Ressourcenorientierung als Blickwinkel

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Ines Felber Matr. Nr. 08415479 Ressourcenorientierung als Blickwinkel Ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Science im Rahmen des Universitätslehrganges MSc Psychosoziale Beratung Wissenschaftliche Begutachterin: Univ.-Doz. DDr. Barbara Friehs Karl-Franzens-Universität Graz und UNI for LIFE [Innsbruck, Mai 2021]

Transcript of Ressourcenorientierung als Blickwinkel

Ines Felber

Matr. Nr. 08415479

Ressourcenorientierung als Blickwinkel

Ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch

Beratungslehrer*innen

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines

Master of Science

im Rahmen des Universitätslehrganges

MSc Psychosoziale Beratung

Wissenschaftliche Begutachterin: Univ.-Doz. DDr. Barbara Friehs

Karl-Franzens-Universität Graz

und UNI for LIFE

[Innsbruck, Mai 2021]

2

1 Danksagung

„Sich geborgen fühlen und angenommen sein sind Grundvoraussetzungen

für erfolgreiches Lernen. Aber in der Schule sind solche Emotionen oft regel-

recht tabu. Das ist nicht kindgerecht. Eltern haben eigentlich ein ganz gesun-

des Empfinden: Ein guter Lehrer ist einer, der Kinder gern hat und mit Kin-

dern gut umgehen kann.“ (Remo Lago)

Bedanken möchte ich mich bei meiner wissenschaftlichen Leiterin Univ.-Doz.

DDr. Barbara Friehs für ihre Hilfe und ihre Unterstützung. Ein weiteres, besonde-

res Dankeschön an meine Berater- und Teamkolleg*innen, die mit viel Engage-

ment und Freude im System Schule im Einsatz sind. Zuletzt möchte ich meiner

Tochter Karin danken, die mich bei meiner Arbeit mit viel Geduld und Humor be-

gleitet hat.

Abbildung 1: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 2: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung 3: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 4: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung

5: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 6: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung 7: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 8: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pix-abay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-antike-primitive-153863/Abbildung

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2 Abstract Deutsch

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Beratung von Lehrpersonen durch Be-

ratungslehrer*innen. Dabei liegt der Fokus der Ausführungen auf der Ressour-

cenorientierung im Beratungsprozess.

Ziel ist es, den Fragen nachzugehen, welche Herausforderungen und Chancen die

professionelle Beratung von Pädagoginnen und Pädagogen im System Schule

bietet. Des Weiteren sollen die Beratungsarbeit vorgestellt und ein grundlegendes

Verständnis dafür vermittelt werden.

Für die Beantwortung dieser Fragestellungen wurden Beratungslehrer*innen mit

mehrjähriger Berufserfahrung befragt. Sie weisen darauf hin, dass die Beratung

von Lehrpersonen im Schulalltag noch keine Selbstverständlichkeit ist.

Es bedarf einer professionellen Beratung und Begleitung von Lehrkräften, um not-

wendige Ressourcen zu erschließen, Handlungsstrategien und Lösungsmöglich-

keiten zu erarbeiten und selbständig umzusetzen.

Die Ergebnisse der Erhebungen unterstreichen die Notwendigkeit, die Weiterent-

wicklung und die Lebendigkeit in der Schule zu fördern, damit die Professionali-

sierung der Pädagog*innen zunimmt und ein achtsamer, wertschätzender Um-

gang mit Kindern und Jugendlichen im schulischen Kontext gelingen kann.

4

3 Abstract Englisch

This paper deals with the counselling of teaching personnel by guidance counsel-

lors. We place the focus on the orientation of resources in the counselling pro-

cess.

The objective is to investigate the challenges and opportunities presented in the

professional counselling of educators in the school system. Furthermore, we pre-

sent counselling work while conveying a fundamental understanding of the field.

To enable this, we surveyed experienced guidance counsellors. Those surveyed

made it clear that the counselling of teaching personnel in the school setting is

not a matter of course.

The professional counselling and support of teaching staff is necessary to de-

velop the necessary resources while independently creating and implementing

strategies for action and possible solutions.

The results of the survey highlight the need for further development and the pro-

motion of liveliness in the school setting to help increase educator professional-

ism to ensure mindful and appreciative communication with children and adoles-

cents in the school context.

5

Inhaltsverzeichnis

1 Danksagung 2

2 Abstract Deutsch 3

3 Abstract Englisch 4

4 Abbildungsverzeichnis 8

5 Einleitung 9

6 Beratung 11

6.1 Definition von Beratung 11

6.2 Systemisches Denken 12

6.3 Die lösungsorientierte Kurztherapie und lösungsfokussierte Beratung 13

6.4 Psychosoziale Beratung 13

6.5 Ressourcenorientierte Beratungskonzepte 14

7 Ressourcen 14

7.1 Was sind Ressourcen? 14

7.2 Ressourcenorientierung und Ressourcenaktivierung 15

7.2.1 Salutogenesemodell von Antonovsky 16

7.2.2 Kohärenzgefühl 16

7.3 Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung 17

8 Beratungslehrer*innen – ein schulisches Unterstützungssystem 18

8.1 Beratungsangebote an Schulen 18

8.2 Beratungslehrer*innen in Tirol – ein bundeslandspezifisches Angebot 19

8.2.1 Entwicklungsgeschichte 19

8.3 Beratungslehrer*innen im Schulsystem 20

8.3.1 Beispiele für die Beratungstätigkeit von Beratungslehrer*innen 21

8.4 Ausbildung und Kernkompetenzen von Beratungslehrer*innen 22

8.5 Beratungstätigkeit von Beratungslehrern 22

8.5.1 Betreuungsablauf 22

8.5.2 Betreuungsvoraussetzungen 23

6

8.5.3 Beratungs- und Betreuungstätigkeit 23

9 Beratung von Lehrpersonen 24

9.1 Ausgangslage 24

9.2 „Drei-Sparten-Beruf“ 24

9.3 Erziehungsauftrag/Beziehungskompetenz 26

9.4 Die Bedeutung der Beratung von Lehrpersonen 27

10 Ressourcenorientierte Beratung durch Beratungslehrer*innen 28

10.1 Begriffliche Unterscheidungen 28

10.1.1 Beratung und Coaching 28

10.1.2 Supervision 29

10.1.3 Psychotherapie 29

10.2 Prozess- und Wissensberatung 29

10.3 Die Berater*innenrolle 30

10.3.1 Schaffen von Möglichkeiten 31

10.3.2 Ressourcenorientierung 31

10.3.3 Unterstützen der Selbstwirksamkeit 32

10.4 Die Rolle des Beratungslehrers/der Beratungslehrerin 32

10.5 Der Beratungsprozess 33

10.6 Ressourcenorientierter Beratungsprozess 33

10.7 Auftragsklärung in der Beratung 34

10.8 Rahmenbedingungen 34

10.9 Die Kommunikation in der Beratung 35

10.10 Professionelle pädagogische Haltung 36

10.11 Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen 38

10.12 Professionalität im Lehrberuf und private Ressourcen 39

11 Empirischer Teil 42

11.1 Ablauf der empirischen Arbeit 42

11.2 Empirische Sozialforschung 43

11.2.1 Quantitative Forschung 43

11.2.2 Qualitative Forschung 44

11.3 Die Stichprobe der qualitativen Studie 45

7

11.4 Datenerhebung 46

11.4.1 Qualitative Einzelinterviews 46

11.4.2 Das Expert*inneninterview 47

11.4.3 Das Telefoninterview 47

11.4.4 Durchführung des Interviews 49

11.4.5 Auswertung der Interviews 50

11.5 Die Interviewpartner*innen 53

11.6 Kategorienbildung 56

12 Darstellung der Ergebnisse 57

12.1 Herausforderungen 57

12.1.1 Auftrag 57

12.1.2 Erstgespräch 59

12.1.3 Beratungsverlauf 60

12.1.4 Äußeres Setting 64

12.2 Chancen 65

12.2.1 Auftrag 65

12.2.2 Erstgespräch 66

12.2.3 Beratungsverlauf 67

12.2.4 Äußeres Setting 72

12.3 Empfehlungen 73

12.3.1 Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen 73

12.3.2 Empfehlungen für die Beratungspraxis 75

13 Resümee 76

13.1 Zu den Forschungsfragen 76

14 Literaturverzeichnis 80

8

4 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zitronenfalter auf Blatt, Quelle: eigene Darstellung 2

Abbildung 2: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/petroglyph-

arizona-antike-primitive-153863 11

Abbildung 3: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:

https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/ 17

Abbildung 4: Sonne stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/sonne-

petroglyph-primitive-spirale-155573/ 23

Abbildung 5: LehrerIn als Drei-Sparten-Beruf, Quelle: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum professionellen

Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett. 25

Abbildung 6: SmartArt zur Professionalität, Quelle: in Anlehnung an: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum

professionellen Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett. 38

Abbildung 7: SmartArt zu den schulischen Facetten von Professionalität, Quelle: Frank, H. (2010).

Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer-Ratgeber mit Sofortwirkung und

Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius.; Bild in den Kugeln aus eigener Darstellung 40

Abbildung 8: SmartArt Private Ressourcen, Quelle: adaptiert nach: Frank, H. (2010). Lehrer am Limit:

Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer Ratgeber mit Sofortwirkung und Langzeiteffekt. Beltz

GmbH, Julius., Bild im Hintergrund aus eigener Darstellung 41

Abbildung 9: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-

tribal-celtic-spirale-pagan-23396/ 56

Abbildung 10: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:

https://pixabay.com/de/illustrations/schildkröte-tribal-design-symbol-948263 75

Abbildung 11: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an:

https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684 79

9

5 Einleitung

Als junge Pädagogin merkte ich schnell, dass ich mit der Kategorisierung meiner

Schüler*innen im Sinne einer defizitorientierten Pädagogik nicht umgehen konnte.

Durch meine Ausbildung zur Beratungslehrerin bekam ich die Möglichkeit, mich zu

spezialisieren und ressourcen-, ziel- und lösungsorientiert im System Schule zu

arbeiten.

Als langjährige Mitarbeiterin im Leitungsteam der Beratungslehrer*innen Tirols

konnte ich Aufbau, Struktur und Professionalisierung des Beratungslehrer*innen-

Systems mitgestalten. Meine aktuelle berufliche Tätigkeit als Diversitätsmanagerin

in der Bildungsdirektion im Fachbereich Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik

ermöglicht mir nun, vorhandene Gegebenheiten zu nutzen und gleichzeitig zu se-

hen, was es an Spielräumen im Schulsystem gibt – wo man mitdenken und etwas

Neues und Wertvolles schaffen kann – mit dem Ziel, qualitativ hochwertige Bera-

tung und Unterstützung in der Bildungsregion anzubieten.

Der Fokus meiner Arbeit richtet sich auf die ressourcenorientierte Beratung von

Lehrpersonen, die Förderung ihres Selbstgefühls und die Stärkung ihrer persönli-

chen Kompetenzen. In der ressourcenorientierten Beratung wird davon ausgegan-

gen, dass die Anforderungen an die Pädagog*innen wachsen. Fehlen persönliche

Kompetenzen und soziale Ressourcen, gewinnt die professionelle Beratung an

Bedeutung, sowohl bei der Entwicklung von Problembewältigungsstrategien als

auch bei der Nutzung von Chancen und bei der Motivation neue Wege zu gehen

(vgl. Sickendiek et al 2008, S. 210).

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen nicht Beratungsmethoden und Beratungstech-

niken von Beraterinnen und Beratern. Erfahrene Berater*innen wählen verschie-

dene Unterstützungsstrategien und Handlungstechniken aus, um Ratsuchende

möglichst souverän und effektiv begleiten zu können. Mein Anliegen ist es viel-

mehr, Einblick in die Beratungspraxis zu vermitteln. In der Fachliteratur von Schu-

bert, Rohr und Zwicker-Pelzer (Schubert et al, 2019) wird auf ressourcenorientierte

Beratungsansätze konkret eingegangen:

10

„Dieser Ansatz vermittelt eine Erweiterung der Blickrichtung in der Be-

ratung von einer Defizit- und Belastungsorientierung auf die wirkmäch-

tige Erfassung und Aktivierung von Ressourcen und ist zunehmend als

Querformat zu den vorab thematisierten Beratungsansätzen zu verste-

hen: Nahezu alle Beratungsansätze verfolgen gegenwärtig eine res-

sourcenorientierte Denk- und Handlungsweise“ (Schubert et al 2019,

S.64).

Diese Masterarbeit besteht aus einem theoretischen Teil, der sich mit der Fachli-

teratur thematisch auseinandersetzt, und aus einem empirischen Teil, in dem die

im Rahmen der Arbeit durchgeführten Befragungen dargestellt und erläutert wer-

den.

Im ersten Kapitel wird der Begriff der Beratung definiert, es wird die lösungsorien-

tierte Kurztherapie von Steve de Shazer beschrieben und auf ressourcenorien-

tierte Beratungskonzepte eingegangen. Das zweite Kapitel setzt sich mit mögli-

chen Ressourcen, der Ressourcenorientierung und der Aktivierung von Ressour-

cen auseinander. Dabei wird die defizitorientierte Denkweise im System Schule

thematisiert. Im darauf folgenden Kapitel wird das schulische Unterstützungssys-

tem der Beratungslehrer*innen vorgestellt und die Beratungspraxis konkretisiert.

Das vierte Kapitel richtet den Fokus auf die Beratung von Lehrpersonen. Es wer-

den die Grundkompetenzen von Lehrer*innen erläutert und es wird der Erzie-

hungsauftrag in der Schule angesprochen. Das nächste Kapitel widmet sich der

ressourcenorientierten Beratung durch Beratungslehrer*innen. Dabei wird sowohl

auf die Rolle der Beratungsperson als auch auf den Beratungsprozess eingegan-

gen.

Anschließend wird zuerst der Ablauf der wissenschaftlichen Arbeit erläutert und

die Interviewpartner*innen werden beschrieben. Im siebten Kapitel sind die Ergeb-

nisse der Erhebung dargestellt. Dabei zeigt sich eine grundlegende Haltung von

Beratungslehrer*innen: Kinder brauchen Lehrpersonen, die sich Zeit nehmen und

Kinder so annehmen, wie sie sind. Eine wohlwollende, positive gegenseitige Be-

ziehung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes Lernen in der

Schule. Abschließend werden im letzten Kapitel die gestellten Forschungsfragen

beantwortet und zusammengefasst.

11

6 Beratung

6.1 Definition von Beratung

In der Literatur finden sich unterschiedliche, voneinander abweichende Definitio-

nen des Begriffs Beratung. Für die vorliegende Arbeit wurden repräsentativ drei

Zitate ausgewählt.

Unter Beratung verstehen Schubert, Rohr und Zwicker: „[...] ein interdisziplinäres

Denk- und Handlungskonzept, eine praxisbezogene Wissenschaft, die ihren Be-

zug und ihre Begründung in vielen menschlich relevanten Lebenssituationen hat

und damit eine personen- und kontextbezogene Dienstleistung von großer Reich-

weite ist“ (Schubert et al. 2019, S. 21).

Sickendiek, Engl und Nestmann definieren den Beratungsbegriff wie folgt:

„Beratung ist zunächst eine Interaktion zwischen zumindest zwei Betei-

ligten, bei der die beratende(n) Person(en) die Ratsuchende(n) – mit

Einsatz von kommunikativen Mitteln – dabei unterstützen, in bezug [sic!]

auf eine Frage oder auf ein Problem mehr Wissen, Orientierung oder

Lösungskompetenz zu gewinnen. Die Interaktion richtet sich auf kogni-

tive, emotionale und praktische Problemlösung und -bewältigung von

KlientInnen oder Klientensystemen (Einzelpersonen, Familien,

Abbildung 32: Spirale stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/petroglyph-arizona-

antike-primitive-153863/

12

Gruppen, Organisationen) sowohl in lebenspraktischen Fragen wie

auch in psychosozialen Konflikten und Krisen“ (Sickendiek et al. 2008,

S.13).

Für Bamberger heißt Beratung, „die Verhaltensoptionen eines Klienten zu erwei-

tern und ihm so in Teilen seines Lebens gewünschte Veränderungen zu ermögli-

chen “ (Bamberger 2005, S. 35).

In den unterschiedlichen Beratungsdefinitionen ist ein gemeinsames Ziel für Bera-

tung erkennbar. Der/Die Ratsuchende wird durch die Erweiterung seiner Entschei-

dungs- und Handlungsmöglichkeiten befähigt, seine/ihre Probleme eigenständig

zu lösen und die dafür erforderlichen Ressourcen zu nutzen.

Systemische und lösungsorientierte Beratungsansätze bilden die Grundlage der

Beratungslehrerarbeit. Es wird davon ausgegangen, dass jede/r Beratungs-leh-

rer*in systemisches Arbeiten in seinen/ihren Ausbildungen erlernt hat und in der

Beratung anwendet. Ressourcenorientierte Beratung richtet als Querformat den

Blick auf die Feststellung und die Aktivierung von Ressourcen und stellt in der

Schule eine weitere Form der Beratung dar.

6.2 Systemisches Denken

Seit den 1950er Jahren stehen nicht mehr ausschließlich das Objekt und seine

Eigenschaften im Fokus der Wissenschaft. Der Blick richtet sich immer mehr auf

die Interaktion von Objekten, die zusammen eine Einheit, ein System, bilden (vgl.

Simon & Retzer 1998, S. 65 zit. nach Bamberger 2005, S. 5). Im Zentrum des

systemischen Ansatzes stehen also die Ratsuchenden und ihre Interaktionsmus-

ter. Das Interesse richtet sich auf das interpersonelle Geschehen, die Kommuni-

kation und die Regeln, die in einem System gelten. Durch verschiedene Frage-

techniken und Methoden wird versucht, Muster zu erkennen und zu verändern (vgl.

Bamberger 2005, S. 8).

13

Folgende Punkte sind ausschlaggebend für eine erfolgreiche Beratung:

• Die Berater*innen befindet sich in wertschätzender Interaktion mit den Rat-

suchenden, um neue Perspektiven zu entwickeln und Lösungen zu erarbei-

ten.

• Beratung ist keine Einzelberatung, sie bezieht den Alltag und die Arbeits-

welt des/der Ratsuchenden mit ein.

• Förderlich ist die Ressourcenaktivierung in der Beratung, also das Erken-

nen und Aktivieren von Ressourcen für den Lernprozess des Ratsuchenden

(vgl. Petzold 2005, S.170f, zit. nach Trentinaglia 2012, S. 21).

6.3 Die lösungsorientierte Kurztherapie und lösungsfokussierte

Beratung

Steve de Shazer und Insoo Kim Berg gelten als Begründer der lösungsorientierten

Kurztherapie. Beide versuchen in ihrer Arbeit, Klient*innen zu befähigen, sich in

der Therapie von Beginn an auf Lösungen zu konzentrieren. Sie stellen fest, dass

in fast jedem Problem Lösungsansätze enthalten sind. Eine Fokussierung auf die

Ausnahmemomente von Problemen führt am schnellsten zur Auflösung des Prob-

lems. Kurztherapie bedeutet auch, sich so früh wie möglich auf die bei den Kli-

ent*innen vorhandenen Stärken und Kompetenzen zu konzentrieren. In der The-

rapie werden Ideen und Anregungen erarbeitet, die Entwicklungsprozesse beim

Klienten aktivieren. Dabei bleiben die Klient*innen Expert*innen für ihre Situation

und für die Lösung vorliegender Schwierigkeiten (vgl. Steiner/Berg 2006, S. 24ff.).

