theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

10
no. 3 25. theatertreffen deutschsprachiger schauspielstudierender mittwoch, 4. juni 2014 theater TREFFEN Text Er schreit vor Schmerz. Er schreit so laut, dass die anderen ihn nicht mehr er- tragen. Sie setzen ihn auf einer Insel aus. Jahre später und zur Einsicht gelangt, dass sein Können gebraucht wird, wollen sie ihn wieder holen. Reden wir von Hei- ner Müller oder seiner Figur Philoktet? Dass der Autor, nachdem der Schauspiel- verband der DDR ihn 1961 ausgeschlos- sen hatte, einmal wieder rehabilitiert werden würde, konnte Müller noch nicht ahnen, als PHILOKTET sieben Jahre später uraufgeführt wurde. Ausgerechnet in SIE HABEN NICHTS ZU LACHEN „Ernst Busch“ Berlin präsentiert Heiner Müllers PHILOKTET konnte nach deren Ende und Annexion kaum noch schreiben. Für wen auch? Er war der Kommunist, dem es wie eine fau- lende Wunde schmerzte, dass der Sozia- lismus mit und von den Leuten aufgebaut wurde, die gerade da waren, statt von de- nen, die ihn wollten. Ein enttäuschter Idealist wird Zyni- ker. Und so lässt Heiner Müller seinen PHILOKTET im Prolog in Clownsmaske auf- treten, als würde er scherzen, lässt ihn das folgende Geschehen mit einer bösen Lüge ankündigen: Das Drama spiele in der Vergangenheit, „als noch der Mensch des Menschen Todfeind war“. Eine Finte, die kaum die wahren Absichten zu ver- schleiern versucht. Denn natürlich sind Zeit und Ort des Geschehens -- das antike Griechenland während des Trojanischen Kriegs -- nur die verallgemeinerbare Scha- blone für die gegenwärtige Welt, die 1968 wie auch heute zuhauf solche Menschen hervorbringt. Odysseus könnte heute als Pressespre- cher eines Bundeswehr-Rekrutierungs- zentrums ähnlich reden. Er ist hier noch kein Held, sondern nur Emporkömmling, ein charakterloser Marktschreier für die optolemos, sich als Zeuge korrumpieren lässt. Folgt auf die Austauschbarkeit der Figuren auch eine der Schauspieler? Mar- cel Kohler besetzt die drei Rollen zumin- dest mit fünf Darstellern. Genug Wort- gewalt hätte der Text für Fünf. Auch ist PHILOKTET eines der weniger langen, weni- ger verzwickten Heiner-Müller-Dramen. Dennoch bleibt es ein sportliches Ziel, den wortreichen Text in nur einer Stunde aufzuführen. Doch auch gegen Zweifel, ob Heiner Müller für die Bühne gemacht ist, ob die Schönheit der Sprache die Di- stanz zum Publikum übersteht, kann an- gespielt werden. Benedikt Frank München, wo das Residenz- theater sich viel- leicht mit dem dissidenten Au- tor schmücken konnte, dieser aber nicht die Gesellschaft er- reichte, für die seine Klagen gedacht waren. Denn die DDR war Heiner Müller Adres- sat und Materi- al zugleich. Er brauchte sie, um sich an ihr ab- zuarbeiten und Staatsraison und nicht der letzte, der mit der ver- meintlichen Al- ternativlosigkeit argumentiert. Nur sein eine Propagandalü- ge vorbereiten- des Verbrechen könnte jetzt an- ders als vor 50 oder 3000 Jahren dank Wikileaks einfacher publik werden. Aber was ändert das schon? Nichts, wenn der dritte im Bunde, Ne- Gespenst oder Clown? Foto: Philipp Kronenberg

description

Inhalt: -Vorbericht Hochschule "Ernst Busch" Berlin PHILOKTET von Heiner Müller -Über HfMT Hannover IMMER SCHÖN HINTER DER GELBEN LINIE BLEIBEN nach Stücken von Simon Stephens -Interview Max von der Groeben SPIELEN SOLL SPASS MACHEN -Vorbericht HfMDK Stuttgart/ZHdK Zürich/NACHTASYL -Kommentar zum Impulsvortrag von Julian Pörksen -Über Hochschule der Künste Bern JOM KIPPUR - VERSÖHNUNGSTAG -Über Universität für Musik und Darstellende Künste Graz KATZELMACHER von Rainer Werner Fassbinder Studenten des Ergänzungsstudiengangs "Theater-, Film- und Fernsehkritik" an der Hochschule für Fernsehen und Film in München (HFF), in Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie, berichten täglich vom 25. Theatertreffen Deutschsprachiger Schauspiel Studierender 2014 in München. Die Arbeit der Studentinnen und Studenten wird von deren Studiengangsleiter Prof. Dr. C. Bernd Sucher begleitet.

Transcript of theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

Page 1: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

no. 3 25. theatertreffen deutschsprachiger schauspielstudierender mittwoch, 4. juni 2014

theaterTREFFEN

TextEr schreit vor Schmerz. Er schreit so laut, dass die anderen ihn nicht mehr er-tragen. Sie setzen ihn auf einer Insel aus. Jahre später und zur Einsicht gelangt, dass sein Können gebraucht wird, wollen sie ihn wieder holen. Reden wir von Hei-ner Müller oder seiner Figur Philoktet? Dass der Autor, nachdem der Schauspiel-verband der DDR ihn 1961 ausgeschlos-sen hatte, einmal wieder rehabilitiert werden würde, konnte Müller noch nicht ahnen, als Philoktet sieben Jahre später uraufgeführt wurde. Ausgerechnet in

SIE HABEN NICHTS ZU

LACHEN

„Ernst Busch“ Berlin präsentiert

Heiner Müllers Philoktet

konnte nach deren Ende und Annexion kaum noch schreiben. Für wen auch? Er war der Kommunist, dem es wie eine fau-lende Wunde schmerzte, dass der Sozia-lismus mit und von den Leuten aufgebaut wurde, die gerade da waren, statt von de-nen, die ihn wollten.

