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2 Unsere Chinabilder im Wandel Tai Chi Chuan Dr. Martin Bödicker Ulrich Daamen Silke Kremers Juni 2002

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Unsere Chinabilder im Wandel

Tai Chi Chuan

Dr. Martin Bödicker

Ulrich Daamen Silke Kremers

Juni 2002

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Unsere Chinabilder im Wandel

Einführung

In den folgenden Texten möchten wir, Ulrich Daamen und Silke Kremers,

zunächst kurz auf unsere Chinabilder im Wandel eingehen und anschließend in

einem kurzen Text unsere Gedanken und Ideen zu der Collage, wie wir China

heute sehen, beschreiben. Zuletzt möchten wir noch unseren reflexiven Teil

anfügen, der auf den ersten beiden Teilen aufbaut.

Ulrich Daamen

In sehr jungen Jahren basierte mein Chinabild sehr stark auf Unkenntnis der

chinesischen Kultur, Gesellschaft und Denkweise. Die einzigen Eindrücke, die

ich hatte, waren die weiter unberührter Landschaften, die historischer Bauwerke

und weiser Männer bzw. Mönche, die in Klöstern oder einsam gelegenen

Hütten meditierten, Kampfkünste ausübten und über die Welt sinnierten. Mit

dem politischen System oder der Geschichte Chinas hatte ich mich zu dieser

Zeit noch gar nicht auseinandergesetzt.

Viele Impressionen über China stammten und stammen zu großen Teilen auch

heute noch aus Reisefilmen oder den bekannten asiatischen Hong-Kong-Kung

– Fu – Filmen.

Außerdem verband ich mit dem Begriff China auch immer wieder eine gewisse

Ausgeglichenheit des Menschen mit sich selbst und der Natur. Dies konnten die

Chinesen, so glaubte ich, wie auch immer, durch ihre Meditationstechniken und

besonderen Bewegungsabläufe erreichen. Dass letzteres nicht zwangläufig so

sein muss, weiß ich spätestens seit dem Tai Chi-Kurs an der Universität Witten\

Herdecke.

Dieses Chinabild mag für viele, wie auch heute für mich, sehr klischeebehaftet

aussehen. Heute würde ich sagen, dass es in China wie auch in allen anderen

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Teilen der Welt große Denker und Philosophen gab und bestimmt auch gibt, die

durch besondere Leistungen und Erkenntnisse auf sich aufmerksam gemacht

haben und werden. Es ist wohl die wie auch immer geartete Andersartigkeit des

chinesischen Denkens, die für uns Westler so faszinierend ist und uns

hinterfragen lässt, ob die eigene Art über Dinge in der Welt zu denken die einzig

richtige ist. Nichts ist absolut, die Stärkung der einen Seite bringt die

Schwächung einer anderen mit sich. Das Ideal und reine Gute sowie das

absolute Gegenteil ist Fiktion. So stellt sich beispielsweise die asiatische

Denkweise gegenüber der westlichen dar.

In der Schule nahmen wir China zwar im Geschichtsunterricht kurz durch,

jedoch geschah dies eher in einem allgemeinen Rahmen. Dabei sind mir

besonders die Besetzung Tibets, die Kulturrevolution und der Studenten-

aufstand von 1989 in Erinnerung geblieben. Dies war das erste Mal, dass ich

mich näher mit den politischen Verhältnissen in China auseinandergesetzt

habe. So erkannte ich auch, dass China zwar ein Nationalstaat ist, jedoch aus

sehr vielen unterschiedlichen ethnischen, kulturellen und philosophischen

Gruppierungen besteht, die sehr vielschichtige Interessen vertreten (auch wenn

dies unter dem kommunistischen System schwierig sein dürfte).

Persönlichen Kontakt zu Chinesen hatte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch

nicht, so dass meine Informationen immer nur mittelbarer Natur waren.

In China war ich bis heute auch noch nicht, jedoch habe ich während eines

Urlaubsaufenthaltes in New York 1998 recht häufig Kontakt zu Chinesen

gehabt. Unter anderem war in dem Zimmer der Jugendherberge auch eine

Gruppe junger Chinesen, mit denen ich mich öfter unterhalten habe.

Obwohl damals alle sehr freundlich und zuvorkommend waren, war immer eine

gewisse Schüchternheit oder Zurückhaltung zu bemerken und es wurde viel

gekichert (Verlegenheit?). Unterhaltungen über China ergaben sich nicht direkt

beziehungsweise wir trauten uns nicht so direkt nachzufragen, um die Chinesen

nicht in die Situation zu bringen, unbequeme Fragen beantworten zu müssen.

Vielmehr unterhielten wir uns mit ihnen über den Urlaub in New York und die

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Sehenswürdigkeiten dort. Das fand ich eigentlich sehr schade, weil ich gehofft

hatte, bei dieser Gelegenheit über meine Mitbewohner ein wenig mehr über

China und dessen Bevölkerung zu erfahren.

Das Zusammenleben in unserem kleinen Jugendherbergszimmer war trotzdem

ausgesprochen lebhaft und spannend, wie es wahrscheinlich in einer

angenehmen Urlaubsatmosphäre immer der Fall ist, wenn alle die Welt etwas

lockerer sehen. Es war einfach grundsätzlich toll, Menschen aus anderen

Ländern zu treffen und mit ihnen in Englisch oder „mit Händen und Füßen“

sprechen zu können.

Inspiriert durch unsere Mitbewohner entschlossen wir uns, das Chinatown –

Viertel in New York zu besuchen. Ob Chinatown New York oder ähnliche Viertel

in anderen Ländern dem wahren Leben in chinesischen Städten gleichen oder

zumindest ähneln, kann ich nicht beurteilen.

Auf jeden Fall war es für mich eine Chance, eine der gesellschaftlichen

Ausprägungen der Auslandschinesen kennen zu lernen. Die Impressionen, die

ich dort sammeln konnte, waren auf jeden Fall vielfältig und interessant: Dieses

Viertel unterschied sich von den anderen Stadtteilen in New York doch sehr

stark.

Zum einen wurde mir sofort die isoliert erscheinende Situation dieses Viertels

klar, aber natürlich auch die unterschiedliche „Lebensart“. So gab es hier so gut

wie keine Supermärkte, sondern eher kleine Geschäfte, die sich zusätzlich noch

marktähnlich über die Bürgersteige erstreckten. Überall standen Verkäufer an

ihren Ständen und boten ihre Ware feil. Diese bestanden im wesentlichen aus

Meeresfrüchten (igitt, Tintenfische!!!) und teilweise undefinierbaren Nahrungs-

mitteln. Mit etwas Phantasie konnte ich mir vorstellen, tatsächlich in China zu

sein.

Besonders fiel mir das geschäftige Treiben auf. Alle drängten irgendwie

durcheinander und schienen sehr beschäftigt zu sein. Links von mir wurde ein

riesiger Topf umgekippt, aus dem sich eine dampfende und dunkel aussehende

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Brühe auf die Straße ergoss. Ein paar Schritte weiter befand sich eine Art

Schnellimbiss auf der Straße. In einem Wok - ähnlichem Gebilde wurde unter

großer Dampfentwicklung eines von den zahlreichen undefinierbaren, aber

interessant aussehenden Gerichten hergerichtet – riecht sehr gut! Über der

ganzen Straße schwebte ein sonderbarer Geruch, der neben dem

interessanten Ambiente und dem regen Treiben eine (sogar für New York)

fremdländische Atmosphäre schaffte.

An den Geschäften hingen grell bunt aussehende und nachts leuchtende

Reklameschilder und Neonröhren mit chinesischen Schriftzeichen (vermute ich

zumindest). Ich wurde immer wieder auf Englisch angesprochen, etwas zu

kaufen. Ansonsten wurde chinesisch gesprochen (vermute ich). Die meisten

Menschen machten einen sehr freundlichen aber sehr gestressten Eindruck auf

mich.

