Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015...Tagung zum Immateriellen Naturerbe,...

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Organisation:

Fachgebiet Spezielle Zoologie

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, 10099 Berlin

Zwillenberg-Tietz Stiftung Forschungsstation Linde

Brunnenweg 2 14715 Märkisch Luch /OT Linde

Links:

https://www.agrar.hu-berlin.de/fakultaet/departments/dntw/index.html/index.html

http://www.zwillenberg-tietz-stiftung.de/wissenschaft-und-forschung/

Impressum: Herausgeber:

Fachgebiet Spezielle Zoologie

Zusammenstellung der Texte und Gestaltung: S. Bengsch, N. Starik, T. Göttert, M. Robischon & U. Zeller

Druck:

Copy-Shop "Copy Clara" Copy-Service Rent-a-Copier, Inhaber: Stefan Kobis, Tucholskystraße 11, 10117 Berlin

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Inhalt

Vorwort Seite 4 Programm Seite 5 Kurzfassungen der Beiträge Seite 8 Liste der Teilnehmer Seite 23 Hintergrundinformationen zum Tagungsort Seite 27

Nachwort Seite 29

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Vorwort

„Unser Erkenntnisapparat ist ein Ergebnis der Evolution. Die subjektiven Erkenntnisstrukturen passen auf die Welt, weil sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese reale Welt herausgebildet haben. Und sie stimmen mit den realen

Strukturen (teilweise) überein, weil nur eine solche Übereinstimmung das Überleben ermöglichte.“ (Gerhard Vollmer 1975)

Die geistige Entwicklung und Entfaltung des Menschen mit seinen sensorischen Fähigkeiten ist auf die belebte und unbelebte Natur abgestimmt, weshalb sich Lebensvielfalt (Biodiversität) in vielen geistigen und schöpferischen Prozessen spiegelt. Zum besseren Verständnis dieser Reflexion bedarf es transdisziplinärer Konzepte unter Einbeziehung sowohl natur- als auch kulturwissenschaftlicher Ansätze.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Fachgebiet (FG) Spezielle Zoologie (Prof. Ulrich Zeller) gemeinsam mit dem FG Fachdidaktik (Prof. Marcel Robischon) und mit Unterstützung durch die Zwillenberg-Tietz Stiftung am 18. September 2014 ein interdisziplinäres Arbeitsgespräch zum Thema „Das immaterielle Naturerbe – vom biologischen Phänomen zur kulturellen Reflexion, betrachtet am Schwerpunktbeispiel der Vogelfauna“, das in einer mit diesem Fachgebiet (Zoologie) der Lebenswissenschaftlichen Fakultät assoziierten Forschungsstation (Linde) stattfand. Neben Vertretern der Fakultät beteiligten sich an dieser Veranstaltung u.a. auch Akteure staatlicher und privater Naturschutzorganisationen. An ausgewählten ornithologischen Beispielen wurde die enge Verflechtung kultureller Aspekte und naturwissenschaftlicher Phänomene aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und damit die Grundlage für diese Tagung gelegt, welche die Thematik in einem breiteren Rahmen aufgreifen soll. Es zeigte sich, dass diese holistische Betrachtung ein großes Potenzial zur Überwindung bestehender Probleme im Zusammenhang mit dem Schutz und der Nutzung von Biodiversität und natürlichen Ressourcen birgt. Eine konsequente Aufarbeitung der Thematik kann für die Entwicklung landschaftsgestaltender und naturschutzfachlicher Strategien von großem Wert sein, sofern diese auf wissenschaftlichen Konzepten beruhen, die der Komplexität der Thematik dadurch gerecht werden, dass die verschiedenen Ebenen kultureller und biologischer Prozesse adäquat erfasst und untersucht werden.

Wir verbinden mit der Tagung die Hoffnung, diesem angestrebten Ziel ein gutes Stück näher zu kommen. Unser Dank gilt allen Teilnehmern für ihre Beiträge. Besonders danken wir auch der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Zwillenberg-Tietz Stiftung, die entscheidend und in vielerlei Hinsicht zur Durchführung unserer Tagung beitragen.

Berlin, im Mai 2015 Für die Veranstalter Prof. Dr. Ulrich Zeller

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Programm

Dienstag, 26. Mai 2015 Anreise 17.00h M. Pistreich, M. Wicke: Begrüßung und Rundgang im Ortsteil Linde

„Natur im Wandel von Schutz und Nutzung am Beispiel des Westhavellandes“ 18.30h Gemeinsames Abendessen im Freien 20.00h T. Lenssen-Erz: Über das Gespür – Fährtenlesen als vernetztes Wissen in

Jäger-Sammler Gesellschaften: Filmvorführung und Diskussion

Mittwoch, 27. Mai 2015

9.00h Kaffee und Tee 9.30h M. Robischon: Immaterielles Naturerbe: eine Begriffserklärung 10.15h V. Mosbrugger: Natur und Kultur - ein Plädoyer für eine "Dritte Kultur" und ein

evolutionäres Selbstverständnis des Menschen 11.00h U. Zeller: Domestikation und Kultur- die neolithische Revolution 12.30h Mittagspause

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13.30h C. Fiderer: Die Jagd als Kulturgut 14.45h M. Berg, T. Potthast: Zur Ethik des Immateriellen Naturerbes –

Konzeptionelle Grundlagen und Fallstudie: Das Beispiel Vogelschutz und Vogeljagd auf Malta

15.30h Nachmittagskaffee vor der Scheune 16.15h L. Jordan: Das UNESCO Memory of the World-Programm, unter besonderer

Berücksichtigung der Beziehung zum immateriellen Naturerbe

16.45h T. Lenssen-Erz: Über das Gespür – Fährtenlesen als vernetztes Wissen in Jäger-Sammler Gesellschaften

17.30h T. Lenssen-Erz: Von Regenbeinen und Regenhaaren – Metaphern intakter

Lebenswelten in der prähistorischen Felskunst Namibias und im indigenen Wissen der San

19.00h Abendessen im Freien (Grill)

