Strafrecht BT Tötungsdelikte (Repetition) und Schwangerschaftsabbruch Vorlesung vom 19. Oktober...

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Strafrecht BT Tötungsdelikte (Repetition) und Schwangerschaftsabbruch Vorlesung vom 19. Oktober 2009 HS 2009 Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern

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Strafrecht BT

Tötungsdelikte (Repetition) und Schwangerschaftsabbruch

Vorlesung vom 19. Oktober 2009

HS 2009

Ass.-Prof. Dr. Jonas WeberInstitut für Strafrecht und KriminologieUniversität Bern

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Allgemeiner Aufbau einer Tatbestandsprüfung am Beispiel des vorsätzlichen Erfolgsdelikts (= Normalfall)

Tatbestandsmässigkeit1. Objektiver Tatbestand

– besondere Tätereigenschaften (falls Sonderdelikt)– Tatobjekt (= Angriffsobjekt)– Tathandlung– Erfolg– Kausalzusammenhang– objektive Zurechnung

2. Subjektiver Tatbestand– Vorsatz– besondere Absicht– besondere Gesinnung

(3. Objektive Strafbarkeitsbedingungen)

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Vorsätzliche Tötung (Art. 111) – Prüfungsschema

Tatbestandsmässigkeit1. Objektiver Tatbestand

– Tatobjekt: Mensch– Tathandlung– Taterfolg: Tod– Kausalzusammenhang: natürliche Kausalität– objektive Zurechnung

2. Subjektiver Tatbestand– Vorsatz

RechtswidrigkeitSchuld

- insb. Art. 19: Schuldunfähigkeit (Abs. 1) und verminderte Schuldfähigkeit (Abs. 2)

– insb. abnorme (krankhafte) Elemente in der Persönlichkeit des Täters, welche die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit ausschliessen bzw. einschränken (Nähe zu Art. 113: Totschlag)

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Vorgehen bei der Prüfung der Qualifikation (Art. 111) und der Privilegierungen (Art. 113, 114, 116) der vorsätzlichen Tötung

1. Schritt: Prüfung der vorsätz-lichen Tötung gemäss Art. 111• Tatbestandsmässigkeit• Rechtswidrigkeit• Schuld

2. Schritt: Prüfung der qualifizie-renden bzw. privilegieren Merkmale• Tatbestandsmässigkeit• (Schuld)

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Mord (Art. 112) – Prüfungsschema

besondere Skrupellosigkeit als qualifizierendes Tatbestandselement

> Gesamtwürdigung aller äusseren (objektiven) und inneren (subjektiven) Umstände, unter denen der Täter im konkreten Fall gehandelt hat

> keine Gliederung in objektiven und subjektiven Tatbestand

> die objektiven Umstände, die (eventuell zusammen mit subjektiven Umständen) die besondere Skrupellosigkeit begründen, müssen jedoch vom Vorsatz des Täters umfasst sein, was ebenfalls zu prüfen ist

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Totschlag (Art. 113) – Prüfungsschema

entschuldbare heftige Gemütsbewegung (= Affekt) bzw. entschuldbare grosse seelische Belastung als privilegierendes Tatbestandselement> keine Gliederung in objektiven und subjektiven Tatbestand> heftige Gemütsbewegung (= Affekt): akute (plötzlich auftretende) psychische Drucksituation

- Abgrenzung von der Gemütsbewegung, die vorwiegend durch abnorme (krankhafte) Elemente in der Persönlichkeit des Täters bedingt ist; diese sind "nur" bei der Schuld zu berücksichtigen und können keine Privilegie-rung gemäss Art. 113 begründen

- möglich ist jedoch ein Zusammentreffen von Affekt und persönlichkeits-bedingter Gemütsbewegung; dann kann Affekt zu einer Anwendung von Art. 113 und die persönlich-keitsbedingte Gemütsbewegung zusätzlich zu einer verminderten Schuldfähigkeit im Rahmen von Art. 113 führen