6.4 Psychosoziale Beratung

Trentinaglia stellt fest, dass ein Schwerpunkt der Beratungsarbeit auf der psycho-

sozialen Beratung liegt. Die psychischen und sozialen Bedürfnisse des Menschen

werden von seinen Lebensbedingungen beeinflusst. Der Mensch wird daher in In-

teraktion mit seiner Umwelt wahrgenommen. Im Fokus der Beratung stehen nicht

nur die Probleme eines Ratsuchenden und die Entwicklung von Bewältigungsstra-

tegien. Psychosoziale Beratung setzt auch am Ressourcenkonzept an. Der Blick

14

wird auf die persönlichen und die Umweltressourcen der zu Beratenden gelenkt

(vgl. Trentinaglia 2012, S. 22ff.).

6.5 Ressourcenorientierte Beratungskonzepte

Professionelle ressourcenorientierte Beratungskonzepte werden für Menschen

umso bedeutsamer, je weniger bekannte Bewältigungsressourcen ihnen zur Ver-

fügung stehen. Gerade die moderne Zeit ist geprägt von neuen Herausforderun-

gen. Die Alltagsbewältigung, die Gestaltung von sozialen Beziehungen, die Selbst-

verwirklichung, generell ihr Leben zu gestalten, können Menschen verunsichern

und zu einer inneren und äußeren Desorientierung führen. Ressourcenorientierte

Beratung kann hier emotionale, kognitive und handlungsorientierte Anstrengungen

unterstützen und den Menschen bei der Ausgestaltung neuer Erfahrungsräume

behilflich sein (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 210).

7 Ressourcen

7.1 Was sind Ressourcen?

Grundsätzlich werden Ressourcen in materielle bzw. immaterielle Ressourcen ein-

geteilt. Zu den materiellen Ressourcen gehören Einkommen, Wohnraum und öko-

logisches Umfeld. Bei den immateriellen Ressourcen wird besonders in der psy-

chosozialen Beratung zwischen personalen, im Menschen liegenden Ressourcen,

und Umweltressourcen unterschieden. Unter Umweltressourcen werden z.B. zwi-

schenmenschliche und soziale Ressourcen, aber auch Bildung, Gesundheit und

soziale Vernetzung verstanden. Personale Ressourcen sind persönliche Stärken,

Fähigkeiten und Kompetenzen wie Selbstwertschätzung, emotionale Ausgegli-

chenheit und aktive Auseinandersetzung mit Lebensanforderungen. Diese Res-

sourcen beeinflussen sich wechselseitig (vgl. Schubert et al. 2019, S.131ff.).

15

Bamberger (2005) definiert Ressourcen wie folgt:

„Das können Fähigkeiten, Fertigkeiten, Begabungen, Talente, Kennt-

nisse, Geschicklichkeiten [sic!], Tugenden, Erfahrungen, Gewohnhei-

ten, Regeln, Erfolge, Interessen, Bedürfnisse, Motive, Überzeugungen,

Glaubenssätze, Einstellungen, Werthaltungen, Ideale, Wünsche, Er-

wartungen, Hoffnungen, Visionen, Intentionen, Kontakte, Beziehungen,

Bindungen, Loyalitäten, Allianzen, Einflüssen usw. sein – also Ressour-

cen, die in der Person des Klienten liegen, oder solche, die der soziale

Kontext bietet, in dem der Klient lebt: persönliche/soziale bzw. intrapsy-

chische/inter-personelle Ressourcen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie

Optionen für den Klienten bieten, Bedürfnisse zu befriedigen und defi-

nierte Ziele zu realisieren, und ihn so voranbringen können [...] Res-

sourcen sind all das, was den Klienten ausmacht und sein Leben ir-

gendwie beeinflusst.“ (Bamberger 2005, S. 35f)

7.2 Ressourcenorientierung und Ressourcenaktivierung

Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer (2019, S.133f) unterscheiden in ihrer Arbeit

zwischen der Ressourcenorientierung und der Aktivierung von Ressourcen.

Ressourcenorientierung beschreibt in der Beratung eine Arbeitsweise, die Res-

sourcen und Stärken von Menschen in den Mittelpunkt stellt. Grundsätzlich wird

davon ausgegangen, dass der Mensch die Ressourcen, die er für ein erfülltes Le-

ben benötigt, in sich trägt. Die Rolle der Berater*innen ist dadurch gekennzeichnet,

dass sie den Menschen auf seinem Weg begleiten (vgl. Schubert et al. 2019,

S.133f).

Unter Ressourcenaktivierung ist eine spezielle Verfahrensweise zu verstehen, die

sowohl in der Beratung als auch in der Therapie gezielt eingesetzt wird. Die Bera-

ter*innen lenken den Fokus der Klient*innen auf deren Ressourcen und beziehen

sie in den gesamten Beratungsprozess ein. Die Ressourcen können durch diag-

nostische Verfahren wie z.B. systematisierte Interviews oder Fragebogenverfah-

ren oder aus den Gesprächen mit Klient*innen erfasst werden (ebd.).

16

Neurowissenschaftliche Forschungen bestätigen die positiven Auswirkungen von

ressourcenaktivierenden Interventionen in der Beratung:

„Unter Ressourcen werden neuronale Erregungsmuster verstanden,

die im Hinblick auf die Absichten, welche die KlientInnen im Laufe ihrer

Entwicklung verfolgen, unterstützend wirken können.“ (Storch, Kraus

2003, S. 19)

Grawe betont, dass eine zu lange Analyse von Problemen eine Neubildung von

positiveren, neuronalen Erregungsmustern verhindert (vgl. Grawe 2004, S. 56, zit.

nach Bamberger 2005, S. 24).

7.2.1 Salutogenesemodell von Antonovsky

Ressourcenorientierung weist entstehungsgeschichtlich einige Berührungspunkte

mit dem gesundheitsorientierten Ansatz der Salutogenese auf. Aaron Antonovsky

(1923 – 1994) konzentrierte sich nicht auf Krankheiten und ihre Ursachen. Er wen-

dete sich von der pathogenetischen Sichtweise der Medizin ab und beschäftigte

sich mit der Frage, was den Menschen trotz verschiedener Risikofaktoren gesund

erhält. Seine Forschungen führten zu einem Perspektivenwechsel. Die Salutoge-

nese richtet den Blick auf gesunderhaltende Faktoren und mögliche Bewältigungs-

strategien für eine gelingende Lebensgestaltung (vgl. Bamberger 2005, S. 30).

7.2.2 Kohärenzgefühl

Der Begriff „kohärent“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „zusammenhän-

gend.“ (Österreichisches Wörterbuch 2012, S. 397) Für Antonovsky ist das Kohä-

renzgefühl das Kernthema der Salutogenese. Er versteht darunter eine emotionale

sowie kognitive Lebenseinstellung des Menschen, die den Gesundheits- und

Krankheitszustand beeinflusst. Je stärker das Gefühl der Zuversicht und das

grundsätzliche Vertrauen in das Leben sind, desto höher ist die Wahrscheinlich-

keit, dass der Mensch gesund wird bzw. bleibt (ebd.).

17

Bamberger unterscheidet drei Komponenten, die das Kohärenzgefühl definieren:

• Verstehbarkeit:

Verstehbarkeit befasst sich mit dem Gefühl und mit dem Vertrauen darauf,

individuelle Anforderungen des Lebens verstehen und erklären zu können.

• Handhabbarkeit:

Unter Handhabbarkeit versteht man die Zuversicht des Menschen, über alle

notwendigen Möglichkeiten und Ressourcen zu verfügen, um das Leben

bewältigen und persönlich gestalten zu können.

• Bedeutsamkeit:

Bedeutsamkeit beschreibt das Gefühl, wieweit der Mensch das eigene Le-

ben als sinnvoll und wertvoll wahrnimmt und das Vertrauen, dass sich En-

gagement im Leben lohnt

(vgl. Bamberger 2005, S. 31)

7.3 Ressourcenorientierung statt Defizitorientierung

Ressourcenorientierte Beratung nimmt von der Fokussierung der defizitorientier-

ten Beratung auf bestehende Probleme und Störungen Abstand und richtet den

Blick vielmehr auf die Ressourcen von Ratsuchenden und deren Umwelt. Dieser

Perspektivenwechsel soll Personen dabei unterstützen, ihre Begabungen und

Stärken zu entfalten. Die Ressourcenperspektive erweitert und ergänzt beste-

hende Defizitdiagnosen und zeigt positive Entwicklungsmöglichkeiten von Ratsu-

chenden auf. Sickendiek, Engel und Nestmann weisen darauf hin, dass Beratung

eine vermehrte Ressourcensensibilität von den Berater*innen erfordert (vgl. Si-

ckendiek et al. 2008, S. 215, ff.).

Abbildung 33: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-le-

guan-antike-tier-152684/

18

Zusammenfassung

Ressourcenorientierte Beratung setzt grundsätzlich in jenen Bereichen des Le-

bens an, in denen Menschen nur unzureichend über persönliche oder gesellschaft-

liche Ressourcen verfügen, um ihr Leben sinnvoll gestalten zu können. Die Bera-

tung konzentriert sich nicht auf Probleme und Defizite – das Erkennen und Akti-

vieren von Ressourcen steht im Mittelpunkt der Arbeit. Eine ressourcenorientierte

Denkweise findet sich heute in vielen Beratungsansätzen und öffnet den Blick in

der Beratung. Wie Schubert betont: „Die Arbeit mit Ressourcen ist somit ein zent-

raler Ansatz in den Handlungsfeldern von Beratung.“ (Schubert 2019, S. 130)

8 Beratungslehrer*innen – ein schulisches Unterstüt-

zungssystem

8.1 Beratungsangebote an Schulen

Das österreichische Schulsystem bietet verschiedene Beratungsangebote für

Schulen an. In den letzten Jahren haben sich dort im Wesentlichen folgende psy-

chosoziale Beratungsprofessionen etabliert:

Beratungslehrer*innen und Psychagog*innen, Schüler- und Bildungsbera-ter*in-

nen, die Schulpsychologie und Schulärzt*innen. Ergänzend dazu steht die

Schulsozialarbeit einigen Schulen zur Verfügung, während Jugendcoaches Schü-

ler*innen und außerschulische Jugendliche ab dem 9. Schulbesuchsjahr beraten.

„Ziel der psychosozialen, wie auch der pädagogischen und gesund-

heitsfördernden Beratung und Begleitung ist es […], die Lern- und Bil-

dungsfähigkeit der Heranwachsenden unter sich rasant verändernden

gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu fördern bzw. wiederherzu-

stellen [...].

Die Aufgabe von Beratenden an Schulen könnte man so verallgemei-

nern, dass diese weitgehend reibungslosen, schulischen Abläufe und

damit Lehrer/innen in ihrer Tätigkeit unterstützen, bei Konfliktsituatio-

nen oder problematischen Gegebenheiten intervenieren, gemeinsam

19

mit den Betroffenen Lösungsvorschläge erarbeiten und Schüler/innen

im Bedarfsfall adäquate Hilfe und individuelle Unterstützung ermögli-

chen.“

(Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S. 7)

8.2 Beratungslehrer*innen in Tirol – ein bundeslandspezifisches

Angebot

8.2.1 Entwicklungsgeschichte

Bereits 1983 startete Tirol mit einem mobilen Schulversuch. Erstmals wurde ein

Sonderpädagoge der Landes-Sonderschule für hörgeschädigte Kinder in Mils vom

Unterricht freigestellt, um Lehrpersonen an Allgemeinen Pflichtschulen im Bedarfs-

fall zu beraten und sonderpädagogische Unterstützung zur Verfügung zu stellen.

Aus dieser integrativen Idee entwickelte sich ein bundeslandweites Beratungsan-

gebot für Schulen. Ab dem Herbst 1989 konnten Schulen Lehrer*innen mit Zu-

satzqualifikationen für den Bereich Entwicklungsverzögerungen und Lernschwä-

chen und für den Bereich Verhaltensauffälligkeiten anfordern. Die Beratungsleh-

rer*innen für Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen und Lern-

schwächen bildeten bald die Gruppe der Lehrpersonen, die – einer Stammschule

zugeordnet – mobil in einem Bezirk tätig waren. Ergänzt wurde das Beratungsan-

gebot durch Beratungslehrer*innen für Sinnes- und Körperbehinderungen in den

Bereichen Hören und Sehen sowie im Bereich Körperbehinderung. Sie waren als

Sonderpädagog*innen überregionalen Sonderpädagogischen Zentren ange-

schlossen und Ansprechpartner*innen für fachspezifische Beratung an Schulen

(vgl. Trentinaglia 2012, S. 47ff.).

Von Beginn an arbeiteten die Beratungslehrer*innen an einer klaren Organisati-

onsstruktur. Die informelle Koordination wurde zuerst von einer Einzelleitung über-

nommen, änderte sich jedoch mit der wachsenden Zahl der Beratungslehrer*in-

nen. Aus dem Schulversuch entwickelte sich unter der Leitung von engagierten

Leitungs- und Koordinationsteams ein tirolweites Beratungs- und Unterstützungs-

system für Schulen (vgl. Trentinaglia 2012, S. 61ff.).

20

Im Herbst 2016 wurde in Tirol mit Unterstützung der Tiroler Landesregierung das

Konzept der Pädagogischen Beratungszentren – Modell Tirol umgesetzt. In allen

Bildungsregionen wurden Pädagogische Beratungszentren eingerichtet. Damit

übernahmen diese Zentren die Koordination der Beratung bei pädagogischen Her-

ausforderungen an den Schulstandorten und die Koordination der Beratungsleh-

rer*innen einer Bildungsregion (vgl. Konzept Modell Tirol 2016, S. 2 ff.).

Ergänzend dazu aus dem Grundlagenpapier zur Entwicklung eines Leitbildes für

inklusive Bildung in Tirol vom November 2015:

„BeratungslehrerInnen leisten seit vielen Jahren einen wichtigen Bei-

trag in den Tiroler Schulen. Mit der Zuordnung der Beratungslehrerin-

nen [sic!] zu den Pädagogischen Beratungszentren hat auch in diesem

Feld die Neustrukturierung der regionalen schulinternen Unterstüt-

zungssysteme begonnen. Qualitätsvolle Zusammenarbeit und der Auf-

bau dezentraler Strukturen, die die Beratungsangebote langfristig absi-

chern, sind die wichtigsten Ziele.“ (Landesschulrat für Tirol Grundlagen-

papier zur Entwicklung eines Leitbildes für inklusive Bildung in Tirol

2015, S. 5 f)

Im Zuge der aktuellen Bildungsreform und der Umsetzung der Bildungsdirektionen

in allen Bundesländern wurden die Aufgaben der Pädagogischen Beratungszen-

tren und damit die Koordination der Beratungslehrer*innen von den Referent*innen

des neu eingerichteten Fachbereichs Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik

übernommen. Eine der Kernaufgaben im Fachbereich wurde die „Mitwirkung in der

Begleitung von Schulen und von Cluster- und Schulleitungen in allen Fragen der

Inklusion/Diversität/Sonderpädagogik“ (Aufgaben und Strukturkonzept des Bun-

desministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2018, S. 35).

8.3 Beratungslehrer*innen im Schulsystem

Beratungslehrer*innen unterstützen Kinder und Jugendliche bei schulischen

Schwierigkeiten und in sozial herausfordernden Entwicklungsphasen. Sie beraten

und begleiten Lehrpersonen und Eltern, leisten Präventionsarbeit und vernetzen

21

sich mit schulischen und außerschulischen Unterstützungssystemen (vgl. Tren-

tinaglia 2012, S.76).

8.3.1 Beispiele für die Beratungstätigkeit von Beratungslehrer*innen

Der Tätigkeitsbereich der Beratungslehrer*innen umfasst zahlreiche Aufgaben.

Sie:

• sind Ansprechpartner*innen bei Lernschwierigkeiten und Lernstörungen

von Schüler*innen

• unterstützen Kinder und Jugendliche bei sozialen und emotionalen Proble-

men

• entwickeln mit Lehrpersonen individuelle Förder- und Betreuungskonzepte

und unterstützen sie bei deren Umsetzung

• setzen mit Lehrpersonen entwicklungsfördernde pädagogische Konzepte

um

• begleiten Lehrpersonen bei der Einrichtung einer inklusiven Lernumgebung

für Kinder und Jugendliche

• arbeiten mit einzelnen Schüler*innen oder Schülergruppen zur Verbesse-

rung des Lern- und Klassenklimas

• leisten Krisenintervention sowie Gewaltprävention

• führen Beratungsgespräche mit Lehrpersonen, Eltern und Erziehungsbe-

rechtigten und beraten bei Anliegen im systemischen Kontext

• beraten Lehrpersonen ziel- und ressourcenorientiert

• nehmen an Helferkonferenzen teil

• arbeiten mit der Schulpsychologie, der Kinder- und Jugendhilfe sowie wei-

teren Unterstützungssystemen zusammen

(vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S 15)

22

8.4 Ausbildung und Kernkompetenzen von Beratungslehrer*in-

nen

Beratungslehrer*innen haben ein Pflichtschullehramt mit mehrjähriger Berufser-

fahrung. Neben den fachspezifischen Kompetenzen in den einzelnen Aufgaben-

bereichen absolvieren sie eine mehrjährige, berufsbegleitende Zusatzausbildung

mit dem Schwerpunkt pädagogische, sonderpädagogische sowie systemische Be-

ratung.

Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Konfliktfähigkeit und die Be-

reitschaft zur Supervision und Selbstreflexion zählen zu den Voraussetzungen für

die Arbeit als Beratungslehrer*in. Besonders im Bereich Verhalten sind Erfahrun-

gen im psychosozialen Bereich, ergänzende persönliche Ausbildungen im Bereich

Beratung oder mögliche psychotherapeutische Ausbildungen erwünscht. In den

Bereichen Entwicklungsverzögerung und Lernschwächen und im Bereich Inklusi-

onsberatung sind schwerpunkmäßige Fortbildungen in den einzelnen Fachberei-

chen grundlegende Voraussetzungen. (vgl. Trentinaglia 2012, S. 81f)

8.5 Beratungstätigkeit von Beratungslehrern

Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Entwicklungsaufgaben zu bewäl-

tigen. Sie brauchen professionelle Unterstützung bei Herausforderungen, mit de-

nen sie noch nicht selbstständig umgehen können. Beratungslehrer*innen unter-

stützen Kinder und Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf sowie und

beraten Lehrpersonen, Eltern und Helfersysteme.

8.5.1 Betreuungsablauf

Die Kontaktaufnahme erfolgt über einen persönlichen Kontakt oder mit Hilfe eines

Anmeldeformulars über den Fachbereich Inklusion, Diversität und Sonderpädago-

gik. Die offene, niederschwellige Form der Kontaktaufnahme erfordert eine gute

Organisation. Der Fachbereich koordiniert die Beratungslehrer*innen in der Bil-

dungsregion und steht in engem Austausch mit den Schul- und Clusterleitern.

23

8.5.2 Betreuungsvoraussetzungen

Für die Betreuung braucht es das Einverständnis aller Beteiligten. Freiwilligkeit

und Vertraulichkeit sind für die Beratung und Betreuung selbstverständlich.

Beratungslehrer*innen arbeiten präventiv und zielgerichtet intervenierend. Es

braucht keine bescheidmäßige Feststellung eines Sonderpädagogischen Förder-

bedarfs und die damit einhergehende Etikettierung von Kindern und Jugendlichen,

um eine Betreuung zu ermöglichen.

