Staat – Souveränität –...

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Staat – Souveränität – NationBeiträge zur aktuellen Staatsdiskussion

Herausgegeben vonS. Salzborn, Göttingen, DeutschlandR. Voigt, Netphen, Deutschland

Zu einem modernen Staat gehören Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk (Georg Jellinek). In Gestalt des Nationalstaates gibt sich das Staatsvolk auf einem bestimm-ten Territorium eine institutionelle Form, die sich über die Jahrhunderte bewährt hat. Seit seiner Etablierung im Gefolge der Französischen Revolution hat der Natio-nalstaat Differenzen in der Gesellschaft auszugleichen vermocht, die andere Herr-schaftsverbände gesprengt haben. Herzstück des Staates ist die Souveränität (Jean Bodin), ein nicht souveräner Herrschaftsverband ist kein echter Staat (Hermann Heller). Umgekehrt ist der Weg von der eingeschränkten Souveränität bis zum Scheitern eines Staates nicht weit. Nur der Staat ist jedoch Garant für Sicherheit, Freiheit und Wohlstand der Menschen. Keine internationale Organisation könnte diese Garantie in ähnlicher Weise übernehmen.

Bis vor wenigen Jahren schien das Ende des herkömmlichen souveränen Natio-nalstaates gekommen zu sein. An seine Stelle sollten supranationale Institutionen wie die Europäische Union und – auf längere Sicht – der kosmopolitische Welt-staat treten. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu weiterer Integration schwindet jedoch, während gleichzeitig die Eurokratie immer mehr Macht anzu-häufen versucht. Die demokratische Legitimation politischer Entscheidungen ist zweifelhaft geworden. Das Vertrauen in die Politik nimmt ab.

Wichtige Orientierungspunkte (NATO, EU, USA) haben ihre Bedeutung für die Gestaltung der Politik verloren. In dieser Situation ist der souveräne Nationalstaat, jenes „Glanzstück occidentalen Rationalismus“ (Carl Schmitt), der letzte Anker, an dem sich die Nationen festhalten (können). Dabei spielt die Frage nur eine unter-geordnete Rolle, ob die Nation „gemacht“ (Benedict Anderson) worden oder ur-sprünglich bereits vorhanden ist, denn es geht nicht um eine ethnisch definierte Nation, sondern um das, was Cicero das „Vaterland des Rechts“ genannt hat.

Die „Staatsabstinenz“ scheint sich auch in der Politikwissenschaft ihrem Ende zu nähern. Und wie soll der Staat der Zukunft gestaltet sein? Dieser Thematik will sich die interdisziplinäre Reihe Staat – Souveränität – Nation widmen, die Mono-grafien und Sammelbände von Forschern und Forscherinnen aus unterschied-lichen Disziplinen einem interessierten Publikum vorstellen will. Das besondere Anliegen der Herausgeber der Reihe ist es, einer neuen Generation von politisch interessierten Studierenden den Staat in allen seinen Facetten vorzustellen.

Samuel Salzborn Rüdiger Voigt

Shida Kiani

Wiedererfi ndung der Nation nach dem Nationalsozialismus?

Konfl iktlinien und Positionen in der westdeutschen Nachkriegspolitik

Shida KianiBraunschweig, Deutschland

Zgl. Dissertation an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, 2012

ISBN 978-3-658-00324-1 ISBN 978-3-658-00325-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-00325-8

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufb ar.

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Vorwort

Diese Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Früh-jahr 2012 von der Philosophischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Uni-versität Hannover angenommen wurde.

Auf dem Weg zu ihrer Fertigstellung haben mich viele Menschen unterstützt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Als Erstes zu nennen ist mein Doktor-vater Prof. Dr. Joachim Perels, der den Entstehungsprozess der Arbeit vom An-fang bis zum Ende intensiv begleitet und mir stets geduldig mit wissenschaft-lichem Rat, notwendiger Kritik und viel moralischer Unterstützung zur Seite gestanden hat. Die Gespräche mit ihm haben mich auch in Krisenzeiten immer wieder motiviert, die Arbeit an dem Projekt fortzusetzen. Sein Werk zur Zerstö-rung des Rechts und infolgedessen unzähliger Menschenleben während der NS-Herrschaft sowie zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus in der Bundesre-publik hat meine eigene wissenschaftliche Arbeit maßgeblich geprägt. Ebenso gilt mein Dank meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Samuel Salzborn, dem ich viele wertvolle Hinweise verdanke und dessen Beiträge zur Erforschung von Nation und Ethnizität diese Arbeit ebenfalls an vielen Punkten inspiriert haben. Auch Prof. Dr. Cornelia Rauh, die mir speziell in der Anfangsphase des Projektes zahl-reiche hilfreiche Anregungen gegeben hat, und Prof. Dr. Rolf Pohl, der den Vor-sitz bei meiner Disputation übernommen hat, möchte ich ganz herzlich dafür danken. Zudem gebührt mein Dank der Rosa Luxemburg Stiftung und ihren Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern, deren Förderung es mir ermöglicht hat, die Dis-sertation weitgehend frei von wirtschaftlichen Zwängen zu verfassen.

