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528 Ernährungs Umschau | 9/07 special | Enterale Ernährung Einleitung Grundsätzlich ist eine enterale Ernäh- rung dann indiziert, wenn die normale orale Ernährung aufgrund von Störun- gen der Nahrungspassage oder Verdau- ungsleistung nicht oder nur teilweise möglich ist oder der Ernährungszustand mit einer normalen oralen Ernährung nicht aufrechterhalten werden kann ( Tabelle 1). Dabei umfasst die Begriffsdefinition der enteralen Ernährung nicht mehr nur die Sondenernährung, sondern auch die oralen Trink- und Zusatznahrungen. Dementsprechend stehen an die unter- schiedlichsten Anforderungen, Erkran- kungs- und Stoffwechselsituationen an- gepasste Nährlösungen und -substrate zur Verfügung. Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über das Substratan- gebot und dessen wissenschaftlich und klinisch begründbare Anwendung. Grundlagen Definition der enteralen Ernährung In der EG-Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom 25. März 1999 wird der Begriff „enterale Ernährung“ nicht nur auf Sondennahrung angewandt, son- dern schließt auch Formen von Nah- rungssupplementen mit ein, die oral ver- abreicht werden können. Grundvoraus- setzung ist jedoch, dass es sich um „diä- tetische Lebensmittel für besondere me- dizinische Zwecke“ handelt. Diese An- forderung, die ebenfalls auf nationaler Ebene mit der Diät-Verordnung Anwen- dung findet, wird von industriell her- gestellten Nährsubstraten erfüllt [2, 3]. Vergleich von selbst hergestellten Trink- und Sondennahrungen mit industriell gefertigten Nahrungen Selbst hergestellte Nahrungen sind i. d. R. nicht dazu geeignet, die ernäh- rungsmedizinischen, technischen und hygienischen Anforderungen, die insbe- sondere an Sondenkost gestellt werden, zu erfüllen. Aus ernährungsmedizinischer Sicht muss die enterale Ernährung eine be- darfsgerechte Zufuhr gewährleisten. Die Zusammensetzung der Nährlösungen richtet sich nach den von den Fachge- sellschaften empfohlenen „Referenz- werten für die Nährstoffzufuhr“ für Ge- sunde [4]. Industriell gefertigte Nah- rungen erfüllen hierbei den Anspruch einer konstanten und reproduzierbaren Zusammensetzung an Makro- und Mi- kronährstoffen, d. h. ihr Nährstoffgehalt ist bilanziert. Enterale Ernährung Nährsubstrate und deren Anwendung beim erwachsenen Patienten Dipl. oec. troph. Christiane Bott Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Med. Klinik I Schwerpunkt Gastroenterologie Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt Glossar: APACHE-Score = acute physiology and chronic health evaluation; Verfah- ren zur standardisierten Bewertung von Schwere- grad und Prognose einer Erkrankung Oligomer = Im Gegensatz zu den Polymeren (50 bis mehrere 1 000) aus weni- gen (2 bis <50) gleichen Einheiten (= Monomere, z. B. Aminosäuren, Disacchariden) aufge- baute Makromoleküle (griech. oligo = wenige; poly = viel) Peptide = Die Grenze zwi- schen den Peptiden und Proteinen entspricht mit ca. 50 durch Peptidbindung verknüpften Aminosäuren der Grenze zwischen Oligo- und Polymeren (Darm)Stenose = Ver- engung, die die physio- logische (Darm-)Funktion einschränkt Tumorkachexie = Aus- zehrung bei bösartigen Tumorerkrankungen verzweigtkettige Amino- säuren = die Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin haben ein verzweigtes Kohlenstoffgerüst EU09_528_536.qxd 07.09.2007 11:12 Uhr Seite 528

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special | Enterale Ernährung

Einleitung

Grundsätzlich ist eine enterale Ernäh-rung dann indiziert, wenn die normaleorale Ernährung aufgrund von Störun-gen der Nahrungspassage oder Verdau-ungsleistung nicht oder nur teilweisemöglich ist oder der Ernährungszustandmit einer normalen oralen Ernährungnicht aufrechterhalten werden kann (� Tabelle 1). Dabei umfasst die Begriffsdefinition derenteralen Ernährung nicht mehr nur dieSondenernährung, sondern auch dieoralen Trink- und Zusatznahrungen.Dementsprechend stehen an die unter-schiedlichsten Anforderungen, Erkran-kungs- und Stoffwechselsituationen an-gepasste Nährlösungen und -substratezur Verfügung. Der vorliegende Artikelgibt eine Übersicht über das Substratan-gebot und dessen wissenschaftlich undklinisch begründbare Anwendung.

Grundlagen

Definition der enteralen Ernährung In der EG-Richtlinie 1999/21/EG derKommission vom 25. März 1999 wird derBegriff „enterale Ernährung“ nicht nurauf Sondennahrung angewandt, son-dern schließt auch Formen von Nah-

rungssupplementen mit ein, die oral ver-abreicht werden können. Grundvoraus-setzung ist jedoch, dass es sich um „diä-tetische Lebensmittel für besondere me-dizinische Zwecke“ handelt. Diese An-forderung, die ebenfalls auf nationalerEbene mit der Diät-Verordnung Anwen-dung findet, wird von industriell her-gestellten Nährsubstraten erfüllt [2, 3].

Vergleich von selbst hergestelltenTrink- und Sondennahrungen mitindustriell gefertigten Nahrungen

Selbst hergestellte Nahrungen sindi. d. R. nicht dazu geeignet, die ernäh-rungsmedizinischen, technischen undhygienischen Anforderungen, die insbe-sondere an Sondenkost gestellt werden,zu erfüllen. Aus ernährungsmedizinischer Sichtmuss die enterale Ernährung eine be-darfsgerechte Zufuhr gewährleisten. DieZusammensetzung der Nährlösungenrichtet sich nach den von den Fachge-sellschaften empfohlenen „Referenz-werten für die Nährstoffzufuhr“ für Ge-sunde [4]. Industriell gefertigte Nah-rungen erfüllen hierbei den Ansprucheiner konstanten und reproduzierbarenZusammensetzung an Makro- und Mi-kronährstoffen, d. h. ihr Nährstoffgehaltist bilanziert.

