SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft · auch hier wird die wachsende Kritik...

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ANNOUNCEMENTS AND REPORTS SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft Published online: 5 February 2018 Ó The Author(s) 2018. This article is an open access publication Erste Ergebnisse und Implikationen Inken Christoph-Schulz 1 , Monika Hartmann 2 , Peter Kenning 3 , Jo ¨rg Luy 4 , Marcus Mergenthaler 5 , Lucia Reisch 6 , Jutta Roosen 7 , Achim Spiller 8 1 Thu ¨nen-Institut fu ¨r Marktanalyse, Braunschweig 2 Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universita ¨t, Bonn 3 Heinrich-Heine-Universita ¨t, Du ¨sseldorf 4 Privates Forschungs- und Beratungsinstitut fu ¨r ange- wandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH, Berlin 5 Fachhochschule Su ¨dwestfalen, Soest 6 Copenhagen Business School, Zeppelin Universita ¨t, Friedrichshafen 7 Technische Universita ¨t Mu ¨nchen 8 Georg-August-Universita ¨t, Go ¨ttingen [email protected] In Deutschland und den u ¨brigen EU-Mitgliedstaaten hat die landwirtschaftliche Nutztierhaltung seit der Jahrtausendwende erheblich an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren (European Commission 2005, 2016). Als Reaktion auf den Akzeptanzverlust stellte das Bundesministerium fu ¨r Erna ¨hrung und Land- wirtschaft (BMEL) im Juni 2017 seine ,,Nutztierhaltungsstrategie‘‘ vor (BMEL 2017a) und auch hier wird die wachsende Kritik der Gesellschaft betont. Die folgenden Beitra ¨ge, die sa ¨mtlich aus dem durch die Innovationsfo ¨rderung des BMEL gefo ¨rder- ten Projekt ,,SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft‘‘ stammen, unterstreichen diesen Punkt und verdeutlichen sowohl die Relevanz der Einbeziehung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen wie auch den notwendigen Dialog zwischen diesen Gruppen. Von Seiten der Gesell- schaft sind ethische U ¨ berlegungen in Bezug auf den Umgang mit Nutztieren von Relevanz, was durch verschiedene Autoren empirisch gezeigt werden konnte (Ohl und van der Staay 2012; Spooner et al. 2014). Dabei handelt es sich keineswegs um eine auf Deutschland beschra ¨nkte Debatte (Tonsor et al. 2009; Vanhonacker et al. 2012). Bereits 2006 sahen 77% der in einer EU-weiten Studie befragten Bu ¨rger 1 die Notwendigkeit, das Wohl landwirtschaftlicher Nutz- tiere besser zu schu ¨tzen (European Commission 2007). Dieser Anteil stieg in einer erneuten Umfrage im Jahr 2015 auf 82% (European Commission 2016). Medienberichte u ¨ber die Nutztierhaltung zeigen oftmals kritische Bedingungen fu ¨r die Tiere und lo ¨- sen bei einer Vielzahl von Bu ¨rgern Entsetzen und Ablehnung u ¨ber die dargestellte Tierhaltung aus (Boehm et al. 2010; Thompson et al. 2011; Spiller et al. 2012). Im Fokus der o ¨ffentlichen Kritik stehen vor allem die Schweine- und Geflu ¨gelhaltung (European Commission 2005; Vanhonacker et al. 2009; Kayser et al. 2012; Wildraut et al. 2015), wa ¨hrend die Milchviehhaltung im Vergleich durch befragte Bu ¨rger besser bewertet wird (European Commission 2005; Evans und Miele 2008; Boogaard et al. 2011). In Bezug auf die Schweinehaltung besteht weitgehen- der Konsens, dass das Platzangebot sowie die Bodenbeschaffenheit von zentraler Bedeutung sind (Kayser et al. 2012; Wildraut et al. 2015; Weible et al. 2016). Daru ¨ber hinaus werden die Licht- und 1 Zur besseren Lesbarkeit werden im Folgenden lediglich die ma ¨nnlichen Bezeichnungen gewa ¨hlt. Selbstversta ¨ndlich sind Ma ¨nner und Frauen gleichermaßen gemeint. J Consum Prot Food Saf (2018) 13:145–236 https://doi.org/10.1007/s00003-017-1144-7 Journal of Consumer Protection and Food Safety Journal fu ¨ r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 123

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ANNOUNCEMENTS AND REPORTS

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

Published online: 5 February 2018� The Author(s) 2018. This article is an open access publication

Erste Ergebnisse und Implikationen

Inken Christoph-Schulz1, Monika Hartmann2, PeterKenning3, Jorg Luy4, Marcus Mergenthaler5, LuciaReisch6, Jutta Roosen7, Achim Spiller8

1Thunen-Institut fur Marktanalyse, Braunschweig2Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universitat, Bonn3Heinrich-Heine-Universitat, Dusseldorf4Privates Forschungs- und Beratungsinstitut fur ange-wandte Ethik und Tierschutz INSTETgGmbH, Berlin5Fachhochschule Sudwestfalen, Soest6Copenhagen Business School, Zeppelin Universitat,Friedrichshafen7Technische Universitat Munchen8Georg-August-Universitat, [email protected]

In Deutschland und den ubrigen EU-Mitgliedstaatenhat die landwirtschaftliche Nutztierhaltung seit derJahrtausendwende erheblich an gesellschaftlicherAkzeptanz verloren (European Commission 2005,2016). Als Reaktion auf den Akzeptanzverlust stelltedas Bundesministerium fur Ernahrung und Land-wirtschaft (BMEL) im Juni 2017 seine,,Nutztierhaltungsstrategie‘‘ vor (BMEL 2017a) undauch hier wird die wachsende Kritik der Gesellschaftbetont. Die folgenden Beitrage, die samtlich aus demdurch die Innovationsforderung des BMEL geforder-ten Projekt ,,SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegelder Gesellschaft‘‘ stammen, unterstreichen diesenPunkt und verdeutlichen sowohl die Relevanz derEinbeziehung unterschiedlicher gesellschaftlicherGruppen wie auch den notwendigen Dialog

zwischen diesen Gruppen. Von Seiten der Gesell-schaft sind ethische Uberlegungen in Bezug auf denUmgang mit Nutztieren von Relevanz, was durchverschiedene Autoren empirisch gezeigt werdenkonnte (Ohl und van der Staay 2012; Spooner et al.2014). Dabei handelt es sich keineswegs um eine aufDeutschland beschrankte Debatte (Tonsor et al. 2009;Vanhonacker et al. 2012). Bereits 2006 sahen 77% derin einer EU-weiten Studie befragten Burger1 dieNotwendigkeit, das Wohl landwirtschaftlicher Nutz-tiere besser zu schutzen (European Commission2007). Dieser Anteil stieg in einer erneuten Umfrageim Jahr 2015 auf 82% (European Commission 2016).Medienberichte uber die Nutztierhaltung zeigenoftmals kritische Bedingungen fur die Tiere und lo-sen bei einer Vielzahl von Burgern Entsetzen undAblehnung uber die dargestellte Tierhaltung aus(Boehm et al. 2010; Thompson et al. 2011; Spiller et al.2012). Im Fokus der offentlichen Kritik stehen vorallem die Schweine- und Geflugelhaltung (EuropeanCommission 2005; Vanhonacker et al. 2009; Kayseret al. 2012; Wildraut et al. 2015), wahrend dieMilchviehhaltung im Vergleich durch befragteBurger besser bewertet wird (European Commission2005; Evans und Miele 2008; Boogaard et al. 2011). InBezug auf die Schweinehaltung besteht weitgehen-der Konsens, dass das Platzangebot sowie dieBodenbeschaffenheit von zentraler Bedeutung sind(Kayser et al. 2012; Wildraut et al. 2015; Weible et al.2016). Daruber hinaus werden die Licht- und

1 Zur besseren Lesbarkeit werden im Folgenden lediglich diemannlichen Bezeichnungen gewahlt. Selbstverstandlich sindManner und Frauen gleichermaßen gemeint.

J Consum Prot Food Saf (2018) 13:145–236https://doi.org/10.1007/s00003-017-1144-7

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Klimaverhaltnisse, vorzugsweise mit Außenklima-reizen (BMEL 2015b) sowie angebotene Spiel- undBeschaftigungsmoglichkeiten als besonders relevantbetrachtet (Ermann et al. 2016). Die Geflugelhaltungwird ebenfalls haufig sehr skeptisch gesehen (Ver-beke und Viaene 2000; Vanhonacker und Verbeke2009; Heng et al. 2013). Neben hohen Besatzdichten,dem Einsatz von Antibiotika und der Große der Be-stande, ist die Totung von mannlichen Eintagskukenein von der Gesellschaft zunehmend beachtetesThema (Bruijnis et al. 2015).

Aber auch die Milchviehhaltung ist nicht unum-stritten. Im Vordergrund der Kritik steht vor allemdas unzureichende Platzangebot, die seltene Weide-haltung, der hohe Einsatz von Kraftfutter zurOptimierung der Milchleistung sowie die vermuteteprophylaktische Gabe von Medikamenten (Christoph-Schulz et al. 2015) und schließlich das betaubungsloseEnthornen der Kalber (Gauly 2015). Dass Burger dieMilchviehhaltung jedoch durchaus ambivalent beur-teilen und sowohl Vor- als auch Nachteile sehen,zeigen Boogaard et al. (2011): So wird der heutzutagehohe hygienische Standard in als ,,modern‘‘ bezeich-neten Betrieben durchaus befurwortet, wahrendgleichzeitig der Wunsch nach ,,traditionellen‘‘Betrieben besteht. In Bezug auf die Rinderhaltunggibt es bisher weniger kritische Diskussionen. Bio-produktion, verbesserte Haltungsbedingungen undeine grasbasierte Futterung wirken positiv auf dieKaufpraferenz von Rindfleisch (Risius und Hamm2017), wahrend uber die Intensivmast bisher kaumdebattiert wird. Die zunehmende Kritik hat auchokonomische Auswirkungen auf die Branche. Fleischund Fleischprodukte stellten zwar 2015 mit einemAnteil von 23,5% am Gesamtumsatz die wichtigsteund Milch und Milchprodukte (ohne Speiseeis) mitknapp 14% die zweitwichtigste Produktgruppe derdeutschen Ernahrungsindustrie dar (BVE 2016),allerdings stagniert der Konsum seit vielen Jahrenbzw. geht leicht zuruck (BMEL 2015a). Die Protestegegen die vorherrschenden Haltungsbedingungennehmen gleichzeitig zu (Laine et al. 2017). Der Anteilder Vegetarier in der deutschen Bevolkerung ist vonknapp 2% Mitte der 2000er Jahre auf 4–5% 10 Jahrespater gestiegen (MRI 2008; Cordts et al. 2013; Men-sink et al. 2016).

Schlusselakteure – u.a. das BMEL, die Agrar- undErnahrungswirtschaft, der Lebensmitteleinzelhandelund einige NGOs – versuchen in jungerer Zeitverstarkt, mit unterschiedlichen Maßnahmen dengesellschaftlichen Anliegen Rechnung zu tragen undin erster Linie das Tierwohl zu verbessern, um so diegesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung zu

erhohen. Beispiele hierfur sind das im Jahr 2013 ein-gefuhrte Tierschutzlabel des DeutschenTierschutzbundes, die in 2015 gestarteteBrancheninitiative ,,Initiative Tierwohl‘‘, das ebenfallsin 2015 veroffentlichte Gutachten des Wis-senschaftlichen Beirats fur Agrarpolitik beimBundesministerium fur Ernahrung und Land-wirtschaft zum Tierwohl (BMEL 2015b) oder dasgeplante staatliche Tierwohl-Label, dessen Kriterienim April 2017 vorgestellt wurden (BMEL 2017b).Zudem wachst die Erkenntnis, dass eine wis-senschaftliche Fundierung der politischenMaßnahmen dazu beitragen konnte, moglicheFehlentwicklungen fruhzeitig zu identifizieren undevidenzbasiert zu gestalten (Oehler et al. 2013).

Vor diesem Hintergrund schlossen sich im Herbst2012 die Autoren dieses Beitrags und Wissenschaftleraus ihren Teams zu einem Konsortium zusammen,um das Thema ‘‘Bewertung und Akzeptanz derNutztierhaltung in Deutschland’’ im Rahmen derProjektgruppe ,,SocialLab‘‘2 strukturiert und umfas-send mit unterschiedlichen, aufeinanderabgestimmten Methoden zu untersuchen (Thunen-Institut 2015). Samtliche Partner des Konsortiumsarbeiten seit Jahren zu Themen der Agrarokonomik,Verbraucherforschung, Verhaltensokonomik und/oder Tierethik und decken gemeinsam ein breitesTheorien- und Methodenspektrum ab. Fur jede For-schungsfrage innerhalb des Projektes wird dabei aufdie Kombination mehrerer, adaquater Methodengeachtet. Der Methodenbaukasten, der im SocialLabverwendet wird, besteht aus qualitativen und quan-titativen Methoden, aber auch aus experimentellenVerfahren. Zu den qualitativen Methoden zahlenu. a. Gruppendiskussionen, Experten- und Tiefenin-terviews. Quantitative Methoden sind z. B. durchstandardisierte Befragungen und Panelanalysen ver-treten. Zu den experimentellen Methoden gehorenu. a. bildgebende Verfahren der Consumer Neuro-science und die Blickregistrierung. Mit dieser Vor-gehensweise ist es moglich, im Rahmen des SocialLabProjektes die Komplexitat der Nutztierhaltung, so wiesie heute in der Gesellschaft gesehen wird, adaquatzu wurdigen und abzubilden. Das Projekt stellt inseiner Breite auch weltweit eine Innovation dar.

Zu betonen ist, dass das Ziel des SocialLab Teamsist, evidenzbasiert Parameter der Akzeptanz fur einegesellschaftlich akzeptierte und konsensfahige Nutz-tierhaltung zu erforschen und in konkretePolitikempfehlungen zu uberfuhren. In diesem Pro-zess werden sowohl die Perspektive der

2 www.sociallab-nutztiere.de Zugriff am 2.11.2017.

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Landwirtschaft und des Handels, als auch die derVerbraucher berucksichtigt, um in komplexen undlangfristig wirkenden Zusammenhangen konkretePolitikgestaltungsmoglichkeiten zu erarbeiten. DieErreichung dieses Ziels setzt eine langerfristig ange-legte Forschung der Partner des Konsortiums imVerbund voraus. Damit folgt das Projekt ,,SocialLab‘‘in weiten Teilen der Strategie der Deutschen Agrar-forschungsallianz (DAFA 2012).

Im Rahmen dieses ,,Reports‘‘ werden der (Fach-)Offentlichkeit erste Ergebnisse des Projektes prasen-tiert und Implikationen fur die weitere Forschungabgeleitet. Im Folgenden werden die verschiedenenSchwerpunkte der einzelnen Beitrage kurz skizziert.Im Mittelpunkt der Beitrage von Simons et al., Kuhlet al., Rovers et al. und Wildraut und Mergenthalerstehen Fragen, wie die Nutztierhaltung durch dieGesellschaft und gesellschaftliche Gruppen akzep-tiert bzw. wahrgenommen wird und welcheAnforderungen an die Tierhaltungsverfahren sichaus der gesellschaftlichen Diskussion ableiten lassen.Die Erkenntnisse dieser Studien bilden eine wichtigeGrundlage fur die folgenden Analysen, die die hiergewonnenen Erkenntnisse in ihre Arbeiten mit ein-beziehen. Die Grundlagenstudie von Simons et al.zeigt, dass die Wahrnehmung der Tierhaltung durcheine Bildkonfiguration charakterisiert ist, in der dasBild einer ,,heilen Welt‘‘ (,,Museumslandwirtschaft‘‘)dem einer ,,Schreckenswelt‘‘ (,,Massentierhaltung‘‘)gegenubersteht. Wahrend die ,,Museumsland-wirtschaft‘‘ sich durch einen als fair empfundenenDeal zwischen Mensch und Tier auszeichnet, stehtdie ,,Massentierhaltung‘‘ fur einen unwurdigenUmgang mit den Tieren. Die Konfiguration ist starkdurch mediale Berichte und sowohl von Sehnsuchtenals auch von Schreckensphantasien und Deutungs-mustern beeinflusst.

In der Arbeit von Kuhl et al. werden fur Milchkuhe,Mastschweine und Masthahnchen vier verschiedene,fur die Praxis wichtige Haltungssysteme (Stallhaltung,Außenklimastall, Stallhaltung mit Auslauf und Stall-haltung mit Weidegang im Sommer) insystematischer Form auf ihre Bewertung und Akzep-tanz durch die Burger verglichen. Die Ergebnisseverdeutlichen, dass die Gesellschaft die reine Stallhal-tung fur Nutztiere sehr kritisch bewertet. Fur alleTierarten zeigt sich eine klare Praferenz fur Hal-tungssysteme, die den Tieren zumindest Außenklimaermoglichen. Dabei wird dieWeidehaltung ambestenbewertet. Die Ergebnisse zeigen Forschungsbedarfhinsichtlich innovativer Haltungssysteme auf, die dieAnforderungen der Burger aufgreifen.

Der Beitrag von Rovers et al. bietet Einblicke in dieWahrnehmung der landwirtschaftlichen Nutztier-haltung von Rind, Schwein und Huhn durchLandwirte und Burger. Dabei zeigen sich tierarten-spezifische, aber auch tierartenubergreifendeUnterschiede, z.B. beim Einsatz von Technik im Stall.Wahrend Landwirte die Arbeitserleichterung undpositive Effekte fur das Tierwohl durch eine bessereTierversorgung und -uberwachung betonen, gehendie Burger von einem verminderten Mensch-Tier-Kontakt aus.

Der Beitrag von Wildraut und Mergenthaler bautauf dem Beitrag von Rovers et al. insofern auf, dassdie in den Gruppendiskussionen identifizierten Kon-flikte zur Nutztierhaltung gemeinsam mitLandwirten und Verbrauchern diskutiert wurden,um konkret zu untersuchen, wie beide Gruppen inder direkten Konfrontation zu diesen Konflikten ste-hen. Die Ergebnisse zeigen u.a., dass insbesondereVerbraucher, aber in Grenzen auch Landwirte bereitsind, ihre Einschatzungen zu andern, wenn sie dieSichtweise der anderen Gruppe horen.

Der zweite Abschnitt dieses Beitrags umfasst dieArbeiten von Gier, Krampe et al., Gier et al. sowie vonGroß und Roosen. Ubergeordnet geht es um die Sys-tematisierung und Untersuchung vorhandenerInformationen, deren Wirkung und der Ableitungvon Hinweisen fur die zukunftige Gestaltung vonVerbraucherinformationen. Die Arbeiten bauen aufden Erkenntnissen des ersten Arbeitspakets auf underweitern diese u.a. um die Wirkung sachlicher undemotionaler Informationen auf Verbraucher. Uberdiese Erkenntnisse hinaus konnen beispielsweise dieErgebnisse zur Wahrnehmung wertvolle Erganzun-gen bieten. Dies tragt fundamental dazu bei, daskomplexe Zusammenspiel der unterschiedlichenEinflussfaktoren auf die Wahrnehmung und Akzep-tanz der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zudurchdringen und Wege aufzuzeigen, wie diesebeeinflusst werden konnen.

Gier, Krampe et al. befassen sich im ersten Beitragmit den Informationen, die Verbraucher tagtaglichbeimEinkauf tierischer Produkte in Bild- undTextformwahrnehmen. Zudem vergleichen sie die neuralenWirkungen von Kommunikationsmaßnahmen inunterschiedlichen Produktionsformen (biologische,konventionelle Haltung). Die Autoren findenz.B. heraus, dass sich fur biologisch-orientierte Kom-munikationsmaßnahmen ein signifikant hohererdurchschnittlicher Fleischwaren-Wochenumsatz proKunde ergibt.

Der zweite Artikel von Gier et al. befasst sich mitdem Labelling und den Moglichkeiten, aber auch

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Grenzen dieser besonderen Art der Ver-braucherkommunikation. Verbraucher beschrei-ben in dieser Studie Labels als haufigunverstandlich und die Labelvielfalt als eher lastig.Daruber hinaus wird als innovativer Ansatz ein,,Verbraucherinformationssystem‘‘ skizziert, mitdem informationslogistische Ineffizienzen redu-ziert werden konnten.

Der Beitrag von Groß und Roosen untersucht denEinfluss von Nachrichtentexten auf das soziale Ver-trauen von Verbrauchern in Landwirte im Kontextder Nutztierhaltung. Personen, die zunachst eingeringes (hohes) Vertrauen in Landwirte haben, rea-gieren auf den Erhalt einer Nachricht positiv(negativ). Negative Nachrichten haben einen starke-ren Effekt als positive.

Der dritte große Abschnitt dieses Beitrages unter-sucht die Sichtweise spezifischer Akteure entlang derWertschopfungskette sowie die okonomischen Aus-wirkungen von obligatorischen und/oder freiwilligenTierschutzstandards. Die in den ersten zwei Arbeits-paketen gewonnenen Erkenntnisse werden weiterkonkretisiert, indem Motive, aber auch Hemmnissedafur untersucht werden, Produkte mit strengerenTierschutzstandards zu produzieren, in das Sortimentaufzunehmen bzw. zu kaufen.

Wildraut und Mergenthaler untersuchen dieBereitschaft von Landwirten, derzeitige Tierhal-tungsverfahren hinsichtlich mehr Tierwohlweiterzuentwickeln. Aus Sicht der Landwirte konntendie Haltungsverfahren in Deutschland weiter ver-bessert werden, Ideen werden allerdings aufgrundpolitischer und wirtschaftlicher Einschrankungensowie personlicher und beruflicher Vorbehaltezuruckhaltend formuliert.

Der zweite Beitrag von Krampe et al. betrachtetdas Meinungsbild des Lebensmitteleinzelhandels undgeht explizit auf Fragen zur Listungsentscheidung,zur staatlichen Regulierung bei der Durchsetzungund Integration hoherer Tierschutzstandards in dieWertschopfungskette sowie auf den Einfluss vonLabels auf die Verbraucher ein.

Roosen et al. analysieren die Praferenzen der Ver-braucher bezuglich angemessener Tierwohl-regulierungen fur Masthuhner und die Verantwort-lichkeiten hierfur ebenso wie die Reaktion aufsteigende Fleischpreise. Die Ergebnisse betonen dieProblematik der Totung von Eintagskuken. So wer-den Zweinutzungshuhner im Vergleich zurGeschlechtsbestimmung im Ei praferiert. Landwirtewerden als Hauptverantwortliche fur das Tierwohlidentifiziert.

Das vierte und abschließende Arbeitspaket ermit-telt die Anspruche der Verbraucher an dieTierhaltungsverfahren in Hinblick auf entstehendeZielkonflikte und pruft die Moglichkeiten derUmsetzbarkeit. Dabei baut es sehr stark auf denersten drei Arbeitspaketen auf. Außerdem wird diegesellschaftliche Bewertung innovativer Tierhal-tungsverfahren betrachtet.

Sonntag et al. untersuchen, wie Burger reagieren,wenn sie mit Zielkonflikten konfrontiert werden, diezwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielenbestehen, wie etwa zwischen dem Tierwohl auf dereinen und der Tiergesundheit oder dem Umwelt-schutz auf der anderen Seite. Die Autoren zeigen mitihrer Untersuchung, dass das Wohl der Tiere domi-niert. So ist ein hoher Tierwohlstatus von großererBedeutung als bspw. ein geringer Verbraucherpreisoder die Produktqualitat. In gleichem Maße ent-schieden sich Burger fur das Wohl der Tiere auch zuLasten von anderen Nachhaltigkeitszielen, wie z.B.dem Umweltschutz.

Brummer et al. befassen sich mit dem Zwei-nutzungshuhn und ermitteln u.a., dass dasKukentoten zwar abgelehnt wird, die befragten Ver-braucher aber nicht bereit sind, eigeneKonsumgewohnheiten deutlich zu andern. DieErgebnisse dieses Beitrages wurden durch die engeZusammenarbeit mit dem Projekt ,,IntegHof –Geflugelhaltung neu strukturiert‘‘ gewonnen, dassich aus naturwissenschaftlicher Sicht mit demZweinutzungshuhn befasst und an der TierarztlichenHochschule in Hannover koordiniert wird.

Danksagung

‘‘SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesell-schaft’’ wird aus Mitteln des Bundesministeriums furErnahrung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrundeines Beschlusses des deutschen Bundestages gefor-dert. Die Projekttragerschaft erfolgt uber dieBundesanstalt fur Landwirtschaft und Ernahrung(BLE) im Rahmen des Programms zur Innova-tionsforderung (FKZ: 2817202813). SocialLabDeutschland ist ein Zusammenschluss folgenderPartner: Heinrich-Heine-Universitat Dusseldorf,Thunen-Institut fur Marktanalyse (Gesamtkoordina-tion), Georg-August-Universitat Gottingen,Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn,Fachhochschule Sudwestfalen Soest, TechnischeUniversitat Munchen, Privates Forschungs- undBeratungsinstitut fur angewandte Ethik und TierschutzINSTET GmbH. Daruber hinaus danken wir den Per-sonen und Institutionen, die uns im Rahmen der

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jeweiligen Teilprojekte unterstutzt haben sowie ins-besondere den Mitgliedern des SocialLab-Beirats (vgl.www.sociallab-nutztiere.de).

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Akzeptanz der Nutztierhaltung in Deutschland –Ergebnisse der psychologischen und ethischenUntersuchung von Bestimmungsfaktoren

Johannes Simons1, Jorg Luy2, Carl Vierboom3, IngoHarlen1, Jeanette Klink-Lehmann1 und MonikaHartmann1

1Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn,Institut fur Lebensmittel- und Ressourcenokonomik,Professur fur Marktforschung der Agrar- u.Ernahrungswirtschaft2Privates Forschungs- und Beratungsinstitut furangewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH,Berlin3Wirtschaftspsychologen Vierboom & Partner, Hen-nef (Sieg)[email protected]

1 Zielsetzung und Einordnung

Die Zielsetzung der nachfolgend dargestellten Grund-lagenstudie bestand in der Analyse dergesellschaftlichen Akzeptanzbildung dessen, was alsderzeitige Tierhaltung in Deutschland wahrgenommenwird. Hierzu war es notwendig, die Wahrnehmung alsGrundlage der Akzeptanzbildung in die Untersuchungeinzubeziehen. Die Ergebnisse basieren auf Gruppen-diskussionen und Tiefeninterviews, in denen die Sichtder jeweiligen Teilnehmer auf das Thema Tierhaltungim Vordergrund steht. Sie sollen zu einem besserenVerstandnis der Wahrnehmung der Tierhaltung undder Akzeptanzbildung beitragen und als Interpretati-onsrahmen fur weitere Untersuchungen dienen.

2 Vorgehensweise

Die Analyse erfolgte auf Basis der MorphologischenPsychologie, die auf die Erklarung der Dynamik psy-chischer Prozesse ausgerichtet ist. Sie konzentriertsich auf die zugrundeliegenden, unterschiedlichen,zum Teil gegensatzlichen und zueinander in einemSpannungsverhaltnis stehenden Motive (Ziems 2004).Die Morphologische Psychologie geht davon aus,dass unbewusste und vorbewusste Prozesse Verhaltenund Wahrnehmung steuern. In Einklang mit derpsychoanalytischen Theorie soll ein umfassenderAnsatz die jeweiligen psychischen Phanomene er-klaren (Lonneker 2011). In der Analyse konzentriertsich die Morphologische Psychologie dabei nicht aufpersonenorientierte Konzepte, sondern darauf,welche Wirkungen von einem spezifischen Produktoder einer Idee ausgehen konnen.

Als Erhebungsmethode dienen Tiefeninterviewsund Gruppendiskussionen, in denen die Teilnehmerihre Ansichten und Erfahrungen aus dem All-tagsleben beschreiben. Aus diesen Beschreibungenlassen sich die unbewussten oder vorbewusstenZusammenhange erkennen (Melchers und Ziems2001).

Die Qualitat der Ergebnisse hangt ab von der Fa-higkeit des Forschers, die Schilderungen in denInterviews empathisch zu verstehen (Fitzek 2010). DerAnsatz nutzt explizit den Forscher und seinEmpathievermogen als grundlegende Voraussetzungfur das Verstandnis der relevanten Zusammenhange.Eine spezifische Schulung der Forscher ist Voraus-setzung, um die verdeckten Motive und Emotionenaufdecken zu konnen (Reik 1983). Eine solche, derZielsetzung dieser Untersuchung angemessene Vor-gehensweise ist notwendigerweise subjektiv. Ummogliche Verzerrungen der Ergebnisse durch dasemotionale Erleben der Interviewer methodisch zukontrollieren, werden die Untersuchungen in einemTeam von Forschern durchgefuhrt, diskutiert undausgewertet.

Interviews und Gruppendiskussionen dauern inder Regel eineinhalb bis zwei Stunden. Dieser Zeit-rahmen kann nicht genugen, um die personlicheMotivstruktur des Teilnehmers genau zu untersuchen- was auch nicht das Ziel der Untersuchung war. Er istaber ausreichend, um unterschiedliche Facetten derWahrnehmung der Tierhaltung zu beleuchten, z.B.unterschiedliche Bilder von der Tierhaltung undderen Akzeptanz.

3 Stichprobe

Fur eine umfassende Analyse muss die Rekrutierungder Teilnehmer so vorgenommen werden, dass allehypothetisch relevanten Aspekte von wenigstenseinem, besser aber von mehreren Teilnehmernangesprochen werden. Als hypothetisch relevant furdie Akzeptanz der Nutztierhaltung wurden regionaleEinflusse und die Grundhaltung zum Fleischverzehreingeschatzt. Um diese Unterschiede abzudecken,wurden die Interviews in verschiedenen Regionenbzw. Stadten Deutschlands durchgefuhrt: in denGroßstadten Berlin und Bochum, in Oldenburg, einerStadt im Zentrum der deutschen Schweine-, Geflugel-und Eierproduktion, in Kempten, einer Stadt imVoralpenland in einer Ferienregion mit intensiverMilchproduktion, in Gottingen im ZentrumDeutschlands sowie Erfurt im Osten Deutschlands alszwei Regionen mit geringer Tierdichte. In Koln, einerweiteren Großstadt, wurde lediglich eine

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Gruppendiskussion veranstaltet. Zwei der Grup-pendiskussionen (Berlin und Koln) sowie vier Einzel-interviews an jeweiligen Orten fanden mitVegetariern oder Veganern statt. Diskussionen mitVegetariern und Veganern sowie Fleischessern ineiner Gruppe wurden nicht organisiert aus derErwartung heraus, dass bei einer solchen Konstella-tion die Auseinandersetzung zwischen den Gruppenund nicht mehr die Wahrnehmung der Tierhaltungim Vordergrund stehen wurde.

Der Gesamtumfang der Stichprobe betragt 116Personen3 mit 67 Teilnehmerinnen und 49 Teil-nehmern. 42 Personen waren zwischen 20 und30 Jahren, 37 zwischen 31 und 50 und 30 zwischen51 und 73. Sieben Personen machten keineAltersangaben.

Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte durchein kommerzielles Marktforschungsinstitut. DieErhebung fand im Zeitraum zwischen Septemberund Dezember 2015 statt. Vorab wurden die Teil-nehmer lediglich daruber informiert, dassLandwirtschaft und Ernahrung die Themen derInterviews bzw. der Diskussionen sein wurden.

4 Ergebnisse

Die Beobachtungen in den Interviews und Grup-pendiskussionen zeigen vor allem bei Fleischesserneinen Unwillen, sich intensiv mit der Tierhaltungauseinanderzusetzen. Die Beschaftigung erscheint oftanstrengend. Unwillen und Anstrengung deutendarauf hin, dass diese Auseinandersetzung im Alltaggemieden wird. Bei Vegetariern und Veganernbestehen demgegenuber tendenziell konkretisierteVorstellungen uber negative Seiten der Tierhaltung,die Belebung von abstoßenden Bildern aus der Tier-haltung fallt deutlich leichter und dieAuskunftsbereitschaft ist großer als bei denFleischessern.

Die Wahrnehmung der Tierhaltung generiert sichaus Bildern und Informationen, die aus Massen-medien, Internet, sozialen Medien, personlicherKommunikation und eigenen Erfahrungen stammenund durch Systematisierungen und Schlussfolgerun-gen in einen Sinnzusammenhang gebracht werden.Personliche Erfahrungen mit der heutigen Tierhal-tung sind dabei eher die Ausnahme.

4.1 Grundlegende Bildfiguration

Die Analyse der Wahrnehmung von Tierhaltungergibt eine Figuration, die aus einem schonen undgeliebten Bild von Tieren und Tierhaltung auf dereinen Seite sowie aus Schock- und Schreckensbildernauf der anderen Seite besteht. Im Folgenden werdendiese beiden Seiten mit den Begriffen Museums-landwirtschaft und Massentierhaltung4 bezeichnet.

Museumslandwirtschaft: Die Bilder der Museums-landwirtschaft sind auf eine heile Welt derTierhaltung und der mit der Tierhaltung befasstenPersonen ausgelegt. Charakteristisch ist ein wert-schatzender Umgang mit den Tieren, der sich ineiner als tiergerecht wahrgenommenen Haltungaußert. Halter und Tiere werden haufig als gutmutigund geduldig beschrieben, die im Sinne eines ,,fairenDeals‘‘ zusammenleben und aufeinander angewiesensind. Den Hintergrund fur diese Bilder bieten Vor-stellungen von Hofen aus der Vergangenheit odervon solchen Betrieben, die die Entwicklung zurmodernen Landwirtschaft nicht mitgemacht haben.Traditionen, Bestandigkeit, Kindheitserinnerungenoder Vorstellungen von einer glucklichen Kindheitsind wichtige Bestandteile.

Gespeist werden die Bilder der Museumslandwirt-schaft durch Medienberichte, Heimatfilme undWerbung, durch eigene Sehnsuchte und Erfahrun-gen, durch Erlebnisse wie dem Urlaub und dasEinkaufen auf dem Bauernhof oder durch die Teil-nahme an traditionsreichen landwirtschaftlichenFesten. Die Museumslandwirtschaft steht aufgrunddes als fair empfundenen Deals zwischen Menschund Tier fur eine akzeptierte Form der Tierhaltung.Fragen nach der umfassenden Realisierbarkeit dieserArt von Landwirtschaft oder der Vollstandigkeit derVorstellungen z.B. im Hinblick auf Arbeitsverhalt-nisse und Tierwohl spielen bei der Faszination, wennuberhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehrsind die Bilder Ausdruck des Wunsches, komplexeZusammenhange auf eine einfache und uberschau-bare Ordnung zu bringen. Sie sprechen dieSehnsucht nach Bestandigkeit und geringer Kom-plexitat der eigenen Lebensverhaltnisse an undkonnen damit als Gegenbilder zu einem hektisch undkompliziert erlebten Alltag dienen. Fur die

3 57 Einzelinterviews, ein Interview mit 2 Personen und 7Gruppendiskussionen (2 Gruppen mit je 9 Teilnehmern, 2Gruppen mit je 8 Teilnehmern und weitere 3 Gruppen mit je 6,7 oder 10 Teilnehmern).

4 Obwohl der Begriff ,,Massentierhaltung‘‘ ursprunglich vonder Bundesregierung wertneutral als ,,Haltung großer Nutz-tierbestande auf begrenztem Raum in neuzeitlichenHaltungssystemen‘‘ definiert wurde (Bundesregierung 1971, S.9), hat sich die Rede von der ,,Massentierhaltung‘‘ zumInbegriff moralischen Fehlverhaltens in Bezug auf Tiereentwickelt.

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gewohnlichen Anforderungen des Alltags ist dieMuseumslandwirtschaft allerdings zu begrenzt.

Massentierhaltung: Der Museumslandwirtschaftsteht die Massentierhaltung gegenuber. Charakteris-tisch sind dunkle, enge Stalle, in denen Tiere vor sichhinvegetieren. Der Umgang mit den Tieren wird alsnicht wertschatzend und als tierqualerischwahrgenommenen. Massentierhaltung steht derBedeutung nach vor allem fur Maßlosigkeit, fur dieVerletzung moralischer Grundsatze und fehlendeIndividualitat. Mit einer Fixierung auf bestimmteGroßenordnungen wie der Anzahl der Tiere proBetrieb lasst sie sich nur unzureichend charakteri-sieren. In diesem System, das auch die verarbeitendeIndustrie und z.T. den Handel mit einbezieht, wirdunterstellt, dass die Tiere als seelenlose Warebehandelt werden und die Halter entweder den Tie-ren gegenuber gefuhllos sind oder selber Opfer einesausbeuterischen Systems wurden, in dem sie sich –z.B. getrieben von der Fleischwirtschaft – gezwung-enermaßen schuldig machen. Das Schreddern vonKuken, Kastration, das Kupieren von Schwanzen oderdas Schlachten nicht ausreichend betaubter Tieresind Beispiele, die in diesem Zusammenhang er-wahnt werden. Der Einsatz von Antibiotika wird oftals notwendige Maßnahme zur Aufrechterhaltungeines als krank erlebten Systems eingeschatzt. Bei derBeschreibung der Massentierhaltung verwischt dieGrenze zwischen dem Umgang mit Tieren und demUmgang mit Menschen. Stallanlagen werden auchals ,,Tier-KZ‘‘ bezeichnet und die Behandlung derArbeiter in den Schlachthausern als ebenso unwurdigbeschrieben wie die der Tiere. Insbesondere bei derDiskussion um den Einsatz von Antibiotika wirdbefurchtet, dass das als maßlos eingeschatzte Systemkatastrophale Folgen fur die menschliche Gesundheithat. Fleisch, das auf der einen Seite ,,ein StuckLebenskraft‘‘ darstellt, wird damit zum trojanischenPferd, das die Moglichkeiten zur Krankheitsbekamp-fung aushohlt. Die Existenz eines Sektors, der sichwenig um moralische Grundsatze oder gesetzlicheRegelungen zu kummern scheint, kann daruberhinaus auch als Zeichen fur die allgemeine gesell-schaftliche Entwicklung und als Bedrohung fur deneigenen Alltag erlebt werden. Die Massentierhaltungist die nicht akzeptierte Form der Tierhaltung. Siewird in nahezu allen Interviews angesprochen undbietet aufgrund fehlender Erfahrung mit der Tier-haltung Raum fur ausufernde und auchfaszinierende Schreckensphantasien. Sie steht mitihrer beangstigenden Maßlosigkeit der als angenehmempfundenen Begrenzung der Museumslandwirt-schaft gegenuber.

4.2 Einordnung der Massentierhaltung in dasGesamtbild von der Tierhaltung

Die Existenz der nicht akzeptierten Massentierhal-tung wird in der Regel nicht angezweifelt,Unterschiede ergeben sich allerdings bei der Ein-ordnung der Massentierhaltung in denGesamtkomplex sowohl der Tierhaltung als auch deseigenen Alltags. Hierzu konnten in der Analyse vorallem zwei Ansatze identifiziert werden:

• Massentierhaltung als Skandal in einem ansons-ten funktionierenden Versorgungssystem: Hierbeibesteht die Vorstellung oder Hoffnung, dassgroßere Organisationen und Kontrollbehordendas Funktionieren des Systems uberwachen, sodass Abweichungen und Storungen weitgehenddurch Aufdeckung und durch die Bestrafung derVerursacher vermieden werden.

• Massentierhaltung als Normalitat in einem mora-lisch verwerflichen System: Hierbei sind denSchreckensphantasien uber den Umgang mitden Tieren und den Charakter der Menschenkaum Grenzen gesetzt. Entsprechende Außerun-gen beziehen sich in der Regel auf medialeDarstellungen der Tierhaltung, die durch eigeneVermutungen, Spekulationen und Verdachtigun-gen angereichert und auf diese Weiseweiterentwickelt werden.

4.3 Vorstellungen zur Weiterentwicklung derTierhaltung

Fur die Beurteilung unterschiedlicher Tierhal-tungsverfahren und deren Weiterentwicklungbestehen vermeintlich klare Vorstellungen hinsicht-lich der Beurteilungskategorien. Vor allemBewegungsfreiheit, Licht, frische Luft und Beschafti-gungsmoglichkeiten werden immer wieder genannt.

4.4 Personliche Auseinandersetzung mit derMassentierhaltung

Die Auseinandersetzung mit den Bildern undVorstellungen von Massentierhaltung konnen zuheftigen emotionalen Reaktionen und in der Folgezu entsprechenden Abwehrreaktionen fuhren. Esbesteht eine starke Tendenz, nichts oder wenig wis-sen zu wollen, um sich emotionalen Storungen nichtaussetzen zu mussen. In der Untersuchung wurdenvor allem folgende Grunde deutlich:

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• Der Genuss von Fleisch und Fleischproduktenwird durch Berichte uber Massentierhaltung unddie dadurch ausgeloste Konfrontation mit unap-petitlichen Bildern eingeschrankt.

• Die Auseinandersetzung mit der Fleischerzeu-gung verdeutlicht den Verwendern vonTierprodukten eine eigene Verstrickung in einSystem, das als maßlos und unmoralisch beurteiltwird.

• Die Schreckensbilder der Massentierhaltung unddie in diesem Zusammenhang wahrgenommeneBrutalitat gegenuber lebenden Kreaturen losenAngste um die eigene Verwundbarkeit aus.

Wahrend die ersten beiden Punkte vor allem furFleischesser gelten, trifft der dritte Punkt auch aufTeilnehmer zu, die sich fleischlos ernahren. DasGefuhl der Verstrickung in ein als maßlos undunmoralisch erlebtes System und damit die Thema-tisierung der eigenen Maßlosigkeit wecken denBedarf nach Begrenzungen. Im Gesamtbild von Tier-haltung erklart sich die Attraktivitat derMuseumslandwirtschaft auch aus ihrer Funktion alsdas Gegenbild zur Massentierhaltung. EntsprechendeBegrenzungswunsche kommen auch im Wunschoder im Vorsatz zum Ausdruck, den eigenenFleischkonsum einzuschranken. Schuldzuweisungenund eigene Ohnmachtsbekundungen konnen eben-falls helfen, das Gefuhl der eigenen Verstrickungabzumildern. Bei Veganern und z.T. auch Vegetariernist dagegen eine Tendenz festzustellen, die unmoral-ischen und ungesunden Aspekte der Tierhaltung zubetonen und damit die eigene, freiwillige Begren-zung zu begrunden und positiv herauszustellen.

In der Auseinandersetzung um die Tierhaltungwerden personliche Zielkonflikte deutlich wahrge-nommen, z.B. der Zielkonflikt zwischen einerpreiswerten Versorgung und Forderungen nach ver-besserten Tierschutzstandards. Es besteht auch einBewusstsein fur den Widerspruch zwischen den Ein-stellungen zur Tierhaltung auf der einen Seite unddem Kauf- und Konsumverhalten auf der anderen.Hierfur werden unterschiedliche Argumente angefu-hrt, wie z.B. Budgetrestriktionen, fehlendeVerfugbarkeit von Fleisch mit hoheren Tierwohlstan-dards, Scheu und Unlust vor der Verkomplizierungalltaglicher Kaufentscheidungen, fehlendes Wissen,fehlende Wirksamkeit des eigenen Handelns, fehlen-des Verantwortungsgefuhl fur Missstande usw.Entsprechende Erklarungen verringern zwar dasUnbehagen uber das eigene Verhalten; sie beseitigenes aber nicht.

Je nachdem, in welchem Zusammenhang dieTierhaltung diskutiert wird (Schuldzuweisung, Bei-spiel fur eine unmoralische Gesellschaft, eigenerFleischkonsum) kann die Beurteilung ein und des-selben Teilnehmers unterschiedlich ausfallen. Es gibteine erhebliche intrapersonelle Variabilitat der ge-außerten Einstellungen und der jeweils als wichtigerachteten Aspekte. Dies weist stark darauf hin, dassdie Deutungen der Bilder vom jeweiligen Diskussi-onsrahmen abhangen.

5 Ethische Einordnung

Jede Wahrnehmung einer konkreten Tierhaltungwird beeinflusst von einem im Laufe des individuellenLebens sich entwickelnden Spannungsfeld zwischenden Vorstellungen von ,,guter und richtiger‘‘ bzw.,,schlechter und falscher‘‘ Tierhaltung. Die subjektiveVorstellung davon, was ,,gut und richtig‘‘ bzw.,,schlecht und falsch‘‘ ist, resultiert aus den Bildern, diesich spontan einstellen, wenn die Tierhaltung in denKategorien Mitgefuhl, Gerechtigkeit und Respekteinmal als akzeptable und einmal als inakzeptableVariante beschrieben werden soll. Mitgefuhl undGerechtigkeit sind moralische Kategorien, die Empa-thie (Einfuhlung in die Betroffenen) voraussetzen;Respekt bildet demgegenuber eine empathiefreiemoralische Kategorie, die mit Wertschatzung korre-liert. Werden Menschen aufgefordert, Bilder derlandwirtschaftlichen Tierhaltung zu beschreiben, diesie als akzeptierbar empfinden, dann entstehen Bilder,die einen respektvollen Umgang mit den Tieren zei-gen, die keinMitleid auslosen und sich als ,,fairer Deal‘‘zwischen Mensch und Tier verstehen lassen. Bildereiner inakzeptablen Form landwirtschaftlicher Tier-haltung sind demgegenuber charakterisiert durcheinen respektlosen Umgang mit dem Tier (,,Ausbeu-tung‘‘, ,,Instrumentalisierung‘‘), durch Mitleid oderdurch eine Ungerechtigkeitsempfindung.

