Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88....

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Thüringer Landtag 5. Wahlperiode Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne- ten des Thüringer Landtags auf eine hauptamtliche oder in- offizielle Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssi- cherheit (MfS) oder dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) Bekanntgabe der Feststel- lung des erweiterten Gremi- ums über das Ergebnis der Be- wertung zur Prüfung des Ein- zelfalls des Abgeordneten Ku- schel 8284, dazu: Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/4451 - Nach Bekanntgabe der Feststellung des erweiterten Gremiums durch die Vorsitzende, Frau Präsidentin Diezel, gibt der Abgeordnete Kuschel gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Gesetzes zur Über- prüfung von Abgeordneten dazu eine Erklärung ab. Auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN findet eine Aus- sprache statt. Kuschel, DIE LINKE 8291, Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8292, 8294, 8294, Barth, FDP 8294, Mohring, CDU 8296, Höhn, SPD 8297,

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Thüringer Landtag5. Wahlperiode

Plenarprotokoll 5/8801.06.2012

88. Sitzung

Freitag, den 01.06.2012

Erfurt, Plenarsaal

Überprüfung der Abgeordne-ten des Thüringer Landtagsauf eine hauptamtliche oder in-offizielle Zusammenarbeit mitdem Ministerium für Staatssi-cherheit (MfS) oder dem Amtfür Nationale Sicherheit (AfNS)Bekanntgabe der Feststel-lung des erweiterten Gremi-ums über das Ergebnis der Be-wertung zur Prüfung des Ein-zelfalls des Abgeordneten Ku-schel

8284,

dazu: Unterrichtung durch diePräsidentin des Landtags- Drucksache 5/4451 -

Nach Bekanntgabe der Feststellung des erweiterten Gremiumsdurch die Vorsitzende, Frau Präsidentin Diezel, gibt der AbgeordneteKuschel gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Gesetzes zur Über-prüfung von Abgeordneten dazu eine Erklärung ab.

Auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN findet eine Aus-sprache statt.

Kuschel, DIE LINKE 8291,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8292, 8294,

8294,Barth, FDP 8294,Mohring, CDU 8296,Höhn, SPD 8297,

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Ramelow, DIE LINKE 8298,Gentzel, SPD 8301,Fiedler, CDU 8301,

Politische Bildungsarbeit anThüringer Schulen konsequentam Beutelsbacher Konsensausrichten

8303,

Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4357 -dazu: Alternativantrag der Frak-

tion DIE LINKE- Drucksache 5/4401 -

Minister Matschie erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I des An-trags.

Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

Der beantragten Fortsetzung der Beratung über den Sofortbericht zuNummer I des Antrags im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft undKultur gemäß § 106 Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 3 GO wird zuge-stimmt.

Die Nummer II des Antrags wird an den Ausschuss für Bildung, Wis-senschaft und Kultur überwiesen.

Die beantragte Überweisung des Alternativantrags an den Aus-schuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur wird abgelehnt.

Der Alternativantrag wird abgelehnt.

Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur 8303, 8317,8318,

Emde, CDU 8305,Metz, SPD 8306,Barth, FDP 8307, 8313,Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8309, 8310,

8310,König, DIE LINKE 8311, 8316,

8316,Hennig, DIE LINKE 8314, 8316,Fiedler, CDU 8315, 8316,

8316, 8316,Bärwolff, DIE LINKE 8317,Hitzing, FDP 8318,

Beteiligung an der LandesbankHessen-Thüringen aufgeben

8319,

Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4358 -

Der Antrag wird an den Haushalts- und Finanzausschuss überwie-sen.

8278 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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Die beantragte Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Wirt-schaft, Technologie und Arbeit wird abgelehnt.

Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8320, 8325,Lehmann, CDU 8320,Huster, DIE LINKE 8321,Dr. Pidde, SPD 8323,Barth, FDP 8323,Dr. Voß, Finanzminister 8327,

Steuermehreinnahmen zurSchuldentilgung verwenden

8329,

Antrag der Fraktion der FDP- Drucksache 5/4425 -

Die beantragte Überweisung des Antrags an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss wird abgelehnt.

Der Antrag wird abgelehnt.

Barth, FDP 8329, 8335,8335, 8335,

Dr. Pidde, SPD 8330,Huster, DIE LINKE 8330, 8335,Lehmann, CDU 8332,Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8334,Dr. Voß, Finanzminister 8337,

Fragestunde 8338,

a) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Hauboldt (DIE LINKE)Gesundheitsgefahren im Justizzentrum Gera?- Drucksache 5/4491 -

8338,

wird von Minister Dr. Poppenhäger beantwortet. Zusatzfragen.

Hauboldt, DIE LINKE 8338, 8339,Dr. Poppenhäger, Justizminister 8338, 8339,

8340,Koppe, FDP 8340,

b) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Stange (DIE LINKE)Schulbauempfehlungen mit Raumprogrammempfehlungen für allgemeinbildendeSchulen- Drucksache 5/4492 -

8340,

wird von Minister Carius beantwortet. Zusatzfragen.

Stange, DIE LINKE 8340, 8341,8341, 8341,

Carius, Minister für Bau, Landesentwicklung und Verkehr 8340, 8341,8341,

c) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Gumprecht (CDU)„Fangprämien“ im Thüringer Gesundheitswesen?- Drucksache 5/4495 -

8341,

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8279

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wird von Staatssekretär Dr. Schubert beantwortet.

Gumprecht, CDU 8341,Dr. Schubert, Staatssekretär 8342,

d) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Huster (DIE LINKE)Zusätzliche Kürzungen im Landeshaushalt aufgrund nicht zufließender bzw. nichtabgerufener EU-Mittel?- Drucksache 5/4497 -

8342,

wird von Minister Dr. Voß beantwortet. Zusatzfragen.

Huster, DIE LINKE 8342, 8344,8344,

Dr. Voß, Finanzminister 8343, 8344,8344,

e) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Leukefeld (DIE LINKE)Überlassung von Kopien der Niederschriften aus nicht öffentlichen Sitzungen vonKommunalgremien- Drucksache 5/4498 -

8344,

wird von Staatssekretär Rieder beantwortet. Zusatzfragen.

Leukefeld, DIE LINKE 8344, 8345,Rieder, Staatssekretär 8345, 8345,

8346, 8346,Kuschel, DIE LINKE 8346, 8346,

f) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Bergner (FDP)Einordnung des Miniatur-Bullterriers als gefährlicher Hund- Drucksache 5/4499 -

8346,

wird von dem Abgeordneten Untermann vorgetragen und von Staatssekretär Rie-der beantwortet.

Untermann, FDP 8346,Rieder, Staatssekretär 8346,

Zustimmung zum deutsch-schweizerischen Steuerab-kommen

8347,

Antrag der Fraktion der FDP- Drucksache 5/4434 -

Die beantragte Überweisung des Antrags an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss wird abgelehnt.