Es waren außer ein paar Touristen fast ausschließlich Asiaten zu sehen. Das

ganze war unheimlich spannend für mich, schon deshalb, weil ich es nicht

erwartet hätte. Eigentlich dachte ich, dass in Chinatown zwar viele Chinesen

leben, dass sich dieses Viertel allerdings so stark von den anderen in New York

unterscheidet, wusste ich vorher nicht.

Das ganze Szenario wirkte auf mich schon ein wenig wie ein möglicher

Ausschnitt aus dem vielfältigen chinesischen Gesellschaftsleben. Meditierende

Männer mit langen weißen Bärten habe ich dort nicht getroffen, aber dies gilt bi

den Chinesen wohl auch nicht mehr als chic sondern tendenziell eher als

unhygienisch. Zumindest haben mir das meine Mitbewohner erzählt, als ich sie

am folgenden Abend darauf ansprach.

In einer etwas ruhigeren Straße entdeckte ich eine Art Portal mit chinesisch

aussehenden Dächern und Schriftzeichen. Das ganze wirkte auf mich etwas

kitschig, da es optisch nicht ganz an diesen Platz neben den amerikanischen

Großstadthäusern passte. Vielleicht hatte man es für Touristen erbaut, vielleicht

war es aber auch dafür da, ein wenig Identitäts- oder Heimatgefühl herzustellen

oder sich auch einfach nur von den anderen Vierteln abzugrenzen.

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Ob es sich bei dieser kurzen aber intensiven Impression um einen Einblick in

das chinesische Leben, wie es in China vielleicht teilweise stattfindet mag,

handelte, vermag ich nicht zu sagen. In jedem Fall war es eine spannende

Erfahrung, die mein Chinabild, auch wenn es sich um ein Auslandschinesen-

viertel gehandelt hat, um einige Elemente erweitert hat.

Ganz ähnliche Erlebnisse hatte ich in dem chinesischen Viertel in London, in

dessen Nähe ich dort wohnte. Beide Reisen haben es mir ermöglicht, die

chinesische Kultur etwas näher zu betrachten, ohne dabei lediglich auf Film –,

Bild- oder literarisches Material zurückgreifen zu müssen.

Nach wie vor empfinde ich es jedoch als sehr schwierig, etwas Abschließendes

über China oder die Chinesen, die ich kennen gelernt habe, zu sagen. Dafür

waren die Impressionen einfach zu vielfältig und auch zu oberflächlich. Was ich

auf jeden Fall sagen kann, ist, dass die Vorstellung von, überspitzt formuliert,

weisen Männern mit spitz zulaufenden Bärten, meditierenden Mönchen oder

ähnlichen Dingen einfach zu einseitig ist. China und dessen Bevölkerung

scheinen mir ganz einfach auf ihre persönliche individuelle Art und Weise

anders zu sein als viele (westliche) Kulturen und vor allen Dingen anders als

sich dies viele Menschen möglicherweise vorstellen (meine Person

eingeschlossen).

Silke Kremers

Meine ersten Kontakte zu Asiaten überhaupt hatte ich im Alter von vier Jahren

in der Vorschule während eines Aufenthaltes in den USA. Allerdings habe ich

von dieser Zeit bezüglich Asien allgemein oder Asiaten keine konkreten

Erinnerungen, die sich von denen bezüglich anderer Kinder oder Länder

abheben würden.

Im Alter von fünf Jahren (wieder zurück in Deutschland) sah mein Asienbild,

womit ich damals (besonders) China und Japan verband, recht übersichtlich

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aus. Genau genommen machte ich sogar keine großen Unterscheidungen

zwischen diesen beiden Ländern, schien mir doch vieles damals sehr ähnlich

zu sein.

Ich dachte an Pandabären in weiten einsamen Bambuswäldern, Drachen (die

bunten von den Papierschnitten) oder alte weise Männer mit spitzen langen

weißen Bärten, die, blau gekleidet und manchmal Pfeife rauchend oder Tee

trinkend, in ihren offenen Bambushütten auf den schroffen Bergen bei Nebel

saßen und sinnierten oder philosophierten.

Dieses Bild wurde auch durch die Erzählungen unserer Lehrerin beim Jiu-Jitsu

weiter gefestigt, die uns parallel zum Kampfsport Geschichten zur Entstehung

und Lehre erzählte. In diesem Zusammenhang ist mir besonders das Bild eines

Mannes, der in seiner Hütte auf einem Berg saß und den Sturm beobachtete,

sehr haften geblieben. Er stellte fest, dass sich die Weiden bogen, während die

dicken steifen Bäume unter der Kraft des Windes zerbrachen. Daraus schloss

er, dass dies auch auf die Menschen übertragbar sein musste; jemand der

schwach und zierlich war, sollte sich, indem er die Kraft des Gegners nutzte,

verteidigen können. Diese rein auf Verteidigung ausgerichtete Kampfsportart

wurde dann später Jiu-Jitsu genannt. Diese Kampfsportart war der erste

„engere“ Kontakt, den ich zur asiatischen (hier: japanischen) Denk- und Le-

bensphilosophie bekam.

Mein Bild war insgesamt sehr positiv (wenn auch unrealistisch oder einseitig)

und erweiterte sich mit der Zeit um neue Aspekte, die aber in erster Linie sehr

historischer Natur waren (die große Mauer, die Verbotene Stadt, Schießpulver,

...) und wovon lediglich die blutige Niederschlagung der Studentenaufstände im

Jahre 1989 mein Bild nachhaltig anders beeinflusste. In diesem Fall sogar recht

negativ: Panzer und Soldaten, die gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt

wurden.

Eine weitere drastischere Änderung dieses Bild erfolgte, als wir in der Oberstufe

(1993 – 1995) das Thema „China“ im Sozialkundeunterricht zusammen mit

einem liberalen Ex-Maoisten behandelten. Wir begannen in der Geschichte mit

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dem letzten Kaiser und arbeiteten uns (rein geschichtlich, wenig kulturell) bis zu

Deng vor. Was mir dabei im Gedächtnis besonders haften geblieben ist, ist der

lange Bürgerkrieg sowie der nicht minder blutige Einfall der Japaner in China,

der uns – auf Filmmaterial gebannt – vorgeführt wurde. Es folgten unter

anderem der Große Sprung nach vorne und die Kulturrevolution, der Tod Maos,

die Zerschlagung der Viererbande und schließlich die Reformen unter Deng.

Mittlerweile war mein Bild eher von Mao-/Kommunismus, „Grauheit“ (die großen

grauen Mammutbauten zum Beispiel am Platz des Himmlischen Friedens), der

Unterdrückung Andersdenkender und kleinen (Reform-) Schritten geprägt. Auf

der anderen Seite stand zwar immer noch das eher romantische (schönere und

friedlichere) Bild, aber das gerade vorher beschriebene dominierte.

Zu Sylvester 1996/1997 klingelte gegen Abend das Telefon: „Hat einer von

euch Lust mit nach China oder Marokko zu fliegen?“ Komische Frage, aber eine

lustige fixe Idee. Am Anfang war es nur eine Spielerei, hatte ich vorher doch

nicht in Ansätzen erwogen, einmal nach China zu fliegen, aber der Gedanke,

einmal auf der Großen Mauer zu stehen, war doch ausgesprochen reizvoll. Der

Bekannte, der angerufen hatte, war ein katholischer Priester aus unserem

Bekanntenkreis, dem man Werbungsreisen für Gruppenleiter der katholischen

Kirche in die oben aufgeführten Länder angeboten hatte. Die Reise sollte im

November stattfinden und einige Wochen dauern. Die chinesische

Reiseagentur erhoffte sich durch diese Aktionen zunehmenden Tourismus nach

China und ich mir „exotische“ Abwechslung und Eindrücke. Im Hinterkopf

schwirrten zwar immer noch die Gedanken an das kommunistische „Grau“, aber

die Neugier und die Reiselust überwogen eindeutig und so versuchte ich mich

durch Reportagen und verschiedene Reiseführer sowie das Buch „Kulturschock

China“ (mein absolutes Lieblingsbuch in dieser Richtung bisher) in

Reisestimmung zu bringen.

