rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn,...

20
dtv

Transcript of rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn,...

Page 1: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

dtv

Page 2: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

In seiner Villa in Tibur schreibt der sechzigjährige KaiserHadrian an seinen Adoptivenkel, den späteren HerrscherMarc Aurel. Was er dem siebzehnjährigen Jüngling mit-teilt, gleicht einem reflexiven Selbstgespräch, ist ein Ver-such des alternden Mannes, die wechselnden Masken undGesichter des eigenen Ich zu erkunden: Hadrian wurde alsProvinzler im westlichsten Teil des Reichs, in Spaniengeboren. Der Eroberungswut seines Vorgängers Trajansetzt der musische und sensible Hadrian seine Friedenspo-litik entgegen, die die segensreichsten Auswirkungen aufdas Reich haben sollte. Zwei große Leidenschaften präg-ten diesen ungewöhnlichen Herrscher: die einfühlendeBewunderung griechischer Kunst und die Liebe zu dembithynischen Knaben Antinous ...Ein Besuch der Villa Adriana bei Rom weckte in der zwan-zigjährigen Marguerite Yourcenar den Plan, eine Biogra-phie dieses Mannes zu verfassen. Als die fiktiven Erinne-rungen in deutscher Sprache erschienen, schrieb LudwigCurtius: »Man hat nur wenige Seiten ... zu lesen, um voneinem doppelten Zauber umfangen zu werden: von demZauber der großen Persönlichkeit des Kaisers und vondem Zauber der dichterischen Einfühlung der Verfasserinnicht nur in dessen persönliche, sondern in seine ganzeweite antike Welt.«

Marguerite Yourcenar, am B. Juni 1903 in Brüssel geboren,studierte in Frankreich, England und in der Schweiz undwurde Professorin für französische Literatur in NewYork. 198o wurde sie als erste Frau in die Académiefranaise gewählt. Sie starb am IS. Dezember 1987 in Mai-ne/USA.

Page 3: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Marguerite Yourcenar

Ich zähmte die Wölfin

Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian

Aus dem Französischenvon Fritz Jaffe

Mit einem Anhang>Notizen zur Entstehung des Buches<

Deutscher Taschenbuch Verlag

Page 4: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Von Marguerite Yourcenarsind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:

Die schwarze Flamme ( 1 3 079)Der Fangschuß (13080)Chenonceaux (13081)Gedenkbilder (13082)Lebensquellen (13083)

Liebesläufe (13084)Eine Münze in neun Händen (13418)

?. lishima oder die Vision der Leere ( 1 3 293)

Ungekürzte AusgabeSeptember 1961

22. Auflage Dezember 2006Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,

Münchenwww.dtv.de

© 1 974 Marguerite Yourcenar und Editions GallimardTitel der französischen Originalausgabe:

>Mémoires d'Hadrian<(Erstveröffentlichung 19 51 bei Librairie Plon)

© i953 der deutschsprachigen Ausgabe:Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagbild: Römisches Mosaik, 1. Jh.

(Erich Lessing/AKG, Berlin)Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in GermanyISBN-13: 978-3 -423 -12476-8

ISBN-IO: 3-423-12476-8

Page 5: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Animula, vagula, blandulaHospes comesque corporis,Quae nunc abibis in locaPallidula, rigida, nudula,Nec, ut soles, dabis iocos ...

P. Aelius Hadrianus, Imp.

Seele du, schweifende, zärtliche,Leibes Gefährtin und Gast,Nun führt ins düstere ReichFröstelnder Schatten dein Weg,Und nie scherzest du fürder wie einst . ..

Page 6: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n
Page 7: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Animula vagula blandula

Mein Marcus,ich bin heute morgen zu Hermogenes gegangen, meinemArzt, der von einer längeren Reise in Asien wieder in dieVilla zurückgekehrt ist. Da die Untersuchung in nüchter-nem Zustande vorgenommen werden sollte, hatte ich michin den frühen Morgenstunden eingefunden. Nachdem ichmich des Mantels und der Tunika entledigt hatte, streckteich mich auf ein Bett hin. Einzelheiten, die dir ebensozuwider sein würden, wie sie es mir sind, erspare ich uns.Was hätte es für einen Zweck, dir den alternden Körpereines Mannes zu beschreiben, der sich damit abfindenmuß, an der Herzwassersucht zugrunde zu gehn! So be-gnüge ich mich damit, dir zu sagen, daß ich gemäß denAnweisungen, die der Arzt gab, hustete, tief einatmeteund den Atem anhielt. Der rasche Fortgang, den das Übelinzwischen genommen hat, machte auf Hermogenes sicht-lichen Eindruck. Er schien geneigt, die Schuld daran demjungen Jollas beizumessen, der mich in seiner Abwesen-heit pflegte. Es ist wahrlich nicht leicht, vor einem Arzt dieMenschenwürde zu bewahren, geschweige denn Kaiser zubleiben. Vor seinem wissenden Blick schrumpfte ich zueinem bresthaften Häufchen zusammen, zu einem schad-haften Gefäß für Blut und trübe Säfte. Zum ersten Maleenthüllte sich mir heute morgen mein Leib, dieser alteFreund und treue Gefährte, den ich soviel besser kenneals meine Seele, als ein tückisches Ungeheuer, das gegenseinen Gebieter aufbegehren will. Geduld! Ich habe ihnlieb, diesen meinen Leib. Er hat mir treu gedient aufjegliche Weise, und ferne sei es von mir, ihm die notwen-dige Pflege zu mißgönnen. Aber anders als Hermogeneses immer noch zu tun vorgibt, vertraue ich nicht mehr aufdie Heilkräfte der Kräuter und das Mengenverhältnis derSalze, die er aus dem Orient mitgebracht hat. Der sonst