Von unschätzbarem Wert war mir die Hilfe von Dr. Janina Schirmer, die sich durch sämtliche Versionen der Kapitel gelesen und durch ihre Anmerkungen sehr viel zur Bereicherung und Fokussierung der Analyse getan hat. Auch Imke Junger mann hatte stets guten Rat für all die Fragen und Probleme, die im Verlauf der Arbeit aufgetaucht sind, und war bereit, auch unter dem zeitlichen Hochdruck am Ende alles noch einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Für ihre Bereitschaft zur Diskussion, ihre Korrekturen und ihre Anregungen zu verschiedenen Aspekten des Themas danke ich außerdem Dr. Sascha Howind, Arne Karrasch, Jörn Jan Leidecker, Marc Schwietring, Dr. Petra Spona und Dr. Sebastian Winter sowie Dr. Tobias Hinrichs für sein professionelles Endlekto-

6 Vorwort

rat. (Für Fehler, die sich im Nachhinein noch eingeschlichen haben mögen, ist er selbstverständlich ebenso wenig verantwortlich wie meine anderen Korrekturle-serinnen und -leser für etwaige Defizite dieser Arbeit.) Ebenfalls gilt mein Dank allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kolloquien, in denen ich meine Ar-beit vorstellen konnte, für ihre Hinweise und ihre Diskussionsfreude.

Neben der fachlichen war mir auch die emotionale Unterstützung eine unver-zichtbare Hilfe, für die ich danken möchte: Till Wohlatz und seiner Familie da-für, dass sie mich mit viel Verständnis auch für lange Arbeitsphasen und Interesse an der Sache begleitet haben, und Mirja Ramlow dafür, dass sie immer ein offe-nes Ohr für mich hatte und zugleich für den notwendigen sportlichen Ausgleich gesorgt hat.

Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern, die mich immer wieder in meiner Arbeit bestärkt und alle Hoch- und Tiefphasen mit mir durchlebt haben. Ihre stetige Ermutigung und ihr unerschütterliches Vertrauen in mich haben un-endlich viel zum Gelingen dieser Arbeit (und nicht nur dazu) beigetragen. Dafür danke ich euch von ganzem Herzen !

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Thema und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Theoretische Vorüberlegungen:

Nation, Ethnie, NS-Volksgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . 304 Methode und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Aufbau und Argumentationslinien der Arbeit . . . . . . . . . . . 43

1 Von der Diskontinuitäts- zur Kontinuitätsthese Die Diskussion über die Rechtsstellung des Deutschen Reiches nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . 47

1.1 Etablierung und Verdrängung der Diskontinuitätsthese im juristischen Diskurs über die deutsche Rechtslage im Vorfeld der Staatsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

1.2 Die Kontinuitätsthese als hegemoniale Position in der westdeutschen Nachkriegspolitik . . . . . . . . . . . . . . 57

1.3 Widersprüche und Gegenpositionen zur Kontinuitätsthese . . . . 681.4 Zwischenfazit: der Bezug auf ein vorstaatlich gefasstes Volk

als Substanz des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

2 Supranationaler Aufbruch im nationalen Interesse Zur Neuausrichtung der Nationenvorstellungen im Rahmen der Westintegration . . . . . . . . . . . . . . . . 79

2.1 Die Kritik am Prinzip des Nationalstaats auf dem Weg ins Westbündnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 812.1.1 Die Entwicklung der Nationalstaatskritik

vom allgemeinen Konsens zum spezifischen Argumentationsmuster der Regierungsparteien . . . . . . . 82