Der Antrag wird in getrennter Abstimmung zu den Nummern 1 und 2abgelehnt.

Barth, FDP 8347, 8348,8351, 8354,

Huster, DIE LINKE 8348, 8348,8348, 8354,

Dr. Zeh, CDU 8349,Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8350,Dr. Pidde, SPD 8351,

8280 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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Dr. Voß, Finanzminister 8354,

Auswirkungen des jüngstenTarifabschlusses für den öf-fentlichen Dienst auf die Thü-ringer Kommunen

8356,

Antrag der Fraktion DIE LINKE- Drucksache 5/4459 -

Minister Dr. Voß erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I des An-trags.

Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

Die Abstimmung über die beantragte Fortsetzung der Beratung überden Sofortbericht im Haushalts- und Finanzausschuss gemäß § 106Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 3 GO unterbleibt, da die gemäß § 106Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 4 GO erforderliche Zustimmung ver-sagt wird.

Die beantragte Überweisung der Nummer II des Antrags an denHaushalts- und Finanzausschuss sowie den Innenausschuss wird je-weils abgelehnt.

Die Nummer II des Antrags wird abgelehnt.

Kummer, DIE LINKE 8356,Dr. Voß, Finanzminister 8356, 8363,Hey, SPD 8357,Barth, FDP 8358,Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8360,von der Krone, CDU 8360,Kuschel, DIE LINKE 8361,

Schließung von „Steuer-schlupflöchern“ im Grunder-werbsteuerrecht

8363,

Antrag der Fraktion DIE LINKE- Drucksache 5/4460 -

Die beantragte Überweisung des Antrags an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss wird abgelehnt.

Der Antrag wird abgelehnt.

Huster, DIE LINKE 8363,Lehmann, CDU 8364, 8364,Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8364,Dr. Pidde, SPD 8365,Barth, FDP 8365,Kuschel, DIE LINKE 8367,Dr. Voß, Finanzminister 8368,

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8281

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EU-Förderperiode 2014 bis2020 - Einbindung von Parla-ment, Wirtschafts-, Sozial- undUmweltpartnern sowie der Zi-vilgesellschaft in die Vorberei-tung des nächsten Operatio-nellen Programms für Thürin-gen

8369,

Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4466 -

Die beantragte Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Wirt-schaft, Technologie und Arbeit, den Haushalts- und Finanzaus-schuss, den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit, denAusschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz,den Ausschuss für Bau, Landesentwicklung und Verkehr und denEuropaausschuss wird jeweils abgelehnt.

Der Antrag wird abgelehnt.

Dr. Augsten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8369, 8373,8374,

Baumann, SPD 8370,Kemmerich, FDP 8370,Wucherpfennig, CDU 8371,Kubitzki, DIE LINKE 8372,Bergemann, CDU 8376,Barth, FDP 8377,Staschewski, Staatssekretär 8377,

Medizinische Versorgung imländlichen Raum - Sicherstel-lung einer bedarfsgerechtenVersorgung

8379,

Antrag der Fraktionen der CDUund der SPD- Drucksache 5/4474 -

Ministerin Taubert erstattet einen Sofortbericht zu Nummer I des An-trags.

Die Erfüllung des Berichtsersuchens wird festgestellt.

Die beantragte Überweisung der Nummer II des Antrags an denAusschuss für Soziales, Familie und Gesundheit wird abgelehnt.

Die Nummer II des Antrags wird angenommen.

Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit 8379, 8388,8389, 8389,

Kubitzki, DIE LINKE 8382,Untermann, FDP 8384,Gumprecht, CDU 8385,Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8386,Dr. Hartung, SPD 8388,

8282 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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Anwesenheit der Abgeordneten:

Fraktion der CDU:

Bergemann, Carius, Diezel, Emde, Fiedler, Grob, Gumprecht, Heym, Holbe,Holzapfel, Kellner, Kowalleck, von der Krone, Lehmann, Lieberknecht,Meißner, Mohring, Primas, Scherer, Schröter, Tasch, Dr. Voigt, Wetzel,Worm, Wucherpfennig, Dr. Zeh

Fraktion DIE LINKE:

Bärwolff, Berninger, Blechschmidt, Hauboldt, Hausold, Hellmann, Hennig,Huster, Dr. Kaschuba, Keller, Dr. Klaubert, König, Korschewsky, Kubitzki,Kummer, Kuschel, Leukefeld, Dr. Lukin, Ramelow, Renner, Sedlacik, Sojka,Stange, Wolf

Fraktion der SPD:

Baumann, Döring, Doht, Eckardt, Gentzel, Dr. Hartung, Hey, Höhn, Kanis,Künast, Lemb, Marx, Matschie, Metz, Mühlbauer, Pelke, Dr. Pidde, Taubert,Weber

Fraktion der FDP:

Barth, Hitzing, Kemmerich, Koppe, Untermann

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Adams, Dr. Augsten, Meyer, Rothe-Beinlich, Schubert, Siegesmund

Anwesenheit der Mitglieder der Landesregierung:

Ministerpräsidentin Lieberknecht, die Minister Matschie, Carius, Dr.Poppenhäger, Taubert, Dr. Voß

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8283

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Beginn: 9.02 Uhr

Präsidentin Diezel:

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten, ich heiße Sie herzlich willkommen zu unse-rer heutigen Sitzung des Thüringer Landtags, dieich hiermit eröffne. Ich begrüße die Gäste auf derZuschauertribüne sowie die Vertreterinnen und Ver-treter der Medien.

Als Schriftführerin hat neben mir Platz genommenAbgeordnete Meißner und die Rednerliste führtFrau Abgeordnete Hennig.

Für die heutige Sitzung haben sich entschuldigt:Abgeordneter Bergner, Abgeordneter Günther, Ab-geordneter Krauße, Abgeordneter Recknagel, Ab-geordnete Hitzing zeitweise, Abgeordneter Schröterzeitweise, Minister Geibert, Minister Reinholz, Mi-nisterin Taubert, Minister Carius zeitweise, MinisterDr. Voß zeitweise und Ministerin Walsmann zeit-weise.

(Unruhe im Hause)

Ich sage mal nichts zum Kabinett.

Folgender Hinweis zur Tagesordnung: Zum Tages-ordnungspunkt 22 wurde ein Änderungsantrag derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksa-che 5/4509 verteilt. Gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 derGeschäftsordnung sind die Änderungsanträge zuselbstständigen Vorlagen, die keinen Gesetzent-wurf enthalten, nur mit Zustimmung der Antragstel-ler zulässig. Ich frage deshalb die Fraktionen derCDU und SPD: Erteilen Sie die Zustimmung zurEinbringung des Änderungsantrags in der Drucksa-che 5/4509? Nein. Damit ist der Änderungsantragnicht zulässig.

