SRa - Aufsatz - Nomos

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SozialRecht Zeitschrift für Sozialberatung aktuell 3/2012 16. Jahrgang, Seiten 85–132 Herausgeber: Caritasverband für die Diözese Münster e.V. Postfach 2120, 48008 Münster Kardinal-von-Galen-Ring 45, 48149 Münster Telefon: 02 51/89 01-2 30 Telefax: 02 51/8901-43 04 bzw. -3 96 Redaktion: Peter Frings, Justitiar beim Caritasverband für die Diözese Münster e.V.; Dr. Albrecht Philipp, Rechtsanwalt, München Alle Rechte vorbehalten. Redaktionsbeirat: Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Bernzen, Kanzlei Bernzen Sonntag, Hamburg; Heinrich Griep, Justitiar des Caritasverbandes für die Diözese Mainz; Christian Grube, Vorsitzender Richter am VG a. D., Rechtsanwalt, Hamburg; Prof. Dr. Ansgar Hense, Institut für Staatskirchenrecht der Diö- zesen Deutschlands, Bonn/Dresden; Sabine Knickrehm, Richterin am Bundessozialgericht Kassel; Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies, Pro- fessorin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg; Dr. Thomas Meysen, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.; Rechtsan- walt Dr. Markus Plantholz, Kanzlei Dornheim, Rechtsanwälte und Steuerberater, Hamburg; Dr. Heribert Renn, Diakonisches Werk in Hessen und Nassau, Frankfurt ; Prof. Dr. Stephan Rixen, Professor an der Universität Bayreuth; Prof. Dr. Andreas Siemes, Professor an der Fachhochschule Münster; Dr. Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht Kassel; Prof. Dr. Volker Wahrendorf , Vorsitzender Richter am Landessozialge- richt Essen a. D. ABHANDLUNGEN Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis – Rechtsbeziehungen zwischen Hilfebedürftigen, Sozialhilfeträgern und Einrichtungsträgern Einführung in die rechtlichen Grundlagen Prof. Dr. Andreas Kurt Pattar, Kehl * Einleitung Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis, also die Gesamt- heit der Verhältnisse zwischen leistungsberechtigter Person, Träger der Sozialhilfe und Leistungserbringer, ist zusammen mit allen sozialrechtlichen Dreiecksverhältnissen seit Jahrzehnten ein Dauerbrenner. 1 Dieser Befund ist auch leicht erklärlich, geht es doch bei allen Beteiligten um viel: Für die auf Hilfe Dritter an- gewiesenen Leistungsberechtigten um die Sicherung ihrer men- schenwürdigen Existenz, für die Träger der Sozialhilfe und die Leistungserbringer um viel Geld. So erhielten im Jahr 2010 ins- gesamt 769.751 Personen Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sechsten und 411.025 Personen Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel SGB XII (ohne Leistungen der Sozialen Pflege- versicherung). Der Leistungsumfang betrug 2010 in der Einglie- derungshilfe gut 13,8 Milliarden Euro, in der Hilfe zur Pflege gut 3,4 Milliarden Euro. 2 Dieser Beitrag soll als Einstieg in die Thematik einen Über- blick über die rechtlichen Grundlagen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses verschaffen. Sozialrechtaktuell 3/2012 | 85 A. Der Einrichtungsbegriff im Sozialhilferecht I. Voraussetzungen 1. Erbringung (voll-)stationärer oder teilstationärer Leistungen Zunächst ist hier eine Themeneingrenzung vorzunehmen: Wenn im Folgenden vom sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis die Rede ist, ist nur das Dreiecksverhältnis bei der Sozialhilfege- währung in Einrichtungen gemeint. Das Dreiecksverhältnis bei ambulanten Leistungen wird dagegen ausgespart. Freilich ist die * Der Autor ist Professor für Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Sozial- recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl (www.hs- kehl.de). Bei diesem Text handelt es sich um die um Belege und Fußno- ten ergänzte und leicht erweiterte Fassung des am 13. 2. 2012 beim 44. Kontaktseminar des Deutschen Sozialrechtsverbandes in Kassel ge- haltenen Vortrages. Die Vortragsform wurde im Wesentlichen beibe- halten. 1 Eine – unvollständige – Auswahl der veröffentlichten Beiträge (ein- schließlich Urteilsanmerkungen) mit Bezug zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis oder einem seiner Teile findet sich am Ende des Bei- trags (S. 98). 2 Statistisches Bundesamt, Statistiken Nr.22111 und 22131, veröffentlicht auf https://www-genesis.destatis.de.

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SozialRechtZeitschrift für Sozialberatung a k t u e l l

3/2012

16. Jahrgang, Seiten 85–132

Herausgeber:Caritasverband für die Diözese Münster e.V.Postfach 2120, 48008 MünsterKardinal-von-Galen-Ring 45, 48149 MünsterTelefon: 02 51/89 01-2 30Telefax: 02 51/89 01-43 04 bzw. -3 96Redaktion:Peter Frings, Justitiar beim Caritasverband für die Diözese Münster e.V.; Dr. Albrecht Philipp, Rechtsanwalt, MünchenAlle Rechte vorbehalten.Redaktionsbeirat:Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Bernzen, Kanzlei Bernzen Sonntag, Hamburg; Heinrich Griep, Justitiar des Caritasverbandes für die DiözeseMainz; Christian Grube, Vorsitzender Richter am VG a. D., Rechtsanwalt, Hamburg; Prof. Dr. Ansgar Hense, Institut für Staatskirchenrecht der Diö-zesen Deutschlands, Bonn/Dresden; Sabine Knickrehm, Richterin am Bundessozialgericht Kassel; Prof. Dr. Katharina von Koppenfels-Spies, Pro-fessorin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg; Dr. Thomas Meysen, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.; Rechtsan-walt Dr. Markus Plantholz, Kanzlei Dornheim, Rechtsanwälte und Steuerberater, Hamburg; Dr. Heribert Renn, Diakonisches Werk in Hessen undNassau, Frankfurt ; Prof. Dr. Stephan Rixen, Professor an der Universität Bayreuth; Prof. Dr. Andreas Siemes, Professor an der FachhochschuleMünster; Dr. Wolfgang Spellbrink, Richter am Bundessozialgericht Kassel; Prof. Dr. Volker Wahrendorf, Vorsitzender Richter am Landessozialge-richt Essen a. D.

ABHANDLUNGEN

Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis –Rechtsbeziehungen zwischen Hilfebedürftigen,Sozialhilfeträgern und EinrichtungsträgernEinführung in die rechtlichen GrundlagenProf. Dr. Andreas Kurt Pattar, Kehl*

Einleitung

Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis, also die Gesamt-heit der Verhältnisse zwischen leistungsberechtigter Person,Träger der Sozialhilfe und Leistungserbringer, ist zusammen mitallen sozialrechtlichen Dreiecksverhältnissen seit Jahrzehntenein Dauerbrenner.1 Dieser Befund ist auch leicht erklärlich, gehtes doch bei allen Beteiligten um viel: Für die auf Hilfe Dritter an-gewiesenen Leistungsberechtigten um die Sicherung ihrer men-schenwürdigen Existenz, für die Träger der Sozialhilfe und dieLeistungserbringer um viel Geld. So erhielten im Jahr 2010 ins-gesamt 769.751 Personen Eingliederungshilfeleistungen nachdem Sechsten und 411.025 Personen Hilfe zur Pflege nach demSiebten Kapitel SGB XII (ohne Leistungen der Sozialen Pflege-versicherung). Der Leistungsumfang betrug 2010 in der Einglie-derungshilfe gut 13,8 Milliarden Euro, in der Hilfe zur Pflegegut 3,4 Milliarden Euro.2

Dieser Beitrag soll als Einstieg in die Thematik einen Über-blick über die rechtlichen Grundlagen des sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnisses verschaffen.

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A. Der Einrichtungsbegriff im Sozialhilferecht

I. Voraussetzungen

1. Erbringung (voll-)stationärer oder teilstationärer Leistungen

Zunächst ist hier eine Themeneingrenzung vorzunehmen: Wennim Folgenden vom sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis dieRede ist, ist nur das Dreiecksverhältnis bei der Sozialhilfege-währung in Einrichtungen gemeint. Das Dreiecksverhältnis beiambulanten Leistungen wird dagegen ausgespart. Freilich ist die

* Der Autor ist Professor für Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Sozial-recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl (www.hs-kehl.de). Bei diesem Text handelt es sich um die um Belege und Fußno-ten ergänzte und leicht erweiterte Fassung des am 13. 2. 2012 beim44. Kontaktseminar des Deutschen Sozialrechtsverbandes in Kassel ge-haltenen Vortrages. Die Vortragsform wurde im Wesentlichen beibe-halten.

1 Eine – unvollständige – Auswahl der veröffentlichten Beiträge (ein-schließlich Urteilsanmerkungen) mit Bezug zum sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnis oder einem seiner Teile findet sich am Ende des Bei-trags (S. 98).

2 Statistisches Bundesamt, Statistiken Nr. 22111 und 22131, veröffentlichtauf https://www-genesis.destatis.de.

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Grundstruktur identisch. Dies ergibt sich schon aus der Verwei-sung in § 75 Abs. 1 S. 2 SGB XII, wonach die für Einrichtungengeltenden §§ 75 bis 80 SGB XII für Dienste entsprechende An-wendung finden, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist.

Der Ausschluss ambulanter Leistungen folgt aus dem sozial-hilferechtlichen Einrichtungsbegriff. Unter einer Einrichtungwird – wie sich aus § 13 SGB XII und der Rechtsprechung er-gibt – ein in einer besonderen Organisationsform zusammenge-fasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unterverantwortlicher Trägerschaft verstanden, der auf gewisseDauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zuge-schnitten ist und in dem in voll- oder teilstationärer Form Be-darfe nach dem SGB XII gedeckt werden.3

Damit gehören etwa das klassische Pflege- oder Behinderten-heim zum Kreis der Einrichtungen. Weil § 13 SGB XII aber auchteilstationäre Leistungen einbezieht, gehören hierher auch Leis-tungen, bei denen die Leistungsberechtigten nur für einen Teildes Tages in der Einrichtung sind. Deshalb und wegen der nichtmehr ganz so „neuen Wohn- und Versorgungsformen“4 ist dieFrage zu beantworten, wann eine Leistung stationär oder teil-stationär erbracht wird.

Rechtsprechung und Literatur grenzen danach ab, ob dasWohnen Teil eines Einrichtungsganzen ist, in rechtlicher und or-ganisatorischer Hinsicht einem Einrichtungsträger zugeordnetwerden kann und dieser die Gesamtverantwortung für die tägli-che Lebensführung der leistungsberechtigten Person über-nimmt.5 Bei teilstationären Leistungen wird die Gesamtverant-wortung nur über Teile des Tages in einem Gebäude übernom-men, das zu den sächlichen Mitteln des Leistungserbringers ge-hört,6 bei ambulanten Leistungen verbleibt die Gesamtverant-wortung vollständig bei der leistungsberechtigten Person.

II. Vergleich mit benachbarten Rechtsgebieten

In anderen eng mit dem Sozialhilferecht verflochtenen Rechtsge-bieten wird der Begriff der Einrichtung anders definiert.

1. Soziale Pflegeversicherung (§ 71 SGB XI)

So entspricht dem sozialhilferechtlichen Begriff der „Einrich-tung“ im Pflegeversicherungsrecht des SGB XI nicht der Ober-begriff der „Pflegeeinrichtung“, sondern der des „Pflegeheims“.Auch der Begriff „stationär“ wird in beiden Rechtsgebieten un-terschiedlich verwendet: Im Pflegeversicherungsrecht ist er derOberbegriff für das Begriffspaar „voll-“ und „teilstationär“, imSozialhilferecht bezeichnet er nur vollstationäre Leistungen.

Abb. 1. Vergleich des Einrichtungsbegriffs im Sozialhilferecht (SGB XII)mit dem im Recht der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI)

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Abb. 2. Vergleich der Begriffe stationär, voll- und teilstationär sowie ambu-lant im Sozialhilferecht (SGB XII) mit dem im Recht der Sozialen Pflege-versicherung (SGB XI)

2. Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 7 Abs. 4 SGB II)

Dem Grundsicherungsrecht des SGB II liegt schließlich ein völliganderer Begriff der „stationären Einrichtung“ zu Grunde, dermit dem sozialhilferechtlichen fast nichts gemeinsam hat. Nachder – umstrittenen – Rechtsprechung des BSG zu § 7 Abs. 4SGB II liegt wegen des Arbeitsmarktbezuges der Leistungen derGrundsicherung für Arbeitsuchende eine stationäre Einrichtungim Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II immer dann vor, wenn es dendort Untergebrachten wegen der objektiven Struktur und Ge-stalt der Einrichtung nicht möglich ist, „aus der Einrichtung he-raus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Krite-rien des § 8 SGB II genügt“, wenn also „durch die Unterbrin-gung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer min-destens dreistündigen täglichen Erwerbtätigkeit auf dem allge-meinen Arbeitsmarkt [grundsätzlich] ausgeschlossen ist.“7

Die fehlende Übereinstimmung der beiden Einrichtungsbe-griffe führt zu erheblichen Koordinationsproblemen zwischenden Leistungssystemen, wenn Leistungsberechtigte zwar im

3 Höfer/Krahmer, LPK-SGB XII, § 13, Rn. 14; Luthe, Hauck/Noftz, SGB XII, K§ 13, Rn. 23; Neumann, Hauck/Noftz, SGB XII, K § 75, Rn. 10; Wahrendorf,Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 13 SGB XII, Rn. 28; Piepenstock, jurisPK-SGB XII, § 13 SGB XII, Rn. 44; Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII,Rn. 33; LSG BW, 13. 3. 2006 – L 13 AS 4377/05 ER-B, juris-Rn. 6 (allerdingszum Einrichtungsbegriff in § 7 Abs. 4 SGB II); BVerwG, 24. 2. 1994 – 5 C17/91, RsDE 27 (1995), 70–75, Leitsatz 1; BVerwG, 24. 2. 1994 – 5 C 42/91,FEVS 42, 52–57, Leitsatz 1; BVerwG, 24.2.1994 – 5 C 24/92, BVerwGE 95,149–155, Leitsatz 1.

