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Studienschwerpunkt: Sprachtheorie und Semiotik Universität Bremen Fachbereich 10 Dialekte im Kontakt: Lëtzebuergesch und Plattdeutsch (Niederdeutsch) Socrates-Austausch Bremen – Valladolid April 2006

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Dialekte im Kontakt: Lëtzebuergesch und

Plattdeutsch (Niederdeutsch)

Socrates-Austausch Bremen – ValladolidApril 2006

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Die Einteilung der deutschen Dialekte im deutschen Sprachatlas

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Niedergang der Mittelniederdeutschen Schriftsprache

• Der Bedeutungsverlust der Hanse im späten 15. Jahrhundert (z.B. im Konflikt mit England und dem „Merchant Adventures“) zog den Niedergang der niederdeutschen Schriftsprache nach sich. Die neuen Medien, besonders der Buchdruck und das Reformations-schrifttum, entschieden die Konkurrenz zugunsten des Frühneuhochdeutschen. Die Karten in Moser, 1965 verdeutlichen den dramatischen Verlust der Schrift-sprachlichkeit im niederdeutschen Areal zwischen 1500 und etwa 1650.

• In Abbildung 4 a und b wird das Vordringen der ostmittel-deutschen Schriftsprache sichtbar.

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Die Schriftsprachen in der frühen Neuzeit Schriftsprachen

Deutschlands und der Niederlande

im zweiten Viertel des

17. Jahrhunderts

Schriftsprachen Deutschlands und der Niederlande um 1500

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Das Niederdeutsche (Plattdeutsche)

Am Beispiel des Bremer Platts und seiner Verdrängung

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Das Bremer Platt• Gliederungen und Grenzziehungen im sprachgeographischen

Raum sind immer unsicher und beruhen meist auf der mehr oder weniger begründeten Auswahl einzelner Isoglossen und auf historischer Plausibilität. Das Bremer Gebiet gehört zum West-niederdeutschen und spezieller zum Nordniedersächsischen. Die weitere Untergliederung ist stärker umstritten. Als Nachbarn des Bremer Gebiets kommen in Frage: Ostfriesisch, Emsländisch (indirekte Nachbarn), Oldenburgisch, Nordhannoversch.

• In Appel (1994) wird das niedersächsische Gebiet in sieben Regionen unterteilt. Bremen liegt fast in der Mitte der Region B, die im Westen noch Cloppenburg und Aurich enthält, im Süden keilförmig bis an Vechta heranreicht und auf einer Linie nordöstlich Hoya ausgrenzt, Verden und Rothenburg an der Wümme einschließt und die Elbe südlich von Hamburg erreicht. Abbildung 6 lokalisiert dieses Gebiet geographisch.

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Die Dialektregion B umfasst die weitere Umgebung von Bremen

Region A charakterisiert die Dialekte an der holländischen Grenze im Westen

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Infinitiv been (bieten)

breken (brechen)

doon (können)

1. Pers. bee brek do2. Pers. bust brickst deistPlur.:1. Pers.

beet brekt doot

Schwache Präteritumsbildung im Bremischen

Infinitivformen Präteritum Part. Prät.hapen (hoffen) haapde haaptheeten (heißen) heetde heeten (st.)kloppen (klopfen) kloppde kloppt

bruken (brauchen) brukde brukt

tögen (warten) töfte töft

Paradigma der Personen im Präsens

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Konstellationen der Mehrsprachigkeit Spätes Mittelalter (Hansezeit)

Volk (regionales Nd.) Verwaltung (Mittnd.)

Frühe Neuzeit (ab ca. 1540)

Volk (regionales Nd.) Verwaltung / Hof (Hd.)

17.—19. Jh.

Volk (regionales Nd.) Verwaltung / Hof (Hd.; teilweise Französisch, Niederländisch)

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Die soziolinguistische Situation des Platt-deutschen in Bremen

Ein neueres Ergebnis auf der Basis von 1033 durchgeführten Interviews erbrachte die vom Niederdeutschen Institut in Auftrag gegebene GETAS-Studie (1979). Eine der Fragen lautete:Können Sie Plattdeutsch sprechen?

• - Ja, gut.• - Ja, ein bisschen.• - Nein, gar nicht.Die Antworten zeigen eine deutliche Abhängigkeit der Ergebnisse von den

Faktoren: Alter und Ansässigkeit. Wir verwenden nur die Teilantwort "ja, gut" für unseren Vergleich.