Der Weg bis wir ins Flugzeug steigen durften, gestaltete sich allerdings recht

schwierig: Laut Auskunft unseres deutschen Reiseleiterpendants zierte man

sich sehr mit der Genehmigung der Visa und so wussten wir schließlich eine

Woche vor dem Abflugtermin noch nicht, ob wir überhaupt einreisen können

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würden. Irgendwann kurz vorher erhielten wir sie dann doch. Allerdings sollten

wir uns, wie uns unsere Reiseleitung mitteilte, als „Arbeiter“ ausgeben, obwohl

alle Beteiligten wussten, dass 50 Prozent von uns katholische Priester und der

Rest Kirchenmitarbeiter waren. Bei mir persönlich war das weniger

problematisch, da ich mich zu jener Zeit in der Ausbildung befand und durchaus

„Arbeiter“ war. Wie man im Falle eines Falles das Arbeitersein der Priester

ausgelegt hätte, möchte ich heute nicht unbedingt wissen, obwohl man uns

immer wieder versicherte, dass es in China Religionsfreiheit gäbe. Zusätzlich

wurden wir darauf hingewiesen, in der Öffentlichkeit keine religiösen

Handlungen vorzunehmen oder gar zu missionieren, aber das hatte eh keiner

von uns vor.

Trotz aller Schwierigkeiten im Voraus habe ich mich sehr auf die Reise gefreut,

obwohl im Hinterkopf die ganze Zeit klar war, dass man sich nach wie vor in

einem mehr oder weniger totalitären Regime bewegt, auch wenn oder gerade

deswegen China für Touristen ein relativ sicheres Reiseland war.

Bereits im Flugzeug wurden Bekanntschaften sowohl mit Chinesen als auch mit

Europäern gemacht, die wir danach immer wieder in China und beim Rückflug

getroffen haben. Wie klein die Welt doch ist (oder: wie ausgetreten Touristen-

pfade doch sind)!!! Jenseits aller Vorsätze, den Flug zum Ausschlafen zu

nutzen, habe ich während der ganzen Zeit kaum geschlafen, da einfach alles

viel zu interessant war und wir uns in einem kleinen Kreis vor einem der

Notausgänge mehr oder weniger die ganzen zwölf Stunden wunderbar

unterhalten haben.

Bei der Kontrolle der Pässe und Visa am chinesischen Flughafen wurden wir

jedoch schnell wieder auf den Boden der Bürokratie geholt, als ein chinesischer

Beamter, der vorher noch englisch sprach und verstand, unser Gruppenvisum

nicht anerkennen wollte und von einem auf den nächsten Augenblick auch

nichts mehr verstand. Keiner von uns konnte nur ansatzweise verhandlungs-

sicher chinesisch sprechen und so hätten wir vor einem enormen Problem

gestanden, wenn nicht unsere chinesische Reiseleitung bereits vor Ort

gewesen wäre und alles auf ihre Art und Weise geregelt hätte.

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Vor dem Flughafen erwartete uns dann ein Kleinbus, der uns in die Stadt zu

den verschiedenen Lokalitäten bringen sollte. Meine ersten Eindrücke von

Shanghai waren allerdings ganz anders als erwartet:

• Gott ist das kalt, es sollte doch eigentlich wärmer sein!!!

• Mist, der Bund erinnert mich an eine Symbiose aus den USA und Great

Britain (Skyscraper, Cola, englische Gebäude,..., alles relativ

„unchinesisch“ abgesehen von der Schrift und den Menschen). Ähnliches

gilt für große Teile der Nanjing-Straße. Glücklicherweise änderte sich

dieser Eindruck am nächsten Tag.

• Chinesen vermeiden es, in der Öffentlichkeit Dinge zu tun oder zu sagen,

bei denen sie ihr Gesicht verlieren könnten – eine Massenschlägerei vor

dem Kaufhaus?

• Wie viele Menschen passen eigentlich in und an einen Linienbus und wie

schafft es jeder, an der Haltestelle auszusteigen, an der er raus

möchte?!?

• Wie im Zoo, aber dieses Mal stehe ich hinter dem Gitter. Dies klingt zwar

merkwürdig, ist aber nicht negativ gemeint. Allerdings passierte es am

laufenden Band, dass Leute uns über die Arme und Hände strichen (die

Häärchen?), in die Haare griffen oder sich für Fotos neben uns stellten.

Einige fragten vorher freundlich schüchtern, andere grinsten (verlegen

oder fragend?) und wieder andere handelten einfach. Aus diesem

Fotografierwahn (von europäischer wie von chinesischer Seite) hätte

man mit einem mitgebrachten Dirndl und einer Polaroidkamera mit

Sicherheit ein Bombengeschäft machen können.

• So viel Freundlichkeit und Neugier!!! Wie begegnet man wohl Chinesen

in Deutschland? Ist der Gewöhnungseffekt, was den Kontakt mit Asiaten

betrifft, in der BRD sehr viel größer als der mit Europäern in China?

• Trauerfeier im Tempel: Gerüche und optische Reize bewirken, dass ich

mich um ein paar hundert Jahre in der Zeitrechnung zurückgeworfen

fühle. Ich weiß nicht so genau, wie ich mich gegenüber den Trauernden

verhalten soll.

• Enorme Armut neben auch sehr Reichen

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• Wie überleben diese enorm Verkrüppelten und woher kommen diese

vielen Erwachsenen und Kinder mit fehlenden Gliedmaßen und den

Entstellungen??? Mangelnde Sicherheit in Fabriken?!?

• Geniale Gerüche und Farbenimpressionen: Worauf man was alles wie

kochen und brutzeln kann!!! Das zum Thema Garküchen. Allein von den

verschiedenen Gerüchen hätte ich gerne ein paar Proben mit nach

Hause genommen.

• Umbruch!!!

• Öffentliche Toiletten!!!

• Überall hängen, liegen und stehen morgens Menschen herum;

besonders die ältere Generation sieht man auch tagsüber in

Konzentrations- und Sportaktivitäten vertieft.

Im nachhinein betrachtet hätte ich die Hälfte der Zeit auf Märkten oder in

Garküchen verbringen können, dort sah alles irgendwie anders und spannend,

manchmal auch einfach nur merkwürdig oder gar für europäische Vorstellungen

abstoßend aus, besonders wenn es den Umgang mit Tieren betraf. Da möchte

man nicht Nahrungsmittel sein müssen!

Unser Zeitplan war vollgepackt mit den unterschiedlichsten Besichtigungen von

historischen Bauten, Tempeln, Fabriken und Kulturobjekten, doch das Leben

und Treiben in den Gassen um uns herum hat mich am meisten fasziniert. Die

„kleinen“ und alltäglichen Szenen des Lebens haben mich weit mehr interessiert

als alle zur Schau gestellten Kunst- und Kulturschätze, die wir gesehen haben,

obwohl dies in keiner Weise abwertend gemeint sein soll. Insgesamt erlebten

wir in dieser Zeit während unseres gesamten Aufenthaltes neben dem

offiziellen Programm zwei Geburtstagsfeiern, zwei Trauerfeiern und eine

Hochzeit. Dabei wirkten jedoch lediglich die Trauerfeiern mit der Verbrennung

derjenigen Gegenstände, die dem Toten im Jenseits zur Verfügung stehen

sollen, auf mich traditionell chinesisch, während die Hochzeit, die wir gesehen

haben, tendenziell sehr europäisch orientiert erschien, soweit wir sie miterlebt

haben, genauso wie die Geburtstagsfeiern.