8 Inhalt

2.1.2 Das Ende der Nationalstaaten – (k)ein Automatismus ? Der Grundkonflikt zwischen Regierung und Opposition . . . 94

2.2 Das Saargebiet als europäisiertes Territorium deutscher Nation ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

2.3 Tendenzen der Wiederbelebung nationalstaatlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

2.4 Zwischenfazit: Mitsprache vor Souveränität . . . . . . . . . . . . 124

3 Einheit im Zwiespalt Die Ambivalenz der Nationenvorstellungen gegenüber „dem Osten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

3.1 Vom nationalen Interesse zum „Menschenrecht“: der Anspruch auf die Oder-Neiße-Gebiete . . . . . . . . . . . . 132

3.2 Das Ziel der Wiedervereinigung mit der DDR im Spannungsfeld von nationaler Rhetorik, pragmatischer Politik und Antikommunismus . . . . . . . . . . . 1583.2.1 Das Verhältnis zur DDR zwischen Verbundenheit

und Entfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1603.2.2 „… wie gegen einen Bruder, der morden will“:

das ambivalente Bild der DDR-Bürger . . . . . . . . . . . . 1903.3 Zwischenfazit: die eine, hierarchisierte Nation . . . . . . . . . . . 202

4 Zur Beständigkeit des „Wir“ Die personelle Kontinuität zum Dritten Reich in ihren Konsequenzen für die Nationenvorstellungen . . . . 209

4.1 „Schlussstrich“ als Grundlage innerer und äußerer „Befriedung“: Vergangenheitspolitik zugunsten breiter Bevölkerungsschichten . . . . . . . . . . . . . 2114.1.1 Amnestien als Integrationsmittel . . . . . . . . . . . . . . 2124.1.2 Symbolische Politik zum Abschluss der Entnazifizierung . . . 226

4.2 Eine Frage der nationalen „Ehre“: vergangenheitspolitische Maßnahmen im Interesse spezifischer Berufsgruppen . . . . . . . . . . . . . 2354.2.1 Von der Kontinuität des Staates zur Kontinuität

des Staatspersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2374.2.2 Die Kriegsverbrecherfrage und die „Ehre“

der deutschen Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2524.3 Zwischenfazit: Volksgemeinschaft in der Nation . . . . . . . . . . 274

Inhalt 9

5 Zwischen Abgrenzung und Integration Zur Erneuerung des nationalen Narrativs im Kontext der Aufarbeitung des NS-Zeit . . . . . . . . . . . . 279

5.1 Grenzen des „Wir“: frühe Initiativen gegen Neonazismus und Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

5.2 Die Schmierwelle als Katalysator des Wandels im Umgang mit der NS-Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . 294

5.3 Zwischenfazit: durch Vergangenheitsbewältigung zurück zur Nationalgeschichte ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Abkürzungsverzeichnis

BdV Bund der VertriebenenBenelux Belgien, Niederlande, LuxemburgBGBl. BundesgesetzblattBGH BundesgerichtshofBP BayernparteiBT BundestagBVerfG BundesverfassungsgerichtBVFG Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge

(Bundesvertriebenengesetz)BWGöD Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen

Unrechts für Angehörige des öffentlichen DienstesCDU Christlich Demokratische UnionCSU Christlich Soziale UnionDDR Deutsche Demokratische RepublikDKP-DRP Deutsche Konservative Partei/Deutsche RechtsparteiDP Deutsche ParteiDPS Demokratische Partei SaarDRP Deutsche ReichsparteiDS DrucksacheEGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion)EPG Europäische Politische GemeinschaftERP European Recovery Program (Marshallplan)EU Europäische UnionEuratom Europäische AtomgemeinschaftEVG Europäische VerteidigungsgemeinschaftEWG Europäische WirtschaftsgemeinschaftFDP Freie Demokratische ParteiFU Föderalistische UnionFVP Freie Volkspartei

12 Abkürzungsverzeichnis

GB/BHE Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrech-teten

GDP Gesamtdeutsche ParteiGestapo Geheime StaatspolizeiGG (a. F.) Grundgesetz (alte Fassung)GDP Gesamtdeutsche ParteiGVP Gesamtdeutsche VolksparteiKPD Kommunistische Partei DeutschlandsKRG KontrollratsgesetzKZ KonzentrationslagerML Marxismus-LeninismusNATO North Atlantic Treaty OrganizationNR Nationale RechteNS Nationalsozialismus, nationalsozialistischNSDAP Nationalsozialistische Deutsche ArbeiterparteiOECD Organization for Economic Co-operation and DevelopmentOEEC Organization for European Economic CooperationOSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaPg. Parteigenosse (Mitglied der NSDAP)RGBl. ReichsgesetzblattSBZ Sowjetische BesatzungszoneSD Sicherheitsdienst des Reichsführers SSSED Sozialistische Einheitspartei DeutschlandsSopade Sozialdemokratische Partei Deutschlands (im Exil)SPD Sozialdemokratische Partei DeutschlandsSRP Sozialistische ReichsparteiSS SchutzstaffelStGB StrafgesetzbuchSSW Südschleswigscher WählerverbandUdSSR Union der sozialistischen SowjetrepublikenUN(O) United Nations (Organization)US(A) United States (of America)VdL Verband der LandsmannschaftenWAV Wirtschaftliche Aufbau-VereinigungWEU Westeuropäische UnionWGBl. Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten

Wirtschaftsgebietes

Abkürzungsverzeichnis 13

Z Deutsche Zentrumspartei/ZentrumZJD Zentralrat der Juden in DeutschlandZRS Zentrale RechtsschutzstelleZvD/BvD Zentralverband der vertriebenen Deutschen/Bund der vertriebenen

Deutschen

Einleitung

Die Nation ist tot, lange lebe die Nation: In dieser Abwandlung ließe sich die einstmals auf das Prinzip monarchischer Herrschaft gemünzte Formel1 gegenwär-tig auch auf die Nation als spezifische Form einer vorgestellten Gemeinschaft2 oder auch „kollektiver Subjektivität“3 beziehen. Allen voran im westlichen Europa wurde die Nation ebenso häufig für überwunden oder zumindest für immer we-niger politisch relevant erklärt, wie sich ihre Beharrungskraft und politische Ak-tualität erwiesen hat. Beide Diagnosen scheinen in bestimmter Weise berechtigt. Derzeit ist nur schwer absehbar, welche Rolle die Nation in der Welt des 21. Jahr-hunderts noch spielen wird, da in Bezug auf sie zwei völlig entgegengesetzt wir-kende Tendenzen erkennbar sind.

Einerseits hat der Prozess der Globalisierung, nach Jürgen Habermas charak-terisiert durch „den zunehmenden Umfang und die Intensivierung von Verkehrs-, Kommunikations- und Austauschbeziehungen über nationale Grenzen hinweg“4, die Nation in verschiedener Hinsicht infrage gestellt: so in ihrem Streben nach je-weils spezifischer, nicht zuletzt in Abgrenzung zu anderen Nationen definierter Einzigartigkeit, besonders aber in ihrem Anspruch auf politische Autonomie, tra-ditionell verkörpert im souveränen Nationalstaat. Zudem sind, angefangen und am weitesten fortgeschritten im Rahmen der europäischen Integration, über di-verse Formen internationaler Kooperation hinaus eigenständige supranationale Strukturen bzw. Institutionen entstanden, in denen Entscheidungen direkt von überstaatlichen Akteuren getroffen werden.5 Diese Akteure sehen sich zumindest idealtypischerweise nicht mehr den Belangen einzelner Nationen, sondern dem

1 Der Ausspruch „Der König ist tot, lang lebe der König !“ bezieht sich ursprünglich auf den bruch-losen Übergang der Staatsgewalt in Monarchien durch das Prinzip der Thronnachfolge. In der Variation „Der Staat ist tot, lang lebe der Staat !“ hat er jüngst auch Eingang in die Erforschung der gegenwärtigen Bedeutung des Nationalstaats gefunden, so bei Hurrelmann/Leibfried/Mar-tens/Mayer 2008b, S. 22.

2 Zum Begriff der Nation als vorgestellter Gemeinschaft vgl. Anderson 1996, bes. S. 15 ff.3 Anderson 2000, S. 61.4 Habermas 1998, S. 101. Eine nähere „Umkreisung“ des Begriffs der Globalisierung bei Osterham-

mel/Peterson 2007, S. 7 – 15.5 Grundlegend zum politischen Prozess der Europäisierung vgl. Beichelt 2009; zur gegenwärtigen

Bedeutung z. B. Schuppert (Hrsg.) 2006.

S. Kiani, Wiedererfindung der Nation nach dem Nationalsozialismus?, Staat - Souveränität - Nation, DOI 10.1007/978-3-658-00325-8_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013