> seelische Belastung: psychische Drucksituation, die sich über längere Zeit entwickelt hat> entschuldbar: "Massstab des Durchschnittsmenschen"

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Tötung auf Verlangen (Art. 114) – Prüfungs-schema

Objektiver Tatbestand> ernsthaftes und eindringliches Verlangen des Betroffenen

- Urteilsfähigkeit des Betroffenen- Initiative muss vom Opfer ausgehen; intensives Bitten, das nach dem

Willen des Betroffenen in unmittelbarer Zukunft erfüllt werden soll

Subjektiver Tatbestand> Vorsatz

- Wissen des Täters um das Verlangen des Betroffenen- Wille, dem Verlangen nachzukommen; Verlangen muss kausal sein für

den Tatentschluss> achtenswerte Beweggründe

- müssen Opfer bezogen sein; insbesondere Mitleid

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Kindestötung (Art. 116) – Prüfungsschema

Tatbestandsmässigkeit1. objektiver Tatbestand

– Sonderdelikt: als Täterin kommt nur die Mutter in Frage– Tatobjekt: neugeborenes Kind der Täterin– Zeitpunkt: während od. unmittelbar nach der Geburt (d.h. ab

Einsetzen der Eröffnungswehen bis ca. 2 Std. nach der Geburt)2. subjektiver Tatbestand

– Vorsatz

(Verschulden)– Verminderung der Schuldfähigkeit wegen Geburt wird

gesetzlich vermutet und ist Grund für die Privilegierung; kann beim Verschulden nicht ein zweites Mal berücksichtigt werden

– jedoch gegebenenfalls Berücksichtigung anderer Faktoren, welche die Schuldfähigkeit tangieren

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Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema

Charakterisierung- inhaltlich keine Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung; sondern

eigenständiger Tatbestand- Ausgestaltung der Anstiftung zur bzw. Gehilfenschaft bei

Selbsttötung als eigenständiger Straftatbestand, da Selbsttötung nicht strafbar ist (daher keine Anwendung der allgemeinen Bestimmungen zur Teilnahme gemäss Art. 24 und 25, weil keine Haupttat)

- Abschliessende Regelung der strafbaren Beteiligung an einer eigenverantwortlich begangenen Selbsttötung.

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Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema (Fortsetzung)

TatbestandsmässigkeitObjektiver Tatbestand

– Selbsttötung eines anderen– Betroffener verursacht seinen eigenen Tod; alleinige

Tatherrschaft beim Betroffenen– Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen– muss zumindest versucht worden sein

– Tathandlung: Anstiftung im Sinne von Art. 24 oder Gehilfenschaft im Sinne von Art. 25

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Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema (Fortsetzung)

Subjektiver Tatbestand– Vorsatz

– betreffend Selbsttötung des anderen– betreffend Verleitung (Tatentschluss) bzw. Hilfeleistung

– selbstsüchtige Beweggründe– materielle Vorteile: Geld (Erbschaft; Entschädigung für

Hilfeleistung ???)– immaterielle Vorteile: Aufmerksamkeit ???

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Exkurs: Tätigkeit von Sterbehilfeorganisatio-nen wie Exit oder Dignitas

Charakterisierung der Tätigkeit: Hilfeleistung für Sterbewillige durch Zur-Verfügung-Stellen von tödlichen Stoffen und/oder Anleitung zur Selbst-tötung

- keine "tatherrschaftliche" Tötungshandlung durch den Sterbehelfer; Tatherrschaft beim Suizidenten

- Problem: Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen

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Exkurs: Tätigkeit von Sterbehilfeorganisatio-nen wie Exit oder Dignitas (Fortsetzung)

Strafrechtliche Erfassung- Normalfall: Beihilfe zum Selbstmord gemäss Art. 115

– Entscheidend für Strafbarkeit: Selbstsüchtige Beweggründe– in der Praxis meist zu verneinen– jedoch heute in der politischen Öffentlichkeit vermehrt

angesprochen: Entschädigung für Hilfeleistung; Aufmerksamkeit in den Medien und in der Öffentlichkeit ("Geltungssucht")

- bei fehlender Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen– Art. 115 und auch Art. 114 scheiden aus– anwendbar ist Art. 111– Problem: Sachverhaltsirrtum betreffend Art. 115 (Irrtum über

die Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen)– BGer-Urteil 6B_48/2009 vom 11. Juni 2009

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Exkurs: Ärztliche SterbehilfeÄrztliche Sterbehilfe

im Rahmen der ärztlichen Behandlung oder Betreuung; bei unheilbarer Krankheit mit baldigem Todeseintritt;

reales od. mutmassliches Einverständnis des Betroffenen

Aktive Sterbehilfe(Handeln)

Passive Sterbehilfe(Unterlassen)

Verzicht auf lebens-verlängernde Thera-pien; nach h.L. auch Abbruch von lebens-verlängernden The-rapien

nicht strafbar

Indirekteaktive Sterbehilfe

schmerzlinderde Mittel mit Herabsetzung der Lebensdauer als Nebenwirkung

nicht strafbar

Direkteaktive Sterbehilfe

zielgerichtete Tötung zur Verkürzung des Leidens

strafbar gemäss Art. 114

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Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 - 120) – Einordnung im Gesetz

> Straftaten gegen Leib und Leben

- Tötungsdelikte (Art. 111 - 117)

- Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 - 121)- Körperverletzungsdelikte (Art. 122 - 126)

- Gefährdung des Lebens und der Gesundheit (Art. 127 - 136)

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Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Systematik der Straftatbestände

Art. 118: Strafbarer Schwangerschaftsabbruch

- Abs. 1: durch Dritte mit Einwilligung der Schwangeren

- Abs. 2: durch Dritte ohne Einwilligung der Schwangeren

- Abs. 3: durch die Schwangere nach der zwölften Schwangerschaftswoche

Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch

- Abs. 1: Indikationenregelung

- Abs. 2: Fristenregelung

Art. 120: Übertretungen durch Ärztinnen und Ärzte bei Fristenregelung

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Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Rechtsgut

Primär geschütztes Rechtsgut: (entstehendes) menschliches Leben während der Schwangerschaft (pränataler Lebensschutz)

- Schutz auch gegenüber der Mutter; allerdings (aufgrund der Fristenregelung) erst nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode

Sekundär geschütztes Rechtsgut: Gesundheit und Selbstbestimmungs-recht der schwangeren Frau (Schutz über bestimmte Rechfertigungs-gründe)

- Indikationsregelung: Gesundheit der Frau

- Fristenregelung: Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau

Spannungsverhältnis zwischen den beiden Rechtsgütern bzw. Interessen

- pränataler Lebensschutz versus Gesundheit und Selbstbestim-mungsrecht der schwangeren Frau

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Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Tatobjekt

Tatobjekt: Schwangerschaft = "Leibesfrucht"

- menschliche Embryonen bzw. Föten– Embryo: von der Kernverschmelzung von Eizelle und Samen bis

zum Abschluss der Organentwicklung (d.h. circa bis zur 8. Schwangerschaftswoche)

– Fötus: vom Abschluss der Organentwicklung bis zur Geburt (d.h. circa ab der 9. Schwangerschaftswoche)

– unabhängig von der Lebensfähigkeit nach der Geburt

- Beginn der Schwangerschaft (im strafrechtlichen Sinn)– Nidation: Einnistung der befruchteten Einzelle in der

Gebärmutterschleimhaut (gleichgestellt: Implantation)– Art. 118-120 nicht anwendbar zwischen Befruchtung und Einnistung

- Ende der Schwangerschaft (im strafrechtlichen Sinn)– Einsetzen der Eröffnungswehen; danach Schutz gemäss Art. 111 ff.