Wahrend die Teilnehmer dieser Untersuchung dieinakzeptablen Bilder von sich aus mit dem BegriffMassentierhaltung in Verbindung brachten, wurdeMuseumslandwirtschaft von den Autoren verwendet,um die Bilder der akzeptierten Tierhaltung begrifflichzusammenzufassen. Bezeichnet man die Pole des furdie Nutztierhaltung relevanten Wertungsrahmens indiesem Sinne mit Museumslandwirtschaft undMassentierhaltung, dann wird verstandlich, wie diebeiden Bildgruppen bzw. die beiden Begriffe sich ausEinzelbildern zusammensetzen, die jeweils reale,mediale oder nur vorgestellte Erlebnisse desBeurteilenden darstellen. Auf der Seite der Museums-landwirtschaft dominieren schone Bilder, weil

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SchonheitmitWertschatzungundWertschatzungmitRespekt assoziiert ist. Die Bilder derMassentierhaltungwerden demgegenuber von abstoßenden Elementengepragt (Dreck, Dunkelheit, Leid) und lassen Raum furdustere Phantasien.

Fur die gesellschaftliche Debatte um die Zukunftder Nutztierhaltung kommt diesen Bildern bzw.Begriffen großte Wichtigkeit zu. Die Museumsland-wirtschaft dient subjektiv als ,,Machbarkeitsnachweis‘‘einer ethisch sauberen Tierhaltung. Diese Bilderbrauchen in der Praxis aber nicht eins zu eins realisiertwerden (es ist kein Museumsbauernhof erforderlich).Notwendig ist vielmehr, dass die Bilder neuer Nutz-tierhaltungsformen in den drei angesprochenenKategorien – Mitgefuhl, Gerechtigkeit und Respekt –ebenfalls als ,,akzeptierbar‘‘ bewertet werden. Das istdann der Fall, wenn sie als ,,fairer Deal‘‘ zwischenMensch und Tier verstanden werden konnen, weil ein,,fairer Deal‘‘ nicht nur Ungerechtigkeit, sondern auchMitleid und Respektlosigkeit logisch ausschließt. Dasich in den vergangenen Jahrzehnten Schreckens-phantasien zur Massentierhaltung verbreitet haben,erscheint es daruber hinaus unverzichtbar, Transpa-renz fur den Burger bzw. Verbraucher herzustellen(,,glaserne Produktion‘‘), da nur so diesen sich spontanaufdrangenden Verdachtigungen entgegengewirktwerden kann.

6 Zusammenfassende Einordnung

Bei der BeurteilungundEinordnungder Ergebnissedervorliegenden Studie als auch von qualitativen undquantitativen Befragungen im Allgemeinen ist zuberucksichtigen, dass die Bewusstmachung, die in sol-chen Befragungen stattfindet, im Alltag in der Regelnicht erfolgt. Entsprechend finden sich in den Inter-views immer wieder Aussagen und ,,Bekenntnisse‘‘,dass die als wichtig angesehene Tierschutzproblematikim Alltag kaum eine Rolle spielt. Die mentale Verfas-sung beim Kauf und Verzehr von Fleisch unterscheidetsich erheblich von der in der Untersuchungssituation.Unabhangig von der Bedeutung der Thematik im All-tag lassen sich fur die Diskussion um dieWahrnehmung und Akzeptanz der Tierhaltung fol-gende Punkte herausstellen:

• Die Vorstellungen von der Tierhaltung und derenAkzeptanz sind stark von medialen Berichten, vonSehnsuchten als auch Schreckensphantasien undvon Deutungsmustern beeinflusst. Das fuhrt zuder Frage, inwieweit diese Vorstellungen denVerhaltnissen in der Tierhaltung gerecht werden.

• Museumslandwirtschaft als akzeptierte und Mas-sentierhaltung als nicht akzeptierte Form derTierhaltung bilden eine weit verbreitete Bildkonfi-guration.DiederMassentierhaltungzugeschriebene,angsteinfloßende Maßlosigkeit findet einenGegenpol in den als wohltuend erlebten Begren-zungen der Museumslandwirtschaft.

• Auch wenn die Grenzen der Umsetzbarkeit derMuseumslandwirtschaft wahrgenommen werden,dienen die schonen Bilder des als fair empfunde-nen Deals zwischen Mensch und Tier als Maßstabeiner zu entwickelnden ethisch und moralischvertretbaren Tierhaltung.

• In den Interviews und Gruppendiskussionengelingt es den Teilnehmern nicht, konkrete Vor-stellungen von einer Tierhaltung zu entwickeln,die sowohl ihren Anspruchen an Tierwohl undUmweltvertraglichkeit, wie auch ihren Anspru-chen an Versorgung und Bezahlbarkeitentspricht. Eine Abwagung der mit einer ,,Muse-umslandwirtschaft‘‘ verbundenen Konsequenzenerfolgt kaum.

• Reaktionen und Fragen nach der Beurteilung derTierhaltung werden beeinflusst von der eigenenVerstrickung in das System. Bei Fleischessernkonnen heftige Schuldzuweisungen und hohemoralischen Anforderungen an die Akteure derWertschopfungskette von der empfundenen Mit-schuld ablenken.

• Argumentationen und geaußerte Einstellungenzur Tierhaltung variieren in Abhangigkeit vomDiskussionszusammenhang.

• Fur eine Verbesserung der Akzeptanz der Tierhal-tung sind Anderungen und Weiterentwicklungenhin zu tiergerechteren Verfahren notwendig, abernicht hinreichend, wenn diese nicht auch zu einerAnderung der Bilder und Deutungsmuster fuhren.Kommunikation ist ein entscheidender Bestim-mungsfaktor fur die Entwicklung der Akzeptanz.Dabei ist zu beachten, dass eine Kommunikation,die als schon farbend wahrgenommen wird, zueinem weiteren Glaubwurdigkeitsverlust fur denSektor fuhren wurde, weil sie die im Konzept derMassentierhaltung enthaltenen Deutungsmusteruber die unmoralischen Handlungen der Akteuredes Fleischsektors verstarkt.

• Bei Analyse der Marktreaktionen ist zu berucksich-tigen, dass sich die mentale Verfassung in Kaufsi-tuationen erheblich von der bei Befragungenunterscheidet. Spaltungen und Verdrangungen,die beim Kauf und Verzehr auftreten und die durchdie Einbindung in bestimmte Situationen und

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Verwendungszusammenhange gefordert werden,treten bei den Befragungen weniger stark auf.

Literatur

Bundesregierung (1971) Bundestagsdrucksache VI/2559 vom 07.09.1971. Entwurf eines Tierschutzge-setzes. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/025/0602559.pdf. Accessed 10 October 2017

Fitzek H (2010) Morphologische Beschreibung. In:Mey G, Mruck K. (eds.) Handbuch Qualitative For-schung in der Psychologie. VS Verlag furSozialwissenschaften, Wiesbaden, pp 692–706

Lonneker J (2011) Die Wirkung von Qualitaten -Gestalten im Wandel. In: Naderer G, Balzer E (eds.)Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis,2nd edn. Gabler, Wiesbaden, pp 83–110

Melchers C, Ziems D (2001) Morphologische Markt-psychologie. Koln

Reik T (1983) Listening with the third ear: Macmillan.Farrar, Straus and Giroux, New York

Ziems D (2004) The morphological approach forunconscious consumer motivation research. J Ad-vert Res 44(2): 210–224. https://doi.org/10.1017/s0021849904040152

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Burgerbewertungen unterschiedlicherHaltungssysteme von Milchkuhen, Mastschweinenund Masthuhnchen: Ein systematischer Vergleich

Sarah Kuhl1, Winnie Isabel Sonntag1, Nina Gauß1,Birgit Gassler1, Achim Spiller1

1Georg-August-Universitat Gottingen, Departmentfur Agrarokonomie und Rurale EntwicklungMarketing fur Lebensmittel und [email protected]

1 Einleitung

Die Nutztierhaltung wird in Deutschland sehr diffe-renziert wahrgenommen: Einerseits werden dieHaltungsbedingen der Tiere vermehrt kritisiert undandererseits ist sie durch romantische Bilder aufge-laden (Kayser et al. 2012; Kayser und Spiller 2012;Isermeyer 2014). Zudem bestehen tierartenspezifischeUnterschiede in der Wahrnehmung und Bewertung.Wahrend die Milchviehhaltung im Vergleich zurFleischwirtschaft eher positiv wahrgenommen wird(Albersmeier und Spiller 2010), wird bspw. die Hu-hnchenhaltung mit ihren hohen Tierzahlen undmechanisierten Ablaufen negativ bewertet (Buschet al. 2015). Insgesamt erfahrt die Nutztierhaltung,und dadurch auch der Konsum tierischer Produkte,eine zunehmende Skepsis und einen wachsendenAkzeptanzverlust in Teilen der Gesellschaft(Vanhonacker et al. 2014). Daher ist es wichtig zuermitteln, welche Haltungssysteme bei welchenTierarten akzeptiert oder abgelehnt werden und zuanalysieren, worin diese Bewertungen begrundetliegen.

Bisherige Studien konnten eine Praferenz der Bu-rger fur Weidehaltung und Auslauf ins Freie furNutztiere aufzeigen (Conner et al. 2008; Weinrichet al. 2014). Es existieren jedoch keine Studien, indenen Bewertungen hinsichtlich der verschiedenenmodernen Haltungssysteme in systematischer Formerfasst wurden. Die vorliegende Untersuchung

schließt diese Forschungslucke, indem deutscheBurger in einer Online-Befragung verschiedeneHaltungssysteme von Milchkuhen, Mastschweinenund Mastgeflugel anhand von Bildern und Kurzbe-schreibungen ohne Einbeziehung okonomischerAbwagungen bewerten sollten. Die Ergebnisse dieservergleichenden Bewertung ermoglichen Schlussfol-gerungen fur zukunftsweisende Haltungssysteme.

2 Vorgehensweise und Auswertung

Um Unterschiede in der Bewertung modernerNutztierhaltungssysteme aufzuzeigen, wurde imFebruar 2016 eine Online-Befragung mit 1.074Probanden durchgefuhrt. Die Stichprobe warhinsichtlich Alter (ab 16 Jahren), Geschlecht undEinkommen reprasentativ fur die deutsche Bevol-kerung. Die Probanden beurteilten fur Milchkuhe,Mastschweine und Masthuhnchen je 4 verschiedeneHaltungssysteme (Stallhaltung, Außenklimastall,Stallhaltung mit Auslauf und Stallhaltung mitWeide im Sommer). Aufgrund des Umfangs derFragestellung wurde der Fragebogen so geteilt, dass358 Probanden die Milchviehhaltung bewerteten,356 die Mastschweinehaltung und 360 die Mast-huhnchenhaltung. Eingesetzt wurden Bilder derjeweiligen Systeme und neutrale Kurzbeschreibun-gen ihrer wesentlichen Merkmale (vgl. Abb. 1–3). DieBewertung der Haltungssysteme erfolgte anhandvon literaturgestutzten Statements (Conner et al.2008), welche sich auf das Wohlbefinden der Tieresowie auf die sensorischen Aspekte tierischer Pro-dukte beziehen. Die Bewertung der vierHaltungssysteme erfolgte randomisiert, um Rei-henfolgeeffekte zu vermeiden. Abschließend solltendie Probanden die gesehenen Haltungssystemezusammenfassend bewerten. Die Datenauswertungerfolgte mittels uni- und bivariater Analysen in IBMSPSS Statistics 24.

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Diese Bilder zeigen die Innen und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Kühen:

Die Kühe sind immer im Stall, dort können sie sich frei bewegen und sind nicht angebunden. Der Stall hat feste Wände mit Tür-, Tor- und Fensterflächen. Der Lu�austausch erfolgt über Lü�ungsanlagen (z.B. Ven�latoren)

Quelle: ©Bildagentur Landpixel

Diese Bilder zeigen die Innen und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Kühen in Außenklimaställen:

Die Kühe sind immer im Stall, dort können sie sich frei bewegen und sind nicht angebunden. Diese Stallform bietet im Gegensatz zu einem normalen Stall zusätzlich Kontakt zu Außenklima (natürliche Wi�erung: Sonnenschein, Kälte, Wind etc.) über große Öffnungen an der Front, offene Stallseitenwände oder einen offenen Giebel. Um die Tiere z.B. vor Wind zu schützen, stehen spezielle Windschutznetze oder steuerbare Jalousien an den offenen Wänden zur Verfügung. Die Temperatur und die Lu�feuch�gkeit sind im Stall ähnlich wie außerhalb des Stalls.

Quelle: © Bildagentur Landpixel

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der Stallhaltung von Kühen mit Zugang zu einem Auslauf (Lau�of), der den Tieren zusätzlich zur Verfügung steht:

Die Kühe werden im Stall gehalten, dort können sie sich frei bewegen und sind nicht angebunden. Zusätzlich können sie nach eigenem Bedürfnis ganzjährig einen Auslauf (Lau�of) außerhalb des Stalls nutzen. Dieser Auslauf ist an den Stall angegliedert und hat meist einen betonierten Boden. Der Lau�of ist unter freiem Himmel oder teilweise überdacht und bietet den Tieren die Möglichkeit zum Orts- und Klimawechsel, sofern es die Wi�erung erlaubt.

Quelle: © Bildagentur Landpixel

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der Stallhaltung von Kühen mit Zugang auf eine Weide bzw. einen Naturboden, der den Tieren zusätzlich zur Verfügung steht:

Die Kühe werden im Stall gehalten, dort können sie sich frei bewegen und sind nicht angebunden. Zusätzlich haben sie für einen bes�mmten Zeitraum des Jahres, sofern es die Wi�erung erlaubt, Zugang auf eine Weide bzw. einen Naturboden. Der Zugang auf die Weide bzw. den Naturboden bietet die Möglichkeit zum Orts- und Klimawechsel.

Quelle: © Nina Gaus

Abb. 1 Bewertungsgrundlagen fur verschiedene Haltungssys-teme in der Online-Befragung zur Tierart ,,Kuh‘‘

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Schweinen:

Die Schweine sind immer im Stall, dort können sie sich frei bewegen und sind mit anderen Schweinen zusammen in einer Gruppenbucht. Der Stall hat feste Wände mit geschlossenen Tür-, Tor- und Fensterflächen. Lü�ungs- und Klimageräte sorgen für ein geregeltes Raumklima, unabhängig von der Temperatur und der Lu�feuch�gkeit draußen.

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Schweinen in Außenklimaställen:

Die Schweine sind immer im Stall, dort können sie sich frei bewegen und sind mit anderen Schweinen zusammen in einer Gruppenbucht. Diese Stallform bietet im Gegensatz zu einem normalen Stall zusätzlich Kontakt zu Außenklima (natürliche Wi�erung: Sonnenschein, Kälte, Wind etc.) über offene Seitenwände. Um die Tiere z.B. vor Wind zu schützen, stehen spezielle Windschutznetze oder steuerbare Jalousien an den offenen Wänden zur Verfügung. Die Liege- und Ruhezonen sind wärmegedämmt oder eingestreut. Die Schweine können im Stall einen beliebigen Klimabereich aufsuchen.

Quelle: © Bildungs und Wissenszentrum Boxberg Schweinehaltung, Schweinezucht (Landesanstalt für Schweinezucht LSZ)

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der Stallhaltung von Schweinen mit Zugang zu einem Auslauf, der den Tieren zusätzlich zur Verfügung steht:

Die Schweine werden im Stall gehalten, dort können sie sich frei bewegen und sind mit anderen Schweinen zusammen in einer Gruppenbucht. Zusätzlich können sie nach eigenem Bedürfnis ganzjährig einen Auslauf außerhalb des Stalls nutzen. Dieser Auslauf ist an den Stall angegliedert und ist meist betoniert und nicht zwingend mit Stroh eingestreut. Der Auslauf ist unter freiem Himmel oder teilweise überdacht und bietet den Tieren die Möglichkeit zum Orts- und Klimawechsel, sofern es die Wi�erung erlaubt.

Quelle: © Bildagentur Landpixel, © KTBL, Stephan Fritsche

Diese Bilder zeigen die Haltung von Schweinen in Hü�en mit Zugang auf eine Wiese bzw. einen Naturboden:

Die Schweine werden für eine gewisse Zeit im Stall gehalten, dort können sie sich frei bewegen und sind mit anderen Schweinen zusammen in einer Gruppenbucht. Außerdem leben Sie für einen bes�mmten Zeitraum des Jahres im Freien auf einer umzäunten Wiese bzw. einem Naturboden. Dort stehen ihnen zum Schutz vor der Wi�erung Hü�en zur Verfügung. Sie können sich auf der Wiese bzw. dem Naturboden zusammen mit anderen Schweinen nach ihrem eigenem Bedürfnis frei bewegen.

Quelle: © Bildagentur Landpixel

Abb. 2 Bewertungsgrundlagen fur verschiedene Haltungssys-teme in der Online-Befragung zur Tierart ,,Schwein‘‘

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Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Hähnchen:

Die Hähnchen sind immer im Stall, dort werden sie auf Einstreu gehalten und können sich frei bewegen. Der Stall hat feste Wände mit geschlossenen Tür-, Tor- und Fensterflächen. Lü�ungs- und Klimageräte sorgen für ein geregeltes Raumklima, unabhängig von der Temperatur und der Lu�feuch�gkeit draußen. Quelle: © Bildagentur Landpixel

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der reinen Stallhaltung von Hähnchen in Außenklimaställen:

Die Hähnchen sind immer im Stall, dort werden sie auf Einstreu gehalten und können sich frei bewegen. Diese Stallform bietet im Gegensatz zu einem normalen Stall zusätzlich Kontakt zu Außenklima (natürliche Wi�erung: Sonnenschein, Kälte, Wind etc.) über offene Seitenwände. Um die Tiere z.B. vor Wind zu schützen, stehen spezielle Windschutznetze oder steuerbare Jalousien an den offenen Wänden zur Verfügung. Ven�latoren sorgen zusätzlich für den Lu�austausch. Quelle: © Wiesenhof Privathof, Hof Goebl

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der Stallhaltung von Hähnchen mit Zugang zu einem Auslauf (Kaltscharrraum), der den Tieren zusätzlich zur Verfügung steht:

Die Hähnchen werden im Stall auf Einstreu gehalten und können sich dort frei bewegen. Zusätzlich können sie nach eigenem Bedürfnis ganzjährig einen Auslauf (Kaltscharrraum) außerhalb des Stalls nutzen. Ein Kaltscharrraum ist meist an die Längsseite des Stalls angegliedert, ist betoniert und eingestreut. Dieser Auslauf ist ein überdachter und engmaschig umzäunter Außenbereich, der den Tieren die Möglichkeit zum Orts- und Klimawechsel bietet, sofern es die Wi�erung erlaubt.© Bildagentur Landpixel, © Wiesenhof Privathof, Hof A�enberger, Hof Al�nger, Hof Pirzer

Diese Bilder zeigen die Innen- und Außenansichten der Stallhaltung von Hähnchen mit Zugang auf eine Grünfläche bzw. einen Naturboden, der den Tieren zusätzlich zur Verfügung steht:

Die Hähnchen werden im Stall auf Einstreu gehalten und können sich dort frei bewegen. Zusätzlich haben sie ab einem gewissen Alter Zugang auf eine Grünfläche bzw. einen Naturboden. Der Zugang auf die Grünfläche bzw. den Naturboden besteht für einen bes�mmten Zeitraum des Jahres und wenn es die klima�schen Bedingungen erlauben. Die Hähnchen haben tagsüber die Möglichkeit zum Orts- und Klimawechsel. Quelle: © Bildagentur Landpixel, © Wiesenhof Privathof, Hof Pirzer

Abb. 3 Bewertungsgrundlagen fur verschiedene Haltungs-systeme in der Online-Befragung zur Tierart ,,Huhnchen‘‘

3 Ergebnisse

3.1 Stichprobenbeschreibung

Das Geschlechterverhaltnis in der Stichprobe ist mit51,6 % weiblichen zu 48,4 % mannlichen Teilneh-menden ausgeglichen undbevolkerungsreprasentativ. Unter den Befragtenergibt sich eine Altersspanne von 16 bis 81 Jahren miteinem Durchschnittsalter von 47 Jahren. Die vorlie-gende Stichprobe entspricht hinsichtlich Geschlecht,Alter und Einkommen annahernd dem deutschenBevolkerungsdurchschnitt. 6,2 % der Probandenwaren Vegetarier, wobei der Anteil der Frauen(79,1 %) unter den Vegetariern uberwog.

3.2 Tierartubergreifende Wahrnehmungen derHaltungssysteme

3.2.1 Milchviehhaltung Von allen Haltungssystemenwurde der Stall mit Weidezugang am positivstenbeurteilt; gefolgt vom Stall mit Auslauf und demAußenklimastall. Tabelle 1 zeigt, dass 80 % derBefragten zustimmten, dass die Tiere mit Weidezu-gang gesund leben, wahrend dies fur denAußenklimastall von 31 % der Probanden und fur denStall mit Auslauf von 38 % der Probanden zustim-mend bewertet wurde (zwischen letzteren keinesignifikanten Unterschiede).

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Die reine Stallhaltung wird skeptisch bewertet:Drei von vier Probanden lehnten die Aussage ab, dasses Milchkuhen im Stall an nichts fehlt. Vor allemhinsichtlich des Mangels an ausreichendem Tages-licht wurde die Stallhaltung kritisch beurteilt. Erst beiWeidegang waren 70 % der Befragten uberzeugt,dass es den Kuhen an nichts fehlt. Zusatzlich waren 7von 10 Probanden nur bei einem Auslauf ins Freie derMeinung, dass den Tieren ausreichend Tageslichtund Frischluft zur Verfugung stehen.

Die ausschließliche Stallhaltung wurde vor allemhinsichtlich der Moglichkeiten der Kuhe ihr naturli-ches Verhalten auszuleben, kritisch beurteilt, denn86 % der Befragten sahen diese nicht gegeben. DieTierwohlbewertung strahlt auf die intrinsischenProduktmerkmale ab: Weniger als ein Drittel derBefragten schatzte Milch von Kuhen aus reinerStallhaltung als gut im Geschmack ein, wahrend beiMilch von Kuhen mit Weidezugang der Geschmackuberaus positiv bewertet wurde. Auffallend hoch warauch die Zustimmung zum Statement, dass Land-wirten das Wohl der Tiere wichtig ist, wenn denTieren Weidezugang ermoglicht wird. Bei reinerStallhaltung waren davon nur 10 % der Probandenuberzeugt.

3.2.2 Mastschweinehaltung

Der Stall mit Weidezugang wurde auch in der Mast-schweinehaltung am positivsten bewertet, die reineStallhaltung deutlich negativer. Im Gegensatz zur diffe-renzierten Wahrnehmung des Außenklimastalls unddes Stalls mit Auslauf bei der Milchvieh- und Geflugel-haltung zeigten sich jedoch kaum signifikanteUnterschiede in der Bewertung dieser beiden Hal-tungssysteme fur Mastschweine (Tab. 2). 92 % derBefragten waren der Meinung, dass Schweine, dieZugang zu Weideflachen haben, gesund leben, wah-rend dies fur den Außenklimastall und den Stall mitAuslauf nur ein Drittel der Probanden zustimmendbeantwortete; fur den dargestellten Stall lehnten zweiDrittel der Befragten dieses Statement ab. Kaum einBefragter vertrat die Meinung, dass es diesen Tieren annichts fehlt. Die Moglichkeiten naturliches Verhaltenauszuleben und ausreichend Zugang zu Tageslicht undFrischluft, wurden fur die Stallhaltung am negativstenbewertet. Auch beimAußenklimastall und dem StallmitAuslauf war rund die Halfte der Befragten der Ansicht,dass die Tiere in beiden Systemen ihr naturliches Ver-halten nicht ausleben konnen. Erst mit Weidezugangstimmten 90 % der Befragten dieser Aussage zu.

Tab. 1 Bewertung der Haltungssysteme fur Milchkuhe anhand ausgewahlter Kriterien

Statements Stalla Außenklimab Stall mit Auslaufc Stall mit Weided

- - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ?

Die Tiere leben hier gesund.*** 61% 31% 8% 26% 43% 31% 19% 44% 38% 3% 18% 80%

2,25bcd (0,96) 3,06ad (0,94) 3,25ad (0,98) 4,13abc (0,83)

Hier fehlt es den Kuhen an nichts.*** 75% 19% 6% 58% 29% 13% 40% 33% 26% 6% 24% 70%

2,01bcd (0.88) 2,41acd (1,00) 2,86abd (1,12) 3,94abc (0,94)

Hier bekommen die Kuhe ausreichend Tageslicht.*** 75% 18% 7% 24% 38% 38% 5% 23% 72% 2% 14% 84%

2,04bcd (0,93) 3,15acd (1,00) 3,88abd (0,85) 4,25abc (0,78)

Hier bekommen die Kuhe ausreichend Frischluft.*** 52% 34% 15% 15% 28% 56% 4% 20% 77% 2% 9% 89%

2,47bcd (1,01) 3,50acd (0,96) 3,96abd (0.79) 4,32abc (0,73)

Die Tiere konnen hier ihr naturlichesVerhalten voll ausleben.***

86% 10% 4% 66% 23% 11% 48% 28% 24% 2% 13% 85%

1,73bcd (0,82) 2,23acd (1,02) 2.69abd (1,15) 3,87abc (0,95)

Milch von diesen Tieren schmeckt gut.*** 31% 42% 27% 19% 43% 38% 12% 35% 52% 2% 13% 85%

2,89bcd (0,97) 3,18acd (0,93) 3,50abd (0.91) 4,15abc (0,75)

Dem Landwirt ist das Wohl seiner Tierewichtig, wenn er sie so halt.***

57% 34% 10% 27% 46% 27% 18% 42% 40% 2% 13% 85%

2,31bcd (0,98) 2,97acd (1,00) 3,29abd (1,00) 4,18abc (0,77)

Die auf einer 5-stufigen Skala bewerteten Statements wurden wie folgt zusammengefasst:

– ,,Stimme uberhaupt nicht zu (1)‘‘ und ,,Stimme nicht zu (2)‘‘; ?- ,,Teils, teils (3)‘‘; ?? ,,Stimme zu (4)‘‘ und ,,Stimme voll und ganz zu(5)‘‘

Angegeben sind zusatzlich jeweils der Mittelwert und die Standardabweichung in Klammern

Signifikanzniveau fur Unterschiede zwischen den Haltungssystemen: *** p B 0.000a,b,c,d Signifikante Unterschiede (p B 0.05) zwischen den einzelnen Haltungssystemen, die mittels post hoc Tests ermittelt wurden

160 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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Bei Schweinen polarisiert im Vergleich zu Kuhenund Huhnern die Geschmacksbewertung besondersdeutlich, stark negativ fur die Stallhaltung, sehrpositiv fur die Freilandhaltung. Die Ansicht, dassLandwirten das Wohl der Tiere nicht wichtig sei,wenn die Tiere im Stall gehalten werden, vertraten 7von 10 Probanden. Außenklimastall und Stall mitAuslauf wurden positiver bewertet, aber nur mitWeidezugang wurde den Landwirten uberwiegendzuerkannt, dass ihnen das Wohl ihrer Tiere wichtigist.

3.2.3 Masthuhnchenhaltung

Auch fur die Masthuhnchenhaltung wurde die Stall-haltung mit Weidezugang in allen Kriterien ampositivsten beurteilt. Tabelle 3 verdeutlicht ahnlichwie bei Kuhen, dass ein Stall mit Auslauf positiverbewertet wird als ein Außenklimastall, und dieserwiederum positiver als die reine Stallhaltung.

Tab. 2 Bewertung der Haltungssysteme fur Mastschweine anhand ausgewahlter Kriterien

Statements Stalla Außenklimab Stall mit Auslaufc Stall mit Weided

- - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ?

Die Tiere leben hier gesund.*** 66% 28% 6% 28% 39% 33% 25% 42% 33% 1% 8% 92%

2,09bcd (0,91) 3,05ad (1,01) 3,07ad (0,98) 4,47abc (0,66)

Hier fehlt es den Schweinen an nichts.*** 81% 15% 4% 47% 29% 25% 39% 36% 25% 2% 12% 86%

1,83bcd (0,84) 2,70ad (1,07) 2,80ad (1,05) 4,36abc (0,77)

Hier bekommen die Schweine ausreichend Tageslicht.*** 88% 10% 2% 18% 39% 43% 9% 32% 59% 0% 3% 97%

1,67bcd (0,74) 3,31acd (0,97) 3,61abd (0,89) 4,65abc (0,55)

Hier bekommen die Schweine ausreichend Frischluft.*** 69% 24% 8% 13% 25% 62% 8% 27% 56% 1% 4% 95%

2,10bcd (0,92) 3,60ad (0,96) 3,69ad (0,89) 4,64abc (0,59)

Die Tiere konnen ihr naturliches Verhaltenvoll ausleben.***

87% 11% 2% 55% 31% 15% 47% 34% 19% 2% 9% 90%

1,61bcd (0,78) 2,46ad (1,01) 2,59ad (1,08) 4,45abc (0,75)

Fleisch von diesen Tieren schmeckt gut.*** 48% 38% 14% 20% 40% 41% 19% 36% 45% 3% 9% 88%

2,46bcd (1,01) 3,22ad (0,94) 3,29ad (1,00) 4,32abc (0,81)

Dem Landwirt ist das Wohl seiner Tierewichtig, wenn er sie so halt.***

70% 25% 5% 26% 36% 38% 27% 35% 38% 1% 6% 93%

2,02bcd (0,91) 3,13ad (1,02) 3,12ad (1,05) 4,49abc (0,67)

Die auf einer 5-stufigen Skala bewerteten Statements wurden wie folgt zusammengefasst:

– ,,Stimme uberhaupt nicht zu(1)‘‘ und ,,Stimme nicht zu(2)‘‘; ?- ,,Teils, teils(3)‘‘; ?? ,,Stimme zu(4)‘‘ und ,,Stimme voll und ganz zu(5)‘‘

Angegeben sind zusatzlich jeweils der Mittelwert und die Standardabweichung in Klammern

Signifikanzniveau fur Unterschiede zwischen den Haltungssystemen: *** p B 0.000a,b,c,d Signifikante Unterschiede (p B 0.05) zwischen den einzelnen Haltungssystemen, die mittels post hoc Tests ermittelt wurden

Tab. 3 Bewertung der Haltungssysteme fur Masthuhnchen anhand ausgewahlter Kriterien

Statements Stalla Außenklimab Stall mit Auslaufc Stall mit Weided

- - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ?

Die Tiere leben hier gesund.*** 70% 23% 7% 47% 38% 16% 30% 43% 27% 11% 29% 59%

2,08bcd (0,95) 2,56acd (0,98) 2,94abd (0,98) 3,70abc (0,89)

Die Tiere konnen ihr naturliches Verhalten voll ausleben.*** 85% 10% 5% 73% 19% 8% 49% 36% 15% 11% 26% 62%

1,69bcd (0,87) 2,07acd (0,94) 2,55abd (1,03) 3,56abc (1,01)

Hier fehlt es den Hahnchen an nichts.*** 82% 11% 6% 65% 25% 22% 47% 38% 16% 3% 20% 76%

1,88bcd (0,91) 2,29acd (0,96) 2,62abd (1,00) 3,47abc (1,03)

Hier bekommen die Hahnchen ausreichend Tageslicht.*** 87% 9% 4% 35% 34% 31% 21% 39% 39% 6% 17% 77%

1,70bcd (0,83) 2,91acd (1,07) 3,24abd (0,98) 4,05abc (0,85)

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 161

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Lediglich 7 % der Befragten stimmten zu, dass Tiereim Stall ein gesundes Leben fuhren. Die Bewertungdes Stalls mit Weide fiel mit 6 von 10 zustimmendenProbanden weniger positiv aus als fur die Milchvieh-und Mastschweinehaltung. Bei Stallhaltung sahen85 % der Befragten keine Moglichkeit fur die Tiere ihrnaturliches Verhalten ausleben zu konnen; fur denAußenklimastall sahen dies rund drei Viertel derProbanden als nicht gegeben an und fur den Stall mitAuslauf rund die Halfte der Probanden. Nur mitWeidezugang waren 3 von 4 Probanden uberzeugt,dass es den Tieren an nichts fehlt. Bei Stallsystemenwurde ausreichendes Tageslicht und Frischluftangezweifelt; wahrend beides fur den Außenklima-stall positiver bewertet wurde.

Etwa die Halfte der Befragten lehnte zudem dieAussage ab, dass Huhnchenfleisch von Tieren ausStallhaltung gut schmeckt. 76 % der Probandenwaren der Ansicht, dass Landwirten das Wohl derTiere nicht wichtig sei, wenn sie im Stall gehaltenwerden. Beim Außenklimastall traf dies fur die Halfteder Befragten zu.

3.2.4 Vergleichende Darstellung zwischen denTierarten

Uber alle Tierarten hinweg zeigt sich damit eineklare Praferenzreihung der Haltungssysteme, es gibtaber auch tierartenspezifische Unterschiede. Diereine Stallhaltung wird insbesondere hinsichtlichausreichend Tageslicht und Frischluft fur Milchkuhepositiver bewertet als fur Masthuhnchen- und Mast-schweine. Der Außenklimastall wird vor allem inBezug auf das Wohlbefinden von Mastschweinen

signifikant positiver bewertet, wahrend fur Milchku-he und Masthuhnchen erst der Auslauf dieZustimmung erhoht; fur Mastschweine kann einAuslauf am Stall die Bewertung im Vergleich zumAußenklimastall nicht weiter verbessern. Bei Stall-haltung mit Weidegang stimmten die Probandenuber alle Tierarten hinweg am starksten zu, dass dieTiere gesund leben, ausreichend Tageslicht bekom-men und ihr naturliches Verhalten ausleben konnen.Allerdings war diese Zustimmung fur Mastschweinesignifikant hoher als fur Milchkuhe undMasthuhnchen.

Bei der Erwartung an geschmackliche Eigenschaf-ten der tierischen Produkte zeigt sich eineinheitliches Bild: So werden Produkte von Tieren,die im Stall gehalten werden, negativer bewertet alsProdukte von Tieren aus Haltungssystemen mitZugang ins Freie. Allerdings ist die Zustimmung, dassHuhnchenfleisch aus Haltungssystemen mit Zugangzu einer Grunflache gut schmeckt, signifikant gerin-ger als fur Fleisch von Mastschweinen und Milch vonKuhen mit Zugang zu einer Weide.

4 Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Gesellschaftdie reine Stallhaltung fur Nutztiere ablehnt. Einegewisse Skepsis war auf Basis der bisherigen Literaturzu erwarten (Kayser et al. 2012; Busch et al. 2015), dieStarke der Ablehnung ist jedoch frappierend. AuchAußenklimastalle konnen die gesellschaftlicheAkzeptanz nur bedingt erhohen. Das kann ein Hin-weis darauf sein, dass die Verbesserungen gegenuberder reinen Stallhaltung zwar wahrgenommen, aber

Tab. 3 continued

Statements Stalla Außenklimab Stall mitAuslaufc

Stall mit Weided

- - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ? - - ?/- ? ?

Hier bekommen die Hahnchen ausreichend Frischluft.*** 63% 26% 10% 21% 35% 44% 18% 34% 48% 9% 22% 69%

2,20bcd (1,00) 3,23ad (1,07) 3,38ad (0,99) 4,09abc (0,82)

Fleisch von diesen Tieren schmeckt gut.*** 48% 34% 18% 35% 41% 25% 22% 43% 34% 15% 29% 56%

2,53bcd (1,04) 2,82acd (0,98) 3,19abd (0,96) 3,78abc (0,89)

Dem Landwirt ist das Wohl seiner Tiere wichtig, wenn er sie sohalt.***

76% 17% 8% 47% 36% 17% 26% 43% 31% 11% 21% 68%

1,96bcd (0,96) 2,58acd (1,01) 3,03abd (1,02) 3,77abc (0,95)

Die auf einer 5-stufigen Skala bewerteten Statements wurden wie folgt zusammengefasst:

– ,,Stimme uberhaupt nicht zu(1)‘‘ und ,,Stimme nicht zu(2)‘‘; ?- ,,Teils, teils(3)‘‘; ?? ,,Stimme zu(4)‘‘ und ,,Stimme voll und ganz zu(5)‘‘

Angegeben sind zusatzlich jeweils der Mittelwert und die Standardabweichung in Klammern

Signifikanzniveau fur Unterschiede zwischen den Haltungssystemen: *** p B 0.000a,b,c,d Signifikante Unterschiede (p B 0.05) zwischen den einzelnen Haltungssystemen, die mittels post hoc Tests ermittelt wurden

162 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

als noch nicht ausreichend eingeschatzt werden.Lediglich fur Mastschweine konnte diese Haltungs-form eine Akzeptanz von uber 20 % erzielen.

Insbesondere hinsichtlich der Naturlichkeit desHaltungssystems schneidet die reine Stallhaltungschlecht ab. Die Probanden vermuten, dass die Tierehier nicht ausreichend Tageslicht und Frischluftbekommen und ihr naturliches Verhalten nicht aus-leben konnen. Eine naturliche Haltungsumwelt istoffensichtlich maßgeblich fur eine positive Bewer-tung und ethische Vertretbarkeit der Nutztierhaltung(Lassen et al. 2006; Dawkins und Bonney 2008; Boo-gaard et al. 2006). Dabei finden sich auchUnterschiede zwischen den Tierarten. Die reineStallhaltung wird in der Milchviehhaltung bspw.positiver bewertet als fur Mastschweine undMasthuhnchen. Trotz der positiveren Bewertungbzgl. Frischluftkontakt und Wohlbefinden findetaber auch fur Milchkuhe die reine Stallhaltung kaumAkzeptanz.

Der Außenklimastall wird insbesondere fur Mast-schweine bzgl. Tageslicht- und Frischluftkontakt,aber auch bzgl. des Wohlbefindens der Tiere deutlichpositiver bewertet als die geschlossene Stallhaltung.Die Akzeptanz bleibt jedoch niedrig. In der Mast-huhnchenhaltung hat der Außenklimastall kaumeinen positiven Effekt auf die Akzeptanz. Generellwerden alle Haltungssysteme fur Masthuhnchen amnegativsten bewertet. Dies konnte daraus resultieren,dass sich Burger von der großen Anzahl der Tieremeist uberfordert fuhlen und laut Studien bspw. eineReduzierung der Bestandsgroße gar nicht wahrneh-men (Busch et al. 2015).

Damit die Nutztierhaltung langfristig gesell-schaftlich akzeptiert wird, ist der Zugang ins Freienotwendig. Fur alle Tierarten zeigt sich eine klarePraferenz fur Haltungssysteme, die den TierenZugang ins Freie ermoglichen. Dabei wird die Wei-dehaltung am besten bewertet, was sich auch inanderen Studien des SocialLab-Projektes zeigt (wiez.B. von Rovers et al. in diesem Heft). Diese hoheAkzeptanz entspricht zudem den Ergebnissen ande-rer Autoren (Cardoso et al. 2016; Sonntag et al. 2017).Aber auch ein Auslauf erhoht die Akzeptanz deutlich.Etwa die Halfte aller Probanden akzeptiert die Stall-haltung, wenn die Tiere zumindest Zugang zu einemAuslauf haben – der Anteil der Probanden, die diesesSystem nicht akzeptieren, sinkt auf unter 20 % beiallen Nutztieren.

Zudem werden Haltungssysteme mit Auslauf oderWeide mit positiven Auswirkungen auf den Ge-schmack der Produkte assoziiert. Dies ist ein wichti-ges Ergebnis fur die Vermarktung von Produkten aus

diesen Haltungssystemen und bestatigt die positivenWechselbeziehungen zwischen der Wahrnehmungdes altruistischen Merkmals Tierwohl und den int-rinsischen Merkmalen Gesundheit und Geschmack(von Meyer-Hofer et al. 2015). Durch die Vermarktungvon gesellschaftlich erwunschten Produktionsme-thoden kann somit moglicherweise eine hohereWertschopfung und ein Vorteil fur Unternehmenund Gesellschaft erzielt werden (Porter und Kramer2011). Zusatzlich ist die Berucksichtigung gesell-schaftlicher Anspruche und Erwartungen fur einenachhaltige Nutztierhaltung von hoher Bedeutung,da Burger in ihrer Rolle als Verbraucher, aber auchals Wahler langfristig mitentscheiden, was am Marktexistieren kann (Allen et al. 1991; Buller und Roe 2012;Weary et al. 2016).

Weitere Studien sind jedoch notwendig, um dieKauf- und Zahlungsbereitschaft fur Produkte aus denjeweiligen Haltungssystemen zu ermitteln undMarktpotenziale und Vermarktungsmoglichkeitenabschatzen zu konnen. Wahrend die Weidehaltungfur Milchkuhe eher geringe Kostennachteilegegenuber der reinen Stallhaltung aufweist (Gillespieund Nehring 2014), stoßt sie bei Wachstumsprozes-sen zurzeit technologisch an Grenzen. InnovativeHaltungssysteme, die Weidegang fur große Milch-viehbetriebe ermoglichen wurden, waren einspannender Ansatzpunkt. Auch sollten betriebswirt-schaftliche Berechnungen die Kostenunterschiedezwischen Weidesystemen tierartenspezifisch analy-sieren. Der vorliegende Beitrag kann eine solcheGesamtbewertung der Haltungssysteme als Voraus-setzung einer umfassenden Diskussion noch nichtleisten, er zeigt aber durch den Verweis auf diehohen Akzeptanzprobleme der reinen Stallhaltungauf, dass eine umfassende Bewertung notwendig istund z.B. der derzeitige Ruckgang der Weidehaltungbeim Milchvieh das gute Image der Milchwirtschaftbedroht (Reijs et al. 2013). Fur Mastschweine konnteninnovative Haltungssysteme mit Auslauf wie z. B. dasPig-Port-System interessante Perspektiven bieten. FurMasthuhnchen sind Systeme mit Kaltscharrraum, wiesie z. B. Wiesenhof im Tierschutzlabelprogramm desDeutschen Tierschutzbund betreibt, eine produkti-onstechnisch gut funktionierende Haltungsform, dieden Ablehnungsgrad von 83 auf 52 % senkt.

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164 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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Analyse der Wahrnehmung der Nutztierhaltungdurch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen

Anja Rovers1, Christiane Wildraut2, Marcus Mergen-thaler2, Winnie Isabel Sonntag3, Marie von Meyer-Hofer3, Achim Spiller3, Jorg Luy4, Doreen Saggau1,Nanke Brummer1, Inken Christoph-Schulz1

1Thunen-Institut fur Marktanalyse, Braunschweig2Fachhochschule Sudwestfalen, Fachbereich Agrar-wirtschaft, Soest3Georg-August-Universitat Gottingen, Departmentfur Agrarokonomie und Rurale Entwicklung, Marke-ting fur Lebensmittel und Agrarprodukte4Privates Forschungs- und Beratungsinstitut furangewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH,[email protected]

1 Einleitung

In Deutschland zeigt sich bei der Nutztierhaltungeine wachsende Diskrepanz zwischen den derzeitvorherrschenden Haltungsverfahren und gesell-schaftlichen Wunschen (Kayser et al. 2012). Tierwohlund unterschiedliche ethische Bewertungen derNutztierhaltung sind im offentlichen Diskurs prasent(WBA 2015). Untersuchungen deuten immer wiederdarauf hin, dass eine gesellschaftliche Mehrheit eineher negatives Bild hat, v.a. bei intensiven Haltungs-systemen (bspw. Lemke et al. 2006; Weible et al.2016). Werden die Haltungsbedingungen der Nutz-tierarten miteinander verglichen, wird vor allem dieHaltung von Schweinen und Geflugel kritisiert undals verbesserungswurdig empfunden (EuropaischeKommission 2007; Kayser et al. 2012). Im Gegensatzdazu wird die Milchviehhaltung deutlich positivereingeschatzt (Europaische Kommission 2005;Christoph-Schulz et al. 2015). Der WBA hat vor die-sem Hintergrund ein Gutachten mit neun Leitlinienfur eine zukunftsfahige, in weiten Teilen derBevolkerung akzeptierte Nutztierhaltung erstellt.

Im vorliegenden qualitativen Beitrag wird dieWahrnehmung der heutigen Nutztierhaltung basie-rend auf den Leitlinien des WBA-Gutachtensdetaillierter untersucht. Fur die Tierarten Rind,Schwein und Huhn wird die Wahrnehmung aus Sichtvon Burgern5 und Landwirten differenziert erfasst.

