Statistik in der Friedensforschung

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Der aktuelle Beitrag Werner Vog Statistik in der Friedensforschung Aufgaben und Zielsetzungen, erSrtert am Belspiel tier Studie ))Kriegsfolgen und Kriegsverhiitung% Hrsg. : C.-F. yon Weizsiicker, Carl HanserVerlag, Miinchen 1971 In den letzten Jahren haben alle Vorhaben, die unter dem Etikett der Friedensforschung in Angriff genommen wurden, zunehmendes 6ffentliches Interesse gefunden. Die wissenschaftlichen Beitr/ige, die in wachsender Zahl zu diesem umfangreichen Thema geliefert werden, besch~ftigen sich generell mit der Frage, welche Bedingungen ge- schaffen werden miissen, um die gewaltsame L/Ssung (oder die Verdr/tngung) yon Konflikten zu verhindern. Diesem Problem vorgelagert sind die beiden folgenden grunds/itzlichen Fragen: 1. Welche Bedingungen sind es, die die heutigen und die zukiinftigen Konfliktsitua- tionen verursachen ? 2. Wie wird die heutige Situation sich in der Zukunft entwickeln, wenn keine zus/itz- lichen MaBnahmen der Friedenssicherung ergdffen werden ? Bei der Beantwortung dieser Fragen, die in dieser Form nur sehr global den gesamten Themenkreis beschreiben, n/ihert man sich dem Kernproblem, n~mlich der Analyse des relevanten Bedingungskomplexes yon verschiedenen Seiten (siehe dazu z. B. den Sammelband ))Friedensforschung<~, [2]). Parallel zu den analytischen Oberlegungen oder im AnschluB daran, werden normative Fragen aufgegriffen, um Zielvorstellungen fiir den Bedingungskomplex einer funktionierenden Friedenssicherungspolitik zu schaffen. Diese normativen Fragen werden bisweilen unter moralischen, ethischen, sittlichen, zum Teil auch p/idagogischen Aspekten gesehen, obwohl man der Feststellung zu- stimmen muB, dab es nicht Anderungen des BewuBtseins oder der Moral sein werden, die die Kriegsgefahr verringern, als die mit der Entwictdung der Natu~wissenschaften fortschreitende Einsicht in technologische Zusammenh/inge und das Erkennen des >)Zwanges zum Frieden<< ([4] oder [8], Seite 139ff.). Den meisten bisherigen Ans/itzen ist gemein, dab sic weder in der analytischen noch in der normativen Phase quantitativ vorgehen, das heigt, man beschr/inkt sich auf Hypo- thesen, vermutet Zusammenh/inge, entwickelt qualitative Normen und verzichtet darauf, einen brauchbaren Praxisbezug dadurch herzustellen, dab man die theoretischen Oberlegungen zu quantifizieren versucht. Eine Ausnahme bildet die kiirzlich erschienene, yon Carl-Friedrich yon Weizs/icker herausgegebene Studie fiber Kriegsfolgen und Kriegsverh~tung [3], die in den letzten Woehen mehrfach in Presse, Rundfunk und Femsehen kommentiert wurde. Von Weiz- s~icker, der sich schon seit Jahren mit den Auswirkungen moderner Waffenentwick- lungen beschiftigt, und - im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen - zu den poli- tischen Auswirkungen dieser Entwicklungen und den aus ihnen zu ziehcnden SchluB- folgerungen in der Offentlichkeit uniiberhtrbar Stellung nimmt, hat damit eine Studie 93

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Der aktuelle Beitrag

Werner Vog

Statistik in der Friedensforschung

Aufgaben und Zielsetzungen, erSrtert am Belspiel tier Studie ))Kriegsfolgen und Kriegsverhiitung% Hrsg. : C.-F. yon Weizsiicker, Carl HanserVerlag, Miinchen 1971