Ein enttäuschter Idealist wird Zyni-ker. Und so lässt Heiner Müller seinen Philoktet im Prolog in Clownsmaske auf-treten, als würde er scherzen, lässt ihn das folgende Geschehen mit einer bösen Lüge ankündigen: Das Drama spiele in der Vergangenheit, „als noch der Mensch des Menschen Todfeind war“. Eine Finte,

die kaum die wahren Absichten zu ver-schleiern versucht. Denn natürlich sind Zeit und Ort des Geschehens -- das antike Griechenland während des Trojanischen Kriegs -- nur die verallgemeinerbare Scha-blone für die gegenwärtige Welt, die 1968 wie auch heute zuhauf solche Menschen hervorbringt.

Odysseus könnte heute als Pressespre-cher eines Bundeswehr-Rekrutierungs-zentrums ähnlich reden. Er ist hier noch kein Held, sondern nur Emporkömmling, ein charakterloser Marktschreier für die

optolemos, sich als Zeuge korrumpieren lässt. Folgt auf die Austauschbarkeit der Figuren auch eine der Schauspieler? Mar-cel Kohler besetzt die drei Rollen zumin-dest mit fünf Darstellern. Genug Wort-gewalt hätte der Text für Fünf. Auch ist Philoktet eines der weniger langen, weni-ger verzwickten Heiner-Müller-Dramen. Dennoch bleibt es ein sportliches Ziel, den wortreichen Text in nur einer Stunde aufzuführen. Doch auch gegen Zweifel, ob Heiner Müller für die Bühne gemacht ist, ob die Schönheit der Sprache die Di-stanz zum Publikum übersteht, kann an-gespielt werden. Benedikt Frank

München, wo das Residenz-theater sich viel-leicht mit dem dissidenten Au-tor schmücken konnte, dieser aber nicht die Gesellschaft er-reichte, für die seine Klagen gedacht waren. Denn die DDR war Heiner Müller Adres-sat und Materi-al zugleich. Er brauchte sie, um sich an ihr ab-zuarbeiten und

Staatsraison und nicht der letzte, der mit der ver-meintlichen Al-ternativlosigkeit argumentiert.

Nur sein eine Propagandalü-ge vorbereiten-des Verbrechen könnte jetzt an-ders als vor 50 oder 3000 Jahren dank Wikileaks einfacher publik werden. Aber was ändert das schon? Nichts, wenn der dritte im Bunde, Ne-

Gespenst oder Clown? Foto: Philipp Kronenberg

Page 2: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

no. 3 seite 2 kritik

Es ist 18.02 Uhr, als der schwarz geklei-dete Herr auf die kleine Bühnenfläche tritt und verkündet, dass Yassin Trabelsi, der Immer schön hInter der gelben lInIe bleI-ben aus Hannover eröffnen sollte, leider noch nicht wieder vom Orthopäden zu-rück sei. Stattdessen spricht er – definitiv kein Schauspieler – jetzt einfach schnell die Rolle ein, weil sie müssten ja anfan-gen, sonst würde ihnen am Ende auch noch das Licht angemacht wie den Hel-

MENSCHLICHE HAUSTIERE

IM KUGELFEUER

Simon Stephens’ Immer schön hInter

der gelben lInIe bleIben aus Hannover provoziert

den aus Hamburg. Es wird dunkel. „Es ist dunkel“, beginnt der Laie im Eck und liest die ersten Zeilen Text des Schauspielers ab, nimmt eine Reisetasche und geht. Was für ein Start!

Immerhin hat man währenddessen genug Zeit, die Bühne und die Musiker zu betrachten: Die sitzen nämlich an al-len vier Seiten, genau wie das Publikum, reservierte Schauspieler-Park-Plätze in den Zuschauerreihen gibt es auch. Was

ist die erste Regel im Theater? Niemals sich niederlassen in der Nähe solcher Mitmach-Sitze! Sonst wird man nämlich plötzlich von Sven Daniel Bühler mit der Knarre bedroht und im Soldaten-Ton an-geschrien. Obwohl man sich durchaus geehrt fühlen dürfte, denn Bühler ist in dieser Inszenierung der beste Darsteller aus dem dritten Schauspieljahrgang der Hochschule für Musik, Theater und Me-dien Hannover.

Er spielt Danny, einen vom Irak-Krieg heimgekehrten Soldaten, der an seiner Heimat langsam kaputt geht: unbere-chenbar, aggressiv, gewalttätig. Danny entführt eine 14-Jährige, hält sie wie sein Haustier, benutzt sie, um sein Selbstwert-gefühl wieder aufzufrischen. „Hier. Fühl meine Muskeln. Jade. Fühl mal. FÜHL MEINE MUSKELN, JADE! Die sind hart, was? Sind meine Muskeln nicht hart, Jade?“, schreit er sie an, während er ihr den Bizeps ins Gesicht drückt. Danach zehn einarmige Liegestützen, die das Mädchen loben muss. Schließlich schubst er sie wieder wie eine Puppe durch den Raum. „Lach' mal“, bellt er und macht ein Handy-Foto.