4 Hierunter sind beispielsweise betreutes Wohnen, Wohngemeinschaf-ten, Unterbringung in Gastfamilien und andere Wohnformen zu ver-stehen, die sich vom hergebrachten Heim einerseits und der Unterbrin-gung in der eigenen Familie andererseits unterscheiden. – Zur Abgren-zung des betreuten Wohnens vom Heim im Sinne des HeimG BGH,21.4.2005 – III ZR 293/04, NJW 2005, 2008–2010 m. Anm. Pfeilschifter,jurisPR-MietR 17/2005, Anm. 2; Schlüter, NZM 2000, 530; Thier, NZM2003, 264.

5 LSG BW, 13.3.2006 – L 13 AS 4377/05 ER-B, juris-Rn. 6 (allerdings zumEinrichtungsbegriff in § 7 Abs. 4 SGB II); BVerwG, 24.2.1994 – 5 C 24/92,BVerwGE 95, 149; BVerwG, 24.2.1994 – 5 C 42/91, FEVS 42, 52; BVerwG,24.2.1994 – 5 C 13/91, FEVS 45, 183–187; BVerwG, 24.2.1994 – 5 C 17/91,RsDE 1995, 27, 70; Luthe, Hauck/Noftz, SGB XII, K § 13, Rn. 24, 27; Piepen-stock, jurisPK-SGB XII, § 13 SGB XII, Rn. 45.

6 Höfer/Krahmer, LPK-SGB XII, § 13, Rn. 14; Piepenstock, jurisPK-SGB XII,§ 13 SGB XII, Rn. 46.

7 BSG, 6.9.2007 – B 14/7b AS 16/07 R, BSGE 99, 88–94, juris-Rn. 14; vgl. a.Höfer/Krahmer, LPK-SGB XII, § 13, Rn. 17; Münder/Geiger, SGb. 2007, 1, 7;Spellbrink, Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7, Rn. 62; Brühl/Schoch, LPK-SGB II, § 7 Rn. 92. Zur Kritik z. B. Spellbrink, Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7,Rn. 68 f. Anders noch LSG BW, 13.3.2006 – L 13 AS 4377/05 ER-B, juris-Rn. 6.

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Sinne des Sozialhilferechts, nicht aber im Sinne des SGB II in ei-ner Einrichtung untergebracht sind.8

Abb. 3. Vergleich des Begriffs der Einrichtung im Sozialhilferecht(SGB XII) mit dem im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende(SGB II)

III. Typologie der Leistungen in Einrichtungen

Zum Abschluss dieser Themeneingrenzung ist die Frage zu be-antworten, welche Sozialhilfeleistungen überhaupt in Einrich-tungen erbracht werden können. Die Antwort ist kurz: AlleLeistungen des Fünften bis Neunten Kapitels SGB XII mit Aus-nahme der Blindenhilfe (§ 72 SGB XII) und der Bestattungskos-ten (§ 74 SGB XII). Besonders häufig sind Leistungen der Ein-gliederungshilfe für behinderte Menschen und der Hilfe zurPflege.

Im Zusammenhang mit diesen Leistungen werden auch Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Drittenund Vierten Kapitel SGB XII in Einrichtungen erbracht. Nachder neueren BSG-Rechtsprechung können Leistungen zur Le-bensunterhaltssicherung aber auch Teil der Leistungen nachdem Fünften bis Neunten Kapitel sein. Darauf wird später kurzeinzugehen sein.

Nach der bisherigen Rechtslage folgen die Regeln für das sozi-alhilferechtliche Dreiecksverhältnis bei allen diesen Leistungen –mit Ausnahme der kaum je praxisrelevanten Hilfen zur Gesund-heit nach dem Fünften Kapitels SGB XII, für die über § 52Abs. 3 SGB XII weitgehend das krankenversicherungsrechtlicheLeistungserbringerrecht gilt, – grundsätzlich demselben Regel-werk, das im Zehnten Kapitel SGB XII niedergelegt ist.

IV. Weiterer Gang der Darstellung

Kommen wir nun konkret zum sozialhilferechtlichen Dreiecks-verhältnis.

Zunächst ist das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis imÜberblick zu betrachten (sogleich Teil B.). Anschließend ist aufdie einzelnen Schenkel dieses Dreiecks und die sie verbindendenFeststellschrauben einzugehen (Teil C.). Danach sollen die Aus-wirkungen des Verhältnisses der Seiten zueinander auf die Gel-tendmachung von Ansprüchen im Dreiecksverhältnis skizziertwerden (Teil D.) und schließlich das persönliche Budget in denBlick genommen werden (Teil E.).

B. Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis imÜberblick

I. Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis imAllgemeinen

1. Voraussetzungen für ein sozialhilferechtlichesDreiecksverhältnis

a) Grundsatz

Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis ist ein Unterfall desallgemeinen sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses. Ein solches

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entsteht immer dann, wenn ein Sozialleistungsträger eine Sozial-leistung nicht selbst erbringt, sondern sich hierzu Dritter be-dient, der sogenannten Leistungserbringer. Bei der Sozialhilfe inEinrichtungen sind dies die Einrichtungsträger. Ein sozialrechtli-ches Dreiecksverhältnis setzt neben dem Sozialrechtsverhältniszwischen dem Sozialleistungsträger und der leistungsberechtig-ten Person eine Rechtsbeziehung zwischen dem Sozialleistungs-träger und dem Leistungserbringer voraus. Im sozialhilferechtli-chen Dreiecksverhältnis bedarf es darüber hinaus immer einerRechtsbeziehung zwischen leistungsberechtigter Person undLeistungserbringer.

Abb. 4. Schematische Darstellung des sozialhilferechtlichen Dreiecksver-hältnisses.

b) Gegenbeispiel: Leistungserbringung ohne Dreieck

Liegt demgegenüber neben dem Sozialrechtsverhältnis zwischenleistungsberechtigter Person und Sozialleistungsträger nur einRechtsverhältnis zwischen der leistungsberechtigten und einerdritten Person vor – etwa bei den Kosten der Unterkunft imRahmen der offenen Hilfe zum Lebensunterhalt –, besteht keinsozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis.

Abb. 5: „Feststellschrauben“ im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis.

2. System wechselseitiger Einflussnahme

Zum Dreieck werden die drei Rechtsbeziehungen erst durch ihrewechselseitigen Beeinflussungen. Die Vorschriften, welche dieseEinflüsse der einzelnen Leistungsverhältnisse aufeinander re-geln, können als Feststellschrauben bezeichnet werden. Mankann sich das Dreiecksverhältnis als eine Art Holzrahmen vor-stellen, an dessen Ecken bewegliche Scharniere sitzen. Die Vor-schriften, die das wechselseitige Verhältnis der zusammentref-

8 Oder wenn Streit darüber besteht, hierzu LSG NW, 20.2.2008 – L 7 B274/07 AS, unveröff.

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fenden Rechtsverhältnisse beschreiben, sind dann eben Feststell-schrauben, mit denen die Scharniere jeweils in einem bestimm-ten Winkel fixiert werden können.

Der bildliche Vergleichsbegriff „Feststellschraube“ für dieseRegelungen ist ansonsten nicht verbreitet; wie alle bildlichenVergleiche hinkt auch er. Gelegentlich sind diese Vorschriften inder Literatur als Transmissionsriemen bezeichnet worden,9 weilsie die für einen Schenkel geltenden Regeln auch in den Bereichdes anderen Schenkels übertragen.

Mit dem Sammelbegriff „sozialhilferechtliches Dreiecksver-hältnis“ wird zusammenfassend die Gesamtheit der Rechtsbe-ziehungen zwischen leistungsberechtigter Person, Träger der So-zialhilfe und Sozialleistungserbringer einschließlich ihrer wech-selseitigen Beeinflussungen bezeichnet.

II. Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis imBesonderen

1. Einführung

Für Sozialhilfeleistungen in Einrichtungen ist die Leistungser-bringung durch Dritte und damit das sozialhilferechtliche Drei-ecksverhältnis vom Gesetz vorgegeben: Nach § 75 Abs. 2SGB XII sollen die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungennicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Trä-ger vorhanden sind. Sie sollen sich der Einrichtungen der ande-ren Träger bedienen.

2. Überblick über das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis

Grob gesprochen sieht das sozialhilferechtliche Dreiecksverhält-nis folgendermaßen aus:

Abb. 6: Schematische Darstellung des sozialhilferechtlichen Dreiecksver-hältnisses.

Ausgangspunkt ist eine Person mit einem sozialhilferechtli-chen Bedarf, der nur in einer Einrichtung gedeckt werden kann.Sie hat aus dem Leistungsrecht des SGB XII einen Sozialhilfean-spruch gegen den Träger der Sozialhilfe. Dieses Rechtsverhältnisbildet die erste Seite des Dreiecks, das sogenannte „Grundver-hältnis“10. Dieses Verhältnis wird grundsätzlich mit einem Ver-waltungsakt des Trägers der Sozialhilfe gegenüber der leistungs-berechtigten Person geregelt.

In der Regel erfüllt der Träger der Sozialhilfe den Leistungsan-spruch nicht selbst, sondern bedient sich des Einrichtungsträ-gers, dessen Einrichtung die leistungsberechtigte Person auf-nimmt. Das Verhältnis dieser beiden Träger zueinander wird,weil sie sich im Gleichordnungsverhältnis gegenübertreten, nachden Vorgaben des Zehnten Kapitels SGB XII durch öffentlich-rechtliche Verträge geregelt, die grundsätzlich allgemein und un-

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abhängig vom Einzelfall im Vorhinein abgeschlossen werden.Da der Träger der Sozialhilfe den Leistungsberechtigten so Leis-tungen verschafft, wird dieses Verhältnis als „Leistungsver-schaffungsverhältnis“ bezeichnet.11

Der Sozialhilfeanspruch besteht nach § 19 SGB XII nur, wenndie leistungsberechtigte Person ihren Bedarf nicht oder nichtvollständig selbst decken kann. Der Sozialhilfeanspruch imGrundverhältnis setzt also voraus, dass die leistungsberechtigtePerson von Seiten des Einrichtungsträgers Zahlungsansprüchenzur Bedarfsdeckung ausgesetzt ist, die sie sich nicht leisten kann.Die Grundlage dieser Ansprüche ergibt sich aus dem zivilrechtli-chen, regelmäßig vertraglichen Schuldverhältnis zwischen leis-tungsberechtigter Person und Einrichtungsträger. Im sozialhilfe-rechtlichen Dreieck kann man dieses Rechtsverhältnis als „Er-füllungsverhältnis“12 bezeichnen.

C. Die einzelnen Schenkel und „Feststellschrauben“des Dreiecks

Betrachten wir nun die einzelnen Schenkel und „Feststellschrau-ben“ näher. Zwar wäre eigentlich mit dem Grundverhältnis,also dem Sozialhilfeanspruch, beginnen: Nur seinetwegen ent-steht ja überhaupt ein Dreiecksverhältnis. Weil die anderen bei-den Verhältnisse so besser nachvollzogen werden können, wirdin der Folge dennoch zunächst das Verhältnis des Trägers derSozialhilfe zum Einrichtungsträger, also das Leistungsverschaf-fungsverhältnis dargestellt.

I. Das Verhältnis des Trägers der Sozialhilfe zumEinrichtungsträger (Leistungsverschaffungsverhältnis)

1. Zentraler Regelungsort: Zehntes Kapitel SGB XII

Grundlage für das Leistungsverschaffungsverhältnis sind dieRegelungen des Zehnten Kapitels SGB XII.

2. Vereinbarungstrias nach § 75 Abs. 3 SGB XII

Den Ausgangspunkt stellt § 75 Abs. 3 SGB XII dar. Er schreibtunabhängig vom Einzelfall den Abschluss von drei Vereinbarun-gen mit jedem Einrichtungsträger vor: Einer Leistungsvereinba-rung (§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XII), die Inhalt, Umfang undQualität der Leistungen regelt, einer Vergütungsvereinbarung(§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII), welche Pauschalen und Beträgefür einzelne Leistungsbereiche enthält, und einer Prüfungsver-

9 So von Griep, SozR aktuell 2009, 161, 167.10 In der Bezeichnung der einzelnen Schenkel des Dreiecks folgt diese

Darstellung Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 26–28, diesich mit den Begriffen „Leistungs-“ und „Erfüllungsverhältnis“ ihrer-seits auf Schuler-Harms, VSSR 2005, 135, 138 f., stützen. Anders be-zeichnet hingegen Meyer, TuP 2008, 443, 444 das Verhältnis zwischenleistungsberechtigter Person und Träger der Sozialhilfe als „Leistungs-zusageverhältnis“, das Verhältnis zwischen leistungsberechtigter Per-son und Einrichtungsträger als „Leistungserbringungsverhältnis“ unddas Verhältnis zwischen Träger der Sozialhilfe und Einrichtungsträgerals „Leistungsbeschaffungsverhältnis“. Freilich unterscheidet er beiseiner Darstellung des Dreiecksverhältnisses nicht zwischen dem sozi-alhilfe- und dem sozialversicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnis.

11 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 28.12 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 27 unter Berufung auf

Schuler-Harms, VSSR 2005, 135, 138 f.

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einbarung (§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XII), welche Regelungenüber die Prüfung von Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leis-tungen enthält. Diese Vereinbarungen werden zwischen Einrich-tungsträger und dem für den Einrichtungssitz zuständigen Trä-ger der Sozialhilfe geschlossen und sind für die übrigen Trägerder Sozialhilfe bindend (§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII).

§ 77 Abs. 1 S. 2 SGB XII enthält also eine Regelung der örtli-chen Zuständigkeit für den Abschluss der Vereinbarungen.13

Die sachliche Zuständigkeit für den Abschluss dieser Vereinba-rungen trifft in der Regel den Träger, der auch sachlich für dieLeistungserbringung zuständig wäre. Allerdings bestehen man-cherorts Sonderregeln. So ist in Bremen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1hbAGSGB XII), Mecklenburg-Vorpommern (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 2und 6 mvSGB XII-AG M-V) und Sachsen-Anhalt (§ 4 Abs. 2stAG SGB XII) der überörtliche Träger der Sozialhilfe auch dannfür den Abschluss der Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XIIund für die Mitwirkung an den Vereinbarungen nach demSGB XI zuständig, wenn er nicht sachlich für die Leistungser-bringung zuständig wäre. In Sachsen (§ 13 Abs. 3 snSäch-sAGSGB) besteht teilweise ein Eintrittsrecht des örtlichen Trä-gers. In Brandenburg (§ 5 Abs. 3 bbAG-SGB XII) und Thürin-gen (§ 4 Abs. 5 thThürAGSGB XII) ist die sachliche Zuständig-keit des überörtlichen Trägers zum Abschluss der Vereinbarun-gen nach § 75 Abs. 3 SGB XII auf solche für teil- oder vollstatio-näre Leistungen beschränkt.