Weiterhin ist zu diesem Tagesordnungspunkt einAlternativantrag der Fraktion der FDP in der Druck-sache 5/4515 verteilt worden.

Wird Ergänzung zur Tagesordnung gewünscht? Ichsehe, das ist nicht der Fall, dann rufe ich auf denTagesordnungspunkt 24

Überprüfung der Abgeordne-ten des Thüringer Landtagsauf eine hauptamtliche oder in-offizielle Zusammenarbeit mitdem Ministerium für Staatssi-cherheit (MfS) oder dem Amtfür Nationale Sicherheit (AfNS)Bekanntgabe der Feststel-lung des erweiterten Gremi-ums über das Ergebnis der Be-wertung zur Prüfung des Ein-zelfalls des Abgeordneten Ku-schel

dazu: Unterrichtung durch diePräsidentin des Landtags- Drucksache 5/4451 -

Ich werde gleich ans Rednerpult treten, um als Vor-sitzende des erweiterten Gremiums die Feststel-lung des Gremiums bekanntzugeben. Nach § 7Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Gesetzes zur Überprü-fung von Abgeordneten kann der betroffene Abge-ordnete zur bekanntgebenden Feststellung durchdie Vorsitzende des erweiterten Gremiums eine Er-klärung abgeben. Herr Abgeordneter Kuschel hatmitgeteilt, dass er davon Gebrauch machen möch-te.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, gemäß des Thüringer Abgeordnetenüber-prüfungsgesetzes werde ich Ihnen nun den Berichtdes aus neun Mitgliedern bestehenden erweitertenGremiums über das Ergebnis der Bewertung zurÜberprüfung des Einzelfalls des Abgeordneten Ku-schel verlesen.

Bericht über das Bewertungsergebnis zur Prüfungdes Einzelfalls des Abgeordneten Kuschel im Er-gebnis der Sitzung des erweiterten Gremiums vom3. November 2011, 13. Dezember 2011, 24. Januar2012 und 1. März 2012.

I. Ergebnis: Das erweiterte Gremium stellt mit einerMehrheit von zwei Dritteln seiner stimmberechtigtenMitglieder Folgendes fest: Aufgrund der Überprü-fung steht zur gesicherten Überzeugung der stimm-berechtigten Mitglieder des erweiterten Gremiumsfest, dass der Abgeordnete Kuschel wissentlich alsinoffizieller Mitarbeiter mit dem Ministerium fürStaatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit zu-sammengearbeitet hat und er deshalb unwürdig ist,dem Thüringer Landtag anzugehören.

II. Tatbestand: Die Abgeordnetenüberprüfung wur-de mit Schreiben der Landtagspräsidentin vom18.02.2010 an die Bundesbeauftragte für die Unter-lagen des Staatssicherheitsdienstes - im Weiterennur noch die/der Bundesbeauftragte genannt - mitder Bitte um Übermittlung von Unterlagen zumZweck der Überprüfung der Mitglieder der 5. Thü-ringer Wahlperiode eingeleitet. Die Bundesbeauf-tragte übersandte am 14.12.2010 eine Auskunft be-züglich des Abgeordneten Kuschel. Nachdem alleAuskünfte über die unter den Geltungsbereich desThüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeord-neten fallenden Abgeordneten eingetroffen waren,konstituierte sich das Gremium nach § 3 des Thü-ringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes - im Fol-genden Gremium genannt - am 10.05.2011. In die-ser Sitzung gab sich das Gremium eine Verfahrens-ordnung mit folgenden Paragraphen:

- § 1 Gremium zur Entscheidung über eine Einzel-fallprüfung,

- § 2 Grundlagen der Entscheidungsfindung desGremiums,

8284 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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- § 3 Verfahrensrechte des betroffenen Abgeordne-ten,

- § 4 Maßnahmen zur Gewährleistung von Vertrau-lichkeit und Datenschutz.

Wegen der näheren Einzelheiten der Regelungenverweise ich auf Anlage 1 der Drucksache.

Am 24.06.2011 beschlossen die Mitglieder desGremiums bei 1 Stimmenthaltung aufgrund der vonder Bundesbeauftragten übermittelten Unterlagen,dass im Fall des Abgeordneten Kuschel der be-gründete Verdacht einer wissentlichen inoffiziellenZusammenarbeit mit dem MfS/AfNS besteht unddaher eine Einzelfallprüfung durchzuführen ist.

Über diese Entscheidung des Gremiums wurde derAbgeordnete Kuschel nach Maßgabe des § 3 derVerfahrensordnung informiert. Gleichzeitig wurde erauf seine in der Verfahrensordnung geregelten Ver-fahrensrechte hingewiesen.

Am 20.09.2011 konstituierte sich das erweiterteGremium nach § 4 des Thüringer Überprüfungsge-setzes und gab sich ebenfalls eine Verfahrensord-nung. Die Verfahrensordnung enthält folgende Pa-ragraphen:

- § 1 Gremium zur Durchführung der Einzelfallprü-fung (im Folgenden erweitertes Gremium),

- § 2 Maßnahmen zur Gewährleistung von Vertrau-lichkeit und Datenschutz,

- § 3 Verfahrensrechte des betroffenen Abgeordne-ten,

- § 4 Grundlagen der Entscheidungsfindung des er-weiterten Gremiums,

- § 5 Bekanntgabe des Ergebnisses der Einzelfall-prüfung.

Wegen des Näheren dieser Verfahrensordnungverweise ich auf die Anlage 2 in Drucksa-che 5/4451.

Das erweiterte Gremium beschloss in seiner erstenSitzung außerdem, vom Bundesbeauftragten eineergänzende Stellungnahme bezüglich des zu über-prüfenden Abgeordneten Kuschel zu erbitten. Da-nach sollte die Frage beantwortet werden, ob dieAuskunft vom 14.12.2010 zu Herrn AbgeordnetenKuschel in vollem Umfang der Auskunft entspreche,die die Präsidentin des 4. Thüringer Landtags vonder Bundesbeauftragten erhalten habe. Falls diesnicht der Fall sei, bat das erweiterte Gremium dar-um, ihm die bislang nicht zur Verfügung gestelltenUnterlagen ebenfalls zuzuleiten. Außerdem bat daserweiterte Gremium für den Fall, dass in der zu-rückliegenden 4. Wahlperiode zu Herrn Abgeordne-ten Kuschel weniger Unterlagen zur Verfügung ge-stellt worden seien, um Darlegung, welche Aus-künfte in dieser Wahlperiode zusätzlich erteilt wor-den seien.

Der Bundesbeauftragte sandte die ergänzendeStellungnahme am 07.10.2011 zu und erklärte,dass dem erweiterten Gremium der 5. Wahlperiodenunmehr die vollständige Akte des Staatssicher-heitsdienstes zu Herrn Abgeordneten Kuschel unddamit dieselben Unterlagen vorlägen wie die der4. Wahlperiode.