8.5.3 Beratungs- und Betreuungstätigkeit

Beratungslehrer*innen sind Lehrpersonen mit Zusatzqualifikationen und dürfen je-

derzeit Klassen besuchen. Sie haben die Möglichkeit, schon in der Beobachtungs-

phase den Unterricht zu begleiten und Lehrpersonen und Schüler*innen zu unter-

stützen. Persönliche Beobachtungen, mögliche Abklärungen der Ursachen von

schulischen Problemen, vorliegende Befunde und diverse Daten von Schüler*in-

nen bilden die Grundlage für weitere Betreuungsschritte.

Eine prozess- und ressourcenorientierte Diagnostik wird erstellt, und ein darauf

basierendes individuelles Förderkonzept für das Kind gemeinsam mit den Lehr-

personen erarbeitet und umgesetzt. Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern wird

angestrebt. Die Betreuung des Kindes findet während der Unterrichtszeit statt,

häufig in der Klasse oder bei Bedarf im Einzelsetting. Dauer und Frequenz richten

sich nach den Bedürfnissen des Kindes (vgl. Trentinaglia 2012, S. 80f).

Abbildung 34: Sonne stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/sonne-petroglyph-primi-tive-spirale-155573/

24

9 Beratung von Lehrpersonen

Die Lebensbereiche der westlichen Gesellschaft verändern sich in den letzten Jah-

ren immer schneller. Im Zuge dessen wandeln sich auch die Rahmenbedingungen

für Bildung und Erziehung laufend und damit die Anforderungen für Lehrende.

9.1 Ausgangslage

Unter Schule versteht man einen Lernort, an dem Unterrichten, also gezieltes und

geplantes klassen-, gruppen- und projektorientiertes Lehren, und Lernen im Mit-

telpunkt stehen, sowie Kinder und Jugendliche in der Gegenwart begleitet und für

die Zukunft vorbereitet. Dies zeigt, wie komplex, umfangreich und anstrengend der

Lehrberuf sein kann. Die praktische Berufstätigkeit der Lehrperson erfordert ein

hohes Maß an Professionalität. Eine Schule braucht Lehrer*innen, die fähig sind,

ihre Schüler*innen zu beobachten, um deren Lernpotenzial zu erkennen und zu

fördern, die fachkundig unterrichten und sich bei ihren Unterrichtsmethoden an der

Vielfalt der Schüler*innen orientieren. Es braucht außerdem Lehrkräfte, denen es

gelingt, die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Umwelt zu konfrontieren, um sie bei

der Bewältigung ihrer Lebenswirklichkeit zu unterstützen (vgl. Miller 2006, S. 8).

9.2 „Drei-Sparten-Beruf“

Für Miller ist der Lehrberuf ein Drei-Sparten-Beruf. Er unterscheidet drei Grund-

kompetenzen die den Lehrberuf so interessant und abwechslungsreich, aber auch

so anstrengend und herausfordernd machen:

• Selbst–Kompetenz: Wie nehme ich mich wahr?

(z.B. Belastbarkeit, Selbstbewusstsein, Abgrenzungsfähigkeit)

• Beziehungs-Kompetenz: Wie begegne ich anderen Menschen?

(z.B. Einfühlungsvermögen, Konfliktfähigkeit, Dialogfähigkeit)

• Sach-/Fach-Kompetenz: Welches Wissen brauche ich?

(Grundlagenwissen, Methodenkompetenz, Lehrfähigkeit)

(vgl. Miller 2006, S. 18)

25

Im Schulalltag werden die drei Grundkompetenzen von Lehrpersonen sichtbar.

Lehrer*innen mit einer starken Persönlichkeit können auf Kinder und Jugendliche

eingehen und sind fähig, eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen. So lernen die

Lehrpersonen ihre Schüler*innen kennen und bekommen die Möglichkeit, Wissen

zu vermitteln und Kinder und Jugendliche beim Lernen zu begleiten (vgl. Miller

2006, S. 8ff.).

Jasper Juul beschreibt die Entwicklung der eigenen Lehrerpersönlichkeit als einen

fortlaufenden Prozess. Lehrpersonen sind, abgesehen von den Eltern, die wich-

tigsten Erwachsenen in der Welt vieler Kinder und Jugendlicher. Ihre Aufgabe be-

steht nicht nur in der Wissensvermittlung, sondern es geht ebenso darum, junge

Menschen bestmöglich zu begleiten, damit sie Lebensfreude und soziale Kompe-

tenzen entwickeln können. Juul bezeichnet die Jahre, in denen ein Kind die Schule

besucht, als eine prägende Zeit, wesentlich für sein Selbstbild und sein

Abbildung 35: LehrerIn als Drei-Sparten-Beruf, Quelle: Miller, R. (2006). 99 Schritte zum professionellen Lehrer (3. Aufl.). Kallmeyer in Verbindung mit Klett.

26

Selbstgefühl. Lehrer*innen haben darauf einen erheblichen Einfluss. Der Autor

schlägt vor, sich als Erstes an der Leidenschaft und Freude der Kinder und Lehr-

personen zu orientieren und darauf zu vertrauen, dass die Schüler*innen in zehn

Jahren dennoch das Wissen erwerben werden, das sie für ihre Zukunft brauchen

(vgl. Juul 2013, S. 158ff.).

9.3 Erziehungsauftrag/Beziehungskompetenz

Der Erziehungsauftrag der Schule ist in Österreich im Schulorganisationsgesetz §

2 gesetzlich verankert. Das bedeutet, dass Lehrpersonen neben der Wissensver-

mittlung auch erzieherische Aufgaben übernehmen und für die individuelle und

soziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen verantwortlich sind.

„Jeder, der auch nur fünf Minuten gemeinsame Zeit mit einem Kind verbringt, er-

zieht es durch seine Gegenwart und sein Vorbild.“ (Juul 2013, S. 28)

Die Lehrperson muss sich bewusst sein, dass sie von ihren Schüler*innen als

Mensch wahrgenommen wird und sie sich an ihr orientieren. Das Ausdrucksver-

halten der Lehrperson, ihre Mimik, Gestik und Stimme, aber auch die Bereitschaft,

die Kinder und Jugendlichen mit ihren Gedanken und Gefühlen ernstzunehmen,

sind von großer Bedeutung für ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis. Kinder re-

agieren mit Wohlwollen auf die Lehrperson, die bereit ist, für ihre Klasse Verant-

wortung zu übernehmen. Die Beziehungskompetenz der Lehrerperson wird von

den Lernenden unmittelbar wahrgenommen. Die Stärkung der Persönlichkeit der

Lehrperson ist daher von großer Bedeutung (vgl. Heis 2007, S. 50f).

Die Beziehungskompetenz in pädagogischen Arbeitsfeldern beschreibt Juul als

die Fähigkeit, Erwachsene und Kinder mit allen ihren Gedanken und Gefühlen

ernstzunehmen und authentisch in Beziehung zu ihnen zu treten (vgl. Juul 2013,

S. 49).

Es ist also nicht ausreichend, Schulen mit didaktischen Materialien auszustatten

und Lehrpläne, Förderkonzepte und Erziehungsprogramme umzusetzen. Aus-

schlaggebend für die Qualität der pädagogischen Arbeit ist die Gestaltung der Be-

ziehung zwischen der Lehrperson und den Schüler*innen. Allen Schüler*innen

27

individuell gerecht zu werden, ist im Schulalltag nicht immer einfach. Neben den

meist knappen Zeitressourcen verlaufen Lern- und Entwicklungsprozesse unter-

schiedlich und nicht linear. Darüber hinaus fallen auch der Umgang mit Lehrerkol-

leg*innen und die kollegiale Zusammenarbeit im Lehrkörper nicht immer leicht.

Nicht selten führt die Gesamtbelastung bei Lehrpersonen zu physischen und psy-

chischen Erschöpfungszuständen (vgl. Schlee 2004, S. 12f).

9.4 Die Bedeutung der Beratung von Lehrpersonen

Juul weist darauf hin, dass in Berufen, in denen Menschen zusammenarbeiten,

Beratung eine große Rolle spielt, um Dinge aus verschiedenen Perspektiven be-

leuchten zu können (vgl. Juul 2013, S. 174).

Für einige soziale Berufe ist es selbstverständlich, durch Beratung und Supervi-

sion Unterstützung zu erhalten. Professionelle Beratung von Lehrpersonen hinge-

gen gewinnt in der Schule erst langsam an Bedeutung. Findet Beratung im Schul-

alltag keinen Platz, fehlt ein wichtiges Werkzeug. In der Schule gibt es verschie-

dene Aufgabenfelder von Beratung, wobei. Es ist dabei darauf zu achten ist, ob es

sich um Beratung oder um eine andere Gesprächsform handelt (vgl. Miller 2006,

S. 80).

Beratung wird von Miller (ebd.) durch folgende Punkte definiert:

• Der/Die Berater*in wird vom Klienten/der Klientin ausgesucht.

• Es gibt keine Handlungsanweisungen vonseiten der beratenden Person.

Der/Die Klient*in formuliert selbständig, was er/sie möchte.

• Der/Die Berater*in bewertet nicht die Entscheidungen und die Handlungen der

Klient*innen.

Professionelle Beratung findet sich weder als Themenschwerpunkt in der Ausbil-

dung von Pädagog*innen noch als selbstverständliches Angebot im Stundenplan

von Schulen.

„Beginnend in der Ausbildung erfahren Lehrkräfte, dass Beratung zwar

der eigenen Professionalisierung dienen soll, aber nahezu immer mit

28

Beurteilungskontexten verknüpft ist. Hieraus resultiert ein Misstrauen

gegenüber allen Formen schulischer Beratung. Dass diese Beratungs-

situationen nur sehr gelegentlich stattfinden, verstärkt die Ablehnung

der Lehrkräfte zusätzlich.“ (Schnebel 2017, S.120)

Beratung von Lehrpersonen bedeutet nicht, sie mit ihren Schwächen zu konfron-

tieren, sondern sie darin zu unterstützen, neue Wege zu gehen und ihre Fähigkei-

ten zu erweitern. Der Gewinn neuer Lebensfreude und Energie hilft, Erschöpfung

zu reduzieren und den Sinn und den Wert der eigenen Arbeit wahrzunehmen (vgl.

Frank 2010, S. 115).

Schnebel unterstreicht, dass Beratung im pädagogischen Bereich erfolgreich prä-

ventiv eingesetzt werden kann. Die Lehrperson wird befähigt, aktiv ihre Probleme

zu lösen, adäquate Bewältigungsstrategien zu entwickeln und persönliche Res-

sourcen zu mobilisieren. Sie lernt, ihr Verhalten zu hinterfragen und zu reflektieren.

Das erhöht die Professionalität und die berufliche Zufriedenheit (vgl. Schnebel

2017, S. 18).

10 Ressourcenorientierte Beratung durch Beratungs-

lehrer*innen

10.1 Begriffliche Unterscheidungen

10.1.1 Beratung und Coaching

Je nach Literatur findet man unterschiedliche Begriffe im Beratungsbereich. Die

Klient*innen werden als Kund*innen, Ratsuchende, zu Beratende oder auch als

Adressat*innen einer Beratung bezeichnet. Außerdem sind verschiedene Kli-

ent*innensysteme in der Beratung denkbar: Beratung von Einzelpersonen, Grup-

pen- bzw. Teamberatung und Organisationsberatung.

Unter Beratung versteht Barthelmess professionelle Settings, in denen ein Berater

einen Ratsuchenden dabei unterstützt, ein Problem zu bewältigen. Für einen Be-

ratungsauftrag ist zuerst zu klären, um welche Form der Beratung es sich handeln

29

soll. Barthelmess unterscheidet zwischen Wissensberatung und Prozessberatung.

Auch eine Mischung aus beiden Formen der Beratung ist für ihn vorstellbar.

Beratung orientiert sich eher an den persönlichen Problemen von Ratsuchenden,

während Coaching sich mehr an den beruflichen Fragestellungen der Klient*innen

orientiert. Die Übergänge zwischen Beratung und Coaching sind fließend (vgl. Bar-

thelmess 2016, S. 42 ff.).

10.1.2 Supervision

In der Supervision wurden ursprünglich Fallgeschichten von Klient*innen reflek-

tiert, um Anregungen für die weitere Arbeit zu erhalten. Inzwischen wird Supervi-

sion in Anspruch genommen, um Interaktionen zwischen Personen zu reflektieren

und mögliche Konflikte in der Beziehung sichtbar zu machen und zu bearbeiten.

Supervision kommt häufig in der Teamberatung und der Teamentwicklung zum

Einsatz (ebd.).

10.1.3 Psychotherapie

Personen kommen zur Therapie, um sich mit ihrer Krankheit auseinanderzuset-

zen. Psychische Probleme von Patient*innen bzw. Klient*innen werden mit den

Therapeut*innen bearbeitet und mögliche Hilfestellungen angeboten. Ziel ist eine

Heilung der Patient*innen. Professionelle Beratung zeichnet sich dadurch aus,

dass die Berater*innen achtsam mit ihren Klient*innen umgehen. Die Berater*in-

nen kennen ihre persönlichen und fachlichen Grenzen und können abschätzen,

ob die Beratung oder die Therapie das bestmögliche Unterstützungsangebot für

die jeweiligen Klient*innen darstellt (ebd.).

10.2 Prozess- und Wissensberatung

In der englischen Sprache unterscheidet man zwischen der Beratung durch Fra-

gen (conseling) und der Beratung durch Ratschläge (advising). In der deutschen

Sprache wird Beratung durch die Begriffe Prozessberatung bzw. Wissensberatung

30

genauer definiert. Systemische Beratung kann grundsätzlich als Prozessberatung

verstanden werden.

Über Fragen, Beobachtungen und die Auswahl der Methodik werden die Ratsu-

chenden in der Beratung unterstützt, eigenständig und selbstverantwortlich Lösun-

gen von Problemen zu entwickeln. Die Rolle der Berater*innen besteht darin, von

den Ressourcen der Ratsuchenden ausgehend, die zu Beratenden zu begleiten.

Wissensberatung, auch Fachberatung genannt, unterstützt die Ratsuchenden

durch fachliche Expert*innen, ohne die Problemsicht der zu Beratenden in Frage

zu stellen.

In systemischen Settings sind die Berater*innen schwerpunktmäßig als Prozess-

berater*innen tätig, Fachwissen und Expertisen können aber in die Beratung ein-

fließen. Für die Berater*innen ist es wichtig, die jeweils eigene Rolle zu klären und

sich ihrer eigenen Rolle bewusst zu sein (vgl. Barthelmess 2016, S. 30ff.).

10.3 Die Berater*innenrolle

Systemische Prozessberatung zeichnet sich dadurch aus, dass die Berater*innen

aktiv Rahmenbedingungen und Möglichkeiten schaffen, Anregungen geben und

Fragen stellen.

Neben strukturiertem Handeln sind die Berater*innen aber auch gefordert, den

Ratsuchenden Raum zu geben, um selbsttätig Lösungen zu finden. Durch aktives

Zuhören, Nachfragen und Sich-Einlassen auf die jeweilige Person der/des zu Be-

ratenden, unterstützten sie die Ratsuchenden darin, eigene Entscheidungen zu

treffen. Berater*innen brauchen Geduld und Offenheit für komplexe, ungewisse

Situationen. Sie müssen sich immer wieder fragen, ob sie den Klient*innen genug

Freiraum geben, und Dinge wirken lassen (vgl. Barthelmess 2016, S. 50f).

Menschen kommen mit bestimmten Erwartungen in die Beratung. Miller weist da-

rauf hin, dass die Berater*innen darauf zu achten haben, durch konsequentes

Nachfragen das eigentliche Anliegen der Ratsuchenden zu klären und nicht zu

rasch Anliegen vordergründig zu beantworten. Berater*innen schaffen Rollenklar-

heit sowohl für sich als auch für die zu Beratenden (vgl. Miller 2006, S. 81).

31

Folgende förderliche Bedingungen kennzeichnen systemische, ressourcenorien-

tierte Beratung:

• Schaffen von Möglichkeiten

• Ressourcenorientierung und Aktivierung von Ressourcen

• Unterstützen der Selbstwirksamkeit

(vgl. Bamberger 2005, S. 33ff.)

10.3.1 Schaffen von Möglichkeiten

Häufig richten Ratsuchende ihre Aufmerksamkeit am Beginn einer Beratung auf

Probleme und Symptome. Je mehr die Problemlage im Fokus der Aufmerksamkeit

steht, desto intensiver wird das Problem wahrgenommen. Wird die Wahrnehmung

der Ratsuchenden infrage gestellt, ist dies ein erster Schritt, um Handlungsalter-

nativen zu erkennen und den Möglichkeitsspielraum zu erweitern (vgl. Barthel-

mess 2016, S. 56).

10.3.2 Ressourcenorientierung

Die grundlegende Bedeutung von Ressourcenorientierung kommt besonders in

der bereits beschriebenen Kurztherapie von Steve de Shazer zum Ausdruck. Es

wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch die Fähigkeiten zur Lösungsfindung

in sich trägt. Potenziale werden aber erst dann zu Ressourcen, wenn Ratsuchende

sie als solche erkennen. Berater*innen unterstützen die Aktivierung von ungenutz-

ten Fähigkeiten und Ressourcen (vgl. Schubert et al. 2019, S. 99).

Grundsätzliche Annahmen zu Ressourcen in der Schulpädagogik:

• Ressourcen werden als etwas Positives wahrgenommen.

• Bei Ressourcen handelt es sich um Hilfsmittel oder Möglichkeiten, die den

Menschen bei seiner Lebensbewältigung unterstützen.

• Die Aktivierung von Ressourcen kann erlernt werden.

• Ressourcen sind situationsabhängig und können sich bei jedem Menschen

unterschiedlich auswirken.

32

• Ressourcen können sowohl im Menschen als auch in seinem Umfeld zu

finden sein.

• In der Schule werden Ressourcen zur Entwicklungsförderung und zur Un-

terstützung eingesetzt.

• Ressourcen können die Resilienz stärken.

(vgl. Schwer/Solzbacher 2014, S. 140)

10.3.3 Unterstützen der Selbstwirksamkeit

Bereits eine geringfügige Veränderung des Verhaltens der Ratsuchenden kann

einen Veränderungsprozess in deren Leben anstoßen und ihnen neue Wege er-

öffnen. Sie lernen, mit gegenwärtigen Problemen besser zurechtzukommen.

Dadurch gewinnen Ratsuchende mehr Selbstbewusstsein und größere Selbstach-

tung, die sie auch bei der aktiven Gestaltung ihres weiteren Lebens positiv beein-

flussen und stärken (vgl. Bamberger 2005, S.39f).

10.4 Die Rolle des Beratungslehrers/der Beratungslehrerin

Besonders im Schulsystem sind ungebetene Ratschläge zu vermeiden. Um Lehr-

personen niederschwellig professionelle Beratung anbieten zu können, gibt es in

der Schule Beratungslehrer*innen. Diese haben den Vorteil, das System zu ken-

nen und die gleiche Sprache zu sprechen. Es ist darauf zu achten, die zu Beraten-

den mit ihren persönlichen Problemen wertzuschätzen und ernst zu nehmen.