Dabei haben die Träger der Sozialhilfe nicht die Möglichkeit,den Abschluss von Vereinbarungen im Sinne von § 75 Abs. 3SGB XII mit Hinweis auf einen bereits erfüllten Bedarf zu ver-weigern: Dies würde gegen die in Art. 12 GG normierte Berufs-freiheit der Leistungserbringer14 und das Wunsch- und Wahl-recht der Leistungsberechtigten15 verstoßen.16 Vergeben Trägerder Sozialhilfe dennoch gesetzeswidrig öffentliche Aufträge ex-klusiv an bestimmte Leistungserbringer, sind sie insoweit an dasVergaberecht gebunden.17

Auf den Inhalt der zu treffenden Vereinbarungen im Einzelneneinzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Er-wähnt werden müssen jedoch folgende Grundzüge:

Die zu vereinbarende Vergütung setzt sich aus drei Teilen zu-sammen, nämlich der Grundpauschale für Unterkunft und Ver-pflegung, der Maßnahmepauschale für die eigentlichen Maß-nahmekosten und einem Investitionsbetrag zur Herstellung undUnterhaltung der für den Betrieb der Einrichtung nötigen Güter.Die Maßnahmepauschale kann dabei nach Gruppen für Leis-tungsberechtigte mit vergleichbarem Bedarf kalkuliert werden.In der Praxis werden die Maßnahmepauschalen nach Leistungs-typen gestaffelt, die wiederum in Hilfebedarfsgruppen unterteiltsind. Während die Leistungstypen übergreifend Leistungen mitbestimmten Zielsetzungen in bestimmten Settings zusammen-fassen, bestimmen die Hilfebedarfsgruppen innerhalb dieserLeistungstypen verschiedene Intensitätsstufen des Hilfebe-darfs.18

Zu betonen ist aber, dass die Vereinbarung von Leistungsty-pen und Hilfebedarfsgruppen in den Einzelvereinbarungen le-diglich typisierende Beschreibungen der zu erbringenden Leis-tungen und der hierfür vorgesehenen Vergütung sind. Sie habengrundsätzlich keinen Bezug zum Einzelfall.

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3. Schiedsstellenverfahren

Können sich Sozialhilfe- und Einrichtungsträger nicht auf denAbschluss von Vereinbarungen einigen, sieht das Gesetz in § 77Abs. S. 3–6 SGB XII ein Schiedsstellenverfahren vor. Die paritä-tisch besetzte Schiedsstelle (§ 80 SGB XII)19 ersetzt dabei aufAntrag einer Vertragspartei den zu schließenden Vertrag durcheinen Schiedsspruch. Dies gilt nach herrschender Meinung nurfür die Vergütungsvereinbarung20, nach einer prononciertenMindermeinung jedoch auch für die Leistungsvereinbarung.21

Diese Meinung wäre sicherlich praxisgerecht, weil sie zusam-menführt, was – jedenfalls beim erstmaligen Abschluss einerVereinbarung22 – nicht sinnvoll getrennt werden kann. Aller-dings ist sie nicht mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar. Die An-

13 A. A. ( jeder Träger der Sozialhilfe, der über eine Einrichtung Leistun-gen erbringen will, muss gesonderte Vereinbarungen abschließen)Münder, LPK-SGB XII, § 75, Rn. 25, der allerdings – wenig konsequent,da er andererseits deren Rechtsnormcharakter ablehnt (Münder, LPK-SGB XII, § 79, Rn. 12–14) – in Rahmenvereinbarungen Regelungen überdie Zuständigkeitskonzentration für möglich hält.

14 Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 75, Rn. 25 f.; Welti, SDSRV 60(2010), 93, 106–108; Engler, RsDE 71 (2010), 41, 61–63 u. 66; Brünner,NDV 2008, 285, 287 f.; Mrozynski, ZFSH/SGB 2011, 197, 203 f.

15 Welti, SDSRV 60 (2010), 93, 106–108; Mrozynski, ZFSH/SGB 2011, 197,204.

16 Im Ergebnis ebenso Münder, LPK-SGB XII, § 75, Rn. 17 f.17 Z. B. OLG Hamburg, 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, SozR aktuell 2008, 112–115;

hierzu Philipp, SozR aktuell 2008, 115–116 und Brünner, NDV 2008, 285;OLG Düsseldorf, 4.4.2011 – I-24 U 130/10, 24 U 130/10, unveröff. WeitereBeispiele bei Engler, RsDE 71 (2010), 41, 44–46, die allerdings von ei-nem ständigen Nebeneinander von Leistungserbringer- und Vergabe-recht ausgeht. Zurückhaltender noch – das Wettbewerbs- und Verga-berecht für unpassend haltend – Neumann/Bieritz-Harder, RsDE 48(2001), 1. Ausdrücklich für eine Einführung von Ausschreibungen undpersonengebundenen Budgets zur besseren Steuerung von Sozialleis-tungen Meyer, ZSR 56 (2010), 85.

18 Instruktiv z. B. § 3 Abs. 2 und 3 des Bremischen Landesrahmenvertra-ges und § 2 Abs. 2 und 3 des Saarländischen, aber auch § 2 Abs. 2,§ 17 Abs. 3 des baden-württembergischen Rahmenvertrages nach § 79Abs. 1 SGB XII . – Die Landesrahmenverträge werden von der Bundes-arbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS)auf der Internetseite des Landeswohlfahrtsverbandes Westfalen-Lippezur Verfügung gestellt (http://www.lwl.org/LWL/Soziales/BAGues/landesrahmenvertraege/)

19 Zur Schiedsstelle nach § 94 BSHG Plantholz/Rochon, RsDE 45 (2000),30; von Boetticher/Tammen, RsDE 54 (2003), 28.

20 Als Auswahl Münder, LPK-SGB XII, § 77, Rn. 5; Neumann, Hauck/Noftz,SGB XII, K § 77, Rn. 8; Adolph, Linhart/Adolph, SGB II. SGB XII. AsylbLG,§ 77 SGB XII, Rn. 17 f.; Flint, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 77 SGB XII,Rn. 10; W. Schellhorn, Schellhorn/Schellhorn/Hohm, § 77 SGB XII, Rn. 4;LSG BW, 13.7.2006 – L 7 SO 1902/06 ER-B, SozR aktuell 2006, 168–176,juris-Rn. 20; offen gelassen mit Tendenz zur Annahme einer Schieds-stellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung als Vorfrage von LSG NW,1.12.2005 – L 9 B 22/05 SO ER, PflR 2006, 378–383, juris-Rn. 20 f.; zur insSGB XII übernommenen Vorgängerregelung des § 93b Abs. 1 S. 2 BSHGBVerwG, 4.8.2006 – 5 C 13/05, BVerwGE 126, 295–303, juris-Rn. 12.

21 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 77 SGB XII, Rn. 31–39. In diese Richtungauch LSG HE, 20.6.2005 – L 7 SO 2/05 ER, FEVS 57, 153–156, juris-Rn. 37,welches bei Streit über Leistungs- und Vergütungsvereinbarung dieFrage der Schiedsstellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung zur in dieEntscheidungskompetenz der Schiedsstelle fallenden Vorfrage erklärt.Die gleichzeitige Betonung nur eingeschränkter gerichtlicher Über-prüfbarkeit der Schiedsstellenentscheidungen führt de Facto zur An-erkennung einer Schiedsstellenfähigkeit. Münder, LPK-SGB XII, § 75,Rn. 45 hält diese Auffassung für „untauglich und rechtsdogmatischunhaltbar“; gegen eine Vorfragenkompetenz der Schiedsstelle nachdem BSHG OVG NI, 4.7.2008 – 4 LA 115/06, ZFSH/SGB 2008, 484–488,juris-Rn. 13.

22 Ob Leistungsvereinbarungen als Grundlage für Vergütungen nach Ab-lauf des Vereinbarungszeitraums nach oder entsprechend § 77 Abs. 2S. 4 SGB XII weiter gelten, ist ebenfalls umstritten, wird aber mehr-heitlich – und an sich inkonsequent – angenommen. Zum Diskussi-onsstand Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 77 SGB XII, Rn. 95 und online-Rn. 95.1 f.

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nahme, dass § 76 Abs. 1 SGB XII die „Vergütungen für die Leis-tungen nach Absatz 1“ in Bezug nimmt und so die Leistungsver-einbarung zum untrennbaren Teil der Vergütungsvereinbarungmache,23 überschreitet die Wortlautgrenze. Sie steht auch nichtmit der Entstehungsgeschichte24 und der Systematik des Geset-zes in Einklang: § 75 Abs. 3 S. 1 SGB XII sieht in drei getrenntenNummern ausdrücklich drei separate Vereinbarungen vor, aufdie sich die jeweiligen Absätze des § 76 SGB XII recht eindeutigbeziehen (§ 76 Abs. 1 SGB XII auf die Leistungsvereinbarungnach § 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB XII, § 76 Abs. 2 SGB XII auf dieVergütungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XIIund § 76 Abs. 3 SGB XII auf die Prüfungsvereinbarung nach§ 75 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XII). Eröffnet § 77 Abs. 1 S. 3SGB XII das Schiedsstellenverfahren dann nur für „eine Verein-barung nach § 76 Abs. 2“ SGB XII, bezieht sich diese Verwei-sung gerade nur auf die Vergütungsvereinbarung. So sinnvoll deLege ferenda eine Schiedsstellenfähigkeit mindestens auch derLeistungsvereinbarung wäre, de Lege lata ist sie nicht gegeben.25

4. Landesrahmenverträge und Bundesempfehlungen (§ 79SGB XII)

Um den Einzelvereinbarungen und den darin zu regelnden Ge-genständen eine einheitliche Struktur zu geben, sieht § 79SGB XII überörtliche Vereinbarungen vor.

So schließen die überörtlichen Träger der Sozialhilfe und diekommunalen Spitzenverbände auf Landesebene mit den Verei-nigungen der Einrichtungsträger auf Landesebene gemeinsamund einheitlich Rahmenverträge zu den Vereinbarungen (§ 79Abs. 1 SGB XII).26 Sie regeln darin näher, welche Kostenartenwelchem Vergütungsbestandteil zuzuordnen sind, und machenVorgaben für die Bildung von Leistungstypen und Hilfebedarfs-gruppen sowie für Inhalt und Verfahren zur Durchführung vonWirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen.

Nach herrschender Meinung binden die Landesrahmenver-träge unmittelbar nur die Vertragsparteien, sind aber von derenMitgliedern bei der Gestaltung der Einzelvereinbarungen zu be-achten.27 Im Gegensatz dazu wird von einer prononcierten Min-dermeinung vertreten, dass die Landesrahmenverträge alsNormverträge Bindungswirkung erga Omnes hätten.28 Einesder Hauptargumente für diese Auffassung ist, dass die Landes-rahmenverträge auf der Grundlage der Ermächtigung in § 81Abs. 1 SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen durchRechtsverordnung ersetzt werden können.29

§ 79 Abs. 2 SGB XII sieht weiter auf Bundesebene zu verein-barende Empfehlungen zum Inhalt der Landesrahmenverträgevor. Dies ist seit Inkrafttreten des SGB XII noch nicht geschehen.Die nach der Vorgängervorschrift § 93d Abs. 3 BSHG verein-barten Bundesempfehlungen30 „gelten“ zwar nicht mehr, kön-nen allerdings zur Interpretation der Landesrahmenverträge he-rangezogen werden.31

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Das Leistungs-verschaffungsverhältnis der Sozialhilfe- zu den Einrichtungsträ-gern wird jeweils durch drei Einzelvereinbarungen geregelt, wel-che die Leistungen, die Vergütung und die Qualitätssicherungzum Gegenstand haben. Vorgaben hierfür machen die Landes-rahmenverträge, die sich nach Bundesempfehlungen richten sol-

90 | Sozialrechtaktuell 3/2012

len. Für die Vergütungsvereinbarungen ist ein Schiedsstellenver-fahren vorgesehen.

5. Sonderfall zugelassene Pflegeeinrichtungen: Geltung desSGB XI

Bei Einrichtungen, die zugleich zugelassene Pflegeeinrichtungennach dem SGB XI sind, sieht das Vertragsregime anders aus.§ 75 Abs. 5 SGB XII verweist wegen Art, Inhalt, Umfang undVergütung der Pflegeleistungen einschließlich der Leistungen beiUnterkunft und Verpflegung auf das Achte Kapitel SGB XI(§§ 82–92c SGB XI)32.

Dieses sieht sogenannte Pflegesatzvereinbarungen (§ 85Abs. 2, Abs. 1 SGB XI) über die Pflegesätze, also die Vergütun-gen für die Pflegeleistungen (§ 84 Abs. 1 SGB XI), und, getrenntdavon, für die Leistungen für Unterkunft und Verpflegung (§ 87SGB XI), vor. Bei der Festsetzung der Vergütung darf nicht nachKostenträgern unterschieden werden (§ 84 Abs. 3, § 87 S. 3SGB XI). Den Inhalt der allgemeinen Pflegeleistungen regelt derVersorgungsvertrag nach § 72 SGB XI, durch welchen die Ein-richtung überhaupt erst zu einer zugelassenen Pflegeeinrichtungwird. In etwa entsprechen also – bei allen, teils erheblichen Un-terschieden, insbesondere hinsichtlich der formellen Zulas-sungswirkung, die dem Versorgungsvertrag eigen ist – die Pfle-gesatzvereinbarungen des SGB XI den Vergütungsvereinbarun-gen des SGB XII, und der Versorgungsvertrag des SGB XI derLeistungsvereinbarung des SGB XII.

Die Pflegesatzvereinbarungen werden auch von anderen Par-teien abgeschlossen als die in § 75 Abs. 3 SGB XII vorgesehenenVereinbarungen. Parteien sind nach § 85 Abs. 1 und 2 SGB XIgrundsätzlich einerseits der Einrichtungsträger und andererseits

23 So Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, online-Rn. 42.3 und Jaritz,in diesem Heft S. 105.

24 Adolph, Linhart/Adolph, SGB II. SGB XII. AsylbLG, § 77 SGB XII, Rn. 17weist darauf hin, dass der Gesetzgeber seine ursprüngliche Absicht,mit Einführung des SGB XII auch die Schiedsstellenfähigkeit der Leis-tungsvereinbarung zu begründen (BT-Drucks. 15/1514, S. 64), nicht um-gesetzt hat.