Aus den vom Bundesbeauftragten übermitteltenUnterlagen ergibt sich nun folgender Sachverhalt:

a) Zu Herrn Kuschel liegen eine Personal- und eineArbeitsakte des MfS/AfNS vor.

b) Am 10.03.1988 wurde Herr Kuschel auf derGrundlage interner Überprüfungsergebnisse zurWerbung als IM vorgeschlagen. Ziel der Werbungwar dessen Einsatz zur abwehrmäßigen Sicherungder Personen, die „im Zusammenhang mit der Un-terbindung und Zurückdrängung von Antragstellern(Übersiedlungsersuchende) Aufgaben zu erfüllenhaben“ und der Erhalt von zweckgerichteten Infor-mationen zu Antragstellern auf ständige Ausreise.

c) Am 30.03.1988 fand ein Werbegespräch statt, indem Herrn Kuschel als IM-Kandidat deutlich ge-macht wurde, dass das MfS zur Bekämpfung undZurückdrängung von Übersiedlungsersuchendensowie zum rechtzeitigen Erkennen und zur vorbeu-genden Verhinderung von Straftaten, Informationenzum Personenkreis der Übersiedlungsersuchendenbenötigt. Ihm wurde erklärt, dass er für eine inoffizi-elle Zusammenarbeit mit dem MfS angesprochenwurde, weil er eine positive Einstellung zur DDR so-wie ein klares Feindbild besitze und weil sich ausseiner Tätigkeit als Bürgermeister für Inneres objek-tive Möglichkeiten für die Erlangung von Informatio-nen zu Übersiedlungsersuchenden ergeben. Dabeiwurde darauf eingegangen, dass die Zusammenar-beit mit dem MfS auf konspirative Art vonstattengeht.

Im Ergebnis des Werbungsgespräches schrieb undunterzeichnete Herr Kuschel am gleichen Tag eineVerpflichtungserklärung und wählte zur Gewährleis-tung einer konspirativen Verbindung und zur Unter-zeichnung von Berichten den Decknamen „FritzKaiser“. Dabei verpflichtete er sich zur Wahrungvon Geheimhaltung und zum Einhalten der Regelnder Geheimhaltung.

Als IM war Herr Kuschel in der Zeit vom 30.03.1988bis zur Auflösung des Staatssicherheitsdienstes er-fasst.

Am 18.01.1989 quittierte Herr Kuschel den Emp-fang einer Prämie in Höhe von 200 Mark mit sei-nem Decknamen. Auszeichnungen, mit Ausnahmeder soeben erwähnten Prämie, und regelmäßigeVergütungen oder Auslagenerstattungen sind nichtaktenkundig.

Herr Kuschel wurde von der Kreisdienststelle Il-menau geführt. Es liegen 14 Berichte von Füh-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8285

(Präsidentin Diezel)

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rungsoffizieren zu 13 Treffs vor. Zum Treff am18.01.1989 liegen zwei Berichte vor, da der Füh-rungsoffizier gewechselt hatte und beide, neuer undalter Führungsoffizier, zu diesem Treff einen Berichtverfasst haben. Laut dem Bericht des Führungsoffi-ziers vom 14.04.1988 über das Treffen am13.04.1988 informierte Herr Kuschel über die Wirk-samkeit einer gebildeten Arbeitsgruppe im Wohn-und Freizeitbereich im Rahmen des Rückdrän-gungskonzepts gegen Übersiedlungsersuchendesowie über „Kaderproblematik“ aus seinem Arbeits-bereich. In der Konsequenz werden entsprechendeMaßnahmen angeordnet - Zitat: „Einleitung vonKontrollmaßnahmen zu Übersiedlungsersuchen-den“, „Beauftragung der Arbeitsgruppen in denWohnbezirken“, „Schaffung von Kontrollen mit ge-eigneten Personen, die über die Übersiedlungser-suchenden im Wohnbereich auskunftsfähig sind.“

Der Bericht des Führungsoffiziers vom 22.04.1988über das Treffen am 21.04.1988 enthält Informatio-nen zur Kaderproblematik im Bereich Inneres desRates der Stadt, über gewonnene Kontaktpersonensowie über geführte Aussprachen mit Übersied-lungsersuchenden. Dabei wird eine der Personenals undiszipliniert beschrieben.

Den Bericht des Führungsoffiziers vom 29.04.1988über das Treffen vom 29.04.1988 liegen zwei hand-schriftliche Berichte von Herrn Kuschel bei, die die-ser jeweils mit Decknamen unterschrieben hat. Indem einen Bericht geht es um eine übersiedlungs-willige Familie und in dem anderen um Stellenbe-setzungen im Arbeitsbereich von Herrn Kuschel.Beiden Berichten werden konkrete Maßnahmen zu-geordnet. Dem ersten Bericht „Erarbeitung einer In-formation zum Verhalten des Ehepaars“ - Name istgeschwärzt - „bei Feststellung relevanter Handlun-gen ist sofort zu informieren“ und dem zweiten Be-richt „TRE! und Parteiinformation“.

Der Bericht des Führungsoffiziers vom 10.06.1988über das Treffen am 09.06.1988 geht auf die Ka-dersituation im Rat der Stadt Ilmenau sowie auf dieunterschiedlichen Auffassungen zwischen Bürger-meister und Herrn Kuschel zur Problematik derWehrerziehung ein.

Dem Bericht des Führungsoffiziers vom 12.07.1988über das Treffen am 08.07.1988 liegt das Protokolleiner Aussprache von Herrn Kuschel mit zwei Per-sonen zur Unterschriftensammlung des OperativenVorgangs „Ökologie“ bei. Das Protokoll ist mit derKopfzeile des Rates der Stadt versehen und mitKlarnamen und Amtsbezeichnung unterzeichnet. Inder Konsequenz werden entsprechende Maßnah-men angeordnet - Zitat: „1. Erfassung (geschwärzteNamen) Operativer Vorgang ‚Ökologie’ nachSVA 1.4; 2. Info an Abt. XX, Beachtung (ge-schwärzte Namen) der Landeskirche Eisenach;3. Info an Genossen Rath zur Operativen Akte.“

Der Bericht des Führungsoffiziers vom 11.08.1988über das Treffen am 11.08.1988 und ein ergänzen-der dazugehöriger Bericht des Führungsoffiziersvom 12.08.1988 beziehen sich auf die ehrenamtli-che Arbeitsgruppe in den Wohngebieten. Als Maß-nahme wird angeordnet, dass Herr Kuschel auf ei-ne Person Einfluss nehmen sollte, um deren Aktivi-täten wesentlich zu erhöhen. Die Berichte des Füh-rungsoffiziers vom 20.01.1989 sowie vom23.01.1989 über das Treffen am 18.01.1989 zeu-gen von der Übergabe des IM „Fritz Kaiser“ aneinen neuen Führungsoffizier. Herr Kuschel wirddabei eine Geldprämie in Höhe von 200 Mark über-geben, die er mit Decknamen quittiert.