7

Page 8: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

so gescheite Mann glaubt mich mit Redensarten tröstenzu sollen, zu nichtssagend, als daß sie den Leichtgläubig-sten täuschen könnten. Wohl weiß er, wie sehr ich dieseArt von Betrug verabscheue, aber man ist schließlichnicht umsonst mehr als dreißig Jahre hindurch Arzt ge-wesen. So verzeihe ich denn dem ergebenen Diener sei-nen Versuch, mir meinen baldigen Tod zu verheimlichen.Hermogenes ist gelehrt, ja sogar weise, und weit redli-cher, als Hofärzte gemeinhin zu sein pflegen. Ich werdealso besser betreut werden als sonst ein Sterblicher. Aberdie gesetzte Grenze überschreitet niemand. Meine ge-schwollenen Beine lassen mich während der langwierigenrömischen Zeremonien im Stich, und ich ringe nach Luft.Ich bin ein Mann von sechzig Jahren.

Glaube mir, noch ist es nicht so weit, daß ich mich denWahngebilden der Furcht hingebe, die ebenso töricht,dabei aber quälender sind als die, welche die Hoffnunguns vorgaukelt. Wenn ich mich schon irren soll, dannimmer noch lieber im zuversichtlichen Sinne: dabei ver-liere ich auch nicht mehr, leide aber weniger. Der fataleAugenblick droht noch nicht unmittelbar hereinzubre-chen, so nah er auch sein mag. Noch darf ich jede Nachtin der Hoffnung einschlafen, das Licht des neuen Tageszu sehen. Innerhalb der unübersehbaren Grenzen, vondenen ich sprach, vermag ich das Gelände Zoll für Zoll zuverteidigen, vielleicht sogar hie und da ein wenig Bodenzurückzugewinnen. Immerhin bin ich in das Alter einge-treten, in dem das Leben für den Menschen zur einge-standenen Niederlage wird. Es bedeutet nichts, wenn wiruns sagen, daß unsere Tage gezählt sind, denn so war esvon je und so ist es noch heute für alles, was atmet. Jemehr aber die Krankheit fortschreitet, je mehr verringertsich die Ungewißheit über Ort, Zeit und Todesart, dieuns das Ziel verbirgt, dem wir unablässig entgegengehn.Der erste beste kann im nächsten Augenblick sterben,aber der Kranke weiß genau, daß er in zehn Jahren nichtmehr leben wird. Mein Spielraum umfaßt nicht mehr Jah-

8

Page 9: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

re, sondern nur noch Monate. Meine Aussichten, durcheinen Dolchstoß oder durch einen Sturz vom Pferde zuenden, schwinden immer mehr; der Tod durch die Pestist unwahrscheinlich geworden, Krebs und Aussatz kön-nen kaum noch Macht über mich gewinnen. Keine scoti-sche Streitaxt wird mir an den Grenzen des Reiches denSchädel spalten und kein Partherpfeil die Brust durch-bohren. Auch dürfte der Magier recht behalten, der mireinst prophezeit hat, daß ich nicht ertrinken würde: dieStürme haben die ihnen so oft gebotene Gelegenheit ver-schmäht. So werde ich an einem Erstickungsanfall ster-ben, hier in Tibur, vielleicht in Rom, höchstens in Nea-pel. Wird es der zehnte oder der hundertste Anfall sein,der mich dahinrafft? Nur darum handelt es sich noch.Wie der Reisende, der das Inselmeer durchschifft, dieUferlinie im Abenddunst aufleuchten sieht, sehe ich all-mählich den Umriß meines Todes Gestalt annehmen.