2 Methodische Vorgehensweise

Die Wahrnehmung der Nutztierhaltung wurde mitHilfe von leitfadengestutzten Gruppendiskussionenexplorativ erhoben. Bei Gruppendiskussionen gibtdie Diskussionsleitung das Thema vor und lenkt denweiteren Verlauf der Gesprachsrunde, indem, gemaßLeitfaden, gezielt offene Fragen an die Gruppe ge-stellt werden. Vorteilhaft daran ist, dass viele Ergeb-nisse erst aufgrund der Diskussion zum jeweiligenThema in einem dynamischen Prozess entstehen undauch unerwartete Aspekte auftreten (Wilson 1997;Halkier 2010), was mit standardisierten Befragungennicht moglich ist. Die Ergebnisse sind ohne Anspruchauf Reprasentativitat, liefern jedoch detaillierte Ein-blicke zur Frage, wie die Gesellschaft die Haltung derverschiedenen Tierarten einschatzt, was Haupt-kritikpunkte sind und welche Aspekte eine eheruntergeordnete Rolle spielen. Die Gruppendiskus-sionen fanden pro Tierart in je zwei (Landwirte) bzw.drei/vier (Burger) Orten von September bis November2015 statt.6 Jede Diskussionsrunde hatte vier bis elfTeilnehmer und wurde in den folgenden Ortendurchgefuhrt (Tab. 1):

Tab. 1 Orte der Gruppendiskussionen mit Landwirten undBurgern

Tierart Landwirte Burger

Rind Schleswig (Schleswig-Holstein)

Kempten (Bayern)

Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)

Essen (Nordrhein-Westfalen)

Kempten (Bayern)

Schwein Borken (Nordrhein-Westfalen)

Thurkow

(Mecklenburg-Vorpommern)

Oldenburg (Niedersachsen)

Fulda (Hessen)

Halle (Sachsen-Anhalt)

Huhn Frisoythe(Niedersachsen)

Magdeburg (Sachsen-Anhalt)

Hamburg (Hamburg)

Vechta (Niedersachsen)

Wurzburg (Bayern)

Erfurt (Thuringen)

Die Landwirte wurden mit Hilfe von Berufsverban-den zu den Diskussionsrunden eingeladen. Dabeiwaren pro Runde mindestens eine weiblicheBetriebsleiterin sowie Vertreter unterschiedlicherProduktionsstufen der jeweiligen Tierart vertreten.Die Burger wurden auf Basis bestimmter Quoten7

5 Der Begriff ,,Burger‘‘ wird hier in Abgrenzung zum Begriff,,Landwirte‘‘ verwendet und beinhaltet alle in Deutschlandlebenden Personen ohne einen beruflichen Bezug zur Land-wirtschaft oder Lebensmittelindustrie bzw. ohneentsprechende Ausbildungen/Studienabschlusse.

6 Mit den Burgern wurde jeweils in zwei Runden pro Ortdiskutiert.7 Alter (20 bis 70 Jahre), Geschlecht (33 % bis 67 % weiblich).

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durch ein Marktforschungsunternehmen akquiriert.8

Der Diskussionsleitfaden fur die Landwirte enthieltoffene Fragen zu den Grunden fur die Wahl derjeweiligen Haltungsform, zu ihrer Wahrnehmungdaruber, zur Wahrnehmung der gesellschaftlichenDebatte um die Nutztierhaltung, zu den betriebli-chen Moglichkeiten der Tierhalter, sich fur mehrTierwohl zu engagieren sowie zu ihren Wunschen anPolitik und Gesellschaft. Der Diskussionsleitfaden furdie Burger war so gestaltet, dass sich die offengestellten Fragen an den Leitlinien aus dem WBA-Gutachten orientierten. Alle Diskussionen hatteneine Lange von bis zu 120 Minuten und wurdenaufgezeichnet. Die anschließend erstellten Trans-kripte wurden einer qualitativen Inhaltsanalyse mit-hilfe von MAXQDA unterzogen und kategorisiert (vgl.Mayring 2002).

3. Ergebnisse

3.1 Tierartenubergreifende Ergebnisse

Folgende ausgewahlte Ergebnisse sind fur alle Dis-kussionsrunden mit den Landwirten festzuhalten: ImHinblick auf Informationsmoglichkeiten uber Land-wirtschaft und Tierhaltung erlautern Landwirte eineVielzahl von Optionen, wie bspw. einen ,,Tag deroffenen Hoftur‘‘. Gleichzeitig beklagen sie, dass dievon ihnen und der Branche angebotenen Informati-onsmoglichkeiten nicht umfassender genutztwerden. Sie kritisieren zudem die einseitige undreißerische Berichterstattung der Medien. Landwirteverweisen auf wirtschaftliche Rahmenbedingungenund Zusatzkosten einer verbesserten Nutztierhal-tung. Sie sehen trotz der geaußertengesellschaftlichen Forderungen keine am Point-of-Sale gezeigten Mehrzahlungsbereitschaften. Fur dieLandwirte ist das als Hinweis zu verstehen, dass Bur-gern das Anliegen Tierwohl hauptsachlich dannwichtig ist, wenn sie keine Mehrkosten tragenmussen.

Der Einsatz von Technik in der Tierhaltung wirdvon den Landwirten als Anpassungsstrategie anwirtschaftliche Rahmenbedingungen gesehen. Dertechnische Fortschritt bedeute Erleichterung dereigenen korperlichen Arbeit und habe positiveEffekte fur das Tierwohl, weil durch Technik einebessere Tierversorgung und -uberwachung

ermoglicht werde bzw. gewonnene zeitliche Frei-raume fur eine intensivierte Tierbetreuung genutztwerden konnten. Der Kritik am Medikamentenein-satz halten Landwirte entgegen, dass fur sie eineGefahrdung der Tiergesundheit durch einen aus-bleibenden Medikamenteneinsatz nicht mitTierschutz und Tierwohl zu vereinbaren ist. Ein-schrankungen beim Medikamenteneinsatz lehnenLandwirte deshalb ab. Die Landwirte sehen ihreNutztiere als Produktionsgrundlage und grenzen dieNutztierhaltung deutlich von der Heimtierhaltungab. Bei den Burgern kritisieren sie Anthropomorphi-sierungstendenzen gegenuber Tieren.

Nachfolgend werden ausgewahlte Ergebnisse derGruppendiskussionen mit den Burgern vorgestellt:Die Diskussionsteilnehmer betonen, dass es heutzu-tage immer weniger landwirtschaftliche Betriebegabe. Dadurch sei es schwerer geworden, person-lichen Kontakt zur Landwirtschaft zu haben. Deshalbseien die Medien oftmals die einzige Informations-quelle. Die mediale Berichterstattung sei allerdingsmeist negativ und zeige oft ,,Horrorbilder‘‘. Manmusse daher kritisch reflektieren, woher die Infor-mationen stammen und versuchen, starkeBeeinflussung zu vermeiden. Direktvermarktung seieine gute Moglichkeit, Einblicke in die Landwirtschaft zu erhalten.

Haufig verwenden die Teilnehmer den Begriff,,Massen(tier)haltung‘‘. Dieser wird meist mitfehlendem Freilandzugang, zu geringem Platzange-bot und intransparenten, abgeschlossenen Systemenverbunden, v.a. beim Schwein und beim Huhn. Aus-nahmen seien Biobetriebe. Die Diskutanten hebenhaufig hervor, dass heutzutage viel Technik einge-setzt wurde, um verschiedene Prozesse, wie z.B. dieFutterung, automatisiert durchzufuhren. Die Teil-nehmer vermuten dadurch einen vermindertenMensch-Tier-Kontakt.

Beim Thema Medikamenteneinsatz ist am haufig-sten von Antibiotika die Rede. Dabei wird erwahnt,dass es Ruckstande in Fleisch oder Eiern gabe, mitdenen die Gefahr von antibiotikaresistenten Bakterieneinhergehe. Teilweise wird hierbei betont, dass Anti-biotika prophylaktisch (z.B. mit dem Futter) gegebenwurden. Beim Schwein ist außerdem haufig von leis-tungssteigerndenMedikamentenoder vonHormonendie Rede. Teilweise werden auch Ruckstande vonMedikamenten in der Milch vermutet. Oft wird ange-nommen, dass der Medikamenteneinsatz infolge derals schlecht und nicht artgerecht eingeschatzten Hal-tungsbedingungen erforderlich sei und verringertwerden konnte, wenn sich die Haltung verbessernwurde.

8 Der Meinungsaustausch innerhalb der Diskussionen zwi-schen Personen mit unterschiedlicher Ernahrungsweise warausdrucklich erwunscht. Daher waren neben Personen, dieFleisch essen, auch max. zwei Personen pro Gruppe vertreten,die sich vegetarisch oder vegan ernahren.

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Einige Diskutanten betonen, dass Tiere generellfuhlende Lebewesen seien. Besonders beim Schweinwerden einzelne Haltungsbedingungen, v.a. das ge-ringe Platzangebot oder die Lichtverhaltnisse im Stall,als abtraglich fur das Wohlbefinden der Tiere einge-stuft. Andere Teilnehmer bekraftigen, dass es einemTier generell nurdanngutgehenwurde,wennes seinenaturlichen Bedurfnisse erfullen konne.

3.2 Tierartenspezifische Ergebnisse

Aus den Diskussionen mit den Landwirten lassen sichfolgende, ausgewahlte Ergebnisse fur die drei Tier-arten festhalten:

Rind:

Milchviehhalter betrachten die Futterung vonMilchkuhen als wichtige Managementaufgabe. Inihren Augen erfordern die erreichten zuchte-rischen Entwicklungen zu hohen Milchleistungeneine bedarfsgerechte Futterung der einzelnen Tiere,die ohne Kraftfuttergaben nicht erreicht werdenkonne. Sie sehen weiteren Entwicklungen der Auto-matisierung und Technisierung in den Stallen mitgroßem Interesse entgegen. Als positiv bewerten sieu.a. die dadurch entstehenden Freiraume fur dieTierhalter und den Komfort fur die Tiere, beispiels-weise wenn Milchkuhe individuelle Melkzeiten einesMelkroboters nutzen konnen. Die Weidehaltungsehen Landwirte kontrovers. Insbesondere in Betrie-ben mit großeren Tierbestanden und knappenarrondierten Flachen stellen in ihren Augen moder-ne Laufstalle mit Bewegungsfreiheit fur die Tiere undverschiedenen Funktionsbereichen einen tierwohl-gerechten Kompromiss dar.

Schwein:

Eingriffe am Tier, wie Kastration von mannlichenFerkeln, Zahneschleifen von Saugferkeln sowieKupieren der Schwanze werden als Notwendigkeitzur Sicherstellung von Tierwohl in den derzeitigenHaltungssystemen betrachtet. Nicht thematisiertwird von Landwirten, dass diese Eingriffe derzeitgesetzlich teilweise nur als Ausnahme erlaubt sind.Landwirte sehen Kastenstande fur Sauen der Grup-penhaltung als uberlegen an, weil damit dietierindividuelle Beobachtung vereinfacht wird undrangniedere Sauen besser geschutzt werden. Auslaufund Beschaftigung werden von Landwirten sehr dif-ferenziert betrachtet. Beschaftigungsmoglichkeiteninnerhalb der bestehenden Haltungssysteme sind furLandwirte einfach umzusetzen. Unter asthetischenGesichtspunkten wird Strohhaltung als interessante

Alternative gesehen. Auslaufmoglichkeiten werdenaus finanziellen, tier- und seuchenhygienischensowie behordlichen Grunden kritisch gesehen. Auchwerden begrenzte Absatzpotenziale als Hemmnisangefuhrt.

Huhn:

Die Landwirte beklagen Unkenntnis der Bevolke-rung zur Legehennenhaltung. Das Verbot derKafighaltung von Legehennen sei bei vielen Ver-brauchern nicht angekommen. Daraus schließen sie,dass Veranderungen nach den Wunschen derGesellschaft letztlich zu keiner allgemein besserenBeurteilung der Tierhaltung fuhren. Die Legehen-nenhaltung wird von Landwirten als ein Bereich derNutztierhaltung angefuhrt, in dem den Tieren heutemehr Platz und Bewegungsmoglichkeiten gebotenwerden. Dabei differenzieren sie die Effekte undweisen beispielsweise auf erhebliche erhohtegesundheitliche und hygienische Probleme in derFreilandhaltung hin. Gleichzeitig gewinnen sie dieserHaltungsform durchaus auch asthetische und emo-tionale Mehrwerte ab. In der intensivenHuhnchenmast sehen Landwirte eine hocheffizienteFleischproduktion, die es Burgern ermoglicht, gunstiggesundes Fleisch einzukaufen, wofur der steigende Pro-Kopf-Verbrauch von Geflugelfleisch spreche.

Die Inhaltsanalyse der Gruppendiskussionen mitden Burgern liefert die folgenden, fur die dreiuntersuchten Tierarten ausgewahlten Ergebnisse:

Rind:

Die Burger beschreiben Kuhe auf der Weide alsihre Idealvorstellung, weil dies einer naturlichenHaltung entspreche. Einige Teilnehmer fragen sichjedoch, inwiefern die Tiere, wenn sie es nicht andersgewohnt seien, uberhaupt die Weide vermissen wur-den. Einige Burger raumen ein, dass Weidehaltungnicht immer umzusetzen sei und Milchkuhe daherhaufig auch nur im Stall gehalten wurden. Gras undHeu seien das naturliche Futter fur das Rind. VieleTeilnehmer raumen aber Informationsdefizite bezug-lich der Futterung ein und wussten v.a. nicht, wasim Kraftfutter enthalten sei. Im Hinblick auf Melk-roboter ist das Bild heterogen. Wahrend einige Teil-nehmer diese favorisieren und sogar als,,kuhfreundlich‘‘ bezeichnen, berichteten andere,dass sie sie als außerst negativ empfinden.

Schwein:

Aussagen zum Platzangebot fur Schweine erfolgensehr haufig und vordergrundig. Es wird erwahnt,dass es ,,eng‘‘ im Stall sei, die Tiere ,,eingepfercht‘‘

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gehalten wurden oder dass ,,kein Platz‘‘ fur die Tierevorhanden sei. Besonders haufig werden negativbehaftete Adjektive in Verbindung mit Muttersauenin Kastenstanden genannt, wobei der Begriff Kas-tenstand nicht explizit verwendet wird. Auf dessenFunktion wird durch die Teilnehmer nicht einge-gangen. Wenn es um Einrichtungsgegenstande oderBeschaftigungsmoglichkeit geht, ist in einigen Aus-sagen von Ballen oder Ketten die Rede. EinigeDiskutanten heben hervor, dass Schweine intelligenteTiere seien, die sich eigentlich Beschaftigung wun-schen. Teilweise waren in den Diskussionen bis aufImpfungen keine weiteren Eingriffe am Schwein inder Vorstellung der Teilnehmer vorhanden. Daherwurde fallbedingt in die Runden gegeben, dass Fer-kelkastration, Schwanze kupieren und Zahneabschleifen ubliche Eingriffe seien. Am haufigstennahmen die Diskutanten dann zur Kastration Stellung.

Huhn:

Das gesetzliche Verbot der konventionellen Kafig-haltung ist bei Burgern kaum prasent. Wenn in denGruppen die Haltungsbedingungen von Legehennenund Masthuhnchen thematisiert werden, beschrei-ben die Teilnehmer jeweils gitterartige Kafigsysteme.Insgesamt dominieren bei der Beschreibung derWahrnehmung negative Begriffe, die zeigen, welchschlechtes Image die Geflugelhaltung bei deutschenBurgern hat. Positive Assoziationen wurden mitFreilandhaltung und okologischer Haltung geaußert.Ferner wird ein hoher Medikamenten- und Antibio-tikaeinsatz vermutet. Ein Großteil der Teilnehmerwar davon uberzeugt, dass die Tiere praventiv mitAntibiotika behandelt werden. Es wurde in diesemZusammenhang die Sorge vor Resistenzbildung,antibiotikahaltigen Produkten (Eier und Huhnchen-fleisch) und eines damit einher gehenden, negativenEinflusses auf die eigene Gesundheit geaußert.

4 Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick

Zu allen Diskussionen konnen jeweils fur Landwirteund Burger folgende tierartenubergreifende, aus-gewahlte Ergebnisse aufgezeigt werden:

Landwirte

• Die Gesellschaft gewinnt Informationen uber dieLandwirtschaft uberwiegend aus den Medien.

• Es ist haufig unklar, wer die entstehenden Mehr-kosten fur verbesserte Nutztierhaltung tragen soll.

• Technik und automatisierte Prozesse erleichterndie Arbeit fur Tierhalter und ermoglichen eineverbesserte Tierbeobachtung und -versorgung.

• Kranke Nutztiere sollen behandelt werden.• Nutztiere dienen dem Menschen zur

Lebensmittelproduktion.

Burger

• Der direkte Bezug zu Landwirtschaft und Nutztier-haltung geht zuruck.

• Die Haltungsbedingungen fur Nutztiere sind viel-fach verbesserungswurdig.

• Heutige Tierstalle sind sehr technisiert und auto-matisiert, was den Mensch-Tier-Kontakt mindert.

• Der Einsatz von Medikamenten in der Nutztier-haltung wird sehr kritisch gesehen.

• Nutztiere haben Anspruch auf Fursorge undVerantwortung durch den Menschen.

Die Analyse zeigt außerdem, dass es nicht um dieNutztierhaltung per se geht. So treten tierartenspezifi-sche Unterschiede auf, die wiederum differenziertzwischen Landwirten und Burgern festzustellenwaren:

Rind

Landwirte

• Aufgrund der zu erbringenden Leistung mussenin der Milchviehfutterung auch Kraftfutter undandere Zusatze eingesetzt werden.

• Das Melken wird mit zunehmendem Automati-sierungsgrad durchgefuhrt. Dies spart Zeit undArbeit.

• In der Milchviehhaltung ist Weidegang nichtuberall durchfuhrbar.

Burger

• Die alleinige Futterung von Rindern mit Gras undHeu ist grundsatzlich erwunscht.

• Das Melken ist mit Hilfe von Maschinen undComputern ein technisierter Vorgang, was dendirekten Kontakt zu den Milchkuhen vermindernkann.

• In der Milchviehhaltung werden Weidegang undBewegungsfreiheit als positiv wahrgenommen.

Schwein

Landwirte

• Die vorherrschenden technischen und wirtschaftli-chen Rahmenbedingungen erlauben es nicht, aufbestimmte Eingriffe am Schwein zu verzichten.

• Die Haltung von Muttersauen in Kastenstandenschutzt die Ferkel.

• Auslauf und Beschaftigungsmoglichkeiten furSchweine machen die Produktion aufwendigerund teurer.

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Burger

• Bestimmte Eingriffe am Schwein sind teilweiseunerwunscht.

• Die Haltung von Muttersauen in Kastenstandenwird als ,,einpferchen‘‘ empfunden.

• Schweine sind intelligente Tiere, die Auslauf undBeschaftigungsmoglichkeiten brauchen.

Huhn

Landwirte

• Die Abschaffung der Kafighaltung ist bei vielenBurgern nicht angekommen.

• Es gibt deutliche Verbesserungen in der Huhner-haltung, wie bspw. mehr Platz oderBewegungsmoglichkeiten.

• Durch eine kurze und intensive Mast kann demWunsch der Burger entsprochen und Huhnchen-fleisch gunstig produziert werden.

Burger

• Die Abschaffung der Kafighaltung ist vielenBurgern nicht bekannt.

• Huhnerhaltung wird bis auf Auslaufsysteme ehernegativ wahrgenommen.

• Es wird vermutet, dass in der Huhnerhaltung einhoher Antibiotikaeinsatz stattfindet, der sich aufdie Produktqualitat und die eigene Gesundheitnegativ auswirkt.

Wie fruhere Studien zeigen, besitzen Landwirteund Burger ein unterschiedliches Verstandnis vonTierwohl (Vanhonacker et al. 2008). Entsprechendverdeutlichen die Ergebnisse auch eine teils unter-schiedliche Wahrnehmung, z.B. wenn es umKastenstande fur Sauen geht oder um den Einsatzvon Melkrobotern in der Milchviehhaltung. DieErgebnisse decken sich mit bisher vorliegenden, teilsebenfalls qualitativen Studien. Beispielsweise wurdezum Thema Schwein erarbeitet, dass das Platzange-bot von zentraler Bedeutung ist (bspw. Kayser et al.2012; Wildraut et al. 2015; Weible et al. 2016). DieDiskussionsteilnehmer kritisieren außerdem fehlendeBeschaftigungsmoglichkeiten fur die Schweine.Busch et al. (2015) konnten jedoch zeigen, dass diese– wenn im Stall vorhanden – selbst bei Vorlage vonBildmaterial von den Befragten in deren Studiemehrheitlich nicht als solche erkannt wurden. Dassdie beim Burger existierende Vorstellung vontatsachlich erlebten Eindrucken bei realenStallbesichtigungen abweicht, haben Ermann et al.(2016) nachgewiesen. Sie schlussfolgern, dass Stall-besichtigungen insbesondere fur Kritiker und

Medienvertreter ermoglicht werden sollten, umTransparenz zu gewahrleisten. Auch die Teilnehmerder vorliegenden Erhebung – sowohl Landwirte alsauch Burger – berichten positiv von Direktvermark-tung oder Aktionen wie einem Tag der offenenHoftur. Beim Huhn sind dagegen bereits umgesetzteMaßnahmen, wie die Abschaffung der Kafighaltungin Deutschland, noch nicht grundsatzlich bei Bu-rgern bekannt.

Daraus lasst sich ableiten, dass Verbesserungen inder Tierhaltung schwierig fur Burger zu kommuni-zieren sind, um eine positive Einstellung gegenuberbereits umgesetzten Maßnahmen zu erzielen. Einewirksame Kommunikation wird von Busch et al. (2015)als entscheidend fur eine verbesserte gesellschaftlicheAkzeptanz der Tierhaltung, die aus der Wahrneh-mung generiert wird, erachtet. Mithilfe der erzieltenErgebnisse konnen noch keine Ruckschlusse auf dieWahrnehmung der Gesamtbevolkerung getroffenwerden. Die vorliegenden Ergebnisse bedurfen daherweiterer Validierung in großeren Stichproben undbilden die Basis fur standardisierte Befragungen mitLandwirten und Burgern. Eine weiterfuhrende Unter-suchung des Dialogprozesses zwischen Landwirtenund Burgern nehmen Wildraut et al. (in diesem Bei-trag) vor, der an wesentliche Erkenntnisse dieserAnalyse anschließt und diese vertieft. Derzeit ist nichtabschatzbar, wie sich die Wahrnehmung der Nutz-tierhaltung im Zeitablauf konkret verandert hat. Umzu uberprufen, inwiefern Maßnahmen zur Verbesse-rung einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmunghaben, ist es unabdingbar, in regelmaßigenAbstandenidentische Fragen an die Bevolkerung zu stellen. Dabeidienen die bevorstehenden, quantitativen Befragun-gen als erste Befragungswelle.

Zudem besteht wenig Wissen daruber, wie Stallefur die verschiedenen Nutztierarten gestaltet seinmussten, die von den unterschiedlichen gesell-schaftlichen Gruppen mehrheitlich (besser)akzeptiert werden wurden. Vor diesem Hinter-grund ist es erforderlich, verschiedene Prototypenzu entwickeln. Zu untersuchen ware dann, wieLandwirte sie bezogen auf ihren Arbeitsalltagbewerten und wie Nutztierwissenschaftler undBurger diese Stallneubauten beurteilen. Auf Basisdieser Ergebnisse ware es weiter erforderlich, dassggf. mehrere, nacheinander geschaltete Bewer-tungsrunden stattfinden. Ein derartiges Vorgehenentspricht dem Innovationscharakter des SocialLab,das sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, neue Stallsystemeoder auch neue Zuchtungsrassen aus der Perspek-tive unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppenzu untersuchen.

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Literatur

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Christoph-Schulz I, Salamon P, Weible D (2015) Whatis the benefit of organically reared dairy cattle?Societal perception towards conventional andorganic dairy farming. Int J Food Syst Dyn6(3):139–146

Ermann M, Graskemper V, Spiller, A (2016) Die Wir-kung von gefuhrten Stallbesichtigungen aufBurger – eine Fallstudie auf nordwestdeutschenSchweinemastbetrieben. In: Schriften der Gesell-schaft fur Wirtschafts- und Sozialwissenschaftendes Landbaues e.V., Band Nr. 52: Agrar- und Erna-hrungswirtschaft: Regional vernetzt und globalerfolgreich (im Druck)

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Europaische Kommission (2007) Special Eurobaro-meter 229 (2): Attitudes of consumers towards thewelfare of farmed animals, wave 2. Brussels.Verfugbar unter: http://ec.europa.eu/food/animal/welfare/survey/sp_barometer_fa_en.pdf

Halkier B (2010) Focus groups as social enactments:integrating interaction and content in the analysisof focus groups data. Qual Res 10(1):71–89

Kayser M, Schlieker K, Spiller A. (2012) Die Wahr-nehmung des Begriffs ,,Massentierhaltung‘‘ ausSicht der Gesellschaft. In: Berichte uber Landwirt-schaft, Heft 90, Nummer 3:417–428

Lemke D, Schulze B, Spiller A, Wocken C (2006) Ver-brauchereinstellungen zur modernenSchweinehaltung: Zwischen Wunsch und Wirk-lichkeit. Wien: Jahrbuch der OsterreichischenGesellschaft fur Agrarokonomie

Mayring P (2002) Einfuhrung in die Qualitative Sozi-alforschung. Eine Anleitung zu qualitativemDenken. Beltz Verlag, Weinheim und Basel

Vanhonacker F Verbeke W van Poucke E, Tuyttens F(2008) Do citizens and farmers interpret the con-cept of farm animal welfare differently? Livest Sci116:126–136

Weible D, Christoph-Schulz I, Salamon P, Zander K(2016) Citizens’ perception of modern pig pro-duction in Germany: a mixed-method researchapproach. Brit Food J 118(8):2014–2032

Wildraut C, Plesch G, Harlen I, Simons J, HartmannM, Ziron M, Mergenthaler, M (2015) Mul-timethodische Bewertung von Schweinehaltungs-verfahren durch Verbraucher anhand von Videosaus realen Schweinestallen. Forschungsberichtedes Fachbereichs Agrarwirtschaft Soest, Nr. 36

Wilson V (1997) Focus groups: a useful qualitativemethod for educational research. BERJ23(2):209–224

WBA Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik beimBMEL (2015) Wege zu einer gesellschaftlichakzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten. Berlin

Zander K, Isermeyer F, Burgelt D, Christoph-Schulz I,Salamon P, Weible D (2013) Erwartungen derGesellschaft an die Landwirtschaft. Munster: Stif-tung Westfalische Landwirtschaft

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Annaherungen in der Bewertung derlandwirtschaftlichen Nutztierhaltung - Ergebnisseaus gemeinsamen Diskussionsrunden mitTierhaltern und Verbrauchern

Christiane Wildraut1, Anja Rovers2, Winnie Sonntag3,Inken Christoph-Schulz2, Marie von Meyer-Hofer3,Jorg Luy4, Jenny Wolfram1, Achim Spiller3, MarcusMergenthaler1

1Fachhochschule Sudwestfalen, Fachbereich Agrar-wirtschaft, Soest2Thunen-Institut fur Marktanalyse, Braunschweig3Georg-August-Universitat Gottingen, Departmentfur Agrarokonomie und Rurale Entwicklung, Mar-keting fur Lebensmittel und Agrarprodukte4Privates Forschungs- und Beratungsinstitut furangewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH,[email protected]

1 Einleitung

Das Verhaltnis zwischen Landwirtschaft und Gesell-schaft hat sich in den vergangenen Jahrenzunehmend distanziert (Wildraut et al. 2015). Obwohleine insgesamt positive Grundhaltung seitens derGesellschaft gegenuber der Landwirtschaft doku-mentiert ist (Zander et al. 2013; Helmle 2011), wird dieBranche in der gesellschaftlichen Diskussion haufigund zunehmend scharf kritisiert. Die Kritik an derlandwirtschaftlichen Nutztierhaltung hangt maß-geblich mit einem wahrgenommenen Mangel anTierwohl und unzureichender Berucksichtigung derBedurfnisse der Tiere zusammen (Vanhonacker et al.2012; WBA 2015). Entwicklungen zu großeren Tier-bestanden in der modernen Nutztierhaltung undeine damit einhergehende fortschreitende Techni-sierung der Verfahren mit wenig Einblick inTierstalle und einer geringen Transparenz der Tier-haltung insgesamt fordern das Unbehagen beiVerbrauchern (Busch et al. 2013). Insgesamt sind sichVerbraucher jedoch unsicher, wann es den Tiereneher schlecht oder eher gut geht. Ihre Kriterien zurBewertung von Tierhaltungsverfahren und Tierwohlsind storanfallig (Wildraut et al. 2015).

Landwirte sehen derzeitige Tierhaltungssysteme alspositiv und innovativ, begrunden ihre Einschatzungenzum Tierwohl uber Gesundheits- und Leistungspa-rameter und bewerten aktuelle Verfahren der Tier-haltung als forderlich fur das Tierwohl (Te Velde et al.2002; Vanhonacker et al. 2008). Sie beklagen die oft-mals idealisierte ,,Museumslandwirtschaft‘‘ der

Verbraucher (vgl. Simons et al. in diesem Heft), die sieals entfremdet wahrnehmen und erachten die Forde-rungen nach einem verbesserten Tierschutz in derintensiven Tierhaltung als schwer umsetzbar.

So besteht zwischen der Wahrnehmung von Tier-haltungsverfahren durch Verbraucher und durchLandwirte eine deutliche Diskrepanz (Vanhonackeret al. 2008). Die Landwirtschaft insgesamt und aucheinzelne Personen bzw. die Landwirtsfamilien sehensich mittlerweile zunehmend unter Rechtferti-gungsdruck und bemangeln ihrerseits eine Kluftzwischen stetig steigenden moralischen Anspruchender Gesellschaft an die landwirtschaftliche Erzeu-gung auf der einen und unverandert niedrigenZahlungsbereitschaften auf der anderen Seite (Vier-boom et al. 2015). Der fehlende Konsens zwischenLandwirten und Verbrauchern in Bezug auf dieNutztierhaltung fuhrt bei den Tierhaltern zu Angstvor einem Verlust der sozialen Akzeptanz und der‘‘Licence to produce’’ (Busch et al. 2013; Te Velde et al.2002).

In die brancheninterne Diskussion zur Weiterent-wicklung von Tierhaltungsverfahren und dieVerbesserung des Tierwohls werden Verbraucherbislang nicht strukturiert einbezogen. Dabei scheintes problematisch, wenn sich die Nutztierhaltungwenig am offentlichen Diskurs beteiligt und statt-dessen mit Ruckzug oder Abschottung reagiert (WBA2015). Bisherige Kommunikationsstrategien derBranche und auch einzelner Landwirte fur mehrKonsens mit der Gesellschaft im Hinblick auf dieaktuellen Tierhaltungsverfahren beschranken sichhaufig auf einseitig ausgerichtete Aufklarungs-konzepte. Vor dem Hintergrund deranhaltenden Diskussionen scheinen sie nichtauszureichen, um die Kluft zwischen Verbraucherund Landwirten bei der Bewertung der Verfahrenund des Tierwohls zu verringern und die Konflikte zuFragen aktueller und kunftiger Tierhaltungsverfah-ren zu losen. Um eine langfristige Akzeptanz- undImageverbesserung zu erreichen, werden weitereKommunikationsansatze und -instrumente mit Pro-zessen gegenseitigen Lernens empfohlen (Spilleret al. 2016). Gleichzeitig fehlen allerdings Unter-suchungen zum Einsatz und zur Wirksamkeit neuerInstrumente.

Um diesem Defizit abzuhelfen, zielt die vorlie-gende Teilstudie darauf ab, die Einstellungen zurNutztierhaltung und zum Tierwohl vor, wahrend undnach gemeinsamen Gruppendiskussionen mit Ver-brauchern und Tierhaltern zu analysieren. Damit sollein Beitrag fur ein besseres Verstandnis des Konfliktsund der Kommunikation zwischen Landwirten und

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Verbrauchern in Bezug auf moderne Verfahren derTierhaltung geleistet werden. Daruber hinaus solluntersucht werden, inwieweit personliche Begeg-nungen in Form von moderiertenGruppendiskussionen dazu geeignet sind, die Kluftzwischen Landwirtschaft und Gesellschaft zuverringern.

2 Daten und Methode

Im Rahmen eines gemischt-methodischen Untersu-chungsdesigns wurden im Marz und April 2016 in 6unterschiedlichen Schwerpunktregionen der Tier-haltung in Deutschland gemeinsameGruppendiskussionen mit insgesamt 26 Verbrau-chern und 26 Landwirten (je Erhebung 4 bis 6Verbraucher und eine aquivalente Anzahl Landwirte)zu aktuellen Tierhaltungsverfahren durchgefuhrt.Jeweils 2 Diskussionsrunden bezogen sich auf dieTierarten Schwein (Nordrhein-Westfalen und Meck-lenburg-Vorpommern), Rind (Schleswig-Holstein undBayern) und Geflugel (Niedersachsen und Sachsen-Anhalt). Die Auswahl der Befragungsregionenerfolgte mit dem Ziel der Berucksichtigung vonViehdichten fur die 3 Tierarten in Nord-, Sud-, Ost-und Westdeutschland (bezogen auf StatistischeAmter des Bundes und der Lander 2011).

Die Auswahl und Rekrutierung der Landwirteerfolgte uber die berufsstandische Vertretung auf derjeweiligen Landesebene. Die Verbraucher wurdenuber ein Marktforschungsinstitut rekrutiert.Quotierungsvorgabe fur die Auswahl der Landwirtewar eine Einbeziehung verschiedener Produktions-systeme und die Teilnahme von mindestens einerFrau. Die Verbraucherstichprobe wurde nach Alter(18 bis 70 Jahre), Geschlecht (mindestens 50 % weib-lich) und Erwerbstatigkeit (mindestens 33 %erwerbstatig) quotiert, um eine breite Datengrund-lage zu erreichen. Der Konsum von tierischenProdukten (in Bezug auf die 3 Tierarten als Diskussi-onsthema) war Voraussetzung fur die Teilnahme derVerbraucher an der Untersuchung. Personen mitlandwirtschaftlichem Hintergrund waren von derVerbraucherstichprobe ausgeschlossen.

Als Leitfaden fur die moderierten Diskussionen mitden Teilnehmern dienten Thesen zur Tierhaltung, dieim Rahmen von zuvor getrennt durchgefuhrtenGruppendiskussionen mit Landwirten und Burgernals konfliktbehaftet abgeleitet worden waren (vgl.Rovers et al. in diesem Beitrag) und seitens derModeration in die Gruppe gegeben wurden. Fur jede

These stand eine Diskussionszeit von 10 Minuten zurVerfugung.

Um zu erfassen, ob sich die Meinungen der Land-wirte und der Verbraucher wahrend ihrer Diskussionuber die benannten Konflikte der Tierhaltungandern, wurde das qualitative Vorgehen in denGruppendiskussionen um einen quantitativen Parterganzt (Tashakkori & Teddlie 1998). Dazu wurde vorund nach den Gruppendiskussionen jeweils dieZustimmung zu Statements mit inhaltlichem Bezugzu den diskutierten Thesen anonym und standardi-siert anhand einer Skala abgefragt (Tab. 1). VolligeAblehnung der Statements entsprach dem Wert 1 aufder Skala, vollige Zustimmung entsprach dem Wert9. Zusatzlich wurde die Option ,,Kann ich nichtbeurteilen’’ angeboten.

Tab. 1 Eingesetzte Statements vor und nach gemeinsamenGruppendiskussionen mit Tierhaltern und Verbrauchern

Allgemeine Statements

1A Unsere Gesellschaft hat immer weniger direkten Bezugzur Landwirtschaft

1B Zur Landwirtschaft kann man sich nur uber die Medieninformieren

2A Nutztiere sollten bessere Haltungsbedingungenbekommen

2B Niemand will die entstehenden Mehrkosten fur bessereHaltungsbedingungen von Nutztieren tragen

3A Heutige Tierstalle sind sehr technisiert und automatisiert

3B Die Arbeit fur Tierhalter wird durch Technik leichter unddie Nutztiere konnen besser versorgt werden

4A Der Einsatz von Medikamenten in der Tierhaltung istkritisch zu sehen

4B Nutztiere sollen behandelt werden, wenn sie krank sind

5A Nutztiere haben Anspruch auf Fursorge undVerantwortung durch den Menschen

5B Nutztiere sollen uns in erster Linie zurLebensmittelproduktion dienen

In der Auswertungwurde die Gruppe der TierhalterderGruppederVerbraucher gegenubergestellt, umzuprufen, ob die inhaltliche Auseinandersetzungmit derThematik eineVeranderungder Beurteilungder State-ments bei Landwirten und Verbrauchern auslost.Dazu wurden zunachst die Mittelwerte der Bewer-tungender Statements durch Landwirte einerseits undVerbraucher andererseits berechnet und die Diffe-renzen auf signifikante Unterschiede durch den nicht-parametrischen Mann-Whitney-U-Test getestet. ImAnschluss wurden die Mittelwerte vor den Diskussio-nen den Werten nach den Diskussionen im nicht

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parametrischen Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Testgegenubergestellt und auf signifikante Unterschiedegetestet. Die beiden genannten Tests liefern auch inkleineren Stichproben robuste Ergebnisse.

Die moderierten Gruppendiskussionen wurden alsAudioaufnahme aufgezeichnet. Anschließenderfolgten eine Transkription und eine qualitativeInhaltsanalyse (basierend auf Mayring 2002). Hierbeiwurden uber ein Kategoriensystem mit Codes undSubcodes Textstellen markiert und die Texte damitfur die weitere dokumentenubergreifende Analysestrukturiert, z.B. bezogen auf inhaltliche Aspekteoder auf Kommunikationsmuster der Teilnehmer.

3 Ergebnisse

Die diskutierten Thesen, die sowohl fur Verbraucherals auch fur Landwirte Dilemmata darstellen, werdenvon beiden Gruppen teilweise ahnlich bewertet,teilweise aber auch kontrovers gesehen. Deutlichwird das am Grad der mittleren Zustimmung zu denabgefragten Statements vor den Diskussionen, derdie Ausgangsstandpunkte beider Gruppen wider-spiegelt, mit denen sie in den Dialog eintreten. (Tab.2). Die großte Zustimmung sowohl seitens der Ver-braucher als auch seitens der Tierhalter erfahren vorden Diskussionen die Statements 5A: ,,Nutztiere

haben Anspruch auf Fursorge und Verantwortungdurch den Menschen‘‘ und 4B: ,,Nutztiere sollenbehandelt werden, wenn sie krank sind‘‘. DieseGrundeinstellungen sind gleichzeitig bei beidenGruppen so fest verankert, dass sie auch im Verlauf

der Diskussionen und nach den Diskussionen keineAnderungen in den Bewertungen erfahren. Darinzeigt sich verbraucherseitig die hohe Bedeutung desTierschutzgedankens, der auch ethisch begrundetwird, wie dieses Zitat zeigt: ,,Ich finde, man sollte einTier trotzdem voller Respekt behandeln, auch wennes keinen Namen tragt‘‘.9 Die Tierhalter brachten einbesonderes Verhaltnis zu ihren Tieren zum Ausdruck,welches sich vom Verhaltnis der Industrie bzw. desGewerbes zu den dortigen ,,Produktionsfaktoren‘‘grundsatzlich unterscheidet. Sie betonen sowohl einprofessionelles als auch ein dazugehoriges emotio-nales Verhaltnis zu ihren Tieren: ,,Es ist ja unsereGrundlage. Die Grundlage unseres Wirtschaftenssind die Tiere und der Boden. Und damit gehen wirso gut um, wie es nur geht‘‘. Die moralische Ver-pflichtung im Umgang mit kranken Tieren sehen dieLandwirte als berufliche Selbstverstandlichkeit undalternativlos: ,,Wenn Tiere krank sind, mussen siebehandelt werden. Da gibt es gar keine Diskussion,das ist Tierschutz und Tierwohl‘‘. Die Verbraucherteilen diese Einschatzung, vermuten jedoch, dass derMedikamenteneinsatz durch Anderungen der Hal-tungsbedingungen reduziert werden konnte: ,,VieleErkrankungen entstehen ja dadurch, dass die Tiere soeng gehalten werden‘‘.

Die geringste mittlere Zustimmung beider Grup-pen sowohl vor als auch nach den Diskussionenerreicht das Statement 1B: ,,Zur Landwirtschaft kann

Tab. 2 Bewertung von Statements vor und nach gemeinsamen Gruppendiskussionen mit Tierhaltern und Verbrauchern

Art der Bewertungsanderung Statement Anderungen der Bewertung Bewertungen Vorher Bewertungen Nachher

V sig L sig V L D sig V L D sig

Keine Anderungen 1A 0,36 0,22 0,15 0,38 6,92 8,15 1,23 0,00 7,28 8,31 1,03 0,02

2B 0,09 0,91 0,19 0,57 5,70 6,54 0,84 0,22 5,79 6,35 0,55 0,49

4B 0,20 0,27 0,15 1,00 7,76 8,46 0,70 0,05 7,96 8,62 0,65 0,02

5A 0,27 0,28 0,12 0,50 8,04 8,50 0,46 0,15 8,31 8,62 0,31 0,18

Anderungen der Landwirte 1B 0,04 0,94 1,23 0,01 4,30 2,04 2,27 0,00 4,35 3,27 1,08 0,08

3A 0,08 0,56 0,38 0,04 7,50 7,35 0,15 0,99 7,42 7,73 0,31 0,37

Anderungen der Verbraucher 3B 1,40 0,01 0,15 0,55 6,40 8,12 1,72 0,00 7,80 8,27 0,47 0,21

5B 1,51 0,00 0,01 0,95 5,25 7,68 2,43 0,00 6,76 7,69 0,93 0,12

Anderungen beider Gruppen 2A 2,02 0,00 0,92 0,01 7,58 2,96 4,62 0,00 5,57 3,88 1,68 0,00

4A 2,37 0,00 0,81 0,03 7,87 3,96 3,91 0,00 5,50 4,77 0,73 0,29

Die Tabelle zeigt die Mittelwerte der Zustimmung zu den Statements (1 = stimme uberhaupt nicht zu bis 9 = stimme voll und ganzzu) fur die Verbraucher (V) und die Landwirte (L) vor und nach gemeinsamen Gruppendiskussionen, Unterschiede (D) zwischenVerbrauchern und Landwirten mit entsprechenden exakten 2-seitigen Signifikanzniveaus (sig) durch Mann-Whitney-U-Test und Ande-rungen der Bewertungen mit entsprechenden exakten 2-seitigen Signifikanzniveaus (sign.) durch Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test

9 Hierbei handelt es sich um Originalwortlaute aus denGruppendiskussionen.

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123

man sich nur uber die Medien informieren‘‘. Land-wirte lehnen diese Aussage noch deutlicher ab alsVerbraucher, nahern sich nach den Diskussionenallerdings deren Meinung an. Die Rolle der Medienwird von beiden Gruppen kritisch reflektiert, dieVerbraucher gehen davon aus, dass Informationenzur Tierhaltung in Medien nicht immer objektiv undneutral sind: ‘‘Ich glaube, es ist etwas primitiv, alles inden Medien zu glauben.’’ Gleichzeitig verdeutlichendie Diskussionen, dass vielen Verbrauchern trotzverschiedener Angebote von Seiten der Landwirtewie Hofbesichtigungen oder ,,Tage der offenen Tur‘‘Moglichkeiten fehlen, sich faktenbasiert uber dieLandwirtschaft und die aktuellen Verfahren derTierhaltung zu informieren. Den Verbrauchernmangelt es an emotionalen und zeitlichen Kapazita-ten: ,,Das ist ja eine Zeitfrage. Wir sind alleberufstatig und wenn wir jetzt alle so um 4, 5 Uhrnach Hause kommen und haben keine Lust mehr unsnochmal ins Auto zu setzen, aufs Land zu fahren undirgendwelche Bauern aufzusuchen und die zu fragenob das wirklich stimmt oder nicht, was man imFernsehen sieht.‘‘ Die Bewertungsanderung derTierhalter zu dem Statement deutet auf Verstandnisfur dieses verbraucherseitige Dilemma.

Die Statements 3B: ,,Die Arbeit fur Tierhalter wirddurch Technik leichter und die Nutztiere konnenbesser versorgt werden‘‘ und 5B: ,,Nutztiere sollenuns in erster Linie zur Lebensmittelproduktion die-nen‘‘ erfahren eine deutlich hohere mittlereZustimmung der Landwirte als der Verbraucher. Zubeiden Statements nahern sich die Verbraucher nachden Diskussionen in ihren Einschatzungen denLandwirten an. Im Verlauf der Diskussionen stellendie Landwirte die Vorteile des Technikeinsatzes in derTierhaltung heraus. Sie verweisen auf die Funktionals Kontrollinstrument fur die optimale Versorgungder Tiere: ‘‘Aber irgendwo gibt es die Alarmanlage,die plotzlich sagt: Die Futterung hat gar nicht funk-tioniert. Da ist was leergelaufen, oder das Wasser istda nicht angekommen. Da gibt es die Alarmanlage,die irgendwo das Handy des Betreibers anruft, undsagt ,,guck, da ist was im Stall nicht in Ordnung.’’Daneben verweisen sie auch auf eine Erhohung derBetreuungszeit fur die Tiere durch den Einsatz vonTechnik: ‘‘(…) alleine dadurch dass man den Mist zumBeispiel nicht mehr mit der Schubkarre rausschiebenmuss, habe ich ja auch mehr Zeit und kummere michums einzelne Tier.’’ Mit diesen Argumenten scheinensie die Verbraucher umstimmen zu konnen. DieLandwirte betonten auch den Unterschied zwischenNutztieren und Heimtieren und die Funktion, dieNutztiere letztlich fur die Verbraucher erfullen. Die

Verbraucher unterscheiden am Ende der Diskussio-nen deutlicher zwischen Nutztierhaltung undHeimtierhaltung: ‘‘Wenn wir uber Nutztiere spre-chen, weiß ich, dass das Leben kein Ponyhof ist.’’

