sam. Sachsen-Anhalt-Magazin Ausgabe November 2012

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09/ 12 BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT Mit der Nase vorn Unternehmen brauchen einen guten Riecher – Miltitz Aromatics in Bitterfeld hat ihn Seite 2 9

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Sachsen-Anhalt Magazin, Ausgabe 9/12

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BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

Mit der Nase vorn

Unternehmen brauchen einen guten Riecher – Miltitz Aromatics in Bitterfeld hat ihn Seite 29

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STASSFURTDEUTSCHER STÄDTEBAUPRE IS 2012

MITTE STASSFURT: ENTWURF HÄFNER J IMENEZ BÜRO FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR, BERLIN

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da, wo heute Sachsen-Anhalt draufsteht, ist in Wirklichkeit ein Bördianer, ein Harzer, ein Altmärker, ein „Machteburjer“, ein Hallenser drin. Zum Land gehören die weiten, menschenleeren Ebenen der Altmark im Norden, die Weinbaustädtchen zwi-schen lieblichen Hügeln wie Freyburg im Süden, die dunklen Höhenzüge des Harzgebirges, die fetten Äcker der Magdebur-ger Börde und die unzerstörten Stromlandschaften der Elbe. Sorgfältig restaurierte Städte mit großer Geschichte und Kul-tur: Wittenberg, Quedlinburg, Salzwedel, Halberstadt, Stendal, Naumburg, Tangermünde. Herzland deutscher Geschichte, in dem Kaiser Otto der Große, Reformer Luther, Maler Cranach, Musiker Händel und Bauhaus-Gründer Gropius den Zeitgeist prägten.

Identität braucht Tradition. Sachsen-Anhalt speist seine Iden-tität aus einer großen Vergangenheit. Doch diese Region ist so gegensätzlich, dass es EIN Sachsen-Anhalt eigentlich gar nicht gibt. Dieses Bindestrichland, in dem mehr zusammenwach-sen muss als anderswo. Große wie kleine Erfolge stärken das Selbstbewusstsein.

Und lassen die Liebe weiter wachsen. Die geht hier gleichfalls durch den Magen: Salzwedeler Baumkuchen, Burger Knäcke,

Hallenser Halloren, Halberstädter Würstchen sind Markenna-men. Jürgen Sparwasser und Stefan Kretzschmar, Anette Loui-san und Tokio Hotel sowieso.

Nichtsdestotrotz sind die Baustellen immens. Die Löhne sind vielerorts im Land noch zu niedrig. Die Abwanderung guter Fachkräfte hält an. Die Schulabbrecher-Quote ist zu hoch. Die monetären Spielräume werden noch enger.

Ist das Sachsen-Anhalt-Glas nun halbleer oder halbvoll? Als ich noch in der Bundeshauptstadt lebte, war es für mich halb-leer. Der Liebe wegen bin ich 2006 aufs Land gezogen. Vom Moloch Berlin in die Pampa, nach Teutschenthal bei Halle. Im Herzen bleibe ich Berlinerin mit herb-herziger Sprachfärbung. Macht nix bei dem Mix an Dialekten hier. „Ich schreibe aber in Hochdeutsch“, sage ich immer und ernte ein breites Lächeln. Für mich ist das Glas längst halbvoll. Denjenigen, die Sachsen-Anhalt ständig madig machen, sage ich: Von Guerickes Halb-kugeln halten zusammen, auch das, was nicht Vakuum ist.

Dana Micke, Autorin

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Aus meiner Sicht

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Das Tal der Tränen Seite 6

Die Solarbranche krankt an schlechten Schlagzeilen. Der Weltmarkt ist hart umkämpft, auf nationaler Ebene werden Giganten wie Q-Cells von Unterneh-mens aus Asien geschluckt. Prof. Dr. Roland Scheer ist Solarexperte. Aus seiner Sicht geht die gesamte Bran-che gerade durch ein Tal der Tränen. Die Zukunft des Solarmoduls sieht er trotz-dem positiv. Auf Forschungsebene ist aus seiner Sicht noch richtig viel drin.

Von der Idee elektrisiert Seite 10

Sachsen-Anhalt setzt auf Elektromobilität. Binnen fünf Jahren soll das Land zu einem führenden Forschungs- und Produktionsstandort in diesem Bereich wer-den. Die Firma ERO Edelstahlrohrtechnik GmbH Salzwedel hat bereits die Nase vorn. Mit Stromtanksäulen für Autos, Motorroller und Fahrräder will das Unter-nehmen den bundesweiten Markt erobern.

Interview

Durch ein Tal der TränenIm Gespräch mit dem Photovoltaik-Experten Prof. Dr. Roland Scheer……………………………………………………… 6

Mobilität

Neue Elektroenergie zapfenBei Salzwedeler Firma zapft man an der Stromtanke „Ladefoxx“.....…………………………………...10

Tourismus

Im Fokus: Stadtregion WittenbergZentraler Besucherempfang der Lutherstadt schließt die „offene Wunde“ Arsenalplatz…….14

Umwelt

Der „Mercedes“ unter den DeichenVon einer beispielhaften Deichrückverlegung profi-tieren sowohl Natur- als auch Hochwasserschutz…18

Design

Edelbikes für Kreativbranche Magdeburger Fahrradbauer setzen erfolgreich ohne Wenn und Aber auf den Zahnriemen...….22

Wirtschaft

Starker Partner für die öffentliche HandIndustriebau Wernigerode konzentriert sich auf Bauvorhaben im Rahmen von PPP-Projekten.....26

Tradition

Nach der Wende den richtigen RiecherMiltitz Aromatics im ChemiePark Bitterfeld-Wolfen beliefert große Parfümhersteller....…….29

Forschung

Bakterien nutzen Benzol und MTBE als NahrungMikroorganismen reinigen in neuem Verfahrentoxisch verseuchtes Grundwasser…………………....32

Portrait

Aus dem Ernst der LageDank Organspende konnte Solveig Zawillas Leben und Gesundheit gerettet werden............38

Visionen

Mit wachem Blick vor die Haustür schauenAutorenbeitrag des Geschäftsführers der Touris-mus-Marketing Gesellschaft Matthias Pöschel… 36

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4 In diesem Heft

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Der Deich hinterm Deich Seite 18

Großprojekte im Naturschutz scheitern nicht selten am Ego der Projektbeteilig-ten. Dass es auch anders geht, beweisen die Umweltstiftung WWF und das Land Sachsen-Anhalt. Im Lödderitzer Forst an der Elbe wird ein 150 Jahre alter Deich in Rente geschickt und ein neuer Deich gebaut. Der Clou: Im Zuge dessen werden alte, überflutbare Auenwälder wiederbelebt. Naturschutz küsst Hochwasserschutz – mit Aussicht auf ewige Liebe.

Mit ausgezeichnetem Rad unterwegs Seite 22

Ein Edelbike ohne Kette für Leu-te mit besonderem Geschmack entstand aus einer Diplom-arbeit von vier Magdeburger Studenten. Schindelhauer Bikes haben den Markt im Sturm erobert und vier Jungunterneh-mern einen Blitzstart beschert.

20 Schulen in vier Jahren saniert Seite 26

In nur vier Jahren – seit 2008 – hat die Stadt Magdeburg 20 Schulen umfassend saniert und modernisiert. „Normal“ wäre das erst innerhalb von 20 Jahren machbar gewesen. Aber die Stadt hat Unternehmen ins Boot geholt. Deren Kapital und de-ren Fachwissen brachte den Temposchub. Öffentlich-private Partnerschaften heißt dieses Modell. An der Sanierung von 15 Schulen war der Industriebau Wernigerode führend beteiligt. Das Unternehmen schildert seine Erfahrungen bei der Koopera-tion mit der öffentlichen Hand.

Technologie

Leichtgewichte für AutomobilbrancheAutomobil-Zulieferer IFA-Gruppe entwickelt Ideen für Autos der Zukunft….....……………………....40

Sonderveröffentlichung

Mit Autos auf Kurs100 Jahre unternehmerische Tugenden im Autohaus Ackert in Wernigerode ……………….......44

Impressum:

HERAUSGEBERSAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbRGeschäftsführer: Michael Scholz, Wolfgang Preuß

KONTAKTSAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbRSchilfbreite 3, 39120 MagdeburgTel. 0391 63136-45, Fax 0391 63136-47

[email protected]

REDAKTIONSLEITUNGChristian [email protected]

ANZEIGENTel. 0391 [email protected]

FOTOGRAFIE Michael Uhlmann

DRUCK Harzdruckerei GmbH, Wernigerode

Schutzgebühr: 4,00 EUR

Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keinerlei Gewähr übernommen. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors.

4. Jahrgang 2012

ISSN 1868-9639

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In diesem Heft

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Herr Scheer, durch die Solarbranche ist in den vergangenen Wo-chen ein Ruck gegangen. Im sachsen-anhaltischen „Solar Valley“ ansässige Vorzeigeunternehmen wie Q-Cells, Sovello oder Solibro machten durch Insolvenzen Schlagzeilen. Hat das Sachsen-Anhalts „Sonnen-Image“ geschadet?

Roland Scheer: Für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt war das zweifellos ein Moment der Wehmut. Die Branche war natürlich in Aufruhr, einige Firmen mussten ihre ambitionier-ten Pläne deutlich korrigieren. Ich habe das selbst bei meinen Studenten gemerkt. Sie haben sich gefragt, welche Perspek-

„Auf jedem Solarmodul aus China klebt ein 50-Euro-Schein.“Prof. Dr. Roland Scheer aus Halle ist ein Kenner der Solarbranche. Er sagt: Solarfirmen aus aller Welt gehen gerade durch ein Tal der Tränen. Trotzdem erwartet er Fortschritte.

6 Interview

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tiven sie mit ihrem Fachwissen in Deutschland haben wer-den. Atmosphärisch war das schon komisch. Sachsen-Anhalt war zwar international in den Schlagzeilen, aber es hat aus meiner Sicht keine Kollateralschäden davongetragen. Was passiert ist, war ja kein Standortspezifikum. Alle Solarunter-nehmen auf der ganzen Welt gehen momentan durch ein Tal der Tränen.

Wie meinen sie das? Wird nicht immer behauptet, die Asiaten verdienen sich mit Billigmodulen eine goldene Nase und ma-chen nebenbei noch den restlichen Markt kaputt?

Roland Scheer: Das ist ein Trugschluss. Weltweit, egal ob in Europa, den USA oder China, macht derzeit so gut wie nie-mand Gewinne. Es sind viele Spieler auf dem Spielfeld. Zu viele. Ich gehe momentan von einer 50-prozentigen Überka-pazität aus. Die hat sich in so kurzer Zeit aufgebaut, dass der Markt wankt. Ich habe nie geglaubt, dass die Produktion so schnell so groß wird, die Kosten so schnell runtergehen und Deutschland so schnell seine Spitzenposition abgibt. Aber man muss dazu sagen, dass die Produktionsanlagen asiati-scher Konzerne etwa zur Hälfte aus Deutschland stammen.

Erklärt sich dadurch das Interesse der Asiaten an deutschen Solarfirmen wie Q-Cells? Hier ist ja der südkoreanische Misch-konzern Hanwha eingestiegen, bei der früheren Q-Cells-Tochter Solibro ist es die Hanergy Holding Group aus China. Greift man so nach der begehrten Technik made in Germany?

Roland Scheer: Natürlich. Auf diese Weise kauft man zu un-glaublich günstigen Konditionen eine qualitativ sehr hoch-wertige Technologie ein. Das kommt den asiatischen Solar-unternehmen vor allem beim Konkurrenzkampf im eigenen Land zugute. Man darf ja nicht vergessen, dass der Photovol-taik-Markt auch in Asien hart umkämpft ist.

Aber wie ist die Übermacht der Unternehmen aus Fernost auf dem Weltmarkt zu erklären? Ist es tatsächlich der Preis, der das internationale Geschäft bestimmt? Oder anders gefragt: War-um können die Asiaten eigentlich so billig produzieren?

Roland Scheer: Ich möchte dazu gern beim Beispiel China bleiben. China ist zweifellos ein Zukunftsmarkt. Nirgendwo auf der Welt gibt es größere Solarproduzenten als dort. Der Weltmarkt ist gerade ungefähr so aufgeteilt: Zehn sehr große Solarhersteller sitzen in China, noch einmal zehn in den üb-

rigen asiatischen Ländern und nur fünf sitzen in Europa und den USA. Einer der Letzteren ist übrigens Q-Cells. Im Fußball wäre das ein klares 20:5 für Asien gegen den Rest der Welt. Und da habe ich die vielen kleinen Unternehmen aus der Branche nicht mitgezählt. Es kommt also in China zum Ska-leneffekt, ein Kennzeichen moderner Massenproduktionen. Das bedeutet, dass die Fixkosten in der Produktion auf viele Endprodukte verteilt werden. Die Gesamtstückkosten verrin-gern sich. Und wer billiger produziert, kann billiger verkaufen.

Trotzdem machen die Chinesen auch keine Gewinne, haben sie eingangs gesagt. Wer zahlt also die Differenz und hält die Un-ternehmen am Leben?

Roland Scheer: Wenn sie so wollen, der chinesische Steuer-zahler. Ob gewollt oder ungewollt. Auf jedem Solarmodul aus China klebt ein 50-Euro-Schein.

Die in Deutschland oft gescholtenen Subventionen gibt es also auch dort. Wie sehen die genau aus?

Roland Scheer: In ganz Asien gibt es eine besondere Industrie-politik, die stark von Finanzinstrumenten geprägt ist. Macht ein Solarhersteller Verlust, kann er mitunter für lange Zeit aus einem reich gefüllten Kredittopf schöpfen. Die Finanzierungskosten sind gering und die Kreditlinien groß. Der 50-Euro-Schein ist so-zusagen der Verlust pro Modul, der ohne Murren von Geldgebern ausgeglichen wird. Aber es ist falsch zu sagen, dass die hiesige Subventionspolitik die Firmen satt und faul gemacht hat. Das trifft, wenn überhaupt, nur auf Einzel- und Spezialfälle zu. u

Zur Person

Prof. Dr. Roland Scheer ist Physiker und Photovoltaik-Experte. Das Spezialgebiet des gebürtigen Berliners sind Dünnschichtsolarzellen. Am 1. Juni 2010 hat er die Stif-tungsprofessur des Solarzellenherstellers Q-Cells an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg übernom-men. Zuvor arbeitete der 53-Jährige als stellvertretender In-stitutsleiter am Helmholtz-Zentrum in der Hauptstadt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Forschungstätigkeiten führten ihn auch schon nach Israel und Japan.

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Interview

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Das ist alles in allem ein trauriges Bild für die Solarbranche fern-ab Asiens. Wie sieht ihre Zukunftsprognose aus?

Roland Scheer: Gut. Ich bin sicher, dass der Photovoltaik-Markt wachsen wird. In den nächsten Jahren werden die Europäer wie-der Marktanteile gewinnen. Bis zu einem gewissen Maß wird es eine Marktbereinigung geben und wer die Krise überlebt, wird umso stärker aus ihr hervorgehen. Das Solarmodul wird immer mehr ein Commodity-Produkt, also Standard. Wir haben keine besonders große Wertschöpfung und ein hohes Produktionsvo-lumen. Langfristig macht es aber keinen profitablen Sinn, Glas-platten mit was drin von China hierher zu bringen – um es mal ganz einfach auszudrücken.

Wie sieht das Solarmodul der Zukunft aus?

Roland Scheer: Noch leistungsfähiger als jetzt. Ganz im Ernst, ich erwarte in der Forschung große Fortschritte. Das Modul von morgen wird einen noch höheren Wirkungsgrad haben. Aktu-ell hat die Solarzelle einen Wirkungsgrad von bis zu 20 Prozent. Theoretisch sind aber 85 Prozent möglich. Diese Lücke ist für mich groß genug, um meine Erwartungen darauf zu stützen. Das wird eine sehr spannende Zeit.

Blicken wir abschließend noch einmal ins „Solar Valley“. Das in-solvente Q-Cells hat dort seinen Sitz. Das einst zu den weltweit größten Solarzellenherstellern gehörende Unternehmen fand seinen Retter in Asien. Wie geht es nun weiter?