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1)

Art. 118: Strafbarer Schwangerschaftsabbruch

1 Wer eine Schwangerschaft mit Einwilligung der schwangeren Frau abbricht oder eine schwangere Frau zum Abbruch der Schwangerschaft anstiftet oder ihr dabei hilft, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Täterperson: jede Person ausser der Schwangeren selbstTatobjekt: Schwangerschaft (d.h. Embryo bzw. Fötus)Drei Tathandlungsvarianten

- 1. Abbrechen der Schwangerschaft- 2. Anstiftung einer schwangeren Frau zum Abbruch der

Schwangerschaft- 3. Hilfe an die schwangere Frau bei Abbruch der Schwangerschaft

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1)

1. Tathandlungsvariante: Abbrechen der Schwangerschaft- = jedes Abtöten eines Embryos oder Fötus zwischen Nidation und

Einsetzen der Geburtswehen- mit Einwilligung der Schwangeren

– Urteilsfähigkeit– keine Willensmängel– ausdrückliche oder konkludente Mitteilung

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1)

2. Tathandlungsvariante: Anstiftung einer schwangeren Frau zum Abbruch der Schwangerschaft

- Anstiftung als eigenständige Tatbegehung- Voraussetzungen im Sinne von Art. 24

– objektiv: Hervorrufen des Entschluss zur Abtreibung bei der Schwangeren sowie vorsätzlicher und rechtswidriger Schwangerschaftsabbruch im Sinne von Art. 118 Abs. 1 oder Abs. 3 (mind. Versuch)

– subjektiv: Vorsatz betreffend Schwangerschaftsabbruch und betreffend Anstiftung (Tatentschluss)

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1)

3. Tathandlungsvariante: Hilfe an die schwangere Frau beim Abbruch der Schwangerschaft

- Gehilfenschaft als eigenständige Tatbegehung- Voraussetzungen im Sinne von Art. 25

– objektiv: kausaler Beitrag zu einem vorsätzlichen und rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch im Sinne von Art. 118 Abs. 1 oder Abs. 3, der mind. versucht worden ist

– subjektiv: Vorsatz betreffend Schwangerschaftsabbruch und betreffend Gehilfenhandlung

- Versuch strafbar

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1)

Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (Eventualvorsatz ausreichend)> insb. Kenntnis von der Einwilligung der Schwangeren

- liegt gar keine Einwilligung der Schwangeren vor: Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 13 Abs. 1

- hat Täter keine Kenntnis von der Einwilligung, die aber tatsächlich vorliegt: untauglicher Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 118 Abs. 2

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 2. TB-Variante: durch Dritte ohne Einwilligung (Abs. 2)

2 Wer eine Schwangerschaft ohne Einwilligung der schwangeren Frau abbricht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

Objektiver Tatbestand

- Täterperson: jede Person ausser der Schwangeren selbst- Tatobjekt: Schwangerschaft (d.h. Embryo bzw. Fötus)- Tathandlung: Abbrechen der Schwangerschaft

Subjektiver Tatbestand

- Vorsatz (Eventualvorsatz ausreichend)– wenn Täter irrtümlicherweise annimmt, Schwangere habe

eingewilligt: Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 13 Abs. 1, der zu Strafbarkeit gemäss Art. 118 Abs. 1 führt

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 2. TB-Variante: durch Dritte ohne Einwilligung (Abs. 2)

Besondere Konstellation: Tötung einer schwangeren Frau

- bei Wissen oder Inkaufnahme, dass Opfer schwanger ist: echte Konkurrenz zwischen Tötungsdelikt und Art. 118 Abs. 2

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 3. TB-Variante: durch Schwangere (Abs. 3)

3 Die Frau, die ihre Schwangerschaft nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode abbricht, abbrechen lässt oder sich in anderer Weise am Abbruch beteiligt, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 Absatz 1 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Objektiver Tatbestand- Täterkreis: nur Schwangere selbst- Zeitpunkt: nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten

Periode; vorher ist die Schwangere selbst in jedem Fall straflos- Tathandlungen

– aktiver Schwangerschaftsabbruch– passiver Schwangerschaftsabbruch– Beteiligung am Abbruch in anderer Weise

Subjektiver Tatbestand: Vorsatz

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Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – Sanktionsdrohung und Verjährung

Sanktionsdrohung

- Abs. 1: FS bis 5 Jahre oder GS (Verbrechen)

- Abs. 2: FS von 1 bis 10 Jahren (Verbrechen)

- Abs. 3: FS bis 3 Jahre oder GS (Vergehen)

Verjährung (Abs. 4)

- Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 1: verkürzte Verjährungsfrist von 3 Jahren

- Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 2: normale Verjährungsfrist von 15 Jahren (Art. 97 Abs. 1 lit. b)

- Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 3: verkürzte Verjährungsfrist von 3 Jahren

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Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Systematik

Rechtsnatur: Rechtfertigungsgründe

- Abs. 1: Indikationsregelung– relevant nach der zwölften Woche seit Beginn der letzten

Periode

- Abs. 2: Fristenregelung– anwendbar im Zeitraum zwischen der Nidation und dem

Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode

Wichtig: für die Strafbarkeit der Schwangeren selbst ist der Rechtferti-gungsgrund der Fristenregelung bedeutungslos, da ihr Verhalten im betreffenden Zeitraum gemäss Art. 118 Abs. 3 gar nicht tatbestands-mässig ist.

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Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Fristenregelung (Abs. 2)

Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch

2 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ebenfalls straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau, die geltend macht, sie befinde sich in einer Notlage, durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt vorgenommen wird. Die Ärztin oder der Arzt hat persönlich mit der Frau vorher ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten.

Fünf Voraussetzungen

- 1. Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der Frist

- 2. Ausführung durch zugelassenen Arzt

- 3. Schriftliches Verlangen der Schwangeren

- 4. "Notlage"

- 5. Beratungsgespräch

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Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Indikationsregelung (Abs. 1)

Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch

1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.

Drei Voraussetzungen

- 1. Medizinische oder sozial-medizinische Indikation– Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung

der schwangeren Frau– Gefahr einer schweren seelischen Notlage für die

schwangere Frau

- 2. Zustimmung der Schwangeren

- 3. Ausführung durch zugelassenen Arzt

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Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Organisationsvorschriften (Abs. 4 und 5)

4 Die Kantone bezeichnen die Praxen und Spitäler, welche die Voraussetzungen für eine fachgerechte Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und für eine eingehende Beratung erfüllen.

5 Ein Schwangerschaftsabbruch wird zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde gemeldet, wobei die Anonymität der betroffenen Frau gewährleistet wird und das Arztgeheimnis zu wahren ist.

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Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Systematik

Art. 120: Übertretungen durch Ärztinnen oder Ärzte

1 Mit Busse wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der eine Schwangerschaft in Anwendung von Art. 119 Abs. 2 abbricht und es unterlässt, vor dem Eingriff:

a. von der schwangeren Frau ein schriftliches Gesuch zu verlangen;

b. persönlich mit der schwangeren Frau ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten, sie über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs zu informieren und ihr gegen Unterschrift einen Leitfaden auszuhändigen, welcher enthält:

1. ein Verzeichnis der kostenlos zur Verfügung stehenden Beratungsstellen,

2. ein Verzeichnis von Vereinen und Stellen, welche moralische und materielle Hilfe anbieten, und

3. Auskunft über die Möglichkeit, das geborene Kind zur Adoption freizugeben;

c. sich persönlich zu vergewissern, dass eine schwangere Frau unter 16 Jahren sich an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat.

2 Ebenso wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der es unterlässt, gemäss Art. 119 Abs. 5 einen Schwangerschaftsabbruch der zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden.