Schuld, Schlechtes Gewissen & Vergessen bei Nietzsche

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Andre Schuchardt prsentiert

Die Begriffe Schuld, Strafe und schlechtes Gewissen bei Nietzsche und wie das Vergessen einem darber hinweg hilft.

InhaltsverzeichnisDie Begriffe Schuld, Strafe und schlechtes Gewissen bei Nietzsche und wie das Vergessen einem darber hinweg hilft.............................................................................................................................1 1. Einleitung................................................................................................................................1 2.Gedchtnis und Vergesslichkeit...............................................................................................2 3. Schulden und Strafen..............................................................................................................2 4. Grausamkeit............................................................................................................................3 5. Schuld und Verbrechen...........................................................................................................3 6. Ressentiment und Gerechtigkeit.............................................................................................4 7. Strafen.....................................................................................................................................4 8. Das schlechte Gewissen..........................................................................................................5 9. Religion und Schuld................................................................................................................6 10. Die Hoffnung........................................................................................................................6 11. Schluss der Moral..................................................................................................................7 12. Vergessen im Nutzen und Nachteil der Historie fr das Leben............................................7 13. Das Vergessen ......................................................................................................................7

1. Einleitung Dieser Artikel mchte nur einmal kurz zusammenfassend die Begriffe Schuld und schlechtes Gewissen bei Nietzsche erklren, verbunden mit anderen Begriffen. Grundlage ist die 2. Abhandlung ('Schuld, schlechtes Gewissen und Verwandtes') in seiner Genealogie der Moral von 1887. Seitenangaben beziehen sich auf die Ungekrzte Ausgabe aus den Gesammelten Werken von Goldmanns Gelber Taschenbuchreihe.1

1 Wilhelm Goldmann Verlag, Mnchen. Keine Jahresangabe.

25.10.2008 Andre Schuchardt, Thomasiusstr. 23, 04109 Leipzig

2.Gedchtnis und Vergesslichkeit2 Ohne Gedchtnis gibt es kein schlechtes Gewissen, darum vermutlich betrachtet er dieses zuerst. Den Menschen nennt er ein Tier, das versprechen darf, doch was darf es denn versprechen? Sich selbst eine Zukunft, indem er lernt zu unterscheiden, indem er sich ein Gedchtnis des Willens aufbaut, ein aktives Gedchtnis. Doch wer nie etwas vergisst, wird auch nie fertig, weshalb er die Vergesslichkeit wiederum ein positives Hemmungsvermgen nennt. Sie sorgt fr Stille, schafft Platz fr Neues, hlt die innere Ordnung aufrecht. Ohne sie gbe es keine Gegenwart, ohne je fertig zu werden, gibt es keine Zukunft. Ein Tier, das versprechen kann, muss fr ihn einfrmig, gleich und berechenbar sein. Dies schafft die Sitte, indem sie den Menschen durch die 'soziale Zwangsjacke' berechenbar macht. Dagegen schafft es das souverne Individuum, die Sitte wieder zu berwinden, es hat einen eigenen Willen und vor allem Herrschaft ber sich, die Natur und Willensschwchere. Dadurch entsteht aber eine Verantwortlichkeit und daraus das Gewissen. Doch wie entstand das Gedchtnis denn berhaupt? Nietzsche sieht es als einen dauernden, bleibenden Schmerz an. Dies ist auch die Grundlage fr jegliche Strafen, denn sie sind da, um ein schlechtes Gedchtnis zu festigen. Erst durch Strafandrohung kann man versprechen.

3. Schulden und Strafen.3 Frher htte man gestraft aus Rache, als quivalent fr seine Schuld4, whrend man heutzutage5 straft, weil der Straftter auch anders htte handeln knnen. Schuld fhrt Nietzsche auf die konomie zurck, bis zurck zu Schuldnern und2 3 4 5 S. 43ff. S. 47ff. Was der Strafttter angetan hat, wird auch ihm angetan. Also um 1887.

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Glubigern. Der Schuldner verpfndet etwas an den Glubiger, dieser bekommt dadurch ein Herren-Recht: Er kann seinen Schuldner strafen, verachten und misshandeln.

4. Grausamkeit6 Die Grausamkeit sei von den Menschen schon immer verherrlicht wurden, anfangs in Festen: Leiden-sehen tut wohl, Leiden-machen noch wohler7 und selbst beim alten Kant [...]: der kategorische Imperativ riecht nach Grausamkeit...8 Doch Grausamkeit ist nicht zwangslufig etwas schlechtes, denn es gab noch kein schlechtes Gewissen und folglich auch mehr glckliche Menschen: damals, als die Menschheit sich ihrer Grausamkeit noch nicht schmte, das Leben heiterer auf Erden war als jetzt, wo es Pessimisten gibt.9 Da der Mensch also das Leiden-machen braucht, solle er sich zurckbesinnen, denn frher gab es kein sinnloses Leiden. Spter dagegen musste man gar Gtter erfinden um die Existenz des Lebens rechtfertigen zu knnen.

5. Schuld und Verbrechen.10 Die Schuld ist also die Verpflichtung zwischen dem Kufer und dem Verkufer, dem Schuldner und dem Glubiger gewesen. Diese Schuld bringt Scharfsinn, menschlichen Stolz, kurz: Hochmut. Der Mensch fngt an zu werten. Durch Tauschgeschfte wird alles bezahlbar, abbezahlbar. Die Gerechtigkeit ist die Einigung zwischen Gleichstarken, whrend die Schwcheren gezwungen werden.

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S. 50ff. S. 51. S. 50. Vgl. Auch Funote 4. S. 51. S. 54ff.

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Ein Verbrecher ist jemand, der den Vertrag des Gemeinwesens gebrochen hat11 und deshalb etwas schuldet. Je strker das Gemeinwesen wird, desto schwcher straft es, geht von der quivalenz hin zur Bezahlung. Der Glubiger wird so menschlicher weil mchtiger. Wird man so vielleicht irgendwann ohne Strafen auskommen knnen, weil es einen nicht mehr kmmert?12 Die Gnade ist so ein Vorrecht des Mchtigen.

6. Ressentiment und Gerechtigkeit13 Das Ressentiment herrscht laut Nietzsche vor allem unter Anarchisten und Antisemiten zu seiner Zeit. Es bringt Rache und damit Gerechtigkeit. Er unterscheidet hier auch zwischen aktiven Affekten wie Herrschsucht und Habgier sowie reaktiven wie der Rache. Gerechtsein ist ein positives Verhalten. Ein aktiver Mensch sei der Gerechtigkeit nher als ein reaktiver, denn er ist strker und freier. Die obere Macht will den unteren Schichten ihr Ressentiment austreiben und erlsst dafr Gesetze: gegen bergriffe, gegen Willkr. Die Menschen betrachten Schuld und Strafe nun abstrakter als zuvor. Die essentiellen Grundfunktionen des Lebens sind verletzen, vergewaltigen, ausbeuten und vernichten. Das Recht bildet deshalb einen Ausnahmezustand vom Normalverhalten eines Menschen.

7. Strafen14 Ursprung und Zweck der Strafen werden von der oberen Macht stndig neu ausgelegt, weshalb der wahre Ursprung in Vergessenheit gert.11 Vgl. hierzu auch vor allem Hobbes. 12 Das glaube ich nicht. Schon allein durch seinen Hang zum Leiden-machen und weil er nie genug Macht haben kann, wird der Mensch weiter machen mit dem Strafen. 13 S. 57ff. 14 S. 60ff.

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Die Ntzlichkeit einer Strafe, eines Gesetzes sagt nichts ber Zweck und Geschichte von ihr aus, sondern nur, dass ein Wille zur Macht ber etwas Niederes gekommen ist. Das Wachstum der Gesellschaft verschiebt den Sinn der Strafe. Der Fortschritt ist messbar an dem, was von ihr geopfert wird. Der Wille zur Macht ist das Wesen des Lebens. Strafen entwickeln sich zu Bruchen. So ist heute kaum noch erkennbar, warum etwas gestraft wurde. Letztlich zhlt Nietzsche zahlreiche Strafarten auf: Verhinderung, Isolierung, Vorbeugung, Ausgleich, als Fest, als Kriegserklrung, ...

8. Das schlechte Gewissen15 Die Strafe soll durch das Gefhl der Schuld ein schlechtes Gewissen erzeugen. In der Realitt ist dies unter wahren Verbrechern aber so gut wie kaum vorhanden. Die Strafe hrtet vielmehr ab. Hierzu vergleicht er mit Spinoza, der sagte, dass der Verbrecher keine Schuld empfindet sondern nur das Gefhl, dass etwas schief gegangen sei. Die Strafe zhmt nur. Das schlechte Gewissen ist eine Erkrankung der Gesellschaft. In ihm versagen smtliche Instinkte. Instinkte, die nach auen gehen sollten, mssen nun durch die drohenden Strafen nach Innen gehen. So bilden sie die Seele und wenden sich gegen den Menschen selbst in Form des schlechten Gewissens. Der Mensch leidet schlielich an sich selber. Staat und Recht formen den Menschen. Der Herr braucht keinen Vertrag mit seinem Sklaven, deshalb kennen die sogenannten Herrenmenschen auch keine Schuld, keine Rcksicht. Sie sind es aber, die das schlechte Gewissen bei den Schwcheren formen.

15 S. 64ff.

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Der Mensch selbst schafft sich sein schlechtes Gewissen, er formt sich selber. Die Lust zur Grausamkeit kann umschlagen zur Selbstlosigkeit, Selbstverleugnung. Als Unegoistisches bezeichnet er Dinge, die durch den Willen zur

Selbstmisshandlung entstehen.

9. Religion und Schuld16 Das schlechte Gewissen ist eine Krankheit. Die Vorfahren bilden es in ihren Nachfahren, sie sind ihnen die Glubiger. Der Glaube, dass ihre Opfer, die sie dem Fortbestehen gebracht haben zurckbezahlt werden mssen, formt Bruche, die Gesetze der Vorfahren. Je mchtiger ein Geschlecht ist, desto grer glauben sie ihre Schuld ihrem Vorfahren gegenber, sie machen ihren Ahnherrn zum Gott. Je grer die Schuld wird, desto grer der Gott, bis hin zum Monotheismus. Atheismus dagegen bringt eine neue Unschuld und so knnte es sein, dass man heutzutage wieder zurck findet. Moralisierung von Schuld und Pflicht tragen zum schlechten Gewissen bei. Es ist laut Nietzsche der Wille des Menschen, sich schuldig zu fhlen. Bei den alten Griechen verherrlichte sich noch das Tier selber, statt einen Menschen zu haben, der sich zerreist. Auch schufen sie sich Gtter, die fr ihre Schuld verantwortlich sein konnten.

10. Die Hoffnung17 Die modernen Menschen nun sind die Erben langer Selbst-Tierqulerei. Wer kann also noch leben, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Heutzutage msse man fort von der Krankheit, hin zur Gesundheit: zu Abhrtung durch Siege und Gefahren.16 S. 70ff. 17 S. 76f.

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Nietzsche nun wartet auf den Menschen, der hier heraus fhren kann, aus dem alten falschen Ideal hin zur Wahrheit, der Antichrist und Antinihilist: der bermensch.

11. Schluss der Moral Dies war also Nietzsches Auffassung von Gedchtnis, Schuld, Strafe und schlechtem Gewissen und der Aufforderung und Hoffnung, sich daraus zu befreien. Einiges ist kritisierwrdig, der Kernaussage aber zuzustimmen: dem bel des schlechten Gewissens. Wer mehr zu seiner Auffassung vom Gedchtnis lesen mchte, dem sei 'Vom Nutzen und Nachteil der Historie fr das Leben' ans Herz gelegt.

12. Vergessen im Nutzen und Nachteil der Historie fr das Leben

Nietzsche sah das Vergessen als Positiv an. Vergessen ist wichtig fr den Einzelnen wie fr das Ganze. Selbst das Tier, mit dem Nietzsche den Menschen oft vergleicht, lebt vllig ohne Wissen an die Vergangenheit und lebt damit gut. Auf sich selbst konzentrieren erfordert auch die Fhigkeit, alles andere vergessen zu knnen und nur wenn man sich auf sich selbst konzentriert und kennenlernt, kann man sich berwinden, zum bermenschen werden. Im Nutzen und Nachteil geht es um die Historie, und hierzu beginnt er mit dem Vergessen.

13. Das Vergessen

Ohne das Vergessen hngt der Mensch immer am Alten. Dies ist der Unterschied zwischen Mensch und Tier, denn letzteres lebt im Augenblick. Der Mensch

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dagegen wird von der Last seiner Vergangenheit erdrckt. Die Vergangenheit bringt Leiden und berdruss, das Dasein wird zum nie vollendbaren, ewigen Gewesensein. Wer sich aber nicht im Augenblick niederlassen kann, wird niemals Glck verspren noch geben knnen. Zum Handeln gehrt das Vergessen. Ohne Erinnerung lebt es sich glcklicher. Ohne Vergessen ist Leben unmglich, denn zuviel Erinnern bringt Schmerz. Man muss das Vergangene ein- und verarbeiten knnen um nicht zu Schaden zu kommen. Gesund bleibt man nur in einem begrenzten Horizont. Das Vergessen ist wichtig, um Neues aufnehmen zu knnen. Der historische Mensch versucht zu sehr anhand der Vergangenheit etwas 'besseres' zu machen und scheitert. Dem berhistorischen bringt das Neue nichts Neues, sondern nur bekanntes und erwartetes, was zu Ekel und bersttigung fhrt. So fordert Nietzsche, dass man nicht von der Geschichte und Vergangenheit bestimmt wird, sondern sie zu Nutzen versteht, zum Zwecke des Lebens.

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