Roland Scheer: Der Standort Thalheim bleibt erhalten und soll als Entwicklungsstandort mit eigener Produktion funktionieren. Der Mischkonzern Hanwha aus Südkorea nutzt die vorhande-nen Technologien und macht Deutschland zu seinem zentralen Forschungsstandort. Hanwha ist übrigens in der Solarbranche nicht der Namhafteste. Ehrlich gesagt, hatte ich zuvor noch nie von ihm gehört.

Das Gespräch führte Sabrina Gorges.

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Ob auf der Internatio-nalen Automobilaus-stellung in Frankfurt am Main (Bild) oder zahlreichen anderen Messen und Präsentati-onen: Dr. Peter Wester-barkey ist bundesweit unterwegs, um für seine Idee zu werben.

„Das müssen Sie ausprobieren! Setzen Sie sich mal drauf und drehen Sie eine Runde.“, lässt mir Dr. Peter Westerbarkey keine Ruhe. „Es hat mit einem Motorroller nichts zu tun.“ Nun ja, ein Journalist muss wissen, wovon er schreibt, also frisch gewagt, ab in den Sattel. Tatsächlich. Es ist wie Fahrradfahren. Lenker, Handbremse, Kette, Pedale.... Ja und treten muss man auch. Bergauf geht es bedeutend einfacher und das Anhalten erfordert etwas Geschick. Aufpassen, sonst rollt der Drahtesel einfach weiter, angetrieben von einem kleinen, nicht merkba-ren Elektromotor. Fix die Straße rauf und wieder runter. Aus der einen Runde werden drei. Viel zu schnell ist die Probefahrt vorbei. „Sehen Sie, es macht Spaß“, freut sich Westerbarkey, den Skeptiker überzeugt zu haben. Ein winziger Erfolg in der Elektromobilitätsoffensive des Landes Sachsen-Anhalt.

Offiziell heißt die Landesinitiative „Elektromobil, Leicht und In-telligent – eine Initiative für Sachsen-Anhalt – ELISA“. Die zielt freilich in erster Linie auf größere Mobile ab. Während der Ab-satz von Elektrofahrrädern boomt und auch strombetriebene Motorroller immer beliebter werden, hat er bei Elektroautos noch nicht so richtig Fahrt aufgenommen. Mit der Initiative wollen Landesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft dazu beitragen, dass der Knoten endlich platzt. Binnen fünf Jahren soll Sachsen-Anhalt zu einem führenden Produktions- und For-schungsstandort für Antriebstechnologien und Energieträger entwickelt werden. Das Thema genießt höchste Priorität, denn mit rund 260 Unternehmen und mehr als 23 000 Mitarbeitern spielt die Automobilzulieferindustrie eine bedeutende Rolle in der Wirtschaftsstruktur des Landes. Darum heißt es, am Ball zu bleiben, um den Zug der Zeit nicht zu verpassen.

Ganz im Norden Sachsen-Anhalts, in der Hansestadt Salzwe-del, gehört die ERO Edelstahl-Rohrtechnik GmbH zu den Vorreitern in Sachen Elektromobilität. Geschäftsführer Peter Westerbarkey beweist seit jeher ein Faible für Neuentwick-lungen. Nur mit Innovationen und neuen Standbeinen sieht er eine Zukunft für den Betrieb. Darum ist er landauf landab unterwegs, um für sein Unternehmen zu werben. Kein Bran-chentreffen, keine bedeutende Fachmesse, auf der er nicht mit dem aktuellen Top-Produkt, der Stromtanksäule „Ladefoxx“, zu finden ist.

Das Autofahren neu erfindenSalzwedeler Firma ERO setzt auf elektrische Antriebe

Von Christian Wohlt

Den Spruch, sich immer wieder neu zu erfinden, nimmt der pro-movierte Wirtschaftswissenschaftler durchaus wörtlich, denn ursprünglich hat seine Firma mit dem Thema Elektromobilität nichts zu tun. Das Unternehmen in der Altmark war 1991 als Teil der Gütersloher Westa-Gruppe gegründet worden, um den hohen Bedarf in der ostdeutschen Bauwirtschaft nach Edel-stahlrohren zur Schornsteinsanierung erfüllen zu können. Die technischen Lösungen sind auf diesem Gebiet vielfältig und bis

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heute für Einfamilienhäuser ebenso wie für Blockheizkraftwerke geeignet. Alte Hallen der örtlichen Landwirtschaftlichen Produk-tionsgenossenschaft (LPG) waren schnell zum Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung geworden.

Rückgrat der Firma waren und sind aber die Menschen. „Die Leute hier haben Metall im Blut“, schwärmt der Chef von seinen rund 50 Mitarbeitern. Fachkenntnis, Fleiß und oft ge-

nug ostdeutsches Improvisationstalent wurden zur Quelle des Erfolgs. Aus- und Weiterbildung stehen bei ERO hoch im Kurs. Die Firma bezahlt den Besuch von Lehrgängen, auch für ältere Mitarbeiter, wie der Chef ausdrücklich betont und bil-det kontinuierlich Lehrlinge aus. Fast alle bleiben im Betrieb. Abwanderung und Fachkräftemangel sind derzeit kein Thema. Zum Produktionsprofil zählen Lüftungen für Reinsträume zur Produktion von Computerchips ebenso wie für Pharma- u

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Elektromobil zu sein, macht Spaß. Auch im Zweirad-Bereich hält die neue Technologie Einzug.

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produzenten. Daneben gehören Schornsteine aus Edelstahl für Biogas-Anlagen und Rohrleitungen für Lüftungsanlagen in ICE- oder Doppelstockzügen zum Sortiment. Exporte gehen in rund 30 Länder der Erde.

Wenn Westerbarkey über sein aktuell „liebstes Kind“ und das innovativste Produkt seiner Firma berichtet, schwingt Begeis-terung mit. Seit gut vier Jahren beschäftigt er sich damit. Die Ladefoxx-Stromtanksäule soll ein Haupthemmnis der massenweisen Verbreitung von Elektrofahrzeugen beseitigen. Sie ermöglicht es Fahrern von Elektroautos, aber auch von Fahrrädern oder Motorrollern, schnell und unkompliziert den benötigten „Saft“ zu zapfen. ERO produziert den Metallmantel, ein Partner liefert die Elektronik. Egal ob auf Parkplätzen vor Einkaufszentren, Behörden, Firmen oder in Innenstädten, Ins-tallation und Nutzung sind simpel. Der Kunde benötigt ledig-lich ein Handy. Mit einem Anruf zur bundesweit einheitlichen Ladefoxx-Nummer öffnet sich die Klappe zu den Steckdosen. Mit dem passenden Kabel lässt sich dann neue Elektroenergie zapfen. Die Abrechnung für den Ladevorgang erfolgt später per Rechnung.

Noch ist ein Stromanschluss vonnöten, aber in absehbarer Zeit könnte das System auch über regenerative Energien, zum Beispiel solar, gespeist werden, wagt Westerbarkey einen Zu-kunftsblick. Irgendwann werde vor jedem Haus und in jeder Garage eine solche Ladeeinrichtung stehen. Er ist überzeugt: Bis 2015 werden bundesweit mehr als 20 000 dieser Säulen verfügbar sein. Angesichts des aktuellen Verbreitungsstan-des ein anspruchsvolles Ziel. Gegenwärtig sind knapp 200 Ladefoxx-Säulen installiert. Auch die von der Bundesregierung verkündete Marke von einer Million zugelassener Elektrofahr-zeuge im Jahr 2020 erscheint gegenwärtig eher als Traum. „Selbst wenn das nicht gelingt? Wo ist das Problem?“, lässt sich der Firmenchef seinen Optimismus nicht nehmen. Wie ein Träumer wirkt er dennoch nicht.

„Das Thema Elektromobilität ist in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Sie erwarten ein normales Auto, nur, dass es statt mit Benzin mit elektrischem Strom betrieben wird“, bedauert er. „Es ist aber etwas vollkommen Anderes.“ Es gehe darum, das Autofahren neu zu erfinden. Die Stärken von Elektromobilen liegen im Kurzstreckenbereich, etwa im Stadtverkehr oder für die Fahrt zur Arbeit. Leise, abgasfrei und kostengünstig – diese Vorteile lassen sich schon heute mit herkömmlichen Antrieben nicht toppen. Eine Tankfüllung

kostet drei Euro und reicht bei den normalen Elektroautos rund 100 Kilometer. Da kommt kein Nahverkehrstarif mit. Es gibt aber auch schon Sparmodelle, die es auf einen Radius von rund 400 Kilometer bringen. „Mit einem Elektroauto wird keiner in den Urlaub nach Italien reisen“, weiß Westerbarkey. Es sei aber auch längst nicht mehr auf den innerstädtischen Bereich beschränkt.

Angesichts stetig steigender Kosten für herkömmliche Kraft-stoffe wachse die Attraktivität der neuen Antriebstechnologie. Die Bundesregierung könnte ihren Teil dazu beitragen, den Absatz von Elektroautos zu steigern. „Die Deutschen reagieren sehr empfänglich auf Förderungen“, sagt der Experte und spricht sich zumindest für eine Anschubfinanzierung zur Anschaffung aus. „Irgendwann kommt der Knackpunkt“, ist Westerbarkey überzeugt, auf das richtige Pferd – pardon! – die richtige Technologie zu setzen. Verbrennungsmotoren würden sicherlich noch eine Weile ihre Existenzberechtigung haben, meint er. Die technischen Möglichkeiten für mehr Effizienz seien hier längst noch nicht ausgereizt. Daneben würden aber die neuen Antriebe immer mehr an Bedeutung gewinnen. So wie heute der Verkauf von Elektrofahrrädern boomt, könnten Elektroautos die Absatzrenner von morgen sein. n

Ö www.edelstahltechnik.com

Elektrofahrräder sind bereits voll im Trend.

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Heiße Augustsonne flirrt über Wittenbergs Arsenalplatz. An weißen Festzelten fängt sich der Wind. Feierlaune in der Luther-stadt, wo das große Bauen in der Mitte der Mitte begonnen hat. Absperrungen kanalisieren ankommende Politprominenz und Wittenberger Öffentlichkeit auf die staubige Brache. Die Plätze im großen Zelt werden nicht reichen. Es ist ein großer Tag für die Stadt.

Dabei sollte die AULA im CAMPUS, das ambitioniert und lang verfolgte Projekt eines Veranstaltungs- und Tagungsgebäudes der als ein großer CAMPUS verstandenen Innenstadt, just in diesen Tagen am selben Platze öffnen. Doch es kam anders. Im kalten Februar des Jahres 2009 stießen Archäologen während der bauvorgelagerten Feldgrabung auf die Gebeine eines be-deutenden Mannes: des Kurfürsten Rudolf II., einst Herzog von Sachsen-Wittenberg, einer der sieben, die den Kaiser wählten, einer der vornehmsten Würdenträger seiner Zeit. Angesichts des bedeutenden historischen Fundes bewies die Lutherstadt „Mut zur Korrektur“ und traute sich, noch einmal auf der Folie Rudolf all das neu zu denken, was in den Jahren zuvor beschlos-sen und geplant worden war.

Grabungsfelder dehnen sich jenseits der Festabsperrungen, auf alten Steinen flattern kleine Markierungszettel der Altertums-forscher. Das geladene Publikum zur Grundsteinlegung lugt staunend und dankbar in freigelegte Geschichte der Stadt an einem Platz, der bis eben diese große, diese unbebaute offene Wunde im Stadtbild Wittenbergs war. Dabei kann man sie sich genau hier vorstellen, die Wiege des Ortes, mit einer franziska-nischen Gründung aus dem 13. Jahrhundert, einem der ältesten Klöster Mitteldeutschlands, samt einer Grablege, die jene Dy-nastie der Askanier bewog, sich eben hier niederzulassen. Hier wuchs und florierte das mittelalterliche Wittenberg, standen auf bis heute nachvollziehbaren Parzellen die Häuser eines Handwerkerviertels, das in den engen Grenzen der Stadtmau-ern in den Jahrhunderten gedieh. Bis zu jenem 13. Oktober 1760, als im Siebenjährigen Krieg die Festung Wittenberg unter Be-schuss kaiserlichen Truppen geriet und, wie es heißt, 114 Häuser und das Schloss ein Raub der Flammen wurden. Zurück blieben Ruinen, folgte ein Garnisonsquartier der Preußen, zäunte u

Stadt neu gedachtLutherstadt Wittenberg: Neuer Besucherempfang stärkt Fokus auf die Stadtregion

Von Cornelia Heller

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Tourismus

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Die Lutherstadt Wittenberg baut:

Grundsteinlegung für den Zentralen Besucher-

empfang der Stadt im August 2012 durch (v.r.) den Oberbürgermeister

Eckhard Naumann, Landesarchäologen

Prof. Dr. Harald Meller, Sachsen-Anhalts

Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff

sowie Rüdiger Schulz, Geschäftsführer des

Kompetenzzentrums Stadtumbau.

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und schanzte schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wende die Sowjetarmee in ihrem Stützpunkt, mitten in der Stadt. Und hier soll er nun entstehen, der Zentrale Besucher-empfang, im Angesicht der alten Straßen und historischen Häuser und im Rücken des neuen Einkaufszentrums „Arsenal“. Am Bauplatz sind mittlerweile noch mehr Wittenberger ste-hengeblieben. Es sind Alte und Junge, mit Kinderwagen und Einkaufsbeuteln. Es ist ihre Stadt, die sich mit diesem Tag nach-haltig verändern wird.

„Als Transformation vier eigenständiger Bereiche“ beschreibt Rüdiger Schulz, Geschäftsführer des Sanierungsträgers, der Landesentwicklungsgesellschaft SALEG, und gleichzeitig des in IBA-Nachfolge gegründeten Kompetenzzentrums Stadtumbau das nun bevorstehende Vorhaben, das bis zum Reformationsju-biläum 2017 fertig gebaut sein soll. Der Kurfürst sei dabei quasi „der Schlussstein in der Stadtbrache Wittenbergs“, sein Fund lenke „das Interesse auf eine Zeit vor Luther und stärkt zugleich den Betrachtungsfokus auf die Region“. Regionale Identität als Alternative zu einer vereinheitlichten Welt zu begreifen, das sei Anliegen des neuen Kompetenzzentrums Stadtumbau, es stehe für ein „neues Verständnis von Stadt“.

Genau das drängt geradezu in noch ganz anderem Sinn in das Bewusstsein eines ungeahnt gewachsenen Wittenbergs unse-rer Tage. Innerhalb der vergangenen sieben Jahre durchlebte die Stadt einen vielfachen Wachstumsprozess: Auf gut 240 Quad-ratkilometer hat sich das Stadtgebiet durch Eingemeindungen ausgedehnt, 12 Ortschaften mit insgesamt 26 Ortsteilen finden darin ihren Platz. Stadt muss sich auch hier neu und größer den-ken und regionales Potenzial als gesamtstädtisches entdecken. Seinen „touristischen Speckgürtel“ beispielsweise: Kropstädt und sein als Hotel genutztes romantisches Schloss lädt ebenso zum Besuch wie Seegrehna, das mit seinem Vorwerk Bleesern ein einst kürfürstlich sächsisches Hofgestüt aufzuweisen hat, im übrigen eine der ältesten Gestütsanlagen Deutschlands, um deren Erhalt sich gegenwärtig ein Verein bemüht.