In den letzten Jahren haben alle Vorhaben, die unter dem Etikett der Friedensforschung in Angriff genommen wurden, zunehmendes 6ffentliches Interesse gefunden. Die wissenschaftlichen Beitr/ige, die in wachsender Zahl zu diesem umfangreichen Thema geliefert werden, besch~ftigen sich generell mit der Frage, welche Bedingungen ge- schaffen werden miissen, um die gewaltsame L/Ssung (oder die Verdr/tngung) yon Konflikten zu verhindern. Diesem Problem vorgelagert sind die beiden folgenden grunds/itzlichen Fragen:

1. Welche Bedingungen sind es, die die heutigen und die zukiinftigen Konfliktsitua- tionen verursachen ?

2. Wie wird die heutige Situation sich in der Zukunft entwickeln, wenn keine zus/itz- lichen MaBnahmen der Friedenssicherung ergdffen werden ?

Bei der Beantwortung dieser Fragen, die in dieser Form nur sehr global den gesamten Themenkreis beschreiben, n/ihert man sich dem Kernproblem, n~mlich der Analyse des relevanten Bedingungskomplexes yon verschiedenen Seiten (siehe dazu z. B. den Sammelband ))Friedensforschung<~, [2]). Parallel zu den analytischen Oberlegungen oder im AnschluB daran, werden normative Fragen aufgegriffen, um Zielvorstellungen fiir den Bedingungskomplex einer funktionierenden Friedenssicherungspolitik zu schaffen. Diese normativen Fragen werden bisweilen unter moralischen, ethischen, sittlichen, zum Teil auch p/idagogischen Aspekten gesehen, obwohl man der Feststellung zu- stimmen muB, dab es nicht Anderungen des BewuBtseins oder der Moral sein werden, die die Kriegsgefahr verringern, als die mit der Entwictdung der Natu~wissenschaften fortschreitende Einsicht in technologische Zusammenh/inge und das Erkennen des >)Zwanges zum Frieden<< ([4] oder [8], Seite 139ff.). Den meisten bisherigen Ans/itzen ist gemein, dab sic weder in der analytischen noch in der normativen Phase quantitativ vorgehen, das heigt, man beschr/inkt sich auf Hypo- thesen, vermutet Zusammenh/inge, entwickelt qualitative Normen und verzichtet darauf, einen brauchbaren Praxisbezug dadurch herzustellen, dab man die theoretischen Oberlegungen zu quantifizieren versucht. Eine Ausnahme bildet die kiirzlich erschienene, yon Carl-Friedrich yon Weizs/icker herausgegebene Studie fiber Kriegsfolgen und Kriegsverh~tung [3], die in den letzten Woehen mehrfach in Presse, Rundfunk und Femsehen kommentiert wurde. Von Weiz- s~icker, der sich schon seit Jahren mit den Auswirkungen moderner Waffenentwick- lungen beschiftigt, und - im Gegensatz zu vielen seiner Fachkollegen - zu den poli- tischen Auswirkungen dieser Entwicklungen und den aus ihnen zu ziehcnden SchluB- folgerungen in der Offentlichkeit uniiberhtrbar Stellung nimmt, hat damit eine Studie

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vorgelegt, in der er und seine Mitarbeiter sich mit den Folgen eines Kernwaffenkrieges auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland besch~ftigen. Diese Studie umfaBt nahezu 700 Seiten, woraus geschlossen werden karm, dab es sich bier wohl um die bislang umfassendste Untersuchung zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum handelt. Bei dieser ersten quantitativ orientierten Studie zeigt sich, dab die Statistik bei derartigen Untersuchungen und Analysen eine wesentliche Rolle spielt, bzw. welche Beitr~ge yon seiten der Statistiker geleistet werden k/Snnen, um zukiinftige Unter- suchungen noch effizienter zu gestalten. Um diese l~berlegung zu verdeutlichen, soil zun~chst an einigen Aspekten gezeigt werden, yon welchen statistischen Grundlagen die Weizs~cker-Studie ausgeht. Ich beschifftige reich also im folgenden nicht mit den ]3eitr~gen, die zu milit~rischen und politischen Problemen geschrieben wurden, sondern nur mit jenen, die die quantita- tiven Auswirkungen yon Kernwaffeneins/itzen alternativer St~rke beschreiben (wobei wiederum die Detailfrage der wirtschaftlichen Auswirkungen bier im Mittelpunkt stehen soll). Dies sind vor allem die folgenden Abschnitte:

1. Horst Afheldt: Analyse der Sicherheitspolidk dutch Untersuchung der kridschen Parameter (Methodik der Studie, Zusammenhang und Ergebnisse der Arbeiten), Seite 23ff. [1].

