Rote Sonne

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Der gute Film (Winter 05/06, Mittwoch, 18-22 h, Lorenz Engell). 4. Vorlesung (9. 11. 2005): Rote Sonne ( Rudolf Thome, D 1970) 1. Begrüßung und Ausblick. - Begrüßung. - Heute geht es um einen Film, der davon handelt, wie etwas Ungeheuerliches, nie Dagewesenes und ganz Wesentliches, etwas Absolutes geschieht und zugleich eingeholt wird vom immer schon Vorhandenen, vom Unwandelbaren, und zugleich vom Klischeehaften, Oberflächlichen, Beiläufigen und Modischen. Und dabei ist es nicht nur so, dass das Unglaubliche, Revolutionäre eingekleidet wird in stabile Formen und das Wesentliche ins Oberflächliche, sondern beide werden aneinander vermittelt, ineinander überführt. - Und auch dabei geht es wieder um den Mythos. Auch dieser Film ist ein Mythos, d.h. eine Erzählung, die das, was sie erzählt, in etwas ganz anderes überführt und dabei den Vorgang der Überführung löscht. Aber noch genauer ist (wie beim Samourai) „Rote Sonne“ ein Meta-Mythos, einer, der den Vorgang der Überführung ins Andere und der Löschung ihrer Differenz noch einmal in etwas anderes überführt. 2. Der Käfer ist keine Göttin. - Der Käfer in „Rote Sonne“ ist mindestens so auffällig wie die DS in „Le samourai“. Auch der Käfer ist ein mythologisches Objekt; was für eines ? – Mit Marshall McLuhan wissen wir: ein taktiles Objekt (anders als der Straßenkreuzer, der ein visuelles Objekt, und anders als die Déesse, die nach Barthes ein zunächst visuelles, aber dann taktil angeeignetes Objekt ist. D.h.: Er zielt ab auf Nähe, auf Unmittelbarkeit. Er ist kein „Bote aus einer anderen Welt“, er ist nicht abstrakt. - Da wo das Blech zur Inszenierung des Glases bei der Déesse eingesetzt

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Lorenz Engell

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Der gute Film

(Winter 05/06, Mittwoch, 18-22 h, Lorenz Engell).

4. Vorlesung (9. 11. 2005):

Rote Sonne

( Rudolf Thome, D 1970) 1. Begrüßung und Ausblick. - Begrüßung. - Heute geht es um einen Film, der davon handelt, wie etwas

Ungeheuerliches, nie Dagewesenes und ganz Wesentliches, etwas Absolutes geschieht und zugleich eingeholt wird vom immer schon Vorhandenen, vom Unwandelbaren, und zugleich vom Klischeehaften, Oberflächlichen, Beiläufigen und Modischen. Und dabei ist es nicht nur so, dass das Unglaubliche, Revolutionäre eingekleidet wird in stabile Formen und das Wesentliche ins Oberflächliche, sondern beide werden aneinander vermittelt, ineinander überführt.

- Und auch dabei geht es wieder um den Mythos. Auch dieser Film ist ein Mythos, d.h. eine Erzählung, die das, was sie erzählt, in etwas ganz anderes überführt und dabei den Vorgang der Überführung löscht. Aber noch genauer ist (wie beim Samourai) „Rote Sonne“ ein Meta-Mythos, einer, der den Vorgang der Überführung ins Andere und der Löschung ihrer Differenz noch einmal in etwas anderes überführt.

2. Der Käfer ist keine Göttin. - Der Käfer in „Rote Sonne“ ist mindestens so auffällig wie die DS in „Le

samourai“. Auch der Käfer ist ein mythologisches Objekt; was für eines ? – Mit Marshall McLuhan wissen wir: ein taktiles Objekt (anders als der Straßenkreuzer, der ein visuelles Objekt, und anders als die Déesse, die nach Barthes ein zunächst visuelles, aber dann taktil angeeignetes Objekt ist. D.h.: Er zielt ab auf Nähe, auf Unmittelbarkeit. Er ist kein „Bote aus einer anderen Welt“, er ist nicht abstrakt.