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Von Shanghai aus ging es weiter nach Xi` an. Auf eine detaillierte

Reisebeschreibung möchte ich, wie oben auch, verzichten, und nur kurz auf

einige Momentaufnahmen eingehen, die mich nachhaltig beeindruckt haben,

ohne diese komplett auszuformulieren:

• Mein Gott kann das stinken (Luftverschmutzung)!!! Wieder ein neuer

Geruch.

• Gelbe Smogglocke über der Stadt

• Armut!!! Scheint hier flächenmäßig anders anzutreffen zu sein als in

Shanghai, wo ich derartiges nur in der Nähe des Jade-Buddha-Tempels

in dieser Form gesehen habe. Mag aber auch Zufall gewesen sein.

Allgemein erscheint die Bevölkerung Xi` ans pauschal betrachtet um

einiges ärmlicher zu sein als die Shanghais.

• Fleiß!!! Wie man auf vier Quadratmetern lebt und arbeitet!?! Wünsche

mir eine solche Motivation auch mal für Deutschland.

• Geschäftssinn und feilschen sind was Feines. Aufbruchstimmung:

Reich werden ist herrlich!!!

• Wie ziehe ich dumme Europäer beim Schuhputzen erfolgreich über den

Tisch (wie bei meiner Zimmermitbewohnerin geschehen)!?! Merken:

Aufpassen!!!

• „Kennen Sie Dellik/ Klinsmann?“ Mit diesen Fragen habe ich nun

wirklich nicht gerechnet. Aber: Man scheint Horst Tappert in China gut

zu kennen.

• Tatsächlich, es gibt sie: Tai Chi in den frühen Morgenstunden im Park

Unsere letzte Etappe war Beijing und auch dort waren die Impressionen

ähnlicher Natur:

• Das Wievielfache der eigenen Höhe des PKWs/ LKWs kann man auf

einen PKW oder LKW laden, bevor dieser den Elchtest nicht mehr

besteht?!?

• Ein Bus mit Gasblase auf dem Dach und wo kommen eigentlich die

Kamele her!?!

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• Einfache und ärmliche Dörfer auf unserem Weg zur Großen Mauer. Kein

„High Tech“ weit und breit.

• Spießrutenlauf vor enorm kommerziell orientierten Händlern an der

Großen Mauer.

• Wieso herrschen hier am Rande der Gobi im November höhere

Temperaturen als in Shanghai?

• Peking-Oper = hohe Töne + Kung-Fu + Akrobatik + viel Mimik: Sehr

spannend!!!

• Was esse ich da eigentlich – egal!!!

Obwohl wir die ganze Zeit in China gewesen sind, hatten wir kaum Gelegenheit,

uns mit Chinesen zu unterhalten, da wir ein straffes Programm vor uns hatten

und bei gesellschaftlichen Ereignissen (dem Essen) fast grundsätzlich von

Einheimischen, aber auch anderen Nationen wie Japanern oder Amerikanern

getrennt wurden.

So haben wir überwiegend die positiven und interessanten Seiten dieses

gigantischen Landes gesehen, aber die negativen Seiten nur in Ansätzen.

Dennoch kamen kurze Begegnungen der unterschiedlichsten Art zustande,

wenn auch meist nur flüchtig.

Tiefgreifende Erkenntnisse über die andere Mentalität gab es deshalb und

aufgrund der kurzen Zeit auf meiner Seite nicht, sondern primär neue

Sinneseindrücke oder „allgemeine“ Erkenntnisse, von denen ich nicht weiß, in

wie weit man sie verallgemeinern kann. Vieles erschien mir auf der einen Seite

dem europäischen Lebensstil sehr ähnlich und doch wieder komplett anders.

Am schwierigsten fand ich es immer, nicht zu wissen, ob mein chinesischer

Gegenüber versuchte, sich europäisch zu geben oder ob er sich so klassisch

chinesisch verhielt und ich das nur nicht merkte oder fälschlich

hineininterpretierte. Besonders oft habe ich darüber nachgedacht, wenn es um

das chinesische „Gesicht verlieren“ ging oder hätte gehen können. Meint mein

chinesischer Gegenüber mit dem Satz „Deine Handschuhe sind schön weich!“

in Wirklichkeit „würdest Du sie mir schenken?“ und sagt er dies nur nicht, weil er

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bei einer Ablehnung befürchtet, sein Gesicht zu verlieren, oder ist es nur eine

Höflichkeitsfloskel am Rande?!? Bekannte erzählten mir, dass an solchen

Missverständnissen enge Freundschaften (auch unter Chinesen) zerbrechen

können, wenn die jeweiligen Parteien den eigentlichen Sinn dieser Aussagen

nicht richtig verstehen. Während meiner Zeit in China wusste ich bei vielen

Aussagen deshalb auch nicht immer genau, wie ich diese interpretieren sollte.

Allerdings ließen sich in einfacheren Situationen mit einem freundlichen oder

verlegenen Lächeln vielfach simplere Kommunikationsprobleme überbrücken.

Zumindest schien mein Gegenüber dann zu verstehen, dass ich nichts mehr

verstand.

Auf jeden Fall war ich von der Neugier und der Freundlichkeit der meisten

Chinesen sehr überrascht, hatte ich angesichts geschichtlicher Gegebenheiten

doch tendenziell eher nicht damit gerechnet. Allerdings habe ich in meinem

gesamten Leben noch kein so „kapitalistisches“ Land erlebt wie China,

zumindest wenn man die Güterfülle auf den überall vorhandenen Märkten und

den Fleiß und die Motivation vieler Chinesen erlebt, die ihr „Unternehmen“

leben, frei nach dem Motto „Reich werden ist herrlich“, obwohl ich trotzdem

glaube, dass neben allem Kapitalismus und Kommunismus traditionelle

Denkweisen und Religionen nach wie vor sehr präsent sind. Viele vielleicht

mehr denn je, zumindest wenn man von dem regen Treiben in den

verschiedensten Tempeln ausgeht.

Das, was ich seinerzeit dort erlebt habe, dominiert auch heute noch das Bild,

welches ich von China habe, sehr stark. Seit meiner Teilnahme an dem Tai Chi

Kurs in der Uni habe ich nun auch festgestellt, dass Tai Chi nicht zwingend das

ist oder sein muss, was deutsche Esoteriker daraus machen und dass ich mich

nicht zwangsweise beim Tai Chi entspannen muss und dass vieles anders ist

als es scheint. Auf die weitere Geschichte beziehungsweise die Zukunft von

„East meets West“ im Rahmen des Tai Chi und der Medienübermittlung oder

Selbsterfahrung bin ich schon sehr gespannt und freue mich auf weitere

Puzzlestücke meines sich ständig leicht ändernden Chinabildes.

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Einige Worte zu unserer Collage

Welche Bilder wir für unserer Collage brauchten beziehungsweise wie wir uns

China ungefähr nach unserem aktuellen „Bildstand“ vorstellten, wussten wir

beide und so konnte das große Gesuche und „Geschnibbele“ losgehen.

Es gab einige Kernpunkte, Probleme und Charakteristika, die wir gerne mit

aufnehmen wollten. Wenn wir uns über das Thema „China“ unterhielten, fielen

uns oft Gegensätze und „Gigantismen“ ein. Einer der größten Gigantismen war

für uns beide die Menge an Bevölkerung, die mittlerweile jenseits von einer

Milliarde Menschen liegt. Aus diesem Grund wird besonders auch der rechte

Teil der Collage sehr stark von Menschen dominiert. Obwohl der größte Teil der

Bevölkerung von den Han - Chinesen gebildet wird, leben sehr viele ethnische

Minderheiten in dem Riesenreich China. Aus diesem Grund haben wir versucht,

einige Bilder dieser Minderheiten zu bekommen und haben diese dann im

linken und unteren Teil der Collage eingeklebt.

Da wir China ethnisch, kulturell und auch von verschiedenen Impressionen her

sehr „bunt“ finden, haben wir die Collage auch entsprechend „bunt“ gestaltet.

Auf der anderen Seite haben wir allerdings auch erfahren, dass viele Regionen

der chinesischen Volksrepublik kein idealer Lebensraum für Menschen sind, da

der Boden nur wenige Erträge hervorbringt beziehungsweise sogar nur aus

Wüste oder unwirtlichem Ödland besteht. Dabei sind wir davon ausgegangen,

dass die Küste sowie der Süden der VR China in den meisten Teilen und das

Land entlang der Flüsse tendenziell stärker besiedelt sind als der nordöstliche

Bereich, weshalb wir die Ecke links oben in unserer Collage der Natur

gewidmet haben, auch wenn wir aus Gründen der Harmonie in diesem Sektor

keine Bilder von Wüsten untergebracht haben, die natürlich auch besonders im

nördlichen und nordöstlichen Bereich der Volksrepublik China einen

bedeutenden Anteil am Spektrum der landschaftlichen Regionen haben (z. B.

die Wüste Gobi).

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Um das ganze noch auf die Spitze zu treiben und einen Teil der gigantischen

Ballungsgebiete wie zum Beispiel Shanghai darzustellen, haben wir besonders

oben rechts in der Collage einen großen Teil der Fläche Ausschnitten

gewidmet, die wir typischerweise mit chinesischen „Großstädten“ in Verbindung

bringen: Hochhäuser, viel Verkehr, Gedränge, Bilderfluten durch Werbetafeln,

Leuchtreklamen, High-Tech, moderne Wirtschaft, „Mode“, Fernsehen und

andere verschiedenste Sinneseindrücke.

Einen weiteren Gegensatz haben wir im Kontrast von linker und rechter Hälfte

der Collage darzustellen versucht. Der linke Teil soll tendenziell eher Ruhe,

Beschaulichkeit und Harmonie ausstrahlen und das „Land“ darstellen, während

der rechte Teil (die Städte) einen Eindruck von Lärm, Unruhe, Masse, vielleicht

auch Dreck und Gestank vermitteln soll, obwohl wir gerade zum Thema „Müll

und Dreck“ wenige Bilder finden konnten. Allerdings sind die Chinesen im Alltag

sehr erfinderisch, wenn es darum geht, Dinge „wiederzuverwerten“ und der

sichtbare Dreck lag für uns zum überwiegenden Teil in der Luft, während die

Orte im allgemeinen sauber aussahen. Ausnahmen hiervon waren zum Beispiel

die „Notdurft“ kleiner Kinder. Viele trugen keine Windeln (wir schätzen aus

finanziellen Gründen) und hatten in der Mitte nicht zusammengenähte Hosen,

was uns angesichts der Kälte überraschte, und wurden bei Bedarf, wenn sie

mussten, einfach dort hingehalten, wo sie gerade standen. Die Tatsache, dass

man nicht mal versuchte, eine Ecke oder die nächste öffentliche Toilette im

Kaufhaus zu finden, wunderte uns schon, vor allem, da es oft noch nicht einmal

den Gehwegrand traf.

Ähnliches passierte auch mit Lebensmittelresten wie zum Beispiel Knochen, die

oft auch einfach nur fallen gelassen wurden, oder mit überflüssigem Nasen- und

Rachenschleim, der ohne Rücksicht auf Verluste in die Gegend gerotzt wurde.

Man erzählte uns dazu, dass viele Chinesen es unhygienisch finden würden,

ein Taschentuch mit Schleim in der eigenen Hosentasche zu tragen. Allerdings

haben wir keine Möglichkeit gefunden, diese kulturellen Unterschiede in unserer

Collage zu verarbeiten, fanden aber diese unterschiedlichen Sicht- und

Behandlungsweisen dieser kleinen Dingen des Lebens sehr unterhaltsam

(wenn wir sie nicht direkt abbekamen). Denn, obwohl sie (die Han-Chinesen) im

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Normalfall sehr höflich sind, haben wir am eigenen Leibe erfahren, dass diese

Höflichkeit und Rücksichtnahme nicht für die Masse gilt und man an allen

Orten, wo es Gedränge gibt, aufpassen muss, nicht weggeschubst zu werden

oder einen Ellenbogen abzubekommen. In China wie auch hier in Deutschland

gilt: Die Ältesten sind die härtesten!!!

Dort in den Mammutstädten, wie auch in ganz China, treffen Moderne und

Historie aufeinander. Das Neue baut teilweise buchstäblich auf dem Alten auf

und so muss leider auch vieles Historisches, wie zum Beispiel alte Stadtviertel

der Moderne weichen. Unsere Collage wird von links oben bis rechts Mitte

unten von der Großen Mauer durchzogen, die uns ursprünglich als Trennmittel

von Altertum und Moderne sowie Stadt und Land dienen sollte. Allerdings

haben wir uns dann überlegt, dass es eigentlich keine klare Trennung gibt,

sondern dass beides wechselseitig aufeinander aufbaut beziehungsweise

einige Sachen, wie oben angedeutet, zwar verdrängt werden, dass im Großen

und Ganzen aber keine Absoluta vorhanden sind. Deshalb kann man in der

Collage Unterbrechungen zwischen den Mauerabschnitten durch Menschen-

ströme, Landschaften beziehungsweise Alltagssituationen sehen. Tendenziell

ist der linke Bereich eher der Tradition beziehungsweise der Historie und der

Natur vorbehalten, während der rechte Teil eher der Moderne und oben rechts

sogar vielleicht den kapitalistischen Welten gehört.

Uns ist in vielen Schilderungen unterschiedlichsten Ursprungs aufgefallen, dass

„die Chinesen“ momentan vieles im Namen des Fortschritts zerstören, das die

gewachsene oder historische Sozialstruktur stören oder Unwiederbringliches für

immer vernichten könnte. Damit meinen wir vor allem die alten Stadtviertel zum

Beispiel von Shanghai oder Bejing, die zugunsten moderner Hochhäuser

abgerissen werden. Ein anderes Beispiel mag das ehrgeizige Staudammprojekt

sein, dem viel Dörfer und historische Baudenkmäler zum Opfer gefallen sind

und fallen werden.

Allerdings hat auch in vielen Bereichen ein Umdenken stattgefunden und so

gibt es viele Chinesen, die sich für den Erhalt der alten Viertel einsetzen.

Natürlich spielen dort bei einigen Kalkülen auch solche Aspekte wie

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„Touristenattraktionen“ eine Rolle, wie man uns mitteilte. Aus diesem Grund,

und weil das eine auf dem anderen aufbaut, sieht man auch im moderneren

Bereich unserer Collage klassische Elemente hervorblitzen.

Ein weiterer, für uns sehr wichtiger Aspekt und ein gesellschaftlich sehr

wichtiges Ereignis im Leben eines Chinesen ist das Essen: Deshalb findet

„Essen“ auch in der gesamten Collage seinen Platz wieder und auch wir durften

das chinesische Essen sehr schätzen lernen und möchten deshalb seine

Position im Leben und der Collage nur bestätigen.

Ein großer Unterschied ist uns auch bezüglich Armut und Reichtum in den

Städten und im Bezug von Stadt zu Land aufgefallen. Viele Dörfer sahen im

Gegensatz zu den Städten ärmlicher aus, allerdings gab es dort auch keine

Ghettos, wie sie in den großen Städten zu sehen sind. Die Frage ist also, wo für

einen tendenziell eher ärmeren Chinesen die Lebensqualität höher ist: In einem

der unschönen Ghettos oder fernab der Städte auf dem Land. Wir wissen es

nicht. Allerdings sprechen viele von einer hohen Landflucht, von Menschen, die

ihr Glück in der Stadt machen wollen. Auch uns sind Bilder haften geblieben

von Menschen, die ihre Arbeitskraft irgendwo an belebten Straßen über

Schilder anbieten, ihr Hab und Gut und Werkzeug neben sich. Ob sie

glücklicher oder chancenreicher als die auf dem Land sind, wissen wir nicht.