Wertschätzung zu zeigen, ist eine der Grundlagen der ressourcenorientierten Be-

ratung von Lehrpersonen. Die Erwartungshaltung von Lehrer*innen kann jedoch

auch zu Schwierigkeiten führen: „Kollegen überfrachten die Beratungslehrkraft

leicht mit Anforderungen, sie erwarten, dass die Beratungslehrerin den Schüler

bzw. das Problem übernimmt und für rasche Veränderung sorgt.“ (Schnebel 2017,

S. 178)

33

10.5 Der Beratungsprozess

Professionelle Beratung zeichnet sich weder durch eine starre Abfolge von Schrit-

ten aus, noch verläuft sie beliebig. Die Herausforderung im Beratungsprozess be-

steht darin, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse kreativ zu gestalten, ohne

die spezifischen Phasen der Beratung zu vernachlässigen (vgl. Schubert 2019, S.

143).

Auch die Beratung von Lehrpersonen folgt grundsätzlich einer bestimmten Struk-

tur. Das von Bamberger entwickelte Beratungssetting (vgl. Bamberger 2005, S.

46f) hat sich in der Praxis bewährt: Synchronisation, Lösungsvision, Lösungsver-

schreibung, Lösungsevaluation und Lösungssicherung.

Synchronisation: Berater*innen und Ratsuchende lernen sich kennen. Die Rat-

suchenden sollen die Möglichkeit haben anzukommen. Dabei begegnen ihnen die

Berater*innen wertschätzend und ermutigen sie, über ihre Anliegen zu berichten.

Lösungsvision: Durch Ressourcenfokussierung, das Herausarbeiten von Aus-

nahmen von dem Problem und durch lösungs- und ressourcenorientierte Fragen

unterstützen Berater*innen die Ratsuchenden bei der Entwicklung von Lösungsvi-

sionen.

Lösungsverschreibung: Lösungsideen werden entwickelt. Durch ressourcenfo-

kussierte Rückmeldungen vermitteln Berater*innen den Ratsuchenden Vertrauen

und Sicherheit und motivieren sie, Lösungsvorschläge zu konkretisieren.

Lösungsevaluation und Lösungssicherung: Bei einem möglichen Folgege-

spräch ist es nicht mehr notwendig, den Blick auf das Problem zu richten, sondern

auf positive Veränderungen und Verbesserungen im Leben der Ratsuchenden

(ebd.).

10.6 Ressourcenorientierter Beratungsprozess

Ressourcenorientiertes Arbeiten und das Herausarbeiten von Veränderungsmög-

lichkeiten begleiten den gesamten Beratungsprozess. Immer wieder wird versucht,

die Problemfokussierung der Klient*innen zu unterbrechen, indem die

34

Aufmerksamkeit auf ihre Fähigkeiten und Stärken gerichtet wird, die zur Problem-

bewältigung beitragen können. Die Klient*innen sollen im Laufe der Beratung

durch z.B. ressourcenorientierte Fragen aus ihrer Problemorientierung befreit wer-

den. Dadurch bekommen sie wieder Zugang zu ihren Potenzialen. Durch den Per-

spektivenwechsel von der Problem- zur Ressourcenperspektive haben Klient*in-

nen die Möglichkeit, den Blick auf die vielfältigen persönlichen Stärken und Fähig-

keiten zu richten und damit eine positive persönliche Entwicklung in Gang zu set-

zen (vgl. Ständer 2016, zit. nach Schubert 2019, S. 138).

10.7 Auftragsklärung in der Beratung

Die Orientierung an den Aufträgen und Zielen der Ratsuchenden spielt in der Be-

ratung eine besondere Rolle. Barthelmess betont, dass gute Beratung die Eigen-

verantwortung der Ratsuchenden fördert. Die Berater*innen achten am Anfang

und während des gesamten Beratungsprozesses auf eine genaue Ziel- und Auf-

tragsklärung. Sie konzentrieren sich als Prozessbegleiter*innen darauf, den Rat-

suchenden die Arbeit an ihren individuellen Themen zu ermöglichen (vgl. Barthel-

mess 2016, S. 146f).

10.8 Rahmenbedingungen

Lehrpersonen stehen einer Beratung häufig kritisch gegenüber. Die Angst, sich mit

den eigenen Schwächen und Problemen auseinanderzusetzen, kann Widerstand

auslösen. Es braucht einen schützenden Rahmen, um sich sicher zu fühlen. Ein

angemessener Raum und ein klarer zeitlicher Rahmen unterstützen den Bera-

tungsprozess.

Es ist darauf zu achten, den Zeitpunkt und den Zeitraum eines Beratungsge-

sprächs mit den zu Beratenden zu klären. Besonders eine gestresste Lehrperson

fühlt sich wertgeschätzt, wenn der/die Beratungslehrer*in bei der Terminplanung

auf ihre belastende Situation Rücksicht nimmt.

Ein freundlicher, heller Raum, der über einen Tisch und passende Stühle verfügt,

zählt ebenfalls zu den Rahmenbedingungen einer Beratung. Dabei spielt die

35

Sitzordnung eine große Rolle. Ein runder Tisch kann die Kooperationsbereitschaft

der Ratsuchenden unterstützen. Sie sitzen den Berater*innen nicht gegenüber und

werden nicht direkt mit ihnen als Person konfrontiert. Es ist zu berücksichtigen, die

Beratung nicht durch Außenstehende oder durch das Klingeln eines Handys zu

stören (vgl. Schnebel 2017, S. 174).

10.9 Die Kommunikation in der Beratung

Das grundlegende Instrument in der Beratung ist das Gespräch. Kommunikation

erfolgt auf verbaler und nonverbaler Ebene. Die verbale Kommunikation, also der

Redeanteil von Lehrpersonen, ist grundsätzlich sehr hoch. Die nonverbale Kom-

munikation wird im Schulalltag weniger bewusst wahrgenommen und eingesetzt.

Gestik, Mimik, Körperhaltung und der Klang der Stimme sind nur einige Beispiele

für nonverbale Mitteilungen. Stimmen die beiden Ebenen überein, wird die Bot-

schaft als authentisch empfunden. Dies wird als kongruente Kommunikation be-

zeichnet. Schubert, Rohr und Zwicker-Pelzer weisen darauf hin, dass kongruentes

Verhalten in der Beratung Aufrichtigkeit vermittelt und eine Vertrauensbasis schafft

(vgl. Schubert et al. 2019, S. 166f).

Zuhören und Anteil nehmen

Es ist nicht selbstverständlich, dass das Gesagte vom Sender und vom Empfänger

identisch gehört wird. Der Sender weiß nicht mit Sicherheit, wie der Empfänger

seine Botschaft versteht. Es braucht den Dialog der Gesprächspartner, damit Ge-

sagtes wirklich verstanden wird und der Empfänger sich verstanden fühlt. Aufmun-

ternde Gesten, das Wiederholen von Gehörtem mit eigenen Worten, genaues

Nachfragen und verbale Impulse sind einige Beispiele für erfolgreiche Kommuni-

kation. Damit zeigt der/die Berater*in anteilnehmendes Interesse an der Welt der

Ratsuchenden und schafft eine förderliche Basis für eine erfolgreiche Beratung

(vgl. Miller 2006, S. 74f).

36

Fragetechniken

In jeder erfolgreichen Beratung werden je nach Beratungsansatz die unterschied-

lichsten Fragen als Werkzeuge eingesetzt. Exemplarisch werden hier die W-Fra-

gen angeführt. Grundsätzlich ist darauf zu achten, offene Fragen zu stellen. Sie

unterstützen Denk- und Suchprozesse der Ratsuchenden. Sie eröffnen Perspekti-

ven und erweitern die Sichtweise. W-Fragen unterstützen Ratsuchende dabei, sich

mit ihren Möglichkeiten auseinanderzusetzen, Ressourcen zu entdecken und neue

Erfahrungen zu sammeln (vgl. Lippmann 2004, S.112f).

Beispiele für mögliche Fragestellungen:

• Was ist so belastend für dich?

• Wie fühlt es sich an?

• Was bedeutet das für dich?

• Was wäre ein erster Schritt?

(ebd.)

10.10 Professionelle pädagogische Haltung

Die regelmäßige Auseinandersetzung in der Pädagogik mit den Haltungen der

Lehrer*innen zeigt, dass eine professionelle Haltung von grundlegender Bedeu-

tung für den Lehrberuf ist. Die Annahme, dass Lehrerhaltung Empathiefähigkeit,

eine positive emotionale Zugewandtheit zu Kindern und die Fähigkeit zur Selbs-

treflexion beinhaltet, hat ihren festen Platz in der Geschichte des Lehrberufs.

Schwer und Solzbacher verweisen zudem auf die Studie von Hattie, die die Hal-

tung der Lehrperson als Voraussetzung für gelingendes Lernen definiert (vgl.

Schwer/Solzbacher 2014, S.40ff).

Lehrpersonen befinden sich im Spannungsfeld zwischen bildungspolitischen An-

forderungen und persönlichen Vorstellungen sowie zwischen der Individualisie-

rung der Begabungsförderung von Kindern und der parallel verlaufenden Standar-

disierung des Bildungssystems. Lehrer*innen sind gefordert, eine professionelle

Haltung zu entwickeln und in der Praxis umzusetzen. Eine professionelle Haltung

umfasst mehr als normative Einstellungen, Theorien oder pädagogische

37

Konzepte. Sie zeichnet sich durch verschiedene Selbstkompetenzen aus. Eine

starke Lehrerpersönlichkeit hat die Möglichkeit, trotz unterschiedlicher Anforderun-

gen und wechselnder Kontextbedingungen selbstkongruent, reflektiert und flexibel

zu handeln (ebd.).

Punkte, die eine professionelle Haltung einer Person erkennen lassen:

• Kohärenz und Standfestigkeit bei Entscheidungen, eigene und fremde Be-

dürfnisse, Werte und Fähigkeiten und relevante Kontextmerkmale werden

berücksichtigt.

• Gesprächsinhalte werden nachvollziehbar ausgedrückt und durch eine au-

thentische Körperhaltung ablesbar.

• Achtsamkeit für das eigene Tun und Offenheit für Handlungsalternativen

Die Haltung der Lehrperson ist ausschlaggebend, wie pädagogische Situationen,

Methoden und pädagogische Konzepte in der Arbeit bewertet und welche Schritte

anschließend gesetzt werden. Die professionelle pädagogische Haltung bestimmt

in diesem Zusammenhang das pädagogische Handeln der Lehrer*innen (vgl.

Schwer/Solzbacher 2014, S.108f).

„Die Entwicklung der professionellen Persönlichkeit ist ein kontinuierli-

cher Prozess, in dem wir zum einen unsere Denk- und Verhaltensmus-

ter erforschen und zum anderen an den Mustern arbeiten, die uns daran

hindern, unser berufliches Potenzial, unser Engagement, unsere Ziele

und Inhalte mit anderen zu verwirklichen. Das erfordert zweifellos den

Mut, sich zu öffnen und verwundbar zu machen. Doch wenn sich Lehrer

einmal dazu entschieden haben, treten die Veränderungen oft sehr

schnell ein.“ (Juul 2013, S. 150)

38

Fazit:

Eine professionelle pädagogische Haltung kann dann entstehen, wenn Lehrperso-

nen Selbstkompetenzen besitzen, die sie befähigen, ihre Stärken und Schwächen

zu erkennen und das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu

stellen. Für die ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch Bera-

tungslehrer*innen bedeutet das, Pädagog*innen bei ihrer Aufgabe der empathi-

schen Entwicklungsbegleitung von Kindern bestmöglich zu unterstützen.

10.11 Aus- und Fortbildung von Lehrpersonen

Der Lehrberuf ist eine komplexe Aufgabe, die Professionalität erfordert. Elisabeth

Heis weist darauf hin, dass fachliches, fachdidaktisches und methodisches Wissen

alleine für den Bereich Bildung nicht ausreichend sind:

„Die Zukunft braucht vielmehr Wissensmanagement sowie die Stärkung

der Persönlichkeit der angehenden Pädagogen, sodass sie einem Be-

rufsfeld, das einem permanenten Wandel unterliegt, gewachsen sind

[...] Die Forderung nach mehr Reflexion und mehr Verstehen, aber auch

die Forderung nach dem pädagogischen Können möchte ich mit aller

Deutlichkeit über die Bereiche Stoffeignung, Stoffauswahl und Stoffbe-

herrschung sowie über die Fragen der Methodik und des Lehr- und

Lernmitteleinsatzes hinaus auch auf den Aspekt der Menschenführung

ausgedehnt wissen, denn die heranzubildenden LehrerInnen haben

Professionalität

reflektieren

ausprobieren/trainiere

n

evaluieren

sich informieren

Abbildung 36: SmartArt zur

Professionalität, Quelle: in

Anlehnung an: Miller, R.

(2006). 99 Schritte zum

professionellen Lehrer (3.

Aufl.). Kallmeyer in Verbin-

dung mit Klett.

39

später in großer Verantwortung Kinder und Jugendliche mitzuformen,

zu begleiten, anzuregen.“ (Heis 2007, S.13)

Besonders bei Stress, Überforderung und Leistungsdruck sind Pädagog*innen in

ihrem professionellen Handeln gefordert. Schwer und Solzbacher kommen in ihren

Ausführungen zu dem Ergebnis, dass neben einem Angebot von Fachwissen Me-

thoden zur Selbstkompetenzförderung in der Aus- und Fortbildung verstärkt ange-

boten werden sollen. Dies würde Pädagog*innen in vielen Situationen darin unter-

stützen, selbstkongruent und flexibel zu handeln (vgl. Schwer/Solzbacher 2014,

S.220f).

10.12 Professionalität im Lehrberuf und private Ressourcen

Von Lehrpersonen wird viel erwartet, dabei stoßen sie immer wieder an ihre päda-

gogischen und gesundheitlichen Grenzen. Beratungslehrer*innen bestärken Lehr-

personen darin, ihre Fähigkeiten auszubauen oder neue Wege zu gehen. Erschöp-

fung kann abgebaut werden und Lebensfreude wird freigesetzt. Eine gesunde Ba-

lance zwischen beruflichen Anforderungen und privatem Leben ist wichtig. Dies

kann gelingen, wenn man aus einem stabilen Privatleben neue Energie für schuli-

sche Herausforderungen beziehen kann. (vgl. Frank 2010, S.181 f)

40

Folgende Faktoren in der Schule und im Privatleben sind laut Frank (2010) für eine

gesunde Lebensbalance ausschlaggebend:

Schulische Facetten von Professionalität:

Abbildung 37: SmartArt zu den schulischen Facetten von Professionalität, Quelle: Frank, H. (2010).

Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer-Ratgeber mit Sofortwirkung und

Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius.; Bild in den Kugeln aus eigener Darstellung

KontaktfähigkeitenKontaktfähigkeiten

Sinn in der ArbeitSinn in der Arbeit

VerdienstVerdienst

KommunikationsfähigkeitenKommunikationsfähigkeiten

fachliche Kompetenzfachliche Kompetenz

Akzeptanz und Interesse am gewählten BerufAkzeptanz und Interesse am gewählten Beruf

Freude am Umgang mit Kindern und JugendlichenFreude am Umgang mit Kindern und Jugendlichen

Selbstreflexion, Selbstfürsorge, Potenziale ausbauenSelbstreflexion, Selbstfürsorge, Potenziale ausbauen

WertebewusstseinWertebewusstsein

Prozess der ZusammenarbeitProzess der Zusammenarbeit

Anspannung - Entspannung - StressmanagementAnspannung - Entspannung - Stressmanagement

WertschätzungWertschätzung

bewusste Beziehungsgestaltung, Empathiebewusste Beziehungsgestaltung, Empathie

transparente Vorgehensweisentransparente Vorgehensweisen

bewusster Umgang mit Nähe - Distanz, Achten der eigenen und schulischen Grenzen

bewusster Umgang mit Nähe - Distanz, Achten der eigenen und schulischen Grenzen

regelmäßige Fortbildung, kollegiale Beratung, Supervisionregelmäßige Fortbildung, kollegiale Beratung, Supervision

41

Private Ressourcen

Abbildung 38: SmartArt Private Ressourcen, Quelle: adaptiert nach: Frank, H.

(2010). Lehrer am Limit: Gegensteuern und durchstarten - Ein Lehrer Ratgeber mit So-

fortwirkung und Langzeiteffekt. Beltz GmbH, Julius., Bild im Hintergrund aus eigener

Darstellung

Beziehungen - Familie - soziales Netz - Liebe

Hobbys - Interessen

Selbstfürsorge: Umgang mit Sorgen, Krisen, Freuden

Gesundheit und Ernährung

Ruhe - Natur - Bewegung, Meditation -Entspannungstechniken

Kontakt - Rückzugsmöglichkeit, Selbststeuerung

Spannung - Entspannung

42

11 Empirischer Teil

11.1 Ablauf der empirischen Arbeit

Unter Empirie verstehen Roos und Leutwyler „die methodisch kontrollierte Ausei-

nandersetzung mit der realen Welt’“ (Roos/Leutwyler 2017, S.163).

Empirisches Arbeiten orientiert sich an wissenschaftlichen Erfahrungen und dem

derzeitigen Stand der Forschung und läuft nicht zufällig, sondern systematisch ab.

Hug und Poscheschnik stellen den Ablauf der empirischen Forschung in sechs

Schritten dar. An diesem Ablaufmodell orientiert sich die vorliegenden For-

schungsarbeit (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.85f.).

Ablaufmodell:

(adaptiert nach Hug/Poscheschnik 2020, S.86)

6. Präsentation

Ergebnisse präsentierenErgebnisse präsentieren

5. Auswertung

Daten auswerten und interpretierenDaten auswerten und interpretieren

4. Aufbereitung

Daten aufbereitenDaten aufbereiten

3. Erhebung

Daten erhebenDaten erheben

2. Planung

Forschungsvorgehen planen, Stichprobe definieren, Forschungsdesign und Forschungsmethoden wählen

Forschungsvorgehen planen, Stichprobe definieren, Forschungsdesign und Forschungsmethoden wählen

1. Vorbereitung

Persönliche und institutionelle Rahmenbedingungen reflektieren, Forschungsfrage findenPersönliche und institutionelle Rahmenbedingungen reflektieren, Forschungsfrage finden

43

In einem ersten Schritt wurden für die vorliegende Arbeit Überlegungen und Ideen

gesammelt, das Thema gefunden und eine konkrete Forschungsfrage formuliert.

Im Mittelpunkt stand dabei die ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen

durch Beratungslehrer*innen.

Das Ziel der Arbeit war es herauszufinden, welche Herausforderungen und Chan-

cen eine professionelle, kompetente Beratung von Lehrpersonen durch Bera-

tungslehrer*innen bietet. In einem zweiten Schritt wurden Überlegungen zur For-

schungsmethode angestellt und die Größe der Stichprobe festgelegt. Für diese

Arbeit wurde die qualitative Methode gewählt, die Gründe dafür werden im folgen-

den Kapitel erläutert. Um Daten über die Forschungsfrage zu erheben, wurden

qualitative Einzelinterviews geführt. In weiterer Folge wurden die aufgezeichneten

Interviews transkribiert und die erhobenen Daten aufbereitet. Als Auswertungsme-

thode wurde die qualitative Inhaltsanalyse gewählt, auf die in der Arbeit noch ge-

nauer eingegangen wird. Zum Schluss wurden die Forschungsergebnisse in

schriftlicher Form dargestellt.

11.2 Empirische Sozialforschung

Ziel der empirischen Sozialforschung ist es, Aussagen über die Beschaffenheit der

sozialen Realität zu machen. Die wissenschaftlichen Methoden zur Untersuchung

eines bestimmten Ausschnitts der Wirklichkeit können einen qualitativen oder

quantitativen Ansatz aufweisen. Beide Methoden haben das Ziel, auf unterschied-

liche Art und Weise vertiefende Einblicke in die soziale Welt zu bekommen (vgl.