- Da wo das Blech zur Inszenierung des Glases bei der Déesse eingesetzt

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wird, da ist das Blech ganz allein Hauptsache und die Scheiben nur notwendige Durchbrüche beim Käfer. Käfer unterscheidet innen stark von außen (Unbequemlichkeit des Ein- und Aussteigens bzw. hier: -ladens: Der Korb mit der Leiche).

- Bejahung der Materialität statt der Immaterialität (Déesse): Schwere, Stabilität. Die Form als Zeugnis der physikalischen Kräfte (Schwerkraft, Windwiderstand); „Anstrengung“.

- Déesse: Die selbsttragende Zusammenfügung; hier das genaue Gegenteil: Ein zentrales Gerüst (Chassis), das alles andere trägt, an dem alles andere aufgehängt wird. D.h. der Käfer ist kein autonomes technisches Objekt, sondern ein heteronomes; die Technik wird als eigengesetzliche Schöpfung verneint zugunsten eines naturartigen Objektes, das den Naturgesetzen gehorcht und ihnen zugleich abgetrotzt ist. D.h.: auch der Käfer kommt aus einer anderen Welt, aber nicht aus einer abstrakten, magischen, metaphysischen Welt, sondern ganz im Gegenteil: einer natürlichen, ursprünglicheren Welt.

- Anthrophomorphie, mindestens Biomorphie des Käfers: Der Käfer als Lebewesen (Augenmetapher z.B.): Animismus. 3. Der erste Käfer-Mythos: Alles ändert sich, weil nichts sich ändert. - Weitere Elemente des Käfer-Mythos: Die Konstanz. Wir sind im Jahr

1970; der Käfer wird nach einer Konstruktion aus dem Jahre 1938 nahezu unverändert seit über zwanzig Jahren gebaut. Diese Konstruktion ist völlig überholt. Weiteres Element: Unzerstörbar, unverwüstlich. Auch hier: Konstanz, Stabilität. Käfer-Mythos bedient also zwei unvereinbare Elemente zugleich: Die Mobilisierung (immerhin das Auto, das die Bundesrepublik in Bewegung setzte) und die Immobilisierung.

- D.h. genauer: wie kein anderes Produkt steht der Käfer für den Aufschwung nach dem Krieg, für Dynamik, Wachstum, Bewegung, Reisen usw.;

- Randbemerkung: darin ist er dem Fernsehen vergleichbar (vgl. die Abbildung bei Zielinski, in: Audiovisionen: Photomontage, die ein VW-Fließband und die Fließbandproduktion von Fernsehgeräten ineinander montiert; s. dazu oben: Taktilität bei McLuhan, der ja auch dem Fernsehen als „elektrischem“ Medium Taktilität und neres „Interplay of senses“ zuschreibt;

- aber Käfer steht zugleich auch für die Verlässlichkeit, die Veränderungslosigkeit, die Stagnation. Eigentümliche Zeitform: Zukunft im Gewand des Vergangenen. Was ausfällt: Gegenwart

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einerseits, Geschichte andererseits. Die Metapher des „stehenden Gewässers“: Der Käfer im/am Starnberger See. Das berühmte Gegenbild dazu (auch 1970): Wim Wenders: Der Lauf der Zeit; die Käferszene (Zischler rast mit dem Käfer in die Elbe).

- Hier schon Blick auf „Rote Sonne“ möglich: Eine revolutionäre, terroristische, eigentlich höchst bewegte Situation, ein gesellschaftlicher Umbruch, eine Verunsicherung einerseits, aber weitgehender Gleichmut, Beiläufigkeit, Lakonizität andererseits; ruhigste, fast stehende Bilder, kaum Montage- und Verdichtungs- oder Beschleunigungseffekte.

- Besonders wichtig beim Käfer: Die Redundanz, d.h. die Produktion von Gleichheit und Massenhaftigkeit: Alle Käfer sind gleich. Hierin findet sich eine Bejahung des Sozialen, vgl Luhmann: Massenmedien produzieren nicht Information (= Differenz Wissen/Nichtwissen; Beseitigung von Unkenntnis), sondern eben Redundanz (= Produktion eines Wissens um das Wissen der anderen). Käfer: Sogar in der verdichteten Form der (sozialen) Gleichheit. Statt Autonomie der Technik wird also hier ein Zustand „natürlicher Sozialität“ verkündet, die Bejahung einer als natürlich angesetzten sozialen Gleichheit.

4. Der zweite Käfer-Mythos: Pop-Kultur. - Nun aber sind wir im Jahre 1970. Der Käfer ist doch anachronistisch

geworden (1975 wird der Golf kommen). Seine Zeitform ist jetzt die einer gewesenen Zukunft (nämlich: des stattgehabten Aufstiegs)!

- Seit Mitte der 6oer Jahre hat er aber eine völlige Neubewertung erfahren: Ein ganz seltener Fall eines „Zweiten Mythos“. Diese Neubewertung geht aus von den USA, wo der Käfer Teil der Pop-Kultur wird. Damit geht eine nahezu völlige Umbewertung des Käfers einher.

- Pop-Kultur: Hier nicht das eigentliche Thema; aber: Drei Grundelemente: 1. Gegenwartsbezug: Aktualität der kulturellen Erscheinungen, die einander in dichter Folge modisch ablösen; 2.: Pluralität: Es gibt immer mehrere Stile, mehrere Varianten gleichzeitig (vgl. Kontingenz); alles ist auch anders möglich; 3.: Sozialität: Gesellschaftliche Gruppen bilden sich nicht nach Herkommen, Beruf, Einkommen, sondern nach kulturellen Mustern, Lebensstilen usw.: Das ist die Ideologie des Pop. Negativ formuliert: Es geht in der Pop Kultur nicht um ewige Werte, nicht Wahrheit und Sinn, nicht um Herkommen und Authentizität.

- Der Käfer: In den USA für etwa zehn Jahre ein „Anti-Produkt“, das in

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enger Verbindung zur Hippie-Kultur steht und so alle drei Kriterien erfüllt: Es ist aktuell; dabei wird nun auch durch zahllose Varianten (Farben, Accessoires, Sondermodelle usw.) dem Rechnung getragen; er steht für einen bestimmten Stil, eine Ideologie, neben der andere möglich sind.

- Die zwei Varianten der Pop-Kultur: Entweder „bekennt“ sich Pop zu diesen Prinzipien; oder aber Pop negiert sie: Röhrender Hirsch-Syndrom, Volksmusik-Syndrom.

- Zurück nach Deutschland schwappt die Pop-Version des Käfer-Mythos nur sehr ansatzweise. In der Käfer-Werbung der siebziger Jahre kommt das dann aber als zunehmende Ironie zum Ausdruck. Es scheint aber, dass der Käfer beide Pop-Varianten zugleich verkörpert: Die Einheit der Differenz beider Pop-Phänomene (man kann auch das sehr schön an der Käferwerbung sehen, bei der man nicht mehr weiß, ob Eigenschaften wie Massenhaftigkeit der Verbreitung, Unveränderlichkeit der Konstruktion und sagenhafte Haltbarkeit wirklich „ernst“ gemeint sind): Weder Negation noch Affirmation der Vergänglichkeit, der Wesenlosigkeit und Traditionslosigkeit. Plötzlich erscheint der Käfer nicht mehr als spießig, sondern als hip. Das wird sich dann in der Alternativkultur wiederholen: z.B. Birkenstocksandalen und Selbstgedrehte.

5. „Rote Sonne“: Aktualität und Tradition, 1: Der „Neue deutsche Film“

- Was hat das alles mit „Rote Sonne“ zu tun ? – Thema von Stagnation und Revolte; von Sozialität und Natürlichkeit bzw. Naturgegebenheit; und vom Gesetz, dem die Handelnden folgen. Um das zu sehen, erst kurz zum Film und zur alten Bundesrepublik um 1970.

- Ähnlich wie in Frankreich: 1968 als Phase gesellschaftlicher Revolte wurde von einer vorgeschalteten filmischen Revolte angekündigt: Nouvelle Vague und Neuer deutscher Film.

- Der deutsche Film der 5oer Jahre: nach sehr kurzer Blüte (Trümmerfilm) Stagnation mit Heimatfilm, Ärztefilm, Pennälerfilm. - Dann: Das Oberhausener Manifest 1962; Joe Hembus: der deutsche Film

kann gar nicht besser sein. Forderungen: Filmförderung, Filmausbildung, Anschluß des Films an gesellschaftliche Problemlagen, ästhetischer Neubeginn jenseits der Klischees.

- In der Folge: Gründung von Filmhochschulen (München 1966, Berlin 1967, Ulm 1965); Kuratorium Junger deutscher Film, Projektförderung statt ausschließliche Referenzfilmförderung; Film-Fernseh-Abkommen; Gründung der „Filmkritik“.

- Weitere Folge: Alexander Kluge: Abschied von gestern, 1965; Volker

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Schlöndorff, Der junge Törless, 1965; Jean Marie Straub: Nicht versöhnt, 1965; Edgar Reitz: Mahlzeiten, 1965; Peter Schamoni: Schonzeit für Füchse, 1965. Ab Ende der sechziger Jahre: Zweite Generation mit Herzog, Wenders, Fassbinder; Besonderheit des Frauenfilms: Helke Sander: Die allseitig reduzierte Persönlichkeit, 1977; Helma Sanders: Gomorrha, 1973; Ulrike Ottinger: Madame X, 1977; Margarethe von Trotta: Das Zweite Erwachen der Christa Klages, 1977; Jutta Brückner: Hungerjahre 1978; „Frauen und Film“ 1978.

- Ähnlich wie in F. auch: keine einheitliche Gruppe (also nicht nur Nouvelle Vague, vgl. Stellung Malles): Hier: z.B. der Berliner Arbeiterfilm um Ziewer; und eben: die Münchener Gruppe und Zihlmann, Lemke und Thome.

- Diese warfen den Oberhausenern Intellektualismus vor; sinnloses Aufgeben der Erzählkraft des Kinos, Entfremdung von den Zuschauern. In D. kann man eine engere Orientierung der Oberhausener Gruppe am literarischen und experimentellen feststellen, wie sie in F. eher die rive gauche um Resnais, Robbe Grillet, Varda, Duras vertritt. Dagegen ist Thome ganz eng z.B. an Rohmer, aber auch an Truffaut orientiert.

6. Aktualität und Tradition, 2 - Auf den ersten Blick ist erkennbar, dass „Rote Sonne“ absolut

gegenwartsbezogen ist: Die Kleidung, die modischen Accessoires (Interieurs usw.). Die Besetzung: Uschi Obermaier als Pop-Ikone der (Kultur-)Revolte. Unterscheidung Kulturrevolte und politische Revolte: Kommune 1 (und Kommune 2) gegen den SDS; also: Langhans, Teufel, Obermaier gegen Dutschke. Die Vorahnung des Terrors (zweierlei Ansatz: RAF und 2. Juni).

- Die überlagernde, vielleicht aber auch eigentliche Revolte: Die sexuelle Revolution (Empfängnisverhütung und das – in der Form/Praxis männliche – Phantasma der „Freien Liebe“) und der feministische Aufstand innerhalb des Aufstands: Der SDS Weiberrat; Helke Sander („Der subjektive Faktor“ als sehr instruktiver Rekonstruktionsversuch); Radikalisierungen: Valerie Solanas und „SCUM“.

- Die sexuelle Verfügbarkeit UND ZUGLEICH die Verhängung der Höchststrafe: Umbruch der Verhaltenscodices: „Rote Sonne“ als Dokument der Verunsicherung. Daher auch seltsam gebrochene Klischees: Sie werden fortgesetzt (Thomas; alle anderen Männer, aber auch die Heldinnen) und unterlaufen zugleich; wenigstens ironisiert und verkehrt.

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- Andererseits aber: Variation uralter, mythischer Themen: Geschlechterkampf; die absolute, bedingungslose Liebe (amour fou); Der seiner Kräfte beraubte Mann (Samson und Delilah; Odysseus und Circe); das Revolverduell.

- Diese beiden Kräfte werden aber nicht wie gewöhnlich behandelt: „Ewiges“ Thema „aktualisiert“, in „neuen Formen“; aber auch nicht: modisches Thema in klassischen Formen und Klischees eingekleidet; sondern: beides ist zugleich beteiligt; interagiert (vgl.: Komplexität !).

7. Filmische Figuren in „Rote Sonne“: Bewegung und Farbe - Daß es um Revolte, um Geschlechterkampf und feministischen

Terrorismus geht, aber auch um die taditionelle Figur des „Amour fou“, ist mehr als deutlich. Aber: wie wird das filmisch formuliert ? Es kann ja sein (und ist oft so), dass das, was gesagt wird, in der Rede wieder ausgelöscht, ungedreht usw. wird (denken wir an den Mythos, der das, was er sagt, völlig auslöscht durch die Art, wie er es sagt !).

- Die Erscheinungen: Die vier Frauen als extrem modisch gebunden, sehr auffällig als Zuspitzungen kenntlich gemacht dessen, was man damals wohl als „sexy“ bezeichnet hätte, d.h. in gewissem Umfang als komplette Männerphantasien; zugleich werden sie aber als völlig – ja beunruhigend - autonom vorgeführt. Sie nehmen Rollen als erotische Schau- und Spekulationsobjekte visuell und durchaus auch in den Handlungen an, widersetzen sich ihnen zugleich aber auch bzw. entziehen sich.

- Bewegung: Bewegungen der Figuren: Bemessen, extrem kontrolliert, fast langsam, bedingt auch durch die Kleidung (enge Röcke, hohe Schuhe), die z.B. fließende Bewegungen im Freien (Natur: Feld, Wald) nicht zulässt. Dadurch bekommt alles etwas Statuarisches, extrem Stilisiertes, Unrealistisches, Künstliches.

- Bewegungen der Kamera: Wenig Kamerahandlungen und Montage, lange gehaltene Bilder in Halbtotal- und Halbnaheinstellungen (also vor allem mittlere Cadragen).

- Das wird unterstützt durch die Farbgebung: Sehr starke Farbgliederung der Bilder erstens durch klare, geschlossene Flächen und zweitens intensive Farbtöne: Weiß, Rot, Orange, Sand, Senf usw. Klare, fast leere Interieurs mit wenigen (und dann ausgesprochen modisch-designerischen) Objekten. Dadurch wird erstens die (vgl oben: Pop !) Bindung an die Aktualität hervorgehoben; zweitens aber das Bild auf das reduziert, was es an sich selbst ist: Farbe, Fläche. Das wird auch besonders betont durch die Bilder (z.B. im Hotel) mit leeren,

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bzw. schwarzen, unausgeleuchteten Hintergründen (keine Raumgrenzen).

- Die Bilder sind immer schon Plakate, Poster, Abzüge in Pose, Form, Farbe. Nichts ist ursprünglich, alles gemacht. Aber dennoch ist alles ganz einfach, gleichsam ganz natürlich und frag- und voraussetzungslos.

8. Ton und Raum - Besonders bemerkenswert: Der Ton (Die Sprache): Eher eine

schriftliche Sprache, besonders bei Thomas (Ich brachte eine Flasche Wein mit). Thomas sagt auch Texte wie aus einer Filmkritk auf (Ich habe einen gewissen kaputten Charme). Dazu kommt, dass die Texte nachsynchronisiert wurden, also zwar nahezu, aber eben nur nahezu lippensynchron und v.a. atmosphärisch nicht passgenau sind. Die Frauen sprechen auch alle ganz hauchend, leise. Manchmal scheint der Ton auch aus dem Off zu kommen (wenn z.B. die Sprecher der Kamera den Rücken zu wenden, dann hat man nicht den Eindruck, dass sie es sind, die sprechen, sondern Off-Erzähler).