Die reicheren oder zumindest mittelständischen oder wohlhabenden Chinesen

sind uns vielfach in den Städten durch ihren ausgeprägten modischen

Geschmack aufgefallen (deshalb u. a. oben rechts ein Model von Benetton als

Symbol). Die meisten jüngeren Leute scheinen vor allem sehr viel Wert auf ihr

Äußeres zu legen. Besonders drastisch war der Unterschied meistens dann,

wenn wir irgendwo ganze Familien bei Wochendausflügen gesehen haben und

die jüngeren farbenfroh, edel und/ oder „hip“ gekleidet waren, die älteren zwar

auch sehr gepflegt, aber in der sehr schlichten (dunkel)blau-grauen Kleidung

auftraten, die wir auch heute noch mit Mao in Verbindung bringen (siehe z. B.

Familie Mitte unten).

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Die Frage, die wir uns im Vergleich von Vier-Quadratmeter-Bruchbuden und

Arbeitssuchenden auf der einen und Villen und Reichwerdenden auf der

anderen Seite stellen, ist, ob es die chinesische Regierung schaffen wird, alles

so zu regeln und „umzuverteilen“, dass keine so starken Reichtum- und

Armutsgefälle entstehen mit den entsprechenden Problemen, wie dies zum

Beispiel in Brasilien der Fall ist.

Auf jeden Fall stellt dies große Anforderungen an das Organisationstalent der

Regierenden. Leider haben wir nur wenige beziehungsweise gar keine

geeigneten Bilder zur Armut in China gefunden, so dass diese nicht großartig

oder zumindest nur unterschwellig in der Collage auftauchen kann.

Ein weiterer Punkt, der uns sehr wichtig war, war diese starke Vermischung

oder zumindest das drastische Aufeinandertreffen von „Ost“ und „West“ (siehe

Mitte bis rechts oben). Besonders in den ehemaligen Imperialgebieten und den

modernen „Aufschwungszonen“ ist uns dies besonders aufgefallen. Viele

Elemente des Bundes in Shanghai zum Beispiel könnten auch in Kalifornien,

New York oder London auftauchen, besonders wenn man sich die Promenade

mit Palmen, Hochhäusern und alten britischen Gebäuden betrachtet. Auch

solche Errungenschaften wie „Vergnügungsparks“ und Ausflugsziele schießen

wie Pilze aus dem Boden und Wochenendausflüge und Urlaub scheinen zuneh-

mend an Bedeutung zu gewinnen. Das erinnerte uns doch ein bisschen an

unsere westliche „Spaß- und Konsumgesellschaft“, auch wenn diese chine-

sische vielleicht gerade mal in den fortgeschrittenen Kinderschuhen steckt.

Konsummöglichkeiten gibt es zumindest an jeder Ecke und in unserer Collage

tauchen sie unter anderem im mittleren und unteren rechten Teil auf. Auch der

stark besuchte Mauerabschnitt in der rechten Mitte gehört dazu. Allerdings

muss man dazu sagen, dass die Ausflüge zu Tempeln und historischen Plätzen

nicht nur unter Konsumaspekten, sondern auch unter nationalistischen und

kulturellen Aspekten zu betrachten sind. Dies ist keineswegs negativ gemeint,

sondern soll ausdrücken, dass die meisten Chinesen tief mit ihrer Kultur

verwurzelt sind und stolz darauf, Chinese zu sein.

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Außerdem scheint der von Deng inszenierte Kapitalismus unter der

kommunistischen Regierung und mit konfuzianischen, daoistischen,

buddhistischen und anderen Denkströmungen und Religionen zu zahlreichen

Lebensweisen und Haltungen zu führen, je nach Vereinbarkeit mit dem

Historischen und der Zufriedenheit mit dem Neuen. Dies haben wir versucht

über Bilder von Denkmälern, Philosophen, alten Tempeln, betenden Menschen

und Mönchen darzustellen.

Was uns immer wieder verblüfft, ist, dass man es, wie es ausschaut, schafft,

den westlichen Kapitalismus mit traditionellen Ansätzen zu unterfüttern, ohne

dass es offensichtlich zu schweren strukturellen Brüchen, wie zum Beispiel

innerhalb des Sozialsystems „Familie“, kommt. Allerdings sind wir auch nicht so

weit in der Materie drin, dass wir sagen könnten, ob und welche gravierenden

Probleme im Untergrund der chinesischen Seele schmoren und vielleicht nur

noch nicht ausgebrochen sind. Die Tatsache jedoch, dass östlicher

Konfuzianismus auf westlichen Individualismus (ohne den üblichen

Familienbezug) trifft, lässt uns befürchten, dass es mittelfristig zumindest zu

Generationenkonflikten und, wie bereits angesprochen, zu einer Verschlechter-

ung des sozialen Auffangsystems für Rentner kommen kann, wenn sich die

jüngeren Generationen nicht mehr zur Unterstützung ihrer Anverwandten

verpflichtet fühlen sollten. Inwieweit die chinesische Gesellschaft dafür

allerdings anfällig ist, wissen wir nicht.

Auf der anderen Seite muss man ja auch sagen, dass sich viele Dinge bereits

(auch unter Mao schon) verändert haben, zum Beispiel wenn man die Rolle und

die Rechte der Frau betrachtet. Wie das dann im einzelnen mit der

Durchsetzbarkeit in den verschiedenen Regionen aussieht, ist eine andere

Frage.

Bezogen auf alte Rollen und das oben angesprochene Familiensystem fragen

wir uns auch, welche Rolle den Kindern beziehungsweise der Hierarchie in

einer modernen chinesischen Familie in der Stadt zukommt. Unser Eindruck ist,

dass die kleinen Chinesen seit der Einführung der Ein-Kind-Politik die neuen

„kleinen Kaiser“ Chinas sind und entsprechend verhätschelt werden. Kinder

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nehmen deshalb in unserer Collage vor allem im rechten und mittleren Bereich

eine zentrale Rolle ein.

Die Kleinen werden oft sehr stark „herausgeputzt“ (Bilder rechts), fotografiert

(siehe Bild Mitte Mutter mit Kind als Kaiserinwitwe und letzter Kaiser) und man

gönnt sich und ihnen etwas, zum Beispiel in einem der zahlreichen und immer

wieder neu aus dem Boden schießenden Vergnügungsparks (Ausschnitte

rechts unten). Allerdings scheint man sie nicht nur sehr zu verwöhnen sondern

auch großes von ihnen, als einzigen Kindern, zu erwarten. Zumindest erzählte

uns dies ein chinesischer Student, als er in einem Nebensatz erwähnte, dass

viele Kinder dem Leistungsdruck von zuhause und von der Schule aus kaum

stand halten könnten.

Einen weiteren Unterschied hätten wir gerne in den unterschiedlichen

Systemen von Plan- und „freier“ Marktwirtschaft dargestellt, allerdings ließ sich

dies in Bildern nur schwer darstellen, da Bilder die unterschiedlichen Systeme

auf der Basis der Produktion nur schwer wiedergeben können. Wenn man

dagegen Bilder von (Straßen-) Händlern als Zeichen von „Markt“ sucht, wird

man sehr schnell fündig. Ansonsten scheint es in China ja beide Systeme nach

wie vor nebeneinander und in vielen Bereichen auch ineinander übergehend zu

geben.

Trotz des stark ausgeprägten Kapitalismus darf man nicht vergessen, dass die

chinesische Regierung immer noch eine kommunistische ist und Militär und

Polizei für Ordnung im Land sorgen. Aus diesem Grund sieht man besonders

im rechten und im mittleren Teil der Collage immer wieder Polizisten

auftauchen, die die Situation beobachten und unter Kontrolle halten (als Symbol

für die Staatsmacht und –kontrolle).

In diesem Zusammenhang möchten wir auch noch kurz auf das chinesische

Filmwesen eingehen, welches neben den uns altbekannten traditionellen Hong-

Kong-Kung-Fu-Filmen einiges an Produktionen zu bieten hat, die zwar nicht

immer „leicht verdaulich“, teilweise sogar sehr schwer, dafür aber vielleicht auch

sehr chinesisch sind oder zumindest Probleme des chinesischen Lebens von

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damals und heute aufgegriffen haben. Dabei denken wir besonders an Filme

von Zhang Yimou (wir hoffen, dass wir den Namen richtig geschrieben haben)

mit Gong Li, die in China auch nicht unumstritten waren und auch international

große Anerkennung gefunden haben. Dazu fallen uns zum Beispiel „Leben“

oder „Die rote Laterne“ ein. Ihnen wurden einige Bilder in der Mitte der Collage

gewidmet. Ein anderes Beispiel wäre vielleicht der Film von Ang Lee „Eat,

Drink, Man, Woman“, der in der Gegenwart spielt und für unsere Begriffe etwas

melancholisch ist. Insgesamt ist uns aufgefallen, dass die meisten chinesischen

Filme, die wir kennen, soweit wir von Kung-Fu-Filmen mal absehen, nach

unserem Verständnis meistens keine oder nur wenige fröhliche oder gar frohe

Momente enthalten, sondern meist schwermütig sind und tapfere, aber leidende

Hauptdarsteller haben.

Die einzige Sendung, die wir kennen gelernt haben, die nur auf „Frohsinn“ oder

zumindest Schadenfreude aufbaute, war die chinesische Version von „Bitte

lächeln“. Fragt man sich in Deutschland, ob das Ganze ethisch korrekt ist, weil

die potentiellen Zuschauer schneller dazu neigen könnten, in den

entsprechenden Situationen die Kamera auszupacken und zu filmen anstatt zu

helfen oder sich über die Missgeschicke Dritter zu freuen, die vielleicht

Verletzungen davongetragen haben könnten, so stellte sich uns in Anbetracht

der chinesischen Variante die Frage, ob die betreffenden und gefilmten

Personen das teilweise überhaupt überlebt haben. Trotzdem lachten alle.

Allerdings haben wir keine Zweifel, dass die Japaner diese Sendung noch

toppen können.

Neben den sportlichen Ereignissen, die ja auch immer wieder in China zu

verfolgen sind und die „Klinsman“ und Kollegen in China Rang und Namen

eingebracht haben, scheinen auch einige deutsche Serien über die

Mattscheiben zu flimmern. Besonders „Dellick“ scheinen viele gut zu kennen.

Zumindest tauchte dieser Name immer mit als einer der ersten auf, wenn wir

mit Chinesen deutsch – chinesische Kulturvergleiche anstellten und uns

unverbindlich ein bisschen erzählten, was wir von der jeweils anderen Kultur

wussten. Deshalb wurden Horst Tappert auch ein paar Bilder in unserer Collage

im mittleren Bereich gewidmet.

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Last but not least möchten wir noch kurz auf Mao eingehen. Es ist fast egal

wohin man sich in den größeren Städten Chinas bewegt, worüber man mit

Chinesen längere Zeit redet oder was man alles auf den Straßen kaufen kann:

An Mao-Bildern, roten Mao-Bibeln, Mao-blauer Kleidung im Einheitslook, den

Erzählungen der älteren Generationen, die ihn miterlebt haben, und den

Informationen der Jüngeren kommt man nicht vorbei und erkennt, dass Mao

nach wie vor einen großen Platz in der chinesischen Gegenwart einnimmt und

aus dem Alltag (und dem Bewusstsein) nicht wegzudenken ist. Deshalb

möchten wir ihm, unabhängig von unserer persönlichen Meinung, die letzten

Zeilen und ein paar Bilder in unserer Collage, besonders im mittleren Teil,

widmen.

Reflektiver Teil

Ulrich Daamen

Ich stelle mir die Frage, ob der Wandel meines China - Bildes für mich

überhaupt eine Bedeutung hat. Nehme ich es einfach als gegeben hin, handelt

es sich dabei lediglich um periphere Auswirkungen meines Alterungsprozesses

oder verändert es mein Denken auf die eine oder andere Art und Weise?

Eine Antwort auf die Frage inwieweit, der Wandel meines China - Bildes

Auswirkungen auf mein Leben hat, vermag ich nicht so ohne weiteres zu

geben. Hierzu sei gesagt, dass sich mein gesamtes Weltbild aus kleinen

Puzzle-stückchen zusammensetzt und alle Erkenntnisse, die ich im

Zusammenhang mit „China“ und seinen Philosophien und Völkern sowie

anderen Themenbereichen gewinne, dazu beitragen, dieses Puzzle neu oder

zumindest anders zusammen zu setzten und immer wieder mit dem zu

vergleichen, was die „Realwelt“ „draußen“ ausmacht. Ich weiß, dass dieses

Puzzle sich ständig ändern, beziehungsweise niemals fertig werden wird. Der

Weg ist also gleichzeitig das Ziel, auf das ich mich als Forscher und Abenteurer

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zugleich „hin bewege“. Für den Forscher in mir ist das Überdenken meiner

Umgebung und meiner Selbst ein nie endender Prozess. Der Abenteurer in mir

besitzt die notwendige Motivation um dem ständigen Wandel und den

Unwegsamkeiten, auf die ich treffen mag, mit der entsprechenden Neugierde zu

begegnen.

Dies macht mich jedoch nicht unsicher, sondern ich sehe es eher als einen

zentralen und wichtigen Bestandteil meines Lebens. Ansonsten hätte sich seit

meinen Kindheitserinnerungen kaum etwas geändert.

Was ich in den letzten Monaten besonders im Zusammenhang mit den

Theorieteilen des Tai Chi gelernt habe, ist, dass nichts absolut, sondern alles

relativ sein kann und nach chinesischem Verhältnis auch ist. Etwas Absolutes

scheint im Gegensatz zu unseren westlichen Vorstellungen nicht zu existieren.

Es ist wohl dieses Element, welches mich momentan in Kleinigkeiten zwar, aber

doch insgesamt am meisten beschäftigt. War es mir vorher vielleicht nur nicht

so bewusst, so denke ich jetzt aufmerksamer in Relationen von Sachverhalten

oder Dingen zueinander. Ich empfinde es insbesondere heutzutage als sehr

wichtig, absolute Einschätzungen über Menschen, deren Handlungen oder

scheinbar eindeutige Sachlagen zu hinterfragen. Die vielen verschiedenen

Seiten einer einzigen Sache verbergen sich oftmals unter dem Deckmantel des

Scheins und stellen sich uns, und so auch mir, als die einzige Wahrheit dar.

Was jedoch ist Wahrheit? Sind es die Nachrichten, die wir im Fernsehen

konsumieren? Weiß ich eigentlich wirklich, ob Menschen lügen oder ob sie die

Wahrheit sagen? Vermutlich sind in den meisten Bereichen unseres Lebens

beide Element vorhanden: Wahrheit und Lüge, Gut und Böse oder ist Lüge hier

vielleicht gut? Wer kann das schon mit absoluter Sicherheit beantworten?

Worauf ich mit diesen Ausführungen hinaus möchte, ist, zu verdeutlichen, dass

für mich der Wandel meines China – Bildes eine weitere Veränderung in

meinem Puzzle ausgelöst hat. Dieser Wandel, der mit Sicherheit zum Teil

aufgrund meines Alters, neuer Informationen aber auch aufgrund anderer

Veränderungen in meinem Weltpuzzle bedingt wird, führt seinerseits ebenfalls

wieder zu einer Neuordnung des Puzzles. Der Prozess ist stetig, findet oftmals

im Unterbewußtsein statt und macht eigentlich nie halt.

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Einzelne Elemente dessen, was ich als chinesisch empfinde, finden in

einzelnen Bereichen auch Eingang in mein tägliches Leben. So wird es für mich

im Zuge des stressigen Unialltages immer wichtiger, auch mal wieder richtig zur

Ruhe zu kommen. Auch hier hält das Prinzip der Relationen, hier in Form von

Bewegung und Ruhe wieder Einzug.

Somit kann ich für mich behaupten, dass der Wandel meines China – Bildes

sehr wohl Einfluss auf meine Art, die Dinge zu betrachten, hat. Im Augenblick

könnte ich jedoch nicht sagen, dass der Einfluss dieser Entwicklung eine

dominante Stellung in meinem Weltpuzzle hat. Nichtsdestotrotz ist es ein Teil

dessen, was mich zu dem macht der ich bin.

Silke Kremers

Welche Bedeutung hat der Wandel meines Chinabildes für mich? Auf den

ersten „Blick“ muss ich gestehen, dass ich es nicht weiß. Andererseits ist mir

aber durchaus bewusst, dass es eine Bedeutung für mich hat und haben wird,

aber die Ausprägung noch ungewiss ist und von dem abhängen wird, wie sich

mein Leben in Zukunft gestalten wird, welche Menschen ich treffen werde, wo

ich leben werde und auf welchen gedanklichen, kulturellen und religiösen

Gerüsten meine Lebensgestaltung aufbauen wird.

Was auf jeden Fall mein tägliches Leben im Zusammenhang mit dem Wandel

begleitet, ist – glaube ich – die Neugier in alltäglichen Bereichen. Asien interes-

siert mich mehr denn je und mindestens einen Urlaub würde ich dort gerne

noch einmal verbringen. Alles, was ich im Kontext mit China im Radio und

Fernsehen beziehungsweise jetzt beim Tai Chi höre, versuche ich mit

elementaren Erken-ntnissen und Sinneseindrücken meiner damaligen

Chinareise zu kombinieren, meist mit ganz „banalen“ Sachen wie Gerüchen,

Gefühlen, Geräuschen und Bildern. Dies äußert sich manchmal und völlig banal

in der Art und Weise, dass ich, wenn ich heute Chlor rieche, an das

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Leitungswasser in Shanghai denken muss; Smog erinnert mich Xi ´an und

leckere undefinierbare Essensgerüche an die vielen Garküchen. Manchmal

erinnern mich auch die in Deutschland aus China verkauften Güter an China,

vor allem, wenn es sich um Tee oder Kartons handelt, die mit chinesischer

Seide oder Brokat beklebt sind und meist als billige Geschenkverpackungen

verkauft oder mitgeliefert werden. Den dort eingearbei-teten Symbolen bin ich

während meiner gesamten Chinareise immer wieder begegnet.

Da sehr viele Sachen und „Philosophien“ aus Asien in Europa verbreitet sind –

angefangen beim Restaurant über Tee, Tai Chi, Feng Shui und klassische

chinesische Tuschmalereien sowie Seidenprodukte, die alle je nach Handhab-

ung mehr oder weniger europäisiert oder verfälscht worden sind – begegne ich

Asien in dieser Form schon täglich, ohne in vielen Fällen wahrscheinlich noch

wahrzunehmen, dass sie nicht ursprünglich zum europäischen Kulturkreis dazu

gehörten. Im Zusammenhang mit der „Verfälschung“ hat mir besonders der Tai

Chi - Kurs an der Uni gezeigt, dass nicht immer alles so sein muss, wie einige

deutsche Esoteriker es beschreiben, sondern dass es verschiedene Formen

und Ausprägungen gibt. Das gleiche gilt für Yin und Yan, die ja, wie ich kürzlich

gelernt habe, auch „nur“ relativ und nicht absolut sind, was eigentlich auch viel

vernünftiger klingt. Auch die verschiedenen Seiten einer Medaille, wie

bsipielsweise Wahrheit und Trug basieren letztendlich auf subjektiven

Einschätzungen und Wahrnehmungen. In einer Welt, die sich aus Wahrneh-

mungen zusammensetzt, etwas Absolutes zu finden, ist für mich jedoch

zumindest hinterfragungswürdig.

Wenn ich mit Chinas Geschichte und der entsprechenden Lebenshaltung kon-

frontiert werde, so führt dies bei mir meist zu einer Mischung aus Bewunderung,

Verwunderung, Mitleid und in einigen Fällen auch Ablehnung. Besonders der

Umgang mit Menschen und Menschenrechten lässt mich regelmäßig schau-

dern, die historische Rolle der Frau bemitleiden und die Fähigkeit und den Wil-

len dieser Menschen, etwas zu bewegen beziehungsweise neues zu entwick-

eln, sie sehr bewundern. Der chinesischen Kultur bringe ich insgesamt ein ho-

hes Maß an Achtung entgegen. Dieses Maß schwankt natürlich von Fall zu Fall

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und lässt sich nicht pauschalisieren. Gerade in diesem Sektor ändern sich

meine Erkenntnisse quasi ständig und bewirken eine Veränderung meines

Bildes, die sich aber hauptsächlich in der Veränderung meiner persönlichen

Einstellung äußern. Wenn ich mir überlegen müsste, ob ich in China leben und

arbeiten wollte, dann wären es diese Erkenntnisse, die ich zu Rate ziehen

würde, um für mich zu entscheiden, ob ich dort leben und glücklich werden und

das für mich gutheißen könnte, was dort geschieht (z. B. Menschenrechte; dies

bezieht sich nicht auf die Lebensphilosophien des einzelnen Chinesen). An

dieser Stelle würden der Wandel beziehungsweise das aktuelle Bild

entscheidendere Schritte in meinem Leben beeinflussen.

Was das chinesische Denken und Verhalten betrifft, so habe ich gelernt, dass

dieses sehr komplex und von geschichtlichen Gegebenheiten und Verhaltens-

kodexen allem und jedem gegenüber stark geprägt ist.

Die größte Begegnung mit Asiaten beziehungsweise der Punkt, an dem ich

mich persönlich immer am meisten mit Asien und meinen und deren Sichtwei-

sen auseinandersetze, ist, wenn ich meine Schwester in ihrer WG besuche. Sie

wohnt mit einer koreanischen Kleinfamilie zusammen. Wenn ich mich mit ihnen

unterhalte, fallen mir am meisten die ganz wesentlichen Dinge in Kleinigkeiten

auf, wie zum Beispiel der unterschiedliche Umgang mit Frau, Kind, Mann, Oma,

älteren Menschen und jüngeren Menschen, Menschen in Hierarchien weiter

oben und unten. Die zweijährige Tochter interessiert das noch recht wenig und

so verhält sie sich, wie sich wahrscheinlich rund um den Globus fast alle Zwei-

jährigen verhalten. Jedoch stehen im Kontakt mit diesen Menschen meine

Asienbilder nicht im Vordergrund, sondern die einzelnen Menschen. Wenn ich

sie nett finde (und sie mich auch), ist es für mich völlig egal, wo sie herkommen

beziehungsweise welches Bild ich von ihrem Land habe. Das Bild kann mir in

Ansätzen lediglich helfen zu verstehen, warum diese Menschen so handeln

oder denken. Umgekehrt werden sie es wahrscheinlich genauso machen.

Manchmal ändern diese Menschen auch mein Bild einschneidend.