In der Bewertung der Statements 2A: ,,Nutztieresollten bessere Haltungsbedingungen bekommen‘‘und 4B: ,,Der Einsatz von Medikamenten in derTierhaltung ist kritisch zu sehen‘‘ besteht vor denDiskussionen ein sichtbarer Dissens zwischen Ver-brauchern und Landwirten. Die Verbraucherstimmen beiden Statements deutlich zu, Landwirtelehnen sie eher ab. Nach den Diskussionen nehmenbeide Gruppen eine Veranderung ihrer Positionenein – Verbraucher noch deutlicher als Landwirte, undes kommt zu einer Annaherung der Einschatzungen.In den Diskussionen stellen die Landwirte Vergleichean und betonen die positiven Entwicklungen fur dieTiere: ,,Die Haltungsbedingungen, wenn man so dieletzten Jahre, Jahrzehnte zuruckgeht, die haben sichja deutlich verbessert, […] weil die Erkenntnisse ein-fach weiter gegangen sind‘‘. Sie stutzen sich aufGesetze und Richtlinien und verweisen auch auf ihrBerufsethos im Zusammenhang mit der Tierhaltung:,,Leitsatz eines jeden guten Landwirtes: Das ist unsereBerufung, unsere Leidenschaft und unsere Pflicht, dieTiere mit Fursorge und Verantwortung zu versor-gen‘‘. Daneben erklaren sie den Verbrauchern auchden wirtschaftlichen Druck in der Tierhaltung undbeschreiben mogliche dramatische Konsequenzendurch zusatzliche Tierwohlauflagen: ,,Wenn wirimmer mehr fordern, dann bin ich mir ganz sicher,dass dann demnachst die Schweinehaltung inDeutschland einfach ganz verschwindet‘‘. Bei denVerbrauchern erzielen sie offenbar einen deutlichenVertrauensgewinn und teilweise eine Erleichterung,was sich in der Anderung des Zustimmungsgrades zudem Statement widerspiegelt. Teilweise bleibenjedoch Zweifel und Unsicherheiten zu den Hal-tungsverfahren bestehen: ,,Gibt es keine Alternativedazu?‘‘

In Bezug auf den Medikamenteneinsatz in derTierhaltung zeigen die Landwirte Verstandnis fur dieBedenken der Verbraucher, z.B. im Hinblick aufmultiresistente Keime. Sie erlautern ihnen die Vor-gehensweisen der Behandlung kranker Tiere,einzuhaltende Wartezeiten und Monitoring-Pro-gramme der Antibiotikagaben. Am Ende derDiskussionen liegen die Bewertungen der Statementsdeutlich naher beieinander. Es wird ein gegenseitigesVerstandnis fur die Interessen und Bedenken derjeweils anderen Gruppe sowie eigene Reflexionensichtbar.

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4 Diskussion und Ausblick

Die Ergebnisse zeigen, dass Landwirte und Verbrau-cher auf unterschiedliche Wahrnehmungen derTierhaltung zuruckgreifen, dass beide Gruppengleichzeitig ein grundsatzliches Interesse an derVerbesserung des Tierwohls haben. Dieses Ergebnislasst sich ethisch als Beleg fur die Annahme verste-hen, dass die Fahigkeit zu speziesubergreifenderEinfuhlung und Empathie bevolkerungsgruppen-ubergreifend bei Landwirten und Verbrauchern weitverbreitet ist. Die Ergebnisse relativieren dabei dieErgebnisse von Te Velde et al. (2002) und Vanho-nacker et al. (2008), wonach fur Landwirte wichtigeKriterien zur Bewertung der Nutztierhaltung vorallem am Management, an technischen Verbesse-rungen und an Haltungssystemen an sichfestgemacht werden. Auf der anderen Seite zeigendie Ergebnisse, wie wichtig Verbrauchern ein fur-sorglicher Umgang mit den Tieren ist (Zander et al.2013).

Die unterschiedliche Bewertung der heutigen Tier-haltung ist darauf zuruckzufuhren, dass die Folgentierwohlfordernder Maßnahmen Landwirte und Ver-braucher unterschiedlich stark betrafen. In beidenGruppen beeinflusst vermutlich eine unterschiedlichstark ausgepragte Befangenheit die Wahrnehmungund Bewertung. Das ebenfalls unterschiedlich starkausgepragteUnwohlsein zumUmgangmit den Tierendurfte auch damit zusammenhangen, dass Landwirtesich einen ,,pragmatischen Umgang‘‘ mit ihren eige-nen Emotionen gegenuber den Tieren angeeignethaben. Verbraucher dagegen urteilen aus der Distanz.Dass bei Heimtier- und Nutztierhaltung mit zweierleiMaß gemessen wird, verletzt ihr Moral- undGerechtigkeitsempfinden.

Die Landwirte verfugten berufsbedingt uber einenWissensvorsprung zur Tierhaltung, der sich in einerasymmetrischen Kommunikationsstruktur mit einerdominanten Rolle der Landwirte widerspiegelt. DieErgebnisse der Gruppendiskussionen zeigen den-noch, dass Verbraucher grundsatzlich gegenuberLandwirten Vertrauen aufbauen konnen, wennInformationen glaubwurdig und vertrauenswurdigvermittelt werden. Falls Landwirte jedoch Verbrau-cher nicht ernst nehmen und versuchen, ihnen ,,ihreWahrheit’’ zu prasentieren, bewegen sich die Ver-braucher in ihrer Einstellung nicht und behalten ihreAnsichten und Zweifel bei.

Verstandnis fur die Schwierigkeiten der Verbrau-cher, sich aus eigener Anschauung ein Bild derNutztierhaltung zu machen, bietet Landwirten dieChance, auf diese Defizite einzugehen und

Moglichkeiten zu suchen, zentrale Aspekte derintensiven Tierhaltung nachvollziehbar zu vermit-teln. Auf der anderen Seite bietet der personlicheKontakt zu den Verbrauchern den Landwirten dieGelegenheit, nicht nur die Kritikpunkte an derNutztierhaltung sondern auch die Hintergrunde undMotivationen der Verbraucher zu verstehen. Durchdie Weiterentwicklung alternativer Tierhaltungssys-teme, die weniger erklarungsbedurftig sind, konnteverbraucherseitige Akzeptanz einfacher erzieltwerden.

Der in dieser Studie verwendete gemischt-methodische Ansatz mit einer Abfrage der Zustim-mung zu verschiedenen Statements vor und nachden Diskussionen bietet die Moglichkeit, Diskussions-ergebnisse oder Diskussionsergebnisse sichtbar zumachen und zu quantifizieren. Der Vorher-Nachher-Vergleich der Statementbewertungen zeigt 4 ver-schiedene Arten der Einschatzungsanderung nachden Diskussionen. Verbraucher andern ihre Einscha-tzung dabei deutlich starker als Landwirte. Sie sindoffener fur neue Informationen und neue Argu-mente und passen ihre Bewertung eher neuan – moglicherweise auch, weil die sich darausergebenden Konsequenzen (noch) nicht mitbedachtwerden (mussen). Landwirte, die in ihreEinschatzungen auch die eigenen betrieblichen oko-nomischen Zusammenhange einbeziehen, scheinenmehr daran interessiert, aufzuklaren als neue Infor-mationen aus den Diskussionen mit denVerbrauchern zu gewinnen. Deshalb andern sieihre Bewertungen nicht so stark wie dieVerbraucher.

Das Ziel, der landwirtschaftlichen Tierhaltungwieder zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen,wird von den politischen Akteuren ebenso wie vomAgrar- und Lebensmittelsektor geteilt. Die Unter-suchung der Kommunikation zwischen Landwirtenund Verbrauchern hat allerdings gezeigt, dass einerEinigung bisher langfristige ethische Hurden imWege stehen. Die Studie wirft zwar Licht auf dieFrage, inwiefern moderierte Gruppendiskussionen zueiner Annaherung der Einstellungen und Einschat-zungen von Verbrauchern und Landwirten fuhrenkonnen. Unklar bleibt aber insbesondere die zeitlicheStabilitat der neuen Bewertungen. Daher ist zu pru-fen, ob auch andere Formen von Begegnungenzwischen Tierhaltern und Verbrauchern geeignetsind, einen zielfuhrenden Dialog zur Weiter-entwicklung und Akzeptanz der landwirtschaftlichenNutztierhaltung in Deutschland zu fordern. Ohneweitergehende Forschung zur Tierwohl-Kommuni-kation zwischen Landwirten und Verbrauchern wird

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es auf absehbare Zeit vermutlich keinen Konsensuber die ,,richtigen‘‘ Veranderungen in der Nutztier-haltung geben.

Literatur

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Spiller A, von Meyer-Hofer M, Sonntag W (2016) Gibtes eine Zukunft fur die moderne konventionelleTierhaltung in Nordwesteuropa? Diskussionsbei-trag 1608, Diskussionspapiere. Department furAgrarokonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universitat Gottingen

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Te Velde H, Aarts N, van Woerkum C (2002) Dealingwith ambivalence: Farmers’ and consumers’ per-ception of animal welfare in livestock breeding.J Agric Environ Ethics 15:203–219

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WBA Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik beimBMEL (2015) Wege zu einer gesellschaftlichakzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten. Berlin

Zander K, Isermeyer F, Burgelt D, Christoph-Schulz I,Salamon P, Weible D (2013) Erwartungen derGesellschaft an die Landwirtschaft. Munster: Stif-tung Westfalische Landwirtschaft

176 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

Wahrnehmung der Nutztierhaltung – alles eineFrage der Kommunikation?

Nadine Gier*, Caspar Krampe*, Peter Kenning

Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre, insb. Marke-ting, Heinrich-Heine-Universitat, Universitatsstraße 1,40225 Dusseldorf, Gebaude 24.21, [email protected], [email protected]

Mit Kommentaren von Lucia A. Reisch, CCMP, Zep-pelin Universitat Friedrichshafen, Am SeemooserHorn 20, Friedrichshafen, Deutschland, [email protected]* Beide Autoren haben zu dem Artikel in gleichemMaße beigetragen.

1 Einfuhrung

Ziel der betrieblichen Kommunikationspolitik imRahmen der marktorientierten Unternehmensfu-hrung ist es u.a., Kunden und Verbraucher uber dieEigenschaften der angebotenen Produkte oder Ser-vices zu informieren (Verbeke & Ward 2006). ImKontext der in die Lebensmittelwirtschaft eingebun-denen Nutztierhaltung haben dabei nebenallgemeinen Angaben – zum Beispiel zur Art, derHerkunft, den ernahrungsphysiologischen Wertenoder den Verarbeitungseigenschaften – insbesondereInformationen uber die mit der Tierhaltung verbun-denen Praktiken eine hohe Bedeutung (Roininenet al. 2006; Wille et al. 2016). So spielen, vor demHintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Diskus-sion um artgerechte Tierhaltung und derzunehmenden Kritik an der Massentierhaltung,Aspekte der Prozessqualitat neben Kriterien der Pro-duktqualitat eine ubergeordnete Rolle beiKaufentscheidungen. Um den damit verbundenenInformationsbedarf der Verbraucher zu decken undam Markt hohere Prozessqualitaten zu signalisieren,werden von den Anbietern und Herstellernregelmaßig Kombinationen von Bild- und Textele-menten verwendet, deren Wirkungsweise dieWahrnehmung der Verbraucher auf kognitiver undemotionaler Ebene beeinflussen kann (Levin 1987). Esspielt also nicht nur die bewusste Wahrnehmungund Verarbeitung der Information eine Rolle, son-dern ebenso die unbewusste Wirkung derDarstellungsweisen, sogenannten Frames (Levin 1987;Levin et al. 1998).

Framingeffekte konnen auf unterschiedlicheWeise hervorgerufen werden. Ein Beispiel warenveranderte Umgebungselemente, wie beispielsweiseBildelemente am Point-of-Sale (PoS), die unter-schiedliche Assoziationen der Verbraucher beim Kaufvon tierischen Produkten aktivieren. Diese konneneinen positiven oder negativen Effekt auf das Kau-fempfinden bzw. -verhalten ausuben (Chowdhuryet al. 2008). Lange Zeit jedoch konnten diese, demVerbraucher meist unbewussten Einflusse, kaumempirisch erfasst werden. Demzufolge konnte derzugrundeliegende Mechanismus innerhalb dersogenannten ,,Black Box‘‘ oft nur theoretischbeschrieben werden (Kenning & Plassmann 2005).Mithilfe von neurookonomischen Analysen erscheintes nun aber moglich, die mit dem hier interessie-renden Verbraucherverhalten verbundenen, oftunbewussten neuralen Prozesse direkt, das heißt in -vivo zu beobachten und hinsichtlich ihrerVerhaltensrelevanz einzuordnen.

Die damit angesprochene Consumer Neuroscience(Kenning 2014) hat in einigen Fallen dazu beigetra-gen, eine erhohte Varianzaufklarung desVerbraucherverhaltens zu erlangen (Hubert & Ken-ning 2008; Kenning et al. 2017; Kenning & Plassmann2005; Kosslyn 1999; Plassmann et al. 2015). Daraufaufbauend konnten zukunftige Informationsstrate-gien und -maßnahmen entwickelt werden, die eineeffektivere und gegebenenfalls effizientere Kommu-nikation und Verbraucherinformation im Kontextder Nutztierhaltung ermoglichen.

Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einerSocialLab-Studie vor, bei der 2 Verfahren der Consu-mer Neuroscience eingesetzt wurden, um zuuntersuchen, wie kommunikative Maßnahmen direktam PoS zum Thema Tierwohl wahrgenommen unddamit ggf. kaufentscheidend werden konnen.

2 Methoden und Ergebnisse

Um die Wirkungsweise verschiedener Kommunika-tionsmaßnahmen auf die Verbraucherwahrnehmungim Bereich der Nutztierhaltung zu untersuchen,wurden im Rahmen des SocialLab-Projektes 2 soge-nannte ,,bildgebende‘‘ Methoden verwendet. Zumeinen handelte es hierbei um die funktionaleMagnetresonanztomografie (fMRT) (Dimoka 2010),zum anderen um die in vielerlei Hinsicht innovativefunktionale Nah-Infrarot Spektroskopie (fNIRS) (Kop-ton & Kenning 2014; Krampe et al. 2016). Die Studienund die Ergebnisse sollen im Folgenden kurz skizziertwerden.

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2.1 fMRT-Studie

Ziel der fMRT-Studie war es zu untersuchen, ob esmoglich ist, mit Hilfe der Theorie des regulatorischenFokus (Crowe & Higgins 1997) neurophysiologischeund oftmals unbewusst ablaufende Wahrnehmungs-prozesse im Kontext verschiedener Haltungsmetho-den der Nutztierhaltung zu interferieren. Diese Frageist deswegen bedeutsam, weil es bis dato unklar ist,ob kommunikative Maßnahmen uberhaupt einenEinfluss auf die Einstellung der Verbraucher in die-sem Bereich haben konnen oder ob dieentsprechenden Reaktionen nicht vielmehr quasireflexhaft ablaufen und im Gehirn mehr oder weni-ger ,,fest verdrahtet‘‘ sind. Um eine Antwort auf dieseFrage zu finden, wurde nach Freigabe des Studien-designs durch eine Ethikkommission eine fMRT-Analyse mit 29 Probandinnen und Probanden (AlterM = 41,45 Jahre, SD = 10,83; 14 weiblich)durchgefuhrt.

Im Vorfeld der MRT-Messungen wurden verschie-dene Haltungsmethoden der Nutztierhaltungentsprechend der regulatorischen Fokus Theorie alsInformationen differenziert formuliert. Dabei wur-den two Foki unterschieden: Der Promotionsfokus istdadurch gekennzeichnet, dass er Erfolge einer Maß-nahme in den Vordergrund stellt. Im Gegensatz dazuist es Merkmal des Praventionsfokus’, dass dieserSicherheits- und Schutzaspekte thematisiert. Aufgabeder Probanden war es, sich die entsprechend for-mulierte Information aufmerksam durchzulesen undim Nachgang eine bildlich dargestellte Haltungsme-thode zu betrachten und anschließend zu bewerten(Abb. 1). In den Analysen wurde die Gehinaktivitatwahrend des Informationszeitraums und der Bild-wahrnehmung zwischen den beidenFormulierungsarten analysiert.

Abb. 1 Versuchssequenz der experimentellen fMRT-Aufgabe.Eine Versuchssequenz bestand aus drei Abschnitten, die durcheine zeitlich randomisierte Pause getrennt waren (,,jitter‘‘). Indem Informationsabschnitt wurde zunachst die Informationuber eine Haltungsmethode genannt. Anschließend wurde dasdazugehorige Bild angezeigt. Schließlich sollte der Probanddiese Haltungsmethode bewerten

Die ersten Ergebnisse der neuralen fMRT-Analysezeigten, dass insbesondere der ventromediale pra-frontale Kortex (vmPFC) immer dann eine starkereAktivitat aufwies, wenn die Information im Promo-tionsfokus im Kontrast zum Praventionsfokusformuliert war (Abb. 2). Demzufolge erzeugt eineInformation, welche sich auf Erfolge, Errungen-schaften und Verbesserungen fokussiert, einestarkere neurale Reaktion in Hirnregionen, welchemit emotionalen Bewertungsprozessen assoziiert

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sind. Fruhere Studien der Consumer Neurosciencehaben zudem gezeigt, dass der vmPFC eine zentraleRolle fur das Bewertungssystem sowie das Kaufver-halten spielt (Bartra et al. 2013; Enax et al. 2015;Plassmann & Weber 2015). Dies bedeutet im Hinblickauf die Forschungsfrage zum einen, dass eineBeeinflussung neuraler Prozesse durch eine zielada-quate Darstellungsform der jeweiligen Informationoffenbar moglich ist. Zum anderen zeigt sich, dassInformationen beziehungsweise Darstellungsformen,die Verbesserungen beziehungsweise Erfolge einerMaßnahme in den Vordergrund stellen, eine erhohteneurale, subjektiv-emotionale Wertung erfahren alssicherheits- und schutz-orientierte Informationen.Betrachtet man zudem die zentrale Rolle von Emo-tionen im Konsumverhalten insgesamt, so scheinenentsprechend modifizierte Informationen die Fahig-keit zu besitzen, das Konsumverhalten auf neuralerEbene signifikant zu beeinflussen. Somit kann die Artund Weise der Kommunikation die Wahrscheinlich-keit erhohen, dass Informationen zur Tierhaltunghandlungsrelevante Implikationen fur die Verbrau-cher haben.

Betrachtet man diese Ergebnisse bezugnehmendauf das ubergeordnete Ziel der Wirkung unter-schiedlicher Darstellungsvarianten derTierhaltungsverfahren auf die (implizite) Wahrneh-mung und die moglicherweise daraus resultierendegesellschaftliche Akzeptanzgewinnung, so lasst sichfeststellen, dass die untersuchten Darstellungsweisendie neurale emotional-subjektive Wertung signifi-kant beeinflussen. In weiteren tiefergehendenAnalysen wird nun nach Tierhaltungsmethodendifferenziert, da Werte und a priori Einstellungeneinen Einfluss auf den Effekt von Kommunikation auf

die Akzeptanz haben konnen. So kann diese Studiedazu beitragen, differenzierte, akzeptanzforderndeKommunikation fur Verbraucher zu entwickeln.

2.2 fNIRS-Studie

Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurden erga-nzende fNIRS-Studien durchgefuhrt. Die mobile fNIRSbietet hierbei einen innovativen Ansatz die neuralenProzesse, ahnlich dem Prinzip der fMRT, mittelsLichtimpulsen zu quantifizieren (Kopton & Kenning2014). Durch die mobile Einsetzbarkeit konnen neur-ale Prozesse und assoziiertes Konsumentenverhaltenin einem naturalistischen Umfeld bemessen werden.Somit bestand das Ziel dieser Studien darin, zu prufen,welche neuralen Prozesse am PoS ablaufen, wennVerbraucher eine ,,echte‘‘ nutztierhaltungsrele-vante Kaufentscheidung unter realitatsnahenBedingungen treffen. Parallel hierzu sollte zudem dieValiditat der mobil einsetzbaren fNIRS untersuchtwerden. Hierbei zeigte sich zunachst, dass die mobilefNIRS eine valide neurowissenschaftlicheMethodik imForschungsfeld der ,,Consumer Neuroscience‘‘ dar-

stellt (Krampe et al. 2016). Aufbauend auf diesenersten Forschungsergebnissen wurde eine zweite Stu-die konzipiert, welche auf die Datenerhebung am PoSfokussierte und somit die mobile Einsetzbarkeit derfNIRS in einer innovativen Feldstudie prufen sollte.Hierzu wurden außerhalb der Offnungszeiten ineinem Lebensmittelmarkt uber der Selbstbedie-nungstheke fur Fleischwaren entweder biologisch-oder konventionell-orientierte Tierhaltungskommu-nikationsmaßnahmen (TKM), die als situative Framesfungierten, platziert. Um die neurale Reaktion derProbandinnen (n = 18; Alter durchschnittlich 41 Jahre,

Abb. 2 Neuraler Regulatorischer Fokus Effekt. Darstellung dersignifikanten Unterschiede zwischen den auf der regulatori-schen Fokustheorie basierten Informationen (Promotions-

fokus[ Praventionsfokus) in sagittaler, koronaler und axialerAnsicht (von links nach rechts), (Peak Voxel: MNI-Koordinaten -344 -10; rot p\ .001; gelb p\0.0001; weiß p\0.00001)

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SD = 7,96) auf die dementsprechend verandertenMarktaufbauten zu erfassen, wurden diese mit einenmobilen fNIRS- und Eye-Tracking-Gerat ausgestattet.Danach wurden sie gebeten, einem vorgegebenenEinkaufsweg zu folgen und einen Einkauf zu tatigen.

Im Rahmen der Datenanalyse wurde die Gehirn-aktivitat der beiden TKM (biologisch- undkonventionell-orientierte TKM) kontrastiert (Abb. 3).Die Ergebnisse der fNIRS Datenanalyse zeigten beieiner statistisch-liberalen Auswertung (p\0.1), dassinsbesondere Regionen des orbitofrontalen Kortex(OFC) sensitiv fur Veranderungen der TKM sind. So istdie neurale OFC-Hirnaktivitat im Kontrast zu kon-ventioneller TKM bei biologisch-orientierter TKMerhoht.

Erganzend zu den fNIRS-Daten wurden uber einenZeitraum von 6 Wochen die mit der TKM assoziiertenAbverkaufszahlen pseudo-randomisiert ermittelt.Hierbei zeigte sich fur die biologisch-orientierte TKMein signifikant hoherer durchschnittlicher Fleisch-waren-Wochenumsatz pro Kunde (WochenumsatzFleischware/Anzahl Kunden; t(5) = 2,65, p\0.05).Betrachtet man beide Befunde im Zusammenhang,so lasst sich schlussfolgern, dass biologisch-orien-tierte TKM zu einer hoheren neuralen Reaktion imOFC fuhrt. Dies wiederum weist auf eine erhoht-ak-tivierte, subjektive Bewertung der Probanden hin,welche offenbar verhaltensrelevante Auswirkungenauf das Einkaufsverhalten der Kunden hat.

Des Weiteren wurden die TKM mit Hilfe der fMRTim Labor untersucht, um Befunde zur umfassenderenLokalisierung der neuralen Aktivitat zu erganzen. DieResultate zeigen jedoch uberraschenderweise keinesignifikanten Aktivitatsunterschiede zwischen denbeiden verwendeten TKM (biologisch- und

konventionell-orientiert). Dies lasst vermuten, dassdie situative Prasentation der TKM im Markt, also amPoS, den entscheidenden Einfluss auf die neuraleReaktion der Kunden und den damit verbundenenoft unbewussten Kaufentscheidungsprozess hat.Somit scheint das Entscheidungsumfeld (also dersituative Frame), in welche die TKM platziert wird,eine zentrale Rolle einzunehmen. Dieser Aspekt wirdin der verbraucherpolitischen Diskussion uber inanderer Hinsicht optimierte Informations- undKommunikationsinstrumente oft ubersehen undunterstreicht noch einmal die zentrale Rolle desHandels, der das Entscheidungsumfeld maßgeblichgestaltet (vgl. hierzu auch den Beitrag ,,Standards,Hindernisse und Wunsche in der Nutztierhaltung –

Die Perspektive des Handels‘‘ im vorliegenden Heft).In Bezug auf das Ziel der Identifizierung der mit demrelevanten Verhalten neuropsychologischen Prozessezeigt die fNIRS-Technologie somit eine hohereexterne okologische Validitat und gibt wichtigeHinweise, die in einer weniger biotischen Studien-anlage nicht gewonnen werden konnten. Konkretzeigt sich, dass kaufentscheidende Phanomene ofterst am PoS entstehen – ein Resultat, dass die ver-haltensokonomische Konsumforschung als,,konstruierte Praferenzen‘‘ (constructive preferences)bezeichnet und mit der so genannten Query Theory(also ,,Abfrage-Theorie‘‘) begrundet (Johnson, Steffel,& Goldstein, 2005). Dies unterstreicht in metho-discher Hinsicht noch einmal die besondere Bedeu-tung der mobilen fNIRS und verdeutlicht theoretischdie Rolle sogenannter ,,exogener Praferenzen‘‘ in denentsprechenden Entscheidungsprozessen.

Abb. 3 Neurale Wirkung von TKM. Darstellung des Kontrastesbiologisch-orientierte vs. konventionell-orientierte TKM (n = 18;dunkel rot p\0.1; Regionen des OFC in schwarzer Box) (rechts).

Links oben: biologisch-orientierte TKM; links unten: konventionell-orientierte TKM

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4 Ausblick und Implikationen

Betrachtet man die dargestellten Forschungsergeb-nisse bezugnehmend auf das ubergeordnete Ziel, dieneuropsychologische Wirkung unterschiedlicherDarstellungsvarianten der Tierhaltungsverfahren aufdie Wahrnehmung und die moglicherweise darausfolgende gesellschaftliche Akzeptanzgewinnungbesser zu verstehen, so lasst sich feststellen, dass dieuntersuchten Darstellungsweisen die implizitenneurophysiologischen Prozesse signifikant beeinflus-sen. Insbesondere scheint die oftmals impliziteWirkungsweise von Darstellungsvarianten der Tier-haltungsverfahren bedeutsam zu sein. Des Weiterenspielt der Prasentationsrahmen – das Framing – eineentscheidende Rolle in der (impliziten) Kommunika-tionswahrnehmung und -verarbeitung derVerbraucher. Es ist daher wichtig, diese Aspekte –Darstellung und Kontext – bei der Gestaltung vonKommunikationen im Bereich der Nutztierhaltungkunftig noch starker zu beachten. Und auch wenndie Ergebnisse der vorgestellten Studien vorlaufigsind und erste Hinweise geben, in welche Richtungweiter geforscht werden sollte, so wird docherkennbar, dass die Frage nach dem ,,Wie?‘‘ bei derGestaltung von Verbraucherinformationen auch indiesem Bedarfsfeld kunftig von Bedeutung sein wird.

Die Ergebnisse bestarken zudem die zunehmendin der sozialwissenschaftlichen Konsumforschunggewonnene Erkenntnis, dass individuelle Faktorenwie Wissen, Einstellungen und Handlungsintentio-nen zwar durchaus bedeutend sind fur dieKaufentscheidung, dass jedoch der unmittelbareEntscheidungskontext der letztlich ausschlaggebendist.

Die Ausfuhrungen sind zum Teil das Ergebnis einerumfassenden Diskussion mit Kollegen, denen wir zuDank verpflichtet sind. Er gilt allen Projektpartnerndes Verbundprojektes ,,SocialLab – Nutztierhaltungim Spiegel der Gesellschaft‘‘, insbesondere den Kol-legen des Privaten Forschungs- undBeratungsinstituts fur angewandte Ethik und Tier-schutz INSTET gGmbH (Prof. Dr. Jorg Luy) und derRheinischen Friedrich-Wilhelm-Universitat Bonn(Prof. Dr. Monika Hartmann). Zudem danken wir FrauAnja Westphal und Frau Carina Hoffmann fur dietatkraftige Unterstutzung im Rahmen der Datener-hebung. Die Forderung des Vorhabens erfolgte ausMitteln des Bundesministeriums fur Ernahrung undLandwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlussesdes deutschen Bundestages. Die Projekttragerschafterfolgte uber die Bundesanstalt fur Landwirtschaft

und Ernahrung (BLE) im Rahmen des Programms zurInnovationsforderung (FKZ: 2817203413).

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182 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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Zur Konzeption einesVerbraucherinformationssystems als Erganzung –oder Alternative? – zum klassischenInformationslabel

Nadine Gier1, Caspar Krampe1, Lucia A. Reisch2, PeterKenning1

1Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre, insb. Marke-ting, Heinrich-Heine-Universitat, Universitatsstraße 1,40225 Dusseldorf, Gebaude 24.212Zeppelin Universitat Friedrichshafen, Am SeemooserHorn 20, [email protected]

1 Hintergrund und Zielsetzung

Eine wesentliche Problematik moderner Volks-wirtschaften bilden die oft durch arbeitsteilige Pro-zesse und entsprechend ausdifferenzierteWertschopfungsketten induzierten Informations-asymmetrien zwischen den Anbietern und Nachfra-gern einer Leistung. Beim Thema ,,Tierwohl‘‘ kommthinzu, dass dies eine Vertrauenseigenschaft (,,Cre-dence Attributes‘‘) des Produktes darstellt, derenAuspragung vom Verbraucher, beispielsweise beimProdukt ,,Fleisch‘‘, am Point-of-Sale (PoS) kaum fest-gestellt werden kann.10 Die Informationsokonomikhat auf dieses Marktversagen reagiert und verschie-dene Ansatze entwickelt, solche Informa-tionsasymmetrien zu reduzieren. Die klassische Ant-wort der Verbraucherpolitik ist das ,,Signaling‘‘ mitHilfe von ,,Labels‘‘ oder ,,Siegeln‘‘. Im Kern sollendiese dem Verbraucher auf den ersten Blick, leichtverstandlich und verlasslich eine – mehr oder weni-ger – bestimmte Qualitat signalisieren (Eberle et al.2011; Olaizola und Corcoran 2003; Reisch 2003).

Mit diesem Ansatz verbinden sich mehrere Vor-teile: So bieten Label zum Beispiel in derLebensmittelwirtschaft die Moglichkeit, den Ver-braucher direkt am PoS uber produktspezifischeVertrauenseigenschaften, wie bspw. Tierwohl- oderBio-Aspekte, zu informieren (Eberle et al. 2011; Jans-sen und Hamm 2012; Olaizola und Corcoran 2003;Reisch 2003). Dabei lassen sich Label-Qualitaten inunterschiedlicher Breite und Tiefe definieren. Wah-rend beispielsweise ,,gentechnikfrei‘‘ einProzessattribut betrachtet, behandeln Bioqualitats-

oder QS-Siegel umfassendere Merkmale. Diese setzendabei durchaus auf Halo-Effekte, also auf Qualitats-vermutungen, die uber die eigentliche Qualitat desProduktes hinausgehen.

Recht schnell stoßen Label jedoch an ihre Grenzenund erzeugen oftmals unerwunschte Nebeneffekte(Eberle et al. 2011; Franz et al. 2010). So konnen Ver-braucher beim alltaglichen Einkauf durch die Vielzahlan Labeln, verbunden mit einem geringen Involve-ment, verwirrt und uberfordert werden (Roosen et al.2003; Verbeke 2005, 2008). Gerade im Bereich derNutztierhaltung gibt es eine Flut an Labeln, so dassbisweilen je nach Qualitatsprufung dasselbe Produktmit mehreren, unterschiedlichen Labeln gekennze-ichnet werden kann. So fordert u.a. auch der Bundes-verband der Verbraucherzentrale mehr Transparenzund eindeutige Kennzeichnungen im Bereich desTierwohls in der Nutztierhaltung (VZBV 2017). DieseVielfalt und gelegentliche Inkonsistenz hat Auswir-kungen auf die Glaubwurdigkeit der einzelnen Labelund zeigt, dass das Labelsystem in seiner jetzigen Formwohl einen ,,abnehmenden Grenznutzen‘‘ hat (Ver-braucherkommission Baden-Wurttemberg 2011). DieVerfugbarkeit label-induzierter Information stelltheute somit kein Maximierungs-, sondern ein lokalesOptimierungsproblem dar, das in der Praxis auferhebliche Probleme stoßt (Kenning et al. 2017). Vordiesem Hintergrund ist es Ziel des im Folgenden zuskizzierenden Forschungsprojektes, Hinweise fur diezukunftige effektive und, nach Moglichkeit, effizienteGestaltung der Kommunikation von Verbraucherin-formationen zu geben. Darauf aufbauend sollenPolitik- und Kommunikationsempfehlungen fur diegesetzliche und privatwirtschaftliche Umsetzung vonKennzeichnungsmaßnahmen abgeleitet werden. Umdieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Ansatzeder Verbraucherinformation diskutiert und Erkennt-nisse aus bisherigen Forschungsarbeiten genutzt, umbestehende Instrumente zu optimieren bzw. zu erga-nzen oder Alternativen zum bisherigen System derInformationsokonomik durch klassische Label zuentwickeln.

2 Methodik

Um das Themenfeld der Verbraucherinformationzunachst phanomenologisch zu durchdringen, wur-den im ersten Schritt im Kontext der Nutztierhaltungder Informationsstand, die Informationsbeschaffung,sowie der Informationseinfluss von und zu Verbrau-chern mittels einer Literaturrecherche und einerflankierenden Fokusgruppe untersucht. Die aus derqualitativen Sozialforschung stammende Methode

10 In wenigen Fallen (wie bei der ,,glasernen Produktion‘‘)bieten Anbieter die Moglichkeit, bspw. per QR Code auf derPackung direkt in den Stall zu schauen oder sogar sein eigenesJungtier aufzuziehen und verarbeiten zu lassen. Selbst indiesen Fallen bleiben jedoch Vertrauensmerkmale bestehen.

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 183

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der Fokusgruppe (Krueger und Casey 2014) ermo-glicht es, den Informationsprozess aus Sicht derVerbraucher zu begreifen und mogliche Anschluss-kriterien fur die Informationsbereitstellung und-beschaffung zu identifizieren. Im konkreten Pro-jektfall wurden mit Hilfe einer moderiertenDiskussion 9 Verbraucher/innen eingeladen, sich u-ber die Thematik der Informationskommunikationim Bereich der Nutztierhaltung auszutauschen unddiese zu diskutieren. Anhand der daraus gewonne-nen Erkenntnisse konnten unterschiedlicheBedurfnisse und Motive der Verbraucher an Infor-mationsinhalten und zur Informationsbeschaffungzum Thema Nutztierhaltung unterschieden werden.Daraus abgeleitet wurden in einer tiefergehendenLiteraturrecherche Alternativen zu den heutigenAngeboten der Verbraucherinformation gesucht,welche bereits durch Studien erste Hinweise auf ihreEffektivitat geben oder in ahnlicher Form in anderenBereichen genutzt werden.

3 Ausgewahlte Ergebnisse

Im Rahmen der Fokusgruppe zeigte sich, dass retro-spektiv wahrgenommene Informationen lediglichauf das Herkunftsland sowie quantitative Kennzahlenwie Haltbarkeit, Preis und Gewicht, beschranktwaren und insgesamt eher undifferenziert undoberflachlich erinnert wurden. Informationen zurHaltungs- und Schlachtungsweise sowie zur Futter-bzw. Medikamentenzugabe wurden zwar in derFokusgruppe als wunschenswerte Information gen-annt; sie scheinen jedoch in empirischen Studien beider Kaufentscheidung kaum eine Rolle zu spielen(Andersen 2011; Harper und Henson 2001; Olaizolaund Corcoran 2003). Des Weiteren schienen dieVerbraucher nicht grundsatzlich, sondern eher aus-nahmsweise bewusst und aktiv nach ausfuhrlicherenInformationen zu suchen und nur gewisse Angaben –je nach individuellem Involvement und personlicherSituation – als relevant einzuordnen. Auch Labelschienen hier wenig zu bewirken, da es oft keinenentsprechenden Informationsbedarf gibt. Als Konse-quenz wurden Label von der Fokusgruppeuberwiegend als unverstandlich beschrieben undihre Fulle und Vielfalt eher als lastig empfunden.Gleichwohl teilten die Verbraucher die Meinung,dass Labels die einzige Moglichkeit boten, sich uber

die Produkte und deren Eigenschaften am PoS zuinformieren. So wurde die Verpackung als einzigeInformationsoberflache angesehen, die neben demsubjektiven Aussehen des eigentlichen ProduktesAufschluss uber dessen Merkmale geben konne. ImGegensatz zu diesen grundsatzlichen Aussagenschien das Informationsbedurfnis bei den Verbrau-chern in der Fokusgruppe nur dann erhoht zu sein,wenn durch Skandale – wie BSE in Rindfleisch oderdie kritische Berichterstattung uber unzureichendeTierhaltungsverfahren – der sorgenfreie Konsumvon Fleischwaren eingeschrankt wird. In diesem Fallwerden aus ,,vertrauenden‘‘ Verbrauchern, die sichdurch eine durchaus rationale Naivitat auszeichnen,offenbar ,,verantwortungsvolle‘‘ Verbraucher, dieein entsprechend gesteigertes Informationsbedurf-nis haben (Micklitz et al. 2010; Wobker et al. 2012).So gaben die Verbraucher an, wahrend solcher Kri-senzeiten, welche auch moralischer Natur seinkonnen, einen erhohten Informationsbedarf zuhaben und vermehrt auf Label zu achten oderalternativ auf den ,,Metzger des Vertrauens‘‘zuruckzugreifen.

Im Ergebnis zeigt sich, dass Label eher eine situa-tive Relevanz haben und je nach Kontext undInvolvement selektiv durch die Verbraucher wahr-genommen werden. Zwar werden Label eherwahrgenommen und konnen kaufentscheidungs-wirksam sein, wenn sie einfach und intuitiv gestaltetund auf der Vorderseite der Verpackung angebrachtsind, und durch entsprechende Kommunikations-kampagnen begleitet werden (Grunert 2002; Padillaet al. 2007), jedoch sind sie wahrend eines gewohn-lichen Einkaufs eher wenig relevant. In (moralischen)Krisenzeiten hingegen gewinnen sie an Bedeutung,weisen dann aber oftmals zu wenig Informationenauf, so dass erganzende Informationsquellen, die oftmit Personenvertrauen ausgestattet sind, hinzuge-zogen werden. Dieses Ergebnis stimmt mit deraktuellen Forschungslage uberein, nach der einindividueller, moglichst personalisierter, zeitlich-fle-xibler und differenzierter Informationsfluss denVerbrauchern in ihren Entscheidungen helfen kann,ohne diese dabei zu uberfordern (de Jonge et al. 2015;Eberle et al. 2011; Kenning et al. 2017, S.289; Reisch2003; Weinrich und Spiller, 2016). Die folgendeAbbildung verdeutlicht diesen Zusammenhanggrafisch.

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3.1 Multilayer statt Binaritat

Das oben skizzierte Label-Dilemma hat aus Sicht derVerbraucher Konsequenzen: So wird ein hoher Preisbei unzureichender Information uber die ,,wahren‘‘Produkteigenschaften oftmals als Barriere gesehen(Boogaard et al. 2006; Larceneux et al. 2012; Napoli-tano et al. 2010; Padel und Foster 2015). EineDifferenzierung innerhalb der offenbar schwanken-den preislichen Grenzen und moralischen Ansichtenist somit kaum moglich: Dem einen Verbraucher istes zumeist zu teuer, dem anderen ist es zu wenig,,bio‘‘. Angesichts dieser Heterogenitat ware eszweckmaßig, den Verbrauchern die Moglichkeit zueroffnen, nach individuellem Involvement diejenigeProduktinformation zu beziehen, welche die infor-mierte Kaufentscheidung nach den eigenen, ggf.zeitlich instabilen, Praferenzen ermoglichen kann.Diese Moglichkeit ließe sich durch die Integrationeines sogenannten multi-layer Labelsystems eroffnen(de Jonge et al. 2015; Eberle et al. 2011; Weinrich undSpiller 2016). In diesem System geht es nicht nur umdie binare Unterscheidung zwischen gelabelten undungelabelten Produkten, sondern es wird innerhalbder Labelstruktur in weitere Stufen (Layer) unter-schieden. Durch die Einfuhrung vonDifferenzierungsebenen konnen somit psychologi-sche Effekte wie zum Beispiel Kompromiss- oderAnziehungseffekte entstehen, welche den Ver-brauchern erlauben, nach ihrem Involvementinnerhalb ihrer Preisgrenzen zu entschieden. ErsteImplementierungen eines noch recht einfachen

angebotsseitig induzierten multi-layer Label zeigensich in den Niederlanden (,,Beter Leven‘‘) bzw. inDanemark (,,Bedre Dyrevelfærd‘‘). Empirische Stu-dien bestatigen, dass die so erreichteAusdifferenzierung der Labelstruktur zu einem ho-heren Marktanteil von Tierwohlprodukten fuhrt, dieHeterogenitat und individuellen Bedurfnisse derVerbraucher besser abgedeckt und auch zeitlichschwankende Zahlungsbereitschaften ,,abgegriffen‘‘werden konnen (de Jonge et al. 2015; Weinrich undSpiller 2016).

Problematisch ist jedoch, dass nach wie vor eineVielzahl an Information (Tierwohlhaltung, Fairtrade,Gentechnik, Inhaltsstoffe, u.v.m.) auf den Verpa-ckungen angeboten wird, die in den allermeistenFallen, nicht benotigt wird. So sind einzelne Infor-mationen (z.B. Laktose-, Gluten- oder Nussanteil) nurfur spezielle Kaufergruppen relevant oder werdennur nach besonderen Vorkommnissen oder morali-schen Krisen durch den Verbraucher aktivnachgefragt. Die damit verbundene Logik ist infor-mationslogistisch ineffizient und kann zudem zu derbereits erwahnten Verwirrung und Uberforderungder Verbraucher am PoS fuhren. Die in Abbildung 1skizzierte Problematik ware somit allenfalls teilweisebehoben.

Eine Losung dieser Problematik konnte darinbestehen, den Informationsfluss nach einem anderenPrinzip zu organisieren und den multi-layer Ansatzum eine vertikale, nachfrageorientierte und damitzeitlich flexible Perspektive zu erweitern (Eberle et al.2011). Im Ergebnis wurde der Informationsfluss somit

Abb. 1 Informationsangebot und -bedarf im Zeitablauf. Der Informationsbedarf nimmt in Krisenzeiten zu und ist sonst meistgering. Diese Variabilitat kann das Informationsangebot durch ein starres Label nicht bedienen

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 185

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nicht nach einem generellen, zeitlich unflexiblen,,Push-Ansatz‘‘ organisiert werden, wie es bei einemklassischen Labelansatz der Fall ist, sondern vielmehrnach einem ,,Pull-Prinzip‘‘, welches nicht nur zeitlich-flexibel ware, sondern auch den verschiedenen ver-brauchertypenspezifischen Informationsbedarfen/-typen, die sich situativ andern konnen, entsprechen

wurde (Micklitz et al. 2010; Wobker et al. 2012). Beidieser Losung konnten sich Verbraucher bspw.anhand von aufeinander aufbauenden Fragen, dieder Logik sogenannter ,,ereignisorientierter Prozess-ketten‘‘ (EPK) entspricht (analog zur Organisation vonbetrieblichen Informationsflussen im Rahmen vonManagementinformationssystemen (z.B. SAP R/3)),die Informationen in der Informationstiefe beschaf-fen, welche ihrem (situativen) Involvement bzw. Typentsprechen. Durch bereits bekannte Technologien,wie einen QR-Code uber eine Smartphone-App odereinem im Markt installierten Informationsterminal,konnten so verantwortungsvolle Verbraucher bspw.bei einer Produktneueinfuhrung im Bereich der,,Fleischware‘‘ das Produkt einscannen. Sie wurdendann allgemeine Informationen zum Produkt erhal-ten, welche zum Beispiel das Produkt zunachst nacheiner einfachen multi-layer Labellogik kennzeichnen.Anschließend und anhand der integrierten EPKkonnten diese Verbraucher individuell detailliertereInformationen zum Produkt auf den verschiedenenLayerebenen erlangen (Abb. 2). Durch diese Konzep-tion wurde der breitere und tiefere

Informationsbedarf dieser Verbrauchertypen infor-mationslogistisch effizient befriedigt werden undintegriert in einen klar vorgegebenen politischenRahmen konnte eine entsprechende Labelflutmoglicherweise verhindert werden (Eberle et al.2011).

3.2 Zur Konzeption einesVerbraucherinformationssystems im Rahmen derNutztierhaltung

Ein dieser Konzeption entsprechender Ansatz, dereine Vielzahl an bereits vorhandenen Verbraucher-informationen integrieren konnte und daruberhinaus eine bedarfsgerechte, situative Informations-beschaffung ermoglichen wurde, bestunde in derEntwicklung eines offentlich verfugbaren Verbrau-cherinformationssystems (VIS) am PoS. Dieses fur dieNutztierhaltung durchaus innovative System soll imFolgenden kurz skizziert werden.

Ein Informationssystem ist ein Ansatz, welcher inder Betriebswirtschaft ursprunglich Informations-nachfragen effizient und effektiv in ein Systemintegrieren sollte (Becker und Schutte 2004; Schutte2011). Als VIS kann man analog hierzu ein Systembezeichnen, welches den Verbrauchern ermoglicht,durch die Nutzung von Informationstechnologienund dementsprechend informierte Kaufentschei-dungen die Wertschopfungskette nach dem Pull-

Abb. 2 Konzeption eines vertikalen und horizontal differenzierten Multi-layer Informationssystems. Durch eine Integration vonereignisorientierten Prozessketten (EPK) kann der Verbraucher Informationen, welche der gewunschten Informationstiefe und -breite entsprechen, aktiv anfragen

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Prinzip weiterzuentwickeln und mitzugestalten (Tu-unanen et al. 2010).

Anders als bei Informationssystemen bspw. imberuflichen Kontext, wo Nutzer auf das System furihre Arbeitstatigkeit angewiesen sind und vor allemEffektivitat und Effizienz wichtige Parameterdarstellen, sollte bei dem individuellen Gebrauchdurch Verbraucher eine Balance zwischen Nutz-lichkeit und Benutzerfreundlichkeit gefunden wer-den. Denn nur wenn die Verbraucher einenutilitarischen und hedonischen Nutzen erfahren,wird sich ein solches System dauerhaft etablierenkonnen (Tuunanen et al. 2010). Ahnliche Anwendungzeigen sich bereits fur Obst und Gemuse (Max Rub-ner-Institut 2015) und im deutschen Backerhandwerk(baeckerhandwerk.de). Mit Hilfe eines Informations-terminals konnen sich Kunden dort uber dieangebotenen Waren informieren und individuelleProduktinformationen abrufen. Dadurch wird keinunverstandliches Etikettierungssystem benotigt undfachkundige Beratungsgesprache werden durch eineweitere Informationsquelle erganzt. Welche Ansatzeund Herausforderungen ein solches VIS aus theore-tisch-konzeptioneller Sicht integrieren musste undwelche Treiber der Verbraucher den Gebrauchermoglichen, wurde bereits in einem ersten Rah-menkonzept zusammengefasst, welchesinsbesondere den folgenden Aspekten Rechnungtragt (vgl. Tuunanen et al. 2010). Ein VIS sollte dieVerbraucher individuell nach situativer und perso-nlicher Relevanz und Involvement uber die Produkteinformieren, sodass diese selbst bestimmen, welcheInformationen sie wann erhalten wollen. Dies konntezum Beispiel anhand von QR-Codes in Kombinationmit Smartphone-Apps oder Informationsterminals imMarkt realisiert werden.

Das VIS sollte eine Schnittstelle zu sozialen Netz-werken beinhalten. Dort sollte eine unabhangigeModeration erganzt durch Expertenmeinungen vonLandwirten, Handlern und Wissenschaftlern statt-finden. Im Bereich der Nutztierhaltung konntenbspw. verifizierte Nutzer (Verbraucher) aktuelle, fursie relevante Themen (z.B. Medienberichte undWarnhinweise) untereinander und mit unabhangi-gen Experten diskutieren und Erfahrungen (z.B.Meinungen, Kochideen und Angebote) austauschen.Dadurch wird eine Identitatskonstruktion erzielt,welche den Nutzer an den Service bindet und auch

ein Crowdsourcing ermoglicht (vgl. Enkel in Ken-ning/Lamla 2017). Zudem sollte das VIS denAnwendungskontext (z.B. am PoS) berucksichtigen,da dieser einen Einfluss auf das Nutzungsverhaltenhaben wird. Verbraucher sind in diesem System einwichtiges, zentrales Element und konnen die Gestal-tung und Nutzlichkeit des Informationssystemsdurch ihren Gebrauch entscheidend beeinflussen(Tuunanen et al. 2010). Der Gestaltungsprozess desVIS ist entsprechend voraussetzungsvoll: Zum einensind der Zeitpunkt und die Art der Teilnahme an derGestaltung des Service durch die Verbraucher fest-zulegen, sodass die Ziele und Anspruche derVerbraucher an das VIS den gewunschten Nutzenerzeugen. Zum anderen mussen die Informationen,welche in dem VIS verwendet werden, effektiv undeffizient aggregiert und integriert werden (vgl.Oehler und Kenning 2013). Denkbar ware es, dassbereits vorhandene Systeme kombiniert werden undInformationen aus vertrauensvollen und unabha-ngigen Quellen integriert werden. Kompatible SAP-Systeme, welche bereits vom Handel genutzt werden,konnten im VIS eine Schnittstelle bilden und so Ver-brauchern Informationen zum Beispiel zur Herkunftder jeweiligen Produkte bereitstellen. So konntenbspw. handelsbezogene Daten aus den Warenwirt-schaftssystemen freigegeben werden und mitweiteren Daten (z.B. aus dem Bundesinformations-zentrum Landwirtschaft, BZL) im VIS zu einemmultilayer Informationsansatz aufbereitet undverknupft werden (Abb. 3).

Um den Handel zu motivieren, die jeweiligenSysteme zu offnen und zu pflegen ware es denkbar,die entsprechenden Investitionen zu fordern. Dasnotige Vertrauen in das VIS konnte durch die Unab-hangigkeit und ein glaubwurdiges Monitoring derInhalte gewahrleistet werden. Die verwendetenDaten sollten von offentlichen Institutionen wie z.B.der Bundesanstalt fur Landwirtschaft und Ernahrung(BLE) verwaltet werden, wobei es wichtig ist, dassInformationsstandards vereinheitlicht werden undinterne Qualitatskriterien, welche sich zurzeit u.a.durch private Bio-Label außern, sichtbar und trans-parent von unabhangigen Informationen getrenntwerden (Verbraucherkommission Bayern 2012).Angesichts dessen bote sich insgesamt ein modula-rer, integrativer Aufbau an (Abb. 3).

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 187

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4 Ausblick

Labels bieten mitunter die einfachste Moglichkeit,den Verbraucher am PoS zu informieren. Sie stoßenjedoch oftmals an ihre Grenzen. Aufbauend aufqualitativen und quantitativen Studien kann manrasch erkennen, dass dieser starre Ansatz der Ver-braucherinformation moglicherweise durchdifferenziertere, horizontal und vertikal organisierteAlternativansatze zu optimieren ware. Sinnvollerware es, einen systemischen Ansatz in der Form einesVIS zu verfolgen. Durch ein solches System ware esmoglich, die Informationsbedarfe der Verbraucher fle-xibel und informationslogistisch optimal zu bedienen.

Die folgenden Ausfuhrungen sind zum Teil dasErgebnis einer umfassenden Diskussion der Autorenmit verschiedenen verbraucherpolitisch aktivenWissenschaftlern, denen wir zu Dank verpflichtetsind. Er gilt allen Projektpartnern des Verbundpro-jektes ,,SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel derGesellschaft‘‘, insbesondere den Kollegen desThunen-Instituts fur Marktanalyse (Dr. Inken Chri-stoph-Schulz), der Technischen Universitat Munchen(Prof. Dr. Jutta Roosen) und der Georg-August-Uni-versitat Gottingen (Prof. Dr. Achim Spiller).

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SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 189

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Der Einfluss von Nachrichtentexten uber dieTierhaltung auf das soziale Vertrauen in Landwirte

Sabine Groß und Jutta Roosen

Lehrstuhl fur Marketing und Konsumforschung, TUMSchool of Management, Technische UniversitatMunchen, Alte Akademie 16, 85354 Weihenstephan,[email protected]

Zusammenfassung

Vertrauen kommt eine wichtige Bedeutung in wirt-schaftlichen Ablaufen zu. Besonders in Verbindungmitlandwirtschaftlichen Produkten ist Vertrauen notig, daviele Attribute nicht vom Verbraucher uberpruft wer-den konnen und dieser damit auf die Aussagen vonProduzenten und Verbraucherorganisationen ange-wiesen ist. Kritisch ist weiterhin, dass Vertrauenasymmetrische Eigenschaften aufweist und dadurchleichter zerstort als gebildet werden kann. In einerUntersuchung mit 1600 Teilnehmern werden dieDynamiken der Entstehung und Zerstorung von Ver-trauen beleuchtet. Mittels verschiedenerNachrichtentexte wird gepruft, wie verschiedeneAbsender und Tendenzen einer Nachricht das sozialeVertrauen von Verbrauchern beeinflussen konnen.Ergebnisse zeigen, dass die Effekte negativer Nach-richten starker sind als die positiver Nachrichten.Weiterhin ist die Wirkung einer Nachricht vomAbsender abhangig. Fur die gesamte Stichprobe stei-gert eine positive Nachricht seitens der Politik dasVertrauen und eine negative Nachricht einer Ver-braucherorganisation senkt das Vertrauen. Allgemeinwirken die gezeigten Nachrichtentexte negativ aufjene Personen, die zuvor ein hohes Vertrauen besaßen.

1 Einfuhrung

Vertrauen kommt eine besondere Bedeutung furjene Bereiche zu, in denen wenig Wissen vorherrscht(Siegrist und Cvetkovich 2000; Grabner-Krauter undKaluscha 2003) oder auch in riskanten Situationen(Mayer et al. 1995). Dies trifft auch fur typische Ver-trauensattribute beim Kauf von Lebensmitteln, wieder Produktionsweise, zu (Kenning und Wobker2012). Hier sind Verbraucher angewiesen auf Infor-mationen, die sie von Produzenten oder Handlern,aber auch Verbraucherorganisationen erhalten.

Vertrauen wird auch verwendet, um eine Verbrau-chertypologie zu erstellen. Entsprechend ihremRisikoempfinden und der Art und Weise ihrer Infor-mationsgewinnung unterscheiden Micklitz u. a. (2010)

drei verschiedene Idealtypen von Verbrauchern: ,,ver-letzliche‘‘, ,,verantwortungsvolle‘‘ und ,,vertrauende‘‘Verbraucher. Der ,,vertrauende‘‘ Verbraucher greiftaufgrund von Zeit- und Interessensmangel auf dieInformationen glaubwurdiger Institutionen zuruck,wohingegen der ,,verletzliche‘‘ Verbraucher eher uber-fordert ist und der ,,verantwortungsvolle‘‘ Verbrauchersich moglichst vollstandig informiert.

Bezuglich verschiedener Quellen zur Informations-gewinnung zeigen Untersuchungen einerseits, dassverschiedene Quellen als unterschiedlich vertrau-enswurdig wahrgenommen werden (Chryssochoidiset al. 2009). Zusatzlich kann das Framing unterschiedli-cher Quellen einen Einfluss darauf haben, dassNachrichten als wahr oder falsch interpretiert werden(Deppe et al. 2005). Rosati und Saba (2004) zeigen, dassbei der Bewertung der Informationsquelle im Zusam-menhang mit Lebensmittelrisiken denVerbraucherorganisationen ein hoheres Vertrauen ent-gegen gebracht wird als Regierungen oderProduzentenorganisationen. Auch bei Gutesiegeln vari-iert das Vertrauen in Abhangigkeit davon, ob das Siegelvon Regierungs- oder Nichtregierungsorganisationenbzw.der Industrievergebenwird (McKendreeetal. 2013).Ein hohes Vertrauen von Verbrauchern in die Herstellervon Produkten ist gerade fur Produzenten wichtig, daVertrauen die Zahlungsbereitschaft steigern und denEinfluss von negativen Nachrichten puffern kann(Roosen et al. 2015).

Besonders die Informationen, die durch Medienwie Internet, Fernsehen oder Rundfunk verbreitetwerden, konnen von Produzenten kaum gesteuertwerden. Daher ist es wichtig, den Einfluss von ver-schiedenen Informationen auf das Vertrauen zukennen. Generell ist der Einfluss von positiven undnegativen Nachrichten ungleich. NegativeNachrichten oder Ereignisse bleiben langer imGedachtnis, haben einen großeren Effekt und sindglaubwurdiger (Slovic 1993; Cvetkovich et al. 2002).Vertrauen besitzt asymmetrische Eigenschaften. Es istmoglich, Vertrauen relativ leicht zu zerstoren, jedochist der Aufbau von Vertrauen ein langwieriger Pro-zess (Slovic 1993). Daher ist es wichtig die Dynamikender Entstehung und Zerstorung von Vertrauen,gerade im Bereich der Landwirtschaft undlandwirtschaftlicher Produktionsarten, zu ergrun-den. Dieses Thema ist von besonderer Bedeutung, dadie Lebensmittelproduktion von verschiedenenMedien mit unterschiedlichen Tendenzen diskutiertwird. Hier trifft der Gegensatz aufeinander, dassStudien einerseits von einem hohen Vertrauen in denBeruf des Landwirts berichten (Burkl et al. 2014).Andererseits fehlt fur viele Landwirte jedoch die

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wahrgenommene gesellschaftliche Akzeptanz ihresTuns.

Obwohl Vertrauen Gegenstand vieler Forschungs-bereiche ist, fehlt es an einer allgemeingultigenDefinition. Haufig wird die Definition von Rousseauet al. (1998) vorgebracht, dass beim Vertrauen dieeigene Verwundbarkeit in Kauf genommen wird undgleichzeitig beim Gegenuber positive Absichtenunterstellt werden. Es wird in der Literatur zwischenpersonellen und institutionellen Vertrauen unter-schieden, um zu beschreiben, ob es sich bei dem zuVertrauenden um eine Person oder eine Institutionhandelt (Poortinga und Pidgeon 2003; Rampl et al.2012). Hier wird das Konstrukt des ,,sozialen Ver-trauens‘‘ verwendet, das nach Earle und Cvetkovich(1995) beschreibt, dass die Verantwortung fur einebestimmte Aufgabe weitergegeben wird. Earle undCvetkovich (1999) geben an, dass es sich beim sozia-len Vertrauen im Bereich der Risikokommunikationum nicht-personelles Vertrauen handelt, bei demman die zu vertrauende Person oder Institution nichtkennt. In der vorliegenden Studie soll daher derEinfluss von verschiedenen Nachrichten auf das Ver-trauen in Landwirte untersucht werden. Hierzuwurde eine Online-Befragung mit 1600 Teilnehmerndurchgefuhrt. Die Teilnehmer wurden einem vonvier Informationsszenarien zufallig zugeordnet undihr soziales Vertrauen in Landwirte vor und nach derLekture eines Nachrichtentextes gemessen. Die Ana-lyse wurde fur die Teilstichproben getrennt nachGeschlechtern (mannlich und weiblich) und ursprung-lichem Vertrauensgrad (hohes und niedrigesVertrauen bei der ersten Messung) durchgefuhrt. Inverschiedenen Studien hat sich gezeigt, dass Frauenweniger Vertrauen als Manner haben (z.B. Alesinaund La Ferrara 2002) und sich Nachrichten starker

bei skeptischen Personen auswirken (Poortinga undPidgeon 2004).

2 Material und Methoden

Im Herbst 2016 wurde eine Online-Umfrage mit 1600Teilnehmern durchgefuhrt um Aufschluss zur Dyna-mik der Entstehung und Zerstorung von Vertrauenzu erhalten. Die Stichprobe war fur die in Deutsch-land lebende Bevolkerung bezuglich der MerkmaleAlter, Geschlecht, Bildung, Einkommen und Beschaf-tigungsstatus reprasentativ. Der Fragebogen bestandaus 2 Teilen. Zunachst wurde das Konstrukt ,,sozialesVertrauen‘‘ nach Earle und Cvetkovich (1995)gemessen. Hierfur gaben die Befragten den Gradihrer Zustimmung zu 4 Aussagen uber Landwirteund Nutztierhaltung auf einer Skala von 1 (Stimmeganz und gar nicht zu) bis 6 (Stimme voll und ganzzu) an. Eine explorative Hauptkomponenten Faktor-analyse bestatigte das Konstrukt ,,soziales Vertrauen‘‘mit 3 Aussagen und einem Cronbach’s a von 0,875.

Im zweiten Schritt wurden die Teilnehmer zufalligeinem von 4 Informationsszenarien zugeordnet.Diese Szenarien beinhalten einen Nachrichtentextvon verschiedenen Absendern (Regierung oder Ver-braucherverband) und Tendenzen (positiv odernegativ) und sind der Tabelle 1 zu entnehmen. DieTexte wurden fur die Befragung auf Basis von Zei-tungsartikeln, Pressemitteilungen und Webseitenkonzipiert. Die Kategorisierung von Absendern undTendenzen wurde den Befragten nicht explizitgenannt. Die Tendenzen und Absender wurden vorabin einer Vorstudie mit 60 Teilnehmern uberpruft,wobei sich die Identifikation der Absender fur dieProbanden teilweise als schwierig gestaltete.

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 191

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Anschließend wurde erneut das Vertrauengemessen, indem die Befragten ihre Zustimmung zuden bereits im ersten Schritt 4 verwendeten Aussa-gen uber Landwirte und Nutztierhaltung angaben.Zunachst werden die deskriptiven Statistiken fur diegesamte Stichprobe angegeben. Nach einem globa-len Vergleich der Effekte der Nachrichtentextemittels Mittelwertsvergleich wird im nachsten Schrittdie Stichprobe nach Geschlecht aufgespalten. Mittels

jeweils einer einfaktoriellen Varianzanalyse fur Man-ner und Frauen wird der Einfluss der Nachrichten-texte auf das Vertrauen uberpruft. Fur dieGruppeneinteilung nach dem ursprunglichen Ver-trauensgrad wird die Stichprobe am Mittelpunkt derSkala geteilt, sodass eine Gruppe ,,niedriges Ver-trauen‘‘ fur Werte\ 3 der ersten Abfrage dessozialen Vertrauens und eine Gruppe ,,hohes Ver-trauen‘‘ fur Werte C 3 entsteht.

Tab. 1 Ubersicht der Nachrichtentexte

Politik positiv

Deutschland als Vorreiter in Sachen Tierschutz

Deutschland nimmt beim Tierschutz europaweit eineFuhrungsrolle ein. Die in der deutschen Landwirtschafteingesetzten, modernen Techniken der Tierhaltung ermoglichenes, Nutztiere so artgerecht wie noch nie zu halten. So fordernbeispielsweise ideal abgestimmte Futterrationen und helleLaufstalle das Tierwohl. Auch die Haltungsformen haben sich inden vergangenen Jahren grundlegend gewandelt und verbessert.Bereits 86 % aller Legehennen in Deutschland leben in Boden-,Freiland- und Oko-Haltung. In anderen EU-Landern stammen nochdeutlich mehr Legehennen aus ausgestalteter Kafighaltung

Die Bundesregierung will auch in Zukunft Vorreiter in SachenTierschutz bleiben und arbeitet gemeinsam mit derLandwirtschaft an neuen Wegen zur weiteren Verbesserung derTierhaltung

Verbraucherorganisation positiv

Vorstand der Verbraucherzentrale betont Fortschritte in derTierhaltung

Moderne Landwirtschaft, Tierhaltung in großen Bestanden undindustrielle Verarbeitung von Tieren ist ,,nichts an sich Schlechtes‘‘.Das betonte der Vorstand des VerbraucherzentraleBundesverbandes (vzbv) vergangene Woche am Rande desVerbraucherpolitischen Forums seines Verbandes in Berlin. DieLandwirtschaft in Deutschland sei ,,Gott sei Dank nicht mehr aufdem Stand von 1800‘‘. Den Nutztieren gehe es heute wesentlichbesser als fruher. Der Vorstand pladierte dafur, in derKommunikation gegenuber den Verbrauchern ein realistisches Bildder heutigen Landwirtschaft zu vermitteln. Es sei fur denVerbraucher irrefuhrend, wenn vor allem bei der Tierhaltung ein,,uberholtes Bild der Landwirtschaft, dass es heute nicht mehrgibt‘‘, gezeichnet werde. Das gelte es zu vermeiden, betonte derVerbraucherschutzer

Politik negativ

Die Haltung zum Tierschutz muss sich andern

Christian Schmidt, Bundesminister fur Ernahrung undLandwirtschaft, mochte, dass es den Tieren am Ende seinerLegislaturperiode besser geht als heute. Seit 2002 steht derTierschutz als Staatsziel im Grundgesetz. ,,Es wird Zeit, dass wir eingemeinsames Verstandnis vereinbaren, was dies beispielsweise furdie Nutztierhaltung konkret bedeutet’’, sagt Schmidt. Er mochteden Tierschutz weiter starken, sowie gesetzgeberisch handeln, woes notwendig ist. Dabei darf es nicht bei schonen Worten bleiben,wie es bisher leider oft der Fall ist. Die Politik will bewertbare undklare Indikatoren entwickeln, die Ziele fur die Landwirtschaftvorgeben und auch den Erfolg der freiwilligen Initiativen messbarmachen

‘‘Jeder muss an seinem Platz Verantwortung ubernehmen – derStaat durch Rahmenbedingungen, die das Wohlbefinden vonTieren fordern, die Landwirte, die es in die Tat umsetzen, und wirals Verbraucher, die an der Ladentheke mitentscheiden’’, soSchmidt

Verbraucherorganisation negativ

Der Mythos der artgerechten Tierhaltung

Die Fleischbranche wirbt zunehmend mit ,,artgerechter‘‘Tierhaltung – doch was bedeutet das tatsachlich fur das Wohl derTiere? Alternative Tierhaltungsformen, wie z.B. Freiland oder Biobei Legehennen, scheinen zwar auf den ersten Blick artgerechterzu sein, garantieren jedoch nicht, dass es den Tieren tatsachlichbesser ergeht. Bei der Haltung von landwirtschaftlichenNutztieren sind Verhaltensstorungen, Krankheiten und Schmerzenan der Tagesordnung. Schweine knabbern sich gegenseitig ausStress die Schwanze ab, Kuhen wird Milch aus kranken Euternabgepumpt und in Geflugelstallen ist Kannibalismus ,,normal‘‘.Mangelhafte Tierbetreuung und schlechtes Managementverursachen eine Vielzahl von vermeidbaren Erkrankungen undTodesfallen bei den Tieren – das gilt fur alle Haltungsverfahren, obbio oder konventionell

Deshalb fordern wir gesetzliche Zielvorgaben fur dieTiergesundheit: An die Bedurfnisse der Tiere angepassteHaltungsverfahren mussen zum allgemeinen gesetzlichenStandard werden. Alle Kontrollergebnisse zuHaltungsbedingungen und Gesundheitsdaten mussenveroffentlicht werden. Verstoße mussen konsequent geahndetwerden

192 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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3 Ergebnisse

3.1 Deskriptive Statistiken

Die Ergebnisse der deskriptiven Analyse sind inTabelle 2 dargestellt und geben neben dem Mittel-wert auch die Standardabweichung an. DieStichprobe war reprasentativ fur die deutsche Be-volkerung und weist annahernd eine Gleichvertei-lung der Geschlechter auf. Im Durchschnitt warendie Befragten 48,7 Jahre alt. Mindestens eine fach-gebundene Hochschulreife besaßen 32,1 % derBefragten. Die Haushaltsgroße betrug 2,3 Personenund das monatliche Netto-Haushaltseinkommen lagbei der Mehrheit der Teilnehmer (52,1 %) uber 2.000Euro. Die Einteilung der Stichprobe entsprechendihres ursprunglichen Vertrauens ergibt, dass etwa24 % der Befragten ein niedriges soziales Vertrauenzu Beginn der Befragung aufweisen.

3.2 Globale Effekte der Nachrichtentexte

Zunachst wird der Gesamteffekt der 4 Nachrichten-texte untersucht. Die Ergebnisse desMittelwertsvergleichs sind der Tabelle 3 zu entneh-men. Nur die positive Nachricht der Politik und dienegative Nachricht einer Verbraucherorganisationkonnten signifikante Ergebnisse im Mittelwertsver-gleich erzielen und sind entsprechend der Erwartungvertrauenssteigernd bzw. vertrauenssenkend. DerEffekt der negativen Nachricht der Verbraucheror-ganisation war dabei großer als jener der positivenNachricht seitens der Politik (-0,32 gegenuber?0,21). Der nachste Schritt stellt die Wirkung derNachrichtentexte nach Geschlecht und ursprung-lichem Vertrauen dar.

Tab. 2 Deskriptive Statistik der Gesamtstichprobe

Variable Definition Mittel-wert

Standard-abweichung

Geschlecht 1 = weiblich, 0 = mannlich 0,506 0,500

Alter 48,658 15,610

Bildung In 6 Kategorien

(Noch) kein Schulabschluss 1,6%

Hauptschulabschluss(Volksschulabschluss)

31,7%

Abschluss der polytechnischenOberschule

7,2%

Realschulabschluss,Handelsschule (Mittlere Reife)

27,3%

Fachabitur, Abitur (Allgemeineoder fachgebundeneHochschulreife)

15,2%

Fachhochschulabschluss,Hochschulabschluss

16,9%

Haushaltsgroße Personen im Haushalt 2,230 1,097

Einkommen Gemessen als monatliches Haushalts-Nettoeinkommen

Unter 500 Euro 2,1%

500 bis 899 Euro 7,1%

900 bis 1.299 Euro 13%

1.300 bis 1.499 Euro 8,9%

1.500 bis 1.699 Euro 7,2%

1.700 bis 1.999 Euro 9,6%

2.000 bis 2.599 Euro 16,4%

2.600 bis 3.199 Euro 12,3%

3.200 bis 4.499 Euro 14,8%

4.500 bis 5.999 Euro 6,1%

Mehr als 6.000 Euro 2,5%

Vertrauen Manner vor dem Erhalt einerNachricht

3,581 1,104

Frauen vor dem Erhalt einer Nachricht 3,457 1,178

Manner nach dem Erhalt einerNachricht

3,561 1,090

Frauen nach dem Erhalt einerNachricht

3,439 1,218

Niedriges 1 = wenn Wert des Konstrukts,,soziales

0,244

ursprunglichesVertrauen

Vertrauen‘‘ vor der Nachricht kleinerals 3 ist, 0 = wenn nicht

Tab. 3 Mittelwertsvergleich der Vertrauensanderung nachNachrichtentexten

Politik Verbraucherorganisation

Positiv Negativ Positiv Negativ

VeranderungVertrauen

? 0,21*** - 0,04 ? 0,05 - 0,32***

*, **, *** geben die Ergebnisse eines t-Tests mit einem Signifi-kanzlevel von 0,05, 0,01, 0,001 an

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 193

123

3.3 Effekte der Nachrichtentexte nach Geschlecht undursprunglichem Vertrauen

DieErgebnissedereinfaktoriellenVarianzanalyse sind inTabelle 4 fur die TeilstichprobeManner und in Tabelle 5fur Frauen dargestellt. Es wurde jeweils zwischen den 4verschiedenen Nachrichtentexten unterschieden undjeweils nach ursprunglich hohem und niedrigen Ver-trauen. Es zeigt sich dabei, dass die individuellenVeranderungen innerhalb einer Gruppe nicht signifi-kant sind, jedoch zwischen den Gruppen signifikanteUnterschiede bestehen. Der F-Test auf unterschiedlicheMittelwerte zwischen den Gruppen ist sowohl fur dieTeilstichprobederMannermitF(7, 782) = 12,71,wieauchfur die der Frauenmit F(7, 802) = 20,80 hochsignifikant(p\0,001).

Die Lekture eines Nachrichtentextes fuhrt beiMannern mit ursprunglich niedrigem Vertrauengrundsatzlich zu einer Vertrauenssteigerung. Dengroßten Effekt erzielt dabei die positive Nachricht einerVerbraucherorganisation (? 0,340). Dahingegen sen-ken alle Nachrichtentexte das Vertrauen von Mannern,wenn sie ursprunglich ein hohes Vertrauen besaßen.Hier ist die starkste Veranderung bei der negativenNachricht einer Verbraucherorganisation (- 0,333) zusehen. Insgesamt fuhren die Nachrichtentexte bei Man-nern zu einer Vertrauenssenkung. Mittels einemBonferroni Post-Hoc Test wurden die Unterschiede zwi-schen den Personen mit ursprunglich niedrigen undhohen Vertrauen uberpruft. Mit Ausnahme der negati-ven Nachricht der Politik (p = 0,053) sind alleUnterschiede in der Wirkung der Nachrichtentexte sta-tistisch signifikant (p\0,01).

Frauen reagieren ahnlich auf die Lekture einesNachrichtentextes wie Manner. Grundsatzlich wir-ken Nachrichten auf Frauen mit ursprunglichniedrigem Vertrauen vertrauenssteigernd. Hiervonist jedoch die negative Nachricht einer Verbrau-cherorganisation ausgenommen, die ebenfalls beiFrauen mit ursprunglich niedrigem Vertrauen dasVertrauen senkt (- 0,175). Die starkste Veranderungbei Frauen mit ursprunglich niedrigem Vertrauenerzielte die positive Nachricht seitens der Politik(? 0,594). Nachrichtentexte fuhren bei Frauen mitursprunglich hohen Vertrauen zu einer Senkung desVertrauens. Hier bildet die positive Nachricht seitensder Politik die Ausnahme, die auch fur Frauen mitursprunglich hohem Vertrauen dieses erhoht(? 0,304). Die großte Veranderung bewirkte beiFrauen mit ursprunglich hohem Vertrauen dienegative Nachricht der Verbraucherorganisation(- 0,553). Insgesamt senken die Nachrichtentextedas Vertrauen von Frauen. Der Bonferroni Post-HocTest zeigte fur die negative Nachricht der Politik(p\0,01) und die positive Nachricht der Verbrau-cherorganisation (p\0,01) signifikanteUnterschiede zwischen den Frauen mit ursprunglichniedrigem und hohem Vertrauen.

Tab. 4 Mittelwert der Vertrauenseffekte der Informationsszenarien furManner, aufgeschlusselt nach ursprunglichem Vertrauen, Standardab-weichung in Klammern

Politik positiv** Niedriges Vertrauen ? 0,340

(0,766)

Hohes Vertrauen - 0,074

(0,631)

Politik negativ Niedriges Vertrauen ? 0,299

(0,625)

Hohes Vertrauen - 0,090

(0,652)

Verbraucherorganisation positiv*** Niedriges Vertrauen ? 0,496

(0,741)

Hohes Vertrauen - 0,016

(0,641)

Verbraucherorganisation negativ*** Niedriges Vertrauen ? 0,317

(0,915)

Hohes Vertrauen - 0,333

(0,778)

Anzahl 790

Gesamt - 0,021

(0,735)

***, **, * geben ein Signifikanzlevel von 0,05, 0,01 und 0,001 an mit einem Post-Hoc Bonferroni Test

Tab. 5 Mittelwert der Vertrauenseffekte der Informationsszenarien furFrauen, aufgeschlusselt nach ursprunglichem Vertrauen, Standard-abweichung in Klammern

Politik positiv Niedriges Vertrauen ? 0,594

(1,076)

Hohes Vertrauen ? 0,304

(0,697)

Politik negativ** Niedriges Vertrauen ? 0,326

(0,756)

Hohes Vertrauen - 0,169

(0,707)

Verbraucherorganisation positiv** Niedriges Vertrauen ? 0,365

(0,699)

Hohes Vertrauen - 0,112

(0,816)

Verbraucherorganisation negativ Niedriges Vertrauen - 0,175

(0,732)

Hohes Vertrauen - 0,553

(0,939)

Anzahl 810

Gesamt - 0,018

(0,872)

***, **, * geben ein Signifikanzlevel von 0,05, 0,01 und 0,001 an mit einem Post-Hoc Bonferroni Test

194 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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Grundsatzlich haben Frauen starker auf dieLekture eines Nachrichtentextes reagiert mit Aus-nahme der Frauen mit niedrigem ursprung-lichem Vertrauen, die eine Nachricht einer Verbrau-cherorganisation erhalten haben.

4 Diskussion der Ergebnisse und Fazit

Unser Experiment bestatigt, dass negative Nachrich-ten einen großeren Einfluss auf das Vertrauen vonVerbrauchen haben als positive Nachrichten. Weiter-hin rufen generell die positive Nachricht der Politikund die negative Nachricht einer Verbraucherorga-nisation signifikante Vertrauensanderungen hervor.Es lasst vermuten, dass die beiden anderen Informa-tionsszenarien nicht zu signifikanten Anderungengefuhrt haben, da es sich um eine nicht-kongruenteVerbindung fur Verbraucher von Adressat und Ten-denz einer Nachricht gehandelt hat. Einemultivariate Auswertung der Nachrichtentexte unterEinbezug der wahrgenommenen Absender konntehier weiter Aufschluss geben.

Weiterhin konnten wir zeigen, dass Frauen starkerauf das Gelesene reagiert haben als Manner. EinePanelregression konnte weiteren Aufschluss uber denEinfluss von soziodemografischen Angaben undHeterogenitat liefern.

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196 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

Weiterentwicklung landwirtschaftlicherNutztierhaltungsverfahren fur mehr Tierwohl ausSicht von Tierhaltern – Ergebnisse aus moderiertenGruppendiskussionen

Christiane Wildraut1 und Marcus Mergenthaler1

1Fachhochschule Sudwestfalen, Fachbereich Agrar-wirtschaft, [email protected]

1 Einleitung

Die Perspektive von Landwirten auf Tierwohl undTiergerechtheit ist seit einigen Jahren Gegenstandzahlreicher Untersuchungen (z.B. Spooner et al. 2014;Van Huik & Bock 2007). Angestoßen durch gesell-schaftlich veranderte Einstellungen gegenuber derNutztierhaltung (WBA 2015) werden brancheninternzunehmend intensive Diskussionen zur Weiter-entwicklung von Tierhaltungsverfahren gefuhrt. DieVerbesserung des Tierwohls besitzt fur Landwirte inDeutschland dabei inzwischen einen hohen Stellen-wert (Zapf et al. 2015). Sie messen Tierwohlvornehmlich uber Gesundheits- und Leistungspara-meter (Heise & Theuvsen 2015) und bewerten aktuelleVerfahren der Tierhaltung als positiver gegenuberfruheren Verfahren, auch mit Blick auf das Tierwohl(Te Velde et al. 2002; Vanhonacker et al. 2008).Gesellschaftliche und brancheninterne Diskussionenzur Weiterentwicklung von Tierhaltungsverfahrenim Hinblick auf mehr Tierwohl werden derzeitweitgehend nebeneinander gefuhrt (WBA 2015).Besonders innerhalb der konventionellen Landwirt-schaft fuhrt die gesellschaftliche Kritik in Bezug aufdie Nutztierhaltung zu Befurchtungen, die sozialeAkzeptanz und damit die ‘‘Licence to produce’’ zuverlieren (Busch et al. 2013; Te Velde et al. 2002). Vongesellschaftlicher Kritik sind Landwirte personlichbetroffen, da sie diejenigen sind, die unmittelbarEinfluss auf die Haltungsbedingungen und damit aufdie Gestaltung der Lebensumwelt der Tiere nehmen(Waiblinger 1996). Durch Investitionsentscheidungenin technische und bauliche Haltungssystemebestimmen sie langfristig die Weiterentwicklung derNutztierhaltung.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die Einstel-lungen von Tierhaltern zur Weiterentwicklung derNutztierhaltung in Deutschland zu erfassen und zu

analysieren. Damit soll eine Einschatzung aus derLandwirtschaft zu zukunftsfahigen Konzepten mitmehr Tierwohl fur die Rinder-, Schweine- undGeflugelhaltung gewonnen werden. Konkret solluntersucht werden, welche Maßnahmen Landwirteeinzelbetrieblich und fur die Branche sehen undwelche Hemmnisse die Konzeptentwicklung und dieUmsetzung neuer Haltungsverfahren moglicher-weise beeintrachtigen. Aus den Ergebnissen sollenerste Empfehlungen fur Beratung und Politik abge-leitet werden, gesellschaftlich akzeptierte und vonTierhaltern befurwortete Verfahren der Tierhaltungzu unterstutzen.

2 Daten und Methode

Von September bis Dezember 2016 wurden in ver-schiedenen Schwerpunktregionen der Tierhaltunginsgesamt 6 Gruppendiskussionen mit Tierhal-tern (Rind, Schwein und Geflugel) zurWeiterentwicklung landwirtschaftlicher Tierhal-tungsverfahren durchgefuhrt. Die Auswahl derStandorte erfolgte unter Berucksichtigung der Vieh-dichten fur die drei Tiergruppen in verschiedenenRegionen Nord-, Sud-, Ost- und Westdeutschlands(bezogen auf Statistische Amter des Bundes und derLander 2011). Die Diskussionen zur Schweinehaltungfanden in Nordrhein-Westfalen und in Mecklenburg-Vorpommern, zur Milchviehhaltung in Schleswig-Holstein und Bayern und zur Geflugelhaltung inNiedersachsen und in Sachsen-Anhalt statt (Tab. 1).Die Rekrutierung der Landwirte erfolgte uber dieDeutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), uberArbeitskreise, Verbande und Beratungsorganisatio-nen sowie uber die Landwirtschaftskammern bzw.-amter. Bei der Quotierung wurde darauf geachtet,verschiedene Produktionsstufen und Haltungssys-teme sowie beim Geflugel verschiedene Tierarteneinzubeziehen. Eine weitere Vorgabe bestand darin,dass an jeder Diskussionsrunde mindestens eine Frauteilnehmen sollte, was bei 5 der 6 Diskussionsrundenerreicht werden konnte. Insgesamt haben sich jeweilszwischen 5 und 8 Landwirten an den Diskussionenbeteiligt.

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Inhaltlich orientierten sich die moderierten Dis-kussionen an 6 aus der Literatur und eigenenVorarbeiten abgeleiteten Aspekten der Nutztierhal-tung, auf welche die Tierhalter direkt Einflussnehmen konnen:

1. Stallbau2. Ausgestaltung und Angebote3. Unversehrtheit und Eingriffe4. Tiergesundheit5. Tierbetreuung6. Management

Jedes Thema wurde mit einem vorgegebenen Zeit-fenster von maximal 15 Minuten diskutiert. DieGruppendiskussionen wurden jeweils von 2 Personenmoderiert und als Audioaufnahme aufgezeichnet.Anschließend erfolgte eine vollstandige Transkriptionund der Import der Dokumente als gemeinsames Pro-jekt in das Analyseprogramm MAXQDA. Uber einkombiniert induktiv-deduktiv entwickeltes Kategori-ensystem mit Codes und Subcodes wurden einzelneTextstellenmarkiert und die Texte damit fur dieweiteredokumentenubergreifende qualitativ-inhaltsanalyti-sche Auswertung strukturiert (angelehnt an Mayring2002).

3 Ergebnisse

Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen verdeutli-chen, dass Landwirte Tierwohl in erster Linie anGesundheitsmerkmalen und biologischen Leistungenfestmachen: GD_G 1 ,,Also fur mich das großte Tier-wohl ist, wenn die Tiere eine gute Futterverwertunghaben und eine gute Leistung haben und wenig

Medikamente. Das zeigt mir eigentlich, dass die Tieregesund sind und sich wohlfuhlen.‘‘11

Die Landwirte betonen das hohe Niveau aktuellerHaltungsverfahren fur Nutztiere in Deutschland. Dasgilt in ihren Augen fur alle betrachteten Tierarten.Als Referenz werden vergangene Tierhaltungsver-fahren oder solche aus anderen Landernherangezogen. Die Teilnehmer sehen die bisherigenEntwicklungen im Bereich der Tierhaltung in ersterLinie als Anpassungsstrategie an wirtschaftlicheRahmenbedingungen: GD_S 1 ,,Im Grunde sind wirdazu gezwungen worden, wenn wir weiter machenwollen, die Tierhaltung in diese Richtung zu entwi-ckeln in der Vergangenheit. Weil dieWirtschaftlichkeit sonst nicht gegeben ist.‘‘ Dassdiese Entwicklungen gleichzeitig zu einem Mehr anTierwohl gefuhrt haben, wird von den Landwirten alspositiver Nebeneffekt gewertet.

Zur Weiterentwicklung der Tierhaltungsverfahrenaußern sich die Landwirte nur vorsichtig. Maßnah-men zur Verbesserung des Tierwohls werdenmeistens in Bezug gesetzt zu wirtschaftlichen undpolitischen Rahmenbedingungen. Außerdem werdenbetriebliche und personliche Hemmnisse deutlich,sich mit Fragen der Weiterentwicklung auseinan-derzusetzen. Uberwiegend zeigt sich der Wunschnach Beibehaltung der aktuellen Verfahren: GD_S 1,,Wenn ich ein solches Problem damit hatte, die Tierezu halten, wie wir sie halten, dann wurde ich etwasverandern. Es geht hier nicht nur um die Wirt-schaftlichkeit. Es ist ja auch ein Beruf, den man gerneausubt. Und das kann man nur, wenn man mit derHaltungsform, die man ausubt, zurechtkommt. Undwenn wir auf dem Betrieb Dinge sehen, die nicht inOrdnung sind, dann verandern wir sie.‘‘ Gleichwohl

Tab. 1 Teilnehmer und einbezogene Produktionsstufen in den Gruppendiskussionen

Diskussion Region Teilnehmer Betriebe

Anzahl gesamt darunter Frauen Tierart Produktionsstufe

GD_S 1 Nordrhein-Westfalen 8 2 Schwein Sauenhaltung, Ferkelaufzucht,

Schweinemast,

geschlossenes System

GD_S 2 Mecklenburg-Vorpommern 7 1

GD_R 1 Schleswig-Holstein 5 2 Rind Milchviehhaltung, Jungviehaufzucht

GD_R 2 Bayern 6 1

GD_G 1 Niedersachsen 8 1 Huhn

Pute

Ente

Elterntierhaltung,

Junghennenaufzucht, Legehennenhaltung,Hahnchen-, Puten- und Entenmast

GD_G 2 Sachsen-Anhalt 5 -

11 Hierbei handelt es sich um Originalwortlaute aus denGruppendiskussionen.

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sehen und benennen die Landwirte zu allen ange-sprochenen Themen der Tierhaltung Moglichkeitenfur mehr Tierwohl, die teilweise tierartenspezifischgelten und unterschiedliche Relevanz fur Tierartenoder Produktionsstufen haben.

3.1 Stallbau

Die Tierhalter sehen verschiedene Ansatzpunkte furmehr Tierwohl beim Stallbau bzw. bei der generellenWahl des Haltungsverfahrens. Dabei machen siedeutlich, dass diese grundsatzlichen Entscheidungenfur die Haltung langfristig angelegt sind: GD_S 1,,Wenn der Stall einmal steht, muss der mindestens20–30 Jahre so stehen.‘‘ Sie sprechen sich dafur aus,dass die Wahl des Haltungsverfahrens denBedurfnissen der Tiere angepasst sein sollte, dazuzahlen z.B. optimale Licht- und Luftbedingungenoder Wahlmoglichkeiten verschiedener Aufenthalts-bereiche fur die Tiere.

Mehrheitlich wird von den Tierhaltern die Stall-haltung gegenuber der Freiland- oderAuslaufhaltung bevorzugt. Das gilt insbesondere inder Geflugel- und in der Schweinehaltung, wo dieStallhaltung gesundheitliche und seuchenhygieni-sche Vorteile bietet. Zudem gehen sie davon aus, dassin der Stallhaltung weniger Medikamente eingesetztwerden als in der Freilandhaltung. In der Geflugel-haltung wird der Wintergarten fur bestimmteRegionen als praktikable Alternative fur mehr Tier-wohl eingeschatzt: GD_G 1 ,,Deswegen werde ich furdie Stallhaltung pladieren, durchaus in Erweiterungwie Wintergarten.‘‘ In der Schweinehaltung wird denTieren zugesprochen, dass Auslaufmoglichkeitenzum Wohlbefinden der Tiere beitragen: GD_S 1 ,,Of-fene Stalle und ob ein Schwein wuhlen kann, ist furein Schwein mit Sicherheit besser.‘‘ Trotzdem uber-wiegen derzeit aus Sicht der Tierhalter die Vorteilegeschlossener Haltungen. Hier wird befurwortet,Stalle an sich attraktiver zu konzipieren, etwa anBeispielen orientiert, die in Nachbarlandern bereitsumgesetzt werden: GD_S 2 ,,…moderne große Stalle… sehr lichtdurchflutet, im Sauenbereich zumindestmit hohen Gebauden…, technische Entwurfe, diesehen gar nicht aus wie ein Schweinestall.‘‘

Anders sieht es in der Milchviehhaltung aus, wodie Weidehaltung als deutlich positiver fur die Tierewahrgenommen wird. In großen Betrieben mithohen Tierzahlen ist die Laufhofhaltung ein Kom-promiss. Insgesamt wird deutlich, dass der Blick vonaußen auf den jeweiligen Betrieb mit Anregungenfur neue Haltungskonzepte als sinnvoll eingeschatztwird, der eigenen Betriebsblindheit

entgegenzuwirken: GD_R 2 ,,Oft ist der Betrieb aberauch ein bisschen blind, und man muss den etwasanstupsen.‘‘

3.2 Ausgestaltung und Angebote

Die Ausgestaltung der Haltungsverfahren und dieAngebote fur die Tiere bieten den Landwirten deut-lich mehr und uberdies kurzfristige Moglichkeiten,mehr Tierwohl in den Betrieben umzusetzen: GD_S 1,,Da innen drin kann man kurzfristiger auch etwasmachen.‘‘ Angesprochen werden Verbesserungen imStallklima, die an die Bedurfnisse der Tiere angepasstsind, wie z.B. Kuhlung oder Beschattung im Stall beiextremeren Witterungslagen. Die Belegdichten inden Stallen werden kontrovers diskutiert. Obwohl eingroßeres Platzangebot als forderlich fur das Wohl-befinden der Tiere angesehen wird, wird darinoftmals kein Zusammenhang mit einem verbessertenGesundheitsstatus der Tiere wahrgenommen: GD_G 2,,Dadurch haben wir schon reduzierte Tierplatzzah-len im Stall und ich kann eigentlich nicht sagen, dassdas besser lauft als in anderen Stallen. Da sehe ichuberhaupt keinen Zusammenhang.‘‘

Als wichtig und zukunftsfahig mit Blick auf mehrTierwohl werden das Angebot und die Gestaltungverschiedener Funktionsbereiche angesehen. Ver-besserungsbedarf wird beispielsweise fur dieSauenhaltung gesehen: GD_S 2 ,,Alternativen zumKastenstand fur die Sauen waren wunschenswert,weil es fur die Sau einfach nicht schon ist.‘‘ Bedarfwird auch fur die Milchviehhaltung gesehen, woStandardmaße fur Liegeboxen nicht als passend furjedes Einzeltier betrachtet werden. Hier ware es vonVorteil, flexiblere Systeme zu entwickeln. Mit Blickauf Beschaftigungsmoglichkeiten und Tierkomfortsprechen sich die Landwirte dafur aus, Angeboteweiterzuentwickeln, die von den Tieren gut und ubereinen langeren Zeitraum angenommen werden.Gerade in der Mast sind zusatzliche Maßnahmengewunscht, die den Tieren Abwechslung bieten.Dazu zahlen etwa raumliche Veranderungen in derHaltungsumgebung, z.B. uber das zeitlich begrenzteAngebot bestimmter Stallbereiche: GD_G 1 ,,Das sindDinge, wenn man es ausprobiert sieht man, dass dasden Tieren richtig gut tut.‘‘

3.3 Unversehrtheit und Eingriffe

Die derzeit ublichen Eingriffe an Nutztieren werdenvon den Landwirten mit Tierschutzargumentenbefurwortet. Eine emotionale Sichtweise der Tier-halter wurde in den Gruppendiskussionen

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ausgeblendet: GD_G 2 ,,Wenn man damit aufge-wachsen ist, dann ist das fur uns Gewohnheit.‘‘Gleichwohl werden auch Unsicherheiten in derBewertung und die Suche nach Alternativen deutlich.Losungsmoglichkeiten, auf bestimmte Eingriffe, wiedas Kastrieren mannlicher Ferkel, das Kupieren vonSchwanzen bei Ferkeln, das Entfernen von Hornan-lagen bei Kalbern oder das Schnabelkurzen imGeflugelbereich zu verzichten, sehen die Tierhalter inerster Linie uber die Zucht, z.B. auf Hornlosigkeitoder auf ruhige, aggressionsfreie Tiere. Die Immu-nokastration von Ebern wird eher kritisch gesehen.Die zuchterischen Entwicklungen in derRinderhaltung werden als Schritt in die richtigeRichtung gewertet, benotigen aber Zeit: GD_R 1 ,,Ichfinde das Thema muss man auch gar nicht so hoch-spielen, weil in spatestens zehn Jahren haben wirdoch sowieso alle hornlos oder?‘‘ Derzeit behelfensich einzelne Milchviehhalter damit, mannliche Kal-ber moglichst jung an Master weiterzugeben unduberlassen dem Master den Eingriff: GD_R 2 ,,Ichfinde, das ist ein ganz schwieriges Thema. Bei uns aufdem Betrieb schauen wir, dass wir sie alle mit 3Wochen aus dem Betrieb rausbekommen.‘‘ Nebender Zucht sehen die Landwirte auch Moglichkeiten inder Gestaltung der Haltungsumgebung, um einenVerzicht auf Eingriffe am Tier zu vermeiden. Dazuzahlt in der Geflugelhaltung eine trockene, lockereEinstreu, die den Tieren Beschaftigung bietet undKannibalismus vorbeugt: GD_G 2 ,,[Kalk] da mit rein,… Der bindet Wasser und die Huhner haben dadurchwas zu tun.‘‘

3.4 Tiergesundheit

Tiergesundheit ist fur die Landwirte ein wichtigerIndikator fur Tierwohl. Vor dem Hintergrund derhohen biologischen Leistungen im Nutztierbereichstellt der Erhalt der Gesundheit eine wichtige Her-ausforderung dar, bei der noch Potenziale zurOptimierung gesehen werden. Ansatzpunkte zurWeiterentwicklung werden u.a. in der Zucht aufVitalitat und Robustheit gesehen. Teilweise wird eineAnpassung der Zuchtziele gewunscht, Schwei-nebereich: GD_S 2 ,,Ich sehe das nicht so als positiv,diese Entwicklung, dass da immer mehr und immermehr Ferkel geboren werden mussen.‘‘ Auf denBetrieben selbst werden Maßnahmen imHygienemanagement als sinnvoll erachtet, umKrankheiten vorzubeugen und die Medikamenten-gabe zu reduzieren. Beispiele sind hygienischeMaßnahmen in der Kalberfutterung, um Durchfalloder Flechten vorzubeugen, Maßnahmen in der

Liegeboxengestaltung bei Milchkuhen oder insge-samt die Einrichtung von Krankenbuchten oder-abteilen, in denen kranke Tiere separat gehaltenwerden konnen: GD_R 1 ,,Das ist ja oft das Problem,der Keimdruck, denn bei uns ist es Abkalbebox undKrankenbox ist eigentlich die gleiche Box.‘‘ Die reineStallhaltung wird gegenuber der Freiland- oder Aus-laufhaltung als gesundheitsfordernd angesehen:GD_G 1 ,,Tiere, die bei nasser, kalter Witterungdraußen sind, werden nun mal krank.‘‘ Eine verbes-serte Stallklimagestaltung mit Schadgasreduktionenwird befurwortet, um beispielsweise Atemwegser-krankungen zu vermeiden.