Laut eines weiteren Berichts des Führungsoffiziersam 23.01.1989 über ein Treffen am 20.01.1989diente dieses zur Kontrolle der Vorbereitung einerKarnevalsveranstaltung in Großbreitenbach. AlsMaßnahme vermerkte der Bericht, dass sämtlicheMitglieder des Elferrates eingeschätzt und die ope-rative Basis überprüft werden sollte.

Ein dritter Bericht des Führungsoffiziers am23.01.1989 über ein Treffen am 23.01.1989 be-schreibt die Auswertung einer Faschingsveranstal-tung in Großbreitenbach. Dabei wird aus der Büt-tenrede eine mit Namen und Arbeitsstelle genanntePerson zitiert.

In dem Bericht des Führungsoffiziers vom02.03.1989 über das Treffen am 01.03.1989 gehtes um eine „erzieherische Maßnahme“ gegenüberdem IM wegen einer Verletzung der Konspirationgegenüber dem Rat der Stadt sowie um Informatio-nen zu Kandidaten der bevorstehenden Kommunal-wahl. In der Folge gab Herr Kuschel eine schriftli-che Erklärung zur Verletzung der Konspiration ab.Ich zitiere: „Ich erkenne diesen Fehler und erklärehiermit, dass ich künftig über meine Zusammenar-beit mit der Kreisdienststelle des MfS absolutesStillschweigen wahre. Da ich in meiner Funktionbeim Rat der Stadt Ilmenau öfters offiziell mit derKreisdienststelle des MfS zusammengearbeitet ha-be, war es auch für mein Umfeld in diesem Hauskeine Besonderheit, dass ich auf diese Zusammen-arbeit verwiesen wurde.“

Dem Bericht des Führungsoffiziers vom 10.03.1989über das Treffen am 07.03.1989 liegt eine offizielleListe des Rates der Stadt mit den Mitgliedern desWahlvorstandes und eine von Herrn Kuschel hand-schriftlich verfasste Liste der Bürger, die für denWahlvorstand nicht mehr zur Verfügung stünden,mit Angabe von Name, Anschrift und Gründen bei.

In dem Bericht vom 23.06.1989 über das Treffenam 23.06.1989 geht es um die Personeneinschät-zung eines Mitarbeiters des Rates der Stadt und ei-ner weiteren Person, die negative Bewertungenenthält sowie um die Einschätzung der Kommunal-politik in Großbreitenbach. In der Personenein-schätzung heißt es zum Mitarbeiter, dass diesem

8286 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Präsidentin Diezel)

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„die vernünftigen Voraussetzungen fehlen“, um sei-nen Aufgaben gerecht zu werden. Zu der weiterenPerson wird berichtet: „Da sie sich oft daneben be-nahm (Sitzen auf Schreibtisch, schamloses Verhal-ten) wurde sie schon mehrfach aus dem Haus ver-wiesen.“ Es folgte die Einschätzung „dass die (Na-me geschwärzt) aufgrund ihrer Persönlichkeitsei-genschaften möglicherweise gegenüber (Name ge-schwärzt) über dienstliche Belange spricht.“

Der Bericht des Führungsoffiziers vom 04.10.1989über das Treffen am 02.10.1989 enthält Informatio-nen zur Ortsparteileitung, zur Jugendarbeit, zu ei-ner operativen Personenkontrolle „Anästhesist“,zum Bau eines Wohnblocks, zu Sympathisantendes Neuen Forums sowie zu einer Person, die denPfarrer wegen ihrer Probleme aufsuchen wolle. Diezugeleiteten Unterlagen enthalten zwei handschrift-liche IM-Berichte.

In einer weiteren undatierten Information berichtetHerr Kuschel zu Übersiedlungsersuchenden. Er be-richtet insbesondere über die Situation einer über-siedlungswilligen Familie und gibt dabei die vondritter Seite erhaltene Behauptung weiter, der Mut-ter „sei der Abschluss der Klasse des Sohnes egal,bis zur Zeugnisübergabe sei sie nicht mehr in derDDR.“ Er berichtet zudem, dass die Familie keineGartenarbeit mehr durchführe und ihr Haus verkau-fen wolle. Dieser Sachverhalt wird im Bericht desFührungsoffiziers am 29.04.1988 wiedergegeben.In seinem handschriftlichen Bericht vom 29.04.1988legte Herr Kuschel Probleme der Personalbewirt-schaftung und Stellenbesetzung in seinem Arbeits-bereich als stellvertretender Bürgermeister des In-neren dar. Dabei wurden konkrete Personalanga-ben gemacht. Auch dieser Sachverhalt findet sichim Bericht des Führungsoffiziers vom 29.04.1988.Handschriftlich von Herrn Kuschel erfasst ist aucheine Liste der Bürger, die für den Wahlvorstandnicht mehr zur Verfügung stünden, mit Angabe vonName, Anschrift und Gründen. Diese Liste wurdebeim Treff am 07.03.1989 an den Führungsoffizierübergeben.

Des Weiteren liegt das Protokoll einer Aussprachemit zwei Kollegen über eine Unterschriftenaktionzum Erhalt eines Baumes am 01.07.1988 vor, dasvon Herrn Kuschel mit Klarname und Amtsbezeich-nung unterschrieben ist. Es liegt eine handschriftli-che Erklärung zur Verletzung der Konspirationdurch den IM vor. In der Beurteilung durch Füh-rungsoffizier Heinze am 27.03.1989 geht dieserdann davon aus, dass Herr Kuschel in der Lagewäre, zielgerichtet Personen abzuschöpfen unddiese zu Reaktionen zu veranlassen. Außerdemführt Herr Führungsoffizier Heinze aus: „Mit dendurch den IM erarbeiteten Informationen konntenwesentliche Erkenntnisse für eine aktuelle Lageein-schätzung gewonnen werden und vorbeugendeMaßnahmen zur Verhinderung negativer Maßnah-men durch Antragsteller realisiert werden.“

Herr Abgeordneter Kuschel äußerte sich zu dem imGremium eröffneten Sachverhalt in seiner Stellung-nahme insofern, dass er auf seine Ausführungen inder Plenarsitzung am 13.07.2006 verwies. Da demGremium des 5. Thüringer Landtags die gleichenUnterlagen vorliegen wie dem Gremium des 4. Thü-ringer Landtags und da das Protokoll aus der4. Wahlperiode öffentlich zugänglich sei, könne erzulässigerweise darauf verweisen. Im Weiteren be-antwortete er Fragen der Mitglieder des erweitertenGremiums. Seine Ausführungen wurden wörtlichprotokolliert. Auf das entscheidungsrelevante Vor-bringen wird im Rahmen der Bewertung unter III.eingegangen.