2. Pbilipp Sonntag: Mathematische Analyse der Wirkungen yon Kernwaffenexplo- sionen in der BRD, Seite 75 ft. [6].

3. Utz-Peter Reich: Die wirtschaftlichen Sch~den eines atomaren Krieges in der Bundesrepublik DeutschLand und ihre Folgen, Seite 199ff. [5].

Bei der Diskussion dieser drei Beitr/ige interessiert speziell die Frage, welche statisti- schen Inputs benutzt wurden, bzw. in welcher Weise sie Verwendung fanden, um zu den in der Studie zusammengetragenen Ergebnissen zu gelangen. Zitieren wit dazu zuniichst H. Afheldt: >)Eine Analyse der Sch~den denkbarer zuktinfdger Kriege in Europa ist mit den Problemen jeder Prognose beLastet. Es ist evident, dab die Zahl der Bestimmungsgr613en (Parameter), yon denen diese Sch~den abhiingen wiirden, sehr groB ist. Einige Parameter sind technischer Art: Welche Waffen stehen zur Verfiigung ? Wie sind die Wirkungen dieser Waffen ? Welche Schutzm/Sglichkeiten sind denkbar? Welches sind die Kriterien des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs unter Kriegsbedingungen? Andere Parameter sind milit~r-strategischer Art: Welche Strategie wird verfolgt? Kann ein Krieg begrenzt werden oder nicht? Diese letzteren Fragen ftihren zu Parametem politischer Dimension, zum Beispiel: Wer fiihrt Krieg gegen wen ? Wie grog sind die Interessen der Kriegfiihrenden am Sieg, wie groB an einer Begrenzung ? Wovon hfingen diese Interessen ab ? Alle diese Parameter stehen untereinander in Wechselwirkungen, bilden ein System. Eine solche Vielzahl yon Parametern gemeinsam in ihren Wechselwirkungen zu analysieren, ist unm6glich. Wir haben deshalb als ersten Schritt Gruppierungen solcher Parameter ausgesondert und zu Subsystemen zusammengefaBt<~ ([1], Seite 25). Diesen Ausfiihrungen kann entnommen werden, dab statistische Methoden, speziell die der 8konometrischen Richtung, herangezogen werden miiBten, um die genannten System¢ in den Griff zu bekommen, was Afheldt wegen der Vielzahl yon Wechsel- wirkungen als unm6glich bezeichnet. Ich werde diese Erage welter unten eingehender diskutieren.

Generell werden drei Gruppen yon Input-Daten verwendet:

1. Technische Daten zur Charakterisierung alternativer Waffenwirkungen. 2. Milit~irisch-strategische Daten zur Kennzeichnung m/Sglicher Kriegsbilder.

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3. Okonomische Daten zur Feststellung der Auswirkungen nach MaBgabe der Daten dez Gruppen 1 und 2, das heiBt also zum Beispiel Daten zur Bev61kerungsvertei- lung, zur Schadensanfiilligkeit verschiedener Geb/iudetypen, zur wirtschaftlichen Struktur usw. ([1], Seite 26).