Sophia Vogel ist die Kleine im rosa Outfit, mit blinkenden Schuhen und die-sem Reh-Kugelaugen-Gesicht, das einfach süß und verletzlich ist. Sie lässt alles mit sich machen, wirkt federleicht und wie aus Glas, gleichzeitig aber erst im letzten Moment verängstigt, als würde sie den rauen Umgang schon kennen. Dabei hat sie kaum Text, wird eigentlich nur von an-deren bespielt und mit bizarren Aktionen konfrontiert. Da steht plötzlich Sven Da-niel Bühler vor ihr und fängt an, Britney Spears’ „Hit me baby one more time“ zu singen und zu tanzen. Sie schaut ihn an, ein wenig erstaunt, steife Körperhaltung, zögerlich. Dann steigt sie langsam mit ein. Das A-cappella-Duett der beiden ist so abstrus, so unpassend, dass sich einem die Haare sträuben – aber lebensnah…

Immer schön hInter der gelben lInIe bleI-ben ist eine Mischung aus Simon Ste-phens’ PornograPhy und motortown: epi-sodenhaft erzählt der Dramatiker darin Margherita. OLÉ! Foto: Isabel Winarsch

Page 3: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

Bildunterschrift xxxx xxxxxx

no. 3 seite 3 kritik

Wir bedanken uns für die groß-zügige Unterstützung bei:

Dr. Robin W. Bartels, Dr. Ger-hard Beiten, Dr. Christoph Bulfon, Thomas Deininger, Achim Hartz, Carsten von der Heyden, Dr. Joachim Giehl, Prof. Dr.Dr. Joseph Kastenbauer, Dr. Georg Kellinghusen, Dr. Gos-win von Mallinckrodt, Dr. Jörg Schweitzer, Hubert Stärker, Boltz Wachtel Dental und der v. Finck Stiftung

vom Londoner U-Bahn-Attentat 2005 und der Heimkehr aus dem Irak-Krieg. Die Di-aloge schneiden sich langsam ins Fleisch, spielen mit Provokation, überschreiten die Wohlfühl-Grenze. Da sind gerade zwei mitten im Vorspiel, locken sich minuten-lang nach allen Regeln des Balztanzes, beginnen sich endlich auszuziehen, dann hält er inne: „Das sollten wir nicht tun. [...] Du bist meine Schwester“. Man zuckt zurück, möchte nicht mehr sehen, was als nächstes passiert. Simon Stephens spielt mit der Erwartungshaltung des Publi-kums, bricht sie und macht seine Figuren so unberechenbar. Dass der Inzest-Kon-flikt trotz des grandiosen Textes in der Hannoverschen Inszenierung so gar nicht funktionieren mag, liegt an Maurizio Micksch und Alexandra Ostapenko. Die Bruder-Schwester-Szenen nerven, geben

den restlichen Schauspielern aber immer-hin genug Zeit, sich für die nächste Rolle umzuziehen. Dabei folgt Titus Georgis Inszenierung einem simplen Ablaufplan: Musik zum Umbau, Szene, wieder Mu-sik, gekoppelt an Original-Video-Material, unter anderem von Bush und dem Royal Court of Justice in London. Das Ensem-ble sitzt mal auf den reservierten Park-Plätzen, geht mal zur Seite oder nach hinten ab, ist Musiker und Umbauhelfer zugleich. Das klappt grundsätzlich, doch die immer gleich klingende musikalische Untermalung beim schnellen Szenen-wechsel langweilt noch schneller als die

belanglos eingestreuten Videoprojektio-nen auf den drei Leinwänden. Trotzdem knallen einige Szenen schön laut und bleiben im Gedächtnis hängen.

Lisa Schwindling prollt als halbstarker Halbitaliener in weinroter Bomberjacke, Cap und Nike-Schuhen über die Bühne. Ihre Stimme klingt kehlig-gepresst, als würde ihr gerade jemand aus einer ver-feindeten Clique die Luft abdrücken. Der wiegend-wippende Gang wirkt angebo-ren, ihre Fuck-Off-Handgesten ebenso. Gerade ihre Monologe sind kraftvoll und haben Allein-Unterhalter-Momente. Wenn sie dann aber in die Rolle der Marley zu schlüpfen versucht, wirkt das Blümchen-kleid fehl am Platz, denn sie bleibt vom Spiel her der Pseudo-Gangster Jason. Dabei ist der eigentliche Boss ja Tomasz Robak, der in seinem widerlich glänzen-

den Leder-Optik-Hemd und der Halskette mit seiner 14-Jährigen spielt, nur um die dann vom Ex-Soldaten klauen zu lassen. Tomasz Robak ist unglaublich präsent, re-det und bewegt sich wie mit gedrückter Vorspultaste, nimmt den ganzen Raum ein. Dagegen wirkt sogar Sven Daniel Bühler als Zeitbomben-Soldat harmlos, bis Danny seinen neurotisch-soziophoben Bruder vergewaltigt und das Geschehen wieder dominiert.

Dabei spielt Lucas Federhen den Bru-der so liebenswürdig, so mitleidserre-gend, so unsicher, dass man am liebsten auf die Bühne springen und ihm helfen

würde. Wäre da nicht dieser Soldaten-Wal-ter-White. Der durchgeknallte Simon-Ste-phens-Mix hat spannende Momente und ein größtenteils talentiertes Ensemble, an-geführt von Sven Daniel Bühler, dem man gerne noch länger zugesehen hätte. Der anfangs vermisste Yassin Trabelsi taucht auch irgendwann auf – mit einer Krücke, die er nach ein paar Schritten aber ein-fach wegwirft, um nachher ordentlich zu Dr. Dres „What’s the difference“ grooven zu können. Alles nur Show? Spielt eigent-lich keine Rolle! Denn die Inszenierung flirtet ja konstant mit Grenzüberschrei-tung – Witz oder Ernst? Beabsichtigt oder zufällig? – und setzt den Zuschauer somit eine Stunde lang unter Strom. Bis schließ-lich nur noch das Geräusch eines an der Kopfhaut entlangschabenden Haar-schneiders zu hören ist. Britta Schönhütl

Ficki-Fick-Fotze-Fick-Pimmel. Foto: Isabel Winarsch

Page 4: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

no. 3 seite 4 interview

SPIELEN SOLL

SPASS MACHEN!