Die kupferglänzende Zeitkapsel ist gefüllt mit einer Tageszeitung und Münzen heutiger Zeit, mit dem Entwurf und der Bauplanung, die vier Teile zeigt: das Besucherzentrum, das die Touristen der Zukunft angemessen empfangen und in einem weiten Drei-eck – und nicht wie bislang nur an einen Ort oder entlang der schnurgeraden einen, der Schlossstraße zwischen Schlosskirche und Lutherhaus – durch die Stadt zu den Sehnsuchtszielen der Stadt dirigieren soll. Das lang erwartete Bürgerhaus AULA im CAMPUS, ein Tagungs- und Veranstaltungsort mit einem Festsaal

für bis zu 600 Personen, die „gute Stube der Stadt“, wie Rüdiger Schulz schon heute das Gebäude atmosphärisch benennt, dane-ben das Rats- und Stadtarchiv, als „Gedächtnis der Stadt“. Und schließlich als Hommage an das große Kloster die transformierte Klosterkirche mit der Präsentation Rudolfs und der Fürstenfamilie. Letzteres wird kein Museum sein, eher eine Art Erlebniszentrum in der Tradition der „Arche Nebra“ an der Fundstelle der Himmels-scheibe, eine informative Inszenierung, in dem wir dem Mann, der das Vertrauen seines Kaisers besaß, begegnen dürfen. Als eine physische Erscheinung, umschreibt ihn Landesarchäologe Prof. Dr. Harald Meller, „einen großen Mann mit Muskelansätzen wie Arnold Schwarzenegger, der das riesige, 1,30 Meter lange Reichs-schwert zu führen wusste.“ Golddurchwirkt sein Schwertgürtel, Schwertgriff und Scheide – das alles originale Ausstellungsstücke wie auch das Siegel des Kurfürsten, das ihn gleichsam auswies beim Fund als den, der er zu Lebzeiten war, und das gebrochen wurde nach dessen Tode, wie seine weltliche Macht.

Für bedeutende Grundsteinlegungen holen die Wittenberger einen besonderen Hammer aus den Archiven, einer, dessen Gravur schon an die Aufstellung der Denkmale für Luther und Melanchthon vor dem Rathaus erinnert. Abgenutzt ist der Holzgriff, schwer liegt das Eisen in der Hand. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe für den Ministerpräsidenten, Landesvater und selbst Wittenberger, Dr. Reiner Haseloff, der das Projekt des Zentralen Empfangs „als einen großen Gewinn für die Stadt und ihre Besucher“ beschreibt. „Es befördert vor allem den anspruchsvollen Kultur- und Bildungstourismus und ent-spricht somit ganz besonders der Geschichte und Tradition der Reformationsmetropole.“

Das gewachsene Wittenberg baut. Und das nicht nur auf dem Arsenalplatz. Das kurfürstliche Schloss wird derzeit saniert und umgebaut, das Evangelische Predigerseminar zieht nach Fertigstellung in die Räume ein. Das Augusteum, die bisherige Heimat, erfährt zugunsten weiterer Ausstellungsflächen des angrenzenden Lutherhauses ebenfalls eine Sanierung und Er-weiterung wie auch das keinen Steinwurf weit entfernte Haus Philipp Melanchthons. Die Stadt rüstet sich für das große Jubi-läumsjahr 2017 und den Zustrom des weltweiten Luthertouris-mus in das Zentrum – und seine Fläche. Auch dann wird heiß die Augustsonne über Wittenbergs Arsenalplatz flirren und sich Wind an weißen Festzelten fangen. Es werden große Tage sein in einer alten, neuen, viel größer als bisher gedachten Stadt. n

Ö www.wittenberg.de

Ö www.kompetenzzentrum-stadtumbau.de

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Alt und Neu trennt nur ein Absperrgitter. Das mannshohe Bau-zaunelement steckt in zwei Betonklötzen und passt gerade so auf die Deichkrone. Rechts erstreckt sich der Altdeich – natur-nah, unangetastet und herrlich idyllisch. Links beginnt der neue Deich – gradlinig, planiert und asphaltiert. Totes Holz, knorrige Bäume und wildes Gestrüpp säumen beide Abschnitte. Der Blick schweift einerseits auf weite Ackerflächen und andererseits auf die behäbig dahinfließende Elbe. Ob sich der Bauzaun seiner Be-deutung bewusst ist? Ob er weiß, dass er, windschief wie er da steht, mehr als 150 Jahre Hochwasserschutz-Geschichte trennt?

Denn hier, im Lödderitzer Forst in Sachsen-Anhalt, wird aktuell das bisher größte Deichrückverlegungsprojekt in Deutschland realisiert. Natur- und Hochwasserschutz werden mit dieser bei-spielhaften Baumaßnahme in Einklang gebracht. Projektträger ist der World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland, Bauherr der sachsen-anhaltische Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft mit Sitz in Magdeburg. Im Oktober 2010 erfolgte nach vielen Jahren prüfen, planen und genehmigen der offizielle Baustart.

Deichumzug für die Rückkehr des AuenwaldsIm Lödderitzer Forst gelingt der Schulterschluss zwischen Natur- und Hochwasserschutz – ein Modellprojekt

Von Sabrina Gorges

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Hans-Werner Uhlmann schreitet mit seiner orangefarbenen Warnweste den neuen, asphaltierten Kronenkontrollweg des Deichs ab. Ein Arbeiter fegt feinen Sand in die Ritzen eines ge-pflasterten Randstreifens am Fuße der Deichböschung. Weiter hinten zieht eine Walze ihre Bahnen. Der groß gewachsene Mann leitet beim Landesbetrieb den zuständigen Geschäfts-bereich Grundlagen, Planung und Bau. Er hat großformatige Karten in der Hand, aber die braucht er nicht. Er hat alle Zahlen, Daten und Fakten im Kopf. An einer Gabelung bleibt er stehen. Alt und Neu trennen sich hier, der Bauzaun steht nur ein paar Meter weg. „Hier beginnt alles“, sagt er bedeutungsschwer. „An diesem Ypsilon.“ An dieser Stelle fängt der neue, 7,3 Kilometer lange Deich an. Er schlängelt sich an den kleinen Orten Obselau und Kühren vorbei, streift Lödderitz und endet kurz vor Breiten-hagen. Der erste, etwa 2,4 Kilometer lange Bauabschnitt ist fast fertig. Von 2018 an soll der neue Deich vollständig einen mehr als 150 Jahre alten Elbdeich ersetzen, der nicht einmal ansatz-weise die heutigen, gesetzlichen Anforderungen erfüllt. „Der neue Deich rückt viel weiter als sein Vorgänger von der Elbe ab“, sagt Uhlmann. „Darum ist er auch etwa zwei Kilometer länger.“ Sozusagen ein Deich hinterm Deich, vereinfacht ausgedrückt. Ist der neue Deich fertig, wird der alte nicht etwa entfernt, sondern später geschlitzt. „Damit das Elbewasser auch hin-durchfließen kann“, erklärt Uhlmann.

Die Durchlässigkeit des Altdeichs ist eines der elementaren Zie-le dieses Bauvorhabens. Denn: Das Wasser des Flusses Elbe soll bei Hochwasser dahinterliegende Wälder überfluten und sie durchströmen. Echte Bedingungen für Auenwälder, die es in der Region schon seit Menschengedenken gibt, und die durch den Bau des Deichs in der Mitte des 19. Jahrhunderts einfach vom kostbaren Nass abgeschnitten wurden. Der neue Deich schützt

also nicht nur Mensch, Tier und Infrastruktur vor Wassermassen, er bietet einem überflutbaren Auenwald Raum. Darin soll er sich frei von Menschenhand entwickeln. Ein zukünftiger Urwald, der hauptsächlich aus Eichen, Eschen und Ulmen besteht und von der Dynamik des Wassers geprägt ist. Und im Hochwasserfall? „Da der Auenwald durch die Schlitze im Altdeich aktiv durch-strömt werden kann, kann der sogenannte Hochwasserscheitel bis in den Bereich Aken um etwa 25 Zentimeter abgesenkt wer-den“, erklärt Uhlmann.

Der „Mercedes“ unter den Deichen

Astrid Eichhorn vom WWF steht neben Hans-Werner Uhlmann und spricht vom „Mercedes“ unter den Deichen. Die Agrar-expertin ist stolz auf das Projekt. „Die Umweltstiftung WWF Deutschland und der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt haben im Januar 2004 einen Vertrag über dieses Vorhaben geschlossen“, sagt sie. Eine reine Formalität, denn der Schulterschluss zwischen den scheinbar so unterschiedlichen Partnern ist zu diesem Zeitpunkt längst erfolgt. Anfängliche Reibungspunkte wurden ausdiskutiert. Jetzt herrscht Einigkeit und auch ein bisschen Glücklichsein. „Uns war klar, dass der WWF als Projektträger nicht einfach so einen Deich bauen kann“, sagt Eichhorn. „Hochwasserschutz ist in Sachsen-Anhalt Landessache.“ Es ist die klassische „Zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe“-Situation.

Wer was bezahlt, ist ebenfalls längst geklärt. Der WWF über-nimmt als Projektträger 10 Prozent der Kosten, 15 Prozent kommen vom Land, den Rest trägt der Bund. Für die Reali-sierung des Projekts muss der WWF mehrere Hundert Hektar Flächen kaufen. Darunter auch ehemalige Äcker, die in der u

Deichrückverlegung ist Hochwasserschutz für die Zukunft

Die Deichrückverlegungsmaßnahme im Lödderitzer Forst re-sultiert direkt aus dem Jahrhunderthochwasser im August 2002. Dieses Großereignis jährt sich in diesem Jahr zum zehn-ten Mal. Landesweit summieren sich die Schäden auf rund 2 Milliarden Euro. Allein an den wasserwirtschaftlichen Anla-gen, unter anderem an Deichen, Wehren und Schöpfwerken, sind es etwa 250 Millionen Euro. Die Landesregierung reagiert sofort. Die erste Hochwasserschutzkonzeption tritt bereits sie-ben Monate nach Ende des Hochwassers in Kraft. Danach wer-den zwischen 2002 und 2009 rund 480 Deichkilometer saniert, aktuell sind es 511 Kilometer. Insgesamt werden seit 2002 mehr

als 450 Millionen Euro in die Beseitigung der Hochwasserschä-den und die Verbesserung des Hochwasserschutzes investiert. Mittlerweile ist die zweite Hochwasserschutzkonzeption Grundla-ge des Handelns. Sie greift bis 2020 und enthält eine Reihe großer, wichtiger Bauvorhaben. Insgesamt sind 676,74 Millionen Euro zu investieren – 114 Millionen Euro für den Betrieb und die Unterhal-tung schon mitgerechnet. Auf die Hochwasserschutzvorhaben, also alle Deichbaumaßnahmen, der Bau von Flutungspoldern und Hochwasserrückhaltebecken sowie die Anlagensanierung und den Gewässerausbau, entfallen mit 474,3 Millionen Euro mehr als 70 Prozent der Finanzmittel.

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neu entstehenden, etwa 600 Hektar großen Überflutungsaue liegen. Und mit ihnen hat die Umweltstiftung Unglaubliches vor. „Die Früchte von 250 Jahre alten Eichen werden gerade in einer Baumschule aufgezogen und die Zöglinge später auf das etwa elf Hektar große Areal gepflanzt“, beschreibt Eichhorn das Vorhaben. Eichenbäumchen mit Gedächtnis? Hans-Werner Uhlmann muss schmunzeln. „Ich bin gespannt, ob sie sich auch tatsächlich erin-nern können“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Doch wo gehobelt wird, da fallen Späne. Für die Deichtrasse mussten viele Bäume in dem Gebiet im Lödderitzer Forst gerodet werden. Etwa 17 Hektar fielen der Kettensäge zum Opfer – ein alternativloser Eingriff in die Natur. „Wir mussten eine Schneise schlagen“, sagt Eichhorn. Und Uhlmann ergänzt: „Aber wir haben für jeden Baum gekämpft.“ Auch deshalb, weil es eine ökologi-sche Baubegleitung gibt und jeder Schritt akribisch unter die Lupe genommen wird. Das wissen auch Robby Beck und seine

Arbeiter. Der Polier eines Spezial-Baubetriebs aus Bernburg hat in Spitzenzeiten 30 Mann am Deich, durchschnittlich sind es jeden Tag etwa 15. Alle Baumaschinen werden per GPS gesteuert. Das Unternehmen hat die europaweite Ausschreibung für das gigantische Bauprojekt gewonnen. Beck findet das alles einfach „bemerkenswert“. „Wir haben schon viele Deiche gebaut“, sagt der braun-gebrannte Mann mit Kinnbart. „Aber hier wird auch in den Naturschutz investiert und das imponiert mir.“

Ortswechsel. Am Forsthaus Kühren begrenzt ein Verkehrs-schild das Tempo auf dem schmalen Feldweg auf 10 Stun-denkilometer. Jeden Tag fahren Laster hier vorbei. Sie sind mit Mutterboden, Sand oder Kies beladen. Wenn es zu sehr staubt, wässert ein kleiner Traktor mit Tankanhänger den Weg. Hat es stark geregnet, ist hier alles voller Schlamm. In Sichtweite des bewohnten Forsthauses liegt einer von mehreren Lagerplät-zen der Deichbaustelle. Der erste Bauabschnitt ist genau an

Astrid Eichhorn vom WWF Deutschland und Hans-Werner Uhlmann vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt stehen genau an der Stelle, wo der neue Deich beginnt. Die Deichtrasse im Lödderitzer Forst in der Nähe von Magdeburg ist mehr als sieben Kilometer lang. Es ist das bisher größte Deichrückverlegungsprojekt in Deutschland. Im Zuge dessen wird auch ein Auenwald renaturiert.

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dieser Stelle zu Ende. Hier und da parken riesige Maschinen, es gibt mehrere Bürocontainer und Haufen von Steinen. Etwa 900 000 Kubikmeter Bodenmasse müssen im Zuge der ge-samten Maßnahme bewegt werden – das sind ungefähr eine Million Tonnen. Eine logistische Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass es im Umfeld der Baustelle nur kleine Wege und schmale Straßen gibt. Spezialisten haben dafür extra einen Plan entwickelt. Er ist mehrere Seiten lang und listet alle Bau-straßen im Umfeld der Baustelle auf. Fast alle wurden eigens für die mehrjährige Nutzung durch schweres Gerät befestigt. Provisorisch eingerichtete Ortsumfahrungen werden nach dem Abschluss der Massentransporte wieder komplett zurückge-baut. Nur eine Asphaltstraße im Westen von Lödderitz bleibt.

Deichtrasse liegt im Projektkerngebiet

Hans-Werner Uhlmann und Astrid Eichhorn sitzen mittlerweile im Projektbüro. Einmal wöchentlich ist Baubesprechung. An den Wänden im Besprechungsraum hängen Pläne, Karten, Zeichnungen und Luftaufnahmen. Sie weisen die Deichrück-verlegung als einen Teil des Naturschutzgroßprojekts Mittlere Elbe aus. Ein Bundesprogramm, das im Jahr 2001 gestartet ist. Die Kartenmacher haben um den Lödderitzer Forst einen roten Rahmen gezogen. Die Legende weist ihn als „Projektkerngebiet“ aus. „Das eigentliche Projektgebiet ist viel größer und die Rück-verlegung des Deichs der wichtigste Teil“, erklärt WWF-Expertin Eichhorn. Das Gesamtbudget für das Projekt beträgt derzeit 27,8 Millionen Euro. Im Mittelpunkt stehen der Erhalt und die Renaturierung artenreiche Auenwälder und Stromtalwiesen an der Elbe sowie der nachhaltige Schutz der Tiere und Pflanzen.

Trotzdem sollen in Zukunft Teile des durch den Deichneubau entstehenden Auenwalds von Menschen besucht und durch-wandert werden können. „Man muss die Menschen mitnehmen, sie einbeziehen und teilhaben lassen. Deshalb wollen wir einige bestehende Wege durch die Überflutungsaue erhalten“, sagt sie. Sehr wahrscheinlich ist auch, dass der asphaltierte Kronen-kontrollweg später mal ein Radweg werden wird. Und damit die Verbindung zwischen Radroute und Waldweg barrierefrei funktioniert, werden entlang der Deichtrasse etwa eine Hand voll Rollstuhlrampen gebaut. Faktenjongleur Uhlmann hat alle Daten parat. „Die Rampen für Rollstuhlfahrer sind gepflastert, haben Zwischenpodeste, eine genormte Breite, abgeschrägte Kanten und etwa sechs Prozent Neigung.“ Er lächelt. „Wir haben an alles gedacht.“ n

Ö www.deich-loedderitz.info

Bild oben: Planung der Deichrückverlegung im Lödderitzer Forst

Das Gebiet rund um die neue Deichtrasse …

… wurde bereits 1979 als Naturschutzgebiet „Steckby-Lödderitzer Forst“ von der Unesco in das Weltnetz der Bio-sphärenreservate aufgenommen. 1988 wurde die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft angegliedert. Weitere Gebiete kamen schrittweise in den Folgejahren hinzu. So entstand 1997 das länderübergreifende Biosphärenreservat „Fluss-landschaft Elbe“, dessen Teile in Sachsen-Anhalt, Bran-denburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen. Es ist aktuell das einzige Bio-sphärenreservat in Deutschland. Sachsen-Anhalt hält mit dem etwa 125 000 Hektar großen Gebiet „Mittelelbe“ den größten Anteil an dem Reservat.

