SAISON 20'21 MUSIK F ÜR VERSAILLES

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MUSIK FÜR VERSAILLES KLAAS STOK DIRIGENT AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN SAISON 20'21 20.06.21

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M U S I K F Ü R V E R S A I L L E S

KL A A S STOK DIRIGENTAK ADEMIE F ÜR ALTE MUSIK BERL IN

SAISON 20 '21 20.06.21

19551_Chor2021_4_UM.indd 1 02.06.21 16:43

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KL A AS STOK DIRIGENTAK ADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLINNDR CHOR

MUSIK FÜR VERSAILLES

SO 20.06.21 18 + 20:30 UHRHAMBURG ELBPHILHARMONIE GROSSER SA AL

Den Sendetermin finden Sie unter ndr.de/chor

Agnus DeiDe profundis LUCY DE BUTTS SOPRAN CATHERINA WITTING SOPRAN ALEXANDRA HEBART ALT ANNA-MARIA TORKEL ALT ARAM MIKAELYAN TENOR STEFAN BERGHAMMER TENOR FABIAN KUHNEN BASS ANDREAS PRUYS BASS

Jean-Féry Rebel (1666—1747)Les caractères de la danse JFR.56 (1715)Prelude — Courante — MenuetBouree — Chaccone — SarabandeGigue — Rigaudon — PassepiedGavotte — Sonate — LoureMusette — Sonate

Marc-Antoine CharpentierLitanies de la Vierge H.83 (um 1683/84)KyrieSpeculum justitiæSalus infirmorumAgnus Dei LUCY DE BUTTS SOPRAN REGINE ADAM SOPRAN CATHERINA WITTING SOPRAN TIINA ZAHN ALT GOETZ-PHILLIP KÖRNER TENOR DÁVID CSIZMÁR BASS CHRISTOPH LIEBOLD BASS

Te Deum H.147 (um 1693)I. Te Deum laudamus II. Te gloriosus ApostolorumIII. Tu rex gloriæ, ChristeIV. Per singulos dies benedicimus te REGINE ADAM SOPRAN DOROTHEE RISSE-FRIES SOPRAN TIINA ZAHN ALT GESINE GRUBE ALT KEUNHYUNG LEE TENOR ARAM MIKAELYAN TENOR CHRISTOPH LIEBOLD BASS FABIAN KUHNEN BASS

Jean-Philippe Rameau (1683—1764)Laboravi clamans (um 1719)

Marc-Antoine Charpentier (1643—1704)Messe des morts H.7 (um 1688/1698)KyrieChriste eleisonKyrie SanctusElevation – Pie JesuBenedictus

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KL A ASSTOKDIRIGENT

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Klaas Stok ist seit der Saison 18’19 Chefdirigent des NDR Chores. Stilistische Vielfalt und ein Repertoire von der Renaissance bis zur zeitgenössischen Musik zeichnen Stoks Arbeit aus. Der nieder-ländische Dirigent und Organist arbeitet mit zahlreichen hoch-karätigen Chören und Ensembles zusammen. Von 2015 bis 2020 trug er die musikalische Verantwortung für den Niederländischen Rund-funkchor „Groot Omroepkoor“, eine langjährige intensive Zusammen-arbeit verbindet Stok außerdem mit dem Niederländischen Kammer-chor. Mit beiden Ensembles verwirklichte er maßstabsetzende Konzertprogramme und Einspielungen.

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Klaas Stoks Markenzeichen ist — neben seiner Leidenschaft für Barock musik — eine ausgewogene Balance verschiedener Stile und Epochen bei der Zusammensetzung seiner Programme. So kombinierte er beim Chor des Bayerischen Rund-funks Musik der Renaissance mit zeitgenössischen Kompositionen: Alfred Schnittkes „Zwölf Bußverse“ und Orlando di Lassos „Die sieben Bußpsalmen“. Mit dem NDR Chor realisierte Stok unter dem Titel „Chor und Bläser“ in der Saison 2019/20 Werke von Johann Sebas-tian Bach, Anton Bruckner, Igor Strawinksy und dem Zeitgenossen Gabriel Jackson. Neben seiner Tätig keit als Chorleiter bei seinen

eigenen Chören dirigierte Klaas Stok Ensembles wie etwa Collegium Vocale Gent, Musicatreize, Cappella Amsterdam und den Chamber Choir Ireland.