Enterale ErnährungNährsubstrate und deren Anwendung beim erwachsenen Patienten

Dipl. oec. troph.Christiane BottJohann WolfgangGoethe-UniversitätFrankfurtMed. Klinik ISchwerpunktGastroenterologie Theodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt

Glossar:APACHE-Score = acute

physiology and chronic

health evaluation; Verfah-

ren zur standardisierten

Bewertung von Schwere-

grad und Prognose einer

Erkrankung

Oligomer = Im Gegensatz

zu den Polymeren (50 bis

mehrere 1 000) aus weni-

gen (2 bis <50) gleichen

Einheiten (= Monomere,

z. B. Aminosäuren,

Disacchariden) aufge-

baute Makromoleküle

(griech. oligo = wenige;

poly = viel)

Peptide = Die Grenze zwi-

schen den Peptiden und

Proteinen entspricht mit

ca. 50 durch Peptidbindung

verknüpften Aminosäuren

der Grenze zwischen

Oligo- und Polymeren

(Darm)Stenose = Ver-

engung, die die physio -

logische (Darm-)Funktion

einschränkt

Tumorkachexie = Aus-

zehrung bei bösartigen

Tumorerkrankungen

verzweigtkettige Amino-

säuren = die Aminosäuren

Leucin, Isoleucin und Valin

haben ein verzweigtes

Kohlenstoffgerüst

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Tab. 1: Allgemeine Indikationenund Kontraindikationen derenteralen Ernährung [1]

Indikationen

■ Vorbestehende oder drohende Mangelernährung

■ Inadäquate orale Nahrungszufuhr (<500 kcal/Tag) voraussicht-lich über mehr als 7 Tage

Kontraindikationen

■ Schwere Störungen der gastrointestinalen Funktion (z. B. Ileus,Peritonitis, unstillbares Erbrechen, Malassimilation)

■ Metabolische Instabilität (z. B. diabetische Ketoazidose, Comahepaticum)

Darüber hinaus müssen Sondennah-rungen bestimmte technologischeAnforderungen erfüllen. Sie dürfendie relativ englumigen Sonden nichtverstopfen, d. h. sie müssen frei vonPartikeln sein, dürfen nicht zu viskössein und ihre Bestandteile dürfennicht ausfallen (z. B. Koagulation vonProteinen und Mineralstoffen). Auchdiese Bedingungen können mit selbsthergestellter Nahrung kaum erfülltwerden. Außerdem bietet die Industrie leichtzu handhabende Behältnisse und Ap-plikationssysteme, so dass auch derhohe Aufwand der Nahrungszuberei-tung als erheblicher Kostenfaktor ent-fällt. Die industrielle Fertigung bietetzudem einen höheren Schutz vor bak-terieller Kontamination, wodurch dieGefahr einer zusätzlichen gastroin-testinalen Infektion minimiert wird.

Aus den genannten Gründen sollteselbst hergestellte Sondennahrung so-wohl im klinischen als auch im am-bulanten Bereich keine Anwendungmehr finden [5, 6].

Bilanzierte Diäten

Als „diätetische Lebensmittel für be-sondere medizinische Zwecke“ müs-sen industriell hergestellte Nahrun-gen gemäß Diät-Verordnung bzw. EG-Richtlinie 1999/21/EG in ihrer Nähr-stoffformulierung zulässige Mindest-und Höchstmengen pro Tag einhal-ten, d. h. bilanziert sein. Spezialnah-rungen zur Behandlung bestimmterErkrankungen müssen deren diäteti-sche Anforderungen erfüllen.

Die Diät-Verordnung unterscheidetwiederum bilanzierte Diäten zur aus-schließlichen und vollständigen Er-nährung von bilanzierten Diäten zurergänzenden Ernährung. In diesemZusammenhang wird auch von vollbi-lanzierten und teilbilanzierten Nah-rungen gesprochen.

Vollbilanzierte Nahrungen müssen inihrem Energie- und Nährstoffgehalt soformuliert sein, dass sie nach den D-A-CH-Referenzwerten auch bei aus-schließlicher Ernährung eine bedarfs-deckende Nährstoffzufuhr gewährleis-ten. Teilbilanzierte Nahrungen sind zurVerwendung als ergänzende Diät be-stimmt, d. h. sie wären bei aus-schließlicher Zufuhr nicht dazu ge-eignet, den gesamten Energie- undNährstoffbedarf zu decken. Grund-sätzlich dürfen auch diese Diäten zurergänzenden Ernährung nicht die vor-geschriebenen Höchstmengen für dieZufuhr von Mineralstoffen und Vita-minen überschreiten, wenn die ausge-wiesenen Verzehrsmengen einge-halten werden [3].

Da Patienten, die eine Ernährungs-sonde benötigen, i. d. R. nicht in derLage sind, auch nur teilweise ihrenNahrungsbedarf auf oralem Wege zudecken, sind alle angebotenen Son-dennahrungen vollbilanziert. Orale Nährsubstrate, die sowohl inForm von Trinknahrungen als auchin Form von Pulver zum An- bzw. Ein-rühren oder in „Dessert-Form“ her-gestellt werden, können voll- oderteilbilanziert sein. Der Großteil derauf dem deutschsprachigen Markt an-

gebotenen Trinknahrungen ist vollbi-lanziert und eignet sich damit glei-chermaßen zur ausschließlichen wiezur ergänzenden Ernährung.

Substrate enteraler Diäten

Die bilanzierten Diäten setzen sich inder Regel aus isolierten Einzelkom-ponenten der enthaltenen Nährstoffezusammen, die im Folgenden näherbeschrieben werden. Einige Herstel-ler bieten auch Diäten an, die auf re-gulären Lebensmitteln wie Fleisch,Milch, Getreide etc. basieren. Sie eig-nen sich besonders für Patienten miteiner ablehnenden Haltung gegen-über einer „künstlichen Ernährung“.Ihr Einsatz setzt jedoch eine gute Ver-dauungs- und Resorptionsleistung vo-raus. Ferner muss die Diät ggf. aufihren Gehalt an Laktose oder Glutenüberprüft werden. Als Proteinquelle dienen in ersterLinie Milch- und Sojaeiweiß. Seltenerwerden Fleisch, Eiklar und andere Ei-weißträger als Proteinquelle für bi-lanzierte Nahrungen genutzt. ZumEinsatz kommen entweder intakteProteine oder Proteinhydrolysate inForm von freien Aminosäuren oderOligopeptiden mit einer Kettenlängevon 2–50 Aminosäuren. BilanzierteDiäten sind in der Regel glutenfrei [2,3].Kohlenhydrate werden in Form vonintakten Polysacchariden sowie alsOligo- und Monosaccharide einge-setzt und meist aus Maisstärke ge-wonnen. Laktose ist meist nicht inklinisch relevanten Mengen enthal-ten und mit Mengenangabe auszu-weisen [2, 3].