- Der Effekt: Es gibt einen „akusmatischen“ Außenraum um das Bild herum (vgl. Michel Chion), aus dem die Stimme kommt, der aber weder einfach die Verlängerung des Bildraums noch ein wirklicher Außenraum dazu ist. Handlung, Erzählung, Reflexion scheinen aus einem „anderen“ Raum zu kommen, der immer „dazwischen“ (nämlich: zwischen den Bildern und dem Off) liegt. Beachte: Komplexe Beziehungen zwischen „Innen“ und „Außen“; aber auch: Einzug der Beobachtung ins Beobachtete, hier aber umgelegt auf die Beziehungen zwischen Ton und Bild.

- Überhaupt die Räume: Mehrfache Staffelung von Innen-/Außen -Verhältnissen: Die Wohnung als Innenraum. Die Stadt als ihn umgebender Außenraum; dazu gehören auch die Kneipen und Hotelzimmer sowie die Autos. Dann das Land (Feldszene bei der Probesprengung; Ufer des Starnberger Sees) als Außenraum wiederum dazu; und schließlich ganz außen „Marokko“ als Chiffre eines gänzlich Offenen, Anderen.

- Komplikationen: Der äußerste Raum (Marokko) taucht innerhalb des innersten Raums auf (Plakat in der Wohnung); außerdem wird der Wohnung wiederum die gewohnte Wiederholung der Innen-Außen-Gliederung entzogen (denn: jeder kann überall schlafen); an ihre Stelle treten variable Zugangshemmnisse (verschlossene Türen).

- Der „beliebige Raum“ (Marc Augé, Gilles Deleuze): Der Stadtraum gibt

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keine wirkliche Orientierung. Er zeigt Verkehrsflächen und –bauwerke, Orte, an denen man sich nicht aufhalten kann, die keine Raumeigenschaften haben. Keine Handlungsräume, sondern solche, an denen die Handlung eine Wendung erfahren, einen anderen Verlauf nehmen kann.

- Bemerkung dazu: Hier stoßen wir auf einen neuen Aspekt der Zufälligkeit des Komplexen: Nach der Koinzidenz und der Kontingenz jetzt: Beliebigkeit; außerdem auch: Willkür (Das Bild mit dem Schuß in die Menge, das Willkür und Beliebigkeit zusammenzieht).

- Zugleich gibt der Stadtraum dem Film aber auch – ganz ähnlich wie bei „Le samourai“ – etwas stark Realistisches, Alltägliches. Besonders dann, wenn sogar die Passanten offenbar auf die Filmkamera reagieren (Zufallsschussbild).

- Anders als in „Le samourai“ kommen aber die Hauptfiguren nicht eigentlich aus einer jenseitigen Welt, sondern aus einer doppelt codierten Welt, die „darunter“, d.h. unter der sichtbaren Alltagsrealität liegt oder „innerhalb“ ihrer: Nämlich einmal aus der Natur, zum anderen aber aus der Welt der Klischees, der Mode, der Kulturindustrie, mit einem Wort: Des Kinos.

-Außenraum: Die Natur (mit allem, was dazu gehört: Ewigkeit, Leben, aber auch Tod). Extremer Außenraum schließlich: Das Phantasma, Utopie. Und dieser phantasmatische Raum kehrt nicht nur symbolisch (Air Maroc-Plakat) im Inneren wieder; vielmehr ist auch der Innenraum selbst völlig phantasmatisch; das Phantasma durchzieht alle Ebenen: Das Revolverduell.

- Das größte aller Phantasmata aber ist am Ende das Kino selber, die Phantasiemaschine, der „Mythenmetz“. Unser Film handelt also

von der Überführung des Alltags in Natur, der Revolte in Stagnation (bewegungslose Bewegung) einerseits, von der Überführung dieser Überführung in Film andererseits: Ein Doppelmythos.