Das erweiterte Gremium hat in der Sitzung am03.11.2011 eine vorläufige Wertung vorgenommen,ob der Abgeordnete Kuschel wissentlich als inoffizi-eller Mitarbeiter mit dem MfS/AfNS zusammengear-beitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtaganzugehören. In der zweiten Sitzung des erweiter-ten Gremiums am 13.12.2011 wurde der Entwurfdes vorläufigen Berichts zum Ergebnis der erstenSitzung vorgelegt und unter den Gremiumsmitglie-dern diskutiert. Im Vorfeld dieser zweiten Sitzunghatten die Mitglieder des erweiterten Gremiums ausder Fraktion DIE LINKE am 12.12.2011 schriftlichihre Beteiligung an der weiteren Arbeit des erwei-terten Gremiums für beendet erklärt. Nachdem diein der 5. Wahlperiode neu hinzugekommene Abge-ordnete die Möglichkeit gehabt hätten, sich überden entsprechenden Sachverhalt zu informierenund dem betroffenen Abgeordneten Fragen zu stel-len und somit eine Bewertung treffen könnten, be-stünde keine weitere Grundlage für die Arbeit desGremiums, insbesondere da sich aus den Unterla-gen keine neuen Informationen ergeben.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums der ande-ren Fraktionen äußerten sich enttäuscht über dasAusscheiden der Fraktion DIE LINKE. Es sei eineMissachtung und Bagatellisierung der Arbeit desGremiums, das aufgrund des Gesetzes eingesetztworden war und dessen Entscheidungsfindung zudiesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sei.Auch der Abgeordnete Kuschel hat mit Schreibenvom 12.12.2011 angekündigt, nicht mehr an denSitzungen des erweiterten Gremiums teilzunehmen.Er habe nicht den Eindruck, dass seine Ausführun-gen, Erläuterungen und Einschätzungen die Mei-nung einer Mehrheit des Gremiums verändernkönnten. Der Abgeordnete Kuschel nahm auch ander dritten und vierten Sitzung des erweiterten Gre-miums am 24.01.2012 bzw. am 01.03.2012 nichtteil. Da dies aufgrund der Mitteilung des Abgeord-neten Kuschel vom 12.12.2011 vorhersehbar war,war ihm der vorläufige Bericht schriftlich zugestelltworden. In der vierten und letzten Sitzung des er-weiterten Gremiums am 01.03.2012 wurde die ab-schließende Gesamtwürdigung vorgenommen undder Bericht entsprechend ergänzt.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8287

(Präsidentin Diezel)

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III. Bewertung: Zur Bewertung, ob der AbgeordneteKuschel wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mitdem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat und des-halb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören, wur-den im erweiterten Gremium die einzelnen Tatbe-standsmerkmale diskutiert und eine Tendenzent-scheidung abgefragt.

Zum Tatbestandsmerkmal inoffizieller Mitarbeiterdiskutierten die Mitglieder über die Tätigkeit vonHerrn Kuschel als stellvertretender Bürgermeisterfür Inneres der Stadt Ilmenau in Abgrenzung zurTätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter. Die Wortkombi-nation inoffizieller Mitarbeiter steht nach § 6 Abs. 4Nr. 2 Stasi-Unterlagengesetz für Personen, die sichwissentlich und willentlich zur Lieferung von Infor-mationen an den Staatssicherheitsdienst bereit er-klärt haben. Der Abgeordnete Kuschel hatte eineTätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter in seiner Einlas-sung bestätigt. Die stimmberechtigten Mitgliederdes erweiterten Gremiums kamen einstimmig zudem Schluss, dass eine Tätigkeit von Herrn Ku-schel als inoffizieller Mitarbeiter gegeben war unddass dieses Tatbestandsmerkmal bejaht werdenmuss.

Zum Tatbestandsmerkmal der wissentlichen Zu-sammenarbeit mit dem MfS/AfNS hatte sich das er-weiterte Gremium darauf verständigt, dass von ei-ner wissentlichen Zusammenarbeit in der Regelauszugehen ist, wenn es sich um bewusstes undgewolltes Übermitteln von Informationen an Mitar-beiter des Staatssicherheitsdienstes handelt. DerBericht über die durchgeführte Werbung durch denFührungsoffizier stellt ein Indiz für die wissentlicheMitarbeit als IM dar. Die wissentliche Zusammenar-beit mit dem MfS/AfNS wird durch die Verpflich-tungserklärung von Herrn Kuschel belegt. Auch lie-gen zwei handschriftliche IM-Berichte vor, die HerrKuschel mit seinem Decknamen unterschriebenhat, und eine handschriftliche Erklärung zur Verlet-zung der Konspiration, die die wissentliche Tätigkeitals IM dokumentiert. Außerdem erhielt Herr Ku-schel am 18.01.1989 eine Prämie in Höhe von200 Mark, die er mit seinem Decknamen quittierte.Auch bestreitet der Abgeordnete Kuschel selbstnicht seine wissentliche Zusammenarbeit als inoffi-zieller Mitarbeiter. Die stimmberechtigten Mitgliederdes erweiterten Gremiums kamen daher einstimmigzu dem Ergebnis, dass der Tatbestand „wissentli-che Zusammenarbeit mit dem MfS/AfNS“ vorliegt.

Im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „Parla-mentsunwürdigkeit“ hat das erweiterte Gremium ei-ne Reihe von be- und entlastenden Umständen er-örtert und berücksichtigt. Es wurden folgende vierPunkte einzeln diskutiert:

a) die Frage nach der Nachhaltigkeit der Tätigkeitfür das MfS/AfNS und des Vorliegens eines Scha-dens für betroffene Bürger,

b) die Zeitumstände und der Zeitablauf,

c) die demokratische Bewährung und

d) die Wiederwahl als Volksvertreter.

Zu den einzelnen Punkten:

Zur Frage des Vorliegens des ersten Punktes„Nachhaltigkeit und Schaden“ hatte sich das Gremi-um auf folgende Definition verständigt: Bei der Par-lamentsunwürdigkeit handelt es sich um einen un-bestimmten, also ausfüllungsbedürftigen Rechtsbe-griff. Die Parlamentsunwürdigkeit - ein gesetzlicherBegriff, der von einzelnen Mitgliedern des erweiter-ten Gremiums als problematisch empfunden wird -ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Thüringer Abgeordne-tenüberprüfungsgesetzes in einem Regelbeispieldahin gehend umschrieben, dass sie in der Regel,also nicht ausschließlich, anzunehmen ist, wennder Abgeordnete nachhaltig und zum Schaden an-derer Bürger für das MfS/AfNS tätig gewesen ist.Das Kriterium „Nachhaltigkeit“ bezieht sich auf dieTätigkeit für das MfS, wenn also der Abgeordnetenachhaltig für das MfS tätig gewesen ist, nicht aufdas Vorliegen eines nachhaltigen Schadens. VomVorliegen eines Schadens ist u.a. dann auszuge-hen, wenn durch die konspirative Zusammenarbeitmit dem MfS Eingriffe in den Kernbereich der Per-sönlichkeitsrechte erfolgen. Der Kernbereich desPersönlichkeitsrechts umfasst in diesem Zusam-menhang sowohl die Intimsphäre als auch die Pri-vatsphäre. Ein Eingriff in diesen Kernbereich liegtvor, wenn Daten aus diesem Bereich unbefugt anDritte weitergegeben werden.