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Als Fettkomponente bilanzierter Diä-ten dienen in erster Linie pflanzlicheFette wie Soja-, Sonnenblumen- undMaiskeimöl. Die Fettkomponentekann bezüglich ihres Fettsäuremus-ters modifiziert sein, wenn z. B. dieaus Kokosnussöl gewonnenen MCT-Fette (mittelkettige Triglyceride)oder ein erhöhter Anteil an n-3-Fettsäuren in Form von Fischöl zumEinsatz kommen. Für die Intensivme-dizin wurde eine Nährlösung (Intes-tamin, Fresenius Kabi) konzipiert, deru. a. die kurzkettige Fettsäure Butyratzugesetzt ist. Kurzkettige Fettsäurensollen aufgrund ihres positiven Ein-flusses auf die Mukosaintegrität denhäufig zu beobachtenden strukturel-len und funktionellen Veränderun-gen im Dünn- und Dickdarm vonkritisch Kranken entgegenwirken (s. Abschnitt zu Ballaststoffen) [2, 3]. Der Wassergehalt flüssiger bilanzier-ter Diäten variiert mit der Energie-dichte, also ihrem Anteil anMakronährstoffen. Je höher die Ener-giedichte, desto niedriger ist der Ge-halt an freiem Wasser. Bei normo-kalorischen bilanzierten Diäten liegtder Wassergehalt durchschnittlich bei80 % und kann bei hochkalorischenDiäten bis auf 70 % sinken [6].

Obwohl Ballaststoffe per Diät-VOkein zwingender Bestandteil der en-teralen Ernährung sind, ist ihr Einsatzvor allem im Zuge einer Langzeit-therapie von Patienten mit normalerVerdauungs- und Resorptionsfunk-tion auf Grund ihrer stuhlregulie-renden Wirkung unerlässlich. Zudemfindet im Kolon die bakterielle Fer-mentation wasserlöslicher Ballast-stoffe zu den kurzkettigen FettsäurenAcetat, Propionat und Butyrat statt.Kurzkettige Fettsäuren dienen derKolonschleimhaut als wichtiges Ener-giesubstrat und fördern nachweislichdie Mukosaproliferation sowie die Ab-sorption von Wasser und Elektroly-ten. Dieser Schleimhaut stabilisier-

ende Effekt lässt sich zudem für dieTherapie von Diarrhöen nutzen. Für die Langzeittherapie werden Diä-ten empfohlen, die wenigstens 10 gBallaststoffe pro 1 000 kcal liefern. AlsGrundlage der wasserlöslichen Bal-laststoffkomponente in bilanziertenDiäten dienen z. B. Pektin, GummiArabicum, Guar oder die aus Inulingewonnenen Fruktooligosaccharide.Wasserunlösliche Ballaststoffe werdenmeist aus Sojabohnen gewonnen [3,6–10].

Kontraindikationen für Ballaststoffesind z. B. ein entzündlich aktiver Mor-bus Crohn, Stenosen oder der Kost-aufbau nach ausgedehntem abdo-minellem chirurgischem Eingriff [6]. Unter Berücksichtigung eines Sicher-heitszuschlages richtet sich der Vita-min-, Mineralstoff- und Spurenele-mentgehalt von bilanzierten Diätennach den Empfehlungen der Fachge-sellschaften für Gesunde sowie nachden zulässigen Mindest- und Höchst-mengen. Bislang stehen keine siche-ren Daten zum Bedarf an Mikro-nährstoffen von Patienten mit be-stimmten Erkrankungen zur Verfü-gung [3].

Hoch- und niedermolekulareDiäten

Als Synonyme für den Begriff hoch-molekulare Diät werden auch die Be-griffe Polymerdiät oder nährstoff-definierte Diät verwendet. Diese Be-

griffe weisen darauf hin, dass dieHauptnährstoffe in ihrer intaktenMolekularstruktur vorliegen (�Ta-belle 2).

Die Definition für niedermolekulareDiät und ihre Synonyme Oligomer-diät oder chemisch definierte Diät istin der Literatur weniger eindeutig be-schrieben. Nach den Leitlinien derESPEN (European Society for Clini-cal Nutrition and Metabolism1, Euro-päische Gesellschaft für KlinischeErnährung) für enterale Ernährungwerden hiermit Diäten bezeichnet,deren Proteinkomponente aus Pepti-den mit einer Kettenlänge von 2–50Aminosäuren besteht. Hierfür wirdauch der Begriff Peptiddiät verwen-det. Die Leitlinien der DGEM (Deut-sche Gesellschaft für Ernährungsme-dizin) für enterale Ernährung bezie-hen sich in ihrer Begriffsdefinitionauf einen hohen Anteil schnell ver-wertbarer monomerer und oligome-rer Bausteine von Kohlenhydratenund Proteinen [2, 3]. Da freie Ami-nosäuren und kleine Peptide aufGrund ihres schlechten Geschmacksals Komponente einer Trinknahrungnur begrenzt akzeptabel sind, werdenniedermolekulare Diäten vorwiegendals Sondennahrungen angeboten.

Niedermolekulare Diäten werden be-vorzugt bei eingeschränkter Absorp-tionsfähigkeit oder eingeschränkterbzw. fehlender Verdauungsleistungeingesetzt. Ihr Fettanteil ist meist mitetwa 10–20 % des Gesamtenergiege-

Tab. 2: Zusammensetzung von hochmolekularen und niedermole -kularen bilanzierten Diäten (nach [3])

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special | Enterale Ernährung

1Aus Mitgliedern der Fachgesellschaften ISPN (Interna-

tional Society of Parenteral Nutrition) und ASPN (Ame-

rican Society of Parenteral and Enteral Nutrition)

konstituierte sich 1980 in Newcastle, England, die Euro-

päische Fachgesellschaft ESPEN.

Nährstoffkomponente hochmolekulare Diät niedermolekulare Diät

Kohlenhydrate Poly- und Oligosaccharide Mono-, Di-, Oligosaccharide (z. B. Stärke und (z. B. Glukose, Maltodextrin) Maltodextrin)

Proteine Hochmolekulare intakte Aminosäuren und/oder Proteine Peptide (Hydrolysate)

Fette Triglyzeride (überwiegend Triglyzeride (überwiegend LCT) MCT)

Ballaststoffe je nach Indikation Keine

Vitamine und entsprechend der entsprechend der Mineralstoffe jeweiligen Empfehlungen jeweiligen Empfehlungen

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haltes zugunsten des Kohlenhydrat-anteils reduziert. Die Fettkomponen-

te besteht i. d. R. aus einem hohenAnteil an so genannten MCT-Fetten,die unter Umgehung der Mizellen-bildung wie die Verdauungsspro-dukte von Kohlenhydraten undProteinen über die Portalvene in denBlutkreislauf eingehen [2, 3, 6]. Nie-dermolekulare bzw. chemisch defi-nierte Diäten sind frei von Ballast-stoffen und enthalten keine Laktose(s. auch Abschnitt Nährstoffmodifi-zierte Spezialdiäten).

Standarddiäten und nährstoff-modifizierte Spezialdiäten

StandarddiätenFür stoffwechselgesunde Patientenmit normaler gastrointestinaler Funk-tion stehen hochmolekulare Stan-darddiäten zur Verfügung. IhrEnergiegehalt ist mit 0,9–1,2 kcal/mletwa normokalorisch. Eine bedarfs-deckende Zufuhr an Mikronähr-stoffen wird normalerweise mit 1 500–2 000 ml bzw. kcal erreicht. Ist derEnergiebedarf erhöht oder soll dieFlüssigkeitszufuhr eingeschränkt wer-den, stehen hochmolekulare hochka-lorische Nahrungen mit 1,5–2 kcal/ml zur Verfügung. I. d. R. wird die vonden Fachgesellschaften empfohleneNährstoffrelation in Bezug auf dieEnergiezufuhr mit ca. 55 % Kohlen-hydraten, ca. 15–20 % Protein und ca.30 % Fett eingehalten. Im Angebotsind Nahrungen mit und ohne Bal-laststoffe [2, 3, 6].Sondennahrungen mit Standard-nährstoffzusammensetzung sind so-wohl in normo- als auch in hoch-kalorischer Form erhältlich. BeiTrinknahrungen geht der Trend auf-grund der höheren Nährstoffdichtezur hochkalorischen Diät. Auch beigastraler Sondenernährung kanneine hochkalorische Diät von Vorteilsein, da mit geringerem Volumeneine höhere Nährstoffmenge appli-ziert werden kann. Hochmolekulare Standardnahrun-gen finden im klinischen Bereicheine breit gefächerte Anwendung (�Tabelle 3).

Nährstoffmodifizierte Spezialdiäten

Hierzu zählen Diäten, die in ihremGehalt an Makro- und Mikronähr-stoffen an bestimmte Erkrankungenund Stoffelwechselsituationen ange-passt sind und damit von den Stan-dardnahrungen abweichen. Diespezielle Zusammensetzung einigerdieser Nahrungen bezieht sich jedochteilweise auf veraltete oder theoreti-sche Überlegungen, deren kli-nische Bedeutung nicht immer an-hand von klinischen Prüfungen be-stätigt werden konnte. Derzeitexistieren keine allgemeinen Emp-fehlungsgrundlagen für den Mikro-nährstoffbedarf im Rahmen einzel-ner Erkrankungen [3].

Niedermolekulare und MCT-haltige Diäten

Niedermolekulare Diäten kommen inerster Linie bei Patienten mit erheb-lich eingeschränkter Digestions- oderResorptionsleistung zur Anwendung.Aufgrund der vorgespaltenen Struk-tur ihrer Protein- und Kohlenhydrat-komponente und dem meist hohenAnteil an MCT-Fetten werden sie be-reits in den oberen Dünndarmab-schnitten nahezu vollständig resor-biert, wodurch die Stuhlbildung er-heblich vermindert ist. Sie werdenz. B. bei Patienten mit akuter Pankre-asinsuffizienz, Strahlenteritis, akutenentzündlichen Darmerkrankungen,chronischer intestinaler Pseudoob-struktion, Kurzdarmsyndrom und beiSondenernährung mit jejunaler Son-denlage eingesetzt. Allerdings fehltder Beweis für den klinischen Vorteilgegenüber einer ballaststofffreienStandarddiät bei manchen dieserklassischen Indikationen, etwa demakuten entzündlichen Schub einesMorbus Crohn oder dem Kurzdarm-syndrom [38, 50, 54, 58, 75].Ein weiteres mögliches Einsatzgebietfür niedermolekulare Diäten sind dieseltenen intestinalen Lymphangiek -tasien (intestinale Lymphabflusstö-rungen), die häufig mit einer exu-dativen Gastroenteropathie und dem-zufolge mit einem intestinalen Pro-

teinverlust einhergehen. Günstig sindeine LCT-arme bzw. -freie Diät undder Einsatz von MCT-Fetten [76]. Fürsolche Situationen, in denen eineFettmalabsorption bei ansonstenfunktionierender Digestion vorliegt,werden auch hochmolekulare Pro-dukte mit hohem MCT-Anteil ange-boten.

Proteinreiche Diäten

Von den meisten Herstellern werdenzusätzlich proteinreiche Variantender bilanzierten hochmolekularenDiäten angeboten. Sie sind in derRegel hochkalorisch und haben mitetwa 30 % Protein der Gesamtener-giezufuhr einen höheren Proteinge-halt als Standardnahrungen. Von denAnbietern werden sie u. a. für denEinsatz bei konsumierenden Erkran-kungen mit erhöhtem Proteinbedarfempfohlen. Ein eindeutiger Beweisfür ihre bessere Wirksamkeit gegen-über hochkalorischen Standardnah-rungen konnte bisher nur beigeriatrischen Patienten zur Präven-tion des Dekubitus nachgewiesen wer-den. Hierfür wird nach denESPEN-Leitlinien der Einsatz von pro-teinreicher Trinknahrung mit demEvidenzgrad A eingestuft. Wenigereindeutig sind Hinweise auf einenEinfluss der Wundheilung bei bereitsbestehenden Dekubitusulzera [74,77].

Mit verzweigtkettigen Amino-säuren (VKAS) angereicherteDiäten

VKAS finden Anwendung in der Be-handlung von Patienten mit chroni-schen Lebererkrankungen. KlinischeStudien zeigen, dass sie die hepati-sche Proteinsynthese stimulieren unddamit zu einem besseren Ernäh-rungsstatus beitragen. Darüber hi-naus ist ihr positiver Einfluss auf denVerlauf der chronischen hepatischenEnzephalopathie eindeutig belegt,wobei der zugrunde liegende Mecha-nismus hierfür immer noch nicht ein-deutig aufgeklärt ist [78]. Bei Pati-enten mit fortgeschrittenen Leberer-krankungen, z. B. Leberzirrhose, wer-

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Indikation/Empfehlung Evidenzgrad weiter-(A, B od. C*) führende

Literatur

Chirurgische Patienten [11]

Eine Sondenernährung wird empfohlen, wenn ein früher oraler postoperativer Kostaufbau nicht möglich ist, insbesondere [12–14]

■ nach schweren Tumoroperationen im Hals-, Kopf- oder Gastrointestinalbereich, A

■ mit schwerem Polytrauma, A

■ mit manifester Mangelernährung zum Zeitpunkt der Operation oder A

■ mit voraussichtlich unzureichender (< 60 %) Nahrungsaufnahme über mehr als 10 Tage postoperativ. C

Hierbei ist für die meisten Patienten eine hochmolekulare Standardnahrung angemessen. (s. Immunonutrition). C

Nichtchirurgische onkologische Patienten [15]

Mit einer Ernährungstherapie sollte begonnen werden bei vorliegender Mangelernährung oder wenn der Patient C [16–21]voraussichtlich länger als 7 Tage nicht essen kann oder bei vorauszusehender unzureichender Nahrungszufuhr (< 60% des geschätzten Energiebedarfs für länger als 10 Tage).

Die enterale Ernährung ist angezeigt bei Gewichtsverlust aufgrund einer ungenügenden Nahrungszufuhr, B [22–24]um den Ernährungszustand zu erhalten oder zu verbessern.

Bei Patienten mit hohem ernährungsbedingtem Risiko sollte eine 10- bis 14-tägige präoperative Ernährungstherapie A [11]erfolgen (auch wenn die Operation hierdurch verzögert wird).

Während Strahlen- oder Radio-Chemo-Therapie sind die intensive Ernährungsberatung u. der Einsatz oraler A [22, 25–27]Supplemente (Trinknahrung) ratsam, um die Nahrungszufuhr zu erhöhen sowie um einen therapiebedingten Gewichtsverlust (aufgrund einer therapiebedingten Mukositis) und einen Therapieabbruch zu vermeiden.

Um den Gewichtsverlust zu minimieren, kann in der fortgeschrittenen Palliativsituation eine enterale Ernährung C [28]in Erwägung gezogen werden, solange der Patient zustimmt und die Sterbephase nicht eintritt.

Generell wird der Einsatz von Standardnahrungen empfohlen, da keine Ergebnisse aus kontrollierten Studien vorliegen, C [29] die eine spezielle enterale Ernährung für onkologische Patienten rechtfertigen, wie z. B. einen erhöhten od. modifizier- n-3-ten Fettanteil. Bzgl. der Wirkung von n-3-Fettsäuren existieren widersprüchliche, anhand von randomisierten Studien Fettsäuren: ermittelte Ergebnisse, aus denen derzeit keine schlüssigen Aussagen od. Empfehlungen abgeleitet werden können. [30–37]

Gastroenterologische Erkrankungen [38]Morbus Crohn (MC)

Allgemeine Indikationen für enterale Ernährung bei MC: Prävention von Mangel- u. Fehlernährung während der akuten Phase u. Therapie des MC.

Da die enterale Ernährung eine effektive Therapie des akuten Entzündungsschubs darstellt, wird sie als alleinige A [39–43]Therapie bei Erwachsenen empfohlen, wenn eine Kortikoidtherapie nicht durchführbar ist.

Die enterale Enährung gilt bei Kindern mit aktiver Entzündung als Therapie der ersten Wahl, um eine Kortikoid- Ctherapie zu vermeiden.

Bei persistierender intestinaler Entzündungsaktivität wurde ein Vorteil durch Trinknahrung nachgewiesen. B [44, 45]

Sondenkost od. Trinknahrung sollten zusätzlich zur normalen Kost zur Verbesserung des Ernährungszustands oder A [46, 47]Vermeidung von Mangelernährung u. deren Folgen (z. B. Wachstumsverzögerungen im Kindesalter) eingesetzt werden.

Generell wird eine hochmolekulare bilanzierte Diät empfohlen, da kein signifikanter Unterschied zu niedermole- A [40, 48–51]kularen Nahrungen nachgewiesen werden konnte.

Vorteile speziell modifizierter enteraler Nahrungen (z. B. angereichert mit n-3-Fettsäuren, TGF-β, Glutamin, C [52–56]MCT-Fetten) sind nicht eindeutig belegt.

Colitis Ulcerosa

Eine enterale Ernährung wird bei Mangelernährung u. ungenügender Nahrungsaufnahme empfohlen. C

Kurzdarmsyndrom

Die enterale Ernährung wird empfohlen zur Verbesserung des Ernährungsstatus, der Lebensqualität und der C [57, 58]Adaptation des Darms sowie zur Verminderung von Diarrhöen.

Es ist keine spezifische Nährstoffzusammensetzung notwendig. In Abhängigkeit der Ausprägung der CMalabsorption können die Erhöhung der Energiemenge u. eine Modifikation der Nährstoffzusammensetzung (z. B. MCT-Fette, niedermolekulare bilanzierte Diät) angebracht sein.

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�Tab 3.: Ausgewählte Beispiele für den Einsatz von Standardnahrungen nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaftfür Klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN)

Indikation/Empfehlung Evidenzgrad weiter-(A, B od. C*) führende

Literatur

Lebererkrankungen [59] [60–63]Alkoholische Steatohepatitis u. Leberzirrhose

■ Energiebedarf erhöht mit 35–40 kcal/kg KG/d! C

■ Proteinbedarf erhöht mit 1,2–1,5g/kg KG/d! C

Bei Patienten mit Leberzirrhose wirkt sich eine enterale Ernährung positiv auf den Ernährungszustand, die ALeberfunktion sowie die Überlebenszeit aus u. vermindert die Komplikationsrate.

Generell werden hochmolekulare Nahrungen empfohlen; bei Patienten mit Aszites sollten hochkalorische CProdukte vorgezogen werden. (s. Spezialnahrungen)

Nierenversagen beim Erwachsenen [64]

Falls beim akuten Nierenversagen eine enterale Ernährung notwendig ist, sind Standardlösungen für die meisten CPatienten ausreichend.

Beim konservativ behandelten chronischen Nierenversagen können Standardlösungen für die kurzfristige Centerale Ernährung bei Mangelernährung verwendet werden (s. Spezialnahrungen).

Unter Hämodialyse können für die orale Supplementierung Standardtrinknahrungen eingesetzt werden. C

Chronische Herzinsuffizienz [65]

Um die Gewichtsabnahme bei bestehender kardialer Kachexie aufzuhalten, wird eine enterale Ernährung aus Cphysiologischer Sicht empfohlen. Hierfür eignen sich hochkalorische Standardprodukte, um eine Flüssigkeits- überladung zu vermeiden.

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) [65]

Der Nachweis, dass Patienten mit COPD grundsätzlich von einer enteralen Ernährung profitieren, kann nur bedingt Bgeführt werden.