Vom Film zum Theater: Max von der Groeben

2013 war das Erfolgsjahr des 22-Jährigen: erst die Goldene Kamera für den Besten Nachwuchsschauspieler und dann die Rol-le des drolligen Deppen Danger im erfolg-reichsten Film des letzten Jahres, Fack Ju Göhte. Nun wechselt Max von der Groeben zum Theater. Sebastian Lauterbach traf den Schauspieler auf dem Festivalgelände.

Wie gefällt Dir München?Wunderschöne Stadt. Klar. Ein paar Sa-

chen stören mich aber. Als Kölner ist es mir hier manchmal zu ruhig. Aber es ist okay. Ich bin jetzt mal gespannt auf den Sommer. Soll ja ganz schön sein. Isar, Bier-gärten, bisschen chillen.

Was hast Du vor der Zusage an der Otto Falckenberg gemacht?Ich habe davor eigentlich nur gedreht. Habe mir aber von Anfang an gesagt, dass ich das Handwerk mal richtig lernen will.

Wenn ich was machen will, dann auch richtig. Deswegen hab ich mir letztes Jahr gedacht: Ich spreche an ein paar großen Schulen mal vor und wenn mich eine da-von nimmt, mache ich das auf jeden Fall. Und die Falckenberg hat mich dann auch genommen.

Wurdest Du auch wo abgelehnt?In Berlin und Essen wurde ich nicht ge-nommen.

Bald auch auf der Bühne zu bestaunen: Max von der Groeben.

Foto: Wikimedia

Page 5: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

Bildunterschrift xxxx xxxxxx

no. 3 seite 5 interview

Die Vorsprechen waren auch noch vor Fack Ju Göhte?Ja, die waren letztes Jahr zwischen Dezem-ber und Februar.

Bevor Du als Danger bekannt wurdest, hattest Du viele Auftritte in Serien oder Fernsehfilmen. Hast Du davor schon ein-mal Theater gespielt?Einmal in einer Komödie in Düsseldorf. So einem Boulevardstück. War ganz witzig. Aber so richtig hatte ich mit Theater noch nichts zu tun.

Willst Du jetzt umso mehr Richtung The-ater gehen?Ich merke, dass es mir immer mehr Spaß macht. Unter der Woche steht man auf Probebühnen und spielt, und das macht einfach richtig Spaß. Ich könnte mir vor-stellen, das auch zu machen. Das Beste wäre natürlich, ein bisschen am Theater zu spielen und dann noch was zu drehen. Aber das kann man sich nicht aussuchen.

Ist es eher Fluch oder Segen, mit der Rol-le des Danger bekannt geworden zu sein?Ich bin noch in einem Alter, in dem ich so etwas spielen kann. Ich sehe da eigentlich gar kein Problem. Aber man weiß nicht, was die Theater davon halten. Aus diesem Grund besuche ich die Schauspielschu-le. Und da sieht es dann nach vier Jahren auch wieder anders aus. Im Endeffekt ist es eine Rolle unter vielen und wenn Leute

damit ein Problem haben, dann kann ich daran nichts ändern. Mir hat es Spaß ge-macht, die Rolle zu spielen und ich werde sie auch im zweiten Teil spielen.

Die Figur Danger ist teilweise erschre-ckend nah dran an der nachwachsen-den Generation. Würde er ins Theater gehen?Nein. Ziemlich sicher nicht. Vor allem nicht freiwillig. Im Film wird Dangers Klasse ja gezwungen, ein Stück aufzuführen. Be-geistert ist keiner davon, jeder findet das doof. Sie machen es dann aber doch, weil sie alles umschreiben und sehr moderni-sieren.

Müsste sich das Theater auch moderni-sieren, damit es mehr als jetzt eine junge Zielgruppe anspricht?Ne, irgendwie auch nicht. Das wäre viel-leicht ein cleverer Gedanke, aber ich finde, das würde nicht passen. Ich weiß nicht, ich kenne nicht den Grund des Problems, wa-rum so viele Jugendliche nicht ins Theater gehen, oder dessen Lösung. Ich bin selbst oft ins Theater gegangen, auch mit meinen Eltern. Viele haben keine Beziehung zum Theater. Man geht mit seinem Freundes-kreis eher ins Kino. Das Theater hat sich da etwas entfernt von der Jugend.

Machst Du Theater, weil es Dich interes-siert, aber Deine eigentliche Zukunft der Film ist?

Mein persönlicher Zukunftsweg ist nicht nur Film. Mir geht‘s darum, Spaß zu ha-ben. In beiden Sparten. Das klappt. Vor al-lem, weil sie so unterschiedlich sind. Das Spiel auf der Bühne ist komplett anders als vor der Kamera. Was in vier Jahren ist, muss sich erst noch so ein bisschen fügen.

Wird man blöd angemacht, wenn man vom Film kommt und dann auf einmal Theater machen möchte?Das ist mir glücklicherweise noch nicht passiert.

Willst du während Deines Studiums weiter Filme drehen?Mir ist es wichtig dranzubleiben. Zur Zeit gibt es eben diesen gewissen Hype. Und da muss man aufpassen, dass man im Ge-dächtnis der Leute bleibt. Jetzt habe ich das Glück, dass noch zwei Filme dieses Jahr in die Kinos kommen, die ich noch vor meinem Studium gedreht habe.