Fur das Gesundheitsmanagement sehen die Land-wirte einen Bedarf an technischen Losungen zurEinzeltierbeobachtung bzw. Erfassung von Messwer-ten. Interessant waren technischeWeiterentwicklungen zur kostengunstigen Erfassungtierbezogener Indikatoren, die fruhzeitig Hinweiseauf Unregelmaßigkeiten und Erkrankungen voneinzelnen Tieren geben und dazu beitragen konnten,eine Ausbreitung in den Bestand zu vermeiden.

3.5 Tierbetreuung

Gerade vor dem Hintergrund der großen Tierbe-stande in den Betrieben kommt der Betreuung derTiere eine wichtige Funktion im Hinblick auf dasTierwohl zu. Moglichkeiten zur Weiterentwicklungsehen die Landwirte einerseits im Verhalten dertierbetreuenden Personen und andererseits im Ein-satz von Technik und in der Unterstutzung durchSpezialisten, z.B. in der Klauenpflege bei Rindern. DieBetreuungsqualitat der tierbetreuenden Personenmachen die Landwirte an personlichen Vorausset-zungen fest: GD_R 1 ,,Du brauchst dieses Gefuhl furTiere.‘‘ – ,,Also da brauchst du wirklich Leidenschaftfur, und entweder man hat die oder man hat dienicht. Das kann in großen Betrieben sein, das kann inkleinen Betrieben sein, das ist vollig egal.‘‘ GD_G 1 ,,Esgibt welche, die merken, dass die Tiere morgen krankwerden und welche, dass die Tiere vorgestern schonkrank waren.‘‘ Besonders beim Einsatz von Fremdar-beitskraften sehen die Landwirte einen hohen Bedarf,diese Mitarbeiter im Hinblick auf Tierbeobachtungund Verhalten gegenuber den Tieren zu schulen:GD_G 2 ,,Setze dich mal ruhig eine halbe Stunde hin,wie verhalten die Tiere sich, wenn sie stehen? Waspassiert da alles, was hort man, was riecht man?‘‘

Der Einsatz von Technik und Automatisierungwird von den Landwirten mit Blick auf die Tierbe-treuung mehrheitlich als forderlich undzukunftsweisend angesehen. Einerseits werden

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durch die Technik Freiraume geschaffen, die zurTierbeobachtung genutzt werden konnen: GD_S 1,,Das verbinde ich unmittelbar damit, dass wir mittechnischem Fortschritt und uber die Automatisie-rung z.B. bei Futterung und anderen Dingen vielmehr Zeit bekommen haben, um wirklich die Tiereanzuschauen.‘‘ GD_R 2 ,,Man braucht erst mal dieZeit, um das Auge auf das Tier richten zu konnen. Abeiner gewissen Betriebsgroße ist man mit Futternund Melken so beschaftigt, dass man das einzelneTier gar nicht so wirklich beobachten kann, da schautman, dass man im Stall fertig wird. Da hilft mir dieTechnik weiter, um einfach Freiheiten zu kriegen.‘‘Zusatzlich kann die Technik exakte Messwerte zumTierverhalten und zum Gesundheitsstatus liefern, diefur die Versorgung und Betreuung genutzt werdenkonnen. Hier sehen die Landwirte fur die Zukunftnoch weiteres Potenzial: GD_S 1 ,,In Zukunft wirdwahrscheinlich wichtig fur uns werden, elektroni-sche Hilfsmittel zur Verfugung zu nehmen.‘‘

3.6 Management

Zur Weiterentwicklung des betrieblichen Manage-ments mit Blick auf mehr Tierwohl sprechen sich dieTierhalter insbesondere fur einen verbesserteninnerbetrieblichen und uberbetrieblichen Informati-onsaustausch aus. Innerbetrieblich geht esinsbesondere darum, die Vielfalt der tierbezogenenDaten, die in den Betrieben erhoben werden,anwendungsorientiert zur Verfugung zu stellen undden Nutzern je nach Aufgabenbereich zuzuleiten.Vereinfachungen im Datenmanagement solltenletztlich dazu fuhren, den Betriebsleitern zielgerich-tet eine Entscheidungshilfe zu bieten: GD_R 1 ,,Ichglaube es ist die Selektion von Informationen, wirhaben so viele Informationen und man muss sich aufdie wesentlichen konzentrieren, das ist, glaube ich,das großere Problem.‘‘ Eine besondere Rolle kommtin diesem Zusammenhang auch der Beratung zu:GD_R 2 ,,Die Beraterrolle die nimmt immer mehr. Vor20 Jahren war es noch anders, weil jeder Betrieb sogewirtschaftet hat wie es immer war, und wenn eslief dann war schon alles richtig.‘‘ Die Fachgesprachemit außerbetrieblichen Personen oder Institutionenwerden als wertvoll angesehen, um neue Ideen furden eigenen Betrieb zu generieren. Daneben ist denLandwirten der Austausch mit Berufskollegen zuErfahrungen mit etablierten und weniger etabliertenHaltungsverfahren sehr wichtig, um Perspektiven furdie eigene betriebliche Zukunft auszuloten.

Ein weiterer wichtiger Punkt fur mehr Tierwohlwird im Personalmanagement gesehen. Motivierte

Mitarbeiter werden als forderlich fur die optimaleBetreuung der Tiere betrachtet: GD_G 2 ,,Wenn derMitarbeiter motiviert ist geht er auch anders mit denTieren um.‘‘ Hier werden ein regelmaßiger Austauschmit den Mitarbeitern sowie eine Wertschatzung dergeleisteten Arbeit als forderlich angesehen. Danebenist fur die Landwirte auch die eigene Arbeitszeit-strukturierung wichtig, um sich auf den eigenenBetrieben fur mehr Tierwohl einzusetzen: GD_R 1,,Dann kommt es ja auch noch darauf an wie viel Zeiter hat, um sich das alles anzugucken, was es anInformationen gibt.‘‘

4 Diskussion

Fur die Landwirte ist die Weiterentwicklung vonTierhaltungsverfahren fur mehr Tierwohl aufgrundder aktuellen gesellschaftlichen und politischen Dis-kussionen ein sehr prasentes Thema. Diegesellschaftliche Einstellung zum Tierwohl miteinem starken emotionalen Fokus ist auch fur dieLandwirte ein Aspekt des Tierwohlverstandnisses undzeigt sich in Fursorge, Verantwortung und teilweiseMitleid gegenuber den Tieren (Tab. 2). In einzelnenFallen werden auch Schuldgefuhle gegenuber denTieren deutlich, z.B. im Umgang mit kranken oderbesonders bedurftigen Tieren, wenn sie in Abwa-gung mit wirtschaftlichen Uberlegungen nichtbestmoglich versorgt werden konnen.

In die Betrachtungsweise der Landwirte fließendaneben personlich-identitatsbezogene Aspekte ein,die sie an ihrem Rollenverstandnis und Berufsethosfestmachen. Die diskutierten Maßnahmen fur mehrTierwohl orientieren sich im Wesentlichen an bis-herigen und bereits etablierten Haltungsverfahren.Anderungen der Verfahren wurden auch personlicheVeranderungen fur die Tierhalter bedeuten undwerden teilweise nicht als Weiterentwicklung son-dern als Ruckschritt gesehen. Das kann in den Augender Landwirte zu Gesichtsverlust innerhalb der eige-nen Branche gegenuber Berufskollegen fuhren.Loyalitat und Anerkennung innerhalb der Branchesind offensichtlich wichtiger als Wertschatzungdurch die Gesellschaft. Der Druck von außen ver-starkt den inneren Zusammenhalt der Landwirte undfuhrt zu einer starken Unterscheidung von Eigen-und Fremdgruppe. Die Erhebungsmethode Grup-pendiskussion zeigt die Dynamik einer sichverstarkenden Gruppenkohasion deutlich auf.

Gleichwohl veranschaulichen die Ergebnisse auchdie hohe Bedeutung der individuellen Arbeitszufrie-denheit und -motivation fur die tierbetreuendenPersonen. Daraus leitet sich die Frage ab, inwieweit

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engagiertes Umsetzen innovativer Verfahren durchmutige Pioniere und gegenseitiges Lernen dazu bei-tragen konnen, das Beharrungsvermogen in derBranche aufzubrechen.

Mehr Tierwohl hat eine Chance in Betriebenumgesetzt zu werden, wenn dadurch das personlicheErfolgsempfinden der Betriebsleiter und der objektivmessbare Betriebserfolg gesteigert werden konnen.Aufgrund langer Abschreibungszeitraume und derSpezifitat der Investitionen mit teilweise unflexiblenNutzungsalternativen kommen viele Ansatze fur dieLandwirte aus betrieblicher Sicht nicht in Frage.Aktuelle und neue gesetzliche Vorgaben und Richt-linien werden als Risikofaktor gesehen, da sie vongesellschaftlichen Trends und von der jeweils regie-renden politischen Mehrheit beeinflusst und zudembundeslanderspezifisch ausgestaltet werden.

Tab. 2 Weiterentwicklung der Haltungsverfahren in unter-schiedlichen Kontexten fur Landwirte

Fokus Sichtweise Bewertungs- undEinflusskriterien

Tier/Herde

emotional-relational Verantwortung

Fursorge

Mitleid

Schuldgefuhle

Tierhalter personlich-identitatsbezogen

Arbeitszufriedenheit

Rollen- bzw.Aufgabenverstandnis

Kohasion der Berufskollegen

Wertschatzung durch dieGesellschaft

Betrieb okonomisch-rational Betriebserfolg

Einkommen

Sicherheit

Perspektive

Landwirte konnen derzeit nur schwer Offenheitfur neue Ideen zu Tierhaltungsverfahren mit mehrTierwohl, losgelost von wirtschaftlichen und politi-schen Rahmenbedingungen, zeigen. Teilweise haltensie sich in den Gruppendiskussionen auch aus stra-tegischen Grunden mit Vorschlagen zuruck, weil siebefurchten, dass innovative Vorstoße schnell zu einerkunftigen Anforderung werden. Neue Entwicklun-gen aufzuhalten bedeutet fur die Landwirte, eigeneunternehmerische Freiheiten zu bewahren und zuschutzen. Durch den Verweis auf aktuell geltendeRahmenbedingungen schranken Landwirte jedochihren eigenen Handlungs- und

Verantwortungsbereich ein und delegieren dieVerantwortung fur Tierwohl an Politik undMarktpartner.

Damit politische Auseinandersetzungen und derinterne Wettbewerb des Handels nicht auf demRucken landwirtschaftlicher Betriebe und Betriebs-leiter ausgetragen werden, waren neueMechanismen notwendig, Tierwohl einerseits trans-parent und objektiv zu bewerten und andererseits imSinne eines offentlichen Gutes durch Beratung, abervor allem durch neue politische Maßnahmen undInstrumente, organisatorisch und finanziell zuunterstutzen. Eine entsprechende Bewertung desTierwohls, die weniger an der technischen Gestal-tung von Tierhaltungsverfahren an sich, sondernstattdessen an den Tieren selbst orientiert ist, wurdeeine Verschiebung von ordnungspolitischer zuergebnisorientierter Betrachtung des Tierwohlsbedeuten. Der Maßstab fur Tierwohl wurde sichdamit von einer input-basierten (was wird dem Tiergeboten) zu einer output-basierten (welches Ergebniswird fur das Tier erzielt) Bewertung verschieben.Durch dynamische Innovationsanreize wurdenLandwirte in ihrer Schlusselposition und ihrerVerantwortung fur das Tierwohl gestarkt, weilTierwohlziele sich auf ganz unterschiedlichenWegen technisch und organisatorisch erreichenlassen. Gleichzeitig wurde dadurch die unterneh-merische Freiheit der Tierhalter gesichert undsogar erweitert werden. Die Grundlagen fur neueBewertungsansatze des Tierwohls bei verschiede-nen Tierarten und die Akzeptanz dieser Ansatze beiLandwirten sollten Gegenstand kunftiger For-schung zur Unterstutzung politischer Entschei-dungen sein.

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Standards, Hindernisse und Wunsche in derNutztierhaltung – Die Perspektive des Handels

Caspar Krampe1, Nadine Gier1, Julia Romhild1, PeterKenning1

1Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre, insb. Marke-ting, Heinrich-Heine-Universitat, Universitatsstraße 1,40225 Dusseldorf, Gebaude 24.21, [email protected]

1 Einleitung und Zielsetzung

Zwischen der Wunschvorstellung und der aktuellenWahrnehmung der Nutztierhaltung durch dieGesellschaft zeigt sich meist eine hohe Diskrepanz(Zander et al. 2013). Diese lasst sich insbesondere beiden Positionen der verschiedenen Akteure bei derDurchsetzung hoherer Tierwohlstandards beobach-ten (Zander et al. 2013). Zudem scheinen die in denMedien gefuhrten Diskussionen und veroffentlich-ten Berichte rund um das Thema ,,Tierwohl‘‘maßgeblich das Meinungsbild in den verschiedenengesellschaftlichen Gruppen zu pragen, zu polarisie-ren und deren Sensibilitaten zu erhohen (Zanderet al. 2013). Auf diese Entwicklung muss auch der ander Vermarktung, tierischer Erzeugnisse maßgeb-lich beteiligte Lebensmitteleinzelhandel (LEH)reagieren. Er hat dabei sogar eine zentrale Rolle,steht er doch im Spannungsfeld zwischen denWunschvorstellungen der Verbraucher und den aufden Hofen sowie in den Zulieferbetrieben realisier-baren Bedingungen. Zudem ist der LEH demWettbewerb innerhalb des Marktes ausgesetzt,indem innovative (Marketing-)Maßnahmen einzel-ner Unternehmen hochgradig risikobehaftet sindund dementsprechend zu hohen okonomischenEinbußen fuhren konnen. Aber auch ein gemeinsa-mes, koordiniertes Vorgehen mehrererUnternehmen fur hohere Tierwohlstandards scheintfur den Handel aus verschiedenen Grunden proble-matisch, nicht zuletzt deswegen, weil diese durchwettbewerbsrechtliche Bestimmungen beschranktwerden.

Vor diesem Hintergrund ist es Ziel des vorliegen-den Teilbeitrags, den Handel als zentralen Akteur derLebensmittelwirtschaft genauer in den Blick zu neh-men. Von besonderer Relevanz sind dabei, derZielstellung des SocialLab Verbundprojektes ent-sprechend, die Motive und/oder Hindernisse fur dieProdukteinfuhrung und -listung von Produkten mithoheren Tierwohlstandards. Konkret soll gezeigt

werden, wie der Prozess der Listungsentscheidung indiesem Zusammenhang strukturiert ist, welche Mei-nungen im LEH zu verbesserten Tierwohlstandsvorherrschen und welche Position im Hinblick aufetwaige regulierende Maßnahmen den LEH pragen.Zudem soll die Sicht des LEH auf den in der Diskus-sion stehenden informationsokonomischen Nutzeneines oder mehrerer Labels (,,Tierwohllabel‘‘) ermit-telt werden. Die so gewonnenen Ergebnisse solleneinen Beitrag dazu leisten, etwaige Hindernisse imHinblick auf Maßnahmen zu identifizieren, mitdenen gegebenenfalls ein hoherer Tierschutzstan-dard realisiert werden konnte.

2 Methode und Interviewleitfaden

Um die skizzierte Zielstellung zu erreichen und umdie Perspektive des LEH wissenschaftlich entspre-chend differenziert zu durchdringen, wurde einqualitativer Studienansatz gewahlt. Der Aufbau undder Verlauf der Studie wurden dem typischen Aufbauahnlicher Marktforschungsstudien (Kuß, Wildner, &Kreis 2014) entsprechend in folgende sechs Schritteunterteilt:

1. Festlegung der Untersuchungsziele,2. Festlegung des Untersuchungsdesigns,3. Entwicklung des Messinstrumentariums,4. Durchfuhrung der Erhebung,5. Datenanalyse und -auswertung und6. Formulierung des Ergebnisberichts.

Um die gewunschten Erkenntnisse zu gewinnenwurden 15 Experteninterviews mit Top-Entscheidernim Bereich Vertrieb und Einkauf im LEH sowie wei-teren handelsnahen Akteuren durchgefuhrt. Dieaufgezeichneten Mitschnitte der Experteninterviewswurden fur die weitere Datenanalyse sowie die damitverbundene Auswertung transkribiert (vgl. Hold,2009; Mayring & Fenzl, 2014). Die kommuniziertenDaten wurden hierfur weitgehend von Dialektenbefreit, an die Standardsprache angepasst und – wogeboten – in der Grammatik korrigiert, wodurchjedoch keine interpretativen Veranderungen desAusgangsmaterials vorgenommen wurden. Auf-grund der besonderen Sensibilitat der erhobenenDaten wurden alle mitgeschnittenen Tonaufnahmenausschließlich universitatsintern und vertraulich vonden Projektmitarbeitern transkribiert und vor derInhaltsanalyse erneut zur Kontrolle an die Inter-viewpartner versendet. Zur strukturiertenInhaltsanalyse wurde die Software MaxQDA in derVersion 12 verwendet (http://www.maxqda.de/). Dieseetablierte Software ermoglicht die Zuordnung von

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Textstellen (,,Codierung‘‘) zu den a priori definiertenKernthemen (,,Codes‘‘), welche die Grundlage derhier angewandten qualitativ-strukturierendenInhaltsanalyse darstellen.

Von besonderer methodischer Bedeutung fur dieStudie war daruber hinaus der Interviewleitfaden,welcher der Expertenbefragung als Messinstrumentzugrunde lag. In diesem wurden vier Kernthemen,die der oben genannten Zielstellung entsprachenausgearbeitet und im Experteninterview themati-siert. Die erste Kernthematik umfasste den Prozessder Listungsentscheidung im LEH. Ziel war die

Identifikation der jeweils zugrundliegendenEntscheidungsprozesse. Zudem sollte beforscht wer-den, auf welchen Entscheidungsmustern undgegebenenfalls Heuristiken die Listungsentschei-dung beruht. Die zweite Kernthematik des erstelltenInterviewleitfadens umfasste den gesellschaftlichenund politischen Wunsch nach einer Integrationhoherer Tierwohlstandards in die Wertschopfungs-kette. In diesem Zusammenhang wurde unteranderem die Wahrnehmung von Tierwohlstandardsdurch die Verbraucher aus Sicht der Experten the-matisiert. Die dritte Kernthematik umfasste dieWahrnehmung der Experten zur staatlichen

Regulierung bei der Durchsetzung hoherer Tier-wohlschutzstandards. Das Ziel dieser Thematik wares, Hinweise auf das Meinungsbild bzw. die Einstel-lungen des LEH zu einer staatlichen Regulierungim Bereich der Fleischware abzubilden. Dievierte und letzte Kernthematik widmete sich derWahrnehmung der Experten zum Einfluss vonLabeln auf die Verbraucherentscheidung amPoint-of-Sale sowie die damit verbundene Pro-duktwahrnehmung. Abbildung 1 visualisiert dieentsprechende Struktur des Gesprachsleitfadensnoch einmal.

3 Die Kernthemen – Ausgewahlte Ergebnisse

Aufbauend auf den transkribierten Experteninter-views wurde eine qualitativ-deskriptiveBegutachtung der Daten vorgenommen (Abb. 2). Eszeigte sich, dass Aspekte rund um das Thema Tier-wohlstandards einen großen Teil der kodierten Datenausmachten. Es sollte jedoch bei der nun folgendenstrukturierten Inhaltsanalyse beachtet werden, dasses sich hierbei um eine aggregierte Darstellung derErgebnisse handelt. Diese bildet zwar das generelleMeinungsbild der interviewten Experten ab, ver-nachlassigt jedoch gegebenenfalls abweichende

Abb. 1 Darstellung der vier Kernthemen sowie der untergeordneten Leitfragen. In den Experteninterviews wurden die ThemenListungsentscheidungen, Tierwohlstandards, Regulierung des Marktes und Produkt Labeling anhand eines strukturiertenGesprachsleitfadens besprochen

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Einzelmeinungen. Pragnante Aussagen der inter-viewten Experten des LEH sowie der handelsnahenAkteure werden hierbei skizziert und sollen einenEindruck der Sichtweise der interviewten Expertenvermitteln.

Im Folgenden sollen nun die mit den oben skiz-zierten vier Thematiken bzw. Zielstellungenverbundenen Ergebnisse prasentiert werden. Hierzuwird jeweils zunachst die gesamte Anzahl der zure-chenbaren Außerungen genannt bevor dann jeweilsdie zentralen inhaltlichen Aspekte dargestelltwerden.

3.1 Listungsentscheidungen – Stabilitat durchVertrauen!

Grundlage der im Hinblick auf die erste Thematik derListungsentscheidung im LEH angewandten struktu-rierenden Inhaltsanalyse sind n = 118 Außerungen(,,Codierungen‘‘), welche aus 6 Experteninterviewsextrahiert und analysiert wurden.

Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen in diesemBereich der Untersuchung, dass Unternehmen desLEH oftmals auf langfristige, stetige und gepruftePartnerschaften zuruckgreifen, wodurch der ,,sorg-lose‘‘, transaktionskostenarme Fleischverkauf und -konsum auf Seiten des LEH und des Verbrauchersgewahrleistet werden soll. Demnach werden Lis-tungsentscheidungen zumeist, nach einemprimaren, ,,checklisten-gepruften‘‘ Auswahlverfah-ren, in enger Zusammenarbeit mit bewahrtenPartnern beziehungsweise Lieferanten getroffen.

Hierbei werden neue Produkte dem LEH zum einemvom Lieferanten vorgeschlagen (,,Push-Ansatz‘‘), zumanderem werden aber auch bestimmte Produkte beiden jeweiligen Lieferanten vom LEH angefragt (,,Pull-Ansatz‘‘). In diesem Zusammenhang scheinen das

Preisbewusstsein sowie die mit den Produkten ver-bundene Logistik zwei wichtige Komponenten imListungsprozess zu sein. Deren Bedeutung ist jedochstark branchenabhangig, so spielt die Logistik beitierischen Erzeugnissen im Fast-Food Sektor einewichtigere Rolle als im LEH. Bei der Listungsent-scheidung von Fleischwaren scheinen zudem dieMarktentwicklung, die Wettbewerbssituation, Qua-litatsaspekte sowie die gesellschaftliche Entwicklungeine ubergeordnete Rolle zu spielen.

Zusammenfassend ist zu vermuten, dass erst nacheinigen externen und internen Prufungen der Liefe-ranten und erst nach Begutachtung etwaigerAusschlusskriterien, welche durch die Durchfuhrungvon Audits gepruft werden, eine Listungsentschei-dung im LEH stattfindet. Die bewahrteZusammenarbeit mit bereits gepruften Partnern bil-det bei der Aufnahme neuer Produkte eine wichtigeGrundlage mit entsprechenden Konsequenzen furden Entscheidungsprozess. Dabei ist anzunehmen,dass im weiteren Verlauf der EntscheidungsfindungErfahrungswerte und einfache Heuristiken wesent-lich fur den Entscheidungsprozess sind (Gigerenzer,Todd, & ABC Research Group 1999; Selten 2001). ImErgebnis zeigt sich, dass das gegenseitige Vertrauen,welches sich durch die gesammelten gemeinsamenErfahrungen zwischen den Akteuren im Zeitablauf

Abb. 2 Darstellung der Anzahl von Außerungen zu den 4 Kernthemen. Fur die inhaltliche Analyse wurden die transkribiertenInterviews entsprechend der Kernthemen codiert und ausgewertet

206 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

einstellt zu einer Reduktion von Transaktionskostenfuhrt. Etablierte Anbieter sollten es daher tendenziellleichter haben, innovative Produkte im Regal zuplatzieren.

,,[Es] ergeben sich […] Listungsentscheidungen […]auf Basis von Vorschlagen, die uns die Lieferanten, mitdenen wir seit vielen Jahren in der Regel vertrauensvollzusammenarbeiten, [zukommen lassen].‘‘

3.2 Die Integration von Tierwohlstandards – dermundige Verbraucher?

Grundlage der im Kontext der Verbraucherwahr-nehmung angewandten strukturiertenInhaltsanalyse waren n = 91 Außerungen (,,Codie-rungen‘‘), welche aus 9 Experteninterviews extrahiertund analysiert wurden.

,,Fleisch und Wurst sind Kulturgut.‘‘

Aus Handelssicht nehmen Fleischwaren nach wie voreinen hohen Stellenwert in der Wahrnehmung derVerbraucher ein. Als Nachweis dient den interview-ten Experten des LEH oft der Ausgabenvergleich derVerbraucher fur Fleischwaren im Vergleich zuanderen Produktgruppen. Insgesamt wird das Thema,,Tierwohl‘‘ als fester Bestandteil der gesellschaftli-chen Auseinandersetzung gesehen. Zudem geht derHandel offenbar von einem differenzierten Verbrau-cherbild aus. Uberwiegend werden Verbraucher aberals hinreichend mundig angesehen, um ,,am Endedes Tages das [zu] wahlen, was fur sie am besten ist‘‘.Dementsprechend begreift sich der LEH lediglich alsAnbieter von verschiedenen Wahloptionen, jedochnicht als Vorentscheider uber Moral und Verant-wortung; der Wille des Kunden bleibt zumindestvordergrundig frei. Trotzdem, scheinen sich dieinterviewten Experten des LEH sehr wohl bewusstuber das tatsachliche Einkaufsverhalten der Ver-braucher zu sein. So wird davon ausgegangen, dassviele Verbraucher auf die Produkte zuruckgreifen,welche routiniert gekauft werden. Tierwohlaspektespielen dabei eine untergeordnete Rolle, da der Ver-braucher nach Wahrnehmung der Experten des LEHstark preisgetrieben ist. Es werden zudem Unter-schiede zwischen Tierarten ausgemacht. So wirdangenommen, dass die kritische Wahrnehmung derVerbraucher zur Rinderhaltung im Vergleich zurSchweine- und/oder Geflugelhaltung als wenigerproblematisch angesehen wird. Insgesamt stehen dieinterviewten Experten des LEH der Aussage, dassVerbraucher eine hohere Zahlungsbereitschaft fur,,Tierwohl-Produkte‘‘ haben, kritisch gegenuber. So

wird angenommen, dass die einfache Außerung derVerbraucher, mehr fur ,,Tierwohl‘‘ bezahlen zu wol-len, nicht ohne Weiteres zu einerEinstellungsanderung fuhrt, sondern eventuell aufdie soziale Erwunschtheit zuruckzufuhren ist.

,,Die Moral endet am Regal.‘‘

Im Fortgang der Gesprachsthematik mahnen dieHandler zudem an, dass das Thema ,,Tierwohl‘‘, alsein sehr emotionales Thema, im gesellschaftlichenKontext nicht immer sachgerecht diskutiert wird. Soweisen die Experten des LEH die Rolle des Regulatorsbeziehungsweise Gatekeepers zuruck und verweisenauf den mundigen Verbraucher. Grunde fur dasgesteigerte Interesse am ,,Tierwohl‘‘ innerhalb derGesellschaft macht der LEH an gesellschaftlichenStromungen und Trends wie dem Vegetarismus, demVeganismus, dem Flexitarismus oder der Profilierungbestimmter Gesellschaftsschichten durch ,,gutes‘‘,meist biologisch erzeugtes Essen fest.

Zusammenfassend verweisen die Experten des LEHdarauf, dass die Integration von Tierwohlstandards indie Wertschopfungskette großtenteils durch dasEinkaufsverhalten der mundigen Verbraucher (,,Pull-Ansatz‘‘) bestimmt wird, wobei angenommen wird,dass die reale Kaufentscheidung im Gegensatz zuregelmaßigen Bekundungen nach wie vor starkpreisgetrieben ist und im standigen Vergleich zuKonkurrenzangeboten steht. Erganzend wird ange-nommen, dass der soziale Hintergrund ebenfallseinen Einfluss auf den Verbraucher und die damitverbundene Kaufentscheidung im Bereich derFleischware hat. Das folgende Zitat gibt diesenZusammenhang zutreffend wieder:

,,[…] Es gibt sicherlich viele Familien […], die sich […]keine enorme Preissteigerung im Bereich Lebensmittelleisten konnen.‘‘

3.3 Die Regulierung des Marktes – Fluch oder Segen?

Grundlage der in dieser Thematik angewandtenstrukturierten Inhaltsanalyse waren n = 68 Außerun-gen (,,Codierungen‘‘), die aus 8 Experteninterviewsextrahiert und analysiert wurden. In der Diskussionum eine staatliche Regulierung von Tierwohlstan-dards zeichnet sich ein differenziertes Meinungsbildab. Generell sehen die Experten des LEH die staatlicheRegulierung des Marktes durch die Politik kritisch.Vielmehr betrachtet man die Moglichkeiten zurSelbstregulierung des Marktes als effizient und aus-reichend. Dennoch wurden durchaus Vorteile einerGesetzgebung fur mehr ,,Tierwohl‘‘ erkannt. So

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 207

123

werden bestehende Gesetzte zur Verbesserung derTierhaltung gelobt, die Umsetzung und Kontrolledieser aber bemangelt. Die befragten Experten for-dern darum eine fundierte ,,weniger populistischorientierte‘‘ Diskussion uber mogliche Maßnahmen,die zu einer weiteren Verbesserung des ,,Tierwohls‘‘fuhren konnen. Des Weiteren bemangeln die inter-viewten Experten des LEHdas zumTeil unkoordinierteVorgehen von Bund und Landern bei der Gesetzge-bung im Bereich der Tierhaltung. Zudem wird dieRegulierung des Marktes auf nationaler Ebene (furgeltendes nationales Recht) kritisch gesehen da diese,in Zeiten der Globalisierung/Europaisierung, nichtimmer mit dem europaischen Recht vereinbar unddurchsetzbar ist. Ein in diesem Zusammenhangbezeichnendes Zitat ist das folgende:

,,Wir leben ja schließlich nicht auf einer Insel.‘‘

3.4 Labeling – Uberforderung am Point-of-Sale?!

Grundlage der im Zusammenhang mit der ,,Label-diskussion‘‘ angewandten strukturiertenInhaltsanalyse waren n = 24 Außerungen (,,Codie-rungen‘‘), welche aus 6 Experteninterviews extrahiertund analysiert wurden.

,,Der Kunde wird uberfrachtet.‘‘

Maßnahmen zum Tierschutz werden durch dieExperten des Lebensmitteleinzelhandels undweiterenhandelsnahen Akteure primar als informationsoko-nomisch motiviert und verbraucherorientiertwahrgenommen. Dabei wird kritisiert, dass der Kundedurch die Vielzahl von Labels am Point-of-Sale mitt-lerweile uberfordert ist und/oder diese oftmals garnicht wahrnimmt. Folglich werden entsprechendeAnsatze und Kommunikationsmaßnahmen als kon-traproduktiv beschrieben, da viele Labels in direkterKonkurrenz zu einander stehen. Als Beispiel werdenvom LEH kreierte ,,Biosiegel‘‘ genannt, welche indirekter Konkurrenz mit ,,Biosiegeln‘‘ des Wettbewer-bers sowie der nationalen und europaischenKennzeichnung von biologischen Erzeugnissen ste-hen. Alternativen zu dem bisherigen System derVerbraucherinformation sind daher wunschenswert(vgl. hierzu Kapitel ,,Zur Konzeption eines Verbrau-cherinformationssystems als Erganzung – oderAlternative? – zum klassischen Informationslabel‘‘).

4 Zusammenfassung und Ausblick

In Experteninterviews mit Vertretern des Lebensmitte-leinzelhandels sowie den weiteren handelsnahen

Akteuren konnte die Perspektive des Handels wissen-schaftlich durchdrungen werden und in Bezug auf dasThema ,,Tierwohlstandards‘‘ Motivationen undHemmnisse der Durchsetzung identifiziert werden.Hierzu wurden 4 verschiedene Themenfelder bespro-chen. Im Hinblick auf die Listungsentscheidung lasstsich festhalten, dass der Handel versucht, durch stan-darisierte Prufungen seiner Lieferanten einenunkritischen Fleischverkauf und -konsum zu gewahr-leisten und daruber hinaus auf langfristigePartnerschaften vertraut. Bezuglich der Sortiments-vielfalt und Auswahl an Produkten orientiert derHandel sich vor allem am Kaufverhalten der Verbrau-cher und sieht sich als Bereitsteller der Wahloptionenund nicht als moralischen ,,Wahlhelfer‘‘ der Verbrau-cher. Im Themenfeld der ,,Regulierung‘‘ werden zwarVorteile durch umsichtige und inkrementelle Regulie-rungen bei den Tierwohlstandards gesehen, jedochwird derMarkt zumeist als effektives Systembetrachtet.Staatliche und selbststandige Label stellen ein Beispielfur solche Regulierungen dar, scheinen aber (auch)nach Ansicht des Handels Gefahr zu laufen, ihr Zieldurch die Uberlastung der Verbraucher mit zusatzli-chen Informationen zu verfehlen.

Die folgenden Ausfuhrungen sind zum Teil dasErgebnis einer umfassenden Diskussion der Autorenmit verschiedenen verbraucherpolitisch aktivenWissenschaftlern, denen wir zu Dank verpflichtetsind. Er gilt allen Projektpartnern des Verbundpro-jektes ,,SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel derGesellschaft‘‘, insbesondere den Kollegen der Fach-hochschule Sudwestfalen (Prof. Dr. MarcusMergenthaler) und der Zeppelin Universitat (Prof. Dr.Lucia Reisch). Des Weiteren mochten wir uns andieser Stelle bei allen Interviewpartnern fur ihreTeilnahme sowie die wertvollen Beitrage bedanken.Die Forderung des Vorhabens erfolgte aus Mittelndes Bundesministeriums fur Ernahrung und Land-wirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses desdeutschen Bundestages. Die Projekttragerschafterfolgte uber die Bundesanstalt fur Landwirtschaftund Ernahrung (BLE) im Rahmen des Programms zurInnovationsforderung (FKZ: 2817203413).

Literatur

Gigerenzer G, Todd P M, ABC Research Group (1999)Simple heuristics that make us smart. Oxford Uni-versity Press

Hold R (2009) Zur Transkription von Audiodaten.Qualitative Marktforschung, 655–668

208 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

Kuß A, Wildner R, Kreis H (2014) Explorative Unter-suchungen mit qualitativen MethodenMarktforschung, Springer, pp 51–62

Mayring P, Fenzl T (2014) Qualitative inhaltsanalyseHandbuch Methoden der empirischen Sozialfor-schung, Springer, pp 543–556

Selten R (2001) What is bounded rationality boundedrationality: the adaptive toolbox, 13, 36

Zander K, Isermeyer F, Burgelt D, Christoph-Schulz I,Salamon P, Weible D (2013) Erwartungen derGesellschaft an die Landwirtschaft. Munster: Stif-tung Westfalische Landschaft

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 209

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Adequate animal welfare standards from a citizenperspective – A stated choice experiment on broiler

Jutta Roosen1, Bernhard Kalkbrenner1, Silke Fischer1

1Chair of Marketing and Consumer Research, TUMSchool of Management, Technical University ofMunich, Alte Akademie 16, 85354 Weihenstephan,Germany,[email protected]

1 Introduction

A number of laws are regulating animal rights inGermany. Among those is the regulation of AnimalProtection and various specific regulations withregard to livestock. Despite this regulatory oversight,animal welfare in farm production has become acontentious issue. Concern is particularly high regar-ding pigs and poultry (see Christoph-Schulz et al. inthis article). As a reaction, new regulations on animalwelfare and labelling rules to enable consumer choicefor higher animal welfare products are under discus-sion. At the same time, animal welfare labels gainsignificant market shares in some countries. Forexample, products marketed in The Netherlandsunder the Beter Leven label result in spending of 295.3mio. € (Smith and Pinckaers 2012). However, criticsargue that voluntary labels will not suffice to addressall issues of animal welfare (Blaha 2017). The adjust-ment in livestock husbandry standards is thus prone topossible, additional regulatory action.

Blaha (2017) names 4 areas of action that should betaken into account: keeping all farm animals inaccordance with the animal protection law allowingfor natural behaviour and avoiding amputations,active animal health management for all livestockunits, health monitoring, and educating animallivestock owners and managers. However, higheranimal welfare standards will come at a cost. A recentreport by the Scientific Advisory Board on Agricul-tural Policy (2015) estimates that the implementationof their recommendations for a viable livestock hus-bandry accepted by large parts of the populationwould cost in the range of 3 to 5 bn. € per year. Karl &Noleppa (2017) report that German agriculture issubject to additional costs of 696.0 mio. € forrespecting EU regulations on animal welfare, foodsafety and animal health in German livestockproduction.

In order to understand the economic welfareimplications of stricter production standards and toinvestigate which standards yield additional

consumer benefits, estimates of willingness to pay(WTP) are needed. WTP is used to measure the valuethat a good or service provides to consumers and canbe linked to economic welfare studies comparingcosts and benefits of changes in the regulatoryenvironment (Hanley et al. 2001). Consumers andcitizens have specific concerns that need to beaddressed to make livestock production acceptable intheir view (Scientific Advisory Board on AgriculturalPolicy 2015). This paper’s objective is to investigatethe different aspects characterizing broiler produc-tion practices that lead to concern among consumersand to estimate WTP for changes in their regulation.The results are informative for future cost-benefitanalyses of higher welfare standards and for organi-zations designing label requirements to ensure thattheir labels meet required demand levels in themarket place. In this study, we focus on the WTP forchanges in the production of broilers. The number ofbroilers in Germany is estimated at 97.1 mio. in 2013(Bundesministerium fur Ernahrung und Landwirt-schaft 2016). The average number of animals perproduction unit is 21.588 (Bundesministerium furErnahrung und Landwirtschaft 2016). Around 77 % ofbroilers are produced in units of 50.000 animals andmore. These units represent about 13 % of broilerfarms in Germany.

There is a significant number of WTP studies foranimal welfare. Meta-analyses have been provided byNorwood & Lusk (2011), Lagerkvist and Hess (2011) andClark et al. (2017). Clark et al. (2017) find a positiveWTP for improved animal welfare independent ofspecies and welfare aspects. Reviewing studies ofWTP for avoiding specific technologies Lusk et al.(2014) find significant heterogeneity in WTP, gene-rally increasing with the income and decreasing withage. A stated choice study on broiler filets in theNetherlands by de Jonge et al. (2015) included pro-duct attributes such as the Beter Leven hallmark,outdoor access, stocking density and day-nightrhythm. They find heterogeneous preferences, i.e.different consumer segments that state varying WTPfor broiler filets with higher animal welfare stan-dards. Carlsson et al. (2007) analyzed WTP for animalwelfare for broilers in Sweden. A preference forkeeping broilers outdoors (in summer)/in smallergroups indoors (in winter) was found, as well as aWTP for slow growth breeds (as compared to fastgrowing breeds) in forced choices. No WTP formobile abattoirs over transport of animals toslaughter houses was found. For Germany, Heise andTheuvsen (2017) recently examined the general wil-lingness to pay for meat, eggs and milk in Germany.

210 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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Their analyses show that 76.5 % of German consu-mers state a willingness to pay a price premium forhigher animal welfare standards. On average, pricepremia up to 40 % could be accepted, but only fewconsumers would pay premia above 40 %. The studyfinds that preferences are heterogeneous and factorssuch as gender and involvement influence the wil-lingness to pay.

Against this background, the present study aims toinvestigate the following 3 questions:

• RQ 1: From a citizen perspective, who carries theresponsibility for adequate animal welfarestandards?

• RQ 2: What are consumer preferences for ade-quate regulations for animal welfare for broilerproduction?

• RQ 3: How do consumers react in their purchasebehavior to an increasing price for meat?

2 Methodology

2.1 Methods

We conducted an online survey to investigate citizenpreferences for improved animal welfare practices in

broiler meat production. The survey included achoice experiment on the preferences towards wel-fare standards in different production systems forchicken and pigs. This paper focuses on the hypo-thetical choices as regards broilers. In contrast tomany other studies, our survey focused on partici-pants choice among different regulatory options thatwould apply to all broiler meat produced in Germanyand eventually lead to higher prices. Before thechoice experiment, we presented instructions, anintroduction to the attributes, and the paymentvehicle, i.e. new regulations would lead to highermeat prices. Each choice question represents a dis-crete choice between three legal environments withspecific animal welfare standards and the status quo.Based on a literature review, we included 5 regula-tory parameters with 2 levels each (maximumnumber of animal capacity per operating unit,stocking density, fattening period, housing system,and bill shortening) and 2 parameters with 4 (day-oldchicken) and 5 levels (price). The attributes and levelsare presented in Table 1. Table 2 shows a samplechoice task.