Die Nachhaltigkeit der Tätigkeit für das MfS/AfNSergibt sich bereits aus der Dauer der Zusammenar-beit. Auch die Tatsachen, dass die Tätigkeit selbstnach einem Orts- und Funktionswechsel fortgeführtwurde und erst durch Wegfall des MfS beendetwurde, sprechen für die Nachhaltigkeit.

Zur Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit für dasMfS/AfNS zum Schaden anderer Bürger zu bejahenist, hat das erweiterte Gremium bewusst nichtsämtliche Unterlagen seiner Entscheidungsfindungzugrunde gelegt. Bei den vorliegenden Akten zuHerrn Kuschel hat das erweiterte Gremium differen-ziert, inwieweit es sich um Aufzeichnungen, Berich-te, Protokolle von Herrn Kuschel und inwieweit essich um Berichte und Protokolle des jeweiligen Füh-rungsoffiziers handelt. Das erweiterte Gremium istsich darin einig, dass nicht mit gesicherter Überzeu-gung festgestellt werden kann, dass die Aufzeich-nungen der Führungsoffiziere die tatsächlichen Ge-spräche richtig wiedergeben. Es ist nicht mehrnachvollziehbar, ob vielleicht Teile der Inhalte vonFührungsoffizieren fehlerhaft wiedergegeben, be-wertet, verändert oder gar frei erfunden sind. MitBlick darauf, dass das erweiterte Gremium in einemrechtsstaatlichen Verfahren aber zu einer gesicher-ten Überzeugung kommen muss, ob der Abgeord-nete parlamentsunwürdig ist oder nicht, müssenZweifel bezüglich der Authentizität der Berichte des

8288 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Präsidentin Diezel)

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Führungsoffiziers zugunsten des Abgeordneten ge-wertet werden. Das erweiterte Gremium hat sichdaher bei der Beurteilung allein auf die Erklärunggestützt, die Herr Kuschel selbst verfasst hat.

Herr Kuschel hat seine Verpflichtungserklärunghandschriftlich verfasst. In ihr sind keine Aussagenüber Dritte. Aus der Verpflichtungserklärung selbstlässt sich kein Eingriff in den Kernbereich der Per-sönlichkeitsrechte Dritter erschließen. Es liegt einhandschriftlicher Bericht von Herrn Kuschel vor, indem er über Übersiedlungsersuchende berichtet.Darin beschreibt er die Situation einer übersied-lungswilligen Familie und gibt dabei die von dritterSeite erhaltene Behauptung weiter, der Mutter „seider Abschluss der Klasse des Sohnes egal, bis zurZeugnisübergabe sei sie nicht mehr in der DDR“. Erberichtet zudem, dass die Familie keine Gartenar-beit mehr durchführe oder ihr Haus verkaufen wol-le. Dieser handschriftliche Bericht über eine über-siedlungswillige Familie enthält damit Informationenaus dem Bereich des privaten Lebens der Familie,die deutlich in den Kernbereich der Persönlichkeits-rechte eingreifen. Die Erziehung eines Kindes, dieMeinung der Eltern zu den Schulnoten ihres Kindessowie die Ausführung von Gartenarbeit sind Berei-che, in denen die Privatsphäre der Menschen be-rührt wird. Der Abgeordnete Kuschel hat in seinerEinlassung darauf hingewiesen, dass es ihm darumgegangen sei, die Ausreise der Familie zu verzö-gern, damit der Sohn an der Klassenfahrt teilneh-men und seinen Abschluss machen könne und dieFamilie im Anschluss daran gemeinsam übersie-deln könne.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums haben er-örtert, ob und inwieweit ein Schaden vorliegt bzw.ob dieser geheilt werden kann, wenn zwar deutlichder Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeits-rechte vorliegt - dieser wurde von keinem der Mit-glieder des Gremiums angezweifelt -, dieser aberzustande kam, um - nach Aussage des Abgeordne-ten Kuschels - die Interessen eines Familienmit-glieds, nämlich des Sohnes, zu wahren.

Es gibt einen handschriftlichen Bericht von HerrnKuschel vom 29.04.1988, in dem er zu den Proble-men der Personalbewirtschaftung und Stellenbeset-zung im Arbeitsbereich von Herrn Kuschel als stell-vertretender Bürgermeister für Inneres berichtet.Dort wurden konkrete Personalangaben sowie An-gaben aus Gründen der Stellenbesetzungund -nichtbesetzung gemacht. Herr Kuschel gabdamit Personalangaben an das MfS weiter, die erals stellvertretender Bürgermeister erlangt hatte.Dabei handelt es sich nach rechtsstaatlicher Sicht-weise um besonders schützenswerte Personalda-ten.

Die Mitglieder des erweiterten Gremiums erörtertenin diesem Zusammenhang den Unrechtsgehalt derWeitergabe von sensiblen Daten, die sich das MfS

eventuell auf anderem Wege gleichermaßen ver-schaffen konnte, da sich - laut Einlassung einesMitglieds des erweiterten Gremiums - Mitarbeiterdes Bereichs einem Prüfungsverfahren des MfS un-terwerfen mussten. Nach Auffassung der Mehrheitdes Gremiums spricht der konspirative Charakterder IM-Berichte jedoch dafür, dass es sich um wei-tere und nicht schon amtsbekannte Informationenhandelt und es dem MfS gerade daran gelegenwar, Informationen aus mehreren Quellen zusam-menzutragen.

Wiederum handschriftlich verfasst ist auch eine Lis-te der Bürger, die für den Wahlvorstand nicht mehrzur Verfügung standen, mit Angabe von Namen,Anschrift und Gründen. Diese Liste wurde beimTreffen am 07.03.1989 an den Führungsoffizierübergeben. Diese Erklärung stammt aus der Zeitder Tätigkeit von Herrn Kuschel in Großbreiten-bach, also nach seinem Orts- und Funktionswech-sel. Diese Liste berührt nur relativ schwach ge-schützte Bereiche der Sozialsphäre. Ein Eingriff indie Privatsphäre könnte eventuell bei der Angabeder Gründe vorliegen, die zu jeder Person angege-ben sind. Da die Gründe in den erweiterten Gremi-en vorliegen, die Unterlagen jedoch geschwärztsind, ist nicht mehr zu erkennen, ob es sich bei denGründen um Fakten aus der Privatsphäre der Bür-ger handelt. Ein Eingriff in den Kernbereich der Per-sönlichkeitsrechte kann daher nicht mit gesicherterÜberzeugung angenommen werden.