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Donnerstag 28. Mai 2015

9.30h Kaffee und Tee 10.15h B. Seitz: Das Biosphärenreservat im Südschwarzwald: Kultur-und Naturschutz 11.15h B. Seitz: (R)Evolution auf Madagaskar 12.00h N. Starik: Im Zeichen der Fledermaus – kulturell-naturwissenschaftliche

Reflexion einer charismatischen Tiergruppe 12.45h T. Göttert: Die Avifauna als Gegenstand kultureller Reflexion in Afrika und

Europa 13.30h Mittagessen Nachmittag: Ornithologische Exkursion und Besichtigung von Gut Ribbeck (auf den Spuren

von Theodor Fontane) Anschließend: gemeinsames Abendessen oder Abreise

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Kurzfassungen der Beiträge

Natur im Wandel von Schutz und Nutzung am Beispiel des Westhavellandes M. Wicke, Märkisch Luch (Linde) Das Westhavelland ist heute als Naturpark das größte Schutzgebiet Brandenburgs (1.315 km²), gilt als das größte mitteleuropäische Brut- und Rastgebiet für Wasser- und Watvögel im Binnenland und ermöglicht zugleich, aufgrund seiner geringen Lichtverschmutzung, als Sternenpark erhellende Einblicke in den Nachthimmel. Die wandlungsreiche Geschichte dieser Region im Land Brandenburg beginnt allerdings bereits etwa 20.000 Jahre zuvor, als im Zuge der Weichseleiszeit in den tieferen Lagen ausgedehnte Moor- und Sumpfgebiete entstanden. Deren landwirtschaftliche Nutzung war erst mit der Rodung der Au- und Bruchwälder und der anschließenden Errichtung eines umfangreichen Meliorationssystems im 18. Jahrhundert unter Friedrich dem Großen möglich. Das auf diese Weise entstandene Acker-, Wiesen- und Weideland wurde mit der Einführung maschineller Bewirtschaftungsweisen in der Folge ständig weiter verändert. Insbesondere in den 1970er und 80er Jahren wurden die zuvor kleineren, von Hecken und Feldgehölzen begrenzten Flächen zu großen monokulturell bepflanzten Einheiten zusammengefasst und unter Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln intensiv bewirtschaftet - mit entsprechend gravierenden Auswirkungen auf den Naturhaushalt und die Artenvielfalt der Flora und Fauna. Im Zuge des Mauerfalles orientierte man sich allerdings neu und stellte in der nunmehr entstandenen Kulturlandschaft großflächige Extensivierung und intensiven Artenschutz durch Maßnahmen zur Lebensraumerhaltung und -verbesserung in den Vordergrund. Heute fördern erfolgreiche Schutzprogramme von Flaggschiffarten, wie der vom Aussterben bedrohten Großtrappe, den Naturtourismus und ermöglichen so der Region ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein.

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Über das Gespür – Fährtenlesen als vernetztes Wissen in Jäger-Sammler Gesellschaften T. Lenssen-Erz, Köln Fährtenlesen gehört zu den Fähigkeiten des Menschen, die er vermutlich in seiner gesamten Entwicklungsgeschichte auf hohem Niveau beherrschen musste. Denn der Mensch ist zwar ein Jäger, jedoch schwach, langsam und ungefährlich, dazu halbwegs nachtblind. Lediglich als Dauerläufer ist er anderen Tieren überlegen. Diese Fähigkeit nützt ihm aber nur im Zusammenhang mit seiner Lesefähigkeit – der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Spuren visuell folgen kann. Jedoch genügt die Kenntnis von Trittsiegeln bei weitem nicht, um erfolgreich zu jagen. Ein umfassendes vernetztes Wissen aus Bereichen wie z.B. Naturkunde, Verhaltenskunde, Bodenkunde oder Meteorologie ist unerlässlich. Die Verwertung derartiger bei einer Jagd gesammelten empirischen Daten findet in gedanklichen Prozessen statt, die mit Deduktion und Induktion arbeiten, häufig auch mit Abduktion und somit epistemologische Denkfiguren anwenden, die unserem wissenschaftlichen Räsonieren nahe stehen. Neben dieser stark empirisch orientierten Wissensverwertung ist es für die erfolgversprechende Jagd aber ebenso unerlässlich, dass sich der Jäger in das Jagdwild einfühlt, um seine Handlungen und Reaktionen zu deuten oder zu antizipieren. Der Jäger (zumal bei den San in Namibia) muss sein Verhalten so anlegen, als sei er die Jagdbeute selbst. Das deutsche "spüren" in seiner heutigen Bedeutung von "Wahrnehmung empfinden" ist eine Ableitung des Verbes für Spur-verfolgen, und mag so noch eine dunkle Erinnerung an diese alte Jagdmethode wahren. Aus der Zusammenarbeit mit hochkompetenten Fährtenlesern der San aus Namibia, konnten ein wissenschaftliches Projekt aus der Taufe gehoben werden, in dem weitere Anwendungen indigenen Wissens in der archäologischen und paläo-ethnologischen Forschung erprobt werden sollen.

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Immaterielles Naturerbe: eine Begriffserklärung M. Robischon, Berlin Lebewesen in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen sind nicht nur die materielle Grundlage menschlichen Lebens, sondern liefern gleichzeitig auch, wie an den ältesten Kunstwerken der Menschheit ersichtlich, Inspiration für geistige und insbesondere künstlerische Leistungen. Ausgestorbene Arten sind für die Menschheit als Gegenstand der Betrachtung und Quelle der Inspiration in der Kunst unwiederbringlich verloren. Mit dem Artentod sind ebenso auch all Möglichkeiten zukünftiger Begegnung und künstlerischer oder wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit diesen Lebewesen untergegangen. Lebewesen beeindrucken und prägen den Menschen nicht nur durch ihre physische Erscheinung, wie etwa die Körperform oder die Farbe, sondern auch durch die von ihnen an den Tag gelegten, beobachtbaren Verhaltensweisen. Die schließt beispielweise Lautäußerungen, Wanderungsverhalten, Flugmuster oder die Bildung fakultativer interspezifischer Symbiosen ein. Angesichts des immateriellen Charakters dieser Elemente, der Tatsache, dass sie von nicht-menschlichen Lebewesen getragen und gezeigt werden, und ihrer kulturellen Bedeutung für den beobachtenden Menschen könnten solche Phänomene als immaterielles Naturerbe im engsten Sinne gefasst werden. Das mit einer Art oder einer Population von Lebewesen verbundene immaterielle Naturerbe kann nicht nur durch das Aussterben dieser Art oder Population untergehen, sondern kann durch äußere, häufig durch menschliches Handeln bestimmte Veränderungen der Umwelt wesentlich verändert werden. Der Begriff des immateriellen Naturerbes soll hier als mögliche Parallele zum Begriff des immateriellen Kulturerbes und als möglicher Aspekt im Arten- und Naturschutz diskutiert werden.