25 Kritisch hierzu auch Neumann, Hauck/Noftz, SGB XII, K § 77, Rn. 8.26 Die Nennung von § 76 Abs. 2 SGB XII in § 79 Abs. 1 SGB XII ist überflüs-

sig, verweist § 75 Abs. 3 SGB XII doch auf alle drei Absätze des § 76SGB XII.

27 Münder, LPK-SGB XII, § 79, Rn. 12–15, Neumann, Hauck/Noftz, SGB XII,K § 79, Rn. 12 f., Flint, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 79 SGB XII, Rn. 5 f.,alle m. w. Nachw.; LSG HE, 25. 2. 2011 – L 7 SO 237/10 KL, SozR aktuell2011, 117–120, juris-Rn. 50 a. E.; zur Vorgängervorschrift des § 93d BSHGVGH BY, 12.9.2005 – 12 CE 05.1725, FEVS 57, 545–547, juris-Rn. 13; Fakh-reshafaei, RsDE 52 (2003), 3; wohl ebenso Griep/Renn, RsDE 47 (2001),72, 84.

28 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 14–19. In diese Richtungauch VG Hannover, 28.3.2006 – 3 A 541/03, SozR aktuell 2006, 140–144, insbes. Rn. 73–76. Ebenso schon zur Vorgängernorm in § 93dBSHG Brünner, in: Köbl/Brünner (Hrsg.), Vergütung von Einrichtungenund Diensten nach SGB XI und BSHG, 2001, S. 9, 22 und Pöld-Krämer/Fahlbusch, RsDE 46 (2000), 4, 19–23, jeweils unter Berufung auf dengesetzgeberischen Willen, der BT-Drucks. 13/2440, S. 30 freilich allen-falls angedeutet ist. Anders hingegen Griep/Renn, RsDE 47 (2001), 72,84, die in den Rahmenverträgen nur „Quasi-AGB“ sehen.

29 Näher hierzu Jaritz, in diesem Heft S. 105.30 Veröffentlicht NDV 1999, 377–384;Arbeitshinweise hierzu NDV 2001,

34–38.31 Zu Verhandlungsgeschichte und Einfluss der Bundesempfehlungen

Flint, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 79 SGB XII, Rn. 14–18.32 Zum Vereinbarungsrecht des SGB XI ausführlich – freilich mit Rechts-

stand von 2001 – Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeein-richtungen nach SGB XI, 2001.

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diejenigen Pflegekassen, Träger der Sozialhilfe und Arbeitsge-meinschaften derselben, welche im vorangegangenen Kalender-jahr die Kosten für jeweils mehr als fünf Prozent der Berech-nungstage der Einrichtung getragen haben. Abweichend hiervonkönnen auch landesweite oder regionale Pflegesatzkommissio-nen gebildet werden, welche die Pflegesätze anstelle der eigentli-chen Vertragsparteien vereinbaren (§ 86 Abs. 1 SGB XI). Kraftgesetzlicher Anordnung in § 85 Abs. 6 SGB XI sind die Pflege-satzvereinbarungen für das Pflegeheim sowie für die in demHeim versorgten Pflegebedürftigen und deren Kostenträger un-mittelbar verbindlich. Auch im SGB XI ist schließlich im Pflege-satzverfahren ein Schiedsstellenverfahren vorgesehen (§ 85Abs. 5 SGB XI).

Dem Träger der Sozialhilfe kommt im Pflegesatzverfahreneine Sonderrolle zu. Als einziger Beteiligter hat er nach § 86Abs. 5 S. 2 SGB XI das Recht, durch Widerspruch gegen eine an-sonsten wirksam abgeschlossene Pflegesatzvereinbarung eineSchiedsstellenentscheidung herbeizuführen. Diese Regelung sollvermeiden, dass die Pflegekassen mit ihrer regelmäßig bestehen-den Mehrheit zulasten des Trägers der Sozialhilfe überhöhte Un-terkunfts- und Verpflegungskosten vereinbaren.33

Die Sonderrolle des Trägers der Sozialhilfe zeigt sich auch ananderer Stelle: Ist die Pflegesatzvereinbarung nicht im Einver-nehmen mit dem Träger der Sozialhilfe geschlossen worden, gel-ten die Vorschriften des SGB XI nach § 75 Abs. 5 S. 2 SGB XIInicht für ihn. Nach zutreffender überwiegender Meinung greiftdiese Ausnahme jedoch nur dann, wenn der Träger der Sozial-hilfe gesetzeswidrig nicht am Pflegesatzverfahren beteiligt war.34

Soweit das SGB XII weitergehende Leistungen als das SGB XIvorsieht – zum Beispiel für Pflegebedürftige in der sogenanntenPflegestufe Null oder bei kurzzeitigem Pflegebedarf (vgl. § 61Abs. 1 S. 2 SGB XII) –, können sich die Pflegesatzvereinbarun-gen dazu nicht verhalten. Deshalb bleibt es nach § 75 Abs. 5 S. 1Halbs. 2 SGB XII insoweit ergänzend beim Erfordernis der Ver-einbarungstrias nach dem SGB XII.

II. Das Verhältnis der leistungsberechtigten Person zumTräger der Sozialhilfe (Grundverhältnis)

1. Der Sozialhilfeanspruch der leistungsberechtigten Person alsDreh- und Angelpunkt des sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnisses

Kommen wir nun zum Grundverhältnis, dem Rechtsverhältniszwischen der leistungsberechtigten Person und dem Träger derSozialhilfe. Gegenstand dieses Verhältnisses ist der sozialhilfe-rechtliche Anspruch der leistungsberechtigten Person.

2. Inhalt des Sozialhilfeanspruches

Dieser Anspruch folgt aus dem Leistungsrecht des SGB XII: Dieleistungsberechtigte Person hat einen Anspruch auf Deckung ih-res sozialhilferechtlichen Bedarfs gegen den Träger der Sozial-hilfe. Ein wesentlich behinderter Mensch, bei dem die Behinde-rungsfolgen durch stationäre Leistungen der medizinischen Re-habilitation gemildert werden können, hat also – unter der Vo-raussetzung der Hilfebedürftigkeit – einen Anspruch auf dieseLeistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 53 SGB XII).

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3. §§ 75, 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII als Feststellschrauben amScharnier „Träger der Sozialhilfe“

Wie verhalten sich nun die beiden Dreiecksschenkel zueinander,die sich am „Scharnier“ des Trägers der Sozialhilfe treffen?

Zum einen wird das in § 9 SGB XII normierte Wunsch- undWahlrecht der Leistungsberechtigten eingeschränkt. Die Trägerder Sozialhilfe sind nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB XII – unter der Vo-raussetzung, dass eine ambulante Leistungserbringung nichtausreicht – grundsätzlich nur an Wünsche der Leistungsberech-tigten zur Leistungserbringung in solchen Einrichtungen gebun-den, mit denen Vereinbarungen bestehen. Leistungsberechtigtekönnen also – von atypischen Fallgestaltungen abgesehen – nurvereinbarungsgebundene Einrichtungen wählen.35

Flankiert wird diese Einschränkung des Wunsch- und Wahl-rechts von einer weiteren Feststellschraube im Zehnten KapitelSGB XII: Nach § 75 Abs. 3 SGB XII sind die Träger der Sozial-hilfe nur zur Übernahme der Vergütung einer Einrichtung ver-pflichtet, wenn mit ihr die drei soeben beschriebenen Vereinba-rungen bestehen. Ist das nicht der Fall, hat die leistungsberech-tigte Person grundsätzlich keinen Anspruch gegen den Trägerder Sozialhilfe auf Übernahme ihrer Zahlungsverpflichtung ge-genüber dem Einrichtungsträger.

Eine Ausnahme normiert jedoch § 75 Abs. 4 SGB XII. Danachdarf der Träger der Sozialhilfe dann, wenn dies nach der Beson-derheit des Einzelfalles geboten ist, unter bestimmten Vorausset-zungen auch durch eine vertragsungebundene Einrichtung Leis-tungen erbringen. Auf diese Vorschrift darf nach der Rechtspre-chung des BVerwG36, der sich der zuständige BSG-Senat anzu-schließen angekündigt hat,37 aber erst rekurriert werden, wennkeine Vereinbarungen mehr geschlossen werden können; sonstist der Zugriff auf § 75 Abs. 4 SGB XII gesperrt.

4. Besonderheiten bei der Deckung von Sozialhilfeansprüchenin Einrichtungen

Werden Leistungen in Einrichtungen erbracht, bestehen gegen-über der Leistungserbringung außerhalb von Einrichtungen wei-tere Besonderheiten.

a) Zuständigkeit (§ 97 SGB XII und Landesrecht, § 98 Abs. 2SGB XII)

Die erste Besonderheit betrifft die Zuständigkeit.In elf Bundesländern hängt die sachliche Zuständigkeit in je-

weils unterschiedlichem Ausmaß davon ab, ob Leistungen in-oder außerhalb von Einrichtungen erbracht werden.

33 Statt vieler Gürtner, KassKomm, § 85 SGB XI, Rn. 10.34 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 76–78; Neumann,

Hauck/Noftz, SGB XII, K § 75, Rn. 45–47; Möller, SGb. 2006, 20, 21 f. (derallerdings S. 22–26 trotz Bindung des Trägers der Sozialhilfe an dieVereinbarungen die Möglichkeit sieht, die Leistungen unter Verweisauf Unangemessenheit oder unverhältnismäßige Mehrkosten [§ 9SGB XII] zu verweigern); anders hingegen Flint, Grube/Wahrendorf,SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 53.

35 Wahrendorf, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 9 SGB XII, Rn. 33; Spell-brink, jurisPK-SGB XII, § 9 SGB XII, Rn. 19 f.

36 BVerwG, 4.8.2006 – 5 C 13/05, BVerwGE 126, 295 (m. Anm. Berlit, ju-risPR-BVerwG 24/2006, Anm. 6). Ebenso Münder, LPK-SGB XII, § 75,Rn. 23

37 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1–10, Rn. 29.

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Dies ist in Bayern (Art. 82 Abs. 1 byAGSG), Hamburg (Ab-schnitte I, III und IV hhSGB12DAnO), Hessen (§ 2 heHAG/SGB XII), Niedersachsen (§ 6 niNds. AG SGB XII), Nordrhein-Westfalen (§ 2 nwAV-SGB XII NRW), Rheinland-Pfalz (§ 2Abs. 2 rpAGSGB XII), im Saarland (§ 2 slAGSGB XII), in Sach-sen (§ 13 Abs. 2 snSächsAGSGB), Sachsen-Anhalt (§ 3stAG SGB XII) und Schleswig-Holstein (§ 2 Abs. 2 shAG-SGB XII) der Fall. In Mecklenburg-Vorpommern ist bei statio-nären Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel SGB XIIder überörtliche Träger Widerspruchsbehörde (§ 4 Abs. 2mvSGB XII-AG M-V). In den fünf übrigen Bundesländern (Ba-den-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen und Thürin-gen) ist die sachliche Zuständigkeit für die Leistungserbringungeinheitlich geregelt.

Hinzu kommt die Zuständigkeitsverknüpfung in § 97 Abs. 4SGB XII, nach der die sachliche Zuständigkeit für eine(voll-)stationäre Leistung auch diejenige für Leistungen mit um-fasst, die gleichzeitig nach anderen Kapiteln zu erbringen sind,sowie für die Übernahme der Bestattungskosten. Damit soll eineparallele Zuständigkeit von Trägern der Sozialhilfe vermiedenwerden.38

Für die örtliche Zuständigkeit knüpft schließlich § 98 Abs. 2SGB XII zum Schutz der Einrichtungsorte – statt wie sonst anden tatsächlichen Aufenthalt – an den gewöhnlichen Aufenthaltder Leistungsberechtigten vor Eintritt in die Einrichtung an.

b) Brutto- statt Nettoprinzip (§ 92 Abs. 1 SGB XII)

Bei der Leistungserbringung ordnet § 92 Abs. 1 SGB XII weiter –jedenfalls für vollstationäre Leistungen der Eingliederungshilfefür behinderte Menschen – die Anwendung des sogenanntenBruttoprinzips an: Die Leistung wird als erweiterte Hilfe auchdann in voller Höhe erbracht, wenn die Leistungsberechtigtenoder die übrigen Einsatzpflichtigen einen Teil der erforderlichenMittel selbst aufbringen können. Der Träger der Sozialhilfezahlt also die vollen Kosten der Einrichtung, auch wenn die leis-tungsberechtigte Person nach § 19 Abs. 3 SGB XII eigentlich nureinen Bruchteil der Leistung beanspruchen kann. Der Nachrangwird stattdessen durch Anforderung eines Kostenbeitrags beiden Einsatzpflichtigen hergestellt.39

Trotz des weitergehenden Wortlauts und der systematischenStellung außerhalb des Sechsten Kapitels SGB XII, die beide da-rauf schließen lassen könnten, dass § 92 Abs. 1 SGB XII auchLeistungen der Hilfe zur Pflege erfasst, sprechen Entstehungsge-schichte – die übernommene Vorschrift des § 43 BSHG bezogsich schon wegen ihrer systematischen Stellung nur auf die Ein-gliederungshilfe; ein Änderungswille des Gesetzgebers ist nichterkennbar – und später geäußerter Wille des Gesetzgebers wei-terhin für ein enges Verständnis nur für Leistungen der Einglie-derungshilfe.40

c) Besonderheiten bei der Berücksichtigung von Einkommenund Vermögen

Darüber hinaus werden bei Leistungen in Einrichtungen dieVorschriften über die Einkommens- und Vermögensanrechnung

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modifiziert. So weitet § 88 Abs. 1 S. 2 SGB XII bei Leistungennach dem Fünften bis Neunten Kapitel SGB XII, die dauerhaftin vollstationären Einrichtungen erbracht werden, die Zugriffs-möglichkeiten auf das Einkommen unterhalb der Einkommens-grenze aus. Umgekehrt beschränkt § 92a SGB XII für Leistun-gen zum Lebensunterhalt in Einrichtungen den Einsatz des Ein-kommens grundsätzlich – Ausnahmen gelten nach § 92a Abs. 2SGB XII bei voraussichtlich längerer Leistungserbringung in ei-ner vollstationären Einrichtung – auf die häusliche Ersparnis.Bestimmte Leistungen, die nicht selten in Einrichtungen er-bracht werden, nimmt § 92 Abs. 2 SGB XII schließlich von derPflicht zum Vermögenseinsatz ganz aus; zudem beschränkt erden Mitteleinsatz in diesen Fällen auf die häusliche Ersparnis beiden Kosten des Lebensunterhalts. Dies gilt nach § 92a Abs. 4SGB XII auch bei längerfristiger stationärer Unterbringung.

d) Leistungen zum Lebensunterhalt als Teil der Leistungennach dem Fünften bis Neunten Kapitel?