Angenommen, Dein Studium ist zu Ende und Du musst Dich entscheiden: zwi-schen Deiner Theaterleidenschaft und einer aussichtsreichen und vor allem finanziell rosigeren Filmzukunft.Jetzt würde ich sagen, wenn mich ein Haus engagieren würde, würde ich defini-tiv auch dort bleiben. Für ein paar Jahre. Aber es kommt auch darauf an, wie es in der nächsten Zeit mit Filmangeboten aus-sieht.

Page 6: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

no. 3 seite 6 vorbericht

Die Krise ist nie vorbeiMaxim Gorkis Nachtasyl wird auf dem diesjährigen Theatertreffen gleich zweimal präsentiert

Die Wirtschaftskrise ist ein omniprä-sentes Thema der letzten Jahre. Arbeits-losigkeit und Armut. Europa steht vor dem Ende, der Euro zur Diskussion. Nach dem Banken-Crash 2008 beschäftigen sich Politik, Medien und Kultur mit der sogenannten größten Krise der letzten Jahrzehnte. Mal mehr, mal weniger. Dann kommt ein Krieg dazwischen, eine weite-re Krise, eine Naturkatastrophe.

Doch immer wieder kehren wir zu die-sem Problem zurück: Die Krise ist noch nicht vorbei! Auch das Theater reagiert schnell und macht sie zum Thema. Zum Beispiel mit den Inszenierungen von Elfriede Jelineks Die KoNtraKte Des Kauf-maNNs oder Shakespeares KaufmaNN voN veNeDig. Es entstehen auch neue Texte, wie Andres Veiels Theaterstück Das him-beerreich, das eine Psychoanalyse der Wirtschaftskrise wagt.

Der russische Schriftsteller Maxim Gorki darf dabei nicht fehlen. In seinen Bühnenstücken richtet er den Blick auf den Niedergang der russischen Gesell-schaft vor und nach der Revolution von 1905. Mit seinem erfolgreichsten Thea-terstück Nachtasyl, das 1902 in Moskau uraufgeführt wurde, holt er das Elend des Proletariats ins Zentrum des Bühnenge-

schehens: Der Wirt Kostylew gewährt in einem heruntergekommenen Kellerraum gescheiterten Existenzen der russischen Gesellschaft Unterschlupf. Sie alle ver-eint der Wunsch nach Rückkehr in ein menschenwürdiges Dasein. Denn ohne Arbeit, ohne Heimat sind sie Abschaum, Opfer einer Konsumgesellschaft. Einer Welt aus Gewalt und Lüge, in der Liebe und Wahrheit zunächst keine Rolle mehr spielen.

Alexei Peschkow – er legte sich sein Pseudonym „der Bittere“ (Gorki) 1892 zu – wuchs selbst in ärmsten Verhältnissen auf, in einer Zeit, in der das Elend der Massen in der Literatur sowie in gesell-schaftlichen Auseinandersetzungen dis-kutiert und thematisiert wird. Er selbst nimmt jedoch eine besondere Position ein. Zunächst Gegner der Revolution, später Befürworter, muss Gorki für kurze Zeit ins Exil, bis ihm eine Amnestie 1928 die Rückkehr nach Russland ermöglicht.

Klaus Mann schreibt über eine Einla-dung in Gorkis Haus: „Der Dichter, der die extreme Armut, das düsterste Elend gekannt und geschildert hatte, residierte in fürstlichem Luxus; die Damen seiner Familie empfingen uns in Pariser Toilet-ten; das Mahl an seinem Tisch war von

asiatischer Üppigkeit. [...] Dann gab es sehr viel Wodka und Kaviar.“ Gorki, ein wankender Provokateur, politischer Akti-vist und Gesellschaftskritiker, lebte selbst ein paradoxes Leben, irgendwo zwischen Reichtum und Armut, pro-kontra Revolu-tion. Seine Stoffe und Theaterstücke sind auch heute aktuell. Anton Tschechow hat sich also geirrt, als er 1903 Maxim Gorki prophezeite: „Ich glaube, dass eine Zeit kommen wird, in der das Werk Gorkis vergessen ist, aber es ist zweifelhaft, ob man auch in tausend Jahren den Men-schen Gorki vergessen wird können.“

Auf dem diesjährigen Theatertreffen wird Gorkis Nachtasyl gleich zweimal in-szeniert. Zunächst präsentiert die Staat-liche Hochschule für Musik und Darstel-lende Kunst Stuttgart ihre Version, die auf einer deutschen Fassung der Dokumen-tarfilmerin und Drehbuchautorin Angela Schanelec beruht. Darauf folgt am Don-nerstag die Zürcher Hochschule der Küns-te mit ihrer Nachtasyl-Interpretation, ba-sierend auf einer Übersetzung von Renate und Thomas Reschke. Zwei unterschiedli-che Versionen und Übersetzungen, zwei unterschiedliche Hochschulen. Es wird spannend, wie und ob beide es schaffen, Gorki ins Jahr 2014 zu holen. Julia Weigl

Wer bringt den Müll raus?Samstag bei IKEA? Foto: Oliver Roeckle Foto: Zürcher Hochschule der Künste

Page 7: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

Bildunterschrift xxxx xxxxxx

no. 3 seite 7 kommentar

Verschwende deine Zeit. eiN PläDoyer ist Julian Pörksens Appell an alle durchöko-nomisierten Kapitalismus-Anhänger, die endlich dem Gott der Entschleunigung huldigen sollen. Weilt Julian Pörksen also als dessen Prophet unter uns? Er, der Fil-memacher, Dramaturg, zuletzt auch noch Autor? Er, der studierte Historiker und Philosoph, der seinen Debütfilm some-times we sit aND thiNK aND sometimes we just sit 2012 auf der Berlinale zeigte, mittler-weile erfolgreich seinen zweiten Spielfilm KiNDer via Crowdfunding finanzierte, un-ter anderem mit Christoph Schlingensief arbeitete und schließlich im März 2013 eine Art Zeitmanagement-Ratgeber in Form eines intellektuellen Rundumhiebs veröffentlichte? Julian Pörksen taucht seitdem vielerorts auf, um über sein Buch und seine eigenen Erfahrungen mit dem Zeit- und Effizienzdruck zu sprechen.