Klaas Stok wurde in Deventer gebo-ren. Er studierte an den Konserva-torien Arnhem, Den Haag und Rot-terdam Dirigieren, Orgel, Cembalo und Improvisation. Als Organist ge-wann er mehrere Preise für Impro-visation und Interpretation bei na-tionalen und internationalen Wettbewerben. Er ist Organist an der berühmten Stadtorgel zu Zutphen. Stok ist Träger des Kulturpreises „Gulden Adelaar“ seiner Heimat-stadt Deventer.

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NDRCHOR

Vor 75 Jahren, am 1. Mai 1946, gab der neu gegründete NDR Chor sein erstes Konzert. In dem dreiviertel Jahrhundert seines Bestehens hat der Chor sich seither immer wieder gewandelt und neu erfunden. Sang der NDR Chor in den ersten Jahrzehnten neben geistlicher Musik auch Operetten und leichte Muse, rückte der künstlerische Leiter Helmut Franz ab 1966 die zeitgenössische Musik in den Fokus. Das Leitbild, dem der NDR Chor bis heute verpflichtet ist, fasste Franz damals in den Satz: „Der Rundfunkchor ist eine Gruppe von Spezialisten, die sich den höchsten Aufgaben widmen, die ein Chor zu leisten fähig ist.“ In den letzten Jahrzehnten profilierte sich der NDR Chor dann als einer der international führenden, professionellen Kammerchöre. Reich nuancierte Klangfülle und stilistische Vielfalt sind die Markenzeichen des Chores, der seit 2018 von dem Niederländer Klaas Stok geleitet wird. Mit Beginn der Saison 2021/2022 wandelt sich das Ensemble nun erneut: Aus dem NDR Chor wird das NDR Vokalensemble. Mit Sängerinnen und Sängern, die ein eigenes solistisches Profil haben, wird das NDR Vokalensemble in Zukunft den Fokus noch stärker auf A-cappella-Kunst aller Epochen legen, immer gemäß seinem bewährten Motto: „sich den höchsten Aufgaben zu widmen, die ein Chor zu leisten fähig ist.“

ChefdirigentKlaas Stok

ChorvorstandGesine GrubeAndreas HeinemeyerAnna-Maria Torkel

SOPRANRegine AdamLucy De ButtsDorothee Risse-FriesSabine SzameitCatherina Witting

ALTGesine GrubeAlexandra HebartIna JaksGabriele Betty KleinRaphaela MayhausAnna-Maria TorkelTiina Zahn

TENOR Stefan BerghammerJohannes GaubitzGoetz Phillip KörnerKeunhyung LeeAram Mikaelyan

BASSDávid CsizmárAndreas HeinemeyerFabian KuhnenChristoph LieboldAndreas Pruys

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AK ADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN

1982 in Berlin gegründet, gehört die Akademie für Alte Musik Berlin (kurz Akamus) heute zur Weltspitze der historisch informiert spielenden Kammerorchester. Ob in New York oder Tokio, London oder Buenos Aires: Akamus ist ständiger und vielgefragter Gast auf den wichtigsten internationalen Konzertpodien. Im Kulturleben Berlins ist das Ensemble ein zentraler Pfeiler. Seit über 30 Jahren gestaltet das Orchester eine eigene Abonnement-Reihe im Konzerthaus Berlin, seit 1994 prägt seine musikalische Handschrift das Barockrepertoire an der Berliner Staatsoper. Das Ensemble musiziert unter wechselnder Leitung seiner Konzert-meister Bernhard Forck, Georg Kallweit und Stephan Mai sowie aus-gewählter Dirigenten. Besonders mit René Jacobs verbindet das Ensemble eine enge und langjährige künstlerische Partnerschaft. Die gemeinsame Entdeckerlust führte zu Wiederaufführungen und Neu-deutungen zahlreicher Opern und Oratorien, die weltweit Furore machten, wie auch Bachs „Matthäus–Passion“ mit dem Rias Kammer-chor. Darüber hinaus leiteten in jüngster Zeit Emmanuelle Haïm und Bernard Labadie das Orchester. Regelmäßig arbeitet Akamus mit internationalen Solisten zusammen, darunter Isabelle Faust, Anna Prohaska und Alexander Melnikov.Die Aufnahmen des Ensembles wurden bereits mit allen bedeutenden Schallplattenpreisen ausgezeichnet, darunter der Grammy Award, Diapason d’Or und Gramophone Award. Zuletzt erschienen als CD eine Einspielung von Händels „Concerti Grossi“ op. 3 und op. 6 sowie die Fortsetzung des Zyklus „Beethovens Sinfonien und ihre Vorbilder“.

KonzertmeisterBernhard Forck Georg Kallweit Stephan Mai

VIOLINE IGeorg Kallweit

VIOLINE IIKerstin Erben

VIOLASabine Fehlandt

VIOLONCELLO / BASSE DE VIOLON 8‘Jan Freiheit

CEMBALO / ORGELGerd Amelung

THEORBEMagnus Andersson

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MUSIK FÜR VERSAILLESGEISTLICHE WERKE UND HOFMUSIK

Kapelle von VersaillesGroße Festlichkeiten in der Schlosskapelle

„L̓ état c̓ est moi — Der Staat bin ich“, war die Staatsräson, unter der Jean-Philippe Rameau im absolutis-tischen Frankreich aufwuchs. 1683 unter der Regentschaft von Lud-wig XIV. geboren, war klar, wo der Ton angegeben wurde: am Hofe des Sonnenkönigs. Hier wurden nicht nur politische Fragen entschieden, sondern auch, was gerade ange-sagt war in Literatur, Mode, Malerei und natürlich der Musik.

JEAN-PHILIPPE RAMEAUALS KIRCHENMUSIKERSpäter einmal unter Ludwig XV. sollte Rameau in Versailles selbst den Musikgeschmack bestimmen, 1745 wird er zum Hofkomponisten ernannt. Doch aller Anfang ist schwer, und so hangelte sich Ra-meau in den ersten Jahren nach seiner Ausbildung als Organist und Kirchenmusiker in zahlreichen fran-zösischen Städten von einem Posten zum nächsten. Einmal übernahm er sogar eine Organistenstelle seines Vaters, der ebenfalls Kirchenmusi-ker war und den Sohn musikalisch unterrichtet hatte. Die um 1719 komponierte Motette „Laboravi cla-mans“ entstand in diesem Umfeld noch fern des Machtzentrums Pa-ris. Als geistliche Musik ist die Mo-tette auf einen Psalm Davids aus den Klageliedern geschrieben und bewegt sich in polyphoner Imitati-on, indem die verschiedenen Stim-men rhythmisch und melodiös auf-einander Bezug nehmen und sich anmutig umspielen.

MARC-ANTOINE CHARPENTIERS –FREIHEITEN FERN DES HOFESFür den eine Generation vor Ra-meau geborenen Komponisten Marc-Antoine Charpentier war es ein erklärtes Ziel, eine feste Stel-lung am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zu erlangen. Im damali-gen streng hierarchisierten System bedeutete eine Anstellung am Hof die Vollendung einer Karriere. Und Charpentier kam 1683 seinem Traum immerhin sehr nahe: Bei ei-nem Vorspiel für den Posten des „sous-maître“ der Chapelle Royale wurde er zur zweiten Runde zuge-lassen. Aber eine heftige Krankheit vermasselte ihm die einmalige Chance. Vielleicht ein Wink des Schicksals: Denn am Hofe allein für die Wün-sche des Königs zu komponieren, hätte Charpentier vermutlich um die Möglickeit gebracht, den eige-nen kompositorischen Interessen nachzugehen. So verbot Ludwig XIV beispielsweise den Mitgliedern sei-ner Chapelle Royale Messen zu schreiben, denn er zog kurze Mo-tetten zur geistlichen Besinnung vor. Im Bereich der Messe aber zeigte sich Charpentiers wahre Be-stimmung, er ist der einzige franzö-sische Komponist, der im Barock ei-nen bedeutenden Beitrag zu Messvertonungen leistete: Insge-samt zwölf Messen komponierte Charpentier, und jede von ihnen be-sitzt ihren ganz eigenen Charakter. Die „Messe des morts“ H.7 für vier Stimmen ist a cappella für Chor und Solisten konzipiert und sehr wahrscheinlich für den liturgischen

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Gebrauch geschrieben. Da in Frank-reich Kirchenmusik noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in vielen Kirchen oft traditionell ohne Instru-mente (außer der Orgel) aufgeführt wurde, könnte die A-cappella-Versi-on der bevorzugten Spielpraxis Rechnung getragen haben. Char-pentier, ab 1688 Kapellmeister bei den musikalisch progressiv einge-stellten Jesuiten, vertonte die To-tenmesse noch zwei weitere Male – diesmal jeweils in sinfonischer Begleitung.

JEAN-FÉRY REBELUND SEINE MUSEIm Gegensatz zu Charpentier konn-te sich der etwas jüngere Jean–Féry Rebel an einer wahren Bilderbuch-karriere am Königshof erfreuen. Schon Rebels Vater und seine älte-re Schwester waren Sänger in der Chapelle Royale und ebneten ihm den Weg: zu seinem Lehrmeister wurde gar der oberste Hofkompo-nist des Königs, Jean–Baptiste Lully, praktisch die Instanz für Musik am Hofe. Von Beginn an mit besten Ver-bindungen versehen, stieg der ta-lentierte Violinist Jean -Féry Rebel bald auf in das Ensemble Vingt-qua-tre Violons du Roy und teilte sich ab 1718 mit seinem Schwager Michel -Richard Delalande sogar den be-gehrten Posten eines Hofkompo-nisten. Der sprühende Erfindungsreichtum Rebels zeigt sich besonders an „Les caractères de la danse“. 1715 erfand Rebel mit dem Werk ein neues Genre: die „Symphonie de danse“, eine Tanzsinfonie. Waren bis dahin Balletteinlagen ein wichti-ger Bestandteil des französischen Opéra–ballet, so schuf Rebel mit

seinen „Les caractères de la danse“ ein eigenständiges Werk, das in kei-ne Rahmenhandlung eingefügt ist und ganz für sich steht. Es ist zu-sammengesetzt aus 14 Einzeltänz-chen, von denen jedes nur wenige Sekunden dauert: Eine halbminüti-ge Courante geht übergangslos in ein Menuett über, das – ebenso wie die darauf folgende Bourrée – wie-derum nur knapp zwanzig Sekun-den einnimmt. In dieser Weise spielt Rebel in irrwitziger Ge-schwindigkeit einmal alle damals beliebten Gesellschaftstänze durch, mal in italienischem Stil, mal in französischem. Auf einem Ball hätte das kontrastreiche Werk sicher für allgemeine Verwirrung auf der Tanzfläche gesorgt. Es ist allerdings von vornherein nicht für einen Ball, sondern für die Bühne kreiert worden, nämlich als das Pa-radestück einer professionellen Tänzerin. Im Sekundentakt muss die Ballerina in die verschiedenen Charaktere der aufeinander folgen-den Tänze schlüpfen. Das erfordert großes Geschick und eine hohe Vir-tuosität. Vermutlich hat Rebel das ungewöhnliche Werk einer der be-rühmtesten Tänzerinnen der Zeit auf den Leib geschrieben, vielleicht sogar auf ihren eigenen Auftrag hin: Françoise Prévost. Mit ihrer Darbie-tung von „Les caractères de la danse“ sorgte die Tänzerin bei den regelmäßigen Aufführungen an der Académie Royale und dem Hof für Begeisterungsstürme.

MADEMOISELLE DE GUISE –MÄZENIN AUS EIGENSINN Mit Bühnenwerken hatte auch Marc-Antoine Charpentier bereits in den 1670er Jahren einen ersten

Zugang zum Versailler Königshof gefunden. Er vertonte Molières Ko-mödien für die Schauspieltruppe des Sonnenkönigs. Auch Komposi-tionsaufträge von Ludwig XIV. er-hielt Charpentier zu verschiedenen Anlässen und wurde schließlich so-gar Musiklehrer des Dauphins. Doch der oberste Kapellmeister des Königs, Jean–Baptiste Lully, hielt den Rivalen vom engeren Zir-kel des Hofes fern. Im 17. Jahrhun-dert war die Musikwelt nämlich in den italienischen und den französi-schen Stil gespalten, kurz: Form und Regel versus mediterrane Im-provisation und Dramatik. Marc-An-toine Charpentier war – obwohl Franzose – in Italien ausgebildet. Lully – obwohl Italiener – vertrat da-gegen ganz den französischen Kom-positionsstil. Und mit ihm domi-nierte in Versailles in diesen Jahren der französische Stil.

Die Hauptmerkmale der französischen Schreibart waren knappe, klar über-schaubare Formen. [...]Tanzmusik, deren Formen mit den rational-gerad-linigen Formen der franzö-sischen Palais– und Garten-architektur verglichen wurden.Nikolaus Harnoncourt

Die extreme Polarisierung, die die Stile damals trennte, sei aus heuti-ger Sicht nicht mehr ganz verständ-

lich, bekennt selbst Dirigent und Alte-Musik -Spezialist Nikolaus Har-noncourt in „Musik als Klangrede“. Und doch beschreibt er die musika-lischen Lager im 17. Jahrhundert als unversöhnlich: „Die Kluft zwi-schen den Parteien war so tiefge-hend, dass die Musiker der beiden Nationen nur Verachtung füreinan-der übrig hatten, dass die im italie-nischen Spiel geschulten Streicher sich weigerten, französische Musik zu spielen – und umgekehrt.“ Für Marc-Antoine Charpentier also eine schwierige Ausgangslage – wäre ihm nicht eine eigenwillige Kunst-liebhaberin zur Seite gesprungen. Mademoiselle de Guise, die letzte ihres Geschlechts, verstand sich aus Familientradition ganz als Mä-zenin. Vor allem aber gab es seit al-ter Zeit eine Rivalität zwischen dem Haus der de Guise und dem der Bourbonen, zu dem auch Ludwig XIV zählte. Hatte einst einer ihrer Brüder das französische Ballett ve-hement verteidigt, als am Hofe ge-rade die italienische Musik in Mode kam, so richtete sich Mademoiselle de Guise aus alter Familienehre nun ebenfalls gegen die aktuell vor-herrschende Ästhetik. Sie unter-stützte Marc-Antoine Charpentier trotz oder gerade wegen seines ita-lienischen Kompositionsstils. Seit Ende der 1660er Jahre bis zum Tode seiner Mäzenin 1688 stand Charpentier im Dienste der Made-moiselle de Guise. In jenen Jahren schrieb Charpentier für die Sänger ihres renommierten Ensembles die Motetten „Litanies de la Vierge“. In den Bittversen wird die Jungfrau

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Maria mit zahlreichen Attributen versehen, wie „Heil der Kranken, Zuflucht der Sünder“, und um ihre Unterstützung angefleht. Traditio-nell wird die sogenannte Lauretani-sche Litanei im Wechsel zwischen Vorbeter und Gemeinde gesungen. Ein besonderes Augenmerk richtet Charpentier deshalb in seiner Ver-tonung auf das stets wiederkehren-de „Ora pro nobis — bitte für uns!“. Die innige Bitte schließt in weit ge-schwungenen Gesangsbögen die einzelnen Stophen ab. Die Sänger, in sechs Stimmen aufgeteilt, bege-ben sich in ein kunstvoll geflochte-nes Netz aus Soli und sich überla-gernden Stimmen voll rhythmischer Figuren und zurückhaltend leichten Verzierungen à l’italienne, getragen vom Generalbass und den beglei-tenden Streichern. Insgesamt neun Mal vertonte der Komponist die Verse der Marienanbetung, unter anderem auch für seinen späteren Arbeitgeber, die Jesuiten. Doch das Werk mit der Nummer H.83 für Ma-demoiselle de Guise ist davon die feingliedrigste und in sich harmo-nischste Umsetzung.