In diesem Zusammenhang wirken sich die bereits angesproche-nen Entscheidungen des BSG zur Zuordnung von Leistungen fürden Lebensunterhalt zum Fünften bis Neunten Kapitel SGB XIIaus.41 Das BSG ordnete in diesen Entscheidungen das währendeiner teilstationären Leistung in einer Einrichtung eingenom-mene Mittagessen der Eingliederungshilfe für behinderte Men-schen zu, obwohl die bis dahin herrschende Meinung42 und üb-rigens auch der Gesetzgeber in Materialien zu einem SGB XII-Änderungsgesetz43 die in einer Einrichtung erbrachten Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts über § 27b SGB XII (be-ziehungsweise bis 31. 12. 2010 § 35 SGB XII) grundsätzlichdem Dritten und Vierten Kapitel SGB XII zugeordnet hatte. DieDiskussion hierüber auszubreiten, würde den Rahmen diesesBeitrages sprengen.44

5. Art der Sozialhilfeleistung

a) Leistungen in Einrichtungen als Sachleistung in Form derSachleistungsverschaffung

Die zuletzt genannten Modifikationen betreffen allein dasGrundverhältnis, wirken sich also im sozialhilferechtlichen

38 Wahrendorf, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 97 SGB XII, Rn. 19; Mi-challa-Munsche, jurisPK-SGB XII, § 97 SGB XII, Rn. 21.

39 Statt vieler Klinger, in: Klinger/Kunkel/Pattar/Peters, Existenzsiche-rungsrecht, 2012, 8. Kap. Rn. 33.

40 So auch die ganz h. M. in der Literatur – allerdings ohne Diskussion –und die Rechtspraxis; z. B. Behrend, jurisPK-SGB XII, § 92 SGB XII,Rn. 15 f.; Wahrendorf, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 92 SGB XII, Rn. 5;von Koppenfels-Spies, Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann: Kommen-tar zum Sozialrecht, § 92 SGB XII, Rn. 2–4.

41 BSG, 9.12.2008 – B 8/9b SO 10/07 R, BSGE 102, 126–134; BSG,9.12.2008 – B 8/9b SO 11/07 R, info also 2009, 137. Kritisch hierzu Fahl-busch, SGb. 2010, 301, Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 241, 245 f. und Dill-mann, in: Sozialrecht als Menschenrecht 2010, S. 106–108.

42 Grube, Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 35 SGB XII, Rn. 2; Coseriu, Kreike-bohm/Spellbrink/Waltermann: Kommentar zum Sozialrecht, § 27bSGB XII, Rn. 2; W. Schellhorn, Schellhorn/Schellhorn/Hohm, § 35SGB XII, Rn. 1.

43 BT-Drucks. 16/2711, S. 12.44 S. dazu näher Behrend, in diesem Heft S. 117.

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Dreiecksverhältnis nicht aus. Anders ist dies aber bei einer Reihevon BSG-Entscheidungen vom 28.10.2008.45

Bis zu diesen Entscheidungen ging die überwiegende Meinungin Rechtsprechung und Schrifttum auch bei Leistungen in Ein-richtungen von einem Geldleistungsanspruch aus.46 Freilichwurde auch damals schon gesehen, dass sich der Anspruchdurch die immer engere Normierung des sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnisses einem Sachleistungsanspruch weit ange-nähert hatte.47 In den genannten Entscheidungen spricht dasBSG nunmehr von einem „Sachleistungsanspruch in Form derSachleistungsverschaffung“48.

Es begründet dieses Ergebnis auf mehreren Ebenen. AlsHauptargument führt es die Ausgestaltung der Leistungsbezie-hungen im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis an. DieAufgaben des Trägers der Sozialhilfe gingen „über das reineReagieren auf individuelle Bedürftigkeit durch Gewährung vonGeldleistungen hinaus“49 und setzten bereits früher an. Weil dieLeistungspflicht aber nicht so weit gehe wie im Krankenversi-cherungsrecht, an dem sich der Gesetzgeber orientiert habe,50

handele es sich nicht um einen reinen Sachleistungs-, sondernum einen Sachleistungsverschaffungsanspruch.51 Auch in derPraxis werde die Leistung nicht als Geldleistung an die leistungs-berechtigte Person ausgezahlt, sondern unmittelbar an die Ein-richtung.52

Ergänzend beruft sich das BSG auf den Wortlaut des Gesetzes.So spreche § 75 Abs. 4 SGB XII davon, dass der Träger der Sozi-alhilfe Leistungen nur in bestimmten Fällen durch eine Einrich-tung erbringen dürfe.53 Neben dieser Formulierung ist es der in§ 75 SGB XII mehrfach verwendete Begriff „Übernahme derVergütung“, an dem es seine Argumentation festmacht. Über-nahme müsse, so das BSG, etwas anderes bedeuten als Zahlungan die leistungsberechtigte Person.54

b) Übernahme der Kosten in der Einrichtung als Schuldbeitrittzur privatrechtlichen Schuld der leistungsberechtigtenPerson aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag

Was bedeutet also „Übernahme“? Ich zitiere die entscheidendePassage aus dem BSG-Urteil:

„ ‚Übernahme‘ der Unterbringungskosten bedeutet […]Schuldübernahme durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung, al-lerdings in der Form eines Schuldbeitritts (kumulative Schuld-übernahme) […]. Der Schuldbeitritt hat […] zum einen einenunmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegen den So-zialhilfeträger, zum anderen einen Anspruch des Hilfeempfän-gers gegen den Sozialhilfeträger auf Zahlung an die Einrichtungzur Folge. Der Sozialhilfeträger tritt auf diese Weise als Gesamt-schuldner in Höhe der bewilligten Leistungen an die Seite desSozialhilfeempfängers.“55

Der Unterschied zum Geldleistungsanspruch besteht also da-rin, dass die leistungsberechtigte Person im Grundverhältnis kei-nen Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme ansich selbst hat, sondern „nur“ einen Anspruch auf Beitritt zu ih-rer privatrechtlichen Schuld gegenüber dem Einrichtungsträger.

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c) Bewertung der Rechtsprechung

Die Ausführungen des BSG überzeugen. Den Argumenten lassensich noch weitere hinzufügen:

In der Tat werden die Leistungen unmittelbar an die Einrich-tungen gezahlt. Bei dem für die Eingliederungshilfe für behin-derte Menschen angeordneten Bruttoprinzip (§ 92 Abs. 1SGB XII, s. o. C.II.4.b) wäre eine andere Vorgehensweise auchwenig sinnvoll.56 Zwar ist auch die Zahlung von Geldleistungenan Dritte möglich. So kennen die Leistungen zur Sicherung desLebensunterhalts im SGB II (§ 22 Abs. 7 SGB II) und im SGB XII(§ 35 Abs. 1 S. 2–5 SGB XII) die unmittelbare Zahlung der Un-terkunftskosten an Vermieter. Dort ist dies aber gegen den Wil-len der Leistungsberechtigten immer nur bei Vorliegen guterGründe erlaubt, schließlich werden durch die Zahlung der Sozi-alleistung Sozialdaten, namentlich der Bezug von Sozialleistun-gen übermittelt. Im Pflegebereich geht die Datenübermittlungdurch das dort geltende Nettoprinzip noch weiter: Hier erfährtdas Pflegeheim auf den Cent genau, wie viel zu berücksichtigen-des Einkommen und Vermögen die leistungsberechtigte Personhat. Ob die bloße Verwaltungsvereinfachung bei den Einrich-tungsträgern diesen Eingriff in das Recht auf informationelleSelbstbestimmung rechtfertigen könnte, wenn es sich um einereine Geldleistung handeln würde, ist jedoch zweifelhaft.

Hinzu tritt die Regelung der Vereinbarungsparteien im Pflege-satzverfahren des SGB XI. Beteiligt sind die Kostenträger ein-schließlich des Trägers der Sozialhilfe, auf die 5 % der Abrech-nungstage des letzten Jahres entfallen sind. Wäre die Hilfe zurPflege in Einrichtungen als reine Geldleistung zu erbringen,könnte der Träger der Sozialhilfe aber nie Kostenträger in die-sem Sinne sein.

Die Bezeichnung des Anspruchs als Sachleistungsanspruch hatim Übrigen durchaus praktische Auswirkungen.57 Eine wichtige

45 Leitentscheidung BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1; Paral-lelentscheidungen vom selben Tag BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 19/07 R,unveröff.; BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 20/07 R, info also 2009, 90; BSG,28.10.2008 – B 8 SO 21/07 R, unveröff.; BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 24/07 R, ZFSH/SGB 2009, 144–146; BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 27/07 R, infoalso 2009, 90; BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 28/07 R, unveröff.

46 LSG BW, 9.12.2005 – L 7 SO 4890/05 ER-B, juris-Rn. 13; LSG BW,18.11.2005 – L 7 SO 4187/05 ER-B, RdLH 2006, 21–24, juris-Rn. 12; Brün-ner/Philipp, RsDE 67 (2008), 1, 6, 25 f. m. w. Nachw.; Schoch, br 2008,71; Vorholz, in: Sozialrecht als Menschenrecht, 2010, S. 136; wohl auchso Münder, LPK-SGB XII, Vor §§ 75 ff., Rn. 2. Zur Rechtslage unter demBSHG Grube, RsDE 52 (2003), 25, 36 f. – Anders hingegen VG Hannover,12.6.2006 – 7 A 5927/03, juris-Rn. 24; W. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm (17. Aufl. 2006), § 75 SGB XII, Rn. 11; Meyer, TuP 2008,443, 444 (der freilich nicht zwischen dem sozialhilfe- und dem sozial-versicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnis unterscheidet); ähnlichKaas/Fichert, SF 2003, 309–314, welche „Mängel der Hilfegewährungnach dem Sachleistungsprinzip“ der Sozialhilfe kritisieren.

47 Brünner/Philipp, RsDE 67 (2008), 1, 26 f.48 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 16.49 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 15.50 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 17.51 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 16.52 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 17.53 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 18.54 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 24.55 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 25.56 Konsequenterweise macht Schoch, br 2008, 71 f., die Anwendung des

Bruttoprinzips vom Einverständnis der leistungsberechtigten Personabhängig.

57 Deshalb kritisch Vorholz, in: Sozialrecht als Menschenrecht, 2010,S. 137. A. A. Plagemann, SGb. 2010, 161, 163.

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Auswirkung ergibt sich aus der zitierten Passage des BSG-Ur-teils: Der Einrichtungsträger erlangt einen Zahlungsanspruchgegen den Träger der Sozialhilfe. Nach der bis dahin überwie-genden Auffassung bestand ein solcher Zahlungsanspruch nurdann, wenn der Träger der Sozialhilfe mit entsprechendemRechtsbindungswillen eine Kostenzusage abgegeben hatte.58

Hätten die Leistungsberechtigten bloß einen Geldleistungsan-spruch, wäre die Stellung der Einrichtungsträger genausoschwach wie die der Vermieter in der offenen Hilfe – sie hättennur den (ziemlich wertlosen) zivilrechtlichen Anspruch gegendie Leistungsberechtigten.59

Weil das BSG seine Argumentation am Begriff der „Über-nahme“ festmacht, ist schließlich auch das häufig geäußerte Ar-gument, mit der Rechtsprechung werde der in § 10 Abs. 3SGB XII niedergelegte Vorrang der Geldleistung unterlaufen60,nicht stichhaltig: § 10 Abs. 3 SGB XII sieht gerade die Möglich-keit vor, dass Spezialvorschriften diesen allgemeinen Vorrangwieder aufheben. Auch beschränkt das Verständnis des BSG –apostrophiert als „Rundum-Sorglos-Paket“61 – nicht die Auto-nomie der Leistungsberechtigten62, schließlich wären die Aus-wahlmöglichkeiten der Leistungsberechtigten auch bei An-nahme einer Geldleistung nicht größer.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Die Leis-tungsberechtigten haben im Grundverhältnis einen Anspruchauf Schuldbeitritt zu den ihnen für die Bedarfsdeckung entste-henden Aufwendungen gegen den Träger der Sozialhilfe.

III. Das Verhältnis der leistungsberechtigten Personzum Einrichtungsträger (Erfüllungsverhältnis)

Betrachten wir zuletzt noch das Verhältnis zwischen leistungsbe-rechtigter Person und Einrichtungsträger, das sogenannte Erfül-lungsverhältnis. Dieses Verhältnis wird regelmäßig durch einenzivilrechtlichen Vertrag geregelt.

1. Geltungsbereich des WBVG

Für vollstationäre Leistungen gilt dabei in der Regel das „Gesetzzur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oderBetreuungsleistungen“, kurz Wohn- und Betreuungsvertragsge-setz oder WBVG63.

Das WBVG ist zum 1.10.2009 an die Stelle der bisherigen§§ 5–9 HeimG getreten.64 Anlass für die Neuregelung des früherbundeseinheitlich geregelten Heimvertragsrechts war die Föde-ralismusreform. Das HeimG umfasste sowohl Regelungen zumHeimvertrag als auch Regelungen zur Heimaufsicht. Nachdemder Kompetenztitel für die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1Nr. 7 GG) das Heimrecht seit 1. 9. 2006 nunmehr ausdrücklichnicht mehr umfasst, ersetzen die Länder nach und nach dasHeimG durch landesrechtliche Vorschriften.65

Geschehen ist dies bislang in Baden-Württemberg (Landes-heimgesetz – bwLHeimG), Bayern (Pflege- und Wohnqualitäts-gesetz – byPfleWoqG66), Berlin (Wohnteilhabegesetz – beWTG,Brandenburg (Brandenburgisches Pflege- und Betreuungswohn-gesetz – bbBbgPBWoG), Bremen (Bremisches Wohn- und Be-treuungsgesetz – hbBremWoBeG), Hamburg (Hamburgisches

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Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz – hhHmbWBG), Hessen(Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen – heHGBP),Mecklenburg-Vorpommern (Einrichtungenqualitätsgesetz –mvEQG M-V), Niedersachsen (Niedersächsisches Heimgesetz –niNHeimG), Nordrhein-Westfalen (Wohn- und Teilhabegesetz –nwWTG), Rheinland-Pfalz (Landesgesetz über Wohnformenund Teilhabe – rpLWTG), im Saarland (Landesheimgesetz Saar-land – slLHeimGS), in Sachsen-Anhalt (Wohn- und Teilhabege-setz Sachsen-Anhalt – stWTG LSA) und in Schleswig-Holstein(Selbstbestimmungsstärkungsgesetz – shSbStG oder Pflegege-setzbuch Schleswig-Holstein Zweites Buch67). In Sachsen undThüringen gilt das HeimG gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG zu-nächst als Bundesrecht fort. In Sachsen befinden sich derzeitzwei Gesetzentwürfe für ein Landesheimrecht in der parlamen-tarischen Beratung.68

Nach inzwischen wohl herrschender Meinung69 haben dieLänder indes nur die Kompetenz zur Regelung der öffentlich-rechtlichen Heimaufsicht70 zurückerhalten, während diejenigezur Regelung des bürgerlich-rechtlichen Heimvertrages weiter-hin beim Bund liegt.71 Diese Kompetenz hat der Bund mit demWBVG genutzt, das damit zwischenzeitlich ergangene landes-rechtliche Regelungen des zivilrechtlichen Heimvertrags72 ver-drängt.

Das WBVG ist als Verbraucherschutzgesetz ausgeformt73 undregelt einen bestimmten Vertragstypus, den Wohn- und Betreu-

58 Brünner/Philipp, RsDE 67 (2008), 1, 9 f., 25 f. m. Nachw.; Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 241, 249 f. – Anders hingegen – eigener Anspruchdes Leistungserbringers aus den Verträgen nach § 93 BSHG – VGH BY,24.11.2004 – 12 CE 04.2057, FEVS 56, 270–273 m. zust. Anm. Schuma-cher, RdLH 2005, 23.

59 Näher hierzu Coseriu, in diesem Heft S. 99.60 Vorholz, in: Sozialrecht als Menschenrecht, 2010, S. 138; Plagemann,

SGb. 2010, 161, 163; Dillmann, in: Sozialrecht als Menschenrecht, 2010,S. 120.

61 Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 241, 251 und Dillmann, in: Sozialrecht alsMenschenrecht, 2010, S. 121 f.

62 So aber Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 241, 251 und Dillmann, in: Sozial-recht als Menschenrecht, 2010, S. 121 f.

63 Vom 29.7.2009 (BGBl. 2009 I, S. 2319).64 Zur Gesetzgebungsgeschichte Rasch, NDV 2010, 149 und Drasdo, NJW

2010, 1174.65 Einen Überblick (Rechtsstand 2009) bieten Burmeister/Dinter, NVwZ

2009, 628–631.66 Zu einem Teilaspekt Karl, BayVBl. 2010, 36–43.67 Hierzu Hamdorf, NordÖR 2010, 144–145.68 Entwurf der Staatsregierung auf snLT-Drucks. 5/6427 und Entwurf der

Fraktionen DIE LINKE und SPD auf snLT-Drucks. 5/6764.69 Zur Diskussion Sieveking, NordÖR 2007, 398, 401 f.; Fahlbusch, NDV

2006, 445, 451–454.70 Kritisch zur häufig unkoordinierten Vervielfachung der Schutz- und

Prüfmechanismen (zivilrechtlich, heimaufsichtsrechtlich und pflege-versicherungsrechtlich) Buchinger, SF 2011, 128–131.

71 Dabei wird eine Regelung im Sinne von § 14 HeimG (Verbot, sich Erb-schaften und Schenkungen versprechen zu lassen oder anzunehmen)weit überwiegend dem Ordnungsrecht zugeordnet (Fahlbusch, NDV2006, 445, 453 f.; Sieveking, NordÖR 2007, 398, 402; zur Neuregelungin Bayern Karl, BayVBl. 2010, 36; zu Auswirkungen auf das IPR Dörner,IPRax 1999, 455 f.; zu Auswirkungen auf die TestamentsgestaltungSpall, MittBayNot 2010, 9–16).

72 Etwa § 23 S. 2 bwLHeimG, soweit dort auf §§ 5–9 HeimG verwiesenwird, Art. 5 und 6 byPfleWoqG, § 19 hbBremWoBeG und § 5 nwWTG.Sorge vor auseinanderdriftenden Länderregelungen des Heimver-tragsrechts äußerte Drasdo, NVwZ 2008, 639.

73 Insoweit nimmt das Heimrecht – so Hänlein, RsDE 73 (2011), 28, 34 f. –eine Vorreiterrolle ein. Zum Vergleich: 2005 erschien Hänlein, RsDE 57(2005), 1, 20 f., der Befund noch zwiespältig.

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ungsvertrag.74 Nach § 1 Abs. 1 WBVG ist das Gesetz anzuwen-den auf einen Vertrag zwischen einem Unternehmer – dem Ein-richtungsträger – und einem volljährigen Verbraucher75 – derleistungsberechtigten Person –, in dem sich der Unternehmer zurÜberlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege-oder Betreuungsleistungen verpflichtet, die der Bewältigung ei-nes durch Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung bedingtenHilfebedarfs dienen, egal, ob die Pflege- und Betreuungsleistun-gen vom Unternehmer selbst zur Verfügung gestellt werden. DasWBVG ist auch auf verbundene Verträge anzuwenden, nicht je-doch, wenn neben der Unterkunft nur allgemeine Unterstüt-zungsleistungen geschuldet werden.

Damit gilt das WBVG für die meisten vollstationären Sozial-hilfeleistungen. Natürlich gilt es auch dann, wenn der Verbrau-cher (noch) keine Sozialhilfeleistungen bezieht.

Breiten Raum nehmen im WBVG Informationspflichten desUnternehmers sowie Vorgaben zum Vertragsschluss, seinerForm, der Dauer des Vertragsverhältnisses und seiner Beendi-gung.76 Hier interessieren aber die „Feststellschrauben“, die denWohn- und Betreuungsvertrag mit dem sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnis verbinden.

2. Übernahme der Vorgaben des Leistungserbringerrechts (§ 7Abs. 2, §§ 9, 15 WBVG)

Die erste Feststellschraube findet sich in § 15 WBVG; sie bindetden Wohn- und Betreuungsvertrag an das Leistungserbringer-recht des SGB XII: In Verträgen mit Verbrauchern, die Leistun-gen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen, müssen die Verein-barungen gemäß § 15 Abs. 2 WBVG den aufgrund des ZehntenKapitels SGB XII getroffenen Regelungen entsprechen; abwei-chende Vereinbarungen sind unwirksam.77 Flankiert wird dieseVorschrift durch § 7 Abs. 2 WBVG, wonach in Verträgen mitLeistungsberechtigten nach dem SGB XII die nach Leistungser-bringerrecht festgelegte Entgelthöhe als vereinbart und ange-messen gilt. Ändern sich die Berechnungsgrundlagen ist der Ein-richtungsträger berechtigt, eine Entgelterhöhung zu verlangen.

Die Vertragsparteien können also nur die Leistungen wirksamvereinbaren, die in den Einzelvereinbarungen nach dem Zehn-ten Kapitel SGB XII vorgesehen sind. Außerdem – und das ist er-heblicher – können sie für dort geregelte Leistungen nur die Ver-gütung vereinbaren, die in diesen Vereinbarungen vorgesehenist. Das hat auch Auswirkungen auf den Sozialhilfeanspruch derleistungsberechtigten Person: Weil abweichende Vereinbarun-gen unwirksam sind, kann sie keinen über das Leistungserbrin-gerrecht hinausgehenden Sozialhilfeanspruch haben.

3. Bedarfsdeckungsgrundsatz (§ 8 WBVG)

Zur Reaktion auf Änderungen im Hilfebedarf enthält § 8WBVG eine Art zivilrechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz: Än-dert sich der Pflege- oder Betreuungsbedarf des Verbrauchers,muss der Unternehmer, der dies nicht gemäß § 8 Abs. 4 WBVGbei Vertragsschluss ausgeschlossen hat78, eine entsprechendeAnpassung der Leistungen anbieten, der Verbraucher kann dasAngebot auch teilweise annehmen. Die Leistungspflicht des Ein-

Sozialrechtaktuell 3/2012 | 95

richtungsträgers und das zu zahlende angemessene Entgelt erhö-hen oder verringern sich entsprechend. Bei Leistungsberechtig-ten nach dem SGB XII kann der Unternehmer den Vertrag ge-mäß § 8 Abs. 2 WBVG durch einseitige Erklärung anpassen.79

§ 8 WBVG bindet den Wohn- und Betreuungsvertrag also anden sozialhilferechtlichen Anspruch der leistungsberechtigtenPerson, der ja auch auf Bedarfsdeckung gerichtet ist.

4. Regelungen bei teilstationären Leistungen und beiVerträgen mit Minderjährigen

Wie wir gesehen haben, gilt das WBVG nur für Verträge, die mitder Überlassung von Wohnraum verbunden sind. Es gilt alsonicht bei teilstationären Leistungen. Damit wirken dort auchnicht die soeben vorgestellten Feststellschrauben der §§ 7, 8, 9und § 15 WBVG.

Trotzdem besteht auch hier das Bedürfnis nach Bindung andie beiden anderen Seiten des Dreiecks. Könnten die leistungs-berechtigte Person und der Einrichtungsträger frei über Leistun-gen und Vergütung bestimmen, wäre das Leistungserbringer-recht ad Absurdum geführt.

Zur Vermeidung dieses Ergebnisses wird nun vorgeschlagen80

und vom Landessozialgericht Baden-Württemberg81 auch prak-tiziert, den Rechtsgedanken von § 32 SGB I heranzuziehen.Nach dieser Vorschrift sind solche privatrechtlichen Vereinba-rungen nichtig, die zum Nachteil der Leistungsberechtigten vonVorschriften des SGB abweichen. Zwar liegt eine ausdrücklicheAbweichung nicht vor, wohl aber ein Verstoß gegen den Grund-gedanken des Leistungserbringerrechts, die Leistungsverhält-nisse einheitlich und abschließend zu regeln. Noch weiter gehtwohl jüngst das BSG, wenn es mit der Begründung, Rechtsnor-men im Sinne von § 32 SGB I seien auch aus Normverträgen ab-zuleitende Rechtsnormen82 eine direkte Anwendung des § 32SGB I erwägt.83 Freilich setzt dies ein Verständnis der Vereinba-rungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII als Normverträge voraus.

74 Dass damit – wie Drasdo, NJW 2010, 1174, 1175, formuliert, „das Bestre-ben aufgegeben ist, möglichst alle zivilvertraglichen Nebengebiete imBGB unterzubringen“, dürfte nicht zutreffen. Oft genug sind neu ein-geführte Vertragstypen zunächst außerhalb des BGB geregelt gewe-sen und erst nach einer Probezeit in das BGB aufgenommen worden.

75 Zu in § 4 WBVG begründeten Besonderheiten beim Abschluss vonWohn- und Betreuungsverträgen durch Geschäftsunfähige Wede-mann, Jura 2010, 587, 591 f.

76 Zu diesen Verbraucherschutzregeln Weber, NZM 2010, 337.77 Eine ähnliche Regelung enthält § 15 Abs. 1 WBVG für Leistungsberech-

tigte nach dem SGB XI. Zu den zu erfüllenden Voraussetzungen füreinen über die in den Pflegesatzvereinbarungen vereinbarten Pflege-sätze hinausgehenden Vergütungsanspruch: BGH, 13.10.2005 – III ZR400/04, NJW 2005, 3633–3636 m. Anm. Trefz, PKR 2005, 105. ZurPflicht, bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen Nachlässe zu ge-währen: BGH, 22. 1. 2004 – III ZR 68/03, BGHZ 157, 309–322 m. Anm.Trenk-Hinterberger, jurisPR-SozR 14/2004, Anm. 5 und Griep, PflR 2005,53.

78 Zu den Voraussetzungen für eine Kündigung des Heimvertrags nachaltem Heimrecht, wenn die Vertragsanpassung dem Heimträger nichtmöglich ist: BGH, 28. 10. 2004 – III ZR 205/03, NJW 2005, 147–149 m.Anm. Schmitt, LMK 2005, 3 f.

79 Zur praktischen Umsetzung der Anpassung von Heimverträgen unterGeltung des HeimG Addicks/Stein, PflR 2008, 420.

80 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 106.81 LSG BW, 27.6.2011 – L 7 SO 797/11 ER-B, SozR aktuell 2011, 197–200,

Rn. 12.82 Vgl. Weselski, jurisPK-SGB I, § 32 SGB I, Rn. 30.83 BSG, 2.2.2012 – B 8 SO 5/10 R, SGb 2012, 153, juris-Rn. 15.

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Diese Übertragung der Bindungen über den Rechtsgedankenvon § 32 SGB I ist gut nachvollziehbar. Schließlich wäre eine sol-che Vereinbarung letztlich ein Vertrag zu Lasten eines Dritten,nämlich des Trägers der Sozialhilfe, und stünde zudem in Wider-spruch zu den vertraglichen Verpflichtungen des Einrichtungs-trägers gegenüber dem Träger der Sozialhilfe. Diese Grundsätzelassen sich auch gut auf Verträge mit minderjährigen Verbrau-chern ausweiten, für welche das WBVG ebenfalls nicht gilt.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden: Im Erfül-lungsverhältnis gilt bei vollstationären Leistungen mit volljähri-gen Verbrauchern in der Regel das WBVG, durch welches dasLeistungserbringerrecht teilweise in das zivilrechtliche Schuld-verhältnis inkorporiert wird. Soweit es nicht gilt, wird die erfor-derliche Bindung über den Rechtsgedanken von § 32 SGB I her-gestellt.

D. Geltendmachung von Ansprüchen imDreiecksverhältnis

Wir haben nunmehr alle drei Seiten des sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnisses und ihre Verbindungen untereinander nä-her angesehen. Welche praktischen Auswirkungen hat dies fürdie Geltendmachung von Ansprüchen?

I. Grundsätzliche Rechtswegzuständigkeit

Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis ist durch Rechts-verhältnisse aus unterschiedlichen Rechtssphären geprägt. Sosind das Grundverhältnis und das Leistungsverschaffungsver-hältnis öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse, das Erfüllungs-verhältnis hingegen ein privatrechtliches. Da bürgerlich-rechtli-che Streitigkeiten nach § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte,öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozi-alhilfe hingegen nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG vor die Gerichteder Sozialgerichtsbarkeit gehören, hängt die Frage, vor welchemGericht Streitfragen zu klären sind, von der Zuordnung dieserFrage zu einem der Leistungsverhältnisse ab.84

Abb. 7: Gerichtswegzuständigkeit.

Streitigkeiten zwischen der leistungsberechtigten Person unddem Einrichtungsträger aus dem Erfüllungsverhältnis gehörendemnach stets vor die ordentlichen Gerichte, die Geltendma-chung des Sozialhilfeanspruchs aus dem Grundverhältnis hinge-gen vor die Sozialgerichte. Diese entscheiden auch im Leistungs-verschaffungsverhältnis, wenn es etwa Streit um den Abschlussvon Vereinbarungen gibt.

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Welche Gerichte sind nun für die Entscheidung über den vomBSG angenommenen unmittelbaren Zahlungsanspruch der Ein-richtungsträger gegen den Träger der Sozialhilfe zuständig? Hierkönnte man ja eine Parallele zur Situation von Krankenhäusernim Krankenversicherungsrecht ziehen. Für deren Ansprüche istdie Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit aner-kannt.85 Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied: DerVergütungsanspruch der Krankenhäuser folgt unmittelbar aus§ 109 Abs. 4 S. 3 SGB V in Verbindung mit § 7 KHEntgG,86 alsodem öffentlichen Recht. Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch. Der Zahlungsanspruch des Einrichtungs-trägers gegen den Träger der Sozialhilfe folgt hingegen aus demWohn- und Betreuungsvertrag zwischen Einrichtungsträger undleistungsberechtigter Person, dem das zivilrechtliche WBVG zu-grunde liegt, also dem Zivilrecht. Lediglich der Schuldbeitrittdurch den Träger der Sozialhilfe beruht auf öffentlichem Recht.Insoweit ähnelt die Situation derjenigen bei Übergang und Über-leitung von Ansprüchen nach §§ 93, 94 SGB XII. Für die Ent-scheidung über zivilrechtliche Ansprüche sind aber die ordentli-chen Gerichte zuständig.87

II. Weitere Einzelfragen

Abschließend soll auf Einzelfragen eingegangen werden.

1. Zuordnung zu bestimmtem Leistungstyp oder bestimmterHilfebedarfsgruppe als zivilrechtlich zu klärende Frage

Die Frage, welchem Leistungstyp und welcher Hilfebedarfs-gruppe die Leistungen zuzuordnen sind, die eine leistungsbe-rechtigte Person erhält, wurzelt im Erfüllungsverhältnis. Dasfolgt letztlich aus § 8 WBVG: Der Bedarf der Leistungsberech-tigten ist der Maßstab für die von der Einrichtung zu erbringen-den Leistungen und die Vergütung, welche zunächst die Leis-tungsberechtigten und durch den Schuldbeitritt auch die Trägerder Sozialhilfe den Einrichtungsträgern schulden. Dass sie nurim Rahmen der Vereinbarungen nach dem Zehnten Kapitel zuerbringen und zu vergüten sind, führt zu einer Anwendung derdort gegebenenfalls vorgesehenen Leistungstypen und Hilfebe-darfsgruppen im Erfüllungsverhältnis.

Diese Frage ist also vor den Zivilgerichten zu klären.88 DerTräger der Sozialhilfe ist an diesen Verfahren grundsätzlich

84 Letztlich ist also – wie es RBSG Peter Becker in seiner Wortmeldungin der Diskussion in Kassel am 13.2.2012 auf den Punkt gebracht hat –die Frage „Wer will was von wem woraus?“ zu stellen. Nach der Ant-wort auf das „woraus?“ richtet sich die Rechtswegzuständigkeit.

85 BGH, 30.1.1997 – III ZB 110/96, NJW 1997, 1636–1637, juris-Rn. 7.86 BSG, 30.6.2009 – B 1 KR 24/08 R, BSGE 104, 15–26, juris-Rn. 13–15; BSG,

16. 12. 2008 – B 1 KN 1/07 KR R, BSGE 102, 172–181, juris-Rn. 10 f.87 Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, online-Rn. 28.2. – Anders, al-

lerdings ohne Problematisierung LSG RP, 18.2.2011 – L 1 SO 33/09,ZFSH/SGB 2011, 354–359 und LSG RP, L 8 SO 8/10, FEVS 62, 509–518. –Zum umgekehrten Fall eines privatrechtlichen Schuldbeitritts zu eineröffentlich-rechtlichen Schuld BVerwG, 3.3.2011 – 3 C 19/10, BVerwGE139, 125–135. – In meinem mündlichen Vortrag in Kassel am 13.2.2012hatte ich noch im Gegenteil vertreten, dass die Gerichte der Sozialge-richtsbarkeit zuständig seien. Nach der dortigen Diskussion erhalteich dies nicht mehr aufrecht.

88 Ebenso Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 105; für Verhält-nisse, die nicht dem WBVG unterfallen, unter Annahme einer ver-tragserweiternden Auslegung Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75SGB XII, Rn. 107.

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nicht beteiligt, jedenfalls weder als notwendiger Streitgenossenoch als Streitverkündeter. Letztlich ist der Bedarf der leistungs-berechtigten Person sowohl für sie selbst als auch für den Ein-richtungsträger im jeweiligen Verhältnis zum Träger der Sozial-hilfe eine bloße Vorfrage, die nicht zur Annahme einer notwen-digen Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO ausreicht.89

Etwas anderes gilt freilich, wenn der Träger der Sozialhilfe imBewilligungsbescheid ausdrücklich Leistungen einer bestimm-ten Hilfebedarfsgruppe oder eines bestimmten Leistungstyps be-willigt hat, die leistungsberechtigte Person aber einen darüberhinausgehenden Bedarf behauptet. Da in diesen Fällen der sozi-alhilferechtliche Anspruch der Höhe nach im Streit steht, istdiese Frage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu klä-ren.

Der Träger der Sozialhilfe ist zu einer solchen Einstufung nichtverpflichtet. Zwar muss der Bewilligungsbescheid nach § 33SGB X hinreichend bestimmt sein. Eine solche Bestimmtheitkann der Träger der Sozialhilfe durch Aufnahme von Leistungs-typ und Hilfebedarfsgruppe erreichen, sofern Leistungstyp undHilfebedarfsgruppen ihrerseits bestimmt genug sind.90 Er kannsie aber auch auf andere Weise herstellen, etwa durch konkreteBeschreibung der der leistungsberechtigten Person zu erbringen-den Leistungen. Zu kurz greift allerdings der Satz des BSG91, dieEinstufung sei deshalb kein Verwaltungsakt, weil es hierfürkeine rechtliche Grundlage gebe. Ob eine Rechtsgrundlage vor-handen ist, entscheidet lediglich über die Rechtmäßigkeit einesVerwaltungsakts, nicht jedoch über die Verwaltungsaktseigen-schaft. Diese richtet sich nach § 31 SGB X und erfordert eineMaßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalles aufdem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Außenwirkung. Eskommt also darauf an, ob der Träger der Sozialhilfe eine solcheRegelung treffen wollte; im Hinblick darauf ist der Bescheidauszulegen. Bei diesem Auslegungsvorgang kann das Fehlen ei-ner Rechtsgrundlage für eine ausdrückliche Regelung freilich einIndiz dafür sein, dass ein bloßes Begründungselement gewolltist.

Anderes lässt sich auch nicht aus einer Entscheidung des Lan-dessozialgerichts Baden-Württemberg ableiten.92 Das Gerichtstellt nämlich93 gerade darauf ab, ob der konkrete sozialhilfe-rechtliche Bedarf der leistungsberechtigten Person durch diekonkret erbrachte Leistung gedeckt ist. Es prüft deshalb inzi-dent, ob die erforderlichen Leistungen, auch wenn sie nicht aus-drücklich im Rahmenvertrag genannt sind, von der Leistungs-pflicht der Einrichtung umfasst sind. Damit lag sozialhilferecht-lich kein Anspruch auf höhere Leistungen vor, wohl aber zivil-rechtlich.

2. Vorabklärung zwischen Sozialhilfe- und Einrichtungsträger

Sozialhilfe- und Einrichtungsträger können allerdings im kon-kreten Leistungsverschaffungsverhältnis zueinander eine Rege-lung über die Zuordnung von Leistungen zu einem Leistungstypund einer Hilfebedarfsgruppe treffen. Das kann in einem vorabverabredeten Verfahren oder in Einzelfallvereinbarungen ge-schehen. Ist ein solches Einstufungsverfahren ausdrücklich ver-einbart,94 müssen Streitigkeiten über die daraus folgenden

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Rechte und Pflichten der Beteiligten – also des Trägers der Sozi-alhilfe und des Einrichtungsträgers – ebenfalls einer gerichtli-chen Klärung zugeführt werden können. Für solche Streitigkei-ten sind, weil die Grundlage für diese Regelungen öffentlich-rechtlich ist, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.

Auf das Erfüllungsverhältnis haben Verabredungen zwischenSozialhilfe- und Einrichtungsträger nur dann Einfluss, wenn dieAbsprachen in den konkreten Wohn- und Betreuungsvertrag in-korporiert werden95, sei es, dass das Einstufungsverfahren inden Einzelverträgen nach dem Zehnten Kapitel vorgesehen ist,sei es, dass der Einrichtungsträger von seinem Bestimmungs-recht nach § 8 Abs. 2 WBVG Gebrauch macht. Unmittelbarkann eine solche Einigung keinen Einfluss auf die Ansprüche derleistungsberechtigten Person haben: Ist sie mit ihrer Einstufungund einer damit einhergehenden Einschränkung ihrer Leistun-gen nicht einverstanden, entscheiden im Verhältnis zum Einrich-tungsträger die Zivilgerichte, im Verhältnis zum Träger der Sozi-alhilfe die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.

Der Träger der Sozialhilfe hat jedenfalls weder im Grund-noch im konkreten Leistungsverschaffungsverhältnis die Befug-nis, die Zuordnung der Leistungen durch Verwaltungsakt zu re-geln. Im Grundverhältnis fehlt eine entsprechende Regelungsbe-fugnis96, im Leistungsverschaffungsverhältnis mangelt es amÜber-/Unterordnungsverhältnis.97

Die Frage, ob die Einrichtung eine bestimmte Leistung zu er-bringen hat, muss die leistungsberechtigte Person also vor denZivilgerichten erstreiten, sofern die Leistung von den Vereinba-rungen des Sozialhilfe- mit dem Einrichtungsträger umfasst ist.Ist sie hingegen nicht von diesen Vereinbarungen umfasst, mussdie leistungsberechtigte Person ihren Sozialhilfeanspruch gegenden Träger der Sozialhilfe geltend machen. In diesem Verhältnisist festzustellen, worin der sozialhilferechtliche Bedarf genau be-steht; der Träger der Sozialhilfe hat den Anspruch sodann zu er-füllen. Ob eine Leistung von den Vereinbarungen umfasst ist,kann die leistungsberechtigte Person sowohl im Erfüllungsver-hältnis, also vor den Zivilgerichten, als auch vor den Gerichtender Sozialgerichtsbarkeit klären lassen, weil diese Frage sowohldem Grund- wie dem Erfüllungsverhältnis zuzuordnen ist.98

E. Ausblick: Das persönliche Budget

In seinen Entscheidungen zur Sachleistungsverschaffung hat dasBSG ausdrücklich offen gelassen, ob seine Auffassung auch für

89 Schultes, MüKo ZPO, § 62 ZPO, Rn. 17; keine notwendige Streitgenos-senschaft bei Gesamtschuldnern: Weth, Musielak, ZPO, § 62 ZPO,Rn. 11.

90 A. A. zur Rechtslage unter dem BSHG Grube, RsDE 52 (2003), 25, 36.91 BSG, 2.2.2010 – B 8 SO 20/08 R, FEVS 61, 534–537, juris-Rn. 14.92 LSG BW, 27.6.2011 – L 7 SO 797/11 ER-B, SozR aktuell 2011, 197.93 LSG BW, 27.6.2011 – L 7 SO 797/11 ER-B, SozR aktuell 2011, 197, juris-

Rn. 10.94 Vgl. Nr. 19.2 Berliner Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII.95 So die Sachverhaltsgestaltung BGH, 2.12.2010 – III ZR 19/10, SozR aktu-

ell 2011, 64–67.96 BSG, 2.2.2010 – B 8 SO 20/08 R, FEVS 61, 534, Rn. 14 m. abl. Anm.

Wendt, RdLH 2010, 68. Krit. gegenüber der BSG-Rechtsprechung auchMünder, LPK-SGB XII, § 76, Rn. 20 m. zahlr. Nachw.

97 So zur Rechtslage nach dem BSHG Grube, RsDE 52 (2003), 25, 35.98 In meinem mündlichen Vortrag in Kassel am 13.2.2012 hatte ich für

diese Frage noch eine Ausschließlichkeit des Rechtswegs zu den or-dentlichen Gerichten vertreten. Nach der dortigen Diskussion erhalteich dies nicht mehr aufrecht.

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persönliche Budgets99 gelten soll.100 Dabei erhält die leistungs-berechtigte Person vom Träger der Sozialhilfe einen Geldbetrag,mit dem sie sich die erforderlichen Leistungen selbst einkauft.101

Das persönliche Budget ist also – wie das BSG selbst aus-führt102 – eine Geldleistung.

Offen gelassen hat das BSG also letztlich nur die Frage, ob dieleistungsberechtigte Person in ihrer Wahl auf vertragsgebundeneEinrichtungen beschränkt ist. Sozialhilferechtlich spricht meinesErachtens mehr gegen eine solche Annahme. Das persönlicheBudget ist ja gerade als Geldleistung ausgestaltet, welche dieLeistungsberechtigten unabhängig von einer trägerseitigen Ent-scheidung machen soll. Sozialhilferechtlich muss nur zwei Ge-fahren begegnet werden: Es muss sowohl vermieden werden,dass der Bedarf der leistungsberechtigten Person nicht gedecktwird, als auch, dass er übermäßig gedeckt wird.

Abb. 8: Persönliches Budget.

Der Gefahr der Unterdeckung, etwa durch Fehlgebrauch derMittel, könnte wirksam etwa mit einer Auflage der Bedarfsde-ckung – maßgeblich wäre § 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X – entgegenge-wirkt werden, mit der Folge des Widerrufs bei Nichterfüllung(§ 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Eine Überdeckung kann noch einfa-cher vermieden werden, indem bei der Bemessung des persönli-chen Budgets nur die Kosten vertragsgebundener Einrichtungeneingestellt werden. Eine formelle Beschränkung der Wahlmög-lichkeiten der Leistungsberechtigten auf vertragsgebundeneLeistungserbringer halte ich daher nicht für gerechtfertigt.103

Abb. 9: Bindung an das Leistungserbringerrecht beim persönlichen Bud-get.

Freilich nützt diese sozialhilferechtliche Freiheit den Leis-tungsberechtigten wenig. Zum einen werden die zur Verfügunggestellten Mittel nur für vertragsgebundene Einrichtungen aus-reichen. Zum anderen verhindert § 15 Abs. 2 WBVG zivilrecht-lich das Zustandekommen wirksamer Vereinbarungen mit ver-tragsungebundenen Einrichtungen außerhalb der Fälle des § 75Abs. 4 SGB XII. Damit kommt es de Facto doch zu einer Aus-wahlbeschränkung auch beim persönlichen Budget.

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Schluss

Nach diesem einführenden Überblick lässt sich eines festhalten:Das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis wird auch in Zu-kunft spannend bleiben.

Anhang: Literatur zum sozialhilferechtlichenDreiecksverhältnis

Unberücksicht sind Beiträge ausschließlich zum Recht derHeimaufsicht, zur Anwendbarkeit des Vergaberechts und zuGrundfragen der Normsetzungsverträge.

Neben den im Folgenden aufgeführten Beiträgen ist die Kom-mentarliteratur zu den §§ 9, 13 und 75–81 SGB XII, §§ 82–92cSGB XI sowie § 7 SGB II, den §§ 5–9 HeimG und zum WBVGzu beachten.

1990–1995: Schmitt, Leistungserbringung durch Dritte im Sozial-recht. Köln/Berlin/Bonn/München 1990. Habil. jur. Bayreuth 1986,insbes. § 10; Neumann, Freiheitsgefährdung im kooperativen Sozial-staat. Heidelberg 1992. Habil. jur. Frankfurt am Main 1991, insbes.Abschnitt C.; Schmid, Entgelterhöhungen nach dem Heimgesetz beiSelbstzahlern. NJW 1995, 436–439;

1996–2000: Kirchesch, Gibt es ein Drittwiderspruchsrecht der priva-ten Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Pflegeversicherung? NZS1998, 506–513; Neumann, Wettbewerbsrecht oder Sozialrecht? RsDE43 (1999), 1–14; Philipp, Verzicht auf eine Vergütungsvereinbarungnach § 91 SGB XI. RsDE 43 (1999), 15–23; Klie/Meysen, Drittschutzvon Pflegeeinrichtungen gegen Entscheidungen über die Zuordnung ei-ner Pflegestufe. NZS 2000, 222–231; Leicht, Drittverbindliche Pflege-sätze in der stationären Pflege? RsDE 45 (2000), 51–66; Plantholz/Ro-chon, Zur Einschätzungsprärogative der Schiedsstellen nach § 76SGB XI und § 94 BSHG. RsDE 45 (2000), 30–50; Pöld-Krämer/Fahl-busch, Das Recht der Leistungserbringung in der Sozialhilfe im Lichtder §§ 93 ff. BSHG. RsDE 46 (2000), 4–32; Schlüter, Betreutes Wohnenund Heimgesetz. NZM 2000, 530–532;

2001: Brünner, Vergütungsvereinbarungen für Pflegeeinrichtungennach SGB XI, 2001. Diss. jur., Freiburg i. Br. 2001; die Beiträge vonBrünner, Neumann, W. Schellhorn, Vigener, Bröcheler, Vollmer, Roth-kegel, Udsching und Heinze im Tagungsband Köbl/Brünner (Hrsg.),Die Vergütung von Einrichtungen und Diensten nach SGB XI undBSHG, 2001; Griep/Renn, Die Relevanz von Rahmenverträgen im So-zialleistungserbringungsrecht. RsDE 47 (2001), 72–87;

2002: Holdt, Verbesserung der Rechtsstellung von Heimbewohne-rinnen und Heimbewohnern durch das neue Heimgesetz. NDV 2002,331; Kaas, Persönliche Budgets für behinderte Menschen, 2002. Diss.Soz.Päd. Mainz 2001; Neumann/Bieritz-Harder, Vergabe öffentlicherAufträge in der Sozial- und Jugendhilfe? RsDE 48 (2001), 1–27;

2003: von Boetticher/Tammen, Die Schiedsstelle nach dem Bundes-sozialhilfegesetz. RsDE 54 (2003), 28–60; Fakhreshafaei, Rechtscha-rakter und Verbindlichkeit der Landesrahmenverträge nach § 93dAbs. 2 BSHG. RsDE 52 (2003), 3–24; Grube, Rechtscharakter der Zu-ordnung von Hilfeempfängern zu Gruppen für Hilfeempfänger mit ver-gleichbarem Hilfebedarf. RsDE 52 (2003), 25–37; Kaas/Fichert, MehrSelbstbestimmung für behinderte Menschen durch persönliche Bud-gets. SF 2003, 309–314; Kostorz, Zum Verhältnis von SGB XI undHeimgesetz. SGb. 2003, 259–266; Thier, Rechtliche Rahmenbedingun-gen für Einrichtungen des Betreuten Wohnens. NZM 2003, 264–267;

99 Zu Erfahrungen mit persönlichen Budgets Kaas, Persönliche Budgetsfür behinderte Menschen, 2002; Kaas/Fichert, SF 2003, 309; Göltz,ArchsozArb 2009, 56–65; Mandl, ArchsozArb 2009, 66–68.

100 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 21.101 Ähnlich wäre die Situation bei der Ausgabe geldwerter Gutscheine,

wie sie etwa auch von Meyer, TuP 2008, 443, diskutiert wird.102 BSG, 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1, Rn. 21; Jaritz/Eicher,

jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 31.103 A. A. wohl Jaritz/Eicher, jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII, Rn. 31.

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Coseriu, Zahlungsansprüche des Maßnahme- gegen den Sozialhilfeträger | A B H A N D LU N G E N

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2004: Trenk-Hinterberger, Erstattung von Entgelt für Verpflegungbei Pflegebedürftigkeit mit Sondenernährung. jurisPR-SozR 14/2004,Anm. 5;

2005: Griep, Sonden-Urteil des Bundesgerichtshofs. PflR 2005, 53–61; Hänlein, Die Rechtsnatur des Heimvertrags. RsDE 57 (2005), 1–21; Pfeilschifter, Abgrenzung des „Betreuten Wohnens“ zum Anwen-dungsbereich des Heimgesetzes. jurisPR-MietR 17/2005, Anm. 2;Plantholz, Offene Probleme der Leistungs- und Qualitätsvereinbarun-gen gemäß § 80a SGB XI. RsDE 57 (2005), 22–43; Schuler-Harms, Ein-bindung Dritter in die Sozialleistungsgewährung. VSSR 2005, 135–161; Schumacher, Anmerkung zum Beschluss VGH BY, 24. 11. 2004 –12 CE 04.2057. RdLH 2005, 23–24; Trefz, Unter welchen Vorausset-zungen dürfen Pflegeheime Zusatzleistungen gesondert berechnen?PKR 2005, 105–106;

2006: Berlit, Übernahme von Heimkosten ohne endgültige Entgelt-bzw. Vergütungsvereinbarung. jurisPR-BVerwG 24/2006, Anm. 6;Fahlbusch, Weiterentwicklung des Heimrechts nach der Föderalismus-reform. NDV 2006, 445–454; Lechler, Bedarfsgerechte Leistungen nurnoch mit Leistungsvereinbarung? RdLH 2006, 24–27; Möller, Prob-lemfelder im Bereich der Vergütung bei Pflegesatzvereinbarungen nach§ 75 Abs. 5 SGB XII. SGb. 2006, 20–26; Wenzel/Kulenkampff, Wiekann man eine leistungsgerechte Vergütung nach §§ 75 ff. SGB XII er-mitteln? NDV 2006, 455–464;

2007: Münder/Geiger, Stationäre Einrichtungen im Sinne des § 7Abs. 4 SGB II. SGb. 2007, 1–8; Sieveking, Zielkonflikte der künftigenLandesheimgesetzgebung. NordÖR 2007, 398–403; wel, Verwirkli-chung selbstbestimmter Teilhabe behinderter Menschen! NDV 2007,245–255;

2008: Addicks/Stein, Leistungsausweitung ohne Vergütung? PflR2008, 420–424; Brünner, Ausschreibung von Leistungen der Schuld-nerberatung nach SGB XII? NDV 2008, 285–288; Brünner/Philipp,Die Einstufung in Hilfebedarfsgruppen nach § 76 Abs. 2 Satz 3SGB XII. RsDE 67 (2008), 1–37; Drasdo, Der Heimvertrag nach derFöderalismusreform. NVwZ 2008, 639–641; Meyer, Systemwechsel inder Sozialwirtschaft. TuP 2008, 443–452; Schoch, Das sozialrechtlicheDreiecksverhältnis in der Sozialhilfe. br 2008, 71–73; Wenzel/Kulen-kampff, Wie kann man eine leistungsgerechte Vergütung nach den§§ 75 ff. SGB XII ermitteln? NDV 2008, 125–131;

Pablo Coseriu, Kassel*

Zahlungsansprüche des Maßnahme- gegen denSozialhilfeträger

I. Aus dem Sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisresultierende Ansprüche des Trägers derEinrichtung:

Der 8. Senat des BSG hat in der Entscheidung vom 28.10.20081

ausgeführt, dass das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfeim Bereich der stationären und teilstationären Leistungen, na-mentlich bei der Eingliederungshilfe wie auch der Heimpflege,durch das sogenannte sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnisgeprägt ist. Es betrifft die wechselseitigen Rechtsbeziehungenzwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigtenund dem Leistungserbringer (Einrichtungsträger/Maßnahme-träger). Die normativen Regelungen zu den notwendigen gene-rellen und individuellen Vereinbarungen statuieren nach derRspr. des Senats kein Sachleistungsprinzip wie in der GKV, son-

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2009: Burmeister/Dinter, Die Heimgesetzgebung der Bundesländer.NVwZ 2009, 628–631; Dillmann/Dannat, „Neue Besen kehren gut!?“ZfF 2009, 241–258, insbes. 245 f.; Göltz, Das Persönliche Budget ausSicht der Anbieter. ArchsozArb 2009, 56–65; Griep, Wie kann dieWirksamkeit leistungserbringungsrechtlicher Rahmenregelungen desSGB XI verbessert werden? Sozialrecht aktuell 2009, 161–168;

2010: Crößmann/Böhme, Rechtssicherheit in der Behandlungspflegein Komplexeinrichtungen. PKR 2010, 2–6; Dillmann, Montesquieu,Habermas, Shakespeare & Co., in: Sozialrecht als Menschenrecht,Stuttgart 2010, S. 101–125; Drasdo, Das Wohn- und Betreuungsver-tragsgesetz. NJW 2010, 1174–1178; Engler, Die Leistungserbringungin den SGB II, III, VIII und XII im Spannungsverhältnis zum europäi-schen und nationalen Vergaberecht. RsDE 71 (2010), 41–70; Fahl-busch, Anmerkung zum Urteil BSG, 9. 12. 2008 – B 8/9b SO 20/07 R.SGb. 2010, 301–304; Hamdorf, Das neue Pflegegesetzbuch Schleswig-Holstein – Zweites Buch. NordÖR 2010, 144–145; Karl, Das Verbotder zusätzlichen Leistungsgewährung im bayerischen Heimrecht nachder Föderalismusreform. BayVBl. 2010, 36–43; Meyer, Ausschreibun-gen und personengebundene Budgets als neue Steuerungsmodelle in derSozialwirtschaft. ZSR 56 (2010), 85–111; Plagemann, Anmerkungzum Urteil BSG, 28. 10. 2008 – B 8 SO 22/07 R. SGb. 2010, 161–163;Rasch, Zum Stand des Heimrechts nach der Föderalismusreform. NDV2010, 149–152; Vorholz, Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtsim Sozialhilferecht, in: Sozialrecht als Menschenrecht, Stuttgart 2010,S. 127–152; Weber, „Verbraucherschutz“ bei Verträgen über Wohn-raum in Verbindung mit Pflege- und Betreuungsdienstleistungen. NZM2010, 337–343; Wendt, Anmerkung zum Urteil BSG, 2. 2. 2010 – B 8SO 20/08 R. RdLH 2010, 68–69;

2011: Buchinger, Über die Folgen des Verbraucherschutzes in der sta-tionären Altenhilfe. SF 2011, 128–131; Drasdo, Heimverträge unterWohn- und Betreuungsvertragsgesetz. NJW-Spezial 2011, 289–290;Drasdo, Tod des Pflegeleistungsempfängers beendet Heimvertrag.NVwZ 2011, 1181–1183; Hänlein, Müssen die gesetzlichen Rahmen-bedingungen für Verbraucherschutz im Sozialrecht geändert werden?RsDE 73 (2011), 28–46; Mrozynski, Rechtsfragen der Steuerung durchdie Sozialleistungsträger beim Abschluss von Verträgen mit den Leis-tungserbringern und bei der Institutionellen Förderung. ZFSH/SGB2011, 197–206; Weber, Häusliche Krankenpflege nach SGB V in einerstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe. NZS 2011, 650–655.

dern eine Sachleistungsverschaffung oder besser Gewährleis-tungsverantwortung.

In diesem Dreiecksverhältnis erbringt der Sozialhilfeträgernach dem gesetzlichen Gesamtkonzept der §§ 75 ff SGB XII dieihm obliegende Leistung grundsätzlich nicht als Geldleistung. Erzahlt die Kosten der stationären oder teilstationären Unterbrin-gung nämlich nicht an den Sozialhilfeempfänger, um diesem dieZahlung des im Heimvertrag vereinbarten Heimentgelts an denEinrichtungsträger zu ermöglichen; vielmehr erfolgt eine Zah-lung ohne Umweg über den Sozialhilfeempfänger direkt an dieEinrichtung.

* Der Autor ist Richter am Bundessozialgericht. Der Beitrag entsprichteinem Vortrag, der auf dem 44. Kontaktseminar des Deutschen Sozial-rechtsverbands am 13./14. Februar 2012 gehalten wurde.

1 B 8 SO 22/07 R (BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr. 9).