Schon gleichen manche Gebiete meines Lebens denausgeräumten Sälen des zu großen Palastes, den der ver-armte Besitzer nicht mehr ganz bewohnt. Ich jage nichtmehr. Die Rehe in den etrurischen Bergen könnten fortanin Frieden äsen, wäre ich der einzige Störenfried, der siebedroht. Von je unterhielt ich zur Diana der Wälder dielaunischen und leidenschaftlichen Beziehungen, die denMann mit einer Geliebten verbinden. Dem Jüngling botdie Jagd auf den Keiler die erste Gelegenheit, seine Um-sicht und seinen Mut zu bewähren; ich gab mich ihr mitsolchem Feuer hin, daß dies Übermaß mir den Tadel Tra-jans eingetragen hat. Beim Halali in einer hispanischenLichtung trat mir zum ersten Male der Tod vor Augen,das Leid der Kreatur wurde mir bewußt, aber auch dieunheilvolle Lust, sie leiden zu sehen. Als Erwachsenererholte ich mich auf der Jagd von all den Händeln mitGegnern, die mir bald zu schlau und bald zu blöd, baldzu gering und bald zu stark vorkamen. Der ausgewogeneKampf zwischen der menschlichen Klugheit und der Listdes Wildes dünkt mich ungleich sauberer als das Ränke-

9

Page 10: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

spiel der Menschen untereinander. Als ich Kaiser wurde,erprobte ich bei den toskanischen Jagden den Mut unddie Geistesgegenwart meiner Würdenträger; mehr als ei-nen hohen Staatsbeamten habe ich dabei entlassAn, mehrals einen ausgesucht. Später nahm ich die großen Treib-jagden in Bithynien und Kappadocien zum Vorwand fürtriumphale Feste, die ich in Asiens herbstlichen Wäldernveranstaltete. Aber der Gefährte meiner letzten Jagden istjung gestorben, und seitdem hat meine Freude an dieserheftigen Zerstreuung stark nachgelassen. Und dennochgenügt selbst hier in Tibur das Röhren eines Hirsches imDickicht, um in mir den ältesten aller Triebe wachzuru-fen, jene Leidenschaft, kraft der ich mich ebenso als Ge-pard fühle wie als Kaiser. Wer weiß? Vielleicht bin ichnur deshalb mit Menschenblut so sparsam umgegangen,weil ich das der Tiere so reichlich vergießen durfte, ob-wohl ich sie im stillen oft den Menschen vorziehe. Wiedem auch sein mag, das Bild der wilden Tiere beschäftigtmeine Seele mehr als das der Menschen, so daß ich desAbends immer an mich halten muß, um nicht meine Gä-ste mit endlosen Jagdgeschichten zu langweilen. DieErinnerung an den Tag meiner Adoption durch Trajanhat gewiß ihren Reiz, aber auch der in Mauretanien zurStrecke gebrachten Löwen entsinne ich mich mit Vergnü-gen.

Noch schwerer fällt der Verzicht auf das Pferd. EinRaubtier ist schließlich nur ein Gegner, ein Pferd aber einFreund. Wenn ich mir meine Daseinsform hätte aussu-chen dürfen, hätte ich die eines Kentauren gewählt. Mei-ne Beziehungen zu Borysthenes waren von mathemati-scher Genauigkeit: er gehorchte mir wie seinem Gehirnund nicht wie seinem Meister. Habe ich ähnliches je beieinem Menschen erreicht? Freilich bringt eine so voll-kommene Herrschaft für den Mann, der sie ausübt, auchGefahren mit sich, doch war die Lust, beim Nehmen vonHindernissen das Unmögliche zu wagen, zu groß, umnicht eine ausgerenkte Schulter oder eine gebrochene

IO

Page 11: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Rippe gern in Kauf zu nehmen. Mein Pferd ersetzte dieunzähligen und doch so beiläufigen Bewertungen, diesich an Titel, Rang, Amt und Macht knüpfen, durch dieKenntnis meines rein menschlichen Gewichtes. Genau,genauer vielleicht als ich selber, kannte es den Punkt, andem meine Kraft meinen Willen im Stich ließ. Das warBorysthenes, und seinem Nachfolger möchte ich die Lasteines Kranken, dessen erschlaffte Muskeln ihm nichtmehr selbständig auf den Pferderücken verhelfen, nichtzumuten. Mein Adjutant Celer reitet das neue Tier aufder Straße nach Praeneste eben zu, und meine Erfahrungerlaubt mir, die Freude von Pferd und Reiter zu teilen.Ich verspüre mit Geier die Lust des Mannes, der sich mitverhängten Zügeln in Wind und Sonne tummelt, undwenn er vom Pferde springt, berühre ich den Boden mitihm. Ähnlich geht es mir mit dem Schwimmen, das ichmir versagen muß, ohne doch vergessen zu können, wiedem Schwimmenden zumute ist, wenn ihn die Welle lieb-kost. So wenig wie ein Standbild vermag ich noch zulaufen, sei es auch eine kurze Strecke, und doch entsinneich steinerner Caesar mich gern des tollen Dahinstürmensüber Hispaniens dürre Hügel, jenes Spieles, das das Kindmit sich selbst bis zur Atemlosigkeit spielte. Wußte esdoch, daß sein tadelloses Herz und seine gesunden Lun-gen rasch das Gleichgewicht wiedererlangen würden. Fürden bescheidensten Athleten, der im Stadion den Lang-lauf übt, blieb mir ein Verständnis, das der Verstand al-lein nicht geben kann. So vermachte mir jede Fertigkeit,die mir eigen gewesen ist, den Besitz eines Wissens, dasmich für einen Teil der verlorenen Freuden entschädigt.Zuweilen glaubte ich und glaube manchmal noch, daß esauf diese Weise möglich sein könnte, am Dasein allerteilzuhaben, und daß es erlaubt sei, in dieser Anteilnahmeein unveräußerliches Stück Unsterblichkeit zu erhaschen.In gewissen Augenblicken bemühte sich mein Verständ-nis, die Grenzen des Menschlichen zu überschreiten, esgriff vom Schwimmer über auf die Woge. Das heißt dann

I I

Page 12: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

freilich in die Zauberwelt der Träume eintreten, dennkein genaues Wissen leitet hierbei unsere Vorstellung.

Die Völlerei gehört zu den römischen Lastern, ich aberfand Genuß im Maßhalten. Hermogenes brauchte anmeiner Diät nichts zu ändern, es sei denn die Ungeduld,die mich an jedem Ort und zu jeder Zeit eine beliebigeSpeise hinunterschlingen ließ, nur um dem Hunger soschnell wie möglich sein Recht zu nehmen. Natürlichwürde es einem reichen Manne nicht anstehn, sich seinerEnthaltsamkeit zu rühmen: soweit ihm nicht vorüberge-hende Zustände wie Krieg oder Reisen Entbehrungenauferlegen, kennt er sie nur als Folge freiwilliger Entsa-gung. Sich bei festlichen Gelegenheiten vollzustopfen giltals Vorrecht, Ehrgeiz und Stolz der Armen. Ich mochteden Duft gebratenen Fleisches und den Lärm der Feldkü-chen bei den Festen, die sich die Truppe leistete. IhreGelage sollten — sofern man sie Gelage nennen kann — dassein, was sie von je waren, eine herzhafte Entschädigungfür die Kargheit des Alltags. Auch den Geruch des Ge-backenen, der während der Saturnalien über den öffentli-chen Plätzen dunstete, ertrug ich leidlich.

Dagegen flößten mir die großen Staatsbankette in Romso starken Widerwillen ein, daß ich mir bei lebensgefähr-lichen Unternehmungen im Krieg oft zum Trost sagte,daß ich fortan wahrscheinlich wenigstens nie wieder zuessen brauchen würde. Verkenne mich bitte nicht, ich binkein törichter Kostverächter. Eine Handlung, die wirzwei- bis dreimal täglich vornehmen, um uns am Lebenzu erhalten, ist gewiß sorgfältiger Beachtung wert. EineFrucht essen heißt einen schönen, lebenden, fremden Ge-genstand sich einverleiben, der gleich uns von der MutterErde genährt und zur Reife gebracht wurde. Nie habe ichin ein Kommißbrot beißen können, ohne darüber zustaunen, daß dies grobe, schwere Gemengsel sich in unszu Blut, Wärme, vielleicht sogar Heldenmut zu wandelnimstande ist. Ach, weshalb besitzt mein Geist selbst inden glücklichsten Augenblicken die verarbeitenden und

I2

Page 13: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

angleichenden Fähigkeiten des Körpers nur in so unvoll-kommenem Maße?

Während der ausgedehnten Gelage in Rom kam es mirin den Sinn, wie verhältnismäßig frischen Ursprungesdoch all dieser Aufwand bei uns eigentlich ist. Ich stelltemir vor, wie dies Volk von sparsamen Kleinbauern undrauhen Soldaten sich nach der Eroberung plötzlich überdie asiatischen Kochstuben hermachte und ihre üppigenErzeugnisse in sich hineinfraß. Unsere Römer füllten sichden Wanst mit Fettammern, gossen Ströme von Saucenhinunter und vergifteten sich mit Gewürzen. Apiciusrühmt seine Speisenfolge, jene Reihe von sauren und sü-ßen, schweren oder leichten Gängen, die den Reiz seinerGastmähler ausmachen. Wenn doch wenigstens jeder die--ser Gänge einzeln gereicht, auf nüchternen Magen genos-sen und von einem Feinschmecker mit gesunden Orga-nen gewürdigt worden wäre! So aber, wie sie hier inWirrwarr und Lärm durcheinander verabfolgt wurden,mußten sie in Mund und Magen der Gäste, die sie ver-zehrten, eine abscheuliche Unordnung anrichten. Bei sol-chem Verfahren, bei dem die einzelnen Speisen ihrenWert und ihre köstliche Eigenart einbüßen, kommenDuft und Geschmack nicht mehr zur Geltung. Früherstrengte sich mein armer Lucius an, mir erlesene Gerichtezu bereiten. Seine Fasanenpastete mit ihrem fein ausge-wogenen Zusatz an Schinken und Gewürzen verriet inihrer Art so viel Künstlertum wie die Werke der Malerund Musiker. Und dennoch wäre mir das unverfälschteFleisch des schönen Vogels lieber gewesen. Die Griechenverstanden sich noch ungleich besser auf dergleichen! Ihrgeharzter Wein, ihr mit Sesam versetztes Brot, ihre amStrande auf schlichtem Rost schwarz gebratenen Fische,in denen beim Kauen hier und da ein Sandkorn knirschte,stillten so wundervoll den Hunger, ohne die einfachsteunserer Freuden unnötig zu erschweren. Ich habe in denKneipen des Phaleron und auf Ägina so frische Speisengenossen, daß sie mir, ungeachtet der schmutzigen Finger

13

Page 14: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

des Kellners, göttlich rein vorkamen, so bescheiden unddoch so ausreichend, daß sie in der denkbar gedrängte-sten Form ein Lebenselixier spendeten. Auch das amAbend nach der Jagd abgekochte Fleisch hat gleichsametwas Geweihtes an sich. Es führte den Geist zurück indie Vorzeit, zum wilden Ursprung der Völker. Der Weinweiht ein in die vulkanischen Geheimnisse des Bodensund in seine unsichtbaren mineralischen Schätze. Ein Be-cher Samos, in der Mittagsglut unter der Sonne getrunkenoder auch an einem Winterabend in einem Zustand derErschlaffung, der es uns erlaubt, im Zwerchfell alsbalddie Wärme zu verspüren und ihr Rinnen durch dieAdern, dies Gefühl grenzt an das Überirdische, es ist fastzu groß für einen Sterblichen. Ich empfinde es nicht sostark, wenn ich einen der mit Zahlen bezeichneten KellerRoms verlasse, wo mir zudem die Wichtigtuerei der gro-ßen Weinkenner auf die Nerven geht. Das noch heiligereWasser, das wir an der Quelle schöpfen, durchrieselt unsmit dem verborgenen Salz der Erde und mit dem Regendes Himmels. Sogar das Wasser ist ein Labsal, das sich einKranker wie ich nur noch mit Maßen gönnen darf. Unddennoch will ich seine farblose Frische noch in der To-desstunde auf den Lippen fühlen, sei es auch untermischtmit den letzten bittren Tränken des Arztes.

Auf der Philosophenschule, wo es Brauch ist, jede Artder Lebensführung einmal kennenzulernen, habe ichmich kurze Zeit des Fleischgenusses enthalten. Später sahich in Asien, wie indische Gymnosophen unter dem Zeltdes Chosroes sich abwandten, wenn die dampfendenLammbraten und zerlegten Gazellen gereicht wurden.Aber dieser Verzicht, der deiner jugendlichen Sitten-strenge zusagen mag, erheischt noch mehr Umstände alsdie wahllose Prasserei. Er würde uns, die wir durch unse-re Stellung zur Geselligkeit verpflichtet sind, zu sehr vonden Menschen trennen. Lieber verspeise ich mein ganzesLeben hindurch Mastgänse und Perlhühner, als daß ichmir bei jeder Mahlzeit ein betontes Asketentum nachsa-

14

Page 15: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

gen lasse. Es kostet mich schon einige Mühe, meine Gästemit Hilfe von getrockneten Früchten oder eines langsamgeleerten Bechers darüber hinwegzutäuschen, daß dievon meinem Küchenmeister bereiteten Gerichte mehr ih--nen zugedacht waren als mir selber oder daß meine Be-gierde danach vor der ihrigen zu erlöschen pflegte. EinHerrscher genießt in diesen Dingen nicht dieselbe Bewe-gungsfreiheit wie ein Philosoph. Er darf nicht in allzuvie-len Punkten \ om gemeinen Brauch abweichen, und dieGötter wissen, daß ich vielfach davon abwich, so sehr ichmir auch einbildete, daß es nicht jedem und nicht zu sehrauffiel.