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Natur und Kultur - ein Plädoyer für eine "Dritte Kultur" und ein evolutionäres Selbstverständnis des Menschen V. Mosbrugger, Frankfurt In diesem Vortrag wird die von C.P. Snow identifizierte, letztlich auf die Antike zurückgehende Dichotomie von "erster" und "zweiter Kultur" aufgegriffen und im Sinne von John Brockman für die Entwicklung und Pflege einer "dritten Kultur" plädiert. Hierbei ist das Ziel weniger, ein neues Bildungsideal zu verfolgen, sondern ein "evolutionäres Selbstverständnis" des Menschen zu entwickeln.

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Von Regenbeinen und Regenhaaren – Metaphern intakter Lebenswelten in der prähistorischen Felskunst Namibias und im indigenen Wissen der San T. Lenssen-Erz, Köln Regen als notwendiges Phänomen für die Fortdauer natürlicher Kreisläufe verbindet sich in unterschiedlichen Kulturen mit vielfältigen Metaphern: wo es für die einen Hunde und Katzen regnet, sehen andere einen Regenbullen über das Land tosen. Und trotzdem bleibt Regen ein natürliches Phänomen, über das sich Menschen immer und überall ökologisches Faktenwissen angeeignet haben. Dabei sind in außereuropäischen, traditionellen Gesellschaften die im westlichen Denken verankerten Grenzen zwischen Fakt und Mythologie frei gegeben, zwischen beiden Domänen gibt es fließende Übergänge. Eine Quellengattung, dies darzulegen, ist die Jäger-Sammler Felskunst Namibias, die vor 4000 bis 2000 Jahren entstand. In ihr spielt das große Jagdwild unter den dargestellten Naturphänomenen die wichtigste Rolle, doch wird es nicht gezeigt um die Jagd selber zu illustrieren. Vielmehr werden die profunden Kenntnisse, die man sich als Jäger-Sammlerin von seiner Umwelt aneignen muss, dazu genutzt, die Inter-Dependabilität von Lebewesen und Umwelt darzustellen. Eine zweite Quellengattung sind die mündlichen Überlieferungen verschiedener San-Gruppen (auch Buschleute genannt) des südlichen Afrika, die teils noch im 19. Jahrhundert aufgezeichnet wurden. In diesem Wissen, das in lebensfeindlicher Umwelt eine Jahrtausende währende Kulturblüte ermöglichte, wird die Kausalität natürlicher Phänomene zum Teil in Metaphern gefasst, die zwar die Ursachen nicht erfasst, wohl aber die Beschreibung und Voraussage für diese Phänomene ermöglicht.

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Domestikation und Kultur - die neolithische Revolution U. Zeller, Berlin Biodiversität als natürliches Phänomen ist das Ergebnis eines evolutiven Prozesses, der mindestens 3,5 Mrd. Jahre gedauert hat und wahrscheinlich noch andauert. Im Ergebnis dieses Prozesses entstand die Vielfalt an Arten, Ökosystemen und Lebensräumen, die die Erde noch immer prägen. Als Motor der Evolution spielt aber die innerartliche Variabilität, die ebenfalls unter der Rubrik Biodiversität subsummiert wird, die entscheidende Rolle, da nur so Artenspaltungen entstehen konnten und können. Künstliche Biodiversität ist das Ergebnis menschlicher Leistungen, die unter dem Dachbegriff Domestikation zusammengefasst werden können. Domestikation führt nicht zur Bildung von Arten, sondern von Formen (Bohlken, 1961), die mit ihren Stammarten eine biologische Art bilden, also mit ihr fruchtbare Nachkommen erzeugen können. Domestikation vollzieht sich innerhalb von wenigen tausend oder hundert Jahren. Sie ist die größte anthropogene Überformung der biologischen Vielfalt durch den Menschen und eine seiner höchsten kulturellen Leistungen (Herre und Röhrs, 1990). Die stets wachsende Anzahl von Individuen domestizierter Formen und ihre Ansprüche an Nahrung und Lebensraum führen zu einem sich immer mehr verschärfenden Konflikt mit den Wildarten, dem sog. „Human Wildlife Conflict“. Die im 18. Jahrhundert aufblühende planmäßige Zucht hat sog. Hochleistungsrassen hervorgebracht, die immer wieder an die Grenzen organismischer Fähigkeiten und Limitationen stoßen bis hin zur „Qualzucht“. Die dadurch entstandenen Engpässe stellen ein hohes Risiko für die nachhaltige Lebensmittelversorgung für den Menschen dar, da durch genetische Erosion und erhöhte Krankheitsanfälligkeit sowie kurze Lebensdauer und verminderte Fruchtbarkeit der hohe Ertrag auf Dauer nicht zu sichern ist. Die häufig wenig anspruchsvollen und robusten Landrassen sind auch wichtige Elemente in unseren Agrarökosystemen und sollten, ebenso wie die natürliche Biodiversität, einen hohen Schutzstatus erhalten. Vielfalt ist eine Grundeigenschaft des Lebens, die auch für die nachhaltige Nutzung in agrarischen Ökosystemen erhalten werden muss.

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Die Jagd als Kulturgut C. Fiderer, Berlin Die Jagd auf wildlebende Tiere ist seit jeher ein fester Bestandteil des menschlichen Tuns und hat dabei als die wohl älteste traditionelle Wirtschaftsform der Menschheit sowie als älteste Nutzungsform natürlicher Ressourcen eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Menschheitsgeschichte und der Menschwerdung selbst gespielt. Ob soziale Kooperation, Spiritualität oder Kunst, alle Bereiche die das menschliche Gehirn heute definieren, finden ihre Ursprünge in der Ausübung der Jagd. Aufgrund dieser Tatsache kann man die Jagd heute als das wohl älteste und vielleicht auch wichtigste Kulturgut überhaupt bezeichnen, denn erst sie machte den Menschen zum Menschen und ermöglichte dessen Evolution bis in die Neuzeit. Dieser Vortrag nimmt Sie auf eine Reise quer durch die Menschheitsgeschichte und zeigt dabei anschaulich, wieso die Jagd heute zu Recht eines der wichtigsten Kulturgüter der Menschheit ist. Angefangen vor über 600.000 Jahren, als die ersten Jäger und Sammler damit begannen, durch genaue Naturbeobachtung und mit Hilfe von gewonnenem Erfahrungswissen Jagd auf Mammuts zu machen, hat die Jagd durch ihre stetige Weiterentwicklung bis heute viele verschiedene Lebensbereiche des Menschen mitgeprägt und dabei teilweise deutliche Spuren hinterlassen. So prägte sie nicht nur lange Zeit den Alltag des Menschen vor seiner Sesshaftwerdung und steht sogar noch heute nach wie vor im Mittelpunkt der meisten indigenen Völker, sondern prägte auch unabhängig von ihrer subsistenziellen Bedeutung beispielsweise entscheidend das höfische Leben während des Mittelalters und brachte im Laufe der Zeit sogar neben einem eigenen Brauchtum und einer eigenen Sprache auch einen eigenen Musikstil hervor, die allesamt bis heute überdauert haben und in unserem modernen Alltag allgegenwärtig sind. Doch je bedeutsamer die Jagd im Laufe der Zeit für den Menschen wurde, desto höher wurde auch der Druck, den Sie auf ihre belebte Umwelt ausübte. So begann mit der Weiterentwicklung der Großwildjagd und der Verbreitung des Menschen auf andere Erdteile, bereits vor 13.000 Jahren eines der größten Massensterben der jüngeren Erdgeschichte, dem in kürzester Zeit dutzende Vertreter der Megafauna zum Opfer fielen. Bis heute hat die Jagd auf wildlebende Tiere in allen Erdteilen zu einem enormen und unwiederbringbaren Verlust eines Naturerbes gesorgt, dessen Vielfalt heute kaum mehr vorstellbar ist und durch dessen Nutzung die Jagd einst überhaupt erst ermöglicht wurde. Aus diesem Grund bedarf es in der heutigen Zeit mehr denn je einer eingeschränkten und nachhaltig geführten Jagdausübung, die letztendlich nicht nur dem Schutz des Immateriellen Naturerbes, sondern auch dem Erhalt des Kulturguts Jagd selbst entgegenkommt.

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Zur Ethik des Immateriellen Naturerbes – Konzeptionelle Grundlagen und Fallstudie M. Berg, T. Potthast, Tübingen Für unseren Beitrag im Rahmen des Workshops schlagen wir einen dreiteiligen Aufbau vor, wobei die ersten beiden Teile je nach Interesse und Zeitplan im Umfang sehr variabel gehalten werden können:

1. Grundbegriffe und -konzepte der (Umwelt)Ethik 2. Biodiversität aus umweltethischer Perspektive 3. Fallbeispiel: Vogelfang und Vogeljagd auf Malta

Aufgrund der interdisziplinären Teilnehmerschaft des Workshops sollen im ersten Teil zunächst Begriffe und Grundkonzepte der (Umwelt)Ethik als philosophischer Disziplin vorgestellt werden, um auch mit Blick auf die Verhältnisbestimmung zum Ansatz des Immateriellen Naturerbes möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Dabei geht es beispielsweise um die verschiedenen Arten von Werten (instrumenteller Wert, Eigenwert, Selbstwert) oder die unterschiedlichen umweltethischen Basisansätze (anthropozentrisch, pathozentrisch, biozentrisch, holistisch). Da die Idee der Biodiversität im Zusammenhang mit der Definition und Konzeption des Immateriellen Naturerbes eine wichtige Rolle spielt, soll dieser Begriff im zweiten Teil kurz aus umweltethischer und wissenschaftstheoretischer Perspektive beleuchtet werden. Es handelt sich hier um einen epistemisch-moralischen Hybridbegriff, weil sich Biodiversität nicht sinnvoll rein empirisch-wissenschaftlich denken lässt, ohne die Verpflichtung zu ihrem Schutz mitzudenken. Im dritten Teil schließlich geht es darum, die grundlegenden Fragen zum Immateriellen Naturerbe aus umweltethischer Sicht anhand eines Fallbeispiels zu diskutieren. Beim Schutz der Träger Immateriellen Naturerbes geht es maßgeblich um gelingende Mensch-Natur-Verhältnisse. Aus umweltethischer Perspektive stellt sich hier die Frage, welche Bewertungskriterien herangezogen werden können, um zu bestimmen, was eine gute/gelingende bzw. schlechte/nicht-gelingende Mensch-Natur-Beziehung ausmacht, und wer diese Bewertung vornehmen darf. Dieses Problem tritt insbesondere in Konfliktfällen zutage, beispielsweise wenn Formen des Immateriellen Naturerbes untereinander oder mit Formen Immateriellen Kulturerbes in Konkurrenz stehen. Als Fallbeispiel dienen im Vortrag Vogelfang und Vogeljagd auf Malta.

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Dem Ziel der Erhaltung des Phänomens Vogelzug (Immaterielles Naturerbe) stehen hier die Bestrebungen der örtlichen Jägerschaft gegenüber, ihre traditionellen Jagd- und Fangtechniken (Immaterielles Kulturerbe) zu bewahren. Anhand dieses Beispiels sollen Vorschläge für Bewertungskriterien entwickelt werden, die eine Entscheidung ermöglichen können, wenn zwischen verschiedenen Schutzgütern abgewogen werden muss. Diese Frage nach Kriterien und Abwägungsfragen bieten eine gute Grundlage für eine anschließende Diskussion, denn die Ausweisung dessen, was aus welchen Gründen zum (zu erhaltenden) Naturerbe gehört – und was aus welchen Gründen nicht – ist nicht nur für die Umweltethik eine zentrale Fragestellung.

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Das UNESCO-Memory of the World-Programm, unter besonderer Berücksichtigung der Beziehung zum immateriellen Naturerbe L. Jordan, Pfaffendorf Das Referat stellt das UNESCO-Memory of the World-Programm vor, seine Ziele, seine Struktur, seine Mittel und seine Perspektiven, insbesondere im Hinblick auf den Inhalt und die Programmatik dieser Tagung. Das 1992 eingerichtete Programm (eines von den drei Erbeprogrammen der UNESCO) widmet sich dem Weltdokumentenerbe und will dessen Bewahrung fördern, den universalen Zugang zu Dokumenten unterstützen und weltweit das Bewusstsein ihrer Bedeutung und ihres Wertes schärfen. Das bekannteste – aber nicht das einzige - Instrument des Programmes ist das Internationale Register bedeutender Dokumente. Es werden Beispiele vorgestellt, auch solche aus dem Bereich Naturwissenschaft und Naturkunde. Der 2013 neu eingerichtete Memory of the World-Fachausschuss (sub-committee) „Education and Research“ hat die Aufgabe, Strategien und Konzepte für Forschung und Lehre zum Memory of the World-Programm, aber überhaupt zu Dokumenten entwickeln sowie Synergien mit den anderen Erbeprogrammen auszuloten. Dabei spielen inter- und transdisziplinäre und internationale Aspekte eine besondere Rolle. Eines der Instrumente ist der Aufbau eines Netzwerkes „Kooperierender Institutionen und Korrespondierender Mitglieder“. Das Referat reflektiert schließlich die Möglichkeit inhaltlicher Synergien und kooperativer Perspektiven zwischen dem Programm und der Erforschung und Vermittlung des immateriellen Naturerbes. Es will auch als Grundlage einer Diskussion und möglicherweise fortzusetzenden Kommunikation mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung dienen.

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Im Zeichen der Fledermaus – kulturell-naturwissenschaftliche Reflexion einer charismatischen Tiergruppe N. Starik, Berlin Im Spiegel vergangener Zeiten, weit verzweigter Symbolik und zahlreicher Legenden hat das Charakterbild der Fledermaus eine erstaunliche Wandlung erfahren. Wohl kaum eine andere Tiergruppe wurde seit jeher mit so vielen Vorurteilen belegt. Aufgrund ihrer kryptischen Lebensweise konnte man jahrhundertelang keine direkten Erfahrungen mit der Lebensweise dieser sonderbaren, nächtlichen Jäger sammeln. Urängste vor Finsternis und Tod beflügelten somit den menschlichen Geist und seine Phantasien. Auf zunächst volkstümlichen Naturbeobachtungen basierend, ergaben sich später aber auch positiv-rationale Impulse. So wurden Fledermäuse später zum Vorbild genommen, um technische Entwicklungen voranzutreiben, z.B. als Inspiration für allerlei Flugapparate. Lang dauerte es, bis diese Tiergruppe ihren wissenschaftlich begründeten Platz im Tierreich zugewiesen bekam. Allein die lange Zeit unerklärliche Orientierung der Fledermaus über Schallsignale beschäftigte Wissenschaftler über Jahrhunderte in höchstem Maße. Dank dieser ereignisreichen Wissenschaftsgeschichte sind die Fledertiere von den unheimlichen und unheilbringenden, verteufelten Wesen, nunmehr zu Leitarten des modernen Naturschutzes geworden. Dennoch sind Fledermäuse heute mehr denn je durch anthropogene Einflüsse und gravierende Veränderungen der Kulturlandschaft in ihrem Fortbestand gefährdet. Insbesondere ist hier die überwiegend negative Entwicklung der Waldbestände zu nennen. Letztlich gewinnen längst vergessene, mit den Fledertieren assoziierte, Negativmetaphern und abergläubische Auffassungen vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung zu pathogenen Krankheitserregern und deren Übertragungsmechanismen erneut enorme Bedeutung und stehen so den Erfolgen internationaler Schutzbemühungen gegenüber. In diesem Beitrag wird die Perzeption der Fledertiere in verschiedenen Kulturkreisen anhand diverser Quellen der regionalen und internationalen Volkskunde im Wandel der Jahrhunderte dargestellt und die medizinische, naturwissenschaftliche und ökonomische Bedeutung der Fledermaus als allgegenwärtiges Kulturphänomen veranschaulicht.

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Natur und Kultur im geplanten Biosphärenreservat (Süd-)Schwarzwald B.-J. Seitz, Freiburg Das UNESCO-Programm „Man and the Biosphere“ (MAB) ist die Grundlage für das Konzept der Biosphärenreservate. Demzufolge steht hier nicht der Naturschutz im Mittelpunkt, sondern das Verhältnis des Menschen zur Biosphäre, das von zentraler Bedeutung für den Schutz des immateriellen Naturerbes ist. Nachdem 2009 in Baden-Württemberg mit der Schwäbischen Alb das erste Biosphärenreservat von der UNESCO anerkannt wurde, wird nun voraussichtlich noch in diesem Jahr ein Biosphärengebiet (so die Bezeichnung nach dem Landesnaturschutzgesetz) im Südschwarzwald ausgewiesen. Ohne Zweifel sind die fachlichen Voraussetzungen im Südschwarzwald mit seinem Wechsel aus großflächigen Weiden, Wiesen, Mooren, Felsen, Blockhalden und vielgestaltigen Wäldern gegeben. Die größte Besonderheit war aber, dass die Anregung für das Biosphärengebiet von einigen Gemeinden ausging, die an einem zehnjährigen Naturschutzgroßprojekt des Bundes beteiligt waren. Gegen dieses Projekt gab es anfänglich erhebliche Widerstände, da einige Gemeinden befürchteten, dass der Naturschutz sie mit den Mittelzusagen in das Projekt „locken“ will und danach mit der sprichwörtlichen „Käseglocke“ kommt. Da in den Richtlinien zu Naturschutzgroßprojekten vorgesehen ist, das Kerngebiet bis Projektabschluss als Naturschutzgebiet auszuweisen, war dieses Argument nicht so leicht zu entkräften. Schließlich wurde aber für das Projekt doch ein Zweckverband aus Gemeinden, Verbänden und Landkreisen gegründet, der als Projektträger fungierte. Das Land selbst kann bei Bundesprojekten nicht Projektträger sein, beteiligte sich jedoch mit einem Anteil von 25% (Bund 65%, Zweckverband 10%). Das Projekt startete 2002 und hatte eine Laufzeit von 10 Jahren. Schwerpunkt des Naturschutzgroßprojekts war die Offenhaltung und naturschutzgerechte Bewirtschaftung der ausgedehnten Weidfelder bzw. Weidberge, die zu großen Teilen den prioritären FFH-Lebensraum „artenreiche Borstgrasrasen“ aufweisen. Der Südschwarzwald ist u.a. für seine großen Arnika-Vorkommen bekannt. Ein großer Vorteil für das Projekt war, dass die Weidetradition im Südschwarzwald noch nicht abgerissen war. Im Vordergrund stand hier seit dem Mittelalter die gemeinschaftliche Nutzung der sog. „Allmendweiden“ mit Rindern. Obwohl sich die Beweidung der Grenzertragsstandorte aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr

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lohnte, wurde die Beweidung einerseits durch die Gewährung von Ausgleichsleistungen (Agrarumweltmaßnahmen), andererseits aber auch durch so etwas wie ein ungebrochenes „Weidebewusstsein“ fortgeführt. Auch die Gemeinden als Flächeneigentümer sind meist stark an der Fortführung der Beweidung interessiert, zum einen, um die örtlichen Landwirte (meist Nebenerwerb) zu unterstützen, aber auch, um die Landschaft aus touristischen Gründen offenzuhalten. Im Vorfeld und im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts wurden auf besonders steilen und unzugänglichen Flächen zunehmend wieder Ziegen eingesetzt, meist von örtlichen Landschaftspflegevereinen. Durch diese Konstellation ergab sich eine zunehmende Zufriedenheit der Akteure mit dem Naturschutzgroßprojekt. Eine sozioökonomische Evaluation gegen Ende des Projekts ergab, dass vor allem Gemeinden und Landwirte das Projekt und insbesondere auch die Zusammenarbeit mit dem Naturschutz sehr positiv sahen. Es wurden im Rahmen des Projekts einige Ställe errichtet, die Landwirte erhöhten teilweise ihren Tierbestand (insbes. Ziegen). Es kam zu Überlegungen, wie das Projekt langfristig fortgeführt werden könne, was schließlich zum Vorschlag eines Biosphärenreservats führte. Das Regierungspräsidium Freiburg griff den Vorschlag der Gemeinden auf und bot Informationen für Gemeinderäte und die Öffentlichkeit an, es wurde eine Projektstelle (mit einem Mitarbeiter) eingerichtet. Obwohl etliche Gemeinden Interesse an einem Biosphärenreservat zeigten, dauerte es mehrere Jahre, bis eine geschlossene Kulisse von rund 60.000 ha (Stand heute) zusammenkam. Dies hing mit mehreren Faktoren zusammen: • Gemeinden, Land- und Forstwirte befürchteten weitere Einschränkungen (über die bisher

schon bestehenden hinaus); dies ist jedoch außerhalb der Kernzone(n) im Südschwarzwald kaum zu befürchten, da es dort schon zahlreiche (großflächige) Naturschutzgebiete und FFH-Gebiete gibt, die für die Pflegezone ausreichen.

• Manche touristisch gut entwickelten Gemeinden versprachen sich von einem Biosphärenreservat keinen „Mehrwert“ über den bereits bestehenden und gut funktionierenden Naturpark hinaus.

• Es wurde kritisiert, dass von den für das Biosphärenreservat eingeplanten Mitteln (das Land übernimmt davon 70%) ein Großteil in die „Verwaltung“ fließt.

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Nach Zusagen des Landes bezüglich der Startfinanzierung (Land übernimmt zu Beginn 100%) hat inzwischen die Mehrzahl der Gemeinden Interesse an einer Beteiligung geäußert, so dass das Biosphärenreservat mit hoher Wahrscheinlichkeit zustande kommt. Ausschlaggebend war auch die Argumentation der Naturschutzverwaltung, dass das Biosphärengebiet nicht als zusätzliches Schutzgebiet gesehen wird, sondern als Chance für eine nachhaltige Regionalentwicklung. Dabei steht die Kulturlandschaft und der sie nutzende Mensch im Mittelpunkt.

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Die Avifauna als Gegenstand kultureller Reflexion in Afrika und Europa T. Göttert, Berlin Dieser Beitrag basiert auf vergleichenden Betrachtungen ausgewählter Regionen Afrikas und Mitteleuropas. Ziel ist es, die Beziehungen zwischen Avifauna und kultureller Reflexion anzudeuten und dabei auch die Wechselwirkungen zwischen dem Impact anthropogener Aktivität und den resultierenden avifaunistischen Antwortmechanismen zu beleuchten. Der Vortrag spannt einen Bogen von den altägyptischen und altertümlichen kulturellen Auseinandersetzungen mit ausgewählten Vogelgruppen und stellt dann die seit dem Mittelalter drastisch einschneidenden Veränderungen der Lebensraumausstattung in Mitteleuropa und deren ökologische und soziokulturelle Folgen hinsichtlich des Beziehungsgefüges Mensch-Avifauna dar. Mit Blick auf die heutige Situation werden die kulturellen Erscheinungsformen Vogelbeobachtung, Vogelmonitoring und wissenschaftliche Ornithologie herausgehoben; keine andere Tiergruppe ist in vergleichbarem Umfang im Fokus des Interesses breiter Bevölkerungsschichten. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Strategien und Konzepte zur nachhaltigen Landnutzung ableiten; so fungieren verschiedene Vogelarten oder Gruppen z.B. als aussagekräftige Bioindikatoren, die dabei helfen, die Auswirkungen bestimmter Landnutzungsszenarien auf die Stabilität sowie Produktivität von (Agro)ökosystemen einzuschätzen. Am Beispiel von Offenlandhabitaten (Weideland, Grasland) werden im weiteren Verlauf des Vortrags charakteristische Arten und Artengemeinschaften Mitteleuropas mit denen des südlichen Afrikas verglichen, ausgewählte Vertreter gleicher systematischer Kategorien bzw. ökologischer Gilden sowie stellenäquivalente Biodiversitätselemente herausgearbeitet und beide Regionen bewohnende Arten (Migration) vorgestellt. So wirft der Vortrag die Frage auf, inwieweit die semi-ariden und ariden Savannensysteme des südlichen Afrikas geeignet sind, als Modellregion für das Verständnis der ökosystemaren Wechselbeziehungen innerhalb der Gras- und Weidelandschaften Mitteleuropas zu fungieren, deren Entstehung wiederum erst Folge drastisch einsetzender kultureller Aktivität war und deren Erhalt wiederum von wissenschaftlich basierten Landnutzungsstrategien abhängt. Diese Betrachtungen sollen dazu anregen, über die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Avifauna und kultureller Entwicklung fachübergreifend zu diskutieren, um die Ableitung nachhaltiger Landnutzungsstrategien zu unterstützen, die sowohl die ökologischen Prozesse und naturschutzfachlichen Aspekte, als auch die sozio-kulturelle Dimension von Lebensräumen einschließen. Die Avifauna bietet für derartige trans-disziplinäre Betrachtungen im Rahmen holistischer Forschungskonzepte einen aussichtsvollen Rahmen.

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Liste der Teilnehmer

Berg, Margarita Universität Tübingen

Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) Wilhelmstraße 19, 72074 Tübingen

Tel.:(+49)07071/2975251 [email protected]

Fiderer, Christian FG Spezielle Zoologie

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, 10099 Berlin Tel.:(+49)030/20938314

[email protected]

Göttert, Thomas, Dr. FG Spezielle Zoologie

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, 10099 Berlin Tel.:(+49)030/20938563

[email protected]

Jordan, Lothar, Prof. Dr. UNESCO Memory of the World Programme

Vice-Chair, International Advisory Committee, Chair, Sub-Committee on Education and Research Lamitsch 42 b, 15848 Rietz-Neuendorf

Tel.:(+49)033672/72755 [email protected]

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Kettner, Anne Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Institut für Geographie und Geologie Nachhaltigkeitswissenschaft und Angewandte Geographie

Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 16 D-17487 Greifswald

Tel: (+49) 03834/864687 Fax: (+49) 03834/864681

[email protected]

Knuth, Detlef, Dr. Naturkundemuseum Potsdam

Breite Straße 13, 14467 Potsdam Tel.:(+49)0331289/6707

[email protected]

Lakenberg, Karola Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt

Abteilung I - Stadt- und Freiraumplanung Referat I E - Landschaftsplanung und Naturschutz

Am Köllnischen Park 3, 10179 Berlin Tel.:(+49)030/90251035

[email protected]

Lenssen-Erz, Tilman, Dr. Forschungsstelle Afrika

Institut für Ur- und Frühgeschichte Universität zu Köln

Jennerstr. 8, 50823 Köln Tel.:(+49)0221/556680

[email protected]

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Mosbrugger, Volker, Prof. Dr. Dr. Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum

Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt am Main Tel.:(+49)069/75421214

[email protected]

Pistreich, Machla Zwillenberg-Tietz Stiftung

Geschäftsstelle Richard-Strauß-Str.4, 14193 Berlin

Tel.:(+49)030/8263948 [email protected]

Robischon, Marcel, Prof. Dr. Fachdidaktik Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin Luisenstraße 53,10099 Berlin

Tel.:(+49)030/20936570 [email protected]

Seitz, Bernd-Jürgen, Dr. Regierungspräsidium Freiburg

Ref. 56 Naturschutz und Landschaftspflege Bissierstr. 7, 79114 Freiburg Tel.: (+49)0761/208-4133

[email protected]

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Starik, Nicole FG Spezielle Zoologie

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, 10099 Berlin Tel.:(+49)030/20938657

[email protected]

Wicke, Marcus, Dr. Zwillenberg-Tietz Stiftung Forschungsstation Linde

Brunnenweg 2, 14715 Märkisch Luch (OT Linde) Tel.:(+49)033876/90970

[email protected]

Zeller, Ulrich, Prof. Dr. FG Spezielle Zoologie

Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften

Lebenswissenschaftliche Fakultät Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 6, 10099 Berlin Tel.:(+49)030/20938667

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Hintergrundinformationen zum Tagungsort

– Im Herzen der Natur-

Mitten im Havelland, mit seiner Mischung aus Wasser- und Waldflächen sowie zahlreichen Natur- und Landschaftsschutzgebieten, liegt zur Gemeinde Märkisch Luch/Barnewitz gehörend etwas versteckt der Ortsteil Linde. Hier existierte als schon früheres Rittergut das „Dominium Linde“ mit Landschloss, welches 1919 in Form eines eigenständig landwirtschaftlich genutzten Betriebes in das Eigentum der Familie Dr. Zwillenberg gelangte. Diese lebte und bewirtschaftete das „Gut Linde“ mit den dazu gehörenden Waldflächen bis 1939, von wo sie deren Eigentum aufgeben und Deutschland verlassen mussten.

Während des Zweiten Weltkrieges und kurz nach Kriegsende gab es in Linde zahlreiche Flüchtlingsdurchgänge. Das ehemalige Gutshaus wurde weitgehend abgetragen und zu DDR-Zeiten hatte sich das Bild im Ortskern auch weiter verändert, indem viele sogenannte Datschengrundstücke mit unterschiedlichen Nutzungsverhältnissen entstanden sind. Mit dem Mauerfall und der Rückübertragung des Grundbesitzes stellte sich für die Rechtsnachfolgerin Dr. Helga Zwillenberg die Frage, wie das Anwesen künftig genutzt werden sollte. An die Wiederaufnahme eines eigenständigen bäuerlichen Betriebes war nicht mehr zu denken und es galt auch, die zwischenzeitlich unterschiedlichen Nutzungsverhältnisse im Ortskern zu akzeptieren. Aber die Natur mit ihrer reizvollen Landschaft war weitgehend intakt und die Wälder in einem relativ guten Zustand. Dank der geringen Besiedlung findet man in der faszinierenden Endmoränenlandschaft und dem an Linde angrenzenden Naturschutzgebiet „Havelländisches Luch“ diverse seltene Tier- und Pflanzenarten. So wuchs bei Frau Dr. Zwillenberg, die selbst Biologin war, die Idee, das ehemalige Gut Linde Forschung und Lehre zur Verfügung zu stellen. Es entstand nun in der Folgezeit mit ihrem außergewöhnlichen Engagement eine kleine Forschungsstation mit Labor, einem Seminarraum und Übernachtungsmöglichkeiten für Studierende, Doktoranden/innen und Dozenten/innen. Hier im Havelland/ Brandenburg, eine gute Autostunde von Berlin entfernt, bietet Linde nun schon seit mehr als zehn Jahren Nachwuchswissenschaftlern/ innen aus den Disziplinen Botanik, Zoologie, Geologie, Hydrogeologie, Forstwissenschaften und verwandten Fachgebieten einen idealen Ausgangspunkt für ihre Studien.

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Ein Schwerpunkt bisheriger Forschungsvorhaben lag z.B. in dem Einfluss von Windenergieanlagen auf die Biodiversität, insbesondere ausgehend von den auf der nahegelegenen „Nauener Platte“ in großem Umfang bestehenden Windparks ebenso wie die Förderung von naturschutzrelevanten Projekten im In-und teilweise auch im Ausland. Um die Zukunft dieser Ziele sicher zu stellen, gründete Frau Dr. Helga Zwillenberg 2011 die „Zwillenberg-Tietz Stiftung“ mit Sitz in Berlin, die nun die Förderung dieser schon begonnenen Aufgaben weiterführt und auch noch weiter ausbauen soll. Das 320 ha große stiftungseigene Gebiet mit den dazugehörigen Acker- und Waldflächen, der Forschungsstation Linde sowie der erst kürzlich errichteten Wetterstation zur Erhebung relevanter klimatischer Daten für Freilanduntersuchungen vor Ort soll so Ausgangspunkt für vielfältige wissenschaftliche Naturschutzforschung sein und u.a. auch dazu beizutragen, die heimischen Lebensräume mit ihrer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten bzw. wieder anzusiedeln. Alle bisher bereits von der Stifterin unterstützten und sodann fortgeführten bzw. neu von der Stiftung geförderten Arbeiten sowie auch weitere neue Projektangebote können auf deren Website eingesehen werden. Demgemäß freuen wir uns besonders, dass Linde als Standort der Tagung zum Immateriellen Naturerbe gewählt wurde, wo die Nachhaltigkeit der Natur und des Ererbten als besondere Aufgabe angesehen wird. Wir wünschen der Veranstaltung ein gutes Gelingen und sind gespannt auf die Begegnungen mit den unterschiedlichen Disziplinen, aus denen sich vielleicht auch künftig neue Kooperationen ergeben können. Für den Vorstand der Zwillenberg-Tietz Stiftung Machla Pistreich

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Nachwort

Das materielle Naturerbe besteht aus realen Individuen, Arten, Lebensgemeinschaften oder anderen Naturgebilden. Das immaterielle Naturerbe entsteht durch die gedankliche und kulturelle Reflexion materieller Naturgüter durch den Menschen. Das Bindeglied zwischen beiden ist der menschliche Erkenntnisapparat, der in seiner evolutiven Ausgestaltung auf die Wahrnehmung und Reflexion der „Natur“ abgestimmt ist (Mosbrugger). Die Wahrnehmung und Reflexion von Lebenserscheinungen ist dabei auch immer Stimulans für den kognitiven Apparat des Menschen und damit ein wesentlicher Faktor für seine Kreativität. Dies spiegelt sich in der vielfältigen Reflexion der Natur in den geistigen Leistungen des Menschen (Kunst, Literatur, Musik etc.) wider. Die belebte Natur ist von sich aus, also immanent, vielfältig (Biodiversität). Der Erkenntnisapparat des Menschen ist auf diese Vielfalt justiert. Verarmt die Vielfalt des Lebens, verarmen auch die Eindrücke und Reflexionen beim Menschen, bis hin zur Sprache („Vom Verstummen der Welt“, Robischon, 2012). Deshalb und nach abgestuften Bewertungskriterien der (Umwelt)Ethik (Potthast, Berg) ist die Vielfalt des Lebens nicht nur aus materiellen Gründen („Ökosystemdienstleistungen“), sondern auch zur Erhaltung des immateriellen Naturerbes schützenswert. Die geistig-kulturellen Reflexionen von biologischer Vielfalt wurden an Beispielen von Höhlenmalereien (Lenssen-Erz), der Jagd (Fiderer), der Avi- und Chiropterofauna (Göttert, Starik) und aus der Sicht des praktischen Naturschutzes (Seitz) dargestellt und diskutiert; die Möglichkeiten einer Anbindung an das UNESCO Memory of the Word-Programm erörtert (Jordan). Schließlich wurde auch dargestellt, dass der Mensch das materielle Naturgut, insbesondere die Biodiversität, selbst kulturell beeinflusst und nach seinen Vorstellungen umformt (Domestikation) (Zeller). Das Ergebnis, also die Kulturpflanzen und Haustiere, werden sowohl in materieller Hinsicht genutzt (Nahrung, Arbeit), als auch aus immaterieller Sicht reflektiert (Beispiele: „Blumensprache“, Tierfabeln, Gewänder und Schmuck). Das immaterielle Naturerbe existiert niemals losgelöst von der materiellen Natur, sondern kann nur mit und durch sie existieren. Die „Monotonisierung der Welt“ (Stephan Zweig) führt deshalb immer auch zur Monotonisierung des Geistes und damit zur Verarmung des Menschen an seiner spezifischen Qualität.

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Tagung zum Immateriellen Naturerbe, Linde, 26.-28. Mai 2015

Die Teilnehmer kamen übereinstimmend zu der Einsicht, dass das immaterielle Naturerbe nur im Rahmen eines transdisziplinären Ansatzes als präziser Forschungsgegenstand fassbar wird. Die nächste Tagung zu diesem Thema findet im kommenden Jahr (2016) wieder in Linde statt.

Berlin, im Juni 2015

Für die Veranstalter und Teilnehmer Prof. Dr. Ulrich Zeller

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