Table 1 Attributes and levels used in the choice experiments

Attribut Levels

Maximum number ofanimal capacity

18.000a 5.000

Stocking density 23 Animals/m2a

10 animals/m2

Fattening period Approx.32 daysa

Approx. 60 days

Housing system Barna Free range

Male chicks fromlaying hens

Day-oldchicks arekilleda

Use of spring chicken(male laying hybrids)

Breeding for mast andlaying (dual purpose breed)

Gender sexing in the egg andelimination of the male eggs

No bill shortening Billshorteninga

Without bill shortening

Increase in monthlyfood spending

€0a €2.45 €4.90 €7.35 €9.80

a Status quo option and reference level in the data analysis

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 211

123

The scenarios are built on the current Germanregulations for chicken husbandry. The study focuseson 6 attributes and analyzes current animal welfarestandards and higher standards. While the attributesrefer mostly to broiler production per se, some attri-butes are based on the interlinkage to the productionof layers, as certain regulations in one sector wouldhave implications for the other. First, the size of thefarm operation was defined as 18.000 chickensa or5.000 chickens (levels marked with a represent thestatus quo). 18.000 chickens represents a commonsize. Second, the stocking density is either 23 animals/m2a, the current standard, or 10 animals/m2. Third, ashousing systems we included barna and free-range.Fourth, the fattening period was defined as 32 or 60days. Fifth, it is common to kill the day-old chicks oflaying hensa after hatching since special breeds areused as broilers. We defined 3 alternatives for dealingwith day-old chicks: the use of spring chicken (malelaying hybrids used for meat at early age), breedingfor mast and laying, and gender sexing in the eggwith the elimination of the male eggs. Sixth, accor-ding to current regulations farmers are allowed tocut the billsa of the parent birds to prevent picking.Another practice is to not cut the bills. Price levelswere defined as increases in household expenditureson food due to the higher costs of the different ani-mal welfare standards. Compared to no change inthe status quo (0€), we defined increases in monthlyfood spending as ?2.45€, ?4.90€, ?7.35€ and ?9.80€.The higher food spending is based on a percentagechange from the average expenditures on food.According to the Income and Expenditure Survey

(Statistisches Bundesamt 2011) average householdexpenditures are 290 € per household and month forfood, and 49 € for meat and meat products. Theexpenditure change scenarios thus correspond onaverage to a 5, 10, 15 and 20 % change in meatexpenditures per household and month.

Using Ngene software we generated an ‘optimalorthogonal in the difference’ design (Street et al.2005). We used a fractional design that resulted in 16choice sets. As we blocked the sets into 2 blocks,respondents had to fill in one block with 8 choicesets. The resulting MNL D-error was 0.183.

2.2 Data collection

A total of 1420 respondents from Germany wereinterviewed by means of internet-based ques-tionnaires in May and June 2016. A market researchcompany was in charge of recruiting the respon-dents and conducting the survey. The panel isrepresentative of the German population in terms oflocation, monthly net income, sex, age, employmentstatus, and education. The total sample was splitinto one group filling in the chicken experiment,while the other group took part in an experiment onpigs. 714 respondents were allocated the choiceexperiment on chicken. The majority of therespondents (52.4 %) often purchases chicken meat,42.4 % rarely, and 5.2 % (n = 37) do not buy chickenat all. In this article, we only include consumers whopurchase chicken at least rarely. Hence, the finalsample consisted of 677 respondents. Table 3 pres-ents the composition of the total sample and the

Table 2 Example of a choice set (translated from German)

Please choose one of the 4 alternatives:Which scenario would you opt for considering the changes in your monthly food spending?

Scenario A Scenario B Scenario C Status quo

Maximum no. of animal capacity: 18.000 Maximum no. of animalcapacity: 18.000

Maximum no. of animalcapacity: 5.000

No. revision of theregulatory framework

10 animals/m2 10 animals/m2 23 animals/m2

Barn Barn Free range

Fattening period approx. 32 days Fattening period approx.32 days

Fattening period approx.60 days

Gender sexing in the egg and eliminationof the male eggs

Use of spring chicken (malelaying hybrids)

Day-old chicks are killed

Without bill shortening Bill shortening Without bill shortening

Increase in monthly food spending €9.80 Increase in monthly foodspending €4.90

Increase in monthly foodspending €2.45

I choose: A B C D

212 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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broiler sub-sample. The sub-sample has similarcharacteristics as the total sample.

2.3 Statistical analysis

We conducted a choice experiment, which builds onthe random utility framework (McFadden 1974). Totest for the assumption of independence of irrelevantalternatives (IIA) among choice options, we conduc-ted a Hausman test (Hausman and McFadden 1984).The test results in significant outcomes and rejectsthe IIA assumption. We, hence, estimate a random-parameters logit model using Stata (commands:mixlogit and wtp). The data is dummy coded and theparameters in this study are set to be random, butprice and the status quo option are defined as fixed(Hole and Kolstad 2012). We use 500 Halton draws toestimate our random parameters logit model.

3 Results

We asked respondents about (1) the responsibilitiesfor ensuring adequate animal welfare standards, (2)conducted a choice experiment on broiler husbandrystandards and (3) analyzed consumption responses tohigher meat prices. Our respondents see mainly far-mers (43.3 %) in charge of an adequate animalhusbandry, followed by the state (26.8 %), and con-sumers themselves (21.5 %).12 Only 6.5 % see the retailsector as mainly responsible to ensure adequateanimal welfare. 2.2 % of the sample selected ‘‘others’’and most of them filled in that all the above-men-tioned stakeholders are in charge. The results of therandom parameters logit model of the choice expe-riment on different legal settings for farm animalwelfare standards for chicken are presented inTable 4. The mean estimate coefficients show theutility attached to the different levels, and significantstandard deviations represent preferenceheterogeneity.

Table 3 Sample Characteristics

Variables Broiler sub-sample(N = 677)

Total sample(N = 1420)

Frequency (%) Frequency(%)

Gender

Female 50.7 51.6

Male 49.3 48.4

Age

18–24 years 7.8 8.0

25–29 years 7.0 7.4

30–39 years 17.5 18.0

40–49 years 16.2 16.1

50–64 years 27.9 27.9

65 years and older 23.5 22.6

Average monthly net householdincome (in Euro)

Less than 500 2.1 2.1

500–899 7.2 7.6

900–1299 15.2 13.7

1300–1499 8.6 8.5

1500–1699 7.5 7.3

1700–1999 9.3 9.9

2000–2599 16.2 16.0

2600–3199 11.8 11.8

3200–4499 14.2 14.7

4500–5999 5.2 5.8

At least 6000 2.7 2.7

Education

No degree 1.5 1.0

Secondary general school-leaving certificate(Hauptschulabschluss)

23.5 21.6

Certificate of ten-grade schoolof general education in theformer GDR (PolytechnischeOberschule)

6.6 6.2

Intermediate school-leavingcertificate (Mittlere Reife)

28.4 28.9

University/University of appliedsciences entrance qualification(Fachabitur, Abitur)

21.1 21.4

Degree from university oruniversity of applied sciences

18.9 20.9

12 Results for the full sample (n = 1420); Item: ‘‘In youropinion, who is mainly responsible for an adequate animalhusbandry?’’

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 213

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All estimates are significant except the maximumnumber of animal capacity and the fattening period.However, the results of the standard deviations indi-cate that preference heterogeneity exists for allattributes; i.e. respondents value certain productattributes to varying degrees.

The results show a significant preference for thestatus quo. 51 participants chose the status quo in all8 choice sets presented—consistently refusing regu-latory revisions. The coefficient of expenditure isnegative, indicating that consumers prefer lowerexpenditures to higher ones.

The maximum number of animal capacity and thefattening period do not have a significant effect onchoices as regards higher animal welfare standards. Wefind a preference for a lower density of animals—aregulation with 10 animals/m2 is preferred over 23animals/m2. The housing system is another significantparameter for animal welfare standards. Consumers

state a preference for free range over barn housing. Asmale chicks of laying hens cannot be used as fattenedchicken, different alternatives exist to deal with thisissue. When compared to the status quo of killing theday-old chicks, consumers state preferences for bree-ding for mast and laying, followed by gender sexing inthe egg and elimination of the male eggs, and the useof spring chicken (male laying hybrids). Finally, consu-mers advocate no shortening of bills.

In order to analyze the WTP of consumers, weexamine an increase of food spending for higherfarm animal welfare standards. We elicit relativelyhigh price premia (in terms of higher food spending)for the issue of day-old chicks. The results indicatehigher WTP for breeding for mast and laying (?7.2€),gender sexing in the egg and elimination of the maleeggs (?6.0€), and spring chicken (?5.0€), i.e. malelaying hybrids, when compared to killing day-oldchicks. Consumers are found to be willing to increasetheir monthly spending by 5.3€ for animals welfarestandards that prohibit shortening bills. The housingsystem is another important aspect analyzed in thisstudy. We find additional monthly expenditures of4.7€ for free-range chickens, when compared to barnhousing. To achieve a regulation with lower densitiesof animals (10 animals/m2 instead of 23 animals/m2),consumers would be willing to spend additional 4.1€per month on food.

Table 5 WTP estimates

Increase in monthly foodspending (in €)

Maximum number of animal capacity (reference: 18.000animals)

5.000 animals 0.63 (ns)

Density (reference: 23 animals/m2)

10 animals/m2 4.05

Fattening period (reference:Approx. 32 days)

approx. 60 days 0.70 (ns)

Housing system (reference: Barn)

Free range 4.71

Day-old chicken (reference:day-old chicks are killed)

Spring chicken (male layinghybrids)

5.03

Breeding for mast and laying 7.20

Gender sexing in the egg andelimination of the male eggs

5.96

No bill shortening (reference: Billshortening)

5.33

ns not statistically significant

Table 4 Conditional Logit Parameter Estimates

Variable Coef. Std.Err.

Mean estimates

Status quo 0.748*** 0.107

Expenditures - 0.158*** 0.009

3.000 animals (Reference: 18.000 animals) 0.100 0.060

10 animals/m2 (Reference: 23 animals/m2) 0.638*** 0.080

Free range (Reference: Barn) 0.743*** 0.068

Approx. 60 days of fattening (Reference:Approx. 32 days)

0.111 0.065

Day-old chicken (reference: day-old chicksare killed)

Spring chicken (male laying hybrids) 0.793*** 0.084

Breeding for mast and laying 1.135*** 0.080

Gender sexing in the egg and elimination ofthe male eggs

0.939*** 0.093

No bill shortening (reference: billshortening)

0.840*** 0.064

Standard deviations

3.000 animals 0.69*** 0.089

10 animals/m2 1.562*** 0.084

Free range 1.073*** 0.080

Approx. 60 days 1.012*** 0.074

Spring chicken (male laying hybrids) 0.783*** 0.104

Breeding for mast and laying 0.991*** 0.089

Gender sexing in the egg and elimination ofthe male eggs

1.190*** 0.096

No bill shortening 1.126*** 0.069

* p\0.05, **p\0.01, ***p\0.001

No. of observations = 21664; LR chi2 (8) = 1536.72; Log like-lihood = - 6066.957; Prob[ chi2 = 0.000

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In order to verify the findings of the choice experi-ment, we asked respondents (n = 1420) about theirpurchasing behavior in case the price for meat wouldincrease. Around half of the consumers (49.2 %) wouldnot reduce their meat consumption while over a third(36.9 %) would lower it 2.7 % of the sample indicated toincrease their meat consumption if higher animalwelfare standards become the norm. A share of 11.2 %do not know if they would change their behavior.

4 Discussion

The objective of this study was to investigate the dif-ferent aspects characterizing broiler productionpractices that lead to concern among citizens and toestimate WTP for changes in regulations. We elicitedpreferences of German consumers for different regu-lations as regards broiler chicken using a stated choiceexperiment. With regard to RQ1, we find that—from acitizen perspective—farmers are assigned primaryresponsibility to ensure adequate animal welfare. Thestate and consumers themselves are seen as furtherimportant actors, while the role of the retail sector isviewed as almost negligible. These findings correspondto the study by Zander et al. (2013), with farmers beingmainly responsible to ensure adequate animal hus-bandry, followed by the state. However, the presentstudy indicates a more prominent role of the consu-mers—21.5 % see consumers as mainly in chargecompared to 13.2 % in Zander et al. (2013).

With respect to RQ2—consumer preferences forregulations for animal welfare for broiler produc-tion—the study shows that the killing of day-old chicksis an issue that consumers oppose. Strong preferencesexist for breeding for mast and laying, followed bygender sexing in the egg with the elimination of themale eggs, and male laying hybrids. It must be notedthat the survey was conducted in temporal proximityto the verdict of the Oberverwaltungsgericht NRW onthe killing of one-day old chicks (20 A 488/15; 20 A530/15). Bill shortening is another issue that consumersrefuse as they state a relatively high willingness to payfor regulation prohibiting the shortening of bills. Thehousing system of the broiler is also relatively import-ant, i.e. consumers value free range over barn housing.Finally, consumers value regulations enforcing lowerdensities (fewer animals/m2). The maximum number ofanimal capacity and the length fattening period arenot considered as significant parameters for animalwelfare.

As indicated by the significant variation in theparameters, preferences for all attributes are

heterogeneous. The size of the variation indicatesthat some consumers value the different attributelevels, while others do not. The willingness to payparameters—measured in terms of a percentagechange from the average expenditures on meat—formale laying hybrids, free range and lower stockingdensity are in the range of a 10 % increase in meatexpenditures. Preferences for gender sexing areslightly higher. Regulations stipulating breeding formast and laying would be favored and a willingnessto spend around 15 % more per month on meat isfound. In our hypothetical scenario, we find a rela-tively high WTP for dual-purpose chicken, but alsosee heterogeneous preferences. Overall, the increasein monthly food spending for meat between 10 % and15 % can be regarded as realistic (from the consumerperspective) as e.g. Heise and Theuvsen (2017) foundaccepted premia for products with higher animalwelfare standards of up to 40 %. However, the addi-tional costs for chicken products with higher animalwelfare standards needs to be investigated. Moreover,the acceptance e.g. of dual-purpose chicken and theactual willingness to pay at the point-of-sale as wellas the sensory evaluation are open questions.

With regard to RQ3, we conclude that consumersreact differently to increasing prices for meat. Whilethe majority would not change their purchase beha-vior, around one-third would reduce their meatconsumption. Only a very small share of the samplewould increase their meat consumption due to higherperceived animal welfare standards. Referring to cur-rent regulations in Germany, the study highlights thepotential for a stronger regulatory framework from thecitizen perspective. Consumers advocate that chickenhave an adequate space to live, i.e. a low stockingdensity and an adequate housing system. Moreover, theregulator should solve the issue of killing day-oldchicks, in particular by focusing on breeding for mastand laying, and include regulations regarding billshortening and the housing system, in particular withaccess to different climate zones.

Although we tried to reduce the hypotheticalcharacter of this study, one has to keep in mind that agap between the hypothetical and actual WTP forhigher animal welfare standards might exist. Analy-zing actual purchase behavior using scanner datathat includes specific product details like animalwelfare labels (which is often lacking in current datasources) would allow investigating this issue in fur-ther detail. Moreover, other potentially importantanimal husbandry parameters could be included infuture analyses. The complexity of the choice expe-riment might have resulted in information overload

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123

for respondents. However, we could not identify sys-tematic refusal to consider the options in the choiceset within our sample. Despite the serious conside-ration by respondents, the estimates may beimpacted by limited scope sensitivity (Goldberg andRoosen 2007), an issue that could be investigated infutures studies.

This study provides insights for legal revisions foradequate animal welfare standards from a citizenperspective, while other aspects such as the view ofthe farmers, cost issues and the implementation ofnew regulations also need to be considered. Futurestudies could conduct cost-benefit analyses of higherwelfare standards enabling a more complete assess-ment of alternative options.

Acknowledgment The authors thank JohannaDahlhausen for her help in planning this study andthe choice experiment.

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SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 217

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Burgerreaktionen auf Zielkonflikte in derHuhnchenmast

Winnie Isabel Sonntag1, Stefan Golze1, Arne Kutsch-bach1, Birgit Gassler1, Achim Spiller1

1Georg-August-Universitat Gottingen, Departmentfur Agrarokonomie und Rurale EntwicklungMarketing fur Lebensmittel und [email protected]

1 Einleitung

Eine steigende Besorgnis gegenuber intensiven Tier-haltungssystemen ist ein anhaltendes Phanomen inwestlichen Gesellschaften (Van Loo et al. 2014). Ins-besondere Produktionsformen mit großen Tierzahlenund ganzjahriger Stallhaltung, die einen hohenMechanisierungsgrad aufweisen, wie bspw. dieMasthuhnchenhaltung, werden von der Gesellschaftnegativ bewertet (Castellini et al. 2008). Einerseitswerden Geflugelprodukte aufgrund ihres geringenPreises und ihres ernahrungsphysiologischen Wertesgerne konsumiert, andererseits werden Produktsi-cherheit und hohe Tierwohl- und Umweltstandardserwartet (De Jonge und van Trijp 2013; Vanhonackeret al. 2010). Daraus entstehen zwangslaufig Zielkon-flikte, die fur Laien nicht ohne weiteres erkennbarsind (Zander et al. 2013).

Allgemein versteht man unter einem Zielkonfliktdie Unvereinbarkeit zweier Ziele. Es kann kein Zielrealisiert werden, ohne ein anderes Ziel zu ver-nachlassigen (Laux et al. 2014). In Bezug auf dielandwirtschaftliche Tierhaltung ist den meisten Bur-gern der Zielkonflikt zwischen niedrigen Preisenund Tierwohl gelaufig, allerdings existieren Zielkon-flikte auch zwischen verschiedenenNachhaltigkeitsdimensionen oder zwischen ver-schiedenen Tierschutzzielen (WBA 2015). Um einehohere Akzeptanz der Tierhaltung zu erreichen,muss klar sein, welche Ziele von Burgern im Kon-fliktfall praferiert werden.

Bisher ist allerdings kaum bekannt, wie Burgerreagieren und sich entscheiden, wenn sie sich mittypischen Zielkonflikten in der Huhnchenhaltung (wiebspw. hoherer Stickstoffeintrag vs. Tageslicht bei derAuslaufhaltung) auseinandersetzenmussen. Vor diesemHintergrund wurden zunachst in einem innovativenMixed-Methods-Ansatz 10 intensive Einzelinterviewsmitdeutschen Burgern gefuhrt und diese Ergebnisseanschließend in einer quantitativen Befragung mit 303Probanden verifiziert. In beiden Studienwurden neutralgehaltene Informationstexte und Bilder eingesetzt, um

den Teilnehmern ausgewahlte Zielkonflikte zu veran-schaulichen. Es wurde ermittelt, wie die Probandenreagieren, wenn sie mit Nachteilen eines positiv wahr-genommenen Systems und mit Vorteilen eines negativwahrgenommenen Systems konfrontiert werden. DieStudie lasst erste Schlussfolgerungen daruber zu, wieBurger verschiedene Nachhaltigkeitsziele gegeneinan-der abwagen und welche Priorisierung sie vornehmen.Die Ergebnisse unterstutzen politische Entscheider unddie Praxis bei der Entwicklung innovativer Tierhal-tungssysteme unter Einbeziehung vonBurgermeinungen.

2 Vorgehensweise und Methoden

Vor dem Hintergrund der skizzierten Forschungslu-cke wurde ein qualitatives, exploratives Vorgehen inForm von Einzelinterviews mit einem quantitativenVorgehen in Form einer Online-Befragungkombiniert.

2.1 Qualitative Interviews

Fur die qualitativen Interviews wurden Burger uberAnzeigen in der Presse und sozialen Medien rekru-tiert. Zwischen dem 31. Oktober und dem 03.November 2016 wurden zehn 90-minutige halb-strukturierte, intensive Leitfadeninterviews mitBurgern gefuhrt, die keine Vorkenntnisse oderberufliche Erfahrungen in der Landwirtschaft hatten.Die funf Frauen waren durchschnittlich 41 Jahre altund die funf Manner im Durchschnitt 35 Jahre alt.Unterstutzt von Bildern und neutral formuliertenTexten wurden Zielkonflikte bei der Auslaufhaltungfur Masthuhnchen und der Bodenhaltung auf Ein-streu dargestellt (Abb. 1 und 2). Die Vor- undNachteile wurden anhand einer Literaturrechercheidentifiziert und von Experten auf Neutralitatbegutachtet (Tab. 1). Das Vorgehen war in allenInterviews identisch. Die Probanden wurden nacheiner Einfuhrungsphase und der Frage nach Kon-sumgewohnheiten zunachst gebeten, die Bilder derAuslaufhaltung und der Bodenhaltung ohne Infor-mationen zu beurteilen und ihre Wahrnehmungenzu schildern. Danach erhielten sie die Auflistung derVor- und Nachteile beider Systeme. Die Interviewswurden aufgezeichnet, anschließend transkribiertund inhaltsanalytisch nach Mayring (2010) ausge-wertet. Dieser Auswertungsmethode folgend,wurden Aussagen zunachst paraphrasiert, generali-siert und dadurch deduktive Hauptkategoriengebildet (Mayring 2010). Anschließend wurdeninduktive Kategorien abgeleitet und das

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Kategoriensystem weiter verfeinert (Kuckarzt 2016).Somit konnten die Aussagen den gebildeten Kate-gorien zugeordnet werden. Die Datenanalyse erfolgtmittels der Software MAXQDA.

2.2 Quantitative Online-Befragung

In Anlehnung an die Ergebnisse der qualitativenInterviews wurde im Marz 2017 eine deutschland-weite Online-Umfrage mit Quoten fur Alter,Geschlecht und Bildung in Zusammenarbeit miteinem Panel-Anbieter durchgefuhrt. Insgesamt wur-den 303 deutsche Burger uber 18 Jahre befragt. DerFragebogen gliederte sich in 4 Blocke:

1. Allgemeine soziodemographische Angaben,2. Nahe zur Landwirtschaft und Konsumverhalten,3. Einstellungsfragen zum Informations- und Ein-

kaufsverhalten sowie zur Tierwohldiskussionund

4. Bewertung der identifizierten Zielkonflikte. Inder quantitativen Befragung wurden die Redu-zierung der Besatzdichte sowie dieAuslaufhaltung fur Masthuhnchen als Zielkon-flikte thematisiert.

Im vierten Block war das Vorgehen fur jedenZielkonflikt identisch. Zunachst erhielten die Pro-banden gleichzeitig Bilder und Informationstexte mitVor- und Nachteilen des jeweiligen Systems (Abb. 1bis 2 und Tab. 1). Nach der Informationsgabe wurdendie Teilnehmer gebeten, einzelne Zielkonflikte zumjeweiligen System zu bewerten. Ziel war herauszu-finden, wie sich die Teilnehmer bei Konfliktenzwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielen (wiez.B. Tierwohl vs. Umweltschutz) und zwischenaltruistischen und egoistischen Zielen (wie z.B. Tier-wohl vs. Produktqualitat) entscheiden. DieAuswertung der erhobenen Daten wurde mittels IBMSPSS 24 durchgefuhrt.

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 219

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Abb. 2 Eingesetzte Bilder zum Zielkonflikt Auslaufhaltung

Abb. 1 Eingesetzte Bilder zum Zielkonflikt Bodenhaltung auf Einstreu

220 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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3 Ergebnisse

3.1 Qualitative Interviews

3.1.1 Einschatzung des eigenen Wissensstandes undKonsumverhaltensDas Vorwissen und die Erfahrungen zum ThemaHuhnchenmast waren bei den Probanden eher ger-ing. Direkten Kontakt zur Huhnchenmast hattenlediglich 2 der Befragten. Auf die Frage, wie sich dieInterviewten aktuelle Haltungsformen in der Huhn-chenmast vorstellen, wurden fast ausschließlichnegative Begriffe verwendet. Unter den Probandenbefanden sich eine Veganerin, ein Vegetarier undacht Fleischesser. Der Fleischkonsum der Fleischesserschwankte von einer Fleischmahlzeit pro Woche bishin zum taglichen Fleischkonsum. Sieben Probandenaßen auch Huhnchenfleisch.

3.1.2 Konfrontation mit ZielkonfliktenNur drei Probanden konnten auf die Frage, was untereinem Zielkonflikt zu verstehen sei, eine konkreteAntwort geben. Die restlichen Teilnehmer erklarten,nicht zu wissen, was ein Zielkonflikt sei. ZurUnterstutzung wurde deshalb ein thematisch ent-ferntes Beispiel genannt (Geldanlage mit niedrigemRisiko aber auch geringer Rendite). Anschließendwurde offen abgefragt, welche Zielkonflikte in derHaltung von Masthuhnchen vorliegen konnten.Neun von zehn Probanden konnten mindestenseinen Zielkonflikt nennen. Die haufigsten Beispielewaren der Konflikt zwischen Produktpreis bzw. Zah-lungsbereitschaft und Qualitat der Tierhaltung bzw.des Fleisches.

Tab. 1 Informationen fur die Interviewteilnehmer

Vorteile Nachteile

Bodenhaltung 1 Umweltparameter wie Temperatur, Licht undLuftwechselrate konnen kontrolliert werden

Aufgrund der hohen Tierzahlen kommt es bei denHahnchen zu Behinderungen beim Aufstehen undBewegen

2 Emissionen wie Geruch oder Larm sind verringert Dies hat eine Bewegungseinschrankung fur dieHahnchen zur Folge

3 Durch Stallhaltung wird die physiologische Entwicklungder Tiere optimiert. Sie ist okonomisch sehr effizient undweniger arbeitsintensiv

Das Ausuben naturlicher Verhaltensweisen ist erschwert

4 Hygienische Probleme durch Krankheitsubertrager ausder Umwelt sind minimiert

Die Tiere weisen mehr Befiederungsdefekte durchKratzverletzungen auf

5 Erhohte Tiersicherheit, da die Tiere nicht mitBeutegreifern in Kontakt kommen

Kotplatz und Liegebereich konnen aufgrund derBesatzdichte weniger getrennt werden

6 Durch Intensivhaltung großer Tierzahlen verringert sichder Flachenbedarf pro Tier

Die Gefahr von Infektionen durch Ausscheidungen istvergroßert

Auslaufhaltung 1 Es wird den Tieren ermoglicht in Interaktion mit derUmwelt zu treten. Die Hahnchen haben Wahlfreiheitzwischen verschiedenen Klimabedingungen undZugang zum Tageslicht

Mit diesem System sind erhohte Investitions- undBetriebskosten verbunden

2 Sozialverhalten und arttypisches Verhalten wie scharren,picken oder sandbaden konnen besser ausgelebtwerden

Durch den hoheren Platzbedarf und die erweitertenBewegungsmoglichkeiten der Tiere, die zu einemerhohten Futterverbrauch fuhren, ist die Haltungkostenintensiver

3 Die Tiere weisen weniger Befiederungsdefekte durchKratz- und Pickverletzungen auf

Aufgrund des Kontakts zur Außenwelt und Wildvogeln istder Hygienestatus schwerer aufrecht zu halten, da eineerhohte Gefahr der Aufnahme von Krankheitserregernbesteht

4 Die Tiere haben weniger schwere Lasionen an denFußballen

Der Kontakt zu Beutegreifern verringert dieTiersicherheit

5 Es steht mehr Platz pro Tier zur Verfugung Es kommt zu einer Ubernutzung des stallnahenBereiches, indem die Grasnarbe zerstort wird und starkeUberdungung stattfindet

6 Die Tiere leben in der Regel langer Insgesamt erweist sich dieses System als arbeitsintensiver

Quelle: Bessei 2006; Dawkins et al. 2003; Ellendorff et al. 2002; Fanatico et al. 2005; Feddes et al. 2002; Ghosh et al. 2012; Knierim 2013;Puron et al. 1995; Reiter und Bessei 2000; Stahl et al. 2002; Tuyttens et al. 2008; Wolf-Reuter 2004

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 221

123

Bodenhaltung auf EinstreuBeim Fallbeispiel Bodenhaltung auf Einstreu wur-

den die Probanden zunachst gebeten Bilder (Abb. 1und 2) ohne Informationen zu bewerten. Insgesamtbeschrieben die Teilnehmer ihre Wahrnehmungenals negativ. Ein Großteil der Befragten außerteBesorgnis uber das Wohl der Tiere in dieser Hal-tungsform. Vor allem, dass die Tiere zumindestTageslicht sehen, wurde als Wunsch geaußert.Anschließend erhielten die Probanden Texte mit Vor-und Nachteilen (Zielkonflikten) des jeweiligen Hal-tungssystems. Sie wurden erneut gebeten ihreWahrnehmungen zu beschreiben und sich fur eineArgumentationsrichtung, also entweder fur die Vor-oder die Nachteile, zu entscheiden. Wahrend dieNachteile allen Befragten fast ausnahmslos bekanntwaren, erschienen die Vorteile uberwiegend neu. DieProbanden außerten großtenteils Verstandnis fur dieTierhalter und konnten die genannten Vorteile desSystems nachvollziehen. Dieses Verstandnis wolltendie Probanden jedoch nicht als Akzeptanz verstandenwissen. Zu den plausiblen Argumenten zahlte inerster Linie die erhohte Kontrolle der Umweltpara-meter wie Temperatur, Licht und Luftwechselrate.Mehrmals genannt wurde auch die okonomischeEffizienz, wobei dies als positiv fur die Produzentenund nicht fur das Tier oder die Verbraucher gewertetwurde. Dass mit dem geschlossenen System eineMinimierung hygienischer Probleme durch Krank-heitsubertrager aus der Umwelt einhergeht, wurdeals vorteilhaft empfunden. Als nachteilig fuhrten dieProbanden das unnaturliche und nicht arttypischeVerhalten der Huhnchen in einem solchen Systeman. Insgesamt bewertete eine Probandin abschließ-end die Bodenhaltung als positiv, die anderen 9Teilnehmer gewichteten die Nachteile der Boden-haltung starker. Die zur Verfugung gestellteInformation fuhrte nach eigener Angabe bei keinemProbanden zu einer veranderten Wahrnehmung derBodenhaltung auf Einstreu.

Auslaufhaltung fur MasthuhnchenNachfolgend wurden die Probanden mit Bildern

und Zielkonflikten der Auslaufhaltung konfrontiert.Die Bilder der Auslaufhaltung wurden sehr positivbewertet. Vereinzelt schlossen einige Probandenaufgrund der Auslaufhaltung auch auf ein hochwer-tigeres Nahrungsmittel. Ein weiterer, oftwiedergegebener Vorteil war, dass sich die Tieredurch die Interaktion mit der Umwelt arttypischerverhalten konnten. Auf der Seite der Nachteile wurdedie Problematik der erhohten Betriebskosten und desArbeitsaufwandes verdeutlicht, fur die personlicheBeurteilung dieses Haltungssystems war dies aber

nicht ausschlaggebend. Die erschwerte Aufrechter-haltung des Hygienestatus wurde negativ bewertetund weckte bei den Probanden die Sorge, dass dieTiere mehr Antibiotika bekommen, sich dadurch dieFleischqualitat verschlechtert und somit auch dieeigene Gesundheit negativ beeinflusst wird. Insge-samt gaben die Probanden aber an, dass sich ihrpositiver Eindruck des Haltungssystems durch die zurVerfugung gestellte Information noch verstarkt habeund dass es anzustreben sei, deutlich mehr Tiere indiesem System zu halten.

Quantitative BefragungAuf Basis der Ergebnisse der Interviews wurde eine

Online-Befragung mit 303 Teilnehmenden durch-gefuhrt. Es nahmen insgesamt 48,8 % mannliche und51,2 % weibliche Teilnehmende an der Online-Befra-gung teil. Diese waren im Mittel 48,6 Jahre alt undgroßtenteils Angestellte (35,3 %) und Rentner (26,1 %),die oftmals in Zwei-Personen-Haushalten (43,6 %)oder in Single-Haushalten (29,0 %) lebten. Insgesamtspiegelt die Stichprobe die deutsche Bevolkerungrelativ gut wider.

Einschatzung des eigenen Wissensstandes undKonsumverhaltens

Bei der Frage nach ihrem Bezug zur Masthuhn-chenhaltung schatzten die Probanden ihr Interessean der Landwirtschaft (73,6 %) und an der Huhn-chenhaltung (76,5 %) als mittel bis sehr hoch ein. Daseigene Wissen uber die Huhnchenhaltung wurdehingegen als mittel bis gering bewertet (75,2 %).93,7 % der Probanden kaufen Fleisch und Wurstwa-ren und rund 80 % der Befragten essen mehrfach proWoche bis taglich Fleisch.

Konfrontation mit ZielkonfliktenNachdem die Probanden Bilder und Informati-

onstexte zu den jeweiligen Haltungsformen erhaltenhatten (s. Tab. 1 und Abb. 1 und 2 im Anhang), wur-den sie gebeten, Zielkonflikte anhand einer5-stufigen Skala (von ,,stimme voll und ganz zu‘‘ bis,,stimme ganz und gar nicht zu‘‘) zu bewerten.

Reduzierung der BesatzdichteBei den Zielkonflikten zur Reduzierung der

Besatzdichte entschied sich der Großteil der Teilneh-mer fur das Wohl der Tiere (s. Tab. 2). Weder eingeringer Preis noch eine bessere wirtschaftlicheSituation des Landwirts oder eine gleichbleibendeProduktqualitat konnten fur die Probanden Ein-schrankungen des Tierwohls rechtfertigen. Lediglichein guter Gesundheitszustand der Tiere, bedingtdurch moderne Stalltechnik und optimales Stallma-nagement, fuhrte zu etwas Unsicherheit in derBewertung.

222 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

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AuslaufhaltungAhnliche Resultate fanden sich bei der Bewertung

der Zielkonflikte der Auslaufhaltung (s. Tab. 3). Sonahm der Großteil der Probanden negative Auswir-kungen der Auslaufhaltung auf die Umwelt undeine Erhohung des Preises in Kauf, wenn es denTieren im Gegenzug besser geht. Eine erhohteInfektionsgefahr durch pathogene Erreger undKeime wurde als Zielkonflikt noch am starkstengewichtet, trotzdem uberwogen die Praferenzen furdie Auslaufhaltung.

Tab. 2 Bewertung der Zielkonflikte zur Reduzierung derBesatzdichte

ZielkonfliktReduzierung derBesatzdichte

Stimme vollund ganz zu& stimme zu

Teils/teils Stimme nicht zu& stimme ganzund gar nicht zu

Es ist akzeptabel, dass die Tiere weniger Platz haben, wenn …der Fleischpreisgering bleibt

9% 18% 73%

die Landwirtekostendeckendarbeiten konnen

14% 31% 55%

die Fleischqualitatgleich bleibt

19% 26% 55%

die Tiere durch denEinsatz vonmodernerStalltechnik undgutemStallmanagementgesund sind

35% 28% 37%

Es ist akzeptabel, dass die Tiere unter erhohten Stresslevelsleben, wenn …der Fleischpreisgering bleibt

8% 16% 76%

die Landwirtekostendeckendarbeiten konnen

12% 21% 67%

die Fleischqualitatgleich bleibt

12% 21% 67%

die Tiere durch denEinsatz vonmodernerStalltechnik undgutemStallmanagementgesund sind

22% 23% 54%

Es ist akzeptabel, dass die Tiere zum Ende der Mastperiode auffeuchter Einstreu leben, wenn …der Fleischpreisgering bleibt

5% 17% 78%

die Landwirtekostendeckendarbeiten konnen

8% 22% 70%

die Fleischqualitatgleich bleibt

10% 22% 68%

die Tiere durch denEinsatz vonmodernerStalltechnik undgutemStallmanagementgesund sind

17% 26% 57%

Quelle: Eigenen Erhebung, n = 303

Tab. 3 Bewertung der Zielkonflikte zur Auslaufhaltung

ZielkonfliktAuslaufhaltung

Stimmevoll undganz zu &stimme zu

Teils/teils Stimme nichtzu & stimmeganz und garnicht zu

Ein gesteigerter Nahrstoffeintrag (Nitrat) in den Boden istakzeptabel, wenn …die Tiere Zugangzu Tageslicht undfrischer Lufthaben

51% 30% 19%

die Tiere ihrearttypischenVerhaltensmusterausuben konnen

61% 25% 14%

die Tiere sichbesserfortbewegen

63% 24% 13%

Eine hohere Gefahr der Infektion mit Krankheiten istakzeptabel, wenn …die Tiere Zugangzu Tageslicht undfrischer Lufthaben

46% 34% 20%

die Tiere ihrearttypischenVerhaltensmusterausuben konnen

52% 29% 19%

die Tiere sichbesserfortbewegen

55% 27% 18%

Eine hohere Gefahr durch Angriffe von Raubtieren istakzeptabel, wenn …die Tiere Zugangzu Tageslicht undfrischer Lufthaben

61% 27% 12%

die Tiere ihrearttypischenVerhaltensmusterausuben konnen

65% 26% 9%

die Tiere sichbesserfortbewegen

66% 25% 9%

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 223

123

4 Schlussfolgerungen

Bislang wurde der Umgang von Burgern mit Ziel-konflikten in der Tierhaltung lediglich alsNebenbefund thematisiert (Zander et al. 2013). Derinnovative Zugang eines Mixed-Methods-Ansatzes,der die Burgerwahrnehmung und -bewertung derMasthuhnchenhaltung sowohl qualitativ als auchquantitativ detailliert darstellt, liefert daher wertvolleHinweise fur nachhaltige Veranderungsprozesse inder Tierhaltung. Insbesondere in Kombination mitden Ergebnissen von Rovers et al. 2017 (in diesemHeft) wird so ein breiteres Verstandnis von Burge-rerwartungen und -wahrnehmungen geschaffen. Dieexplorativen Ergebnisse zeigen, dass ein Bewusstseinfur Zielkonflikte in der Tierhaltung im Allgemeinenund in der Huhnchenmast im Besonderen bei Bu-rgern kaum bis gar nicht vorhanden ist. DenBefragten ist meist nicht bekannt, dass die mehr-heitlich praferierten Haltungssysteme auch Nachteileaufweisen. Entsprechend wurden die Probanden imzweiten Schritt mit balancierten Informationen(gleich vielen Vor- wie Nachteilen) zu unterschiedli-chen Haltungssystemen konfrontiert.

Bei der Analyse der Bewertung vorgegebenerZielkonflikte zeigte sich, dass das Wohl der Tieredominiert. So war ein hoher Tierwohlstatus von

großerer Bedeutung als egoistische Ziele, wie bspw.ein geringer Verbraucherpreis oder die Produkt-qualitat. In gleichem Maße entschieden sich Burgerfur das Wohl der Tiere, auch zu Lasten von anderenNachhaltigkeitszielen wie dem Umweltschutz. BeiZielkonflikten innerhalb des Tierschutzes wurde dasAusleben von naturlichen Verhaltensmustern hohergewichtet als die Tiergesundheit, hier war dieAbwagung allerdings weniger eindeutig. Wirt-schaftlichkeitsgesichtspunkte fur die Landwirtezahlten im Konfliktfall besonders wenig. Zudemzeigte sich in den Interviews, dass Probanden voneiner schlechten Haltung teilweise auch auf einenachteilige Produktqualitat schließen und Gefahrenfur die eigene Gesundheit ableiten.

Auch wenn die quantitative Studie aufgrund dermit rund 300 Probanden begrenzten Stichprobenicht reprasentativ fur die deutsche Bevolkerung ist,so lassen sich dennoch vorsichtige Schlussfolgerun-gen ableiten. Insgesamt verbesserte sich trotzausgeglichener, neutraler Information durch Bilderund Texte die Wahrnehmung von als negativ emp-fundenen Systemen (Bodenhaltung auf Einstreu,hohe Besatzdichte) nicht. Auch fuhrte die Konfron-tation mit Nachteilen der als positiv empfundenenAuslaufhaltung nicht dazu, dass Probanden dieseHaltungsform kritisch sahen.

Daraus lasst sich ableiten, dass eine burgernaheKommunikationsstrategie, die auf Aufklarung undInformationen setzt, wenig erfolgreich sein wird,Systeme mit negativem Image positiv darzustellen.Sehen sich Burger mit Zielkonflikten konfrontiert,dominiert das Tierwohl. Das deutet darauf hin, dassHaltungssysteme, die Tierwohlaspekte nicht beruck-sichtigen, langfristig schwer zu vermitteln seinwerden. In den qualitativen Interviews wurde immerwieder angesprochen, dass die Landwirtschaft dieZielkonflikte moglichst durch Innovationen auflosenmusste. Hieraus ergeben sich umfangreiche For-schungsdesiderate fur die Nutztierwissenschaften.

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Tab. 3 continued

ZielkonfliktAuslaufhaltung

Stimme vollund ganz zu& stimme zu

Teils/teils Stimme nicht zu& stimme ganzund gar nicht zu

Ein hoherer Preis fur Hahnchenfleisch ist gerechtfertigt, wenn …die Tiere Zugang zuTageslicht undfrischer Luft haben

71% 20% 9%

die Tiere ihrearttypischenVerhaltensmusterausuben konnen

73% 18% 9%

die Tiere sich besserfortbewegen

75% 17% 8%

Trockeneres Geflugelfleisch ist gerechtfertigt, wenn …die Tiere Zugang zuTageslicht undfrischer Luft haben

56% 29% 15%

die Tiere ihrearttypischenVerhaltensmusterausuben konnen

58% 27% 15%

die Tiere sich besserfortbewegen

59% 26% 15%

Quelle: Eigenen Erhebung, n = 303

224 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

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SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 225

123

Mehr als eine Nische? Das Potenzial desZweinutzungshuhns als Alternative zumKukentoten

Nanke Brummer1, Jorg Luy2, Anja Rovers1, InkenChristoph-Schulz1

1Thunen-Institut fur Marktanalyse, Braunschweig2Privates Forschungs- und Beratungsinstitut furangewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH,[email protected]

1 Einleitung

Durch das Gerichtsurteil des Oberverwaltungsge-richts Munster im Mai 2016 ruckte das Totenmannlicher Eintagskuken der Legehennenlinien inden Fokus der Offentlichkeit. Das Gerichtsurteilbesagt, dass das Toten der mannlichen Eintagskukenaus wirtschaftlichen Grunden gerechtfertigt sei, dabisher noch keine praktikablen Alternativen zur To-tung vorliegen (Beckmann 2016). Zuvor war nichtvielen Burgern bewusst, dass in Deutschland jahrlichmehr als 45 Mio. mannliche Eintagskuken vonLegelinien getotet werden, was sich durch die medi-ale Berichterstattung schlagartig anderte.

Das Toten von Eintagskuken ist sowohl in der kon-ventionellen als auch in der okologischen Haltung vonLegehennen ublich, weil die Mast der mannlichenKuken der Legelinien aufgrund der geringen Mast-leistung unrentabel ist (Damme 2015; Rautenschlein2016). Die Geschlechtsbestimmung im Ei, die Mast dermannlichen Tiere der Legehybriden oder Zweinut-zungshuhnrassen bilden drei Alternativen zurEintagskukentotung (Bruijnis et al. 2015). Als Zwei-nutzungshuhn werden Rassen bezeichnet, die sichsowohl fur die Eier- als auch fur die Fleischproduktioneignen. Zuchter von Zweinutzungshuhnern stehenallerdings vor dem Problem, dass sich schnellesFleischwachstum und eine hohe Legeleistung schlechtmiteinander vereinbaren lassen, denn die Hennenlegen weniger und kleinere Eier und die Hahne setzenweniger Fleisch an und benotigen mehr Zeit undFutter fur das Wachstum (Leenstra et al. 2011; Gras-horn 2013). Folglich haben Eier und Fleisch vonZweinutzungshuhnern andere Eigenschaften undsind teurer als Produkte von spezialisierten Huhner-rassen (Koenig et al. 2012; Kaufmann et al. 2016).

Die Konsumentenakzeptanz von Produkten derZweinutzungshuhner ist fur weitere Anstrengungenvon Zuchtern, Landwirten und schließlich auch in

Bezug auf potenzielle Marketingstrategien fur Fleischund Eier von grundlegender Bedeutung. Das Zielunserer Untersuchungen besteht daher darin, dieAkzeptanzvoraussetzungen von Produkten derZweinutzungshuhner beim Verbraucher zu erfassenund zu verstehen. Dazu wurde eine Forschungsko-operation mit dem von Prof. Dr. Silke Rautenschleinkoordinierten Forschungsprojekt ,,IntegHof – Geflu-gelhaltung neu strukturiert‘‘ der TierarztlichenHochschule Hannover initiiert. Im IntegHof-Projektwird das Zweinutzungshuhn aus Sicht der Tierge-sundheit, der Wirtschaftlichkeit, des Tierverhaltenssowie der Verbraucher untersucht.

2 Methodik

Um die komplexe und weitgehend unerforschte The-matikderVerbrauchersicht aufdasZweinutzungshuhnzu untersuchen, haben wir uns fur eine qualitativeMethode entschieden, die induktiv entwickelt wurde.Als Folge einer sich rasch verandernden Welt und auf-kommender Herausforderungen gewinnen induktiveMethoden an Bedeutung, weil sie besser als deduktiveAnsatze auf Veranderungen im sozialen Kontext rea-gieren konnen (Flick 2009). Um die qualitativen Datenzu generieren, wurden Gruppendiskussionen durch-gefuhrt. Gruppendiskussionen sind eine empirischeForschungsmethode mit Fokus auf Gruppendynami-ken und Interaktionen zwischen den Teilnehmern(Finch und Lewis 2003). Laut Morgan (1997) sind Grup-pendiskussioneneine Forschungsmethode, beiwelcherDaten durch Gruppeninteraktionen zu einem vorge-gebenen Thema gesammelt werden. Ziel ist es, eineAtmosphare zu schaffen, die eine nahezu naturlicheKonversation mit vielfaltigen Meinungen und Aussa-gen fordert (Lamnek 2005). Daruber hinaus fuhrt dieKonversationssituation mit anderen Teilnehmern zutieferen Einsichten in Motivationen und Rechtferti-gungen und stimuliert neue Gedanken (Finch undLewis 2003).

Die insgesamt sechs Gruppendiskussionen furdie vorliegende Studie wurden im Juni 2016 mitjeweils sechs bis acht Teilnehmern in Berlin, Mun-chen und Cloppenburg13 durchgefuhrt. DieTeilnehmer wurden von einem Marktforschungs-unternehmen rekrutiert und waren Konsumentenvon Huhnerfleisch und Eiern. Personen mit einemberuflichen Hintergrund im Bereich Landwirt-schaft, Lebensmittelindustrie oder Marktforschungwurden von den Diskussionen ausgeschlossen.