„Drei verkaterte Schauspieler“

Als Teil des Programms des Münchner Theatertreffens deutschsprachiger Schau-spielstudierender sitzt er dann also am 2. Juni trotz strahlenden Sonnenscheins im Werkraum der Münchner Kammerspiele und wirkt total entspannt, gar vorfreudig. Seine ersten Worte ans Publikum werden sogleich mit spontanem Gejohle begrüßt: „Ich bin überrascht, dass so viele da sind. Ich dachte, da wären nur drei so verka-terte Schauspieler.“ Das Eis ist gebrochen.

Julian Pörksen ist sowieso die Ruhe selbst, wie er da vorne lässig an seinem kleinen Tischchen sitzt, hinter sich eine riesige Leinwand: jung, sympathisch, ein bisschen verwegen. Wieso sollte er auch nervös sein, immerhin tourt er mit diesem Thema seit einem Jahr durch Deutschland und hat dafür ganz persönliche Gründe. Auf einer Indienreise wurde er mit einer völlig anderen Art von Zeitverständnis konfrontiert, wie er anekdotisch ausführt: Als er am Bahnsteig fragt, wann denn der

nächste Zug komme, lautet die Antwort nur „soon“. Beim anschließenden gehetz-ten Hin- und Her-Rennen und ständigem Ausschauhalten am Gleis wird ihm eines klar: die Sinnlosigkeit seines Handelns. In dem Moment, in dem man aufhört zu warten, wird die Zeitverschwendung des Wartens zu einem Zeitgewinn des Genie-ßens.

Literatur-Allerlei

Seitdem hat er begonnen, intensiver über die Zeit und deren determinierende Bedeutung für das Leben in der heutigen Gesellschaft nachzudenken. Schließlich schreibt er das Plädoyer verschweNDe DeiNe Zeit – inspiriert von eigenen Erfahrungen, Ingmar Bergmans Die stuNDe Des wolfs und einem bunten Literatur-Allerlei. Juli-an Pörksen biegt sich mithilfe der Gedan-ken von Max Weber, Friedrich Nietzsche, George Bataille, Friedrich Schiller oder Joseph von Eichendorff zum Thema Mü-ßiggang und Untätigkeit die Struktur für seinen Ratgeber zurecht. Dabei folgt sei-ne Arbeit ganz Rousseaus spätem Wesen im Jahr 1765: „Ich beschäftige mich gern mit allerlei Kleinigkeiten, beginne hun-derterlei Dinge und vollende keines, gehe und komme, wie es mir einfällt, ändere je-den Augenblick mein Vorhaben, folge ei-ner Fliege in ihrem Fluge, versuche einen Felsen umzustürzen, um zu sehen, was darunter ist, beginne mit Feuereifer eine zehnjährige Arbeit und gebe sie schon nach zehn Minuten ohne Bedauern auf, kurz vertändle den ganzen Tag ohne Plan und Ordnung und folge in allem nur der Laune des Augenblicks.“

Julian Pörksen bedient sich, wo er ge-rade möchte. Holt die Romantiker mit ins Boot, lässt auch Walter Benjamin nicht aus. Streift viele wichtige Gedanken, je-doch nur an der Oberfläche. Dabei ver-tritt er grundsätzlich eine sehr starke These: Jede Form des Abschweifens, des

Nichts-Tuns kann erst dann anerkannt werden, wenn es durch einen sich daraus zukünftig ergebenden Nutzen legitimiert werden kann. Das ist selbst für den durch-ökonomisierten Menschen von heute, der immer alles zielorientiert sehen möchte, klug und lebensnah.

So scheitert dann auch die Mehrheit des Publikums daran, Pörksens Debüt-film sometimes we sit aND thiNK aND some-times we just sit, der im Anschluss gezeigt wird, eben nicht bis ins kleinste Detail interpretieren zu müssen. Es ist einfach auch schwer nachzuvollziehen, wieso ein kerngesunder 50-Jähriger freiwillig ins Altersheim zieht und sein bisheriges Le-ben hinter sich lässt. Abgesehen von dra-maturgischen und ästhetischen Schwach-stellen wie den stellenweise ermüdenden Wiederholungen oder der teils irritierend wackelnden Kamera, drückt der Film ge-nau die richtigen Knöpfe.

Die große Entschleunigung

Julian Pörksen schafft es, die Fragen des Zuschauers wieder auf diesen zu-rückzuwerfen. Plötzlich wird nicht mehr diskutiert, wieso die Figuren so handeln, sondern wieso man ihr Handeln über-haupt in Frage stellt und den Menschen nicht einfach sein lassen kann. Somit ist Pörksen am Ziel.