Misoch 2019, S.1ff.).

11.2.1 Quantitative Forschung

Quantitative Forschung befasst sich mit Sachverhalten, die sich grundsätzlich nu-

merisch erfassen lassen. Im Fokus des Interesses stehen dabei statistisch aus-

wertbare Daten. Bestimmte Phänomene werden in Zahlen erfasst, um repräsen-

tative und allgemeingültige Ergebnisse zu erhalten. Dazu werden große Stichpro-

ben untersucht. Es wird auf einen linearen Ablauf der Forschung, auf ein

44

standardisiertes Vorgehen bei der Untersuchung und auf Objektivität der Daten

geachtet (vgl. Hug/ Poscheschnik 2020, S. 107ff.).

11.2.2 Qualitative Forschung

Qualitative Forschung versucht, jene Phänomene in der Lebenswelt von Men-

schen zu verstehen, die nicht gemessen werden können. Es wird versucht, die

Bedeutungen von Handlungen darzustellen und deren Sinn zu begreifen. In der

qualitativen Forschung werden nicht-standardisierte Daten erhoben und ausge-

wertet, mit dem Ziel, neue Sichtweisen aus dem gewonnenen Datenmaterial zu

erhalten. Dazu werden kleine Stichproben untersucht. Es wird auf einen zirkulären

Ablauf der Forschung, auf ein offenes Vorgehen bei der Untersuchung und auf

eine subjektive Sichtweise geachtet (ebd.).

Wie bereits erwähnt, kam in der vorliegenden Arbeit die qualitative Forschung zur

Anwendung. Die persönliche Lebenswelt und die individuelle Sichtweise der Pro-

banden standen im Fokus der Forschung. Die Forschungsfrage wurde offen for-

muliert, um möglichst viele Antworten zu erhalten. Für die Datenerhebung wurden

Interviews geführt, die anschließend für eine qualitative Analyse in Textform dar-

gestellt wurden. Um genauer auf die einzelnen Menschen einzugehen, wurde auf

einen flexiblen Ablauf der Gespräche geachtet. Das Ziel der Analyse bestand da-

rin, die subjektiven Sichtweisen und Handlungen der Befragten zu verstehen und

vertiefende Erkenntnisse zu gewinnen.

Gütekriterien der qualitativen Forschung

In der empirischen Forschung sind Kriterien zur Sicherung der Qualität von zent-

raler Bedeutung. Die in der Arbeit angeführten Kriterien orientieren sich an Misoch.

Sie greift in ihrem Buch jene Kriterien heraus, die ihrer Ansicht nach zu den me-

thodenspezifischen Gütekriterien für die qualitative Sozialforschung gehören soll-

ten (vgl. Misoch 2019, S.246 ff.):

• Neutralität, kontrollierte Subjektivität

In der qualitativen Forschung geht es darum, die subjektive Wirklichkeit,

persönliche Einstellungen und Meinungen von Personen zu erforschen und

45

zu rekonstruieren. Um die Erhebung und Auswertung der Daten möglichst wenig

zu verzerren, ist auf die Neutralität des/der Forschenden zu achten. Da Subjekti-

vität elementarer Bestandteil des qualitativen Forschungsprozesses ist, ist der Ein-

fluss der Subjektivität im Forschungsprozess zu reflektieren.

• Intersubjektivität

Da die Person im gesamten Forschungsprozess im Fokus steht, ist auf eine trans-

parente Dokumentation aller Forschungsschritte zu achten, um den Forschungs-

prozess intersubjektiv nachvollziehbar und überprüfbar zu machen.

• Reflexion der Subjektivität

Da der/die Forschende Teil des Forschungsprozesses ist, müssen die Beeinflus-

sung durch seine/ihre Person in den Forschungsprozess einbezogen und seine/

ihre Rolle laufend reflektiert werden.

• Validität, Gültigkeit, Glaubwürdigkeit

Validität bezeichnet die Gültigkeit und Glaubwürdigkeit von Forschungsergebnis-

sen. Daten sind valide, wenn wirklich das erhoben wurde, was man messen wollte.

• Reliabilität, Verlässlichkeit

Die Überprüfung der Genauigkeit und Verlässlichkeit qualitativer Forschung erfolgt

durch eine möglichst nachvollziehbare Darstellung der gesamten Datenerhebung.

Wiederholte Untersuchungen müssen zu gleichen Ergebnissen führen (vgl. Mi-

soch 2019, S.246ff.).

11.3 Die Stichprobe der qualitativen Studie

Als Stichprobe wird in der qualitativen Forschung die Auswahl derjenigen Perso-

nen bezeichnet, die inhaltlich bedeutsame Informationen zu der zu untersuchen-

den Forschungsfrage haben und die eine Grundgesamtheit in dieser Frage reprä-

sentieren (vgl. Misoch 2017, S.200). In der vorliegenden Arbeit bestand die Stich-

probe aus sieben Proband*innen. Die Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnern

46

erfolgte durch ein persönliches Gespräch. Es wurde abgeklärt, ob die Personen

bereit waren, sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutete nicht

nur, sich Zeit zu nehmen, sondern auch sich auf eine intensive Situation einzulas-

sen. Folgenden Kriterien waren für die Auswahl der Interviewpartner*innen aus-

schlaggebend:

• Interviewbereitschaft

• Berufsgruppe: Beratungslehrer*innen, für die ihre Arbeit sinnvoll ist

und Freude bereitet

• Bildungsstand: Interviewpartner*innen mit mehrjähriger Praxiserfah-

rung und zusätzlichen Ausbildungen, mit Universitätsabschluss oder

einer gleichwertigen Ausbildung

• Alter: Die Interviewpartner*innen befanden sich aufgrund ihrer Pra-

xiserfahrung in ihrer Lebensmitte.

• Geschlecht: weibliche und männliche Interviewpartner

• Wohnort: Der Wohnort war für diese Studie nicht relevant.

11.4 Datenerhebung

Für die qualitative Datenerhebung können unterschiedliche Erhebungsmethoden

angewendet werden. Eine besondere Form für die Erhebung forschungsrelevanter

Daten stellen Interviews dar.

11.4.1 Qualitative Einzelinterviews

„In den Sozialwissenschaften werden qualitative Befragungen in Form

von Interviews sehr häufig eingesetzt. Sie sind besonders geeignet, um

persönliche Sichtweisen, individuelle Meinungen, Werte und Überzeu-

gungen zu erfassen. [...] Grundsätzlich gilt: Je strukturierter ein Inter-

view ist, desto eher lassen sich so gewonnene Daten vergleichen, desto

weniger aber werden wichtige Zusatz- und Kontextinformationen er-

fasst. Je unstrukturierter, je offener ein Interview ist, desto besser lässt

sich eine Thematik in ihrer ganzen Breite und Tiefe erfassen, desto

47

anspruchsvoller und aufwendiger aber wird die Auswertung“

(Roos/Leutwyler 2017, S.242).

Für die vorliegende Arbeit wurde im Vorfeld der Interviews ein Interviewleitfaden

zur inhaltlichen Strukturierung der Gespräche entwickelt. Der Leitfaden enthält

schriftlich formulierte Fragen, die für die Arbeit relevant sind. Die halb-strukturierte

Erhebungsform der Interviews orientierte sich thematisch am Leitfaden. Es wurde

aber darauf geachtet, den Interviewpartner*innen weiterhin Raum zu geben, frei

zu antworten, nachzufragen und Themen zu vertiefen. Die Befragten bekamen vor

dem Interview die Möglichkeit, sich mit Unterstützung des Leitfadens in das Thema

einzuarbeiten und sich auf das Gespräch vorzubereiten. Dieses Angebot wurde

gerne angenommen.

11.4.2 Das Expert*inneninterview

Die Befragten in einem Expert*inneninterview sind Personen, die über ein beson-

deres Wissen in einem speziellen Bereich verfügen. Dieses Spezialwissen wird

meist durch spezifische Tätigkeiten und durch eine Vielzahl von Aus- und Fortbil-

dungen erworben und unterscheidet sich so vom Alltagswissen. Expert*innen kön-

nen in einem bestimmten Wissensgebiet fundiert Auskunft geben (vgl. Misoch

2019, S.119f.).

In der vorliegenden Arbeit wurden Expert*innen als Interviewpartner*innen gewon-

nen. Die entsprechenden Personen verfügten alle über Expert*innenwissen in dem

zu beforschenden Themengebiet, in der ressourcenorientierten Beratung von

Lehrpersonen. Durch die aktuelle Coronakrise war die Autorin dieser Masterarbeit

überraschend gezwungen, die bereits organisierten Interviewtermine abzusagen

und aufgrund der Hygienebestimmungen auf Telefoninterviews auszuweichen.

11.4.3 Das Telefoninterview

Um Daten zu erheben, werden in der qualitativen Forschung grundsätzlich Face-

to-Face-Interviews geführt. „Nachdem Studien gezeigt hatten, dass die Datenqua-

lität von seriös durchgeführten Telefoninterviews mit denen von Face-to-Face

48

Interviews vergleichbar ist“ (Misoch 2019, S.168), werden Telefoninterviews für die

Datenerhebung anerkannt. Das Telefoninterview stellt eine Form der Datenerhe-

bung dar, die als mündliche Befragung mit technischen Mitteln stattfindet. Es ist

bei der Durchführung der Interviews und bei der Auswertung der Daten zu berück-

sichtigen, dass die Übertragung visueller Daten fehlt.

Mögliche Vorteile bei telefonisch durchgeführten Interviews in der qualitati-

ven Forschung:

• Das Fehlen visuell wahrnehmbarer Zeichen reduziert den Einfluss des In-

terviewers/der Interviewerin auf das Interviewgeschehen.

• Die visuelle Anonymität kann die zu interviewende Person dabei unterstüt-

zen, über sensible Themen zu sprechen.

• einfache Kontaktaufnahme mit den Interviewpartner*innen

• Reisekosten- und Zeitersparnis

• Sicherheit des Forschers/der Forscherin bei Interviews in einem möglicher-

weise gefährlichen Umfeld

Mögliche Nachteile:

• Das Fehlen von Mimik und Gestik kann bei den Interviewpartner*innen im

Telefongespräch zu Verunsicherung führen.

• Erschwerter Kommunikationsfluss durch das Fehlen nonverbaler Zeichen,

das Aushalten von Redepausen erweist sich als schwierig – Sprecher*in-

nenwechsel oder Zustimmung und Ablehnung beim/bei der Gesprächs-

partner*in können nur über auditive Zeichen wie zum Beispiel „ja, ja“ ge-

steuert werden.

• Dem/der Forschenden fehlen Informationen über die aktuellen Rahmenbe-

dingungen des/der zu Interviewenden, er/sie kann nur mit Hilfe der Stimme

eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre schaffen.

• Durch das Fehlen visueller Zeichen wird die Stimme der entscheidende

Faktor für die Interviewbereitschaft der Proband*innen (vgl. Misoch 2019,

S.171ff.).

49

11.4.4 Durchführung des Interviews

In der vorliegenden Arbeit wurden zwei Face-to-Face-Interviews und fünf Telefon-

interviews geführt. Als Proband*innen konnten sechs Frauen und ein Mann ge-

wonnen werden. Der geteilte Erfahrungshintergrund als Beratungslehrer*in und

die persönliche Bekanntschaft der Interviewpartner*innen als langjährige Arbeits-

kolleg*innen ermöglichten eine natürliche Gesprächsführung und die Verwendung

der „Du-Form“. Außerdem konnten in den Interviews sehr rasch ein innerer Zu-

gang zu den Befragten hergestellt und umfassende Daten erhoben werden.

Der Fokus der Autorin bestand bei der Interviewführung darin, persönliche kom-

munikative Kompetenzen in das Gespräch einfließen zu lassen und den Inter-

viewpartner*innen empathisch zu begegnen. Zusätzlich orientierte sie sich im Ge-

spräch am Sprachstil und an der Umgangssprache der Befragten. Ein wichtiges

Element für das Gelingen der durchgeführten Interviews war aktives Zuhören. Da-

bei richtete sich die Forscherin nach den Ausführungen Misochs: „Aktives bzw.

kontrolliertes Zuhören bedeutet eine völlige Präsenz und vollständiges Zuge-

wandtsein zum Interviewten während des gesamten Erhebungsprozesses“ (Mi-

soch S. 232).

Ergänzend wurden folgende Punkte in Anlehnung an die Regeln der Interviewfüh-

rung von Hug und Poscheschnik berücksichtigt:

• Das Aufnahmegerät wurde im Vorfeld des ersten Interviews überprüft und

getestet.

• Es wurde darauf geachtet, dass keine weiteren Personen das Interview un-

terbrechen oder stören konnten. Eine Befragte führte das Telefoninterview

von ihrem Büro aus, da sie sich dort ungestört auf das Gespräch konzent-

rieren konnte. Die anderen Probandinnen befanden sich zuhause. Mit dem

männlichen Gesprächspartner wurde das persönliche Interview Face-to-

Face in einem Cafe geführt, da die Bereitschaft für das Interview in diesem

Rahmen am höchsten war.

• Den Interviewten wurde Anonymität zugesichert und ein Einverständnis für

die Aufzeichnung der Interviews eingeholt.

50

• Die Interviewerin zeigte ernsthaftes Interesse an den Antworten der Befrag-

ten und bemühte sich, eine Vertrauensbasis aufzubauen.

• Es wurde versucht, den Gesprächspartner*innen Zeit zum Antworten zu ge-

ben. Dies war für die Autorin eine Herausforderung, da sie Pausen im Ge-

spräch nur schwer aushält.

• Die Interviews wurden flexibel geführt. Es stellte sich heraus, dass im Ge-

gensatz zum Leitfaden anschließend auf die Frage nach den Herausforde-

rungen gleich auf die Chancen eingegangen werden konnte.

• Der Fokus wurde auf offene Fragestellungen gelegt, um den Gesprächs-

partner*innen die Möglichkeit zu geben, frei zu erzählen.

• Am Ende des Interviews bekamen die Befragten die Gelegenheit, Ergän-

zungen anzubringen, und die Interviewerin bedankte sich für das Gespräch

(vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.136ff.)

11.4.5 Auswertung der Interviews

Transkription

Die im Interview gesammelten und aufgenommenen Daten wurden zur weiteren

Auswertung in schriftliche Form gebracht. Unter Transkription verstehen Roos und

Leutwyler die Übertragung des aufgenommenen Interviews in ein Textformat, um

die Daten anschließend systematisch analysieren zu können. Wörtliche Tran-

skripte, bei denen jedes Wort niedergeschrieben wird, sind Voraussetzung für eine

sorgfältige Auswertung der Daten. Sie sind für anspruchsvolle, qualitative For-

schungsarbeiten gut geeignet (vgl. Roos/Leutwyler 2017, S.240ff.).

Transkriptionsregeln der vorliegenden Arbeit:

• Wort-für-Wort-Transkription, auch abgebrochene Sätze

• Übertragung der Dialekte in die Schriftsprache

• Zeilenabstand: einfach

51

• Einfügen einer Leerzeile bei jedem Sprecher*innenwechsel

• Zeilenweise Nummerierung des Textes (ebd.)

Transkriptionszeichen der vorliegenden Arbeit:

I Interviewerin

B1 befragte Person

(unv) unverständlich

(lacht) Kommentar

X anonymisiert

(.....) längere Pause

sicher auffällige Betonung (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S.173)

Qualitative Datenauswertung

Nach der Erhebung der Daten durch die mündlich geführten Interviews und die

anschließende Übertragung der Informationsmenge in ein schriftliches Format,

wurde die qualitative Inhaltsanalyse als Auswertungsverfahren für eine systemati-

sche, nachvollziehbare Auswertung des Datenmaterials gewählt.

Qualitative Inhaltsanalyse

Als qualitative Inhaltsanalyse wird ein häufig verwendetes Auswertungsverfahren

bezeichnet, das zur systematischen Strukturierung und zur Analyse von Textma-

terial herangezogen wird. Im Fokus der Analyse steht das Herausfiltern for-

schungsrelevanter Informationen durch eine regelgeleitete Reduktion der Daten-

menge. Eine qualitative Inhaltsanalyse kann manuell mit ausgedrucktem Text und

52

farbigen Textmarkern durchgeführt werden oder computergestützt erfolgen (vgl.

Roos/Leutwyler 2017, S.294f.).

Für diese Arbeit wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring gewählt:

„Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring beinhaltet in der Regel fünf

Schritte: In einem ersten Schritt wird das vorliegende Datenmaterial ge-

sichtet, es werden die für die Fragestellung relevanten Teile ausgewählt

und für die Analyse vorbereitet. In einem zweiten Schritt werden Kate-

gorien entwickelt, mit denen – im Sinne eines Suchrasters – das Daten-

material durchsucht wird. Im dritten Schritt werden die Daten codiert,

indem die relevanten Informationen einzelnen Kategorien zugeordnet

werden. Meist wird im Laufe des Codierens auch das Kategoriensystem

verfeinert und angepasst. Im vierten Schritt werden die codierten Infor-

mationen analysiert: Sie werden zusammengefasst, strukturiert und er-

klärt. Im abschließenden fünften Schritt schließlich gilt es die Ergeb-

nisse der Analyse in einem Bericht darzustellen“ (Roos/Leutwyler 2017,

S.303).

Kategorien bilden

Als Kategorie bezeichnet man einen Themenbereich, dem Informationen aus dem

Datenmaterial zugeordnet werden. Die Gesamtheit der bei einer qualitativen In-

haltsanalyse entwickelten Kategorien wird in einem Kategoriensystem dargestellt.

Es gibt grundsätzlich zwei Herangehensweisen zur Entwicklung von Kategorien:

Induktive Kategorienbildung: Die Kategorien werden schrittweise aus

dem vorliegenden Textmaterial abgeleitet.

Deduktive Kategorienbildung: Vor der Auswertung des Datenmaterials

werden aus der Theorie Kategorien gebildet, denen in der Folge bestimmte

Aussagen aus dem Textmaterial zugeordnet werden.

In der vorliegenden Arbeit wurde eine deduktive Vorgehensweise gewählt. Die Ka-

tegorien wurden deduktiv entwickelt und in einem Leitfaden abgebildet. Aufgrund

des erhobenen Datenmaterials wurden bei der Datenanalyse weitere Kategorien

53

induktiv gebildet und das Kategoriensystem erweitert (vgl. Hug/Poscheschnik

2020, S.190).

Codieren

Unter Codieren wird im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse das Zuordnen re-

levanter Daten zu den jeweiligen Kategorien verstanden. Damit wird die in den

transkribierten Interviews erhobene Datenmenge reduziert und strukturiert (vgl.

Roos/Leutwyler 2017, S. 299).

MAXQDA 2020

Es besteht die Möglichkeit, qualitatives Datenmaterial computerunterstützt auszu-

werten (vgl. Hug/Poscheschnik 2020, S. 234). Die Universität Graz stellt ihren Stu-

dierenden das Computerprogramm MAXQDA für die Datenanalyse kostenlos zur

Verfügung. Diese spezialisierte Software wurde zur Unterstützung der manuellen

Auswertung und Dokumentation der vorliegenden Daten eingesetzt.

11.5 Die Interviewpartner*innen

Die Gespräche wurden aufgezeichnet und anonymisiert. Alle Interviewpartner*in-

nen sind ausgebildete Lehrkräfte im Pflichtschulbereich und verfügen über weitere

Ausbildungen und Zusatzqualifikationen. Alle Interviewten zeigten sich engagiert

und waren bestrebt, die Interviewfragen bestmöglich zu beantworten.

Interview mit B1 (Frau S.)

Wann: 15. März 2020

Dauer: 20:29 Minuten

Alter: 58 Jahre

Bildungsstand: Universitätsabschluss

Das Interview fand in der Wohnung der Interviewpartnerin statt. Die Gesprächs-

partnerin bemühte sich, genau auf die Fragen einzugehen.

54

Interview mit B2 (Frau R.)

Wann: 18. März 2020

Dauer: 51:51 Minuten

Alter: 49 Jahre

Bildungsstand: Universitätsabschluss

Das Interview wurde am Telefon geführt. Die Gesprächspartnerin nahm sich be-

wusst Zeit, um sich ungestört auf das Gespräch konzentrieren zu können.

Interview mit B3 (Frau K.)

Wann: 09. April 2020

Dauer: 24:56 Minuten

Alter: 55 Jahre

Bildungsstand: Universitätsabschluss

Das Interview fand am Telefon statt. Die Gesprächspartnerin achtete darauf, im

Gespräch nicht von den gestellten Fragen abzuweichen.

Interview mit B4 (Frau F.)

Wann: 17. April 2020

Dauer: 36:10 Minuten

Alter: 59 Jahre

Bildungsstand: Maltherapeutin, Coach

Das Interview wurde am Telefon geführt. Die Gesprächspartnerin war kurz irritiert,

da die Fragen teilweise vom Interviewleitfaden abwichen. Sie stellte sich aber

gleich darauf ein.

55

Interview mit B5 (Frau I.)

Wann: 22. April 2020

Dauer: 32:12 Minuten

Alter: 58 Jahre

Bildungsstand: Universitätsstudium ohne Abschluss

Das Interview fand am Telefon statt. Die Gesprächspartnerin stützte sich bei den

Fragen auf die von ihr vorbereiteten Notizen.

Interview mit B6 (Frau G.)

Wann: 08. Mai 2020

Dauer: 32:31 Minuten

Alter: 56 Jahre

Bildungsstand: Universitätsabschluss

Das Interview wurde telefonisch geführt. Der Gesprächspartnerin war das Thema

des Interviews sehr wichtig, weshalb sie sich gerne für das Gespräch zur Verfü-

gung stellte.

Interview mit B7 (Herr H.)

Wann: 09. Juli 2020

Dauer: 18:32 Minuten

Alter: 62 Jahre

Bildungsstand: Universitätsabschluss

Das Interview fand im Vorfeld eines Beratungslehrer-Meetings in einem Cafe statt.

Die Interviewsituation war angenehm.

56

11.6 Kategorienbildung

Die Kategorien wurden in Anlehnung an den theoretischen Teil der Arbeit entwi-

ckelt und in einem Leitfaden dargestellt. Das Datenmaterial wurde drei Oberkate-

gorien und zehn Unterkategorien zugeordnet. Die ursprünglich angedachte erste

Kategorie mit den allgemeinen Daten zu den Interviewpartner*innen stellte sich bei

der Auswertung der Interviews als nicht relevant für die Beantwortung der For-

schungsfrage heraus. Daher wurde diese Frage nicht als Kategorie in die Arbeit

übernommen.

1. Herausforderungen

• Auftrag

• Erstgespräch

• Beratungsverlauf

• Äußeres Setting

2. Chancen

• Auftrag

• Erstgespräch

• Beratungsverlauf

• Äußeres Setting

3. Empfehlungen

• Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen

• Empfehlungen für die Beratungspraxis

Abbildung 39: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-tribal-celtic-spirale-pagan-23396/

Abbildung 40: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/illustrati-ons/schildkröte-tribal-design-symbol-948263/Abbildung 41: Triskele stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/muster-tribal-celtic-spirale-pagan-23396/

57

12 Darstellung der Ergebnisse

Die vorliegende Masterarbeit befasst sich mit der ressourcenorientierten Beratung

von Lehrpersonen. Ziel der Arbeit ist es herauszufinden, welche Herausforderun-

gen und Chancen eine professionelle, kompetente Beratung durch Beratungsleh-

rer*innen bietet. In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse aus der Datenanalyse

dargestellt und mit Blick auf die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit ausge-

wertet.

12.1 Herausforderungen

Im ersten Teil des Interviews werden die Herausforderungen der ressourcenorien-

tierten Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen beleuchtet.

12.1.1 Auftrag

Eine Interviewpartnerin stellt die Anfangssituation folgendermaßen dar:

„Also die Anfangssituation ist so, dass ich (...) Auftrag und Unterlagen von der

FIDS-Leitung kriege oder dass die Schulleitung einen Antrag stellt. Oder dass mich

Lehrpersonen anfragen, mit denen ich schon im Kontakt war wegen anderer Ge-

schichten oder dass sie mich in der Schule ansprechen.“

(B5, Abs.23).

Alle Interviewpartner*innen haben Erfahrung im Bereich der Gesprächsführung bei

Beratungsgesprächen. Daher können sie auch verschiedene Möglichkeiten der

Kontaktaufnahme mit Lehrpersonen an Schulen anbieten und beschreiben. Aus

den Interviews geht hervor, dass bei allen Befragten mehrere Möglichkeiten der

Kontaktaufnahme bestehen:

• Auftrag durch die zuständigen Diversitätsmanager*innen vom Fachbereich

Inklusion, Diversität und Sonderpädagogik (B5, Abs.23)

• Auftrag durch Kontaktaufnahme durch die Schulleitung oder die Lehrperson

(B4, Abs.10)

58

• Auftrag durch aktives Ansprechen der Pädagog*innen durch die Beratungs-

lehrer*innen (B3, Abs.10)

Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit der Lehrperson wird auf einen offenen,

achtsamen Umgang geachtet. Freiwilligkeit und Vertraulichkeit in der Beratung

sind selbstverständlich (vgl. dazu auch Kap. 8.5). Vertraulichkeit ist bei allen Be-

fragten ein zentraler Punkt in der Beratung. Eine Interviewpartnerin betont, dass

bei der Auftragsklärung unbedingt die Vertraulichkeit angesprochen werden muss,

dass „die Vertraulichkeit ein Grundprinzip in der Beratung ist“ (B4, Abs. 58).

Die gleiche Expertin geht in ihren Ausführungen auf einen Punkt ein, der aus ihrer

Sicht ein Beratungsgespräch mit Lehrpersonen erschweren kann:

„Auf alle Fälle haben die Lehrer halt oft das Gefühl, es ist ein Makel, wenn man

Beratungen in Anspruch nehmen muss. Weil sie ja als Einzelkämpfer in der Klasse

mit den Situationen allein fertig werden und dem allem gewachsen sein sollten“

(B4, Abs. 54).

Wie bereits im Kap. 9.4 beschrieben, ist die professionelle Beratung von Lehrkräf-

ten in der Schule nicht selbstverständlich und gewinnt erst langsam an Bedeutung.

Lehrpersonen machen schon in der Ausbildung die Erfahrung, dass sie in Bera-

tungsgesprächen beurteilt werden und ihre Schwächen aufgezeigt werden. Sie

stehen daher einer Beratung nicht selten ablehnend gegenüber.

Eine Befragte, die vorwiegend in den Mittelschulen als Beratungslehrerin tätig ist

und Ansprechpartnerin für Jugendliche ist, beschreibt eine weitere Anfangssitua-

tion, die für sie eine Herausforderung darstellt. Kinder und Jugendliche haben die

Möglichkeit, direkt mit der Beratungslehrperson Kontakt aufzunehmen und um Un-

terstützung zu bitten. Die besondere Schwierigkeit der Auftragsklärung in diesem

Fall wird von der Interviewpartnerin folgendermaßen beschrieben: Die Herausfor-

derung besteht darin, dass „ich dann eigentlich die Lehrer, Lehrerinnen mit ins

Boot hole, dass ich auf sie zugehe. Da kann es schwierig sein, also muss man

sehr vorsichtig sein“ (B6, Abs. 10).

Ähnlich schwierig kann sich die Anfangssituation einer Beratung gestalten, wenn

sich Eltern mit der Bitte um Unterstützung an den Fachbereich Inklusion, Diversität

59

und Sonderpädagogik wenden. Die Auftragserteilung durch den Fachbereich auf

Wunsch von Erziehungsberechtigten wird von einer Befragten als „Supergau“ (B2,

Abs.14) bezeichnet. „Dann fühlt sich der Lehrer sofort hintergangen“ (B2, Abs.14).

12.1.2 Erstgespräch

Nicht selten führt die Gesamtbelastung bei Lehrpersonen zu psychischen und phy-

sischen Erschöpfungszuständen (vgl. dazu auch Kap. 9.3). Sie empfinden ein Be-

ratungsgespräch als weiteren Termin, der sie zusätzlich belastet. Alle Inter-

viewpartner*innen versuchen, bei der Terminvereinbarung darauf Rücksicht zu

nehmen und den Lehrpersonen entgegenzukommen. Eine Befragte geht auf die-

ses Problem genauer ein. Sie erkundigt sich bei der Lehrperson, wann sie Zeit

habe und versucht, mit ihr entweder in einer Freistunde oder gleich zu Mittag einen

Gesprächstermin zu vereinbaren (B4, Abs.16).

Das Klären der Auftragslage wird von den Interviewpartner*innen als weiterer

wichtiger Punkt angeführt. Besonders in emotional schwierigen Situationen achten

die Befragten darauf, die Auftragslage genau zu klären, mit den Pädagog*innen

die momentane Situation zu beschreiben, die Leistungen der Lehrperson anzuer-

kennen und nachzufragen, welche Erwartungshaltung der Beratungslehrperson

gegenüber besteht (B5, Abs.25). Eine Probandin ergänzt, dass sie die Päda-

gog*innen im Erstgespräch darauf hinweist, dass sie immer persönlichen Kontakt

zu Lehrer*innen und Schüler*innen herstellt, um möglichst transparent zu arbeiten

(B2, Abs.14). Der männliche Proband konkretisiert seine Vorgehensweise im Erst-

gespräch:

„Ich lasse mir das Problem einmal von Lehrerseite schildern und dann lege ich

recht viel Wert darauf, wie kann ich bestmöglich unterstützen. Wir schauen uns

einmal die Gesamtsituation an, was glaubst du, was kann ich für einen Beitrag

leisten, was wäre für dich hilfreich, oder für die ganze Situation hilfreich, oder wo

könnte am ehesten am Ende etwas herauskommen. Das sage ich – also Lehrer

nicht drängen, du sollst das oder das machen, da nehme ich mich eher zurück,

und beziehe mich auf – ich bin beratend oder unterstützend da“ (B7, Abs.12).

60

Wertschätzung ist in den Gesprächen mit allen Befragten ein weiteres zentrales

Thema. Wertschätzung zu zeigen, wird von allen befragten Personen als ein

Schwerpunkt der ressourcenorientierten Beratung von Lehrkräften bezeichnet

(vgl. dazu auch Kap. 10.4). Besonders bei herausfordernden Erstgesprächen mit

Lehrpersonen und bei Krisengesprächen achten Beratungslehrer*innen auf einen

wertschätzenden Umgang mit den Pädagog*innen. Eine Interviewpartnerin kon-

zentriert sich ausdrücklich auf ein positives Gesprächsklima. Sie begegnet der

Lehrperson sehr wertschätzend, indem sie sich für die Möglichkeit bedankt, ein

Gespräch zu führen und darauf schaut, dass „es einfach ein positiver Anfang ist

und ein feiner“ (B3, Abs. 18).

12.1.3 Beratungsverlauf

Das Kind macht Probleme

Die Schwierigkeit, dass aus Sicht der Pädagog*innen das Kind die Probleme

macht und der Wunsch besteht, Schüler*innen zu reparieren, wird von drei Befrag-

ten thematisiert (B1, Abs.16, B7, Abs.23, B4, Abs.30). Wie im theoretischen Teil

bereits dargestellt wird (vgl. dazu Kap. 10.4), werden Beratungslehrer*innen häufig

mit unrealistischen Anforderungen konfrontiert. Es besteht die Vorstellung, schwie-

rige Schüler*innen könnten an die Beratungslehrerin abgegeben werden, die das

Problem löst und für eine schnelle Verbesserung der Situation sorgt.

„Was die plötzlich von den Schülern, die sowieso schon Schwierigkeiten haben,

was die nachher alles wollen, was sich ändern soll. Wo man bei anderen Schülern

gar nicht hinschaut, wird bei den schwierigen Schülern ganz genau nachher ge-

schaut und die da davon ein bisschen wegzubringen, ist echt eine Herausforde-

rung“ (B4, Abs.44).

Eine Probandin ergänzt, dass der Fokus dieser Lehrpersonen ihrer Meinung nach

häufig auf Noten und Testergebnissen und nicht „auf der Persönlichkeit der Kinder“

(B5, Abs.29) liegt. Es überwiegt der defizitorientierte Blick auf das Kind.

Wie die Befragten diesen Lehrpersonen im Beratungsgespräch begegnen, führt

eine Interviewpartnerin genauer aus. Sie versucht, im Gespräch den Blick der

61

Lehrperson auf das Kind zu lenken. „Das sind Kinder, die müssen sich erst entwi-

ckeln“ (B2, Abs.18).

Eine wenig achtsame Sprache von Lehrpersonen gegenüber Schüler*innen ist für

eine Interviewpartnerin ein weiteres Thema. Sie erlebt im Beratungsverlauf immer

wieder Situationen, in denen sie die Sprache der Pädagog*innen als „verbale

Übergriffe auf Schüler“ (B5, Abs.51) empfindet. Sie findet die Tatsache, dass die

Lehrpersonen dies nicht bewusst wahrnehmen, als sehr erschreckend und irritie-

rend.

Herausforderungen in der Prozessbegleitung

Alle Interviewpartner*innen beschreiben Beratungsgespräche mit Lehrpersonen

als Herausforderung, die viel Geschick erfordert. Es wird in den Interviews grund-

sätzlich auf zwei unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten eingegangen. Manche

Lehrer*innen sind „sehr offen und verständnisvoll und gehen aufs Kind ein und auf

die Gesamtsituation, da sieht man, sie sind sehr kompetent“ (B7, Abs. 23), und

andere Lehrpersonen halten fest an der Meinung: „Ich bin der Chef in der Klasse

und muss alles regeln“ (B2, Abs. 16). Für eine Interviewpartnerin ist diese Einstel-

lung ein Hinweis darauf, dass die Lehrperson das Gefühl hat, keine Beratung zu

brauchen (B3, Abs.30).

Eine Befragte, der als ausgebildeter Psychologin ein achtsamer Umgang mit Pä-

dagog*innen besonders wichtig ist, geht in ihrem Interview ausführlich auf die Pro-

zessbegleitung in der Arbeit mit Lehrpersonen ein. Sie nennt Beratungslehrer*in-

nen scherzhaft auch eine „Burn-out-Prophylaxe“ (B2, Abs. 22) für Lehrpersonen.

Entschleunigung, sich mit der Lehrperson auf den Weg zu begeben und Selbstfür-

sorge sind Herausforderungen im Beratungsverlauf, die sie im Interview herausar-

beitet (B2, Abs.16, 22).

Grundsätzlich erfolgt systemische Beratung als Prozessberatung (vgl. dazu Kap.

10.2). Die Interviewpartnerin erlebt Lehrpersonen im Gespräch oft in der Enge und

emotional aufgewühlt. Um die Situation zu beruhigen, versucht sie, den Druck her-

auszunehmen und sich mit der Lehrperson auf den Weg zu begeben. Sie lässt die

Lehrkraft einmal abladen, bietet ihr ihre Begleitung an, honoriert ihre Arbeit und

62

geht mit ihr in die Selbstfürsorge. Sie unterstützt sie, eigene Ressourcen zu finden

und ihre Akkus wieder aufzuladen. Die Befragte fasst es folgendermaßen zusam-

men: „Das ist, wie man depressive Patienten aufwärmen muss vom Herz her, Be-

ziehung anbieten muss und nicht erklären, welche Konzepte jetzt da gemacht wer-

den“ (B2, Abs.26).

Eine Interviewpartnerin merkt an, dass es für manche Lehrpersonen sehr schwie-

rig ist, Lob und Anerkennung anzunehmen. Sie können nicht sehen, dass sie et-

was gut machen (B3, Abs. 22). Sie empfinden Ideen und Vorschläge schnell als

Kritik und gehen in die Rechtfertigung (B2, Abs.16).

Die systemische, ressourcenorientierte Prozessberatung wird von einer weiteren

Interviewpartnerin konkretisiert. Sie sieht sich als Beraterin gefordert, der Lehrper-

son Raum zu geben, um eigene Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln (vgl. dazu

auch Kap. 10.3): „Also es ist total wichtig, dass ich keine Kontrollinstanz bin. Das

auf keinen Fall, sondern dass ich einfach wirklich eine Erweiterungsmöglichkeit

anbieten kann (...). Eigentlich geht es so, in den Prozess hineinzukommen, dass

wir einfach auch einmal reflektieren gemeinsam, was passiert, was läuft wirklich

gut. Wo haben wir noch Chancen, wo gibt es einfach auch eine Gelegenheit, viel-

leicht auch noch was zu verändern oder was anderes auszuprobieren“ (B6,

Abs.18).

Die Zeit der schnellen Veränderungen wird als weitere Herausforderung für Päda-

gog*innen wahrgenommen. Eine Befragte geht auf diesen Punkt genauer ein und

führt an, dass diese Situation für Lehrkräfte anstrengend ist. Die Lehrpersonen

zeigen häufig eine allgemeine Unzufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation. Sie kön-

nen ihre Anliegen nicht genau formulieren und verlieren die Sicht auf das Kind. Die

Interviewpartnerin betont, dass es im Beratungsgespräch hilfreich sein kann, die

Sichtweise der Pädagog*innen ein bisschen zu verändern und den Blick wieder

auf das Kind zu richten (B5, Abs. 29).

Drei Befragte betonen, dass es Lehrpersonen besonders in Stresssituationen

Schwierigkeiten bereitet, kleine Schritte zu sehen und auszuhalten, dass nicht

mehr möglich ist. (B3, Abs. 22, 24, B4, Abs. 74, B5, Abs. 31). Der Blick der Lehr-

personen auf das Wesentliche geht verloren. Eine kleine Veränderung der

63

Blickrichtung kann der Lehrkraft in dieser Situation neue Handlungsmöglichkeiten

eröffnen (vgl. dazu Kap. 10.3.3).

Auffällig finden besonders zwei Interviewpartnerinnen an ihrer Beobachtung, dass

manche Lehrpersonen sehr hohe Erwartungen an Eltern haben, denen diese häu-

fig nicht gerecht werden können. Das führt immer wieder dazu, dass der Konflikt

zwischen Eltern und Lehrpersonen auf das Kind übertragen wird (B4, Abs.28, 36,

B5, Abs. 29). Eine der zwei Befragten geht auf diesen Umstand genauer ein:

„Also ich habe da zum Beispiel gehört – die Eltern arbeiten ja gar nicht mit, das

Kind hat in der ersten Klasse nicht einmal die Stifte gespitzt – wo ich dann aber

schon auch wieder zurückführen kann und sagen kann, das Kind beobachten und

nicht die Situation daheim da mit hereinnehmen. Aber das erlebe ich relativ häufig,

dass die Lehrer, ja, dass diese Eltern-Lehrer-Beziehung hemmend ist für die Sicht

auf das Kind“ (B5, Abs.29).

Als Herausforderung erleben alle Interviewpartner*innen ihre eigene Rolle in der

Beratung mit Lehrpersonen. Gerne werden Stress und Unzufriedenheit der Lehr-

personen auf die Beratungslehrer*innen übertragen. Lehrpersonen stehen im

Schulsystem ziemlich unter Druck und damit steigen die Anforderungen an die

Beratungslehrer*innen. Sie sollen den Lehrpersonen Probleme abnehmen und

diese ohne Beitrag der Lehrpersonen lösen. Eine Interviewpartnerin beschreibt

ihre Überlegungen dazu folgendermaßen:

„Ich laufe ihnen einfach nach. Und frage mich dann selber immer, ob das noch in

Ordnung ist und hinterfrage dann für mich, ob jetzt die Grenze erreicht ist, dass

ich einfach sagen muss, okay, die Beratung ist für mich auch beendet. Also wie

viel Zeit gebe ich ihnen, dass ich mich als Angebot noch zur Verfügung stelle“ (B4,

Abs. 50).

Eine zweite Probandin befasst sich ebenfalls mit diesem Thema und ergänzt, dass

sie im Beratungsverlauf ihre Kompetenz nicht anzweifeln lässt und klar Stellung

bezieht. Sie bereitet sich auf das Gespräch gut vor und kann daher gut argumen-

tieren (B5, Abs. 33).

64

Ein positives, ressourcenorientiertes Auftreten gehört für eine Befragte zu den

wichtigsten Voraussetzungen für ihre Arbeit. Grundlegende Instrumente in der Be-

ratung sind die verbale und die nonverbale Kommunikation. Die Interviewpartnerin

achtet daher sehr auf ein authentisches, professionelles Auftreten (vgl. dazu Kap.

10.9). Das führt immer wieder zu Irritationen bei den Lehrpersonen. Die Befragte

schildert eine Situation aus ihrem Beratungsalltag:

„(...) dass dich jetzt jeder wieder hasst, wenn du völlig entspannt ins Konferenz-

zimmer kommst mit einem Lächeln auf dem Mund, dann kommt gleich dieses –

wieso lachst du? Und trotzdem kriege ich ganz viel rückgemeldet, mah – wenn du

kommst, ist wenigstens ein paar Mal ein bisschen Spaß oder ein bisschen eine

Lockerheit. Das braucht es, auch für mich, das sind die Ressourcen, die wir bieten.

Weil wir nicht so in der Enge sind, eben das habe ich mit der Enge gemeint, die

tun alles unter Stress und Strom und was weiß ich. Und wenn man von außen

kommt, kann man ein bisschen Frische hereinbringen. Ich sehe das als ganz gro-

ßen Auftrag“ (B2, Abs. 26).

12.1.4 Äußeres Setting

Alle Interviewpartner*innen beschreiben die räumlichen und zeitlichen Rahmenbe-

dingungen für das Führen von Beratungsgesprächen als herausfordernd. Häufig

fehlen passende Besprechungszimmer. Sie berichten von kalten Abstellkammern

und Computerräumen, aber auch von möglichen Arztzimmern, die sie sich mit der

Schulärztin oder dem Schularzt teilen. Das fehlende Verständnis der Schulen für

ein adäquates Setting wird besonders von zwei Befragten thematisiert (vgl. dazu

auch Kap.10.8). Es nützt nichts, wenn der Beratungslehrerin ein Stuhl in einem

Konferenzzimmer angeboten wird, weil Beratungsgespräche vertraulich geführt

werden sollen, aber im Konferenzzimmer zu viele Leute zuhören können (B5, Abs.

37). Der zweiten Probandin fehlt die Wertschätzung der Schule für ihre Arbeit. Sie

betont, dass es sie sehr viel Kraft kostet, aufgrund von fehlendem Setting trotzdem

qualitativ hochwertige Beratung anzubieten (B2, Abs. 28).

Da es kaum Räume gibt, in denen ungestört gearbeitet werden kann, befindet sich

das Büro im Auto, es wird mit dem privaten Computer gearbeitet und auf eigene

Kosten telefoniert (B5, Abs.35, 37).

65

Steht ein Beratungsraum zur Verfügung, ist es für manche Lehrpersonen trotzdem

ein zu großer zeitlicher Aufwand, sich auf ein Gespräch einzulassen. Eine Inter-

viewpartnerin beschreibt das Problem einiger Lehrpersonen, mit ihr gesehen zu

werden: „(...) dort gesehen zu werden, das ist auch noch einmal was. Aha, die hat

jetzt ein Gespräch mit der Beratungslehrerin“ (B3, Abs. 36).

Lehrpersonen, die offen für ein Gespräch sind, finden die Zeit dafür, andere fühlen

sich gedrängt, da wird ein Terminvereinbarung mühsam und schwer (B7, Abs.37).

12.2 Chancen

Im zweiten Teil des Interviews werden die Chancen in der ressourcenorientierten

Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen beleuchtet. Alle Inter-

viewpartner*innen haben in ihrer langjährigen Beratungstätigkeit Möglichkeiten

und Ideen entwickelt, wie Beratung von Lehrpersonen gut gelingen kann.

12.2.1 Auftrag

Wie bereits im theoretischen Teil erwähnt wird, spielt Beratung in Bereichen, in

denen Personen zusammenarbeiten, eine große Rolle. Auch wenn es für soziale

Berufe durchaus selbstverständlich ist, Supervision und Beratung als Unterstüt-

zung in Anspruch zu nehmen, so gewinnt professionelle Beratung von Lehrkräften

im Schulalltag nur langsam an Bedeutung. Professionelle Beratung unterstützt

Lehrkräfte, aktiv zu werden, ihre Fähigkeiten zu erweitern, ihr Verhalten zu reflek-

tieren und Ressourcen zu mobilisieren. Beratung bedeutet nicht, Lehrkräfte zu be-

urteilen und mit ihren Schwächen zu konfrontieren (vgl. dazu Kap. 9.4)a

„Ich habe mir des Öfteren überlegt, wie man das Verständnis für Beratung einmal

klar machen kann. Ob das über Konferenzen gehen würde oder eben in Schulun-

gen, (...) dass Beratung einfach da ist und dass Beratung normal ist und dass es

kein Makel ist, wenn man Beratung in Anspruch nimmt“ (B4, Abs.54).

Als ausgebildeter Coach vergleicht die Interviewpartnerin das Beratungsverständ-

nis in der Privatwirtschaft mit dem Beratungsverständnis von Lehrpersonen in der

Schule. Sie stellt fest, dass ihrer Meinung nach ein unternehmensinterner Coach,

66

der vom Betrieb angestellt wird und eine Anlaufstelle für die Mitarbeiter*innen dar-

stellt, besser akzeptiert und angenommen wird, als Beratung an Schulen. Mit Be-

ratung kennen sich Lehrpersonen oft nicht aus (B4, Abs.62). Die Befragte sieht in

dem selbstverständlichen Angebot, sich als Lehrperson einfach Ideen oder ein

Feedback holen zu können, eine große Unterstützung für Pädagog*innen (B4,

Abs.66).

Ein Punkt, den einige Befragte ansprechen, ist „vor Ort“ zu sein (B2, Abs. 26, 50,

B4, Abs.14, B5, Abs. 57). Beratung fällt Lehrpersonen leichter, wenn sie die Bera-

tungslehrerin oder den Beratungslehrer bereits kennen.

„Für mich jetzt als Beratungslehrer, die perfekte Auftragssituation, Anfangssitua-

tion wäre, wenn eine Lehrerin herkommt und sagt, hättest du einmal Zeit, ich hätte

gerne was mit dir besprochen? Und dann sage ich – ja gerne, wann machen wir

es (...) und dann weißt du, derjenige will eine Beratung – das ist eine super Aus-

gangssituation. Und wenn man dann sich irgendwo trifft, wo man ungestört reden

kann, dann ist das perfekt“ (B3, Abs.40).

Eine genaue Auftragsklärung, eine Konfliktdiagnose am Anfang einer Beratung

wird in den Interviews häufig genannt. Für die Befragten ist es wichtig, gut infor-

miert zu sein und abzuklären, was Sache ist (B2, Abs. 36, B5, Abs.57). Es wird in

der Beratung am Anfang und im Verlauf des Beratungsprozesses auf eine sorgfäl-

tige Auftragsklärung geachtet (vgl. dazu Kap. 10.7). Besonders in den Mittelschu-

len mit mehreren Lehrpersonen in der Klasse wäre eine Klassenkonferenz zur In-

formationsbeschaffung im Vorfeld eines Beratungsgespräches für eine Inter-

viewpartnerin ein hilfreicher erster Schritt (B1, Abs.20).

12.2.2 Erstgespräch

Alle sieben Befragten konzentrieren sich bei ressourcenorientierten Erstgesprä-

chen mit Lehrpersonen auf folgende Punkte:

• Transparenz

• Vertraulichkeit

• Wertschätzung

67

• Beratung auf Augenhöhe

Die Praxiserfahrung in der Schule und besonders im Unterricht wird von den Inter-

viewpartner*innen als große Chance bei der Beratung von Lehrpersonen gesehen.

Sie verstehen, dass sich Pädagog*innen häufig als Einzelkämpfer*innen fühlen

und wenig positive Rückmeldung erhalten. Daher versuchen sie den Lehrpersonen

mit Wohlwollen und Wertschätzung zu begegnen und bei den Qualitäten und Kom-

petenzen der zu beratenden Lehrpersonen anzusetzen. Eine Befragte bezeichnet

dieses Zugehen auf die Lehrperson als „wie die Tür aufmachen“ (B6, Abs. 14). Sie

betont, dass sie genau darauf achtet, Lehrer*innen nicht zu kontrollieren und von

oben herab zu behandeln, sondern ihnen anbietet, sie zu unterstützen und zu be-

gleiten. Schon im Erstgespräch hilft es, die Arbeit der Lehrpersonen wertzuschät-

zen und den Blick auf das zu richten, was schon gut gelingt (B3, Abs.18, 20). Ein

Interviewpartner konkretisiert diesen Punkt. Er möchte sich auf keinen Fall auf-

drängen oder einer Lehrperson das Gefühl vermitteln, ihr etwas überzustülpen

oder besser zu sein (B7, Abs.14).

Transparenz und Vertraulichkeit sind in den Interviews zwei weitere Themen in der

Beratung von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen. Bereits am Anfang des

Erstgesprächs wird der Auftrag für das Beratungsgespräch beziehungsweise der

Grund, warum die Beratungslehrerin oder der Beratungslehrer zu einem Gespräch

eingeladen hat, besprochen und auf den vertraulichen Umgang mit Beratungsin-

halten hingewiesen (vgl. dazu Kap. 8.5.2).

„Also die Vertraulichkeit ist sicher oberste Priorität, sie müssen auch wissen, ich

bin dann ganz für sie da. Und eben so, wie es auch mit den Kindern ist, ich denke

mir, diese möglichst hohe Freiwilligkeit, also eher eine Art Einladung soll es sein,

zu einem beratenden Gespräch“ (B6, Abs. 38).

12.2.3 Beratungsverlauf

Vertrauen und Wertschätzung

Die Befragten sind sich einig, dass es Sinn macht, sich in Schulen durch regelmä-

ßige, verlässliche Anwesenheit das Vertrauen der Lehrpersonen zu erarbeiten.

Dadurch fällt es den Interviewpartner*innen leichter, zu den Pädagog*innen eine

68

gute Beziehung aufzubauen und ein gutes Beratungsgespräch zu führen. Lehrper-

sonen zeigen ganz viel Dankbarkeit, wenn sie sich durch positive, wertschätzende

Beratungsgespräche entlastet fühlen (B2, Abs. 52, B3, Abs. 50). Durch aktives

Zuhören, durch das Sich-Einlassen auf die zu beratende Lehrkraft, durch Geduld

und Offenheit wird das Vertrauen im Beratungsprozess gefördert (vgl. dazu Kap.

10.3).

Einer Probandin fällt auf, dass es um das Gesehen-Werden geht: „(...) eigentlich

geht es darum, dass jeder einfach gesehen werden will. Der Lehrer muss gesehen

werden, damit er auch wieder das Kind sehen will. Und wenn ich gesehen werde,

nachher wachse ich und dann ist Wachsen und Entwicklung einfach wieder mög-

lich“ (B4, Abs. 80). Die Befragte achtet daher immer darauf, nach einer oder zwei

Wochen bei der Lehrperson nachzufragen, wie es ihr geht (B4, Abs. 84). Beson-

ders in Krisensituationen und bei sehr emotionalen Beratungsgesprächen bemüht

sich eine Interviewpartnerin, mit der Lehrperson in Beziehung zu gehen, trotz Kritik

an ihrer Person oder ihrer Arbeitsweise. Sie ist sich sicher, dass es auf Dauer zur

Beruhigung der Situation beiträgt, wenn die Beziehung hält (B2, Abs.50).

Wertschätzung auszudrücken, ist ein Schwerpunkt der ressourcenorientierten Be-

ratung von Lehrpersonen (vgl. dazu auch Kap. 10.4). Wie wichtig die Wertschät-

zung von Lehrkräften in Beratungsgesprächen ist, wird von den Befragten in den

Interviews immer wieder betont. Die Befragten bemühen sich, empathisch auf die

Lehrpersonen zuzugehen, sie dort abzuholen, wo sie gerade sind, und Verständ-

nis für ihre Situation zu zeigen (B5, Abs.71, B6, Abs.36).

Ein zentraler Punkt im Beratungsgespräch ist für eine Interviewpartnerin, dass die

Lehrpersonen mit „allen ihren Schwächen und Stärken da sein können“ (B6,

Abs.16). Sie richtet den Fokus im Beratungsverlauf auf die Stärken der Lehrper-

sonen und vermittelt ihnen das Gefühl, angenommen zu werden (B6, Abs.36). Das

Annehmen kann durch die Körpersprache im Beratungsgespräch betont werden

(B5, Abs.71).

Prozessbegleitung

In der Beratung von Lehrpersonen liegt der Fokus der Befragten auf der Prozess-

begleitung. Expertisen und Fachwissen können in der Beratung berücksichtigt

69

werden. Ausgehend von den Ressourcen der Lehrperson, besteht die Aufgabe der

Befragten darin, die Lehrpersonen zu begleiten (vgl. dazu Kap. 10.2). Von den

Interviewpartner*innen wird darauf geachtet, das Gespräch gut zu strukturieren,

den Lehrpersonen Raum zu geben, mit ihren Themen und ihrem Menschsein da

zu sein und immer wieder hinzuschauen, was gut gelungen ist und was noch ver-

ändert werden kann (B6, Abs. 22, 44, 52). Die Interviewpartner*innen bemühen

sich, den systemischen Blick der Lehrer*innen zu erweitern, damit sie nicht nur

das Kind mit seinen Symptomen sehen, sondern das ganze System (B2, Abs. 36).

Eine Befragte konzentriert sich im Beratungsgespräch darauf, die Lehrperson zu

ermutigen, auch „einmal ein Stück schräger zu denken, nicht immer so in vorge-

gebenen Bahnen, dass man da auch ein bisschen ausprobieren darf“ (B6, Abs.

52).

Entlastung durch Schaffen von Möglichkeiten

Häufig liegt der Fokus der Aufmerksamkeit zu Beginn eines Beratungsgesprächs

von Seiten der Lehrperson auf dem Problem. Es ist darauf zu achten, durch kon-

sequentes Nachfragen die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Anliegen der Lehr-

kraft zu richten. Dies ist ein wichtiger Schritt, um den Spielraum an Möglichkeiten

zu erweitern und Handlungsalternativen zu erkennen (vgl. dazu Kap. 10.3.1).

Aus allen Interviews geht hervor, dass die Befragten sich im Beratungsverlauf be-

mühen, den Lehrpersonen Entwicklung zu ermöglichen, die Zeit braucht und mög-

lichst „druckfrei und auch stressfrei“ (B6, Abs. 34) ablaufen sollte.

Eine Befragte formuliert ihr Vorgehen in der Beratung mit Lehrpersonen folgender-

maßen: „(...) dass wir einfach schauen, wie kann man da auch den Druck raus-

nehmen einmal bei ihnen selber. Das denke ich, ist ganz was Wichtiges und vor

allem auch, dass sie einmal Raum kriegen (...) wo sie dann, wenn sie sich gut

aufgehoben fühlen, schon rausrücken, wo sie noch Entwicklungspotenzial haben“

(B6, Abs. 20). Eine weitere Interviewpartnerin weist darauf hin, dass sich aus ihrer

Sicht Lehrpersonen entlastet fühlen, wenn man ihnen im Gespräch die Angst

nimmt, etwas falsch gemacht zu haben und ihnen das Gefühl vermittelt, begleitet

zu werden oder etwas abgeben zu können (B2, Abs. 36, 55, 57).

70

Kleine Schritte

Bescheidenheit von Seiten der Beratungslehrer*innen und der Blick auf die „klei-

nen Schritte“ (B2, Abs.36) im Beratungsverlauf sind ein zentrales Thema in allen

geführten Interviews. Daher möchte die Autorin diesen Punkt unterstreichen, in-

dem sie vier Interviewpartner*innen direkt zu Wort kommen lässt:

„Da denke ich mir, das ist so schade, das ist echt schade, weil die Kinder in Wahr-

heit grundmotiviert sind. Aber wenn sie nur Druck erleben (...) denke ich mir, ich

nehme immer wieder den Druck raus. Immer wieder sage ich zum Lehrer, da ge-

hen wir jetzt nicht mit und da lassen wir uns jetzt nicht von oben drücken. Und

dann machen wir halt die kleinen Schritte, ja das muss ich hunderteinmillion Mal

wiederholen, dass das auch eine Möglichkeit ist“ (B2, Abs.36).

„Also das sind dann wirklich ganz, ganz fruchtbare Gespräche, wo man sieht, da-

nach hat sich etwas verändert, weil eine klitzekleine Kleinigkeit umgestellt worden

ist. Meistens sind es wirklich Kleinigkeiten“ (B1, Abs.28).

„(...) die Lehrer halt einfach wieder dort zurückzuführen und zu sagen – schau, das

ist dein Wirkungsbereich, da kannst du was tun“ (B4, Abs.26).

„Die Erfahrung, das, was ich als Psychotherapeut oder als Beratungslehrer gelernt

habe, ist: Weniger ist mehr, Bescheidenheit und klein“ (B7, Abs. 29).

Die Interviewpartner*innen achten in der Beratung darauf, durch kleine Verhaltens-

veränderungen der Lehrpersonen und durch die Aktivierung ihrer Ressourcen

schrittweise neue Wege zu gehen, damit sie besser mit gegenwärtigen Problemen

zurechtkommen. Dadurch gewinnen die zu Beratenden mehr Selbstachtung und

ein größeres Selbstbewusstsein (vgl. dazu auch Kap. 10.3.3).

Fragen

Professionelle Beratung von Lehrpersonen verläuft nicht beliebig, sondern folgt

einer bestimmten Struktur. In der Praxis hat sich ein von Bamberger entwickeltes

Beratungssetting bewährt (vgl. dazu Kap. 10.5). Durch ressourcen- und lösungs-

orientierte Fragen werden Veränderungsmöglichkeiten herausgearbeitet und der

Fokus wird auf die Stärken und Ressourcen der Lehrpersonen gerichtet. Durch

einen Perspektivenwechsel von der Problemorientierung zur

71

Ressourcenfokussierung unterstützt der/die Berater*in die Lehrkraft, den Blick auf

ihre persönlichen Fähigkeiten und Stärken zu richten. Lösungsvisionen werden

entwickelt und positive Veränderungen werden möglich. Es wird darauf geachtet,

offene Fragen zu stellen, um die Sichtweise der Pädagog*innen zu erweitern (vgl.

dazu auch Kap. 10.9.2).

In den Beratungsgesprächen kommen bei allen Interviewpartner*innen systemi-

sche Fragen zum Einsatz. Sie werden als hilfreich empfunden, um die Lehrer*in-

nen dabei zu unterstützen, ihre eigene Expertise zu entwickeln und einen Verän-

derungsprozess zuzulassen. Häufig werden folgende Fragen im Interview ge-

nannt:

• Was hast du schon probiert?

• Was ist gut gelungen?

• Was bräuchte es noch?

(B1, Abs.28, B6 Abs.22, 32, B4, Abs.106)

Reflexion

„(...) Lehrkräfte sind ständig gefordert, den Forderungen aus Bildungs-

politik und Gesellschaft gerecht zu werden und ihr pädagogisches Han-

deln an normativen Erwartungen auszurichten. Dazu bedarf es eines

Reflexionssystems, das die professionelle pädagogische Haltung der

Pädagoginnen und Pädagogen unbedingt mit beinhaltet, denn die pro-

fessionelle pädagogische Haltung ist die Instanz, die das Kontinuum

aus Anforderungen und Einstellungen austariert und die Umsetzung in

pädagogisches Handeln ermöglicht“ (Schwer/Solzbacher 2014, S.150).

Die Entwicklung einer professionellen Lehrerpersönlichkeit ist ein kontinuierlicher

Entwicklungsprozess. Lehrpersonen werden in der Beratung dazu ermutigt, sich

zu informieren, zu reflektieren und auszuprobieren (vgl. dazu auch Kap. 10.10).

Auf das Nachdenken und die Reflexion als wichtiges Instrument in der Beratung

wird im Interview besonders von einer Interviewpartnerin genauer eingegangen.

72

Sie sieht in der Bereitschaft der Lehrperson zum gemeinsamen Reflektieren oder

zur Selbstreflexion eine große Chance im Beratungsverlauf. Sobald Selbstrefle-

xion möglich wird, ist sie im Gespräch „auf dem richtigen Weg“ (B6, Abs.26) und

unterstützt die Lehrperson bei einem möglichen Perspektivenwechsel.

„Also da wären wir ein Stück auch bei den Interventionen und Methoden, wenn

man (...) kurz was aufstellt, wie so eine Art Tischbühne – schau, was geht hier ab,

warum kommt das Kind in die Situation oder die Lehrperson auch selber“ (B6, Abs.

24).

Haltung

Wie bereits im theoretischen Teil ausgeführt wurde, ist die Haltung der Lehrperson

entscheidend für professionelles, pädagogisches Handeln (vgl. dazu auch Kap.

10.10). Die befragten Interviewpartner*innen nehmen daher in der ressourcenori-

entierten Beratung von Lehrpersonen besonders Rücksicht auf die Grundhaltung

der Lehrkräfte. Die Abkehr von einem defizitorientierten Blick auf das Kind hin zu

einer positiven Sichtweise ist ihnen ein besonderes Anliegen. Spuren zu hinterlas-

sen, positiv zur Entwicklung der Kinder beizutragen und das persönliche Engage-

ment der Lehrkräfte zu unterstützen, wird von zwei Befragten als wesentliche

Chance genannt:

„Wie gerne sie eigentlich die Kinder mögen“ (B5, Abs.71) und wie sie wissen, „um

was es geht und was da dahintersteht“ (B4, Abs.106), wird als wichtige Ressource

von Lehrpersonen beschrieben.

Eine ressourcenorientierte Grundhaltung zum Wohl des Kindes kann nur entste-

hen, wenn Lehrpersonen Selbstkompetenzen besitzen, die sie ihre eigenen

Schwächen und Stärken erkennen lassen. Eine starke Lehrerpersönlichkeit besitzt

die Möglichkeit, trotz wechselnder Anforderungen reflektiert, flexibel und selbst-

kongruent zu agieren (vgl. dazu Kap. 10.10).

12.2.4 Äußeres Setting

Ein heller, freundlicher und großzügiger Raum, in dem ein ungestörtes Beratungs-

gespräch geführt werden kann, ohne dass man unterbrochen wird, ist allen

73

Interviewpartner*innen ein großes Anliegen. Eine Befragte ergänzt, dass für sie

die Bereitstellung eines kommunikationsfördernden Beratungsraums an Schulen

mit einem „gescheiten Schild vorne dran“ (B4 Abs. 86) auf dem der Name des

Beraters/der Beraterin steht, ein Zeichen von Wertschätzung für die Beratungstä-

tigkeit ist. „Da, wo man das Positive bei einem Kind herausheben möchte, da

bräuchte es einen eigenen Raum (...), und das Konferenzzimmer ist es nicht“ (B1,

Abs.34), wird von einer Interviewpartnerin betont. Es ist auch darauf Rücksicht zu

nehmen, die Beratung nicht durch das Läuten eines Smartphones zu stören (vgl.

dazu auch Kap. 10.8).

Als einen guten zeitlichen Rahmen für ein gut strukturiertes Beratungsgespräch

wird von den Interviewpartner*innen durchschnittlich ein Zeitraum von 50 bis 60

Minuten genannt. Darin stimmen die Befragten überein. Es wird darauf geachtet,

sich bei der Terminvereinbarung flexibel nach den zeitlichen Möglichkeiten der

Lehrperson zu richten (B3, Abs.68) und bei Bedarf ein Folgegespräch anzubieten

(B5, Abs. 67, B6, Abs.42, 44).

12.3 Empfehlungen

12.3.1 Chancen der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen

Aus der Sicht der Beratungslehrer*innen ergeben sich folgende Möglichkeiten

durch ressourcenorientierte Beratung:

• Deeskalation und Beruhigung der Situation

• Stärkung und Anerkennung der Leistung der Pädagog*innen

• Haltungsänderung bei Lehrpersonen

• Blick weiten wieder hin zum Kind

Alle Befragten bieten den Lehrpersonen im Beratungsgespräch Beziehung an, um

sie im Gespräch gut begleiten zu können.

„Also erstens einmal, ich gehe einfach gerne mit Leuten in Beziehung, und das

spürst du einfach im Gespräch (...) wo du einfach merkst, jetzt hat sich was getan,

74

jetzt ist was leichter geworden, jetzt ist das Problem auf einmal nicht mehr so groß.

Also in die positive Richtung hat sich was getan“ (B4, Abs.76).

Die Lehrpersonen zu bestärken, immer wieder zu reflektieren und sich mit den

Kolleg*innen auszutauschen, wird von einer Befragten als weiterer, großer Schritt

in der Beratung genannt (B6, Abs. 46). Sie formuliert diesen Punkt im Interview

folgendermaßen: „Authentisch sein und in Austausch kommen mit den Kollegen –

also das wäre jetzt so wirklich der große, weite Schritt“ (B6, Abs.48).

Als Kernthema wird in den Interviews von allen Interviewpartner*innen ihr Bestre-

ben genannt, den Blick auf das Positive und auf die Ressourcen zu richten (B3,

Abs.72), mit dem Ziel, von einem defizitorientierten Denken in ein ressourcenori-

entiertes Handeln zu kommen (B6, Abs.46).

Das Engagement der Befragten wird in den Interviews besonders spürbar, wenn

auf die positiven Auswirkungen von Beratungsgesprächen auf den Umgang der

Lehrer*innen mit Kindern eingegangen wird. Für eine Interviewpartnerin ist ein Be-

ratungsgespräch erfolgreich, wenn die Lehrpersonen „das Kind als Ganzes sehen

[kann] und nicht nur seine Unzulänglichkeiten, sondern wirklich wieder auf das

Kind neugierig werden und auch sehen, was alles anderes da ist und dass man-

ches, was sie vielleicht als Defizite gesehen haben, vielleicht sogar Qualitäten sein

können“ (B6, Abs.32).

Sie geht im Gespräch auf dieses Thema noch einmal ein. Wenn es ihr gelingt,

dass Lehrpersonen „dieses Wohlwollen dem Kind wieder entgegenbringen, dann

schafft das Kind so viel mehr, weil Kinder sind so gspürig, wie man ihnen begegnet.

Und wenn das wieder möglich ist, dann tut sich bei dem Kind viel, plötzlich fallen

Blockaden (...) das ist echt so schön mit anzuschauen, wenn man auch sieht, wie

da wieder so eine Beziehung da ist (B6, Abs.52).

In pädagogischen Arbeitsfeldern ist die Beziehung zwischen der Lehrkraft und

dem/der Schüler*in ausschlaggebend für eine qualitativ hochwertige Arbeit (vgl.

dazu auch 9.3). Eine beziehungs-und stärkenorientierte Lehrer*innen-Schüler*in-

nen-Beziehung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für gelingendes Lernen

in der Schule (B2, Abs.26).

75

12.3.2 Empfehlungen für die Beratungspraxis

Im Laufe der geführten Interviews haben alle Befragten darauf Bezug genommen,

was ihnen in ihrer praktischen Tätigkeit und ihrer Rolle als Beratungslehrer*in ein

Anliegen ist. Daher ist es der Autorin wichtig, die Beratungslehrer*innen auch in

diesem Punkt kurz zu Wort kommen zu lassen:

„Für mich wäre einmal die Grundvoraussetzung gerade im Schulsystem, dass die-

jenigen, die uns lenken und einsetzen, einmal ein Verständnis kriegen, was Bera-

tung überhaupt ist. Weil die selber das ja auch nicht wissen und kennen. Und wie

sollen die das weitertransportieren, dass das was Positives und was Unterstützen-

des ist, wenn sie das selber noch gar nicht so gecheckt haben, wie unsere Arbeit

eigentlich ausschaut“ (B4, Abs.68).

„Wir sind nicht messbar. Und trotzdem denke ich mir immer wieder, wie gut es vor

allem auch den Lehrpersonen tut, dass die einen Austausch haben. Dass sie es

einfach einmal mit jemand Zweiten besprechen können, das nimmt schon ganz

viel weg von der Belastung“ (B2, Abs.48).

„Für die Beratungslehrerpraxis? Ja, Empfehlungen sind einfach, ich denke mir, die

kleinen Schritte zu sehen und ganz fest den Blick auf das, was schon funktioniert

und auch auf die Ressourcen von den Leuten und auf die Ressourcen vom ganzen

System“ (B3, Abs.70).

„Ich tu das eigentlich schon wirklich gerne. Da ist schon immer noch eine große

Freude dabei. Auch so Prozesse in die Gänge zu bringen. Egal ob jetzt bei Lehrern

oder Schülern, Kindern, Jugendlichen, bei Direktoren, bei Eltern, das finde ich total

spannend, und was dahintersteckt ist sicher, dass ich was Sinnstiftendes mache.

Da stehe ich auch mit meinem eigenen Menschsein ganz dahinter. Es macht ein-

fach einen Sinn und das ist (...) einfach ein Geschenk, dass man so das System

Schule ein Stück mitgestalten kann“ (B6, Abs.52).

Abbildung 111: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anleh-nung an: https://pixabay.com/de/illustrations/schildkröte-tribal-de-

sign-symbol-948263/

Abbildung 112: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/Abbildung 113: Schildkröte der Weisheit stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/illustrations/schild-

kröte-tribal-design-symbol-948263/

76

13 Resümee

13.1 Zu den Forschungsfragen

Das Ausgangsanliegen der Arbeit war es herauszufinden, welche Herausforderun-

gen und Chancen eine professionelle, kompetente Beratung von Lehrpersonen

durch Beratungslehrer*innen bietet. Das führte zu zwei wesentlichen Forschungs-

fragen:

• Was sind die Herausforderungen in der ressourcenorientierten Beratung

von Lehrpersonen durch Beratungslehrer*innen?

• Was sind die Chancen in der ressourcenorientierten Beratung von Lehr-

personen durch Beratungslehrer*innen?

Der Lehrberuf ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Professionalität erfordert.

Miller bezeichnet den Lehrberuf als einen Beruf, der neben Fachwissen Bezie-

hungs- und Selbstkompetenz erfordert (vgl. Miller 2006, S.10). Um den Anforde-

rungen der Gegenwart im Lehrberuf gerecht zu werden, stellt die ressourcenori-

entierte Beratung von Lehrkräften ein effektives und bedarfsorientiertes Angebot

an Schulen dar (vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen 2016, S. 7). Lehr-

kräfte haben die Möglichkeit, professionell ausgebildete Beratungslehrpersonen

im Bedarfsfall anzufordern und Beratung und Unterstützung anzunehmen.

„Ressourcenorientierte psychosoziale Beratung wird somit eine profes-

sionelle Unterstützungsleistung, die in einem gemeinsamen Prozess

der Orientierung, Planung, Entscheidung und Handlung versucht, bio-

psycho-soziale Ressourcen von Personen und sozialökonomische und

ökonomische Ressourcen von Umweltsystemen [...] zu entdecken, zu

fördern, zu erhalten und aufeinander zu beziehen. Ziel ressourcenori-

entierter Beratung ist es, Entfaltung [...] zu ermöglichen, selbstbestimm-

tes und selbstkontrolliertes Gestalten von Alltag und Leben, die Bear-

beitung ihrer Anforderungen und die Nutzung ihrer Entwicklungschan-

cen zu sichern sowie Belastungen und Krisen zu verhindern, möglichst

früh anzugehen sowie deren Folgen für Personen und Systeme kon-

struktiv zu bewältigen“ (Sickendiek et al. 2008, S. 217).

77

Ein zentraler Ansatz der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen durch

Beratungslehrer*innen sind somit die Wahrnehmung, Aktivierung und Stärkung

von personellen und Umweltressourcen, mit dem Ziel, Lehrpersonen bei einer ge-

lingenden und erfolgreichen Bewältigung ihrer Anforderungen bestmöglich zu un-

terstützen. Ressourcenorientierung bedeutet für die Beratung an Schulen, mit den

Themen zu beginnen, die hier und jetzt vorhanden sind. Kleine Schritte zu gehen

und individuelle Lösungen zu erarbeiten, kann zu weitreichenden Veränderungen

in der Wahrnehmung und Haltung von Lehrpersonen führen.

Aus den geführten Befragungen geht hervor, dass die interviewten Beratungsleh-

rer*innen ein grundlegendes Anliegen im gesamten Beratungsprozess nicht aus

den Augen verlieren – den Blick der Lehrpersonen weiten wieder hin zum Kind.

Was Kinder brauchen, sind Lehrpersonen, die sich Zeit nehmen und die Kinder so

akzeptieren, wie sie im Moment sind. Eine wohlwollende, positive Beziehung zwi-

schen Lehrer*innen und Schüler*innen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen

für gelingendes Lernen in der Schule (vgl. B2, Abs. 26).

Dabei sind Beratungslehrer*innen mit drei großen Herausforderungen konfrontiert:

• Lehrpersonen haben Angst, eine Beratung anzunehmen, um nicht beurteilt und

mit ihren möglichen Fehlern konfrontiert zu werden.

• Beratungslehrer*innen sollen das Problem oder das Kind übernehmen und für

eine schnelle Lösung und eine rasche Veränderung sorgen.

• Der berufliche und private Stress und die Überforderung der Lehrpersonen

werden auf die Beratungslehrer*innen projiziert.

Die Befragten haben in ihrer langjährigen Beratertätigkeit Ideen entwickelt, wie Be-

ratung gut gelingen kann. Ein professionelles Beratungsgespräch verläuft nicht

beliebig, es beinhaltet neben einer strukturierten Abfolge von Schritten eine krea-

tive Prozessgestaltung. Als das zentrale Medium von Beratung wird das geführte

Gespräch mit dem Aufbau von Beziehung genannt. Unter der Beziehung zwischen

Lehrperson und Berater*in wird dabei die Gestaltung des interaktiven und emotio-

nalen wechselseitigen Geschehens im Beratungsprozess verstanden (vgl. Schu-

bert et al. 2019, S.146). Ergänzend gehört für die Beratungslehrer*innen eine ge-

naue Ziel- und Auftragsklärung zu einem gelingenden Beratungsprozess dazu.

78

Die Chancen in der ressourcenorientierten Beratung von Lehrpersonen durch Be-

ratungslehrer*innen lassen sich am besten anhand des von Bamberger entwickel-

ten Phasenmodells zusammenfassen (vgl. Kap. 10.5):

1. Synchronisation

Die Lehrpersonen erhalten die Möglichkeit anzukommen. Die Beratungslehrer*in-

nen begegnen den Pädagog*innen wertschätzend und erkennen ihre Leistungen

an. Sie laden sie zum vertraulichen Gespräch ein und achten auf ein positives

Gesprächsklima. Lehrpersonen wollen gesehen werden und zeigen viel Dankbar-

keit, wenn sie sich durch ein Beratungsgespräch entlastet fühlen.

2. Lösungsvision

Durch Ressourcenfokussierung, besonders durch ressourcenorientierte Fragen,

unterstützen die Beratungslehrer*innen die Lehrpersonen, von einem defizitorien-

tierten Denken in ein ressourcenorientiertes Handeln zu kommen.

3. Lösungsverschiebung

Die Beratungslehrer*innen bemühen sich in der Prozessbegleitung, den Lehrper-

sonen Raum zu geben und sie zu motivieren, Lösungsideen zu entwickeln und zu

konkretisieren. Dabei ist es wichtig, achtsam mit den kleinen Schritten im Bera-

tungsprozess umzugehen. Ressourcenorientierung bedeutet in diesem Kontext,

hier und jetzt einmal mit dem zu starten, was zur Verfügung steht.

4. Lösungsevaluation und Lösungssicherung

Der Blick wird im Beratungsgespräch auf das Positive und auf die Ressourcen

gerichtet. Im Fokus des Beratungsprozesses steht die ressourcen- und stärkenori-

entierte Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung. Beratungslehrer*innen unterstüt-

zen Lehrpersonen dabei, eine professionelle pädagogische Haltung zu entwickeln,

ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und das Wohl der Kinder in den Mittel-

punkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen. Eigenschaften wie Selbstreflexion und Em-

pathiefähigkeit gehören in der Beratung selbstverständlich dazu. Die ressourcen-

orientierte Grundhaltung von Lehrpersonen ist entscheidend für einen Richtungs-

wechsel im Umgang mit Schülerinnen und Schülern. Ein positiver Blick auf Kinder

79

mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen und die Orientierung an ihren Stärken wird

durch eine gelungene Beratung in das Blickfeld der Pädagog*innen gerückt.

„[...] wir orientieren uns erst einmal an der Freude und Leidenschaft der Kinder wie

der Lehrer und garantieren außerdem, dass die Kinder in zehn Jahren trotzdem

das gelernt haben werden, was sie lernen müssen“ (Juul 2013, S.165).

Professionelle, ressourcenorientierte Beratung von Lehrpersonen durch Bera-

tungslehrer*innen wird im pädagogischen Bereich erfolgreich angeboten, ist aber

noch nicht als selbstverständliches Angebot an Schulen etabliert. Dabei ist es

zwingend notwendig, durch zeitgemäße Rahmenbedingungen Lehrpersonen in ih-

rer pädagogischen Arbeit bestmöglich zu unterstützen und die Professionalität und

die berufliche Zufriedenheit von Lehrpersonen zu erhöhen.

Abbildung 159: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/

Abbildung 160: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-gecko-leguan-antike-tier-152684/

Abbildung 161: Geko und Eidechse stilisiert, Quelle: in Anlehnung an: https://pixabay.com/de/vectors/eidechsen-

80

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