13 Kreisstadt in einer Region mit intensiver Geflugelhaltung inNiedersachsen.

226 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

Daruber hinaus wurden Quoten fur das Alter (zwi-schen 20 und 70 Jahren), Geschlecht (Anteil derManner und Frauen zwischen 33,3 % und 66,6 %)und Beschaftigung (Anteil der Beschaftigten ca.67 %) berucksichtigt. Das genaue Thema war imVorfeld nicht bekannt und wahrend der Diskus-sionen wurden keine Informationen gegeben oderFragen beantwortet. Der Leitfaden enthielt zuerstFragen zum Eier- und Huhnchenfleischkonsumsowie zum Einkaufsverhalten. Anschließend wur-den die Vorstellungen zur derzeitigen Legehennen-und Masthuhnchenhaltung erfasst und uber dieEintagskukentotung sowie mogliche Alternativenzu dieser Praxis gesprochen. Anschließend wurdezum Konzept des Zweinutzungshuhns ubergeleitet,Vor- und Nachteile diskutiert und wichtige Kauf-kriterien fur die Produkte erfasst. Abschließendwurde noch uber das Thema einer moglichenMehrzahlungsbereitschaft gesprochen. Die Diskus-sionen dauerten 90 Minuten und wurden audio-und videogestutzt aufgezeichnet und anschließendtranskribiert. Die Transkripte wurden schließlichinhaltsanalytisch nach Mayring (2015) ausgewertet.

3 Ergebnisse

3.1 Kaufkriterien fur Huhnerfleisch und Eier sowieKonsumgewohnheiten

Zu Beginn der Diskussionen wurden die Teilnehmernach ihren Konsumgewohnheiten hinsichtlich Huh-nerfleisch und Eiern gefragt. Die am haufigstengenannten Kaufkriterien bei Huhnerfleisch waren dieFleischfarbe, das Mindesthaltbarkeitsdatum und eineregionaleHerkunft. Auch eine okologische Tierhaltungwar ein Aspekt, der mehrfach genannt wurde. EinigeTeilnehmer erklarten, dass sie nicht in der Lage seien,sich Bio-Huhnerfleisch zu leisten und daher konven-tionell produziertes Huhnerfleisch kaufen wurden. Indiesem Zuge wurde auch erwahnt, dass die Haltungs-bedingungen aufgrund der Angaben auf derVerpackung schwierig nachzuvollziehen seien. InBezug auf die Konsumgewohnheiten wurde uberdiesdeutlich, dass die Diskutanten Teilstucke wie Huhner-brust oder -flugel gegenuber einem ganzen Huhnbevorzugen. Nur sehr wenige Diskussionsteilnehmergaben an, gelegentlich ein ganzes Huhn zu kaufen undviele hatten noch nie ein ganzes Huhn zubereitet.

Im Hinblick auf den Kauf von Eiern gaben einigeDiskussionsteilnehmer an, nicht auf das Haltungssys-tem zu achten. Fur andere Diskutanten war dieserAspekt sehr wichtig, sie wurden vor allem Freiland-oder Bio-Eier einkaufen. Ein weiterer Punkt war, dass

einige Teilnehmer zwischen Eiern zum Kochen undBacken oder Fruhstuckseiern unterscheiden und daherbevorzugt Freiland- oder Bio-Eier als Fruhstuckseierverwenden wurden, wobei das Haltungssystem beiEiern fur verarbeitete Lebensmittel als wenigerbedeutend eingestuft wurde. Nur wenige Diskussions-teilnehmer erklarten, dass sie ausdrucklich weiße oderbraune Eier wegen ihrer Assoziationen mit den Hal-tungsbedingungen der Huhner kaufen wurden. Eswurde erwahnt, dass zu Ostern bevorzugt weiße Eiergekauft wurden, um diese besser farben zu konnen. InBezug auf die Ei-Große waren die Meinungen vielfalti-ger. Einige Diskussionsteilnehmer erlauterten, dass sienicht auf die Ei-Große achten wurden, wohingegenandere sagten, dass sie vorzugsweise große Eierauswahlen wurden. Zusammengefasst wurden dasHaltungssystem, eine regionale Herkunft, das Min-desthaltbarkeitsdatum und die Unversehrtheit alswichtigste Kaufkriterien bei Eiern identifiziert.

3.2 Allgemeine Wahrnehmungen der Huhnerhaltung

Die spontanen Außerungen der Teilnehmer zur Huh-nerhaltung wurden von Begriffen wie ‘‘Tierfabriken’’,‘‘Mangel an Transparenz’’ und ‘‘Profitgier’’ dominiert. InBezug auf die Haltung der Legehennen waren die Dis-kussionsteilnehmer vor allem uber die Qualitat desFutters besorgt. Es wurde vermutet, dass die Huhnermit‘‘Mull’’ gefuttert wurden und sich dies in der Eiqualitatwiderspiegelt. In diesem Zusammenhang wurde auchdas Kurzen der Schnabel thematisiert. Das Bild vonHuh-nern in Kafigen, in welchen diese zusammengepferchtgehaltenwurdenundkeinenPlatz furBewegunghatten,war noch prasent, obwohl die konventionelle Kafighal-tung seit 2010 in Deutschland verboten ist. DieVorstellungderHaltungvonMasthuhnchenwar vonderIdee gepragt, dass diese den ganzen Tag fressen muss-ten, um an Gewicht zuzunehmen. DieDiskussionsteilnehmer vermuteten auch, dass es keineakzeptable Mensch-Tier-Beziehung geben wurde unddass die Stallarbeiter die Tiere nicht angemessenbehandeln wurden. Die Vermutung der prophylak-tischen Gabe von Antibiotika wurde von den Diskutan-ten wiederholt kritisch thematisiert. Zudem wurdeuberwiegend die Auffassung vertreten, dass Freiland-haltung am ehesten den Erwartungen an eineartgerechte Tierhaltung entsprache.

3.3 Moralische Bedenken und Alternativen zumKukentoten

Das Thema des Totens mannlicher Eintagskukenwurde in jeder Gruppendiskussion von den

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 227

123

Diskutanten ohne konkrete Nachfrage durch dieDiskussionsleitung angesprochen. Den meisten Teil-nehmern war diese gangige Praxis in derLegehennenhaltung bewusst. Dies konnte auch aufdie Tatsache zuruckzufuhren sein, dass das Thema zudiesem Zeitpunkt in den Medien aufgrund desGerichtsurteils zum Eintagskukentoten sehr prasentwar. Viele Diskussionsteilnehmer druckten ihreEmporung uber das Toten der Eintagskuken aus.Aussagen wie ‘‘Wenn man sich vorstellt, das sindMenschen. Die Jungen werden geschreddert und anTiere verfuttert. Das ist ja ekelhaft’’ oder ‘‘Alle Mannerbringt man um’’ demonstrieren, wie die moralischeUrteilsbildung durch Einfuhlung in die Betroffenen(Empathie) in der Praxis haufig ablauft. Viele Teil-nehmer haben sich offenbar selbst in die Rolle derbetroffenen Tiere versetzt und beurteilen das Ein-tagskukentoten nun aus dieser Perspektive. Diemeisten Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dassdas Toten von Kuken aus moralischer Sicht nichtakzeptabel sei und forderten, dass die Praxis gestopptwerden musse. Nur wenige argumentierten, dass dasHuhn sowieso getotet werden wurde und es somitegal sei, ob fruher oder spater. Bei der Diskussionuber die Grunde wurde davon ausgegangen, dass esaus ,,Profitgrunden’’ sei und dass die Hahne nichtgenug Fleischwachstum hatten. Erganzend wurdegelegentlich geaußert, dass die Verbraucher dieseSituation bislang nicht beeinflussen konnten.

Alle drei Alternativen zum Kukentoten waren nurwenigen Diskutanten bekannt. Die Geschlechtsbe-stimmung im Ei war eine Option, die mehrmalsangesprochen wurde. Einige Teilnehmer nanntenauch die Mast der Hahne der Legehennenlinien alseine mogliche Alternative zur Totung von Ein-tagskuken, wahrend die Verwendung vonZweinutzungshuhnern uberhaupt nicht erwahntwurde. Als die Teilnehmer gefragt wurden, ob sieeine Idee hatten, was unter Zweinutzungshuhnernzu verstehen sei, konnten sich nur wenige darunteretwas vorstellen. Die Teilnehmer antworteten zumBeispiel: ‘‘Ich habe keine Ahnung, was gemeint seinkonnte. Haben die zwei Kopfe?‘‘ oder ‘‘Das klingt wiein der Roboterie hergestellt’’. In Bezug auf den Begriff,,Zweinutzungshuhn‘‘ waren sich fast alle Teilnehmerdaruber einig, dass die Benennung unangemessensei und irrefuhrende Vorstellungen verursache.

3.4 Das Konzept Zweinutzungshuhn

Da der Schwerpunkt unserer Untersuchung auf derVerbraucherperspektive liegt, wurde den Teilneh-mern im Laufe der Diskussion das Konzept des

Zweinutzungshuhns erklart. Die Reaktionen warenuberwiegend positiv, aber es wurden auch Bedenkengeaußert. Der am haufigsten genannte negativeAspekt war der hohere Preis fur Fleisch und Eier vonZweinutzungshuhnern. Die positiven Aspekte betra-fen in erster Linie ethische Aspekte, da diemannlichen Kuken der Zweinutzungsrassen nicht alsEintagskuken getotet werden. Einige Teilnehmervermuteten, dass die Fleischqualitat aufgrund einerlangeren Mastdauer und eines langsamerenFleischwachstums besser sein konnte. Andere emp-fanden die Situation als Dilemma zwischen demUberleben der mannlichen Kuken und dem hoherenPreis fur Huhnerfleisch und Eier. Neben dem hoherenPreis wurde von einem Diskutanten auch die ineffi-ziente Ressourcennutzung (u.a. aufgrund deserhohten Futterbedarfs) der Zweinutzungshuhnerkritisch angemerkt. Ein weiterer Punkt, der von denDiskutanten betont wurde, betraf die Angst, dassGentechnik fur die Zucht von Zweinutzungshuhnernverwendet werden konnte.

3.5 Potenzielle Kaufkriterien

Wahrend der Diskussionen wurde deutlich, dass furviele Teilnehmer die alleinige Vermeidung des Ku-kentotens nicht ausreicht, um Produkte vonZweinutzungshuhnern zu kaufen. Dies wurden sienur tun, wenn gleichzeitig auch die Haltungsbedin-gungen dieser Tiere verbessert werden. Als Beispielefur bessere Haltungsbedingungen wurden ‘‘gutesFutter’’, ‘‘keine Antibiotika’’, ‘‘viel mehr Platz’’ und‘‘Einstreu’’ genannt. Auch die Kennzeichnung derHerkunft stellt fur einige Diskutanten ein wichtigesKaufkriterium dar. In diesem Zusammenhang wurdevorgeschlagen, die Adresse des Landwirtes auf derVerpackung anzugeben. Wie zu erwarten war, wurdeauch der Preis als wichtiges Kaufkriterium genannt.Die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer gab an, dasssie einen Aufpreis fur Fleisch und Eier aus ‘‘Sympathiemit den Kuken’’ oder um ‘‘Fleisch mit reinem Gewis-sen zu essen’’, zahlen wurden. Allerdings wurde dieseMehrzahlungsbereitschaft von einigen Diskutantenrelativiert: ‘‘Es hangt davon ab, wie viel mehr ichbezahlen muss’’. Im Fall von Eiern gaben einige Teil-nehmer an, dass sie bereit seien, einen Aufpreis vonbis zu 50 % zu zahlen. Fur Fleisch schien die Bereit-schaft, einen Aufpreis zu zahlen, nicht so hoch zusein, wie folgende Aussagen verdeutlichen: ‘‘Ich wur-de einen Aufpreis von 20 % bezahlen, wenn dasFleisch besser schmeckt’’ und ‘‘ich wurde nicht 10 €mehr bezahlen’’. Mehr Geld fur Fleisch auszugebenund gleichzeitig den Fleischverzehr zu reduzieren,

228 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

wurde von mehreren Diskutanten als Losung gese-hen. Nur wenige Teilnehmer gaben an, dass sie nichtbereit seien, einen Aufpreis zu zahlen.

4 Diskussion

Die Ergebnisse dieser qualitativen Untersuchungendeuten an, dass es zu dem jetzigen Zeitpunktschwierig werden konnte, die Produkte des Zwei-nutzungshuhns flachendeckend zu vermarkten. DieEier der Hennen konnten den notwendigen Preiserzielen, da derzeit ein Preisaufschlag von zwei bisvier Cents pro Ei kalkuliert wird. Bei gleichzeitigverbesserter Haltung konnten sie durchaus in derGunst der Konsumenten stehen. Fur die mannlichenTiere sieht es dagegen problematisch aus. Nebendem, von den meisten Teilnehmern als zu hochbeschriebenen Preis (7 € Preisaufschlag/kg Fleischkonnten laut Experten realistisch sein) kommterschwerend hinzu, dass bisher keine Bereitschaftbesteht, das eigene Kaufverhalten zu andern.

Die Resultate aus den Gruppendiskussionen ver-deutlichen, dass den Haltungsbedingungen eineherausragende Rolle im Hinblick auf die Mehrzah-lungsbereitschaft der Verbraucher zukommt. Denmeisten Diskussionsteilnehmern wurde allein derEinsatz von Zweinutzungshuhnern in einem sonstunveranderten Haltungssystem nicht genugen. Siewunschen sich vorrangig eine verbesserte Haltungder Tiere. Auch wurde eine deutliche Kennzeichnungder geografischen Herkunft als potenzielles Kaufkri-terium fur Produkte von Zweinutzungshuhnernhervorgehoben. Dies sind Aspekte, denen bei derVermarktung von Produkten der Zweinutzungshuh-ner Rechnung getragen werden sollte. Zudem zeigtesich, dass die Bezeichnung ,,Zweinutzungshuhn‘‘ alsungeeignet und irrefuhrend empfunden wurde, dasie in erster Linie negative Assoziationen hervorrief.Einige Diskussionsteilnehmer außerten in diesemZusammenhang Bedenken hinsichtlich des Einsatzesvon Gentechnik beim Zweinutzungshuhn. Hier hatsich die Methodik der Gruppendiskussionen als sehrnutzlich erwiesen, um Einblicke in die Bedenken derVerbraucher zu bekommen und um kunftig mogli-chen Verwirrungen und Missverstandnissenvorzubeugen. Diese Erkenntnisse hatten allein durchquantitative Erhebungsmethoden nicht erzielt wer-den konnen.

Den Teilnehmern wurde im Diskussionsverlaufeine Moglichkeit aufgezeigt, wie sie selbst Einflussauf den Markt und damit auf die Verbreitung derEintagskukentotung nehmen konnten. Sie bestanddarin, sich vorzustellen, wie sie auf das Angebot von

Fleisch und Eiern von Zweinutzungshuhnern rea-gieren wurden. Dazu wurde ihnen mitgeteilt, dassdiese Lebensmittel sich im Preis und in verschie-denen Eigenschaften von den derzeit marktublichenProdukten unterscheiden wurden. Das interessanteErgebnis besteht darin, dass die Verbraucheranscheinend nicht willens oder nicht in der Lagesind, eine rechtfertigungsfahige Auswahlentschei-dung zwischen zwei jeweils unterschiedlichdefizitaren Produkten zu treffen. Sie forderten sehrdeutlich Eier und Fleisch von Huhnern, deren Hal-tung keine Defizite aufweist. Nur unter diesergedanklichen Pramisse waren die Teilnehmer bereit,uber einen Aufpreis nachzudenken. Insgesamt fieldie Zustimmung zu dieser Option kleiner aus, als dieEmporung zuvor erwarten ließ. Als Hauptgrunddafur wurden die ubrigen vom Verbraucher bereitsidentifizierten Defizite in der Geflugelhaltungangefuhrt. Hier wurden insbesondere das Platzan-gebot pro Tier und fehlende Einstreu erwahnt. Dazukamen aus der Sicht der Diskussionsteilnehmer dieals problematisch wahrgenommene Behandlung derTiere mit Antibiotika sowie Skepsis in Bezug auf dieFutterqualitat. Die Geflugelhaltung wurde als nichttransparent genug wahrgenommen.

In ethischer Hinsicht lieferten unsere Diskussionenmit Verbrauchern interessante Hinweise darauf, wieund wann Verletzungen des Moral- und Gerechtig-keitsempfindens zu einer Veranderung desKonsumverhaltens fuhren konnen. Die Diskussionenfanden zeitnah zur medialen Berichterstattung uberdas Gerichtsurteil zur Zulassigkeit der Eintagsku-kentotung statt. Darin kann einerseits ein glucklicherZufall und andererseits eine Verzerrung der Unter-suchung gesehen werden, da die Berichterstattungteilweise kritisch war. Bei den Diskussionsteilneh-mern war die Emporung uber die Praxis und dasUrteil noch deutlich spurbar. Mehrheitlich wurde vonihnen die Praxis der Eintagskukentotung als nichtakzeptabel bewertet und ein gesetzliches Verbotgefordert.

Aufgrund der hier vorgestellten qualitativenErgebnisse kann gegenwartig damit gerechnet wer-den, dass sich Fleisch und Eier vomZweinutzungshuhn nur als Nischenprodukt fur be-stimmte Kaufersegmente eignen werden. Der na-chste Schritt besteht darin, eine deutschlandweiteOnlinebefragung mit 1500 Konsumenten von Huhn-chenfleisch und Eiern auszuwerten und dieZahlungsbereitschaft fur Eier und Fleisch von Zwei-nutzungshuhnern zu ermitteln. Im SocialLab-Projektwerden diese Daten dann mit den Ergebnissen ausInterviews mit dem Lebensmitteleinzelhandel und

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 229

123

Tierhaltern bezuglich moglicher Forder- undHemmfaktoren im Hinblick auf die Haltung undVermarktung von Zweinutzungshuhnern und ihrenProdukten zusammengefuhrt.

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230 SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

123

Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

Zusammenfassung und erste Schlussfolgerungen

Inken Christoph-Schulz1, Monika Hartmann2, PeterKenning3, Jorg Luy4, Marcus Mergenthaler5, LuciaReisch6, Jutta Roosen7, Achim Spiller8

1Thunen-Institut fur Marktanalyse, Braunschweig2Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universitat, Bonn3Heinrich-Heine-Universitat, Dusseldorf4Privates Forschungs- und Beratungsinstitut furangewandte Ethik und Tierschutz INSTET gGmbH,Berlin5Fachhochschule Sudwestfalen, Soest6Copenhagen Business School; Zeppelin Universitat,Friedrichshafen7Technische Universitat Munchen8Georg-August-Universitat, [email protected]

1 Landwirte, Konsumenten14 und Burger15

Wie Simons et al. in ihrem Beitrag zeigen, erfolgtbereits die Wahrnehmung der Nutztierhaltung ineinem polarisierenden Wertungsrahmen. Die Wer-tungen sind implizit in den Bildern enthalten, die dieVorstellung der Studienteilnehmer zur Tierhaltungpragen und werden weniger oder gar nicht durchkonkretes Wissen beeinflusst. Diese aus realen,medialen oder nur vorgestellten Erlebnissen resultie-renden Bilder zeigen ein ausgepragtes Spannungsfeldzwischen einer akzeptierten, schonen und ethischunbedenklichen sowie einer nicht akzeptierten,unschonen und ethisch problematischen Nutztier-haltung. Insbesondere die Bilder einer idyllischenWelt, in der die Bauernfamilie mit den Tieren zusam-men auf dem Hof im Rahmen einerkleinstrukturierten Landwirtschaft lebt, bilden denMaßstab fur das,was als ,,gute Tierhaltung‘‘ bezeichnetund dessen Umsetzung gewunscht wird. Landwirteund Tiere leben im Sinne eines ,,fairen Deals‘‘ zusam-men und sind aufeinander angewiesen. Dem Idealbildstehen Schreckensbilder gegenuber, die von den Stu-dienteilnehmern von sich aus als ,,Massentierhaltung‘‘

bezeichnet werden. Diese dichotome Wahrnehmungder Nutztierhaltung wird in mehreren Beitragen die-ses Heftes angesprochen und detaillierter dargestellt.Sie pragt die individuelle und die offentliche Wahr-nehmung unabhangig vom Realitatsbezug und vonder Realisierbarkeit der beschriebenen Bilder.

In Hinblick auf diese verbreiteten Bildmuster, diein vielen Burgern tief verwurzelt zu sein scheinen,ist es nicht verwunderlich, dass sich zwischenLandwirten und Burgern bzw. Verbrauchern teilsgroße Unterschiede in der Wahrnehmung derNutztierhaltung ergeben. Wahrend viele Landwirtedie in den vergangenen Jahrzehnten eingefuhrtenMaßnahmen zur Effizienzsteigerung eher alserforderlich und daher als Verbesserung wahr-nehmen, erkennen die befragten Burger eineprimar an einzelbetrieblicher Gewinnorientierungausgerichtete Entwicklung. Fur das einzelne Tierund seine naturliche Lebensweise wird diese Ent-wicklung als eher abtraglich erachtet. Wieunterschiedlich dabei die Vorstellungen sind, zeigtsich am Beispiel der zunehmenden Technisierungin der Tierhaltung: Landwirte betonen die Vorzugedes hohen Technisierungsgrades, weil sie nebenden damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteilenund der Arbeitserleichterung mehr Zeit fur dieTiere haben. Dagegen gehen die befragten Burgerdavon aus, dass Landwirte aufgrund des hohenTechnisierungsgrades seltener direkten Kontakt zuihren Tieren haben. Allerdings halten es Landwirteund Burger fur notwendig, dass Landwirte Zeit mitihren Tieren verbringen, bspw. um fruhzeitigKrankheiten zu erkennen (Rovers et al.; Wildrautet al.; Wildraut und Mergenthaler).

Die Stallhaltung ist ein weiteres, kontrovers disku-tiertes Thema. So betonen Landwirte, dass sie ehereinen positiven Effekt der Stallhaltung hinsichtlich derTiergesundheit sehen und daher der Weidehaltung beiRindern bzw. der Freilandhaltung bei Schweinen undHuhnern kritisch gegenuberstehen (Wildraut undMergenthaler). Die Verbraucher und Burger sindgegenteiliger Auffassung (Kuhl et al.; Rovers et al.) undlehnen eine reine Stallhaltung fast immer ab. DieWeide- bzw. Freilandhaltung wird praferiert. Dabei istdie Vermutung, dass die Tiere dadurch ihr naturlichesVerhalten ausleben konnen, ein Hauptargument.Allerdings kann bereits die Gewahrung einer Aus-laufmoglichkeit die Akzeptanz erhohen (Kuhl et al.).

Wie relevant Haltungsaspekte der Tiere fur dieZahlungsbereitschaft sind, zeigen Brummer et al.und Roosen et al. Bei Betrachtung unterschiedlicherMaßnahmen in der Legehennen- und Masthuhn-chenhaltung wird deutlich, dass die Befragten das

14 Im Folgenden sind die Begriffe Konsument und Verbraucherals aquivalent anzusehen.15 Im Folgenden wird sowohl von Konsumenten als auch vonBurgern gesprochen. Der Grund ist, dass in manchen StudienKonsumenten als Nachfrager auf Markten, in anderen StudienMenschen in ihrer Rolle als Staatsburger und ,,Verbraucher-burger‘‘ (consumer citizen) untersucht wurden. Dieser unter-schiedlichen Perspektive gilt es, Rechnung zu tragen.

SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft 231

123

Toten der mannlichen Eintagskuken in der Lege-hennenhaltung ablehnen. Als Losungsansatz werdenvon den Befragten beider Studien die Zuchtung vonZweinutzungsrassen und die Geschlechtsbestim-mung im Ei befurwortet. Die von Brummer et al.untersuchten Konsumenten machten außerdemdeutlich, dass eine Mehrzahlungsbereitschaft darangebunden ist, nicht nur die Eintagskukentotung zuvermeiden, sondern auch die Haltungsbedingungenzu verbessern. Roosen et al. kommen zu einem ahn-lichen Ergebnis. Beide Studien beruhen aufhypothetischen Entscheidungen der Befragten.Allerdings lassen sich hieran die Prioritaten der Bur-ger und Verbraucher ablesen, mit denen in ihrenAugen kritische Aspekte der Tierhaltung zu andernsind.

2 Verbraucherkommunikation und -informationen

Sonntag et al. zeigen in ihren Untersuchungen zurBewertung von Zielkonflikten, dass zusatzlicheInformationen uber die Tierhaltung eine besondersdurchdachte Vorgehensweise benotigen. Trotz neu-traler Informationen durch Bilder und Texteverbessert sich die Wahrnehmung von als negativempfundenen Haltungssystemen nicht. Außerdemfuhrt die Konfrontation der Studienteilnehmer mitverschiedenen Nachteilen der von ihnen als positivempfundenen Auslaufhaltung nicht dazu, dass siediese Haltungsform kritischer sehen. Seitens derVerbraucher herrscht zudem großtenteils Uberein-stimmung, dass es Aufgabe der Landwirte ist,existierende Zielkonflikte zu losen. Dies sollte mitHilfe von Innovationen erfolgen. Zudem wird deut-lich, dass sich die befragten Verbraucher im Falleeines Zielkonfliktes zwischen Tierwohl und Umwelt-schutz bzw. zwischen Tierverhaltensoptionen undTiergesundheit fur ein Mehr an Tierwohl und furNaturlichkeit entscheiden.

Gier, Krampe et al. untersuchen die Wirkung ver-schiedener Kommunikationsmaßnahmen auf dieVerbraucherwahrnehmung. Sie kommen zu demErgebnis, dass unterschiedliche Darstellungsweisender Tierhaltung eine spezifische neuropsycholo-gische Wirkung entfalten, die sich in unterschiedlichenexpliziten Bewertungen der kommuniziertenMaßnahmen manifestiert. Die Autoren folgern, dasses grundsatzlich moglich erscheint, eine diesubjektiven, impliziten Wertungen beeinflussende,akzeptanzfordernde Kommunikationsstrategiezu entwickeln. Auf Basis ihrer Ergebnissepladieren sie fur entsprechend gestaltete

,,Verbraucherinformationssysteme‘‘, die Konsumen-ten unter Berucksichtigung neuropsychologischerErkenntnisse individuell nach situativer und person-licher Relevanz und Involvement uber Produkteinformieren, um ihnen eine bewusste auf ihreBedurfnisse zugeschnittene Kaufentscheidung zuermoglichen. In Hinblick auf Verbraucherinforma-tionen und ihre Auswirkungen auf befragteVerbraucher analysieren Groß und Roosen den Ein-fluss negativ16 und positiv17 formulierterNachrichtentexte auf das Vertrauen. So haben nega-tive Nachrichten generell einen großeren Einfluss aufdas Verbrauchervertrauen als positive.

Gier, Krampe et al. zeigen außerdem, wie bedeut-sam die implizite Wirkungsweise vonDarstellungsvarianten der Tierhaltungsverfahren ist.Demzufolge kann eine Information, welche sich aufdie Errungenschaften sowie Erfolge einer Tierhal-tungsmaßnahme bezieht, implizit die Bewertungdieser beeinflussen. Des Weiteren spielt das Ent-scheidungsumfeld eine wesentliche Rolle, dennBildkommunikationsmaßnahmen uber die Nutztier-haltung haben offenbar nur im direktenEntscheidungskontext, z.B. am Point-of-Sale, einenEinfluss auf die implizite und subjektive Wahrneh-mung bzw. Bewertung der Information.

3 Handel

Krampe et al. betrachten in ihrem Beitrag den Han-del als Gatekeeper zwischen Lieferant undVerbraucher. Sie beleuchten drei Schlusselaspekte:die Listungsentscheidung, die Sortimentsvielfaltsowie die Regulierung des Marktes. Aus den Unter-suchungen geht hervor, dass in Bezug auf dieListungsentscheidung versucht wird, durch standar-disierte Prufungen der Lieferanten, Verbraucherneinen vertrauensvollen Fleischkauf und -konsum zugewahrleisten. Dabei wird offenbar vor allem auflangfristige Partnerschaften gesetzt. Hinsichtlich derSortimentsvielfalt und Produktauswahl wird dasKaufverhalten der Verbraucher als entscheidendbeschrieben. Ein Versuch als ,,moralischer Wahlhel-fer‘‘ zu agieren, erfolgt dagegen nicht. Bezuglichmoglicher Regulierungen werden zwar durchausVorteile gesehen, allerdings wird der Markt als eingrundsatzlich effektives System betrachtet, daseigentlich keiner weiteren Regulierung bedarf. Label,

16 Beispiel negative Information: Tierhaltung muss sichverbessern.17 Beispiel positive Information: Erzielen von Fortschritten imSachen Tierhaltung.

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seien sie staatlich oder privatwirtschaftlich getragen,werden eher kritisch gesehen. Hier wird die Gefahreiner Uberlastung der Verbraucher mit zusatzlichenInformationen beschrieben, die das eigentliche Ziel,die Verbraucher beim Einkauf zu unterstutzen,verfehlt.

Erste Schlussfolgerung und Perspektiven

Aus den vorliegenden Arbeiten konnen die folgen-den ersten Schlussfolgerungen gezogen werden. Zubeachten ist, dass aus den Werthaltungen, Einstel-lungen und Praferenzen der verschiedenen, imProjekt untersuchten, gesellschaftlichen Gruppen(Burger, Konsumenten, Landwirte, Handler) keinedirekten Handlungsempfehlungen abgeleitet wer-den konnen. Die Ausgestaltung einerzukunftsfahigen Tierhaltung ist vielmehr das Ergeb-nis eines gesellschaftlichen Diskurses, in den nebenden verschiedenen gesellschaftlichen Positionenauch naturwissenschaftlich-technische sowie ver-braucherwissenschaftliche Aspekte einfließen. Derinnovative Charakter von SocialLab liegt darin, insystematischer Form Politik, Zivilgesellschaft undWirtschaft uber die Positionen der Beteiligten auf-zuklaren und den notwendigen Diskurs damittransparenter und informationshaltiger zu gestalten.

1 Landwirte

In offenen Markten konnen landwirtschaftlicheFamilienbetriebe und Unternehmen nur bestehen,wenn sie wettbewerbsfahig sind. Deshalb konnen sienicht losgelost von wirtschaftlichen und politischenRahmenbedingungen agieren. Dies gilt folglich auchin Hinblick auf Innovationen, die ein hoheres Maß anTierwohl gewahrleisten. Im Rahmen der Diskussionum Verbesserungen in der Tierhaltung ist es außer-dem entscheidend, wie schnell verschiedeneMaßnahmen umgesetzt werden konnen. Die befrag-ten Landwirte betonen, dass neue Stallbaukonzeptenicht kurzfristig umzusetzen sind, da Stallbauten auflange Abschreibungsfristen ausgelegt sind und sichals Investition mit hoher Spezifitat und wenig Nut-zungsalternativen ausweisen. Mehr Moglichkeitenwerden bei der spezifischen Ausgestaltung der Stallegesehen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhangu.a. die Implementierung verschiedener Funktions-bereiche (z.B. Liege-, Fress- Kot-, Aktivitatsbereich),um den Tieren ein Mehr an artgerechtem Leben zuermoglichen. Auch die Einfuhrung bautechnischflexiblerer Systeme, wie z.B. flexible Liegeboxen undFreiflachen zum Liegen in der Milchviehhaltung oderflexible Kastenstande in der Sauenhaltung, um tier-individuelle Großenunterschiede zu berucksichtigen,

kann helfen, vorherrschende Anforderungen vonKonsumenten und Burgern umzusetzen. Zudemsollte auf Beschaftigungsmoglichkeiten geachtetwerden die in bereits bestehende Stallsysteme inte-griert werden konnen. Außerdem wird die starkereBetonung der Zuchtziele Tiergesundheit undRobustheit als ein wichtiger, von Stallbausystemenlosgeloster Aspekt fur ein Mehr an Tierwohl gesehen.

Aus Sicht der Landwirte waren technisch flexibleSysteme und langfristig verlassliche okonomischeund politische Rahmenbedingungen auf der einenSeite und weniger ordnungspolitische Vorgaben aufder anderen Seite wunschenswert. Begrundet wirddies neben dem Schutz der unternehmerischenFreiheit auch damit, dass Tierwohl starker vom Tierher und ergebnisorientiert betrachtet werden sollte.Landwirte sehen darin die Voraussetzung, um inoffenen Markten und im Wettbewerb mit demLebensmitteleinzelhandel die Zukunftsfahigkeit dereigenen Familienbetriebe zu sichern. Dabei ist auchzu bedenken, dass die Einfuhrung eines Mehr anTierwohl auf Seiten der Landwirte eine großereChance haben wird, wenn die Veranderungen imEinklang mit der Wahrnehmung, den Werten unddem beruflichen Selbstverstandnis der Betriebsleitersind und die Aussicht gegeben ist, durch die Veran-derungen brancheninterne Anerkennung undgesellschaftliche Wertschatzung zu erfahren. DieWeiterentwicklung der Rahmenbedingungen furmehr Tierwohl sollten also zum einen personlicheErfolge der Betriebsleiter und zum anderen finanzi-elle Erfolge der veranderungsbereiten Betriebeermoglichen. Einflussfaktoren auf die einzelbetrieb-lichen Entscheidungen zur Ubernahme undWeiterentwicklung technischer und organisatori-scher Innovationen fur mehr Tierwohl sollten hierbeistarker in den Fokus zukunftiger Forschung rucken.In diesem Zusammenhang sollten explizit auch ver-haltensokonomische Untersuchungsdesigns Anwen-dung finden, die praxisnah Wirkzusammenhangeerforschen. Darauf basierend lassen sich spezifischeInformationen fur politische Entscheidungen ablei-ten, die eine Weiterentwicklung zu einer in derBreite akzeptierten Tierhaltung ermoglichen.

2 Burger bzw. Verbraucher

Zusatzlich zu den Bedurfnissen der Landwirte ist dieBerucksichtigung gesellschaftlicher Anspruche undErwartungen von hoher Bedeutung. Burger ent-scheiden in ihrer Doppelrolle als Verbraucher und alsWahler langfristig mit, was am Markt existieren kannund was nicht (Allen et al. 1991; Buller und Roe 2012;

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Weary et al. 2016). Die bisher vorliegenden Arbeitendes SocialLab zeigen, dass sich Studienteilnehmermitunter gar nicht mit der Thematik ,,Tierwohl in derNutztierhaltung‘‘ beschaftigen mochten. Anderewiederum beschreiben ihre Vorstellungen dagegenausfuhrlich und formulieren umfangreiche Erwar-tungen. Die Vorstellungen sind dabei haufig durchdie mediale Berichterstattung gepragt und nur inseltenen Fallen liegen spezifische Kenntnisse uber dieTierhaltung vor.

In den meisten Fallen fuhlen sich die befragtenTeilnehmer in ihrer Rolle als Konsument uberfordert.Einerseits akzeptieren sie das, was sie uber dieNutztierhaltung zu wissen glauben, nicht, anderer-seits tolerieren viele von ihnen die Zustande in ihremalltaglichen Einkaufsverhalten. Die Grunde fur diesesVerhalten sind vielschichtig. Generell gilt jedoch zuberucksichtigen, dass der Lebensmitteleinkauf nichtdie einzige Herausforderung im Alltag der Verbrau-cher ist. Werden Burger bzw. Verbraucher explizitmit Fragen der Nutztierhaltung konfrontiert, zeigensie sich zumeist auch dann ausgesprochen kritisch,wenn sie sich zuvor nicht mit dem Thema beschaftigthaben. Zahlungsbereitschaftsstudien ermittelnimmer wieder eine Mehrzahlungsbereitschaft furTierwohlaspekte und es wird auch zukunftig wichtigsein, die Praferenzstruktur zu kennen und bei derVerbraucherkommunikation zu berucksichtigen.Diskrepanzen zwischen am Point-of-Sale gezeigtenund in Befragungen geaußerten Zahlungsbereit-schaften konnen aber auch ein Hinweis auf eineTrittbrettfahrer-Problematik sein, wie sie bei derBereitstellung offentlicher Guter auftritt. Hier warezu klaren, wie ein mogliches Marktversagen durchpolitische Eingriffe oder organisatorisch-institutio-nelle Innovationen behoben werden kann undVerbrauchern Konsumentscheidungen ermoglichtwerden konnen, die in Einklang mit ihren Praferen-zen stehen.

3 Kommunikation

Fur eine Verbesserung der Akzeptanz der Tierhal-tung sind Anderungen und Weiterentwicklungenhin zu tiergerechteren Verfahren notwendig, abernicht hinreichend. Die hier vorliegenden Ergebnissezeigen, dass Verbesserungen in der Tierhaltung Bur-gern und Verbrauchern gegenuber unterBerucksichtigung (neuro-)psychologischer und ver-haltensokonomischer Zusammenhange kommuni-ziert werden mussen. Hierbei kommt der Kommuni-kation eine Sonderstellung zu. Es ist dabei notwen-dig, die Empfindungskategorien Mitgefuhl,Gerechtigkeit und Respekt beim Burger/Verbraucher

anzusprechen, da mit großerer Akzeptanz durch denBurger bzw. Verbraucher zu rechnen ist, wenn derEindruck eines ,,fairen Deals‘‘ zwischen Mensch undTier entsteht (Nutzung tierischer Produkte gegengutes Leben des Tieres). Kommunikation ist somit einentscheidender Bestimmungsfaktor fur die Entwick-lung von Akzeptanz. Dabei scheint der oftmalsimpliziten Wirkungsweise von Darstellungsvariantender Tierhaltungsverfahren eine besondere Bedeu-tung zuzukommen. Im Rahmen der bishervorliegenden Arbeiten des SocialLab spielt der Pra-sentationsrahmen – das sogenannte Framing – eineentscheidende Rolle in der Kommunikationswahr-nehmung und -verarbeitung der Verbraucher. Es istdaher wichtig, diese Aspekte bei der Gestaltung vonKommunikation im Bereich der Nutztierhaltungkunftig noch starker zu beachten. Das ,,Wie?‘‘ derGestaltung wurde dann starker betont werden mus-sen. Gleichwohl gilt es zu vermeiden, dassentsprechende Maßnahmen als schonfarbend wahr-genommen werden, um einen moglichen weiterenGlaubwurdigkeitsverlust des Sektors zu vermeiden.

In Hinblick auf eine zielgerichtete Verbraucherin-formation waren unter Berucksichtigunginformationslogistischer Erkenntnisse u.a. folgendeMaßnahmen denkbar: starkere Nutzung sozialerNetzwerke, die bereits heute in vielen Branchengenutzt werden. Sie konnten ein flexibles Elementeines modernen ,,Verbraucherinformationssystems‘‘bilden, welches auch in Hinblick auf die gesell-schaftliche Akzeptanz der landwirtschaftlichenNutztierhaltung wunschenswert ware. Mit Hilfe einerModeration und Experten (Landwirte, Handler undWissenschaftler) konnen verifizierte Nutzer (Ver-braucher) uber fur sie relevante Themen imBedarfsfalle untereinander und mit unabhangigenExperten diskutieren und Erfahrungen austauschen.Dadurch konnten relevante Informationen ohne(große) Uberforderung den interessierten Verbrau-chern zur Verfugung gestellt werden. DerInformationsgegenstand konnte dabei gezielt durchden Verbraucher erbeten werden, aber zugleich auchaktiv von den Experten vermittelt werden. Die aktuellan vielen Stellen beobachtbaren Informationsineffi-zienzen konnten so reduziert werden. Durch dasGewahrleisten der Unabhangigkeit der Inhalte undeines glaubwurdigen Monitorings wurde Vertrauenin das Verbraucherinformationssystem aufgebaut.Die verwendeten Daten sollten von offentlichenInstitutionen wie z.B. der Bundesanstalt fur Land-wirtschaft und Ernahrung (BLE) verwaltet werden.Auch wenn Label mitunter als die einfachste Mog-lichkeit der Verbraucherinformation angesehen

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werden, stoßen sie regelmaßig an ihre Grenzen.Bedarfsgerechte, differenziertere, horizontal undvertikal organisierte Alternativansatze konntenzumindest fur einige Verbrauchersegmente zu einerLosung beitragen. Dabei ist es erforderlich, dieHeterogenitat der Verbraucher besser als bisherabzudecken, ihren Informationsbedarf flexibel zubedienen und so einer Uberforderungentgegenzuwirken.

4 Handel

Bei Listungsentscheidungen fur Produkte mit einemhoheren Tierwohlstandard setzen der Lebensmitte-leinzelhandel (LEH) und weitere handelsnaheAkteure vor allem auf standardisierte Prozesse undlangfristige Partnerschaften. Oft werden relativ ein-fache Heuristiken benutzt, die wissenschaftlich nochwenig durchdrungen sind. Durch eine Aufklarungihres Gebrauchs konnte die Qualitat der Listungs-entscheidung von Tierwohlprodukten verbessertwerden. Des Weiteren werden Label kritisch vom LEHund weiteren handelsnahen Akteuren betrachtet.Hier wird die Gefahr einer Uberlastung der Ver-braucher mit zusatzlichen Informationen erkannt,die das eigentliche Ziel der Verbrauchererleichte-rung beim Einkauf verfehlt. Um die Uberlastung derVerbraucher zu verringern, sollten weitere Anreizefur den LEH zur Beteiligung an der bereits genanntensystemischen Losung (Gier et al.) geschaffen werden.Forderlich waren hier auch Anreize, die eine wei-terfuhrende Entwicklung entsprechender Markt-bzw. Marketinginnovationen unterstutzen (z.B. imHinblick auf handels- und steuerrechtliche Aspekte).

Summa summarum

Die Nutztierhaltung hat in den vergangenen Jahr-zehnten an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren.Um diese Akzeptanz zuruckzugewinnen, wird esnotwendig sein, Veranderungen herbeizufuhren, dievom Laien (Verbraucher, Burger) als Verbesserungwahrgenommen werden. Die SocialLab-Zwischener-gebnisse deuten allerdings darauf hin, dassLandwirte und Laien die Nutztierhaltung unter-schiedlich wahrnehmen. Fur zukunftigeForschungsarbeiten bezuglich innovativer Haltungs-systeme ist es daher erforderlich, diese Arbeiten ineinem großen disziplinubergreifenden Verbunddurchzufuhren, um die Thematik ganzheitlich zuuntersuchen und existierende Problemfelder zu losenbzw. neu entstehende fruhzeitig zu entdecken. Imbesten Falle wurden Prototypen und innovativeAnsatze fur bspw. neue Stallsysteme entwickelt wer-den, die anschließend aus unterschiedlichsten

Blickwinkeln beurteilt und bei Bedarf angepasst undweiterentwickelt werden. Dabei muss bei Tierwohl-aspekten auch eine betriebswirtschaftliche Betrach-tung unter Berucksichtigung okonomischer,politischer und gesellschaftlichen Rahmenbedin-gungen erfolgen. Landwirte und berufsstandischeVertretungen mussen fruhzeitig eingebunden wer-den, um die Umsetzbarkeit, auch unterBerucksichtigung von Aspekten wie der Arbeitssi-cherheit, zu klaren. Parallel bedarf es derfruhzeitigen Untersuchung der Wahrnehmung undAkzeptanz innovativer Ansatze durch die Gesell-schaft, um zu vermeiden, dass aufgrund vonFehlinterpretationen etwaige Innovationen vonvornherein abgelehnt werden. Wie oben dargestellt,geben die Verbraucher im Falle von Zielkonfliktenzwischen Tierwohl und bspw. Umweltschutz demTierwohl Vorrang. Und auch aus der NationalenNutztierstrategie (BMEL 2017) geht hervor, dass beiUnvereinbarkeiten bspw. hinsichtlich des Umwelt-schutzes, dem Tierwohl Vorrang zu geben ist.

Ein derart multidisziplinarer Ansatz entsprichtzum einen dem Innovationscharakter des SocialLab,das sich auch zum Ziel gesetzt hat, Innovationen, wiebeispielsweise neue Formen der Tierhaltung oderzuchterische Veranderungen aus der Perspektiveunterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zuuntersuchen. Zum anderen deckt er sich mit Planendes BMEL in Bezug auf die Entwicklung eines ,,Stallsder Zukunft‘‘ (BMEL 2017).

Das BMEL fordert mit SocialLab einen ungewohn-lich breiten und methodisch vielfaltigenForschungsverbund. Die in diesem Heft vorgestelltenZwischenergebnisse bieten facettenreiche Informa-tionen zum Status quo. Der Transformationsprozessin der Tierhaltung wird allerdings ein langfristigerWeg werden. Entwurfe fur den ,,Stall der Zukunft‘‘werden in den nachsten Jahren im Hinblick auf ihreWahrnehmung und gesellschaftliche Akzeptanz zuprufen sein. Hierfur bietet SocialLab neben der Ent-wicklung innovativer Ansatze auch die Chance, dievorliegenden ersten Evidenzen zukunftig in Formeiner Langsschnittstudie und begleitet durch ad-hoc-Studien zu zentralen Einzelfragen systematisch wei-terzufuhren und zu einem wissenschaftlichenMonitoring des Transformationsprozessesauszubauen.

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Literatur

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BMEL (2017) Nutztierhaltungsstrategie. Zukunftsfa-hige Tierhaltung in Deutschland. http://www.bmel.de/DE/Tier/_texte/Nutztierhaltungsstrategie.html Abgerufen 19.10.2017

Buller H, Roe E (2012) Modifying and commodifyingfarm animal welfare: the economisation of layerchickens. J Rural Stud 33:141–149

Porter ME, Kramer MR (2011) Creating shared value.Harvard Bus Rev Jan./Febr, 63–70

Weary DM, Ventura BA, von Keyserlingk MAG (2016)Societal views and animal welfare science:understanding why the modified cage may failand other stories. Animal 10(2):309–317

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