Natürlich sind er selbst und seine Karriere das beste Beispiel dafür, wie effizient und eisern man arbeiten muss, um Erfolg haben zu können. Dass ein solcher Kapitalismus-Jünger dann die große Entschleunigung predigt und zur Zeitverschwendung aufruft, ist paradox. Doch Julian Pörksen versucht sich gegen die Zeitökonomie der Gesellschaft zu wehren, indem er zum Denken anregt. Sei es auch nur für zwei Stunden in ei-nem dunklen Raum, bevor man wieder vom Leben mitgerissen wird. Britta Schönhütl

Wenn rousseau mit Leonce unD Lena

spazieren geht

Im Zusatzprogramm des 25. Theatertreffens ruft Julian Pörksen zur Zeitverschwendung auf

Page 8: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

no. 3 seite 8 kritik

Manche Themen sterben nie aus. Es gibt sie, diese Topoi, ob auf der Bühne, im Film, in der Bildenden Kunst, die von jeder Generation reproduziert werden. Einfach, weil sie funktionieren. Oder weil sie wahr sind. Heraus kommt dann ent-weder ein wunderbarer Klassiker, sozu-sagen ein „Evergreen“ oder aber die hoh-le Kopie der Kopie der Kopie von etwas, das irgendwann einmal gut gewesen ist.

Die Hochschule für Künste in Bern zeigt an diesem Abend vier Solo-Projekte mit eigens erarbeiteten Texten. Maximi-lian Reichert allerdings setzt bei seinem Auftritt For James zunächst wenig auf die Macht der Worte. Er bespielt die Bühne mit Anzug, hochgeknöpftem Hemd, Hut und naiv-dämlichem Gesichtsausdruck. Seine Kopfbedeckung ist ein Pork Pie, ein kleiner, sehr flacher Hut, Modell 20er Jahre. Die erste Assoziation ist ein-deutig: Buster Keaton. Zitiert wird hier Stummfilm und wenn man Reicherts Gesichtsausdruck vertrauen darf, dann wird es jetzt sehr lustig. Aus seinem mit-gebrachten Rednerpult – von dem aus er nie sprechen wird – qualmt es gewaltig. Der große, stille Clown, in allem stets

Einfachist

schwEr!Vier Einzelauftritte aus Bern gelingen

sehr unterschiedlich

scheinbar einen Schritt zu langsam, öff-net die Klappe, wühlt, kruschelt, klap-pert. Welcher Brandherd tobt nur in dem Pult? Schließlich wird er fündig, zieht die Hand heraus, zum Vorschein kommt – eine Banane? So funktioniert Komik. Die Wahrnehmungserwartung des Publi-kums brechen. Und tollpatschig sein, am besten einfältig und vom Pech verfolgt. Wenn Maximilian Reichert dann ein Ballett mit kullernden Bananenstücken auf seinem Schoß veranstaltet, ist der Auftritt ein Selbstläufer. Etliche stumme Stolperer und wiederkehrende Arglosig-keiten später landet er tatsächlich in ei-ner Sahneorte und natürlich – der Tisch darunter bricht zusammen. Ähnlich die laut amüsierten Zuschauer.

Einfach ist schwer. Slapstick ist und bleibt die hohe Kunst aus Körperbeherr-schung und Timing. Ebenso wie Wieder-holung mit das wichtigste Instrument der Komik ist. Dass er auch mit Wort und Di-alekt witzig sein kann, beweist Reichert schließlich beim Bericht seiner tragisch-komischen Kindheitserinnerung aus Sea World. Er kaut auf einem Hamburger herum und imitiert den eigenen Vater.

Cowgirl Johanna Dähler. Foto: Simon Labhart

Page 9: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

Bildunterschrift xxxx xxxxxx

no. 3 seite 9 kritik

cult:onlinehttp://www.cult-zeitung.de

Aktuelle Kritiken auf

Zu diesem Zeitpunkt liegt ihm der Saal schon längst zu Füßen.

Für ein ähnlich berühmtes Zitat ent-scheidet sich Nina Maria Wyss. In NiNa La Frida stellt sie Frida Kahlos seLbst-biLdNis mit abgeschNitteNem haar nach. Sie beginnt stark und endet in einem selbst-referenziellen Kasperl-Coldplay-Freud-Remix, der weibliche Problem-Klischees mehr offenlegt als substanzielle Ideen. Oder pafft sie Zigarre, weil eine rauchen-de Frau in kringelnden Schwaden auf der Bühne einfach cool aussieht? „Es gefällt mir krank zu sein“: Wenn das auch ein Frida Kahlo Zitat ist, dann umso zwei-felhafter. Eine Frau, die ihr Leben lang durch Krankheit und Unfall an schlim-men Schmerzen litt und früh starb, ist mit Vorsicht zu zitieren. Und für iden-titäre, männerhassende Kreise um sich

selbst sollte man vielleicht nicht die Bühne missbrauchen. „Ich verehre mei-ne Handflächen“? Nina Maria Wyss kann bestimmt spielen, sofern sie sich auf die Zeilen eines professionellen Dramatikers verlässt.

Reuige Beichte

Inhaltlich ehrgeizig präsentiert sich Simon Labhart, der die Cello-Wettbe-werbe seiner Kindheit verwertet. In Jom Kippur denkt er Erinnerungen zusam-men und kreiert eine schöne Kollage aus dem jüdischen Gebet Kol Nidre, Musik, Faustkampf und vier Tagen Jugendsünde in Amsterdam. Eine reuige Beichte an die liebe Oma. Sehr persönlich und auf-richtig wirkt Labharts Solo. Sicherlich der stärkste der vier Texte. Den cowgirLs

bLues stimmt Johanna Dähler an. Curry-farbener Staub wirbelt durch die Luft, wenn sie zwischen Stroh, Whisky-Kiste und Blecheimer die Erinnerungsstücke der Cowgirl-Mama ausgräbt. Fiktive Briefe der legendären Calamity Jane an ihre Tochter trägt sie vor. Der Schnaps fließt derweil nur so in sie hinein. Das darauffolgende, frivole Gehopse gerät dann unerwartet langweilig. Vom bluti-gen Shootout und der spieL mir das Lied vom tod-Mundharmonika alleine lebt der Western nicht. Dählers Auftritt haut auf die Pauke und provoziert lustige Momen-te, betont aber keine eigenen Kanten. Es ist auch schwer, unmittelbar nach Maxi-milian Reicherts Silent-Comedy-Nummer als letzte im Quartett noch lustig aufzu-trumpfen. Die Show gehört ihm.