Die hier vor allem interessierenden Daten der Gmppe 3 werden folgendermagen erfagt: >~Die Bundesrepublik wurde in Karrees yon 10X 10 km Kantenlinge eingeteilt. Fiir jedes dieser Karrees wurden 20 Daten fiir Menschen und Sachwerte 0grohngebiude, Industrie usw.) ermittelt. Insgesamt ergab dies etwa 50 000 Daten fiir das Bundesgebiet. Unter der Annahme einer gleichm~gigen Verteilung aller Objekte in jedem Karree wurde der Schaden als Funktion der eingesetzten Kemwaffen errechnet (ausgewertet wurden etwa 100 Annahmen mit insgesamt ca. 20 000 Detonationen). Fiir die Ver- letzungen yon Menschen und die Zerst6rungen yon Sachen wurden Schadenskatego- den gebildet. Die Ergebnisse der genaueren Analyse (PNORD [ein Programm fiir den n6rdlichen Bereich der BRD, welches yon Karrees mit der Seitenl~inge yon nur einem Kilometer ausging, der Verf.]) wurden mit denen der gr6beren (PBUND [Programm fiir die Gesamt-BRD, der Verf.]) verglichen. Augerdem wurde das Verfahren zur ~berpriifung auf die histodschen F~ille yon Hiroshima und Nagasaki angewandt<< ([1], Seite 27). Ich will mich hier nicht mit den Ergebnissen der Schadensberechnungen besch~iftigen, auch nicht mit den politischen Konsequenzen, die aus diesen Ergebnissen gezogen werden kSnnen (gerade letzteres ist natiirlich die interessanteste Frage in der Studie iiberhaupt), sondem verbleibe bei der Diskussion der Inputs, yon denen unter wirt- scha£tlichen Gesichtspunkten fiir Afheldt die folgenden yon Interesse sind ([1], Seite 31):

1. Menschen (Arbeit als Produktionsfaktor). 2. Produktionsmittel (Kapital als Produktionsfaktor).

Der Wirtschaftsstatistiker mug hier feststellen, dab zur Kennzeichnung der wirtschaft- lichen Potenz einer Volkswirtschaft (und darauf kommt es Afheldt hier an) diese beiden Daten nicht ausreichen kSnnen. Das gleiche gilt fiir die angewandte Methode, mit der die Produktionsm6glichkeiten bestimmt werden sollen: Man bediente sich der Methode des Linearen Programmierens, ohne zu diskutieren, ob nicht andere Verfah- ten, die der realen Produktionsstruktur und -technologie besser angepal3t w~iren, zu pr~iziseren Ergebnissen h~tten fiihren k6nnen. Leider geht aus keinem Beitrag der Studie genau hervor, welche Einzeldaten herangezogen wurden, so dab eine genauere Beurteilung des Vorgehens der Ver£asser m6glich w~ire (ein Zusammensuchen der Hiaweise au£ verwendete Daten an vielen verschiedenen Stellen kann dem Leser nicht zugemutet werden). _~hnliche Einw~nde, wie sie hier gegen die wirtschaftlichen Parameter erhoben werden, gelten entsprechend auch Rir das System der politischen Parameter ([1], Seite 37), wo es um die Frage geht, wie die Kriegsbilder unter altemativen ZielvorsteUungen der kriegfiihrenden Parteien aussehen werden. Um die verschiedenen Alternativen ad/iquat zu erfassen, h~itte man yon spieltheoretischen Ans~itzen oder yon stochastischen Simu- lationsmodellen ausgehen k6nnen. In der vorliegenden Studie begniigte man sich dagegen mit einer Aufz~ihlung mehr oder weniger plausibler Altemativen und deren Auswirkungen und vers~iumte es damit, den sehr posit.iv zu bewertenden Ansatz der Quantifizierung konsequent >>durchzuziehen<<. Dies h~itte zumindest in der Weise ge- schehen k6rmen, dab die unterschiedliche Bedeutung der verschiedenen Altemativen dutch entsprechende Gewichtung beriicksichtigt worden wire. Im dritten zitierten Beitrag yon U.-P. Reich [5] geht es speziell um die wirtschaftlichen