Alter 18-29 30-44 45-59 60-ja, gut 6% 19% 32% 47%

Ergebnisse der Bremer GETAS-Umfrage 1979

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Sprachwechsel in Bremen anhand sprachbiographischer Interviews

• In Erhebungen Anfang der 80er Jahre habe ich etwa 70 ältere Menschen in Bremen befragt, um Lebensumstände und Gründe des Sprachwechsels Plattdeutsch—Hochdeutsch aufzudecken.

• Es gab somit formelle Erziehungssituationen, in denen das Hochdeutsche von den Eltern erzwungen wurde, die selbst Platt sprachen. Außerhalb dieser Situationen wurde vielfach auch von den Kindern Platt gesprochen. Diese zwiespältige Situation förderte natürlich auch die Sprachmischung.

• In der ländlichen, peripher wohnenden Unter- und Mittelschicht war das Plattdeutsche im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts noch recht stabil, es gab sogar eine bewusste Opposition gegen die Stadt und ihr Hochdeutsch. Allerdings gingen die großen Bauern bereits in dieser Zeit dazu über, mit ihren Kindern Hochdeutsch zu sprechen und sich damit sprachlich von den Kleinbauern und Tagelöhnern abzuheben. Generell ergibt sich das Bild einer durch starke Umwertungen und Strukturumbildungen in Bewegung geratenen Gesellschaft.

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Sprachwechsel in BremenDer genaue Ablauf des Sprachwechsels wird erst in Umrissen

deutlich. Als Faktoren des Sprachwechsels kommen in Frage:• Eine Entwicklungslinie: Stadtkern—Peripherie: In der Phase der

Eingliederung von Vororten wandert der Sprachwechsel nach außen.

• Ein Bildungs- und Berufsgradient: Die Geldschulen und die höheren Schulen üben einen sozialen Selektionsdruck in Richtung auf die hochdeutsche Umgangssprache aus. Im Anschluss daran werden viele mittelständische Berufe "hochdeutsch", während die Industrieberufe erst nach dem Zweiten Weltkrieg das Hochdeutsche als Umgangssprache übernehmen.

• Bereiche, in denen das Plattdeutsche heute noch dominiert, sind Handwerksbetriebe und bäuerliche Betriebe am Rande der Stadt.

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Der Sprachwechsel in der Familie wird durch die folgende Interviewsequenz beleuchtet:

• Sprecherin 7a (geb. 1902)• Spr.: Nur meine Eltern, die hatten Angst, die ... sprachen immer nur

Platt und die Oma auch, die war in Falkenberg geboren, auch bei Lilienthal, nech, aber immer Platt, aber wenn wir Kinder da waren, denn wurde Hochdeutsch gesprochen. De mot richtich dütsch lern, ... hieß das da, plattdütsche komt se nich mit klor.

• Spr.: ... aber wenn wir Kinder anfingen, auch Platt zu sprechen, dann haben meine Eltern immer gebremst.

Die Sprecherin ging in die "Geldschule, ihre älteren Brüder, die in eine andere Schule gingen bzw. schon aus der Schule waren, durften es sich erlauben, Platt zu sprechen.

• Spr.: Und meine Schule, die war nun 'n bisschen was Besseres.• Spr.:Ja, und da mußte ich da ja nun auch, musste ja nun auch

Hochdeutsch sprechen, nech.

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Entwicklungstendenzen des Niederdeutschen• Die Europäische Charta der Regional- und Minderheiten-

sprachen schützt auch das Niederdeutsche (als Regional-sprache). Es muss nach Bedarf auf allen Schulebenen angeboten werden.

• In den Medien gibt es eine gewisse Präsenz, die aber eher rückläufig ist.

• Am lebendigsten ist die Sprachpflege auf der lokalen Ebene der „Speeldeels“, d.h. der Theatergruppen.

• Eine stabile Sprachgemeinschaft existiert aber nur noch in Ostfriesland und Schleswig-Holstein (evtl. in Mecklenburg-Vorpommern).

• Längerfristig ist die Regionalsprache aber bedroht.

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Lëtzebuergesch(Luxemburgisch)

Vom Dialekt zur Europasprache

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Struktur und soziolinguistische Entwicklung des Lëtzebuergeschen

Fläche 4 (schwarz): gegenwärtiges Staatsgebiet “Grand Duché de Luxembourg”,

Fläche 3(grau) wurde 1839 an Belgien abgetreten

Fläche 2 (schraffiert) wurde 1815 (Wiener Kongress) an Preußen abgetreten

Fläche 1(quadriert) waren bereits 1659 an Frankreich gegangen.

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Skizze des Lëtzebuergeschen • Die Erforschung des Lëtzebuergeschen hängt mit dem seit

Schmellers Arbeiten zum Bayrischen (Grammatik 1821, Wörterbuch 1827 ff) erwachten Interesse an den deutschen Dialekten zusammen. Die erste Arbeit war wohl M. Hardts "Vocalismus der Sauermundart" von 1843.

• Erste Texte in Lëtzebuergesch und damit verbunden der Versuch, eine Orthographie einzuführen, gehen auf Anton Meyer (1829 "E Schrek op de Letzeburger Parnassus") zurück. Die erweiterte Ausgabe von 1854 enthält Ansätze zu einer luxemburgischen Grammatik.

• J.F. Gangler, der 1841 einen Gedichtband ("Koirblumen um Lampersberg geplekt") veröffentlichte, ist auch der Autor des "Lexicon der Luxemburger Umgangssprache" von 1847.

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Die Zeit von 1871 bis 1906 war durch ein verstärktes staatliches Interesse in der Forschung zum Lëtzebuergeschen gekenn-zeichnet. Mit einem Kammerbeschluss von 1897 wurde eine Kommission gebildet, welche bis 1907 am "Wörterbuch der Luxemburger Mundarten" arbeitete. Es baut auf dem von Gangler auf, erfasst aber sowohl das Sprachgut des Dichters E. Dicks (Edmond de la Fontaine, 1823-1923) als auch andere Sprachsammlungen.

Beispiel aus dem Wörterbuch von Gangler (1847):• A, plur. Aën, das Auge, l'oeil; Pfälz. Mundart Ah, Aag; engl. eye

(eih)...t'Aën op oder de' Beidel op ... Ital. Chi non vuol aprir l'occhio, apra la borsa

• A'BANNAHL, die Riemnadel, le passe corde• ABATTOIR , lieu où l'on abbat.. les divers animaux, das

Schlachthaus

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Einige Aspekte der Phonologie Das Luxemburger Wörterbuch unterscheidet 10 "gebrochene"

Vokale. Goudaillier (1985) geht von 8 Diphthongen im Lëtzebuergeschen aus:

1. 'giel' <gelb> 5. 'Äis' <Eis> 2. 'Nuecht' <Nacht> 6. 'schreiven‘<schreiben>3. 'Bréif' <Brief>7. 'Haus' <Haus>4. 'Bouf' <Bube> 8. 'Daum' <Daumen>

Demgegenüber hat die deutsche Hochlautung nur drei Diphthonge, die außerdem in je einem Glied vergleichbar sind: <heiß>, <Heuss>, <Haus>

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Einige Aspekte der MorphologieWie im übrigen deutschen Sprachraum ist das Kasussystem beim

Nomen weitgehend nivelliert worden. Die Karte in dtv-Atlas zur deutschen Sprache zeigt, dass Nominativ und Akkusativ in vielen Fällen zusammengefallen sind. Von den alten Kasus-formen des Nomens überlebt im Lëtzebuergeschen eigentlich nur die Form des Akkusativs, der auch für die anderen Fälle eingesetzt wird (vgl. Bruch, 1973: 45):

• dat as en alen Dreck - das ist ein alter Dreckhal däin alen Dreck - behalt deinen alten Dreck

Die Unterscheidung von Dativ und Genetiv ist nur erhalten im Personalpronomen

• ech soen dir (Dat) - ich sage dirdu brauchst eiser (Gen) - du brauchst uns

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Dialektale Variation im Lëtzebuergeschen und Standardisierung der Schrift

Die verschiedenen Einflusszonen bzw. Reliktzonen sind:• (1) Das Ösling im Norden bildet sprachlich ein Reliktgebiet.• (2) Der Osten mit Mosel und Sauer war vielen mitteldeutschen

Spracherneuerungen ausgesetzt.• (3) Der Süden des Gutlandes gilt als Einflussgebiet des Lothringischen

und Französischen.Die Bemühungen um eine Standardisierung gehen aus von einer

Verkehrssprache, die sich im Tal der "Uelzech" (Alzette, Elz) mit Luxemburg-Stadt als Kern und den Ansiedlungen gegen Norden (Mersch) herausgebildet hat.

Inzwischen liegen mehrere Lehrwerke zum Erlernen der lëtzebuerge-schen Schriftsprache vor und die Normierung wurde bereits in den Domänen der öffentlichen Beschriftung, der Medienarbeit und der privaten Korrespondenz durchgesetzt. Das Lëtzebuergesche als Schriftsprache hat seine Anerkennung in Europa durchgesetzt und wirkt sich zunehmend im Straßenbild (Straßennamen) aus.

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Beispiel: 'Compte rendu des séances publiques' • Die Deckseite ist ganz in Französisch, der Amtssprache

von Justiz und Verwaltung, gehalten. • Eröffnung der Sitzung. Der Beginn des Berichts ist immer

in französischer Sprache, wobei mehrere Varianten vorkommen.

• Die Debatten selbst werden durchgehend in Lëtzebuer-gesch geführt, lediglich die Worterteilung, zitierte Dokumente (schriftliche Materialien), Bemerkungen zu parallelem Geschehen oder Unterbrechungen erfolgen in Französisch.

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Generell scheinen die folgenden Regeln zu gelten:(1) Die Sprache der Gesetze, der offiziellen

Berichte, der Debattenführung im Parlament ist das Französische.

(2) Die mündlichen Debatten (ohne die formellen Anteile, siehe 1) erfolgen in Lëtzebuergesch.

(3) Das Deutsche fehlt vollständig.

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• Das Lëtzebuergesche stellt sprachgeschichtlich die interessante Sonderentwicklung eines Dialektes im Randgebiet der Germania zur Romania bei sprachlich-politisch instabiler Zuordnung (Überdachung) dar. Das zeigt sich einerseits in geringerer Anpassung an den hochdeutschen Standard und damit einem Ausscheren aus der "Modernisierung" der anderen deutschen Dialekte, andererseits tritt die Sprache verstärkt in Kontakt mit der französischen Hochsprache, muss aber ein Gleichgewicht zwischen Anpassung und Selbständigkeit finden.

• Durch die im Laufe des 19. Jahrhunderts konsolidierte und im 20. Jahrhundert verteidigte politische Autonomie des Landes, ist es dem Lëtzebuergeschen bzw. seinen Förderern gelungen, eine schwierige Triglossie mit Dominanz des Lëtzebuergeschen im Alltag zu stabili-sieren. Eine vorsichtige Förderung des Lëtzebuergeschen erlaubt es, den Druck der (schwach) überdachenden Hochsprachen Französisch und Deutsch zu mildern und somit die Eigenständigkeit des Lëtze-buergeschen zu konsolidieren.

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• Das Lëtzebuergesche erweist sich somit in der Sprach-kontaktlandschaft als eine interessante Sonderer-scheinung. Als Kontrast kann das Schicksal des Nieder-deutschen gelten, das z.B. als Stadtsprache in Bremen trotz seiner Schriftlichkeit bis in die Neuzeit und seiner Dominanz im Mündlichen bis Ende des 19. Jahrhunderts schließlich vom Hochdeutschen verdrängt wurde (vgl. oben).

• Gerade im Kontext des Wiederauflebens regionaler Tradi-tionen in Europa ist es lehrreich, am Falle des Lëtze-buergeschen die Bedingungen zu studieren, welche die funktionale Stabilität einer Sprache mit relativ geringem Raum unter dem Kontaktdruck großer Sprachgemein-schaften ermöglichen.

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Entwicklungstendenzen von Kleinsprachen in Europa

• Neben dem Hochdeutschen und dem Niederländischen, die im 16. Jh. den Status von Schrift- und Hochsprachen ausgebildet haben, schickt sich das Lëtzebuergesche an, eine Schriftsprache (allerdings mit Teilfunktionen neben dem Französischen und dem Deutschen) auszubilden.

• Weitere Schriftsprachen in diesem Feld sind das Afrikaans in Süd-Afrika (ab 1910 offizielle Sprache in Südafrika).

• Wenn das Jiddische zur offiziellen Sprache Israels geworden wäre, würde es auch zum Kreis der aus den mittelalterlichen Dialekten des Deutschen hervorgegangenen Schriftsprachen gehören.

• Das Schwyzerdütsch schließlich hat viele offizielle Funktionen im Bereich der Mündlichkeit übernommen und wäre ein zukünftiger Kandidat für eine eigene Schriftsprache.