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Es hat einen Ehrenplatz bekommen, das Modell des Zehren Roadster. Im Regal hinter Stephan Zehren steht es und erinnert daran, wie alles anfing. Der schnittige Wagen ist das Ergebnis ei-ner Studien- und Diplomarbeit. Als Maschinenbaustudenten an der Otto-von-Guericke-Universität hatten Manuel Holstein und Jörg Schindelhauer an einem puristischen Sportwagen getüf-telt. „Wir haben die Aufgabenstellung aber kreativ weiterentwi-ckelt“, erinnert sich Jörg Schindelhauer. Heraus kam ein Sport-wagen mit fast 300 Pferdestärken und einem Eigengewicht von 600 Kilogramm. Das schnittige Design hatte Stephan Zehren entworfen, der damals noch Design an der Hochschule Mag-deburg-Stendal studierte. Die beiden Ingenieure hatten dort gezielt nach einem Industriedesigner gesucht und mit ihm den richtigen Partner gefunden. Den Businessplan erstellte Martin Schellhase, der an der Magdeburger Universität BWL studierte.

Der Sportwagen kam an, sollte tatsächlich gebaut und für die Straße zugelassen werden. Ihre eigene Firma c2g engeneering hatten die vier zu diesem Zeitpunkt schon gegründet, und dank der Unterstützung durch ein Gründungsstipendium schienen sie nun einen Blitzstart hinzulegen. Das war 2008.

„Aber dann kam die Finanzkrise“, erinnert sich Martin Schell-hase. „Da sind uns die Investoren abgesprungen.“ Die Pläne für den Roadster mussten schweren Herzens zu den Akten gelegt werden. Der Prototyp wurde nie gebaut. Nur das Modell zeugt noch heute von den ursprünglichen Plänen.

Zeit, ihrem Sportwagen nachzutrauern, blieb nicht. Jenseits des Atlantik stellte just zu dieser Zeit der Autozulieferer Gates einen Zahnriemen eigens fürs Fahrrad vor. Eine Revolution, von der die beiden Maschinenbauer sofort begeistert waren. Nun, wenn es schon keine Autos sein konnten, so wollte das Quartett eben Fahrräder bauen. Neuartige Fahrräder mit Zahnriemen. Fahr-räder mit einem besonderen Design für den anspruchsvollen Geschmack.

„Das erste haben wir noch bei mir zu Hause im Wohnzimmer zusammengeschraubt“, schmunzelt Jörg Schindelhauer. „Ich darf gar nicht daran denken, das war vielleicht ein Chaos!“ Im Frühjahr 2009 waren die ersten Fahrräder fertig. Alle mit Zahn-riemen. Der hat gegenüber der sonst üblichen Kette einige Vor-teile. „Er ist völlig wartungsfrei und läuft komplett ohne Öl und

Ein Rad für den Architekten oder WerbefachmannVon der gemeinsamen Diplomarbeit zur Edelfahrradschmiede

Von Annette Schneider-Solis

Stephan Zehren verlieh dem Bike sein zeitlos elegantes Design.Hinten an der Wand ist eines der Räder aufgehängt.

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Fett. Außerdem springt er nicht ab“, erklärt der Maschinenbauer. Die vier Magdeburger waren die ersten in Deutschland, die ohne Wenn und Aber auf den Zahnriemen setzten, ausschließlich Rä-der mit dieser Kraftübertragung herstellten. Zur Euro Bike, der wichtigsten Branchenmesse, stellten sie ihre erste Räderkollek-tion vor. Ganz schön riskant findet Jörg Schindelhauer das rück-blickend. Aber der Mut der vier Jungunternehmer zahlte sich aus. Inzwischen haben auch andere Hersteller nachgezogen, doch noch immer baut außer ihnen niemand Fahrräder ausschließlich mit Zahnriemen. Die Schindelhauer Bikes verkaufen sich inzwi-schen in alle Welt. Ausschließlich über Händler, die in letzter Zeit immer mehr den Kontakt zu den Herstellern von sich aus suchen.

Dazu beigetragen haben sicherlich die vielen Preise, mit denen die Schindelhauer Bikes in den zurückliegenden drei Jahren de-koriert wurden. „Es begann mit dem Leipzig Designers Open“, zählt Martin Schellhase auf. „Es folgten der Red Dot Design Award, der Brand New Award und schließlich im vergangenen Jahr der Euro Bike Award. Zwischendurch waren wir Unterneh-men des Monats.“ Vor allem der Designpreis Red Dot Design Award und der wichtige Branchenpreis Euro Bike Award verlie-hen der jungen Magdeburger Fahrradschmiede Schwung. „Aber emotional war der erste Preis im Oktober 2009 für uns am wichtigsten. Wir hatten ja gerade erst angefangen.“ u

Besonderheit ist der pflegeleichte Zahnriemen, der die Kette ersetzt.

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Design

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Dass die Fahrräder den Namen Schindelhauer tragen sollten, da-rüber herrschte Einigkeit. „Schindelhauer, das passt“, schwärmt Martin Schellhase. „Das klingt nach ehrlichem, alten Handwerk.“„Der Roadster hieß ja auch Zehren, weil Stephan ihn designt hatte“, ergänzt Jörg Schindelhauer. Und Stephan Zehren fügt hinzu: „Damals haben wir uns mit dem Namen richtig schwer-getan. Das Auto hatte drei Namen, und wir waren immer un-zufrieden. Also lag auf der Hand, dass es nach einem von uns benannt wird.“

Schindelhauer Bikes stehen heute für solide, wertbeständige Fahr-räder mit Zahnriemen und zeitlos elegantem Design. Dafür greifen die Käufer auch tief in die Tasche, denn die Edelbikes haben ihren Preis. Das Flaggschiff Ludwig XIV kostet knapp 3 200 Euro. Aus-gestattet ist es mit einer 14-Gang-Rohloff Schaltung. Die Käufer

kommen vor allem aus Kreativberufen, sind Designer, Architekten, Werbefachleute. Aber auch Radler mit Interesse für Technik oder Rechtsanwälte nennen Schindelhauer Bikes ihr Eigen. „Die meis-ten werden durch das Design aufmerksam und werden endgültig durch den Zahnriemen überzeugt“, weiß Jörg Schindelhauer.

Gegenwärtig tüfteln die Fahrradbauer an einigen neuen Model-len. Viel verraten wollen sie noch nicht. Nur ein Thin Bike kündigen sie schon mal an. Sie haben es zusammen mit dem US-Amerika-ner Graham Hill entwickelt. Die Idee, Fahrräder herzustellen, die auch in der engsten Wohnung Platz finden, stammt von ihm. Die Magdeburger haben sein Rad weiterentwickelt und sind sich si-cher, dass sie auch mit diesem Konzept Erfolg haben werden. n

Ö www.schindelhauerbikes.com

Nach Maschinenbauer Jörg Schindelhauer wurde das Rad benannt.

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Eine Gemeinschaftsaktion von Sachsen-Anhalt-Magazin und radio SAW.

www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.dewww.radiosaw.dewww.wir-sind-sachsen-anhalt.de

Marie Brämer-Skowronek (21) wurde in Wolmirstedt geboren

und ist zehn Jahre in Tangerhütte zur Schule gegangen. Dort

wurde ihr sportliches Talent entdeckt und gefördert. Zur Zeit

absolviert sie in Wolmirstedt eine Ausbildung zur Erzieherin.

Seit 2006 wird sie von Christian Wischer trainiert und startet

für den Verein GBS Haldensleben. In Magdeburg wohnt

und traniert sie für ihre Disziplinen Speer, Kugel, Diskus.

„Ich mag Sachsen-Anhalt, weil ich hier rund 1 400 Tage trainieren konnte, um dann in 2 Stunden und 6 Würfen vor 80 000 Zuschauern in London Silber zu gewinnen.”

Wir sindSachsen-Anhalt

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20 Schulsanierungen in nur fünf JahrenIndustriebau Wernigerode als erfahrener und erfolgreicher Partner der Kommunen bei PPP-Projekten

Von Rainer Lampe

Es gibt nur zwei Bundesländer, in denen der Industriebau Wernigero-de in den 20 Jahren seit der Privatisierung noch keine Baustelle hatte: Rheinland-Pfalz und das Saarland. Eine Deutschlandkarte mit Mar-kierungen aller Bauplätze der Wernigeröder ist dicht mit Fähnchen besteckt. Allein in Sachsen-Anhalt stecken 130 solcher Fähnchen, von Aken bis Zielitz reicht die Ortsliste. In 64 Kommunen Niedersachsens, 16 in Berlin-Brandenburg, 11 in Sachsen und 10 in Hessen finden sich ihre Spuren, selbst in Österreich.

In Magdeburg hat der Industriebau Wernigerde gerade zwei Groß-baustellen – den Umbau und die Sanierung alter Betriebsgebäude in Buckau (Messma-Lofts) und am Elbufer das Demenz-Centrum für AG Vitanas. Zwei Stadtvillen in Schönebeck, eine Wohnresidenz in Cuxha-ven, das Helmholtz-Zentrum in Braunschweig, eine Klinik am Tharand-ter Wald/Thüringen, eine Sporthalle in Wolfenbüttel, ein Biomasse-Heizkraftwerk für ein österreichisches Unternehmen in Torgau/Sachsen, der Aus- und Umbau eines Hotels in Wernigerode für ca. 16 Millionen Euro – das sind nur Auszüge der aktuellen Baustellenliste.

Schon zu DDR-Zeiten wurde der Industriebau Wernigerode, damals ein Betrieb des Bau- und Montagekombinats Magdeburg, vorran-gig mit komplizierten, von Terminen gedrückten Industriebauten beauftragt. 1622 Mitarbeiter hatte das Unternehmen Ende 1989. 1990 wagte sich ein Team der Betriebsleitung an die Privatisierung.

10 Millionen Mark hat der Kauf von der Treuhand damals gekostet. Es war ein Wagnis. Baufirmen mit großem Namen sind in den ver-gangenen zwei Jahrzehnten gescheitert. Auch für die Wernigeröder glichen die Jahre nach der Privatisierung oft einer Achterbahnfahrt. Es ging hoch und runter, bis sie sich einen Namen gemacht hatten als Generalunternehmer im Schlüsselfertigbau. Von da an sah es meist gut aus in der Bilanz und beim Auftragsvorlauf.

Offen für neue Geschäftsfelder, stießen die Wernigeröder vor gut zehn Jahren auf damals kaum bekannte Aktivitäten mit dem Na-menskürzel PPP. Es steht für Public Private Partnership. Im Deutschen ist auch die Bezeichnung ÖPP (öffentlich-private Partnerschaften) geläufig. PPP meint: Private Unternehmen bringen sich mit Know-how, Kapital und Personal bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben ein und übernehmen dabei häufig auch Risiken, die traditionell dem öffentlichen Sektor obliegen. Vereinfacht ausgedrückt: Investitionen, die dringend notwendig, aber zu teuer sind, delegiert der Staat (Bund, Länder Kommunen) an die Privatwirtschaft. Diese finan-ziert die Vorhaben mit ihrem Geld und in eigener Verantwortung.

PPP ist in Großbritannien und den Niederlanden gängige Praxis, in Deutschland jedoch – weil neu – nicht unumstritten. Es gibt aber bereits eine Reihe von Vorhaben, die erfolgreich umgesetzt wurden. Das belegt eine Studie der Bergakademie Freiberg im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen. Ihr Fazit: „Die durch die Kommunen und ihre jeweiligen Berater im Laufe von Ausschreibung und Ver-tragsabschluss geschätzten und nachgewiesenen Effizienzvorteile haben sich eingestellt. Die Projekte wurden bisweilen günstiger realisiert als bei der Eigenerstellung und das in hoher Qualität; die gesetzten Fristen wurden eingehalten. Die Dienstleistungen der Betreiber übertreffen teilweise die Erwartungen der Kommunen. Die Nutzerzufriedenheit mit den ÖPP-Projekten ist ebenfalls (sehr) hoch.“ Das bekräftigt auch die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach mit dem Titel „Die Zufriedenheit mit ÖPP-Projekten im Schulbereich aus Sicht von Auftraggebern, Schulleitern und Eltern-vertretern“. (Umfragezeitraum September/Oktober 2010)

Magdeburger Modell: All diese Einschätzungen lassen sich be-legen durch das bislang größte PPP-Projekt für die Sanierung und den Neubau von Schulen in Sachsen-Anhalt bzw. in den neuen Bundesländern. 20 Schulen hat die Stadt Magdeburg als PPP-Modell zwischen 2007 und 2012 saniert. Sie sah darin den einzigen Weg, den

BBS III Am Krökentor „Otto von Guericke“ – Hier gehen die Schüler nun gerne ein und aus.

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Sanierungsstau an städtischen Schulen gravierend und schnell abzu-bauen. „Ohne diese Partnerschaft hätten wir den Investitionsstau bei Schulen erst in 20 Jahren auflösen können“, meinte Oberbürgermeis-ter Dr. Lutz Trümper bei der Vertragsunterzeichnung für das erste Sanierungspaket von fünf Schulen im November 2007.

Effizienzvorteil: Es war ein weiter Weg bis zum Projektstart. Um-fangreiche Untersuchungen zur Schulentwicklungsplanung, zur Un-abweisbarkeit und Wirtschaftlichkeit sowie eine europaweite Aus-schreibung zogen sich über fast zwei Jahre hin. Jeder Schritt wurde vom Stadtrat begleitet und von der Kommunalaufsicht begutachtet. Bei einem Wirtschaftlichkeitsvergleich konnte die Stadt einen Effizi-enzvorteil von 8,4 Prozent durch das PPP-Modell nachweisen.

Projektgesellschaft: Vier Sanierungspakete für jeweils fünf Schulen wurden ausgeschrieben. Das erste, dritte und vierte Paket – insgesamt 15 Schulen – ging an ein mittelständisches Bieterkon-sortium unter der Federführung vom Industriebau Wernigerode. Weitere Partner dieser „Projektgesellschaft Schulen Magdeburg“ waren die W. Wallbrecht GmbH & Co. KG Hannover, Zweigniederlas-sung Magdeburg, und die MBN Montage-Bau GmbH Magdeburg. Bei der ersten Tranche war auch die Norddeutsche Landesbank als Finanzierungspartner und Mitgesellschafter mit im Boot. Für die Stadt Magdeburg übernahm der Eigenbetrieb Kommunales Gebäudemanagement die Bauherrenfunktion.

Finanzierung: Die private „Projektgesellschaft Schulen Magde-burg“ übernahm die Planung der Sanierung, die Sanierung selbst,

die Finanzierung und den langfristigen Betrieb der Schulgebäude einschließlich ihrer Instandhaltung und Instandsetzung. Eigentümer dieser Gebäude bleibt die Stadt Magdeburg. Sie zahlt den Betreibern ein monatliches Entgelt für seine Aufwendungen. Vertraglich ver-einbart wurde eine Laufzeit von 30 Jahren zur Refinanzierung der Investitionen – jeweils ab Fertigstellung und Abnahme des Objekts.

Für alle günstiger: Industriebau-Geschäftsführer Peter Schmidt nennt gewichtige Gründe für solch Vorgehen: „Wenn sich alle Seiten in einem Team zusammenfinden, gibt es ganz andere Gestaltungs-möglichkeiten, als wenn der private Unternehmer in ein öffentliches Auftragsregime gezwängt wird. Können wir Projektierung, Gestal-tung und Bauweise beeinflussen, wird es für die Stadt preisgünstiger und die Planungssicherheit wird erhöht. Das Magdeburger Schul-projekt wurde in hoher Qualität und Preisstabilität termingerecht abgeschlossen. Da war nichts von Riesen-Kostensteigerungen und immer weiter hinausgezögerten Übergabeterminen.“ Lehrer und Rektoren wurden frühzeitig in die Detailplanung mit eingebunden; Schüler konnten zum Beispiel auch beim Farbkonzept mitreden. Alles in allem: Es war kein vorgesetzter Bau, bei dem Bauleute und Nutzer zu akzeptieren haben, was ihnen vorgegeben und übergeben wird. Es war Gemeinschaftsarbeit und ein sehr gutes Zusammenwirken zwischen den PPP-Partnern.

Mittelstandsfreundlich: Großprojekte dieser Art werden meist Großkonzernen übertragen. Das werfen Kritiker den PPP-Modellengern vor: Die Aufträge und damit das Geld, heißt es, gehen an den Firmen der Region vorbei. Das muss nicht sein, wie sich in u

Schüler, Lehrer, Bauherren, Betreiber: Alle sind glücklich über das neue Werner-von-Siemens-Gymnasium. Mitte der hinteren Reihe von links: Oliver Ahaus, Technischer Leiter der Betreibergesellschaft BCV Wernigerode, Frank Skroblien, stellv. Schulleiter, Peter Schmidt, Geschäftsführer Industriebau Werni-gerode, Hausmeister Hans Gert Piener und Objektmanagerin Cornelia Fett von der BCV, Schulleiter Manfred Bäthge.

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Magdeburg zeigt. „Hier hat das die Stadt sehr gut hingekriegt“, lobt Peter Schmidt. Über die Bietergemeinschaften öffneten sich Wege zu mittelständischen Baufirmen der Region. Auch der Industriebau Wernigerode mit seinen rund 200 Beschäftigten ist ja solch ein Mittelständler. Die Aufteilung in mittelstandsfreundliche Pakete hat sich hier ebenso bewährt wie die europaweite Ausschreibung und die explizite Aufforderung an mittelständische Betriebe, sich an der Ausschreibung aktiv zu beteiligen. Strenges Bewertungskriteri-um war zudem die Einbindung mittlerer und kleiner Unternehmen in die Auftragserledigung. 80 bis 90 Prozent der Gesamtleistung wurden letztlich mit Firmen der Region verbaut.

Bauherren als Betreiber: Bautätigkeit und Betrieb der Schulen wurden als Gesamtpaket begriffen. Die Bausumme wird in monat-lichen Raten getilgt, die neuen Schulstandorte werden erst nach 30 Jahren von der Kommune refinanziert sein. Als Betreiber bleiben die bauausführenden Unternehmen an das Objekt gebunden. Im Falle etwaiger Baumängel tragen sie das Risiko. Eine Betreiber-gesellschaft übernimmt den Betrieb der Schulen einschließlich ihrer baulichen Instandhaltung. Der Industriebau Wernigerode hat eigens dazu die IW Bauwert-Consult & Verwaltungsgesellschaft mbH gegründet. Laufende Zuwendungen der Kommunen für den Betrieb der Schulen werden auf ein von der Kommune verwaltetes Sonderkonto überwiesen, über das nur nach geprüften und geneh-migten Instandhaltungsplänen verfügt werden kann. Der Betrieb der Schule ist strikt getrennt von ihrer Lehrtätigkeit. Die war, ist und bleibt Sache des Lehrerkollegiums und der Kommune.

Schüler und Lehrer begeistert: 2006 hatten die Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums öffentlich lautstark gegen die Zustände an ihrem seinerzeitigen Schulstandort protestiert. Noch lauter war ihr Jubel 2009 beim Einzug in die umfangreich sanierte Schule an einem neuen Standort. Einhellige Meinung: „Endlich eine schöne Schule.“ Auf der Webseite der Schule war zu lesen: „Ein großer Dank an alle, die sich für den Umzug unserer Schule einge-setzt haben.“ „Leuchtende Kinderaugen“ sah ein Reporter an der Grundschule Weitlingstraße. Freude über ein „großartiges Gebäude von unermesslichem Nutzen“ hieß es im Bericht über die Westring-Grundschule, und in „Magdeburg-Texas“ strömten selbst viele An-wohner zur Einweihung „der besten Schule, die Nordwest je hatte“.

In seiner Projektdatenbank listet das Bundesbauministerium derzeit bundesweit 240 Projekte in öffentlich-privater Partner-schaft auf. Die Wernigeröder Industriebauer sind offen für weitere PPP-Projekte. Ihre großen Erfahrungen sind sicher ein gewichtiger Pluspunkt. Sie haben ja nicht nur das Magdeburger Großprojekt gemeistert, sondern auch öffentliche Bauten wie die Feuer- und Rettungswache, das Katasteramt und die Hochschule Harz in Wernigerode; das Gymnasium Vechelde, zwei Schulen in Goslar, Bäder in Cottbus, Burgstädt, Bad Orb, Flensburg und noch viele mehr. PPP ist kein Neuland mehr. Die Erfahrungen waren so vielfältig wie die Partner selbst. PPP ist unbestritten kein Allheil-mittel für klamme Stadtsäckel. Auch kein Einfallstor für reines Profitstreben. Es kommt letztlich auf die richtigen Strukturen, die durchdachte Vertragsgestaltung und vor allem auf die richtigen Partner an. Partner, die sich vertrauen und gleiche Ziele haben. n

Ö www.industriebau-wernigerode.de

Ö www.ppp-projektdatenbank.de

Ö www.ppp-nrw.de

Neuer Glanz für eine altehrwürdige Schule im Stadtkern: Die BBS Otto von Guericke am Krökentor.

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„Fangen Sie bloß nicht damit an, dass ausgerechnet in Bitterfeld feinste Duftnoten entstehen!“ Im einstigen Chemie-Moloch mit seinen maroden Anlagen. Peter Müller hebt abwehrend die Hände. Klischees bedienen mag der Geschäftsführer der Miltitz Aromatics GmbH im ChemiePark Bitterfeld-Wolfen nicht. Der Landstrich war damals wegen seines Gestanks verschrien. Am Ende Sinnbild der DDR. Die sozialistische Republik ist tot.

Die Region aber lebt, hat einen weltweit einmaligen Strukturwan-del erlebt, ist mit Tradition, Know-how und Subventionen für den Markt fit gemacht. Der 63-jährige Peter Müller und der 72 Jahre alte Jürgen Braband, beide promovierte Chemiker, hatten in der Wen-dezeit den richtigen Riecher: 1992 gründeten sie ihr Unternehmen, und ein Jahr darauf zogen sie nach Bitterfeld.

Heute beschäftigt ihre GmbH 45 Mitarbeiter und sechs Azubis, pro-duziert mehr als 50 verschiedene Duft- und Aromastoffe, im Jahr 1 000 bis 1 200 Tonnen, beliefert – „alles, was Rang und Namen hat“, so Peter Müller – Parfüm- und Waschmittelhesteller sowie die Le-bensmittelindustrie in 27 Ländern. Jahresumsatz elf bis zwölf Mil-lionen Euro.

Die Nase sei heute noch ihr wichtigstes Werkzeug, sagt Müller. Das Riechen ist der älteste der menschlichen Sinne und steuert unser Leben. Frisches Brot, eine Blumenwiese – Düfte wecken Gefühle, Er-innerungen und Stimmungen, lange bevor unser Verstand davon erfährt. Gerüche sind komplizierte Gemische. Was uns als unver-wechselbarer Duft in die Nase steigt, ist in der Regel ein Potpourri aus hundert oder tausend verschiedenen Molekülen. u

Der richtige Riecher und das Wort eines Generals

Von Dana Micke

Ein Hauch von Bitterfeld schmückt Chanel Nr. 5: Miltitz Aromatics exportiert synthetische Riech- und Aromastoffe in fast 30 Länder

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Tradition

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„Früher wurde Parfüm in Gold aufgewogen. Riechstoffe aus Pflan-zen herzustellen, ist ein langwieriger, aufwändiger Prozess“, sagt Peter Müller. „Erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten Wissen-schaftler, dass die Prozedur auch einfacher funktioniert. Seither entschlüsseln Chemiker immer mehr das Geheimnis der Düfte und stellen sie synthetisch her.“ Eine besonders erfolgreiche Krea-tion aus der Retorte gelingt 1921 mit Chanel Nr. 5.

Miltitz Aromatics, kurz MA genannt, setzt auf Tradition: 1829 be-ginnt die Firma Schimmel in Miltitz bei Leipzig, Düfte und Aromen zu produzieren. Zu DDR-Zeiten enteignet und an ein Kombinat an-gegliedert, heißt es dann VEB Chemisches Werk Miltitz. Im Labor lernen sich 1984 Müller, der als Forschungsdirektor beginnt, und Braband, der da schon als Wissenschaftler arbeitet, kennen. Beide sind Tüftler, hartnäckig, visionär, ideenreich.

Als der DDR der Totenschein ausgestellt ist, geht es planlos in die Marktwirtschaft, wickelt die Treuhand ab. „Die wusste mit uns nichts anzufangen“, so Peter Müller. Und meint damit auch den großen Betriebsrohbau in Miltitz, in den die DDR 1987 einen Devi-senkredit von 60 Millionen D-Mark investiert hat. „In den Wende-jahren aber brach der osteuropäische Markt weg. 50, 60 Interes-senten kamen nach Miltitz und winkten ab.“

Müller und Braband sind jetzt in ihrem Redeschwall kaum zu stoppen. Eine Geschichte jagt die andere. Wenn Müller in Ren-te geht, will er alles aufschreiben. Und was passierte nun mit dem alten Werk Miltitz? Am Ende wurde es in mehrere Betrie-be aufgesplittet. Mit Heinz Grau, Unternehmer aus Schwäbisch Gmünd, übernahmen Müller und Braband 1992 den Bereich Chemische Synthese.

In jenen Tagen lernen sie Lothar Domröse aus Bonn kennen. Ein Generalleutnant a. D. der Bundeswehr, der ihnen helfen will, aber von Riechstoffen nicht die geringste Ahnung hat, dafür Gott und die Welt kennt. Als Miltitz Aromatics gegründet, ein Betriebsgelände im ChemiePark Bitterfeld-Wolfen gefunden ist, haben Müller und Braband Wissen, Erfahrung und Ideen, aber weder Mitarbeiter noch Geld. Sie brauchen 350 000 DM. Der General kennt den Inhaber einer deutschen Privatbank. Den lädt er nach Bitterfeld-Wolfen ein.

„Wir zwei hatten nichts, nur eine schäbige Meisterstube“, sagt Müller. Und da stellen die Chemiker dem Banker ihr Konzept vor. Schließlich fragt der: „Welche Sicherheiten haben Sie?“ Der Gene-ral springt auf und ruft: „Mein Wort, mein Herr, mein Wort!“ Hm, Schweigen. Dann presst der Banker ein Ja hervor. Am 16. Juni 1993 geht das Geld aufs Firmenkonto ein.

Mit dem Kredit hat die Firma eine alte Produktionsanlage im Che-miePark Bitterfeld-Wolfen fit gemacht. Der erste Auftrag kommt von Charabot aus dem französischen Grasse, dem Zentrum der Parfümindustrie. Charabot ordert 3 000 Kilo Gamma Methylionon, Veilchenriechstoff. Im Dezember 1993 wird geliefert. „Wir befürchte-ten, dass uns alles um die Ohren gehauen wird. Die Produktionsan-lage war durch den Umbau nicht ganz sauber“, so Müller. Doch die Franzosen reagieren ehrenhaft, destillieren den Riechstoff erneut, zahlen den vollen Preis. „Sie honorierten unseren Aufbruchwillen.“

Die Auftraggeber wollen stabile Partnerschaften. „Obwohl die Riech-stoffe aus den Kesseln und Kolonnen von höchster Qualität sind, zu 99,8 Prozent rein, gibt es immer auch einen Hauch von Eigengeruch“, sagt Peter Müller, der mit Jürgen Braband wie in alten Zeiten getüf-telt hat, bis erste eigene Topnoten, Produktverfahren und -anlagen entwickelt sowie Lizensen vergeben werden. So zahlt MA bereits nach zwei Jahren den Kredit von 350 000 DM plus Zinsen zurück.

Der Betrieb wächst. Die Anlagen werden erweitert. Und bis heute acht Millionen Euro investiert. In diesem Jahr noch einmal allein über 700 000 Euro, um die Produktionspalette auszudehnen. Firmenvertretungen sitzen in Amerika, England, Frankreich, der Schweiz, Italien, Spanien, Indien und Singapur. Früher war Peter

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Müller ständig auf Achse, Paris, New York, Singapur. Inzwischen ist die Auftragslage stabil. Nun sind Sohn Stefan, promovierter Jurist und Prokurist bei MA, und Marketingchefin Delphine Dumas-Mit-telberger auf Reisen.

Wo MA überall „drin steckt“, ist kaum nachvollziehbar: Für ein einziges Parfüm stehen etwa 200 natürliche Essenzen und an die 2 000 synthetische Duftstoffe zur Verfügung, aus denen 30 bis 80 diverse Stoffe für das eine Parfüm gemixt werden. Eine besondere Topnote ist das hier kreiierte Hydroxyambran mit dem komplexen Ambra-Duft. „Da sind wir Weltmarktführer“, sagt Braband. Ambra ist eigentlich ein zufälliger Fund im Meer. Ein krankhaftes Ausscheidungsprodukt von Walen, schwimmt im Wasser und wird von Fischern gewissermaßen als Beifang gewonnen. Das ist äußerst selten. Deshalb ist natürliches Am-bra so teuer. MA baut den Stoff nach. Bisher mit Hilfe eines Kon-zerns, ab 2013 allein.

Die Firma tüftelt mit dem Rostocker Leibniz-Institut für Katalyse an einem Verfahren, um die synthetische Ambra-Produktion zu opti-mieren. Ein Fünftel der Belegschaft arbeitet in der Forschung. MA erhielt bislang 3,5 Millionen Euro Fördergeld. Ideen sind der Roh-stoff der Zukunft.

Das alles muss man feiern. Mit den Kunden aus der ganzen Welt. Die Firma ist doch jetzt 20 geworden. Auf der Geburtstagsfeier pries Michael Richter, Staatssekretär vom Wirtschaftsministeri-um Sachsen Anhalt, den Forschungs- und Innovationsgeist sowie die Investitionsbereitschaft von MA. Sogar die demografische Aufgabe sei gelöst, sagte er. So werde nicht nur ausgebildet und neuer Nachwuchs selbst herangezogen, auch die Nachfolge der Geschäftsführung sei geregelt. Ja, Müllers Sohn Stefan steht in den Startlöchern.

Und der fragt nun süffisant zum Abschied: „Kennen Sie das Mai-glöckchen-Phänomen?“ Da geht es um Spermien, die sich an ei-ner Art Maiglöckchenduft orientieren, der von der Eizelle ausgeht. „Ohne den Blütenhauch würden sich die winzigen Spermien in den Weiten des Eileiters hoffnungslos verirren – und die Mensch-heit wäre ausgestorben“, sagt er. Übrigens: Die Topnote Mai-glöckchen gehört zum Standardprogramm von Miltitz Aromatics, in vollendeter Kunstform. n

Ö www.miltitz-aromatics.de

Prägnant: Der Mix aus einzelnen Riech-stoffen erst macht den Duft einzigartig. Ob er gelungen ist, entscheidet am Ende der Kunde. Dr. Jürgen Braband (l.) und Dr. Peter Müller haben mit der Grün-dung ihrer Firma Miltitz Aromatics jedenfalls den richtigen Riecher bewiesen. Und mit Delphine Dumas-Mittelberger (M.) eine ausgezeichnete Marketingchefin ausgewählt.

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Dr. Manfred van Afferden steht vor einem tennisplatzgroßen Kiesbecken und blinzelt in die Sonne. Gleich daneben ist ein zweites, ähnliches Becken. Dieses ist mit Weiden bepflanzt. „Deren Durchwurzelung bewirkt einen größeren Sauerstoff-eintrag“, erklärt er und blickt dabei in Richtung Chemiestandort. Was er sieht, kann gegensätzlicher nicht sein. Dort, auf 1 300 Hektar, rauchende Schornsteine, Industriebauten und Kühltür-me. Hier ein Ensemble, das an eine Gartenanlage erinnert.

Was so unscheinbar daher kommt, löst auf sehr effiziente Weise ein Problem, das Sachsen-Anhalt schon lange unter den Nägeln brennt. Das Grundwasser unter dem Chemiestandort Leuna ist stark toxisch und muss dringend gereinigt werden. Methyl-tertiär-butylether, kurz MTBE, und Benzol kommen hier in hohen Konzentrationen im Grundwasser vor – ein Erbe der

DDR-Erdölindustrie sowie aus noch früheren Zeiten. MTBE wird seit vielen Jahren als Ersatz für bleiorganische Verbindungen dem Super-Benzin beigemengt, um die Oktanzahl und damit die Klopffestigkeit des Motors zu erhöhen. Bis zu 5 000 Mik-rogramm der Trinkwasser gefährdenden Chemikalie wurden unter Leuna in einem Liter Grundwasser gemessen. Beim krebs-erregenden Benzol sieht es ähnlich aus, da wird der Grenzwert für Trinkwasser um das 15 000-fache überschritten.

„Wir haben in den letzten Jahren ein neues Verfahren für solche Schadensfälle entwickelt, das die Abbauvorgänge der Natur nachempfindet“, sagt Umweltbiotechnologe van Afferden vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Aus vier bis sechs Metern Tiefe holen die Forscher dazu das verunreinigte Grundwasser an die Oberfläche. Dort wird es über spezielle

Eco-Tech is(s)t High-TechMikroorganismen sagen toxischen Substanzen im Grundwasser den Kampf an

Von Annegret Faber

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Verteilersysteme innerhalb der Kiesbecken verrieselt. Einige der im Grundwasser natürlich vorkommenden Bakterien nut-zen Benzol und MTBE als Nahrung. An die Oberfläche geholt, werden sie aktiv und beginnen damit, die toxischen Stoffe zu verwerten. Im Einzelnen funktioniert das zweistufige ecotech-Verfahren folgendermaßen: Das erste Becken ist ein Vertikalfilter, der vorwiegend mit grobkörnigem Blähtonmaterial gefüllt ist. Hier wird vor allem Eisen ausgefällt, was sonst zu Verblockun-gen von Rohren, Pumpen und sensiblen Gerätschaften führen würde. Außerdem ist die Anlage so designed, dass kein Kalk ausfällt – ein großer Vorteil gegenüber herkömmlichen chemi-schen Anlagen, wo Kalkausfällungen sehr hohe Betriebs- und

Wartungskosten nach sich ziehen können. Im zweiten Ver-fahrensschritt passiert das Grundwasser einen Filter, der mit feinkörnigem Material gefüllt ist und eine große Oberfläche für die Ansiedlung der Mikroorganismen bietet. Beeindruckende 15 000 Mikrogramm Benzol pro Liter werden hier schließlich innerhalb weniger Tage auf ein Mikrogramm reduziert und 5 000 Mikrogramm MTBE auf unter zehn Mikrogramm pro Liter. Das sind Konzentrationen, die unter den Grenzwerten liegen, die für Trinkwasser gelten.

Doch auf dem Weg in die Praxistauglichkeit gab es weitere Hürden zu überwinden, etwa die verfahrenstechnische u

Filterbecken am UFZ-Versuchsstandort Leuna. Hier wird mit robusten ecotech-Verfahren Grundwasser von Benzol und MTBE, einem Benzinzusatzstoff, befreit.

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Offizielle Eröffnung des Implementierungsbüros im Jordanischen Wasserministerium am 21. Oktober 2012 mit Ralph Tarraf, deutscher Botschafter in Jordanien, Ministerpräsident Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt), Bundesforschungsministerin Annette Schavan (BMBF), Maher Abu Al-Samin, Minister für Städtische Angelegenheiten und Minister für Wasser und Bewässerung, Basem Telfah, Staatssekretär des Ministeriums für Wasser und Bewässerung, Fayez Bataineh, Staatssekretär der Jordanischen Wasserbehörde, sowie Omar Salameh, Leiter der Presse- und Öffentlichkeits-arbeit im Ministerium für Wasser und Bewässerung (v.l.n.r.).

EcoTech für Wassermanagement in Amman

Auch in wasserarmen Regionen der Erde können einfache Öko-technologien helfen, Wasserprobleme zu lösen. Im Oktober dieses Jahres wurde in der jordanischen Hauptstadt Amman im Beisein von Bundesforschungsministerin Dr. Annette Schavan, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff sowie dem jordani-schen Minister für Städtische Angelegenheiten sowie Wasser und Bewässerung, Maher Abu Al-Samin, das Implementierungsbüro für Wassermanagement offiziell eröffnet. Gefördert durch das BMBF im Rahmen des Förderschwerpunktes „Integriertes Wasserressour-cen-Management“, haben das UFZ und das Jordanische Ministry of Water and Irrigation (MWI) in den Räumen des MWI dieses Büro eingerichtet, um in den nächsten drei Jahren die Entwicklung einer Implementierungsstrategie zu dezentralen Abwasserszenarien im ländlichen Raum und im Umfeld von Städten zu koordinieren. Viele jordanische Haushalte sind nicht an ein zentrales Abwassersystem angeschlossen, und die indirekte Entsorgung von ungeklärten Ab-

wässern über Haushaltsickergruben stellt eine starke Gefährdung für Jordaniens knappe Grundwasserressourcen dar. Durch die Auf-bereitung und Wiedernutzung der Abwässer vor Ort könnte dies verhindert und die Wasserbilanz eines der wasserärmsten Länder der Welt signifikant verbessert werden. Jordanien strebt an, dass gereinigtes Wasser bis zu 15 Prozent der gesamten zur Verfügung stehenden Wassermenge ausmachen soll, um es insbesondere in der Landwirtschaft einzusetzen. Ziel dieser jordanisch-deutschen Kooperation ist es, die entsprechenden Institutionen und Techno-logien unter Berücksichtigung des sozio-ökonomischen Umfelds in die gegenwärtige jordanische Politik zu integrieren und die Be-dingungen für eine erfolgreiche Implementierung zu erforschen. Es geht dabei auch um die Entwicklung neuer Märkte, übrigens auch in anderen Ländern mit Wassermangel, da die erarbeiteten Verfahren und Methoden übertragbar gemacht und in anderen Regionen effizient zum Einsatz gebracht werden könnten.

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Einstellung auf winterliche Temperaturen. Denn damit der mik-robielle Abbau auch bei Minusgraden nicht gehemmt wird, darf es im Filter nie kälter als 5 °C werden. Die Lösung liegt nicht, wie man vermuten könnte, in einer externen Heizung. Durch eine spezielle Betriebsführung der Anlage wird das konstant 8-10 °C „warme“ Grundwasser in so großen Mengen kontinuierlich durch die Filter gepumpt, dass auch bei -20 °C Außentempera-tur ein Abkühlen unter die kritische Marke vermieden wird. Ein integrierter “Abluftfilter“, in dem ebenfalls Mikroorganismenge-meinschaften die Hauptakteure sind, verhindert zudem, dass flüchtige Schadstoffe emittieren.

Die Firma BAUER Umwelt bekam den Auftrag, die Pilotanlage in Leuna zu bauen. „Im Vergleich zu den gängigen hightech-Anlagen ist diese hier sehr robust, anspruchslos in der Wartung,

dadurch viel kostengünstiger, und schön sieht sie auch noch aus“ sagt BAUER-Projektleiter Dr. Uwe Schlenker. Bewährt sich die Anlage, werden weitere Filterbecken daneben gebaut. Schon heute ist sie ein weiterer Beweis für die Verbindung von UFZ-Forschung und Technologieentwicklung mit der aktiven Imple-mentierung im technischen Maßstab. Und sie stellt einen wich-tigen Meilenstein der langjährigen und guten Zusammenarbeit mit der Landesanstalt für Altlastenfreistellung des Landes Sachsen-Anhalt (LAF) dar, ohne die die Verfahrensentwicklung nicht möglich gewesen wäre. n

Ö www.ufz.de

Zu den besonderen Erfolgen der Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen, Regulierungsbehörden, Universitäten und Wasserversorgern aus Deutschland, Jordanien, Israel und Palästina gehört die Forschungs-, Demonstrations- und Ausbildungsanlage in Fuheis (bei Amman), an der unter lokalen Bedingungen seit 2010 dezentrale Abwasseraufbereitungstechnologien und landwirtschaftliche Wiedernutzungsoptionen bei lau-fendem Betrieb getestet werden. Dazu zählen auch sieben Pilotanlagen für dezentrale Abwasseraufbereitung und Wiedernutzung, die gegenwär-tig im ländlichen und stadtnahen Raum in Jordanien errichtet werden.

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Abenteuer beginnt vor der HaustürVon Matthias Poeschel, Geschäftsführer der Tourismus-Marketing Sachsen-Anhalt GmbH

„Zukunft braucht Herkunft“ ist ein Ausspruch des deutschen Phi-losophen Bodo Marquad. Unser Bindestrichland Sachsen-Anhalt hat eine bedeutsame Herkunft: Heinrich I., erster deutscher Kö-nig, starb in Memleben und liegt in Quedlinburg begraben. Sein Sohn Otto wurde der zweite deutsche König und wurde 962 zum ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt. Noch weiter zurück in die Vergangenheit geht die Entdeckung des äl-testen Sonnenobservatoriums der Welt bei Goseck. Ganz in der Nähe auf dem Mittelberg wurde die bronzezeitliche „Himmels-scheibe von Nebra“ gefunden. Sie zeugt von der hohen Entwick-lung der Menschen im prähistorischen Europa. Ein prominenter Vertreter der vergleichsweise jüngeren Geschichte ist Martin Luther. 2017 jährt sich sein Thesenanschlag an die Wittenberger Schlosskirche zum 500. Mal. Er und seine Mitstreiter reformier-ten bekanntlich die Glaubenslandschaft weit über Deutschland hinaus. Die Region Anhalt feiert gerade ihr 800-jähriges Beste-hen. Das Gartenreich des aufgeklärten Fürsten Franz von Anhalt-Dessau gehört zum UNESCO-Welterbe.

Wir Sachsen-Anhalter können stolz darauf sein, im Kernland deutscher Geschichte zu leben – und hier unsere Gäste zu emp-fangen. Stolz auf solche außergewöhnliche Herkunft zu sein, setzt das Wissen darum voraus. Nicht nur die Schulen bemü-hen sich um ein umfassendes Geschichtsbild in den Köpfen der jungen Menschen. Zum Beispiel auch der öffentlich rechtliche Sender MDR trägt mit seiner humorvoll-unterhaltsamen Fern-sehserie „Heimatkunde“ und den gleichnamigen Büchern als Un-terrichtsmittel dazu bei.Nicht zuletzt auch auf uns Marketing-Leute im Tourismus kommt es an, wenn es darum geht, welches Bild wir von Sachsen-Anhalt vermitteln. Das beginnt mit interessanten Angeboten für Klas-senfahrten und Reisen für Jugendgruppen, die erlebbar machen, dass man auf dem Pferderücken auf Elbwiesen galoppieren oder im Kanu Abenteuer auf der Unstrut erleben kann – und das nur eine oder zwei Stunden von zu Hause entfernt.

Ich selbst wurde in Aschersleben, der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts geboren, habe an der Hochschule Harz in Wernigerode Tourismuswirtschaft studiert, in Uganda und Ecuador gearbeitet und bin seit 2004 wieder in meinem Heimatland tätig. Mit den Erfahrungen aus Afrika und Lateinamerika und dem täglichem Leben hier ist es meine Vision, dass die Menschen am Ort ihrer

Wurzeln auch lebhaftes Interesse entwickeln für das Land, in dem sie leben. Das gilt für Sachsen-Anhalt umso mehr. Denn erst wenn die Bewohner Sachsen-Anhalts mehr wissen über den Ort, die Region wo sie wohnen, können sie auch begeistert darüber reden. Tun sie dies unentwegt und allerorten, ist das authentischer als jedes bunte Prospekt. Es hat etwas mit der eigenen glaub-haften Identifizierung mit seinem Heimatland zu tun. Wer für sein Land schwärmt, steckt andere damit an und weckt Neugier.

Dies auf die Fachfrauen und -männer in der Tourismusbranche bezogen bedeutet, sie müssen ihr Produkt, das sie anbieten und verkaufen wollen, genau kennen, immer mit wachem Blick das Abenteuer vor der eigenen Haustür suchen. In dieser Hinsicht wünsche ich mir von den Sachsen-Anhaltern als Gastgeber, dass sie eine liebevolle Begeisterung für ihr Land ausstrahlen. Immer mehr Menschen hier haben den Mut, auch ungewöhnliche Wege zu gehen, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen – Visionen zu entwickeln.

Tatsächlich gehen unsere seit Jahren erfolgreichen kulturtou-ristischen Landesmarken wie die „Straße der Romanik“ und die „Gartenträume“ auf kühne Ideen einzelner Leute zurück. Die Magnetwirkung dieser Dauerbrenner beweist, dass es sich lohnt, auch im Land verstreute touristische Leichtgewichte zu einem Schwergewicht zusammenzutragen.

Auf der 1 000 Kilometer langen „Straße der Romanik“ laden ins-gesamt 80 Objekte an 65 Orten zu anschaulichen und begreifba-ren Reisen in unsere Geschichte ein. Und im landesumfassenden Gartentourismusprojekt bringen 43 historische Parks sowie Gar-ten-, Schloss- und Ortsensembles ihre Besucher ins Träumen.

Als Tourismusexperte in Sachsen-Anhalt möchte ich den „Philo-sophen-Spruch“ so formulieren: „Unsere Herkunft ist auch unsere touristische Zukunft“. Gerade in einer Zeit, in der sich der heimat-verbundene und naturnahe Tourismus zum Megatrend entwickelt, können wir unglaublich viel und gute Werbung für uns machen. Beim Reisen in sinnliche Erlebniswelten geht es dem Urlauber darum, während der Ferien in eine Gegenwelt zum stressigen Be-rufsalltag einzutauchen. Uns Touristikern muss es darum gehen, individuelle Wege anzubieten, die zur Entspannung von Körper und Seele führen. Das ist auch eine ganz besondere Herausforde-

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rung für den Kultur-Tourismus, für die „Macher“ von Ausstellungen und Events. Denn auch im Museum will man sich entspannen.

Die eigene Heimat ist und wird ein großer Reisemarkt. Nicht des mangelnden Geldes wegen, sondern, um sich in der wenigen Freizeit nicht auch noch dem Stress langer Reisen auszusetzen. Immer mehr Urlauber erkunden von zu Hause aus Stadt, Land, Kultur und Natur. Sie können dies in Sachsen-Anhalt auf 13 über-regionalen Radwanderwegen und entlang des „Blauen Bandes“ mit 700 Flusskilometern und 9 200 Hektar Seenlandschaft. Auch im nördlichsten Weinbaugebiet, der Weinregion Saale-Unstrut, suchen die Reisenden Entspannung, Bewegung, Genuss – einher-gehend mit dem wachsenden Anspruch an nachhaltiges touris-tisches Wirtschaften in der Region, in der sie sich erholen wollen.

Da muss man kein Visionär sein, um Sachsen-Anhalts Leuchttür-me zu sehen. Mit dem länderübergreifenden Nationalpark Harz, den Biosphärenreservaten Mittelelbe und Südharz, den Natur-parks Drömling, Fläming, Harz, Unteres Saaletal, mit dem Saale-Unstrut-Triasland und der Dübener Heide hat Sachsen-Anhalt das Potenzial, einen hochwertigen Naturtourismus zu bieten. Das Wort „integrativ“ ist dabei entscheidend. Wir nehmen die Gegebenheiten in den unterschiedlichen Naturräumen, prüfen sie unter marketingtechnischen Gesichtspunkten und vernetzen sie mit touristischen Angeboten. Das „Naturerlebnis“ soll für den Urlauber wie auch für die Region ein nachhaltiger Gewinn sein.

Unsere touristische Zukunft braucht auch das Loslassen vom Ein-zelkämpfertum. Die Spuren bedeutender deutscher Geschichte führen über Sachsen-Anhalt hinaus. Da lohnt sich der Blick nach Aachen, Bamberg, Eisenach, Regensburg ... Mit „Fahrtziel Kultur“ haben wir von Sachsen-Anhalt ausgehend ein deutschlandwei-tes Tourismus-Netzwerk geknüpft. Der entsprechende Reisefüh-rer zu Fahrtziel Kultur-Zielen wird von der Tourismus-Marketing Sachsen-Anhalt GmbH heraus gegeben.

Innovationen müssen geboren, Ideen müssen gelebt und Mo-tivation weitergegeben werden. In diesem Kreislauf kreativen Schaffens sehe ich mich als Motor, als Dreh- und Angelpunkt innovativer Pilotprojekte. Mit einer soliden Basis, dem gesunden Selbstbewusstsein und dem Blick für die Zukunft fühle ich mich als Gestalter eines Arbeitsplätze schaffenden Tourismus. n

Matthias Poeschel

- geboren 1976 und Abitur in Aschersleben / Sachsen-Anhalt- 1997-2002 Studium der Tourismuswirtschaft an der

“Hochschule Harz”, Wernigerode, Abschluss Diplom-kaufmann (FH)

- 2000-2002 GTZ-Beratertätigkeit für die Uganda Wild- life Authority in Zusammenarbeit mit dem Uganda

Tourist Board im Rahmen der Tourismusförderung und nachhaltigen Entwicklung

- 2003 Beratung im Bereich der nachhaltigen Tourismus-entwicklung für die Fundación Maquipucuna, Ecuador

- ab 2004 Projektkoordinator in der Landesmarketing Sachsen-Anhalt GmbH (LMG)

- ab 2007 Verantwortung im Projektmanagement mit Überführung der LMG in die Tourismus-Marketing Sachsen-Anhalt GmbH

- 2009 bis Mai 2011 Prokurist und stellvertretender Geschäfts- führer der Tourismus-Marketing Sachsen-Anhalt GmbH - seit Juni 2011 Geschäftsführer der der Tourismus-Marke-

ting Sachsen-Anhalt GmbH

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Alles war ihr zu viel. Sie war immer müde, fühlte sich ständig erschöpft. Und Treppensteigen glich einem unvorstellbaren Kraftakt, denn die Luft blieb ihr aus. Dem Schichtdienst als Kö-chin in einem Altenpflegeheim und den Aufgaben als Mutter zweier Jungs sah sie sich kaum mehr gewachsen. Ein Leben wie gegen den Strich gebürstet. Vielleicht wäre Solveig Zawilla nicht mal zum Arzt gegangen. Dann aber kam der erste Schlaganfall und kurz darauf die Diagnose: „Dilatative Kardiomyopathie“. Der unaussprechliche Zungenbrecher steht für eine krankhafte Vergrößerung des Herzens mit einer verminderten Leistung zu-nächst der linken Hauptkammer, später des gesamten Herzens. Die Folge: Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörung, Thrombenbil-dung. Es war ein Schock. Denn Solveig Zawilla war damals gerade erst 28 Jahre alt.

Heute sitzt sie auf einer Bank am Ufer der Saale, hier geht ein ruhiger, kühler Wind. Die Sonne tanzt in kleinen Flecken auf ihrem Gesicht, sie spielen zwischen den blassen Som-mersprossen auf Stirn und Nase und setzen zuweilen auch ein kleines Stück jener Narbe ins Rampenlicht, die nur sieht, wer etwas tiefer in den Ausschnitt ihrer weißen Bluse schaut. Allein dieses Wundmal ist ihr als sichtbares Zeichen einer Zäsur geblieben, bei der es schlichtweg um alles ging: um ihr Leben. Das wurde Solveig Zawilla ein zweites Mal geschenkt, als man ihr im Jahr 2005 ein Spenderherz transplantieren konnte. Sie hatte Glück. Und sie weiß es. Dank ärztlicher Kunst und der Bereitschaft zur Organspende konnten ihr Leben und Gesundheit gerettet werden. Es ist der gute Ausgang eines Schicksalsschlags. Den konnten im Jahr 2011 genau 36 AOK-Versicherte in Sachsen-Anhalt glückhaft mir ihr teilen: Einer erhielt eine Spenderniere, 19 eine Leber, 17 allogenes Knochen-mark bzw. Stammzellen und fünf ein Herz.

Durchschnittlich 12 000 Menschen warten in Deutschland sehn-lichst auf ein Spenderorgan, egal ob Herz, Niere oder Leber. Ihre Namen stehen auf einer schier unendlich langen Warteliste mit ungewissem Ausgang. Aber nur knapp 5 000 konnte im vergan-genen Jahr geholfen werden. Den Ernst der Lage kennen Ärzte und Verbände seit langem. Das volle Ausmaß offenbarte sich der Öffentlichkeit spätestens mit dem Skandal um das fragile Vergabesystem der Organspende. Schmerzhaft begreifen es nur diejenigen, die selbst betroffen sind.

Zurück im LebenSolveig Zawilla lebt mit einem Spenderherz

Von Cornelia Heller

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Die Saale fließt ruhig. Solveig Zawilla ringt nach Luft. Natürlich hat sie die Nachrichten, die in den heißen Julitagen des Sommers mit dem Fall an der Uni-Klinik in Göttingen ihren Ausgangspunkt nahmen, verfolgt. Sie weiß, dass sie die prinzipielle Frage nach der von der Deutschen Stiftung Organspende DSO deklarierten „Ge-meinschaftsaufgabe Organspende“ aufwerfen. Wenn nämlich das oberste Gebot bei der Vergabe – das Kriterium größtmög-licher Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person des Organemp-fängers – außer Kraft gesetzt scheint. Und so ringt sie nach Luft, „weil im schlimmsten Fall die Diskussion dazu führen wird, dass niemand mehr bereit ist, Organe zu spenden. Es wäre fatal für alle, die auf ein Spenderorgan warten.“

Sie erzählt von dem unendlichen Verlust an Lebensqualität: „Man will, aber man kann nicht. Allein der Weg vom Sofa zur Toilette war eine unglaubliche Kraftanstrengung. Man ringt um jeden Atemzug.“ Nachts schläft sie im Sitzen, hat Todes-angst, glaubt zu ersticken. Aber aufgeben? „Ich wollte doch meine beiden Jungen noch aufwachsen sehen.“ Als sich ihr Zustand drastisch verschlechtert, wird sie im April 2005 auf die Hochdringlichkeitsliste, die so genannte HU-Liste, auf die nur schwerstkranke Patienten mit schnell voranschreitendem Krankheitsverlauf und drohendem Tod verzeichnet werden, aufgenommen. „Das hieß für mich: Das erstbeste Herz, das in Größe, Gewicht und Blutgruppe zu mir passt, bekomme ich.“ Einen knappen Wartemonat später passiert das Wunder, ein Spenderherz ist da. „Man kann die Freude nicht beschreiben“, lächelt sie. Und ihre meergrünen Augen schauen dabei über das Wasser, sehen vorübergleitende Ausflugsdampfer, fröhlich lachende Passagiere winken arglos. „Nein“, beteuert sie. „Ich hatte vor dem Eingriff keine Angst.“ Es war fünf vor zwölf, nicht nur sprichwörtlich, sondern realer Zeit, als man ihr an diesem 11. Mai 2005 ein neues Herz schenkt. Und es ist ein Geschenk, denn Transplantationen sind teuer. „Grundsätzlich sind bei der Finanzierung der Kosten, die mit einer Organtransplantation verbunden sind“, so heißt es bei der AOK Sachsen-Anhalt, „die deutliche Erhöhung der Lebensqualität und der Gesundheit des Organempfängers Schwerpunkt.“ So wie bei Solveig Zawilla.

Und so ist sie zurück im Leben. Mit dem Herzen eines Spenders, das nun für sie schlägt. Wandern, Radfahren und dem Spazieren an ihrer Saale sind heute keine Grenzen mehr gesetzt. Gewisse Einschränkungen, Medikamenteneinnahmen und hygienische Vorsichtsmaßregeln nimmt sie dafür mit einem Lächeln in Kauf. Auch, heute das richtige Maß im Leben zu finden: „Früher war ich eher der Hektiker, immer schnell auf 180. Jetzt ist mehr Ruhe an-gesagt.“ Für eine aufreibende Vollzeitarbeit fehlt ihr noch immer die Kraft. Heute ist sie Rentnerin.

Nein, sagt sie, die Herkunft ihres Herzens kennt sie nicht, weiß aber, dass der- oder diejenige „ja nicht für mich gestorben ist.“ Ärzten, Pflegepersonal, aber insbesondere der Spenderfamilie ist sie unendlich dankbar. Das kann man mit nichts wieder gut ma-chen.“ Sagt es und widerlegt sich selbst, denn seither engagiert sie sich für die Organspende, trat über den Kontakt einer ebenfalls Transplantierten dem Verein zur Förderung der Organspende e.V. unter dem Dach der DSO bei, steht, wann immer sie kann, an öf-fentlichen Aktionstagen an Ständen, wirbt für den Organspende-ausweis und erzählt Schülern im Ethikunterricht ihre Geschichte: „Denn nur Aufklärung kann helfen, Vorurteile abzubauen.“

Sie würde sich wünschen, dass sich die Menschen stärker als bisher mit dem Thema auseinandersetzen, „schon früher, ehe es der Ernst der Lage erfordert, denn die Wahrscheinlichkeit ein Or-gan zu brauchen, ist dreimal höher als die, je eines zu spenden.“ Das älteste je transplantierte Herz ist 30 Jahre alt. Wenn Solveig Zawillas Spenderherz so lange schlägt, ist sie 67. Sie sagt, allein dafür hat es sich gelohnt. Die Chance auf eine Rückkehr ins Leben hat jeder verdient. Unabhängig von der Aufarbeitung des Göttin-ger Organspende-Skandals ist seit August 2012 ein neues Trans-plantationsgesetz in Kraft getreten mit mehr Kontrolle, einem Transplantationsbeauftragten in jeder Klinik, der Besserstellung von Lebendspendern. Es gab heiße Tage im Sommer des Jahres 2012. Es sind noch immer heiße Tage für das Thema Organspende in Deutschland. n

Ö www.aok.de/sachsen-anhalt

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Sachsen-Anhalts Verbund von Autozulieferern Mahreg ge-hören 250 Unternehmen mit 18 500 Beschäftigten an. Größ-ter Automobil-Zulieferer Sachsen-Anhalts ist die IFA Rotorion Gruppe mit Sitz in Haldensleben. Sie hat 1 300 Beschäftigte in Deutschland und den USA und ist mit jährlich 4 Millionen Längs-wellen – davon 1,5 Millionen im IFA-Werk in den USA produziert – Europas Marktführer und weltweit in der Spitzengruppe. Dazu kommen weit mehr als drei Millionen Fest-, Verschiebe- und Gleichlaufgelenke. Kunden der IFA Rotorion-Firmengruppe sind alle führenden Autobauer der Welt, ob für Pkw, Geländefahrzeu-ge, Lastkraftwagen oder Sonderfahrzeuge. Auch Hersteller von Förderbändern, Baumaschinen, Landmaschinen sowie Holz-Papier-maschinenbauer vertrauen auf das Können der Haldensleber.Das Markenzeichen IFA steht für eine mehr als 50-jährige Tra-dition im Automobilbau der DDR. Einst kennzeichnete es den Industrieverband Fahrzeugbau der DDR, zu dem auch das IFA-Gelenkwellenwerk in Haldensleben gehörte. Seit dessen Priva-tisierung Anfang der neunziger Jahre bedeutet IFA „Ideen für An-triebe“. Heute müsste es eigentlich treffender „Ideen für Autos“ heißen. Genau gesagt: Ideen für Autos der Zukunft.Denn längst macht die IFA-Gruppe nicht allein mit Antrieben

weltweit von sich reden. Neue Produktfelder sind hinzu gekom-

men, und nicht minder leis-

tungsstark als die Fertigung ist

die IFA-Gruppe im Bereich Forschung

und Entwicklung. Ihr Auftrag: Neue, visionäre Technologien zur Serienreife entwickeln, vor allem im Leichtbau. Clemens Aulich, Vorsitzender Geschäftsführer der Muttergesellschaft IFA Roto-rion – Holding GmbH, sieht das Kernthema des Autobaus der Zu-kunft im Leichtbau: „Egal, wie Fahrzeuge künftig angetrieben wer-den, ob elektrisch, mit Hybridmotor, über Brennstoffzellen oder verbrauchsreduziert konventionell – sie müssen leichter werden.“ Dabei zählt jedes Gramm. 100 Kilogramm Gewichtseinspa-rung bewirken etwa fünf Prozent weniger Kraftstoffverbrauch und eine entsprechend geringere Schadstoffbelastung der Umwelt. Sinkender Rohstoffeinsatz, geringere Kosten, weniger Montageaufwand und längere Laufzeiten – all das sind wei-tere, überaus hohe Ansprüche an neuartige Leichtbauteile für den Automobilbau. Dass es realisierbar ist und wie es zur Realität wird, belegen IFA-Neuentwicklungen, die in den vergangenen Jahren von sich reden machten.

Blattfedern für Pkw und Lkw müssen aus Stahl sein; kein anderes Material kann mithalten bei Kosten, Belastbarkeit und Lebensdau-er. Seit es Autos gibt, sind Blattfedern deshalb aus Stahl. Bis vor acht Jahren, als die IFC Composites GmbH in Haldensleben mit völlig neuartigen Blattfedern auf den Markt drängte. Sie waren aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), einem Material, das sich schon bei der Formel 1 be-währt hatte. Die IFC-Werker hatten bereits erste Erfahrun-gen damit sammeln können. Seit 1992 stellten sie GFK-Rohre daraus her. Solche Endlosfasern, getränkt in Kunststoff, sind

Haldensleber Leichtgewichte für Autos der ZukunftEuropas Marktführer bei Gelenkwellen überrascht immer wieder mit visionären Innovationen

Von Rainer Lampe

Leuchtend grün, vor allem aber superleicht – das sind die Blattfedern, die in Haldensleben entwickelt wurden.

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leicht, aber äußerst fest und zugleich flexibel, bei starkem Frost ebenso wie bei Hitze. Der Werkstoff kann sehr viel Energie aufnehmen, ohne dabei zerstört zu werden. Alles Vorteile, die erst seit gut einem Jahrzehnt immer besser genutzt werden.Von den Rohren zur ersten serienreifen Feder 2004 war es kein leichter Weg. Wer so ein leuchtend grünes, superleichtes Teil in der Hand hält, fragt sich verwundert: Wie kommt man bloß auf solche Ideen? Die IFC in Haldensleben ist technologischer Welt-marktführer für Faserverbund-Blattfedern. An die 1,5 Millionen GFK-Blattfedern für Transporter wurden bereits ausgeliefert. Ohne jegliche Beanstandung. Also wurde das Produkt weiter-entwickelt: Jetzt gibt es GFK-Blattfedern aus Haldensleben auch für schwere Lkw. Zwischen 5,4 und 17 Kilogramm wiegt ein solches Hightech-Werkstück – bei stählernen Blattfedern sind es 20 bis 66 Kilo-gramm. Erhebliche Gewichtsvorteile, kürzere Fertigungs- und Montagezeiten sowie die längere Lebensdauer sind gravierende Vorteile. Dazu kommt, dass die Hochleistungsfeder ganz sensi-

bel auf Belastungsveränderungen anspricht. Das mindert auch die Abrollgeräusche schwerer Lkw.

Wo Stahl an seine Grenzen stößt, wo sein Potenzial ausgereizt ist, sind Faserverbundstoffe oft die bessere Alternative. Ihnen gehört die Zukunft im Automobilbau.

Wenn Motor und Antriebsachse weit auseinander liegen – wie beim Pkw mit Heck- oder Allradantrieb – wird zur Drehmomentübertragung eine Kardanwelle eingesetzt. Aus Haldensleben kommt die erste Kar-danwelle aus nachwachsenden Rohstoffen, entwickelt in der IFA Tech-nologies GmbH. Selbst drehmomentstarke Fahrzeuge können prob-lemlos damit angetrieben werden. Verbrauchsmindernder Leichtbau und Kohlendioxid-neutrale Recyclingfähigkeit vereinen sich in dem Ökologie-Projekt „bioprop“. Die Basis des Prepreg-Rohres (prepreg steht für vorimprägnierte Fasern) ist Hanf aus der Region. Er leistet Ähnliches wie GFK.. Die Öko-Kardanwelle ist mit knapp 8 Kilogramm Gewicht rund 30 Prozent leichter als eine Standardwelle aus Stahl. u

IFA Haldensleben gehört zu den größten Längswellen-Herstellern weltweit und beliefert unter anderem Volkswagen, BMW, Mercedes, Ferrari und Porsche.

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Wer den Prototyp der leichtesten Kardanwelle der Welt sehen will, muss ebenfalls nach Haldensleben kommen. „Ultralight-prop“ ist aus extrem leistungsfähigen Fasern gefertigt, einem neuem Karbon-Hybridverbund. Die Hightech-Welle, mit einem österreichischen Unternehmen entwickelt, wiegt gerade mal 1937 Gramm. Ein vergleichbares Produkt aus Stahl ist dagegen ca. 12 Kilogramm schwer. Statt der 50 Teile einer herkömmli-chen Kardanwelle aus Stahl hat die neuartige Welle nur noch einige wenige Teile aus Faserverbundstoff. Ebenfalls für Kardanwellen entwickelten die Haldensleber Experten ein neuartiges, gedämpftes Gelenk. Das integrierte Dämpfungselement aus Kunststoff ist dem Wirkprinzip der Bandscheibe eines Menschen nachempfunden: Großer Beu-gungswinkel, maximale Drehmomentübertragung bei mini-malem Druck. Störende Innengeräusche im Auto können er-heblich reduziert werden.

Das Kernprodukt der IFA Rotorion sind Gelenkwellen oder Längs-wellen, hergestellt von der IFA Rotorion Powertrain GmbH in Haldensleben und der IFA Rotorion – North America LLC in

Charleston (USA). IFA beliefert alle führenden Autobauer der Welt mit Antriebswellen für front-, heck- und allradgetriebene Pkw sowie leichte Nutzfahrzeuge. Die Ansprüche sind hoch. Steigende Leistungsanforderungen, Akustik-Optimierung, Kos-ten- und Gewichtsreduktion sowie platzsparende Einbaulö-sungen sind nur realisierbar durch Teilereduzierung und den Ein-satz von Faserverbund- und anderen Leichtbaumaterialien. So ist die von der IFA Technologies konzipierte, neuartige Gelenk-welle für SUV (Geländelimousinen) wie Porsche Cayenne und VW Touareg die weltweit beste ihrer Art. Ihr Steck-Konzept vorn und hinten spart zwölf Verschraubungen und vor allem Gewicht. Die Welle verschiebt sich auf Kugeln, so bleibt jederzeit das volle Dreh-moment abrufbereit. Das Unwuchtverhalten konnte um 25 Prozent verringert werden, das bedeutet ruhigerer Lauf und verbesserte Akustik bei maximaler Leistung und Drehzahl. Diese „Colorado-Welle“ entwickelte sich rasant schnell zum Verkaufsschlager, an-gedachte Stückzahlen für die Produktion werden weit übertroffen.

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Erstmals Ende September auf der IAA in Hannover vorgestellt: Ein Leichtbausitz für Lastkraftwagen.

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Eine mehrfach preisgekrönte Designstudie der IFA Technolo-gies für einen Leichtbau-Autositz steht vor der Serienreife. Auf der IAA Nutzfahrzeuge im September in Hannover war der Pro-totyp zu sehen, entwickelt für die Anwendung bei Nutzfahr-zeugen. Wichtigstes Bauelement ist das einteilige Sitzgestell, statt Stahl aus Faserverbundmaterialien, womit das Gewicht pro Sitz von knapp 30 bis 50 Kilogramm auf 13,8 Kilogramm reduziert werden kann. Der zunächst für Lkw-Beifahrer kon-zipierte Leichtbau-Sitz lässt sich durch eine einfache Mecha-nik verstellen, eine der vielen Patentanmeldungen der IFA. Systemintegration auch hier: Die Anzahl der Bauteile konnte auf ein Viertel reduziert werden.

Einfach erstaunlich ist, was ein im Branchenvergleich doch re-lativ kleiner Unternehmensverbund wie die IFA-Gruppe an In-novationen auf den Markt bringt. Ein Zufall ist das nicht, meint Clemens Aulich: „Wir investieren jährlich um die zehn Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. Über 50 Entwicklungsinge-nieure beschäftigen wir, eigentlich sogar mehr, als im Regelfall für unsere Produktfelder erforderlich. Also übernehmen wir auch Entwicklungsaufgaben für andere Branchen wie Konsumgüter, Luftfahrt und Militär. Wir haben damit aber auch genug Poten-zial, um im Bedarfsfall bei uns das Tempo enorm anzuziehen.“

Außergewöhnlich hoch waren in den zurückliegenden Jahren auch die Investitionen in die Qualitätssicherung und die Test-felder für traditionelle und neue IFA-Produkte: 14 Gelenkwel-lenprüfstände für Crash-, Akustik-, Lebensdauer- und Dicht-heitstests stehen im Unternehmen. 8 Testingenieure sind auch spezialisiert auf fahrzeugspezifische Blocktests. Selbst Klima-kammern mit einer Temperaturspreizung von minus 41 bis plus 200 Grad Celsius bei schwankender Luftfeuchte stehen im Be-trieb selbst zur Verfügung.

Beste Voraussetzungen, um auf der Erfolgsspur zu bleiben. Das nächste Unternehmen der IFA-Gruppe ist übrigens im Wach-sen, ein Joint Venture in China. Dort, wo inzwischen alle großen Autobauer ihre Fahrzeuge produzieren, müssen entscheidende Zulieferer wie die IFA dicht vor Ort sein. n

Ö www.ifa-gruppe.de

Für die internationale Fahrzeugindustrie entwickelt, testet und produziert die IFA Rotorion Längswellen, Seitenwellen und Gelenke. Im Werk selbst steht ein großes Testfeld.

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Hier lernte Eckhard Heuck den Traumberuf fast aller Jungen sämt-licher DDR-Generationen. An Autos schrauben macht nicht nur Spaß, ist auch höchst lukrativ in einer Mangelwirtschaft. 16 Jahre jung sah Heuck schon seinen Lebenswunsch erfüllt. Wenn ihn da nicht sein „dickster“ Freund zum Abi an der Abendschule über-redet hätte, weil der nicht allein die Schulbank drücken wollte.

Der Name „Ackert“ schreibt in der Harzstadt Wernigerode Ge-schichte. Es ist nicht nur die Geschichte eines Autohauses, das zu seiner Gründung 1905 durch Heinrich Ackert noch „Installations-Geschäft für Elektrotechnische Anlagen / Automobil-, Motorrad-, Fahrrad- und Nähmaschinenhandlung“ hieß. Es ist auch die Ge-schichte von Menschen, die mit dem Verkauf ihrer Waren gleich-sam die Verpflichtung eingehen, ihren Kunden „Werte“ zu bieten, bezogen auf Produkt und Service aber auch auf das menschliche Miteinander. „Auto-Ackert“ ist die Geschichte von verlässlichen Partnerschaf-ten – im Geschäftlichen wie im Familiären.

Eckhard Heuck, Geschäftsführer der Auto-Ackert GmbH, weiß genau, wieviel Fleiß und Einsatz dahinter stecken, damit ein Fir-menname auf lange Zeit Bestand hat. Der seines Autohauses gehört seit mehr als 100 Jahren in die Harzstadt Wernigerode. In der Tradition des Firmengründers Heinrich Ackert handelt Heuck umsichtig und vorausschauend, um schnell auf die Bedürfnisse seiner Kunden zu reagieren. Zum Beispiel, so Heuck, habe er für sich einen günstigen Standortfaktor ausgemacht und darauf hin ein Ersatzteillager für den Versorgungsbereich südlich der A2-Magdeburg-Hannover-A7 aufgebaut. Nicht zuletzt getrieben von dem Gedanken, seinen Kunden den „besten“ Service zu bieten.

„Mit dem Namen Ackert ist für mich eine große Verpflichtung verbunden“, sagt der 60-jährige Wernigeröder. Seine Beziehung zu diesem Namen begann 1968 mit seiner Lehre zum Kfz-Schlosser. Damals war aus dem Geschäft in der Ringsstraße längst ein Volkseigener Betrieb geworden, dem die Familie Ackert das Grundstück mit den Gebäuden darauf ver-pachtete: VEB Kfz-Instandsetzungswerkstatt – in der DDR gab es kaum eine Alternative zur „Instandsetzung“, wenn das Auto kaputt war. Neue Autos wurden nicht gehandelt, nicht in strah-lenden Hallen verkauft wie heute. Otto-Normalbürger war dran mit einem neuen Auto, wenn er nach zig Jahren Wartezeit auf der Anmeldeliste ganz nach oben gerückt war.Wer also noch nicht auf vorderen Plätzen lag, kam mit seinem Wartburg oder Trabant in die Ringstraße; kam im Sprachge-brauch der Alteingesessenen zu „Auto Ackert“.

100-jährige kaufmännische Wertevorstellungen leben fort „Auto-Ackert“ – der Firmenname gehört zu Wernigerodes Geschichte

Von Kathrain Graubaum

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„Der Freund kam irgendwann nicht mehr mit“, erzählt Heuck. „Mir aber wäre es sinnlos erschienen, hätte ich die schon inves-tierte Zeit nicht zum erfolgreichen Abitur-Abschluss gebracht.“

Die Frage nach dem Sinn stellt Eckhard Heuck immer wieder in seinem Leben. Warum ein Ingenieurstudium? Weil die Arbeit in der Kfz-Werkstatt mit dem Älterwerden körperlich beschwerlich wird. Das hat er inzwischen an seinen Kollegen beobachtet.Mit dem Hochschulabschluss in der Tasche wird er von einem Großbetrieb für Hoch- und Tiefbau als Kfz-Ingenieur eingestellt und ist bald zuständig für die Technik-Abteilung. Heuck blickt zurück und kommt immer noch ein bisschen ins Schwärmen: „... eine riesige Werkstatt, etwa 20 Lastkraftwagen, Kräne, ein breit gefächertes Aufgabengebiet ...“

Er fühlte sich damals angekommen, sah in diesem Job seine Lebenserfüllung. Alles war in Ordnung. Die Wende 1989 und dann ein gesamtdeutscher Markt brachten seine Lebensplanung durcheinander.

Heuck bringt seinen Onkel aus Köln ins Gespräch. Sinnfragen wurden oft mit ihm diskutiert bei den gegenseitigen Besuchen in der Wendezeit. Der in der kapitalistischen Marktwirtschaft erfahrene Lehrer gab dem Betrieb, in dem sein Neffe „aufging“, keine Überlebenschance. Das schmerzte, und das Bauchgefühl wollte es nicht verstehen. In Heucks Kopf aber bohrte schon wieder die Frage nach dem Sinn seines weiteren Tuns: Wohin bringt es mich, wenn ich die Realität ignoriere?

In der Zeit, als die Menschen ihre Trabis und Wartburgs an den Straßenrändern entsorgten, es in der Werkstatt für Kfz-Instandsetzung in der Ringstraße nichts mehr zu reparieren gab, führte es Heuck genau dort hin – zu den historischen Backsteinbauten, die schon so viel erlebt hatten. Am Ende aller gemeinsamen fruchtbringenden Überlegungen mit der Familie Ackert stand dann deren Name wieder über dem Au-tohaus, das dort am 1. Juni 1990 zu einem neuen Leben er-weckt wurde – am Tag der Währungsunion. Hinter dem Namen steckt eine GmbH, die Heuck gemeinsam mit einem Enkel von Heinrich Ackert gegründet hatte. Mit dem Besitz an Grund und Boden war die GmbH eines Kredites würdig und wurde auch vom Automobilhersteller Ford als ver-trauenswürdig empfunden bezogen auf einen Händlervertrag. „Alles dank des verantwortungsvollen und besonnenen Um-ganges mit ihrem Erbe“, spricht Heuck anerkennend über Lie-selotte Homburg, die Tochter des Firmengründers. Immer hatte sie finanziellen Lockrufen widerstanden und das Grundstück in der Ringstraße nicht verkauft. Bis in die heutige Zeit würden sich die überlieferten Wertevorstellungen unserer gewerbetrei-benden Vorfahren als richtig und wichtig erweisen, ist Eckhard Heuck beeindruckt, wie die alte Dame allen Widerständen zum Trotz und mit geschäftlichem Weitblick ihre Verantwortung für das unternehmerische Erbe wahrgenommen hat.

Das denkmalgeschützte Bauensemble von „Auto-Ackert“ in der Wernigeröder Ringstraße hat Eckhard Heuck stets vor Augen. Hier begann 1968 seine Lehre zum Kfz-Schlosser.

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Im Automobilhersteller Ford fand Heuck einen geschäftlichen Partner, dem derart unternehmerische Tugenden wichtig sind. Sind sie doch Indizien für Zuverlässigkeit und Stabilität. „Es stimmt zwischen uns wie zwischen Partnern in einer guten Ehe“, sagt Heuck. Apropos: Auto-Ackert ist mittlerweile ein familien-geführtes Haus. Als ein großes Glück empfinden es die Eheleute Heuck, dass auch noch zwei ihrer drei Kinder in das Unternehmen eingestiegen sind. Für den 26-jährigen Manuel war das nie eine Frage. Als Kind schon führte ihn der Weg nach der Schule direkt zu den Autos. Auch als Berufsweg konnte er sich nie einen ande-ren vorstellen. Manuels Ausbildung zum Bankkaufmann hielt der Senior-Chef aus eigener Erfahrung für unerlässlich. Jetzt studiert Manuel nebenher noch Automobilmanagement.Seine 35-jährige Schwester Marketa hatte zunächst Hotelfach-frau studiert, dann im Ausland ihre Fremdsprachenkenntnisse perfektioniert und dabei gesammelt, was man „Weltbildung“ nennt. Sie arbeitete in renommierten Hotels in verantwortlichen Positionen – bis es ihr zum inneren Bedürfnis wurde, sesshaft zu werden – und zwar im Harz, zu Hause in Wernigerode, im famili-engeführten Autohaus.

Längst schon waren die Räumlichkeiten in der Ringstraße zu klein geworden. Die moderne Verkaufsphilosophie des Herstel-lers, nicht nur dem blitzenden, blinkenden Neuwagen, sondern auch dem Kunden viel hellen Raum zu geben, machte einen Neubau im Gewerbegebiet erforderlich.Hier bringen die Junior-Chefs ihre Kompetenzen mit ein, die „Auto-Ackert“ bereichern, die das Haus auch vorbereiten auf die Bedürfnisse einer nächsten Käufergeneration. Die sollen eben-solche Treue zum Haus entwickeln wie jene „alten“ Kunden, die bei „Ackert“ ihr erstes Fahrrad kauften und sich auch den Wunsch nach einem neuen Auto bei „Ackert“ erfüllen.

Mit Stolz kann Familie Heuck von sich behaupten, dass sie die persönliche Beziehung zum Kunden nach „Art des Hauses“ fortgeführt hat. In diesen Stolz mischt sich auch die Freude, „vor“zeigen zu können, dass das Vertrauen der Familie Ackert ge-rechtfertigt ist. Welch ein Glück für beide Seiten, dass auch die hoch betagte Tochter des Firmengründers dies erleben kann. n

Ö www.auto-ackert.de

Eckhard Heuck hat in seinen Kindern Marketa und Manuel eine geschäftsführen-de Nachfolgege-neration.

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