Von hochkalorischen Standardlösungen gehen gegenüber speziellen fettreichen und kohlenhydratreduzierten BNahrungen bei stabiler COPD keine Nachteile aus.

Wasting bei HIV [66]

Indikationen für eine Ernährungstherapie sind ein signifikanter Gewichtsverlust u./o. ein signifikanter B [67–71]Verlust an Körperzellmasse von >5 % innerhalb von 3 Monaten …

… oder ein BMI von < 18,5 kg/m2. C

Als enterale Ernährung wird grundsätzlich eine hochmolekulare Standardnahrung empfohlen. B [68, 69, 72, 73]

Bei Diarrhö und schwerer Mangelernährung sollte jedoch eine Nahrung mit hohem Anteil an MCT-Fetten eingesetzt Awerden.

Geriatrie [74]

In der Geriatrie wird eine Vielzahl von Indikationen für enterale Ernährung mit hohem Empfehlungsgrad ausgesprochen, für die Standardnahrungen als ausreichend angesehen werden. Diese sind z. B.

■ manifeste oder drohende Mangelernährung,

■ Trinknahrung bei gebrechlichen Älteren zur Beeinflussung des Ernährungszustands, A

■ Trinknahrung nach Hüftfrakturen oder orthopädisch-chirurgischen Eingriffen zur Verringerung von Komplikationen, A

■ frühzeitige enterale Ernährung bei neurologisch bedingten Schluckstörungen zur Verbesserung bzw. AAufrechterhaltung des Ernährungszustandes.

Bei sondenernährten geriatrischen Patienten werden ballaststoffhaltige Nahrungen zur Normalisierung Ader Darmfunktion empfohlen.

* Bewertungsgrundlage A: schlüssige Literatur guter Qualität, die mindestens eine randomisierte Studie enthält; B: gut durchgeführte, nicht randomisierte Studien; C: Berichte od. Meinungen aus Expertenkreisen u./od. klinische Erfahrung anerkannter Autoritäten

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den im Plasma verminderte Spiegelan VKAS bei gleichzeitig erhöhtenSpiegeln aromatischer Aminosäurennachgewiesen. Da letztere Vorstufenfür hirntoxische Substanzen sind undmit den VKAS um die Blut-Hirn-Schranke konkurrieren, wird hier einZusammenhang vermutet [6]. Die fürPatienten mit Leberinsuffizienz ange-botenen vollbilanzierten Diäten tra-gen diesem Befund mit einemerhöhten Gehalt an VKAS und einemverminderten Gehalt an aromati-schen Aminosäuren in der Protein-komponente Rechnung. Aufgrund der früher insbesonderebei hepatischer Enzephalopathie pos-tulierten eingeschränkten Eiweißin-toleranz beträgt der Proteingehaltdieser Nahrungen bezogen auf dieGesamtenergiezufuhr nur ca. 12 %.In neueren Untersuchungen wird je-doch immer deutlicher, dass diesesPostulat zugunsten eines erhöhtenProteinbedarfs bei chronischen Le-bererkrankungen auch bei bestehen-der episodischer hepatischer Enze-phalopathie revidiert werden muss[79]. Wegen des positiven Effektesder VKAS auf den Verlauf der hepati-schen Enzephalopathie haben die mitihnen angereicherten Nahrungen beihepatischer Enzephalopathie nachden ESPEN-Leitlinien den Empfeh-lungsgrad A [59].

Diäten für Patienten mit Niereninsuffizienz

Die Anforderungen an eine Diät vonPatienten mit Niereninsuffizienz hän-gen sehr stark ab von der individuel-len Stoffwechsellage des Patientenund davon, in welchem Erkrankungs-stadium er sich befindet. Auch hierstellt Mangelernährung die Hauptin-dikation für eine enterale Ernährungdar. Dabei sollten zunächst Trinknah-rungen als Supplemente zur norma-len Kost eingesetzt werden, bevoreine Sondenernährung in Betrachtgezogen wird. Für die Versorgungwährend eines akuten Nierenversa-gens oder für die kurzfristige enteraleErnährung reichen i. d. R. Standard-lösungen aus. Für die längerfristige

Behandlung des chronischen Nieren-versagens ist entscheidend, ob ein Pa-tient konservativ behandelt wird oderein Dialyseverfahren zum Einsatzkommt. Die konservative Behandlungerfordert je nach Grad der Erkran-kung eine Einschränkung der Pro-tein- und Mineralstoffzufuhr (Phos-phat, Kalium, Natrium) bei oftmalserhöhtem Energiebedarf. Unter Hä-modialyse muss der mit diesem The-rapieverfahren einhergehende Pro-teinverlust ausgeglichen und aufeinen niedrigen Natrium- und Phos-phatgehalt geachtet werden. Außer-dem kommt es dialysebedingt zuVerlusten an wasserlöslichen Vitami-nen. Für diese unterschiedlichen An-forderungen stehen von verschie-denen Anbietern spezielle enteralebilanzierte Diäten mit angepasstemNährstoffgehalt – entweder als fertigeNährlösungen oder in Pulverform –zum Anrühren zur Verwendung alsTrink- und Sondennahrung zur Ver-fügung [64]. Bei der letztgenanntenVariante kann z. B. noch der Protein-gehalt unter Zugabe eines Eiweißpul-vers individuell angepasst werden.

Diäten für Diabetiker

Speziell für die enterale Versorgungvon Diabetikern wurden Diabetiker-nahrungen mit einem hohen Anteilan einfach ungesättigten Fettsäuren,Fruktose und Ballaststoffen in unter-schiedlicher Kombination und Men-ge entwickelt. Eine Metaanalyse von23 klinischen Studien zeigt, dass dieseNahrungen sowohl bei kurzfristigemEinsatz als auch in der Langzeitan-wendung mit einer besseren glykämi-schen Kontrolle assoziiert sind.Allerdings konnte der Nachweis füreinen klinisch relevanten Vorteil ge-genüber Standarddiäten nicht er-bracht werden [80, 81].

Diäten mit immun-modulierenden Substanzen (Immunonutrition)

Unter dem Begriff Immunonutritionwerden Nahrungen zusammenge-fasst, die Substanzen enthalten, wel-che immunologische bzw. inflamma-

torische Prozesse im Zuge kritischerSituationen (z. B. große Operationen,Traumen, Sepsis, Verbrennungen,schwere Infektionen, Tumorerkran-kungen) positiv beeinflussen sollen.Es stehen bilanzierte Diäten zur Ver-fügung, die Glutamin, Arginin, RNS-Nukleotide, n-3-Fettsäuren, Antioxi-danzien (Vitamin E, C, Zink, Selen)und andere Substanzen in erhöhterDosierung enthalten (�Tabelle 4). Die Aminosäure Glutamin ist die amhäufigsten vorkommende freie Ami-nosäure und wird in der Muskulaturals Abbauprodukt der VKAS gebildet.Sie hat vielfältige Aufgaben im Inter-mediärstoffwechsel und dient bspw.den Zellen des Immunsystems undder intestinalen Mukosa als Haupt-energielieferant, wird für die Über-tragung von N- und C-Einheitenbenötigt und bildet mit Glyzin undCystein zusammen die Bausteine fürGlutathion (Bestandteil der antioxi-dativ wirksamen Glutathionperoxi-dase). Im Zuge von metabolischemStress kann der Glutamin-Plasmaspie-gel stark absinken, so dass Glutaminhier als eine bedingt essenzielle Ami-nosäure eingestuft wird. Ein Mangelan Glutamin kann zu Störungen derMukosaintegrität, Beeinträchtigungder Immunfunktion und zu Muskel-abbau führen [6, 82]. Die Gluta-min-Supplementierung bei kritischKranken bewirkt nachweislich einesignifikante Reduktion der Mortali-tätsrate, der infektiösen Komplikatio-nen und der Dauer des Kranken-hausaufenthaltes [83].

Arginin wird in der Niere aus Citrul-lin, dem Endprodukt des intestinalenGlutaminstoffwechsels, synthetisiert.Für Erwachsene wird es ebenfalls alsbedingt essenziell eingestuft. Für dasImmunsystem spielt es eine zentraleRolle, indem es als Vorläufer für dieBildung von Stickstoffmonoxid (NO)dient und sowohl die Funktion alsauch die Proliferation von T-Lym-phozyten und Makrophagen stimu-liert [82, 84]. Es gibt Hinweise aufeine reduzierte Rate infektiöser Kom-plikationen und eine verbesserteWundheilung unter der Supplemen-tierung mit argininhaltigen Diäten.

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Allerdings wurde Arginin in den zu-grunde liegenden Studien nicht alsEinzelsubstanz, sondern in Form vonmit mehreren immunmodulierendenSubstanzen angereicherten Diätenuntersucht [82, 85].

Als ein zentraler Bestandteil der Zell-membran beeinflussen mehrfachund einfach ungesättigte Fettsäurendie Entzündungsreaktion. n-3-Fett-säuren, insbesondere die in marinenFischen vorkommenden Eicosapen-taen- und Docosahexaensäure, schwä-chen die Entzündungsreaktion überverschiedene Mechanismen ab. Sowerden aus ihnen weniger proinflam-matorisch wirkende Eicosanoide(Leukotrien LTB5 und ProstaglandinPGE3) gebildet als aus der n-6-Fettsäure Arachidonsäure, mit der sieum die entsprechenden Enzymsys-teme konkurrieren. Darüber hinausführt ein erhöhtes Angebot an n-3-Fettsäuren zu einer vermindertenProduktion von proinflammatori-schen Zytokinen [84, 86].

Da das Phänomen der Tumorkache-xie stark mit einem erhöhten Ent-zündungsstatus assoziiert ist, wurdeder Einsatz von n-3-Fettsäuren imRahmen der Ernährungstherapie vonTumorpatienten in den letzten Jah-ren verstärkt untersucht. Die Herstel-ler enteraler Nährlösungen habenauf die zahlreichen positiven Hin-weise mit dem Angebot von n-3-Fettsäure-haltigen, hochkalorischenund proteinreichen bilanzierten Diä-ten reagiert. Leider liefern die hierzubisher anhand von randomisiertenStudien gewonnenen klinischenDaten keine eindeutigen bzw. wider-sprüchliche Ergebnisse [15, 30–37].

In Bezug der enteralen Immunonu-trition auf kritisch kranke Patientenexistieren kaum klinischen Daten, diemit n-3-Fettsäuren als alleinigem Zu-satz durchgeführt wurden. Es handeltsich bei den meisten Untersuchun-gen um den Einsatz von Diäten, dieneben n-3-Fettsäuren auch Arginin,Glutamin, RNS-Nukleotide und An-tioxidanzien enthalten. Für Beat-mungspatienten bzw. Patienten mit

akuter respiratorischer Insuffizienz(ARDS) konnte eine positive Wir-kung durch eine mit n-3-Fett-säuren und Gamma-Linolensäure angereicherte enterale Ernährungnachgewiesen werden. Diese äußertesich in einer Besserung von Beat-mungsparametern und einer redu-zierten Beatmungs- sowie Gesamt-aufenthaltsdauer auf der Intensivsta-tion [87–89].

RNS-Nukleotide stellen vermutlicheine weitere diätetisch relevanteGruppe von Immunmodulatoren dar.Als Bausteine der Nukleinsäuren spie-len sie eine Rolle für die Zellprolife-ration von Lymphozyten und für dieWundheilung. Obwohl der Körper in großem Umfang zur De-novo-Synthese von Nukleotiden fähig ist,scheinen sie für Patienten in Stress -situationen und Neugeborene zu-mindest teilweise essenziell zu sein.Insbesondere die Darmmukosa hat

aufgrund ihrer hohen Proliferations-rate einen entsprechend hohen Be-darf an Nukleotiden, so dass eineungenügende Zufuhr zu Störungender Mukosaintegrität führen könnte[90–92].

Immunonutrition in der perioperativen Ernährung

In diesem Bereich hat die Immuno-nutrition allgemeine Anerkennunggewonnen. Der präoperative Ernäh-rungszustand hat einen nachweisli-chen Einfluss auf die postoperativeMorbidität, Letalität und Kranken-hausverweildauer. Zahlreiche Studienzeigen, dass die präoperative Zufuhreiner mit immunomodulierendenSubstanzen angereicherten bilanzier-ten Diät von etwa 3-mal täglich250 ml, an 5–7 Tagen vor großen ab-dominellen Eingriffen bei onkologi-schen Patienten zur Reduktion derpostoperativen Morbiditätsrate und

Tab. 4: Auswahl an Diäten mit Inhaltsstoffen im Sinne einer Immunonutrition (kein Anspruch auf Vollständigkeit)

Anbieter Nahrung besondere Inhaltsstoffe

kritisch Kranke und Intensivpatienten

B. Braun Nutricomp Immun (S) Glutamin, Fischöl, Antioxidanzien

Fresenius Kabi Reconvan (S) Glutamin, Arginin, n-3-FettsäurenIntestamin (S) Glutamin, Butyrat, Antioxidanzien

Novartis Impact (S), Arginin, n-3-Fettsäuren, Oral Impact (T) RNS-Nukleotide

Impact Glutamin (S) Arginin, n-3-Fettsäuren, RNS-Nukleotide, Glutamin

Pfrimmer Nutricia Cubison (S) Arginin, Zink, Antioxidanzien

Cubitan (T) Arginin, Zink

Abbott Perative (S) Arginin, Anitoxidantien

Beatmungspatienten

Abbott Oxepa (S) n-3-Fettsäuren, Gamma-Linolensäure

Tumorpatienten

Abbott Pro Sure (T) n-3-Fettsäuren

Novartis Resource Support (T) n-3-Fettsäuren

Pfrimmer Nutricia Foritcare (T) n-3-Fettsäuren

Fresenius Supportan (S/T) n-3-Fettsäuren, Antioxidanzien

(S=Sondenkost; T=Trinknahrung)

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Krankenhausaufenthaltsdauer führt.Diese Vorgehensweise erweist sich beimangelernährten Patienten als be-sonders effektiv, Verbesserungen wer-den aber auch unabhängig vomErnährungszustand beobachtet. Ver-stärkt wird der Effekt, wenn die Im-munonutrition postoperativ fortge-führt wird [11, 93–95]. Nach denESPEN-Leitlinien für enterale Ernäh-rung hat der Einsatz einer periopera-tiven enteralen Ernährung mit im-munmodulierenden Substraten denEmpfehlungsgrad A für Patienten miteiner geplanten großen Kopf-Hals-(Laryngektomie, Pharyngektomie)-oder einer großen abdominalen Tu-moroperation und für Patienten mitschwerem Trauma [11]. Bei Patienten mit Sepsis wurdenebenfalls Untersuchungen zur Wir-kung immunmodulierender Nahrun-gen durchgeführt. Die Ergebnisseeiner dieser Untersuchungen wareninsofern ernüchternd, als dass dieMortalitätsrate bei Patienten mitschwerer Sepsis oder septischemSchock signifikant anstieg und dieStudie abgebrochen werden musste[96]. Patienten mit milder Sepsis (APA-CHE II-Score 10–15) profitieren wie-derum von einer enteralen Im-munonutrition [97, 98]. Aus diesenErgebnissen leiten die ESPEN-Leitli-nien für enterale Ernährung die Aus-sage mit dem Empfehlungsgrad B ab,eine enterale immunmodulierendeErnährung bei milder Sepsis einzu-setzen und bei schwerer Sepsis daraufzu verzichten [99].

Zusammenfassung

Enterale Ernährung – Nährsubstrate und deren Anwendung beim erwachsenen Patienten

Christiane Bott, Frankfurt

Grundsätzlich wird die enterale Ernährung angewandt, wenn eine normale orale Ernährungaufgrund von Störungen der Nahrungspassage oder Maldigestion bzw. -absorption nichtmöglich ist. Der Begriff enterale Ernährung umfasst per Definition (EG-Richtlinie 1999/21/EGder Kommission vom 25. März 1999) sowohl Sondennahrung als auch oraleTrink- und Zu-satznahrungen für besondere medizinische Zwecke. Es wird eine Vielzahl an nach ihremNährstoffgehalt bilanzierten und zur bedarfsdeckenden Ernährung geeigneten Diäten ange-boten. Für stoffwechselgesunde Patienten mit normaler Digestions- und Absorptionsfunktion, d. h.für eine Vielzahl von verschiedenen Indikationen im Bereich z. B. der Geriatrie, Onkologie,Gastroenterologie und Chirurgie stehen hochmolekulare, normo- oder hochkalorische Stan-dardnahrungen mit und ohne Ballaststoffe zur Verfügung. Für Patienten mit eingeschränk-ter Digestions- und Absorptionsleistung stehen niedermolekulare und mit MCT-Fettenangereicherte Diäten zur Verfügung. Darüber hinaus werden nährstoffmodifizierte Spezial-diäten für spezielle Stoffwechselsituationen angeboten. Hierbei wurde die wissenschaftlicheund klinische Evidenz z. B. erbracht für proteinreiche Diäten zur Dekubitusprophylaxe, fürmit verzweigtkettigen Aminosäuren angereicherte Diäten bei hepatischer Enzephalopathie,für Spezialdiäten bei Niereninsuffizienz und für mit immunmodulierenden Substanzen ange-reicherte Diäten bei bestimmten kritisch kranken Patientengruppen. Der vorliegende Artikel gibt eine Übersicht über das Substratangebot und dessen wissen-schaftlich und klinisch begründbare Anwendung.

Summary

Enteral feeding – Nutritive substrates and their use in adult patients

Christiane Bott, Frankfurt

Enteral feeding is indicated if nutrition by the oral route is not possible because of disordersof the food passage or because of maldigestion or -absorption. The term enteral feeding (de-fined in the EU directive 1999/21/EU by the Commission of March 25, 1999) includes gavage,as well as oral fluid and additional preparations for specific medical purposes. Many diets ofbalanced nutrient content and suitable for human nutrition according to requirements arecommercially available. For patients with an intact metabolism and normal digestive and absorptive functions, i.e. formany different indications in e.g. geriatrics, oncology, gastroenterology and surgery high-molecular, normo- or high-caloric standard diets with and without dietary fibre are available.For patients with restricted digestive and absorptive functions, low-molecular diets and dietsenriched with MCT fats are available. There are nutrient-modified special diets for specialmetabolic situations as well. Scientific and clinical evidence has been provided for e.g. high-protein diets for decubitus prophylaxis, diets enriched with branched-chain amino acids forhepatic encephalopathy, for specific diets in renal insufficiency, and for diets enriched with im-munomodulating compounds for certain severely sick groups of patients. The present paper provides an overview of commercially available substrates and their sci-entifically and clinically justifiable use.

Keywords: clinical feeding, enteral feeding, ESPEN guidelines, fluid food, gavage, malnutri-tion, nutritional therapy, nutrient-modified specific diets

Ernährungs Umschau 54 (2007) S. 528–536� Die Literatur zu diesem Artikel finden Sie im

Internet unter www.ernaehrungs-umschau.de.

– Lochs H et al. (2006) Introductory tothe ESPEN Guidelines on Enteral Nu-trition: Terminology, Definitions andGeneral Topics. Clin Nutr 25: 180–6

– Dormann A et al. (2003) DGEM-Leit-linie Enterale Ernährung: Grundlagen.Akt Ernaehr Med 28 (Suppl 1): S26–S35

Literatur-Tipp zu den Themen enterale Ernährungund ESPEN-Leitlinien:

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