Antonia Mahler

King Of Comedy. Foto: Simon Labhart

Page 10: theaterTREFFENText MITTWOCH 4. Juni

SIRTAKI AUS DER WUNDERTÜTE

no. 3 text ende

IMPRESSUMtheater treffen text ist ein Projekt des Studiengangs Kulturkritik der HFF/Bayerischen Theaterakademie August Everding

Herausgeber: Otto Falckenberg Schule

V.i.s.d.P: Prof.Dr. C.Bernd SucherRedaktion: Quirin Brunnmeier, Benedikt Frank, Nicolas Freund, Sebastian Lauterbach, Antonia Mahler, Britta Schönhütl, Artur Senger, Anna Steinbauer, Julia Weigl

Seine Pseudozerrissenheit zeigt sich schon im Kleidungsstil: Bruno trägt un-ten eine C&A-Lederhose, oben einen gelben Kaschmirpullover, aus dem ein Hemdkragen wächst. Nicht, dass er die schlimmsten Probleme von allen hätte, aber gerade treten die Widersprüche bei ihm besonders klaffend hervor: Bruno lebt auf Kosten einer geschäftstüchtigen, herrischen Wundertütenfabrikantin, die ihn manipuliert und misshandelt. Aber jetzt hat sie sich diesen Griechen geholt. Er ist billiger, fleißiger und strahlt mehr Sex aus. Bruno hat Angst, ersetzt zu wer-

Die Kunstuni Graz bringt Dynamikin FassbindersKatzelmacher

den und so überflüssig wie der Rest der Dorfjugend, der er immerhin noch das Geld voraushat, um zur Hure zu gehen.

Die Grazer Inszenierung von Fassbin-ders Katzelmacher konzentriert sich auf diese Dreieckskonstellation der Außen-seiter und ihr Verhältnis zur feindseligen Dorfjugend. Angelehnt an eine hohe, wei-ße Stellwand mit Sitzmöglichkeit mitten auf der Bühne, stehen sie da, einer neben der anderen, Musikanten im Seemanns-kostüm mitten unter ihnen. Es sind de-pravierte junge Leute, die hier zum Publi-kum sprechen, emotionslos wie Zombies manchmal, und dann wieder ausgelassen.

Aber ist das echt? Der Grieche scheint ih-nen gleichermaßen Störenfried von weit weg als auch Repräsentant ihrer Sehn-sucht zu sein. Wenn die Matrosenkapelle zum Sirtaki aufspielt, kommt Bewegung in diese sonst so statische Welt, in der Dialoge nicht fließen, sondern die Aussa-gen der einzelnen Figuren wie abgetrennt nebeneinander stehen. Noch nachdem die Musik wieder verstummt ist, tanzt und klatscht und dumdideit manch einer wei-ter.

Eigentlich passen die Fabrikantin und der Grieche gar nicht schlecht in diese

Welt. Die Fabrikantin ist biestig, auf eine verkaterte Art, klugerweise hat Bettina Langehein nicht versucht, Irm Hermann zu imitieren. Sie interpretiert die Rolle ei-genständig. Dem Griechen schreibt Henry Arturo das „Nix verstehen!“ dauerhaft ins Gesicht, eine Maske, denn bald wird klar, dass er allerdings weiß, was er tut. Beide, die Fabrikantin und der Grieche, instru-mentalisieren andere Leute, beide lügen. Aber sie ist reich und er ist fremd: Das sind die Ausschlusskriterien. Am Ende kümmert sich Bruno, der heimliche Pro-tagonist und Mittler zwischen dem Außen und Innen, selbst um alles, gliedert sich

und die beiden anderen ein in die Ge-meinschaft, und zwar „mit der Brutalität“. Er tritt und tritt und tritt auf den wehrlo-sen Griechen ein, verroht noch mehr als der Rest der Bande, die sich untereinan-der verprügelt, wo es geht.

Als an einer Stelle die Titelmelodie von PulP Fiction erklingt, rennen alle Schau-spieler auf die weiße Wand zu und pral-len davon ab, wie eine Parabel. Nina Mat-tenklotz’ Katzelmacher-Inszenierung lebt von der Dynamik, die immer wieder darü-ber hereinbricht, und von der Stimmung, die stark durch die Musik gesetzt wird.

Und davon, dass Stephan Hirschpointner die Krise des Bruno so prägnant umsetzt. Eben diese Krise muss auch so einiges tragen, da sich leider niemand die Mühe gemacht hat, dem eigenen Anspruch ge-recht zu werden und den Fassbinder-Text von 1968 sinnvoll ins „Jetzt“ zu über-tragen. Einfach ein paar Schlagworte zu aktualisieren und zu erwarten, dass das Publikum an den entsprechenden Stellen (Asylant, Arbeitsmigrant, Europa!) betrof-fen nickt, reicht dafür nicht. Dabei ist das Thema Ausländerfeindlichkeit nicht nur in Österreich ein ernstes, wie die jüngsten Wahlen gezeigt haben. Artur Senger

Irgendwann bleib‘ ich dann dort. Foto: Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz