Gesandten, vor allem des dritten, also des Mithras,der Zarvans durchaus entspricht. Auch Mithras hat die

    *) Die Gttin Psyclie in der hellenistischen und frhchristlichenLiteratur, Sitzungsber. d. Heidelberger Akademie 1917, Abh. 10,S. 23 ff.

    2) Warum das Indische, das uns bisher fhren konnte, ausscheidet,ist klar; es kennt ja eben kein Weltende und keinen befristeten Ewig-keitsgutt.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 29

    zwlf Zeitabschnitte zu Tchtern, Dienerinnen oder Gliedern,

    auch er ist der ueahi^g, der die Seelen befreit, Mani nursein Stellvertreter.!) Wie jedes neue Jahr wieder Prajpatiist, dieser Gott in ihm wieder neu geboren wird, so ist jederneue Aion oder Zeitabschnitt auch in dem Zarvankult, ausdem der hellenistische Aionkult entspringt, der Gott selbst,freilich in neuer Gestalt. Eigentmlich iranisch ist nur dieaus der Stellung Zarvans hier entsprungene Vorstellung des

    Gesandten. 2) Aber immer bildet die Gesamtzahl der Ge-sandten doch wieder nur eine Einheit, eben den Gesandten".Ist doch die ganze Vorstellung nur der Versuch, Einheit undVielheit zu verbinden. *So sind schon im jngeren Zara-thustrismus Gehmurt (der Urmensch), Zarathustra undSaoshyant die Vertreter der drei Zeitstufen Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft, aber einer wirkt und ist in demanderen mit; hnlich bilden im Mandismus Hibil, Shitilund Enosh eine selbst syntaktisch ausgedrckte Einheit, jenenMand d'Haije, den Mann (purusha), der mythologisch alsihr Vater erscheint, ja unter anderen Gtternamen begegnetselbst die parsische Formel, und wieder hnlich bilden imManichismus die drei Gesandten auch selbst jenen Haupt-gesandten, der im letzten Kampf den Bsen endgltig ver-nichtet und daher auch wohl dem Ormuzd oder Srosh gleich-gesetzt wird. Da er ursprnglich die Einheit der Seelen,ihr Selbst im Sinne des tman ist, drckt sich mythologischdariM aus, da sie mit ihm oder hinter ihm her in dieHimmelswelt aufsteigen, whrend die materielle Welt zu-grunde geht^); er ist ihr Erlser. Aber auch jeder Tag ver-

    ') Vgl. oben S. 10, 1. Auch Mani heit daher, wie Zarvan, daslebendige Selbst (im Gegensatz zu dem gebundenen). Ebenso wird Srosh-haray als der Gesandte in der chinesischen Schrift als Dreizehn erklrt.

    *) Es ist der Mittler oder, wie es persisch meist heit, Dragomanzwischen Gott und Menschheit (um Propheten im jdischen oder isla-mischen Sinn handelt es sich natrlich nicht). Auf indischem Bodenzeigt erst der Buddhismus in der Vorstellung, da jedes Zeitalter seinenBuddha hat, etwas Ahnliches. Hier wird Einwirkung aus dem Iranvorliegen; eine Vorstellung von der Identitt dieser Buddhas mu,da das Selbst fortgefallen ist, natrlich fehlen.

    ') Wenigstens auf die Mglichkeit weist Atharvaveda XI 4, 21,wenn er von dem Selbst, das schon dem Zeitgott gleich empfunden

  • 30 R. Reitzenstein,

    sinnbildlicht in seiner Zwlfteiligkeit das ganze Jahr, sosind auch zwlf oder dreihundertfnfundsechzig, d. h. inder Symbolik unendlich viele, solcher Abschnitte denkbar,oder nach anderen Zeiteinteilungen dreiig^) oder sieben,oder nach den Gottesteilungen fnf, sogar nach den Welt-teilungen vier, und jeder dieser Teilaionen mag wiederwie das Ganze geteilt werden und sein Selbst aus derSumme der Unterabteilungen bestehen. Jngeren Zahlen-spielen, die bis in christliche Spekulation fortwirken, ffnetsich hier weite Bahn; die Phantasie wird in ihnen allmhlichganz frei. Und wunderbar weit ist die Vorstellung von diesemGott gedrungen, in der sich die Gedanken der Fruchtbarkeitund Zeugungskraft, der ewigen Dauer, des Vereinigens einerauseinanderstrebenden Vielheit und des Weltregimentes ver-binden, und den wir alle unter dem Namen kennen, den erin Alexandria zuerst empfangen hat, dem Namen Aion.^)Der Baal der syrisch-phnizischen Stdte, Jahve als Herrvon Jerusalem, der Dusares im arabischen Petra, der Nil ingypten und der punische Fruchtbarkeitsgott gleichen sichihm an. Rom bernimmt ihn sogar in doppelter Ausgestal-tung, zunchst in der spteren Janus-, dann in der Divus-vorstellung, und von Rom bertrgt ihn Konstantin in dieneue Reichshauptstadt. Als den das Weltall leitenden Aionstellt den ersten christlichen Kaiser die nach dem endgltigenSiege geschlagene Mnze dar, in seiner Stadt ragt auf hoher

    wird, sagt: Den einen Fu nicht zieht hinaus der Schwan aufsteigendaus der Flut, Zog er heraus den Fu, wahrlich es gab kein Heut, l

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 31

    Sule sein Bild als Sonnengott, seinen Sarkophag umgeben dieKenotaphien der zwlf Apostel, die die christliche SymbolistikalsTeilaione zu deuten gelernt hat; Konstantin als der MannGottes" fhlt sich als eine Art Gegenbild zu dem Erlser.Natrlich liegen dem so ber die ganze zivilisierte Welt ver-breiteten Aionkult in der Regel ltere einheimische Gtter-vorstellungen zugrunde, die sich nur angepat haben undunter sich ursprnglich nicht identisch gewesen sind, und esist nicht befremdlich, da die rein persische Erlservorstellungnur selten dabei gewahrt ist. Aber weit verbreitet ist dasFest zur Zeit der Wintersonnenwende, an dem der Gott, dersich im Erdenscho oder dem Gtterhimmel neu ge-bildet hat, wenn sein Vorgnger dahinsinkt, ajs Kind ansLicht tritt. Wunderbar zh halten sich die Formeln deroffiziellen Theologie, die noch in der spten Schrift Asclepiusdes Pseudoapuleius (cap. 29. 30) ganz mit indischer Anschau-ung bereinstimmen, und dasselbe gilt von den offenbar bisauf indischen Opferbrauch zurckgehenden Mysterien, dieeinst die Erhebung des Menschen zum Aion darstellten, imManichismus umgedeutet werden und in den Anweisungender gyptischen Hermetischen Schriften ihren Nachhallfinden: man mu lernen, sich auer Zeit und Raum zu fhlen,vor der Geburt, nach der Geburt, nach dem Tode, mu jedesLebewesens Empfinden und jedes Elementes Art mitemp-finden und sich in ihm empfinden, so wird man das AU-Eineund die Weltseele. Die Wanderung dieses Glaubens spiegelnam lehrreichsten die Mnzbilder, besonders der Stdte, diesich in der Hut des Aion und darum fr die Zeit des Be-standes der Welt gegrndet glauben. So prgt, wie anderekleinasiatische Stdte, Tarsos unter persischer HerrschaftMnzen mit dem indischen Bilde des beflgelten Rosses, dasseit den jngeren Veden das Bild fr den Zeitgott Kala undfr Prajpati ist, von den Griechen aber als Pegasos emp-funden wird; sie erfinden danach, hier sei Bellerophon mitihm zur Erde gefallen. Aber es gilt auch als Stadt des Aion,als die Urstadt, die nur mit der Welt selbst vergehen kann;so wird ihr Gott, der weithin verehrte Baaltars, als der Welt-regent fast zur gleichen Zeit schon mit dem griechischenTypos des thronenden Zeus mit dem Zepter dargestellt; sein

  • 32 R. Reitzenstein,

    Symbol wird die Faust, ursprnglich die Faust, die dasZepterholz umschliet, und aus diesem Symbol nimmt derRmer der Augustuszeit seine Deutung des Janus als Aion.Das Vollbild dieses Zevg Taqaaiog oder Tegamog wirkt nachbis in den Deckenschmuck des im sechsten Jahrhundertn. Chr. in Gaza von einem Christen ausgemalten Winter-bades, und die Deutung auf die Ernte, die dem NamenTegaalog griechische Grammatiker gegeben hatten, beein-flut im Anfang des 3. Jahrhunderts in Nordafrika dieMnzbilder des fruchtspendenden Aion, des saeculum fru-giferum. So mag es schon hier Erwhnung finden, da dieOffenbarung Johannis nicht nur den Menschensohn als denWeltherrscher und Weltgott in der festen Formel der Aion-theologie preist, sondern ihn auch in dem Bilde schildert,das orphische Verse von diesem Weltgott entwerfen. Hatdoch auch die judenchristliche Sekte der SymmachianerChristus als die Weltseele und wenig spter die verwandteGnosis der Pseudoklementinen ihn als den Urmenschen undals den Aion bezeichnet, der in jedem Weltalter in neuerGestalt und doch dem Wesen nach immer als derselbe er-scheint. i) Es ist die rein iranische Lehre, die wir spter anden verschiedensten Stellen Vorderasiens im Heidentumfinden und die sich vereinzelt bis in die Neuzeit erhalten hat.Eine christliche Aiontheologie von Eusebios bis zu Claudianhat alle Formeln des altalexandrinischen Aionkultes, denenmeist iranische Bilder entsprechen, restlos auf den neuenWeltregenten Christus bertragen. Wo die Erlservorstellungsich gehalten hat, wie im Mandischen und Manichischen,sehen wir dabei, da diese Zerteilung des Gesandten derselbenEthisierung der Religion dient, die schon den Glauben an eineinmaliges Weltende hervorbrachte. Die Vervielfltigung ge-stattet, das Los der Seelen wenigstens einigermaen nachihren Verdiensten verschieden zu gestalten. Nur die Frommenund Wachgebliebenen drfen am Ende der Zeitperiode mitdem Gesandten heimkehren in die Welt des Lichtes; dieanderen bleiben, sei es im Kreislauf der Wiedergeburten,

    *) Da der Aion auch der Weisheit (Lichtjungfrau) gleichgesetztwird, gehen die festen Formeln seiner Theologie schon in die WeisheitSalomons (7, 27; 8, 1) ber.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 33

    dessen Schrecklichkeit uns ja aus der indischen Spekulationbekannt ist, sei es in mehr oder minder qualvoller Haft, bisein neuer Gesandter auch sie befreit, fr sie die Sphrenund Gefngnisse zertrmmert und die Gewalten des Bsen,d. h. der Materie entkrftet. Aber freilich dieser erste Versuchder Individualisierung der Seelen durch eine Vervielfltigungdes Weltunterganges macht gerade, wo sie auch mythologischdargestellt wird, wie im Manichismus, die Gesamtanschau-ung nur unklar. Wie ist die alte Welt pltzlich wieder da,wie die Mchte des Bsen, die eben vernichtet waren, wiederin Kraft und ein neuer Gesandter notwendig? Auch das Bildder Gesandten selbst kann nicht mehr einheitlich bleiben.Aus dem Erhalter und Regenten wird, wie wir besonders inden mandischen Texten sehen, das Gottwesen, das nur, umdie Seele heimzuholen, seine Heimat verlassen hat und indie Fremde herabgekommen ist. Es sehnt sich, wie sie,zurck, und mu doch nach des AUgotts Befehl eine bestimmteZeit in ihr in Erniedrigung aushalten. So wandert es uner-kannt, ja in Niedrigkeit und Bedrngnis umher, die Seinenstrkend, bis der himmlische Bote ihm wie ihnen die Er-lsung bringt. Der Erlser wird dadurch selbst zum Erlsten,das volle Abbild der Seele, wie er ja ursprnglich ihr Teilist. Die beiden aus derselben Wurzel entsprossenen Er-lsungsvorstellungen flieen unter dem Zwange einer ge-steigerten Weltverachtung wieder ineinander. Die materielleWelt wird nicht mehr ein Zwischenreich, in dem Gut undBse kmpfen, nein, selbst die Hlle, das Reich des Todesund der Verwesung, der Ort des Grauens und der Qual, ausdem Unrat der Dmonen erbaut; ihr Abbild ist fr die Seeleder eigene Leib, Das Recht, fr diese Anschauung, die vonden Manichern in ihrer ganzen Schrfe aufgenommen wird,griechischen Dualismus als Quelle in Anspruch zu nehmen,mu ich Brandt und anderen theologischen Forschern be-streiten. Nicht in Piatos Lehre, die nur Vollkommenes undUnvollkommeneres scheidet und nur eine Sehnsucht nachdem Hheren kennt, hat die Betrachtung der Natur als desschlechthin Bsen und Ekelerregenden ihren Ausgangs-punkt. Ebensowenig vermag ich in den Religionen dersemitischen Vlker, die dem Perserreich unterworfen sind.

    Historische ZeiUcbrtft (126. Bd.) .^ Folge 30. Bd. 3

  • 34 R. Reitzenstein,

    jene vollkommene Identitt von Gott und Seele zu finden,die das notwendige Korrelat dieser Naturbetrachtung bildet;eine scharfe Kluft trennt, soweit ich sehen kann, hier immerGott und Mensch. Nur eine ursprngliche scharfe Trennungder ,,beiden Welten" und nur die berreizung orientalischerPhantasie kann mir diese Neubildung erklren, und dasGegenstck in der indischen Spekulation, der die ganzeNatur nur als Trug und Blendwerk erscheint, lt mich dieseFortbildung auch auf iranischem Boden begreifen. i) Ichkann nur feststellen, da wir eine strenge Sonderung der em-*zelnen Vorstellungselemente auf diesem Boden um so wenigererwarten werden, als ihre Keime alle schon in den ltestenUrkunden des Zarathustrismus enthalten sind, und da esallen iranischen Religionsformen eigentmlich scheint, dasie Altes und Junges trotz aller Widersprche nebeneinanderbieten, weil es dieser mystischen Frmmigkeit mehr auf dasEmpfinden als auf bestimmte Dogmen oder gar ein Systemankommt. In friedlichem Nebeneinander haben schon imZarathustrismus zwei Formen des Erlsungsgedankens ge-standen, die sich gegenseitig entwerten und, wie wir an unserereigenen Religion sehen, fr die Frmmigkeit unwichtigmachen, der Gedanke an eine Erlsung aller Seelen (der gtt-

    1) Die Bezeichnungen Trug und Biendweri< i

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 35

    liehen groen Seele) beim Weltuntergang und der Gedankean eine Erlsung der Einzelseele beim Tode. Da letztererimmer strker werden mu, je unertrglicher der Aufenthaltin der Welt erscheint, ist wohl klar; das religise Bedrfnisverlangt immer dringender nach Individualisierung der Seele,und wenn ihre Erlsung nur mit dem Weltuntergang ver-bunden erscheint, so nimmt glubige Sehnsucht diesenvoraus. Nach dem Tode jedes Vollendeten tritt er ein; injedem befreit sich der Urmensch wieder aus den Banden derMaterie. 1) Damit erklrt sich zugleich eine Eigenheit dieserVorstellungen, die mir oft Verwunderung erregte. So nach-drcklich stets die Notwendigkeit der Erlsung betont wird,so wenig hren wir doch von dem Erlser, ja sind in Ver-legenheit, wenn wir auch nur fr eine dieser Religionen seinenNamen bestimmt angeben sollen. Gewi, Ahura Mazda wirdangerufen, und der Geist der Weisheit, der in der jungenSchrift Minokhired die Belehrungen spendet, wird nur einGegenbild des weisen Herren" sein; Mithras ist der ,,Mitt-ler" gewesen, an anderen Stellen Srosh (Gehorsam), an denmeisten wird Zarathustra selbst eingetreten sein. Im Mani-chismus sehen wir wieder Ormuzd als den Helden des letztenKampfes und Befreier der Seelen, daneben den dritten Ge-sandten (Mithras), auch Srosh-haray, in der Liturgie denFreund der Lichtwesen" (Seelen) begleitet von Chroshtagund Padwahtag (dem Gerufenen und Geantworteten, demLogos), daneben die mannweibliche Jungfrau des Lichtes(an anderen Stellen, wie bei den Kantern, den Sohn desLichtes), vor allem Mani selbst. Bei den Mandern Mandd'Haije, Hibil, Enosh, Shitil (verdunkelt), Johannes (ver-dunkelt), Adam bzw. Adakas. In allen drei Religionen end-lich das Gegenbild der Seele, gewissermaen die Summeihres religisen Lebens. Das wird, soweit man religise Ent-wicklungen berhaupt begreifen kann, begreiflich aus derdoppelten Entwicklung des gleichen Grundgedankens, daunser hheres Selbst als Gott uns erlst.

    *) Einen Vermittlungsversuch stellt bei den Mandern die, brigenswohl nie voll durchgedrungene, Wartezeit in dem Vorhimmel Abathursdar, welche im Parsismus und Manichismus schattenhaft erkennbareGegenbilder hat.

  • 36 R. Reitzenstein,

    Prfen wir nun noch einmal die Einzelheiten, zunchstdas schon erwhnte wundervolle Zarathustra-Fragment, andessen bersetzung^) Prof. Andreas noch die eine nderungvorgenommen hat, er das persische Wort grev jetzt nichtmehr durch Geist", sondern durch Selbst" wiedergibt.Der vom Himmel herabgesendete Zarathustra begrt diessein Selbst mit den Worten:

    Schttle ab die Trunkenheit, in die du entschlummert bist,Wach auf und siehe auf mich!

    Heil ber dich aus der Welt der Freude,Aus der ich deinetwillen gesandt bin."

    Und dieses Selbst erkennt, sich nach dem Erwachen be-sinnend, da es der Sohn der Lichtwesen ist, und bejammertseinen jetzigen Zustand; vermischt ist es und Wehklagenschaut es; es fleht: Fhre mich heraus aus der Umklam-merung des Todes. So spricht Zarathustra ber ihm dieuralte Formel des Totenkultes, in der einst der Krper an-gesprochen wurde:

    Der Lebendigen Kraft und Heilber dich aus deiner Heimat!

    Folge mir, o Sohn der Sanftmut,Den Lichtkranz setze auf dein Haupt!"

    Man vergleiche damit bei Cumont^) die Befreiung desUrmenschen aus der Materie: Der Gru, das Erwachen, dieErkenntnis der gttlichen Abstammung, der Jammer berden gegenwrtigen Zustand kehren genau wieder. hnlichin den 28 Texten des alten mandischen Totenbuches, dasauch dieselben kultlichem Gaben an den Toten (bzw. dieSeele) voraussetzt. Und doch deutet das zweite auf Zara-thustra bezgliche manichische Fragment jenes Lied aufdie Bekehrung, d. h. Erweckung" des persischen Volkes

    1) Hellenistische Mysterienreligionen ^, S. 125, Das iranischeErlsungsmysterium, S. 2 ff. Vergleichbar ist der Hymnus in M. 33(Erlsungsmyst., S. 8), nach welchem der uranfngliche Vater und derThronfolger das Selbst (so ist zu bersetzen) in die Fessel der Feindegeben, und die Mutter dann durch ihr Flehen seine Befreiung veranlat.

    *) Recherches sur le Manichiisme I, S. 24. ber die IndischenParallelen oben S. 17, 1.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 37

    durch Zarathustra, und dies Volk, die Summe der Glubigen,wird als Krper des redenden Gottwesens gefat; offenbarsind Krper und Selbst identisch. i) Man versteht, wie spterdie Gnostiker auf die ,, Erweckung" allen Wert legen knnen:wer wieder zum Licht geworden und mit dem Urlicht ver-bunden ist, hat schon die Auferstehung empfangen; derMaterie ist er schon entrckt, Leib und Tod haben fr ihnkeine Bedeutung mehr. Wir finden hnliche Gedanken jain der Schilderung, wie Buddha vollkommen wird, und mehr-fach in den Hermetischen Schriften. Tatschlich schildernauch die mandischen Totenlieder und das manichischeMysterium die Erweckung genau wie die Abberufung beimTode; aber beide, ja schon die ltesten Gathas lassen dochzwischen beiden eine Zeit liegen, whrend deren die Seele,,wach bleiben" mu. Auch dafr sorgt derselbe Gesandte,der Erlser, der dadurch wieder zum Erhalter wird. DemZarathustraliede entspricht nun streng, ja bis in die Worteder Rede hinein das groe manichische Erlsungsmysterium,nur da hier Mani fr Zarathustra eingetreten ist und der ganzeHergang der Auffahrt berichtet wird, wie zum Teil in denmandischen Liedern. Die Quelle zeigt uns der 22. Yast desAvesta, also eine den Gathas zeitlich nachstehende, aber auchanerkannt reine iranische Quelle. Die Seele des Frommenbleibt nach dem Tode drei Nchte bei dem Haupte des Ver-storbenen; am dritten Morgen kommt, von wohlduftendemWinde getragen, ein himmlisches Geleit, sie abzuholen^), ander Spitze eine schne Jungfrau von 15 jhren, die sich der

    ^) Wenn der Grieche in der Baruchschrift Justins (oben S. 10)dafr 7i*'ivfia einsetzt, so liegt dem die richtige Erkenntnis, da es sichum ein Oeisteswesen handelt, und der uere Zwang, da ihm seineSprache kein Wort fr das Selbst bietet, zugrunde. Das war frhernoch nicht voll zu berschauen; aber der Einfall eines geistreichen jungenForschers, Hans Leisegang (Zum iranischen Erlsungsmysterium, Zeit-schrift f. Missionskunde und Religionswissenschaft 1921), auf Grunddes Wortes nytlfta die ganze manichische Erlsungslehre aus dergriechischen Philosophie herzuleiten, war von Anfang an ein Migriffund ist durch die indischen und parsischen Parallelen widerlegt.

    *) Einzelne mandische Lieder stimmen bis in Kleinigkeiten derBeschreibung berein.

  • 38 R. Reitzenstein,

    Seele zu erkennen gibt: Ich bin dein Selbst i); durch deineguten Gedanken, Worte und Taten bin ich so schn und sovollkommen geworden ; so werden mich die Menschen knftig(wenn ich mit die aufgefahren bin) verehren, wie sie GottOrmuzd verehren." Den Vergleich mit dem manichischenGotte Ormuzd, der mit dem auffahrenden Urmenschen wiedervereinigt ein neuer Gott wird (oben S. 24), hat wohl jederLeser fr sich schon angestellt und empfunden, wie auch hierdie Erlsung der Einzelseele der Erlsung der Weltseelegleichgesetzt wird. Aber von der Erlsung der Einzelseele istin dieser jngeren Urkunde des Parsismus wirklich die Rede,und das Selbst ist schon indisch gesprochen der tman,nicht das tnu. So vergleiche ich hiermit den arabischenBericht des Fihrist ber Manis Seelenlehre, der sich ebenfallsmit dem Geschick der Individualseele beschftigt: Der Seeledes Vollendeten bringt ein Himmelsgeleit Lichtkranz, Him-melsgewand und die weiteren Gaben, die in den mandischenLiedern ebenfalls erscheinen; gefhrt wird es von der Jung-frau, welche der Seele dieses Vollendeten hnlichist, in ihrer Gestalt aber birgt sich der leitende Weise, alsoMani oder bei den Parsen Zarathustra. Fge ich noch hinzu,da in den zahlreichen entsprechenden Texten der Manderder Fhrer dieses Geleites Mand d'Haije, die ErkenntnisGottes^) und zugleich ,,der Mann" ist, aber immer wiederauch als Abbild^ der Seele bezeichnet wird, und da dieSeele von sich sagt:

    ^) hnlich, nur im Ausdrucl etwas anders ist die Erkennungs-szene in dem manichischen Mysterium; die indischen Parallelen sieheoben S. 17, L

    *) Das Wissen von den Leben (die Gnosis). Auch im Indischenwird ja brahman (Wissen) und purusha gleichgesetzt. Dem Iran ist dermit dem Urmensch verbundene AhuraMazda (Ormuzd) ,,der weise Herr".Das weist wenigstens auf die gleiche Bewertung, ja wohl auch auf diegleiche persnliche Auffassung des Wissens schon in der Frhzeit beiderReligionen.

    ') Ob dies Abbild der vorausgegangene Seelenteil oder ein himm-lisches Gegenbild ist, mchte ich, von Leisegang gewarnt, nicht mehrentscheiden. Vielleicht beides. Die Weltseele oder das Weltselbstweilt ja wie der purusha auch in uns.

  • Gedanken zur Entwicklung des Erlserglaubens. 39

    Ich gehe meinem Abbild entgegen,und mein Abbild geht mir entgegen;

    Es kt mich und herzt mich,als kehrte ich aus der Gefangenschaft zurck,"

    SO ist der eigentliche Grundcharakter und der iranische Ur-sprung dieser ganzen Erlsungslehre wohl selbst fr Skep-

    tiker nicht mehr zu bestreiten. Ob die Einzelheiten, die dabeihervorgetreten sind, uns helfen, die Grundvorstellung auf

    ihrer Wanderung nach Westen zu verfolgen, oder ob siegleichgltig sind, bitte ich den Leser nachzuprfen. Als Ge-samtanschauung stelle ich fest: Die Seele selbst ist Gott, undGott ist die Seele; der himmlische Teil erlst den in die Weltverbannten. Voraussetzungen sind die vllige Wesensgleich-

    heit beider im Anfang, die vllige Trennung beider durchden Sturz der Seele in die Materie, das Wunder einer vlligenWiedervereinigung. Der Gttermythos spiegelt und begrndetdie Hoffnung des einzelnen Menschen; Kosmologie und So-teriologie sind, weil die Seele ursprnglich als Allgemeinwesengefat wurde, untrennbar ineinander geflossen. Die Erlsungs-

    tat ist nur das Kommen des Lebens in das Reich des Todes,des Wissens in die Bewutlosigkeit, des Lichtes in die Finster-nis. Es gilt, nachzuprfen, ob sich aus dieser Gesamtanschau-ung auch die letzte groe Erlsungsreligion begreifen lt.^)

    Ich berspringe zunchst einmal eine Zwischenstufe undverfolge ein eigentmliches Weltbild, das sich aus dieser

    Gesamtanschauung entwickelt und uns am klarsten im Man-dismus vorliegt. Die Gottheit oder das Leben ist durchsieben Sphren, deren jede von einer teuflischen Macht be-herrscht wird