Die Bedenken der Gymnosophen, ihr Schauder vorblutigem Fleisch hätten auf mich mehr Eindruck ge-macht, wenn ich mich nicht hätte fragen müssen, worinsich der Schmerz des gemähten Halmes von dem des ge-schlachteten Schafes schließlich unterscheide. Unser Mit-gefühl mit dem getöteten Tier beruht doch vornehmlichdarauf, daß das Schmerzempfinden bei Mensch und Tiervon der gleichen bekannten Art ist. Doch habe ich michzu gewissen Zeiten, anläßlich der vorgeschriebenen Fa-sten zum Beispiel, mit den Vorteilen vertraut gemacht,die die verschiedenen Formen der Enthaltsamkeit bieten,und auch mit ihren Gefahren. Ich kenne jenen Zustandselbstverhängter Erschöpfung, bei dem das Bewußtseinsich verflüchtigt und der eines Teiles seiner Last lediggewordene Leib fähig wird, in einen Bereich einzugehen,für den er nicht geschaffen ist, in eine Entrückung, die diekühle Schwerelosigkeit des Todes vorwegnimmt. DieseÜbungen gestatteten mir bisweilen, mit dem Gedankender fortschreitenden Selbstertötung zu spielen, mit demTod durch Entkräftung, den so manche Philosophen sicherkoren haben, jener Ausschweifung in umgekehrterRichtung, die bis zur Aufhebung des leiblichen Daseinsgetrieben wird. Doch widerstrebte es mir stets, mich ei-ner Lehre völlig zu verschreiben, und ich hätte mich niedavon abbringen lassen, wegen irgendwelcher Skrupel

'5

Page 16: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

mich an Schlachtfleisch zu sättigen, wenn mich die Lustdazu angewandelt hätte oder wenn andere Nahrungschwer zu beschaffen gewesen wäre.

Zyniker und Moralisten sind sich darüber einig, daß siedie Wonnen der Liebe unter die groben Vergnügungeneinreihen, etwa zwischen den Freuden des Bechers unddenen der Tafel, wobei sie die Liebe obendrein für weni-ger unentbehrlich halten, da man auch ohne sie auskom-men könne. Bei einem Moralisten bin ich auf alles gefaßt,daß aber der Zyniker so irren kann, wundert mich. Viel-leicht fürchten beide den Dämon in ihrer Brust, vielleichtsuchen sie ihm zu widerstehen, vielleicht aber geben siesich ihm auch hemmungslos hin und suchen zugleich denRang der Liebe herabzusetzen, um ihr dadurch diefurchtbare Gewalt zu nehmen, der sie zu erliegen drohen,und sie ihres Geheimnisses zu entkleiden, in dessen Irr-garten sie sich nicht zurechtfinden. Ich für meine Personwerde an die Gleichsetzung der Liebe mit den rein kör-perlichen Freuden (sofern es solche überhaupt gibt) erstdann glauben, wenn ich einen Freßsack vor seinem Lieb-lingsgericht so vor Verzückung schluchzen höre wie ei-nen Liebenden, der sich über einen jungen Nacken neigt.Von allen unseren Spielen ist die Liebe das einzige, dasdie Seele in ihrem Gleichmaß erschüttert, das einzigeauch, bei dem der Spieler sich der Lust des Leibes blindüberläßt. Der Trinker braucht nicht unbedingt seinenVerstand auszuschalten, aber der Verliebte, der den sei-nigen bewahrt, leistet seinem Gott nicht bis zum ZielGefolgschaft. Überall sonst sind Mäßigung und Aus-schweifung Sachen dessen, der sie übt: vom Sonderfalldes Diogenes abgesehen, den seine Selbstbescheidung zuNotbehelfen greifen läßt, gesellt im Bereich der Sinnen-lust jeder Schritt, den wir tun, uns dem Partner undzwingt uns unter das Joch der Wahl. Ich weiß kein ande-res Gebiet, auf dem der Mensch sich aus so schlichtenund zugleich so triftigen Gründen entschließt, wo dergewählte Gegenstand so unerbittlich genau nach der