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Auswirkungen bei altemativen Kriegsbildem. Reich untersucht vor allem die Kapazi- titsverluste, die bei verschiedenen Kriegseinflfissen in Rechnung gestellt werden mfissen. Dabei geht er yon einer Input-Output-Tahelle des IFO-Instituts £fir das Jahr 1961 aus ([5], Seite 205), wobei er au£ einen Mangel der Untersuchung hinweist, auf den ich ebenfalls noch zu sprechen komme: ))Wit wissen nicht, wann eines der I'her betrachteten Kriegsbilder ReMit/it werden k/Srmte, um so weniger kennen wit die Struktur, die die bundesrepublikanische Wirtschaft dann aufweist~ ([5], Seite 206). Als wirtschaftliche Input-Daten benutzt Reich dann die BeschSftigtenzahl und den Pro- duktionswert (pro Industriezweig), wobei letzterer mit Hilfe der Arbeitsproduktivit/it des gesamten betreffenden Industriezweiges berechnet wurde. Es bedarf kaum der Erwfihnung, dab dieses Vorgehen zu betr~ichttichen Verzerrungen, zumindest aber zu kaum quantifizierbaren Ungenauigkeiten und Fehlerm6glichkeiten fiihren kann. Au£ Grund dieser Angaben versucht er dann zu errechnen, welche Sch~den in den einzetnen Wirtschaftszweigen auftreten, wobei er besondere Aufmerksamkeit der Landwirtschaft widmet, woes um die Ver~nderungen in der Em~ihrungsgrundlage geht (der Wirt- schaftsstatistiker kann leicht zeigen, dab die westdeutsche Em~hrungsgrundlage keines- wegs ausschlieBlich yon der Produktion der westdeutschen Landwirtschaft abh~ngt). Dazu bemerkt Reich, dab der organisatorische Zusammenhang zwischen den einzelnen Wirtscha£tszweigen bei diesen Berechnungen nicht herficksichtigt werden konnte ([5], Seite 218). Allerdings versucht er dann auf Seite 22811". mit dem zugrunde liegenden Input-Output-Modell fiber die unmittelbaren ScMden hinaus diejenigen abzuschitzen, die auf Grund der wirtschaftlichen Interdependenzen entstehen, bzw. es wird die Frage diskutiert, warm und unter welchen Bedingungen das System der 6konomischen Interdependenzen zusammenbricht ([5], Seite 246ff.). Zu dieser Frage schreibt Reich: ~)Die in diesem Kapitel (das der 6konomischen Interdependenzen, der Verf.) zu be- handelnden Fragen sind einer quantitativen Analyse bisher nicht zug/inglich~ ([5], Seite 246). Diese Aussage kann mit Recht bestritten werden. Die Aufz~hlung dieser Beispiele mag genfigen, um anzudeuten, welche statistischen Oberlegungen bei der Abfassung der vorliegenden Smdie m6glicherweise berficksichtigt worden sind, und welche dagegen vernachl~issigt worden sein kiinnten. Es kann folgen- des festgehalten werden: In der Studie wurde der Notwendigkeit einer quantitativen Betrachtungsweise Rechnung getragen. Dieses Vorgehen, welches ich am Beispiel der 6konomischen Aspekte kurz beleuchtet babe, ist grundsiitzlich zu begrfiBen; dariiber hinaus kann angenommen werden, dab hier eine der wohtfundiertesten Arbeiten zu Fragen der Waffenwirkungen unter altemativen Kriegsbildem vorliegt, die sich - was besonders beachtenswert ist - nicht mit der Darstellung rein technologischer Beziehun- gen begnfigt, sondem den gesellschaftlichen und politischen Implikationen der Analysen zentrale Bedeutung zuweist. Untersucht man diese Studie vornehmlich vom Stand- punkt des Statistikers aus, so gelangt man unter anderem zu den Kritikpunkten, die oben angesprochen wurden, und welche sich in den beiden folgenden Anmerkungen zusammenIassen lassen:

1. Es ist nicht klar ersichtlich, welche statistischen Ausgangsdaten Verwendung ge- funden baben und ob eine Gfitekontrolle dieser Daten durchgeffihrt worden ist.

2. Vermutlich wurde den 6konomischen Interdependenzen nur unzureichend Rech- hung getragen - wogegen z. B. den technologischen, physikalischen und biologischen Aspekten der Waffenwirkungen unverh{iltnism~il3ig breiter Raum zugestanden wl.lrde.

Far den Statistiker ergeben sich aus diesen Feststellungen die folgenden Konsequenzen, die als VorschlSge verstanden werden k/Snnen bzw. ein enges Teilgebiet derjenigen

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Aufgabenstellungen umreii3en, welche der Statistik im Rahmen der Friedensforschung zukommen k/Srmen:

1. Zunachst muB die Statistik ~ r die Lieferung brauchbarer Ausgangsdaten sorgen, die in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht bestimmten Mindestarfforderungen genfigen miissen. F~r die Auswahi dieser Daten k6rmen einige wesentliche Kriterien genannt werden:

a) Die Auswahl h~tngt zun/ichst yon tier Zielsetzung der jeweiligen Untersuchung ab, also auch vom Untersuchungsgegenstand.

b) Daneben werden die Auswahlm/Sglichkeiten beeinfluBt dutch die Datenzugriffs- m/Sglichkeiten bzw. dadurch, ob fiberhaupt bestimmte Daten verfiigbar sind - und wenn nicht, welche Ersatzreihen herangezogen werden k/Snnen.

c) Steht eine groBe Zahl verschiedener Datenkollekfive zur Verffigung, so ergibt sich oft das Problem, dartiber zu entscheiden, welche der Daten benutzt werden sollen. In diesen und ~mlichen Fallen k/Snnen erfolgreich die modemen entscheidungs- theoretischen Methoden angewendet werden, die mat den Fragestellungen und Me- thoden der beurteilenden Statistik eng zusammenh/ingen (man denke an das Problem optimaler Entscheidungen oder Auswahlen bei gegebenen Optimaiit~tsbedingungen).

d) SchlieBlich ist zu priifen, ob die zur Verfiigung stehenden Daten und Ersatz&ten clirekt ftir den praktischen Einsatz geeignet sind, oder ob Transformationen not- wendig sind (wie z. B. Trendbereinigungen und fihnliches).

2. Die zweite Aufgabe, die der Statistik zukommt, und welche mAt der ersten sehr eng zusammenh/ingt, ist die unbedingt erforderliche Gtitebeurteilung der zu benutzenden Daten. Es ist klar, dab jede praxisbezogene Aussage, die auf Statistiken irgendwelcher Art basiert, an Weft verliert und m6glicherweise sogar sinnlos wird, wenn die zugrunde liegenden Daten rticht den notwendigen Qualit~tsanforderungen entsprechen. Der Statistiker mag am ehesten in der Lage sein, die Gtite vorliegender statistischer Daten zu beurteilen und je nach Gtitegrad verschieden groBe Unsicherheitsbereiche anzugeben, die bei den SchluBfolgerungen in Rechnung gestellt werden miissen. Die Aussagen, die als Ergebnisse ver/Sffentlicht werden, k6rmen dann mat Wahrscheiniichkeiten versehen werden und gewinnen &mAt an Vertrauenswiirdigkeit. Die hier angesprochene Gtitekontrolle muB verschiedene Probleme beachten - zwei wichtige lJberlegungen sindflie folgenden:

a) Insbesondere der intemationale Vergleich statistischer Angaben - er wird bei Fragen der Friedensforschung nicht selten notwendig sein - vermAndert oft die Gfite statistischer Angaben. Einzelheiten zu diesem Problem linden sich in der Arbeit yon R. Wagenffihr [7].

b) Der tnformationswert statistischer Angaben und damit die Gtite der Daten karm wesentlich dadurch erh/Sht werden, dab I-Iilfsdaten herangezogen werden, mat deren Hilfe fiber die Korrelationsrechnung auf die Entwicldung der eigentllchen Basisdaten geschlossen werden kann. Eventuelle Hypothesen k/Snnen auf diese Weise verst/irkt oder abgeschwacht werden. De~: Einsatz elektronischer Rechenanlagen erleichtert diese Arbeit betrachtlich, well in kurzer Zeit eine groBe Zahl yon Zusammenh~gen iiberprfift werden urid die Auswahl im Sinne der Fragestellung brauchbarer Angaben sehr rasch erfolgen karm.

3. Werden - wie in der vorliegenden Studie - z u m Beispiel die wirtschaftlichert Aus- wirkungen altemativer Kriegseinfltisse untersucht, so ist es meines Erachtens unum- g~nglich, ein plausibles und realitatsnahes Wirtschaftsmodell zu benutzen, welches nicht nur prim~ire Auswirkungen bestimmen laBt, sondem die dutch die/Skonomischen

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Interdependenzen bestimmten sp~teren und weitreichenderen Konsequenzen erreehnet. Die Konstruktion derarfiger Modelle ist Aufgabe der Okonometriker, die ihrerseits mit statistischen Methoden vorgehen und yon stadstischen Angaben ausgehen. Bei der Konstruktion der Modelle, das heil3t bei der Besdmmung der analytischen Form der zu benutzenden Funktionen und der 13berpriifung der Zusammenh~nge zwischen ihnen, abet auch bei der Anwendung der Modelle selbst, empfiehlt sich wieder der Einsatz yon Rechenanlagen, die diese Arbeiten sehr rasch und unter Einsatz yon effizienten Me- thoden, die wegen ihrer Komplexit~t per Hand kaum noch zu verwenden sind, durch- fahren k/Snnen. Mit derardgen Modellen kSnnen viele versebiedene alternative F~lle ohne groSen Zeit- aufwand durchgespielt werden, ohne daft man sich dabei nur auf die Direktwirkungen der Kriegseinfltisse be.schr~nken mtil3te. Offensiehtlich k/Snnte man auf diesem Weg zu brauchbaren Ergebnissen gelangen, wobei m6glicherweise auch ohne besondere Schwierigkeiten innerhalb des Modells Ausweiehm/Sglichkeiten (Ersatzproduktionen, technologische Umwege etc.) gesucht werden kSnnten. Alle denkbaren relevanten Altemativen sind auf diese Weise rasch zu untersuchen und beliebige F/ille kSnnen simuliert werden (die zunehmende Zahl der VerSffentliehungen zur Simulationstheorie und damit verwandten Gebieten enthalten entsprechende Beispiele in gentigender Zahl). 4. Der Statistik kommt im Rahmen der bier behandelten Fragestellungen sehliei31ich noch eine weitere Aufgabe zu, die als letzte genannt werden soll: Jede Analyse der Auswirkungen eventueller Kriegseinfltisse ist zukunftsbezogen, das heiBt, es mtissen bestimmte Entwicldungen prognostiziert werden. Weder kann man yon den heute m6glichen Waffenwirkungen auf die Dauer ausgehen, noch kann bei der Diskussion der 8konomischen Auswirkungen der wirtsclaaftliche Rahmen und das 8konomische Geschehen der Gegenwart unterstellt werden. Ftir den Wirtschaftsstatistiker ist vor allem der zweite Punkt yon Interesse; je nachdem, welcher Zeitlaorizont bei der Analyse unterstellt wird, ergeben sich auf Grund der prognostizierbaren wirtschaftlichen Ent- wicklung unterscbiedliche Wirtschaftsstruktu~en, an denen die Auswirkungen alter- nativer Kriegseinflfisse zu tiberprtifen sin& Das gesamte Analyseproblem wird somit um eine Dimension erweitert, das heigt, es mul3 dynamisch gesehen werden. In diesem Zusammenhang steht der Statistiker zum Beispiel vor den folgenden Aufgaben:

a) Geeignete Prognosemethoden mtissen ausgew~hlt werden, wobei insbesondere die gesamte Problematik der Zeitreihenanalyse berticksichtigt werden muff.

b) Die ftir die Prognose notwendigen Ausgangsdaten miissen beschafft und iiberpriift werden.

c) Die Prognoseergebnisse mtissen kontrolliert und interpretiert werden; sie miissen auf ihre Vertrauenswtirdigkeit tiberprtift werden; Fehlerbereiche der Voraus- schfitzungen sind zu bestimmen.

Es gentigt also nicht, ein Wirtschaftsmodell, wie es oben im Punkt 3 gefordert wurde, zu entwickeln, um mit dessert Hilfe die eventuellen Kriegsauswirkungen zu studieren; vielmehr mul3 dieses Model1 >>fortgeschrieben<< werden, um zu realistischen Aussagen zu gelangen, die sich auf m/Sgliche zuk0x~ftige Ereignisse beziehen. Im Zeichen des sich beschleunigenden teehnologischen Wandels kann nicht erwartet werden, dab die heutige Wirtschaftsstruktur auch die zukfinftigen Strukturen zutreffend beschreibt. Da die Reaktionen sich ~ndemder Strukturen auf Kriegseinfliisse ceteris paribus aber ver- sehieden yon den heute denkbaren Reaktionen sein werden, kann nut die Beriicksich- tigung der m6gliehen zukiinftigen _~nderungen zu brauehbaren Aussageergebnissen

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ftihren, die dann ihrerseits Grundlage politischer Entscheidungen und Mal3nahmen sein k/Snnen. Diese - durchaus unvollst~ndige - AufzShlung der Aufgaben des Statistikers in der Friedensforschung orientierte sich ausschlieBlich an der yon Carl-Friedrich yon Weiz- s~cker herausgegebenen Studie und dabei speziell an der Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen alternativer Kriegseinfltisse. Es ist klar, dab bei anderen Fragestellungen der Kriegsforschung weitere Aufgaben hinzukommen, bzw. dab es generell im Rahmen der Friedensforschung ftir den Statistiker ein breites Betiitigungsfeld gibt. Die obige Diskussion sollte zeigen, dab die statistische Arbeit zur L~Ssung vieler Probleme, die sich die Friedensforschung zu 1/Ssen vorgenommen hat, beitragen kann - yon der Bereitstellung und Er/Srterung der Ausgangsdaten tiber die Lieferung effizienter Analysemethoden bis zur Endauswertung der Ergebnisse, ihrer Kontrolle und der notwendigen Fehlerrechnung. Dies gilt um so mehr, je mehr man sich datum bemiiht, quantitative Untersuchungen durchzuftihren, denen in Zukunft wachsendes Gewicht zukommen sollte. Die Studie >~Kriegsfolgen und Kriegsverhtitung<< ist ein erster viel- versprechender Schritt in diese Richtung - es bleibt zu hoffen, dag sie der AnstoB fiir weitere Forschungsanstrengungen sein kann.

Literaturverzeichnis

[1] Horst Afheldt : Analyse der Sicherheitspolitik dutch Untersuchung der kritischen Parameter (Methodik der Studie, Zusammenhang und Ergebnisse der Arbeiten), in: Kriegsfolgen und Kriegsverhtitung, . . . siehe [3], Seite 23ff.

[2] Friedensforschung, Hrsg.: E. Krippendorff, K61n und Berlin 1968. [3] Kriegsfolgen und Kriegsverhiitung, Hrsg.: Carl-Friedrich yon Weizs~icker, Mtinchen 1971. [4] P. Mencke-Gliickert: Friedensstrategien - Wissenschaftliche Techniken beeinflussen die

Politik, Rowohlt-Paperback, Bd. 77, 1969. [5] Utz-laeter Reich : Die wirtschafdichen Sch~iden eines atomaren Krieges in der Bmades-

republik Deutschland mad ihre Folgen, in: K.riegsfolgen und Kriegsverhtitung, . . . siehe [3], Seite 199ff.

[6] Philipp Sonntag : Mathematische Analyse der Wirkungen yon Kernwaffenexplosionen in der BRD, in: Kriegsfolgen und Kriegsverhiitmag, . . . siehe [3], Seite 75ff.

[7] Rol f Wagenfiihr : Der internationale wirtschafts- und sozialstatistische Vergleich, Freiburg 1959.

[8] Carl-Friedrich yon Weizslicker: Atomenergie und Atomzeitalter, zw61f Vorlesungen, Frankfurt 1957.

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