EIN „TE DEUM“AUF DEN GOTTKÖNIGEin geistliches Werk dient allein der Ehre Gottes? Die Auffassung trifft nicht unbedingt auf das absolutisti-sche Frankreich zu. Auf dem Feld der Musik wurden Fehden ausge-fochten und durch prachtvolle Wer-ke die eigene Macht repräsentiert. Den Spitznamen „der Sonnenkönig“ hatte sich Ludwig XIV. durch ein Ballett erworben, in dem er – wie sollte es anders sein – als Sonne selbst auftrat.

Auch Charpentiers Vertonungen des „Te Deum“ sind sehr wahr-scheinlich zu Ehren des Königs oder der königlichen Familie ge-schrieben, ob zum Anlass einer Ge-nesung, einer Taufe oder eines mili-tärischen Sieges. Vier verschiedene Vertonungen sind von Charpentier insgesamt erhalten. Die Version H.148 entwickelte in unseren Tagen ein Eigenleben: Ihre ersten Takte erklingen als Erkennungsmelodie der Eurovisions-Hymne. Das „Te Deum“ H.147, das heute aufgeführt wird, ist dagegen schlichter, ohne pompösen Fanfa-renklang, aber voll eleganter Bewe-gung. Marc-Antoine Charpentier schrieb es auf dem Höhepunkt sei-nes Könnens. Wenige Jahre später, 1698, wurde sein Ruhm noch ge-krönt durch die Ernennung zu ei-nem Kapellmeister der Sainte-Cha-pelle im damaligen Pariser Königspalast.

Janna Berit Heider

TE X TE

JEAN-PHILIPPE RAMEAULABORAVI CLAMANS

Laboravi clamans, raucæ factæ sunt fauces meæ:defecerunt oculi mei, dum spero in Deum meum.

Clementine Latin Vulgate (1592) Psalm 68,4

MARC-ANTOINE CHARPENTIERMESSE DES MORTS H.7

KyrieKyrie eleison.

ChristeChriste eleison.

Kyrie Kyrie eleison

SanctusSanctus, sanctus, sanctus Dominus DeusSabaoth. Pleni sunt caeli et terra gloria tua.Hosanna in excelsis.

Ich habe mich müde gerufen, heiser ist meine Kehle geworden; meine Augen schmachten, während ich auf meinen Gott harre.

Herr, erbarme dich.

Christus, erbarme dich.

Herr, erbarme dich.

Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herr Zeba-oth. Voll sind Himmel und Erde deiner Herr-lichkeit. Hosianna in der Höhe.

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Du Spiegel der Gerechtigkeit, du Sitz der Weisheit, du Ursache unserer Freude,bitte für uns!

Du geistliches Gefäß, du ehrwürdiges Ge-fäß, du vortreffliches Gefäß der Andacht,bitte für uns!

Du geistliche Rose, du Turm Davids,du goldenes Haus, du elfenbeinener Turm,du Arche des Bundes, du Pforte des Him-mels, du Morgenstern, bitte für uns!

Du Heil der Kranken, Zuflucht der Sünder,Trösterin der Betrübten, Helferin der Chris-ten, bitte für uns!

Königin der Engel, Königin der Patriarchen,Königin der Propheten, Königin der Martyrer,Königin der Apostel, Königin der Jungfrauen,Königin der Bekenner, Königin aller Heiligen,bitte für uns!

O du Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünden der Welt, verschone uns, o Herr.Erhöre uns, o Herr. Erbarme dich unser!

I.Dich, Gott, loben wir! Dich, Herr, preisen wir! Dich, den ewigen Vater verehrt die ganze Erde!Alle Engel,Himmel und alle Mächte,alle Cherubim und Seraphimverkünden mit nie endender Stimme:„Heilig, Heilig, HeiligHerr, Gott Zebaoth.Voll sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.“

Speculum justitiæ, Sedes sapientiæCausa nostræ lætitiæora pro nobis.

Vas spirituale, Vas honorabile,Vas insigne devotionisora pro nobis.

Rosa mystica, Turris davidica,Domus aurea Ianua cœli, Turris eburnea,Fœderis arca, Stella matutina ora pro nobis.

Salus infirmorum, Refugium peccatorum,Consolatrix afflictorum, Auxilium christia-norum ora pro nobis.

Regina angelorum, Regina patriarcarum,Regina martyrum, Regina prophetarum,Regina apostolorum, Regina confessorum,Regina virginum, Regina sanctorum omni-um ora pro nobis.

Agnus Dei qui tollis peccata mundi parce nobis Domine.Exaudi nos Domine. Miserere nobis.

TE DEUM H.147

I.Te Deum laudamus: Te Dominum confite-mur. Te æternum patrem,omnis terra veneratur.Tibi omnes angeli,tibi cæli et universæ potestates:tibi cherubim et seraphim,incessabili voce proclamant:„Sanctus, Sanctus, SanctusDominus Deus Sabaoth.Pleni sunt cæli et terra majestatis gloriæ tuæ.“

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Milder Jesu, Herrschender, schenke den To-ten ewige Ruhe.

Gepriesen sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe.

Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt trägst, gib ihnen Ruhe, die ewige Ruhe.

Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir,Herr, höre meine Stimme.

Herr, erbarme dich unser!Christus, erbarme dich unser!Christus, höre uns, Christus, erhöre uns!

Gott Vater vom Himmel, erbarme dich unser!Gott Sohn Erlöser der Welt, erbarme dich unser! Gott Heiliger Geist, erbarme dich un-ser! Heilige Dreifaltigkeit, einzig Gott,Erbarme dich unser!Heilige Maria, heilige Gottesgebärerin,heilige Jungfrau der Jungfrauen, bitte für uns!

Mutter Christi, Mutter der göttlichen Gnade,allerreinste Mutter, allerkeuscheste Mutter, unbefleckte Mutter, ungeschwächte Mutter, liebste Mutter, wunderbare Mutter, Mutter des Schöpfers, Mutter des Erlösers,bitte für uns!

Weiseste Jungfrau, lobwürdige Jungfrau, gü-tige Jungfrau, mächtige Jungfrau, getreue Jungfrau bitte für uns!

ElevationPie Jesu Domine, dona eis requiem, sempiternam.

BenedictusBenedictus qui venit in nomine Domini.Hosanna in excelsis.

Agnus DeiAgnus Dei, qui tollis peccata mundi,dona eis requiem, requiem sempiternam.

De profundisDe profundis clamavi ad te, Domine:Domine, exaudi vocem meam.

LITANIES DE LA VIERGE H.83

Kyrie eleison, Christe eleisonChriste audi nos, Christe exaudi nos.

Pater de cœlis filii Deus miserere nobis.Fili redemptor mundi Deus miserere nobis.Spiritus sancte Deus miserere nobis.Sancta trinitas unus Deus miserere nobis.

Sancta Maria, Sancta Dei genitrix,Sancta virgo virginumora pro nobis.

Mater Christi, Mater divine gratiæ,Mater purissima, Mater castissima,Mater intemerata, Mater inviolata,Mater amabilis, Mater admirabilis,Mater creator, Mater salvatorisora pro nobis.

Virgo prudentissima, Virgo veneranda,Virgo predicanda , Virgo potens,Virgo clemens, Virgo fidelis ora pro nobis!

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II.Te gloriosus Apostolorum chorus,te prophetarum laudabilis numerus,te martyrum candidatus laudat exercitus.Te per orbem terrarumsancta confitetur Ecclesia,Patrem immensæ maiestatis;venerandum tuum verum et unicum Filium;Sanctum quoque Paraclitum Spiritum.

III.Tu rex gloriæ, Christe.Tu Patris sempiternus es Filius.Tu, ad liberandum suscepturus hominem,non horruisti Virginis uterum.

Tu, devicto mortis aculeo,aperuisti credentibus regna cælorum.Tu ad dexteram Dei sedes, in gloria Patris.Iudex crederis esse venturus.Te ergo quæsumus, tuis famulis subveni,quos pretioso sanguine redemisti.

Æterna fac cum sanctis tuisin gloria numerari.Salvum fac populum tuum, Domine,et benedic hereditati tuæ.Et rege eos, et extolle illos usque in æter-num.

IV.Per singulos dies benedicimus te;et laudamus nomen tuum in sæculum,et in sæculum sæculi.Dignare, Domine, die istosine peccato nos custodire.Miserere nostri, Domine, miserere nostri.Fiat misericordia tua, Domine, super nos,quemadmodum speravimus in te.In te, Domine, speravi:non confundar in æternum.

II.Dich preist der glorreiche Chor der Apostel,dich der Propheten lobwürdige Zahl,dich der Märtyrer leuchtendes Heer.Dich preist über das Erdenrunddie heilige Kirche;Dich, den Vater mit unermessbarer Majestät,Deinen wahren und einzigen Sohnund den Heiligen Fürsprecher Geist.

III.Du König der Herrlichkeit, Christus.Du bist des Vaters allewiger Sohn.Du hast der Jungfrau Schoß nicht ver-schmäht, bist Mensch geworden,den Menschen zu befreien.Du hast bezwungen des Todes Stachel und denen, die glauben, die Reiche der Himmel aufgetan. Du sitzest zur Rechten Gottesin deines Vaters Herrlichkeit. Als Richter, so glauben wir, kehrst du einst wieder. Dich bit-ten wir denn, komm deinen Dienern zu Hilfe, die du erlöst mit kostbarem Blut.In der ewigen Herrlichkeit zähle unsdeinen Heiligen zu.Rette dein Volk, o Herr,und segne dein Erbe;und führe sie und erhebe sie bis in Ewigkeit.

IV.Jeden einzelnen Tag preisen wir dichund loben deinen Namen bis in Ewigkeit.

In Gnaden wollest du, Herr,an diesem Tag uns ohne Schuld bewahren.Erbarme dich unser, o Herr, erbarme dich unser. Lass über uns dein Erbarmen gesche-hen, wie wir gehofft auf dich.Auf dich, Herr, habe ich gehofft.Möge ich nicht zuschanden werden in Ewig-keit.

TAG DER ENSEMBLES

KL ÄNGE AUS MÄHREN

SO 11.07.21 11 UHRHAMBURG ELBPHILHARMONIE

Klaas StokDirigentDirk Luijmes HarmoniumHanna Rabe HarfePhilip Mayers KlavierNDR Chor

Antonín Dvořák/Leoš JanáčekSechs Klänge aus Mähren

Antonín DvořákIn der Natur, op. 63

Leoš JanáčekDie WildenteDie WolfsspurVater unser

Bohuslav MartinůVier Lieder über Maria

Herausgegeben vomNorddeutschen RundfunkProgrammdirektion HörfunkBereich Orchester, Chor und KonzerteRothenbaumchaussee 13220149 Hamburg

NDR ORCHESTER, CHOR UND KONZERTELeitungAchim Dobschall

Redaktion NDR ChorDr. Ilja StephanRedaktionsteam NDR Chor Maria OehmichenHuberta CrombachTanja SiepjeRedaktion ProgrammheftJanna Berit Heider

Der Text von Janna Berit Heiderist ein Originalbeitrag für den NDR.Nachdruck, auch auszugsweise,nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

DruckEurodruck in der Printarena FotosMagdalena Spinn | NDR (Umschlag); Hans van der Woerd (S. 4); Peter Hundert | NDR (S. 6); Uwe Arens (S. 8); Collection Joinville, akg-ima-ges (S. 10)

VORSCHAU IMPRESSUM

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F OTO: A R A M MIK A ELYA N T ENORVO R N:D OROT HEE R I S SE - F R IE S SOPR AN

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