16

Page 17: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

Summe der Wonnen gewogen wird, die er spendet, undwo der Wahrheitssucher so sichere Aussicht hat, diemenschliche Natur in ihrer Nacktheit bloßzulegen.Wenn ich mir all das vor Augen halte, diese Hüllenlosig-keit, die mit der des Todes wetteifert, diese Demut, diesoviel tiefer ist als die des geschlagenen Feindes oder-selbst des Betenden, staune ich jedesmal, wie das kunst-volle Gebäude der Weigerungen und Zusagen, der armse-ligen Zugeständnisse und kurzbeinigen Lügen immeraufs neue zu erstehen vermag. Der leidenschaftliche,ständig erneuerte Vergleich zwischen meiner Lust undder des Partners knüpft schier unzerreißbare Bande — unddoch lösen sie sich so leicht. Mir schien dies hintergrün-dige Spiel, das von der Liebe zum Leib zur Liebe zumMenschen fortschreitet, fesselnd genug, um ihm einenTeil meines Lebens zu widmen. Die Worte trügen, dasWort Liebeslust enthält Einheiten von sehr verschiedenerBedeutung. Es umfaßt Sanftheit und Lauheit wie auchjähe Gewalt, ja sogar den schrillen Todesschrei. Die unan-ständige Bemerkung des Posidonius vom Aneinanderrei-ben zweier Fleischteilchen, die ich dich mit kindlichemEifer in deine Schultafel ritzen sah, wird dem Wesen derLiebe ebensowenig gerecht, wie die mit dem Finger ge-zupfte Saite das unendliche Wunder der Töne ausschöpft.Posidonius beleidigt damit nicht sowohl die Wollust alseben das Fleisch, jenes Werkzeug aus Blut, Muskel undHaut, eine rote Wolke, deren Geist der zuckende Blitz ist.

Ich muß gestehen, daß der Verstand dem Wunder derLiebe gegenüber versagt. Das Fleisch, das uns am eigenenLeibe so wenig kümmert, daß wir es nur des Waschens,der Ernährung, des möglichen Schutzes vor Schmerzenfür wert halten, flößt uns ein leidenschaftliches Bedürfnisnach Zärtlichkeit ein, nur weil es von einem anderen Ichbeseelt ist und gewisse Züge aufweist, über deren Schön-heit die Ansichten der zuständigsten Kenner oft ausein-andergehn. Hier bleibt die menschliche Logik im Hinter-treffen, wie auch gegenüber der Offenbarung der Myste-

I 7

Page 18: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

rien. Die volkstümliche Überlieferung ist auf der richti-gen Spur, wenn sie die Liebe als eine Art von Einweihungansieht, als einen Grenzfall zwischen Rätsel und Heilig-tum. Auch darin ähnelt die Erfahrung der Sinnlichkeitdem Mysterienkult, daß dem Nichteingeweihten die ersteAusübung mehr oder weniger wie ein erschreckender Ri-tus erscheint. So sehr und auf so anstößige Weise unter-scheidet sie sich vom vertrauten Tun des Schlafens, Es-sens und Trinkens, daß sie leicht zum Gegenstand desScherzes, der Scham oder der Furcht werden kann. Wieder Tanz der Mänaden oder der Rausch der Korybantenreißt uns die Liebe fort in eine andere Welt, zu der wirsonst keinen Zutritt haben und in der wir ratlos stehn,sobald die Glut erlosch. Die Erkenntnisse über das Le-ben, die mir sich mitteilten, als ich wie ein Gekreuzigterans Kreuz an den geliebten Leib geheftet war, beginnenin der Erinnerung zu verblassen. Ich vergesse sie kraft desGesetzes, das dem Genesenen die geheimnisvollen Of-fenbarungen seiner Krankheit wieder verhüllt, das denentlassenen Sträfling seine Marter und den ernüchtertenTriumphator seinen Ruhm vergessen läßt.

Einst träumte ich davon, ein System der Erkenntnisdurch die Liebe zu entwerfen, eine Lehre von der gegen-seitigen Berührung, die die Würde des Partners in demEinblick suchen sollte, die er dem Ich in eine andere Weltgewährt. Diese Philosophie würde die Wollust als voll-endete und gleichzeitig sehr besondere Form der Annä-herung an den anderen verstehen, als ein Mittel mehr, umzur Kenntnis dessen zu gelangen, was über uns selbsthinausgreift. Schon bei völlig unsinnlichen Begegnungenist es doch die körperliche Berührung, die ein Gefühlauslöst oder auch verstärkt: die etwas widrige Hand derAlten, die eine Bittschrift überreicht, die feuchte Stirnmeines Vaters auf dem Totenbett, die Wunde des Solda-ten, die ich auswasche. Auch die geistigen Beziehungenzwischen den Menschen werden durch körperliche Bot-schaften übermittelt: der plötzlich aufleuchtende Blick

I8

Page 19: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

des Militärtribunen, dem man am Morgen vor derSchlacht die Lage erklärt, der unpersönliche Gruß desUntergebenen, der in Habacht stehenbleibt, wenn wirvorübergehn, das erfreute Lächeln des Sklaven, dem ichfür eine Dienstleistung danke oder, angesichts der ge-schenkten griechischen Kamee, das abschätzende Mie-nenspiel des alten Freundes. Im Verhältnis zu den mei-sten Geschöpfen genügen die oberflächlichsten Bezie-hungen, wenn sie uns nicht schon zuviel werden. Es istunbestreitbar, so erstaunlich es sein mag, daß diese Bezie-hungen sich einer einzigen Person gegenüber verdichtenund so vervielfältigen, daß sie dies Wesen ganz umspin-nen und jeden Teil seines Leibes für uns die sprechendeBedeutung gewinnen lassen, die ein Antlitz ausstrahlt.Anstatt uns höchstens zu erzürnen, zu gefallen oder zulangweilen, klingt ein Geschöpf in uns wie eine Melodie,die wir nicht loswerden, wird zum Rätsel, das uns unab-lässig beschäftigt, dringt von den Außenbezirken unsererWelt vor bis in den Kern, wird uns schließlich unentbehr-licher als wir selbst. Ich aber stehe nicht an, darin weitmehr eine Durchdringung des Fleisches durch den Geistals eine Laune des Fleisches zu sehn.

Eine solche Auffassung von der Liebe könnte sehrwohl zur Laufbahn des Verführers verlocken. Wenn ichsie ausschlug, so deshalb, weil ich glaubte, anderes, Bes-seres zu tun zu haben. Wem die Begabung fehlt, demmacht die Rolle des Verführers viel Mühe und Kopfzer-brechen. Die Fähigkeit zum Schlagen von Brücken, dieunnütz werden, sobald das Ufer erreicht ist, all diese sichewig gleichbleibenden Kunstgriffe ermüdeten mich. DieKunst des großen Verführers, der ständig den Gegen-stand wechselt, erheischt eine Unbekümmertheit, die ichnicht besitze. Ich bin öfter verlassen worden, als daß ichverließ, und habe niemals verstanden, wie man eines ge-liebten Wesens überdrüssig werden kann. Wie wenig läßtsich doch unser Verlangen, eine Liebe zu begreifen, sie inihrem Werden und selbst in ihrem Welken zu beobach-

19

Page 20: rrt rnr - buecher.de · Rpp rn n f z nhn. n Pfrd rtzt d nzähln nd dh bläfn Brtnn, d h n Ttl, Rn, t nd ht nüpfn, drh d nntn n rn nhlhn ht. n, nr vllht l h lbr, nnt dn Pnt, n d n

ten, mit einer Häufung derartiger Vorgänge in Einklangbringen! Ich glaubte einst, daß ein gewisser Schönheits-sinn mir die Tugend ersetzen und mich gegen allzu grobeAnfechtungen feien könnte. Aber das war ein Irrtum.Der Schönheitssucher sieht sein goldenes Äderchen über-all, selbst im unedelsten Gestein. Je mehr er sich mitzweifelhaften, angeschmutzten oder beschädigten Kunst-werken einläßt, je mehr wird seine Sammelwut sich mitgemeiner Töpferware abfinden müssen. Eine hohe Stel-lung bedeutet für einen Mann von Geschmack ein nochgrößeres Hindernis, denn der Mächtige ist der Schmei-chelei ausgesetzt. Und der Gedanke, daß ein Wesen, sogering es sein mag, sich mir gegenüber verstellen könnte,erfüllt mich mit Verachtung, ja mit Abscheu. Unter die-sen Unzuträglichkeiten, die mein Rang mit sich brachte,litt ich, wie nur ein Bettler unter seiner Armut. Fast hätteich mich dazu verstanden, mir einzureden, daß, wer Lie-be zu erzwingen vermag, sie auch einflößt. Aber das wäreder erste Schritt zum Selbstbetrug und zur Selbstverach-tung.

So abgestandene Verführungskünste könnten zur offe-nen Bejahung der Ausschweifung reizen, wenn nichtauch hier die Lüge lauerte. Ich würde kaum anstehen, derberufsmäßigen Liebe den Rang einer Kunst einzuräumen,doch sind mir schon die Barbiere und Masseure ärger-lich — es gibt nichts Grobschlächtigeres als diese unsereHelfershelfer. Das verständnisinnige Augenzwinkern desGastwirtes, der mir seinen besten Wein bringt, den eralso anderen vorenthält, reichte, als ich jung war, aus, ummir das römische Lebemannsdasein zu verleiden. Ich ver-trage es nicht, daß eine Kreatur meinen Wünschen vor-auseilt und mir das, was sie für meine Wahl hält, mitplumpem Diensteifer aufdrängt. Das törichte und ver-zerrte Spiegelbild meiner selbst, das ein menschlichesHirn in solchen Augenblicken darbietet, ist nur allzusehrangetan, jeden noch so traurigen Verzicht zu rechtferti-gen. Wenn die Legende nichts an den Tollheiten eines

20