Bei dem Protokoll einer Aussprache mit zwei Kolle-gen über eine Unterschriftenaktion zum Erhalt ei-nes Baumes vom 01.07.1988 handelt es sich umeinen Bericht, den Herr Kuschel im Rahmen seinerTätigkeit als stellvertretender Bürgermeister ver-fasst hat. Das Protokoll ist mit dem Kopfzeichendes Rates der Stadt versehen und mit Klarnamenund Amtszeichen unterzeichnet. Auch hier wird dieAnwesenheit eines weiteren Mitglieds, und zwar ei-nes Abteilungsleiters, protokolliert. Das spricht imZweifel dagegen, dass es sich hier um einen kon-spirativen Bericht als IM handelt. Zwar wird hier dieSozialsphäre der beiden Gesprächspartner berührt.Da es sich aber inhaltlich um Informationen zum„Freundeskreis Ökologie“ und dessen Unterschrif-tenaktion zum Erhalt eines Baumes handelt, liegtkein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht im Sinnedes Überprüfungsverfahrens vor.

Schließlich liegt eine handschriftliche Erklärung zurVerletzung der Konspiration von Herrn Kuschel vor.Dies betrifft nur Herrn Kuschel selbst und stellt da-her nach Ansicht des Gremiums keinen Eingriff indie Persönlichkeitsrechte dar.

Im Ergebnis haben die stimmberechtigten Mitglie-der des erweiterten Gremiums mit einer Mehrheitvon zwei Dritteln sowohl eine nachhaltige Tätigkeitfür das MfS/AfNS als auch einen Schaden für dieBürger als gegeben angesehen.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8289

(Präsidentin Diezel)

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Das erweiterte Gremium hat in seiner Bewertungdes Verhaltens von Herrn Kuschel auch die Zeitum-stände während seiner Zusammenarbeit mit demMfS/AfNS berücksichtigt. So spielen die Sozialisati-on in der DDR und die besondere innerdeutschepolitische Situation Mitte der 80er-Jahre eine wichti-ge Rolle für Einstellung, Prägung und Verhaltens-weisen, insbesondere für die Entwicklung vonRechts- und Unrechtsbewusstsein. Diesen Umstän-den waren aber grundsätzlich alle Bürger, die in derehemaligen DDR gelebt haben und gearbeitet ha-ben, in gleicher Weise ausgesetzt. Dennoch hatnach Auskunft des Bundesbeauftragten für Staats-sicherheit, siehe Plenarprotokoll aus der 4. Wahlpe-riode am 13.07.2006, nur ca. 1 Prozent der DDR-Bevölkerung als inoffizielle Mitarbeiter mit dem Mi-nisterium für Staatssicherheit zusammengearbeitet.Es galt nach den Vorschriften für die Gewinnungund Führung von inoffiziellen Mitarbeitern in derRegel die strikte Freiwilligkeit. Im Fall des Herrn Ku-schel war es die eigene persönliche Entscheidung,mit dem MfS/AfNS zusammenzuarbeiten.

Als gegebenenfalls entlastender Umstand könnteder seitherige Zeitablauf berücksichtigt werden. Derletzte Treff fand am 02.10.1989 statt. Die Zusam-menarbeit wurde durch die Auflösung des MfS/AfNS beendet. Sie war damit unter Berücksichti-gung der Zeit nach der Wende etwa 15 Jahre vorder erstmaligen Wahl des Abgeordneten in denThüringer Landtag am 13.06.2004 und knapp20 Jahre vor seiner Wiederwahl in den ThüringerLandtag am 30.08.2009 beendet.

Da das Verfahren zur Überprüfung von Abgeordne-ten kein Strafverfahren ist, spielen die zum erhebli-chen Teil kürzeren strafrechtlichen Verjährungsfri-sten keine Rolle. Es geht nicht darum, strafrechtlichrelevantes Verhalten festzustellen und zu ahnden.Es geht vielmehr um die Aufarbeitung von Ge-schehnissen, die Bedeutung für das in einer parla-mentarischen Demokratie unverzichtbare Vertrau-ensverhältnis zwischen den Bürgerinnen und Bür-gern und ihren Abgeordneten haben.

Von den stimmberechtigten Mitgliedern des erwei-terten Gremiums haben sich nach Abwägung derAspekte des Kriteriums Zeitablauf zwei Mitgliedereindeutig dafür ausgesprochen, dass dieser Um-stand als entlastend in der Bewertung der Parla-mentsunwürdigkeit Eingang findet. Zwei Mitgliederhaben kein Votum abgegeben, vier Mitglieder vo-tierten gegen diese Entlastung. Gründe für einefehlende bzw. nicht eindeutige Entlastung trotz desZeitablaufs von 21 Jahren waren die Intensität derIM-Tätigkeit des Herrn Kuschel, für die er sogar ei-ne Prämie erhalten hatte, sowie die Tatsache, dassHerr Kuschel seine IM-Tätigkeit erst mit der Auflö-sung des MfS beendete.

Des Weiteren wurde die mögliche demokratischeBewährung von Herrn Kuschel betrachtet. Aus sei-

ner Biographie wurden insbesondere seine Lebens-daten nach 1990 berücksichtigt. Er hat sich seit vie-len Jahren auf kommunaler und auf Landesebenein unserer demokratischen Gesellschaft engagiert.Herr Kuschel war ehrenamtlich von 1990 bis 1994Mitglied der Stadtverordnetenversammlung vonGroßbreitenbach. Seit 1994 ist er Mitglied desKreistages Ilmkreis, seit 2004 Stadtrat in Arnstadtund dort Vorsitzender seiner Fraktion. Er ist seit2004 Mitglied des Thüringer Landtags. Er hat sichim Rahmen seines Engagements den demokrati-schen Regeln der Rechtsordnung und des Staats-wesens der Bundesrepublik Deutschlands und un-seres Freistaats unterworfen. Die Wähler habensich zwei Mal entschieden, Herrn Kuschel in denLandtag als oberstes Organ der demokratischenWillensbildung zu wählen. Herr Abgeordneter Ku-schel distanzierte sich zwischenzeitlich auch in sei-ner Einlassung in der Sitzung am 03.11.2011 aus-drücklich von seinen Einstellungen und Handlungs-weisen. Allerdings verweigerte Herr AbgeordneterKuschel nach dem 12.12.2011 seine weitere Betei-ligung an der Aufarbeitung seiner Tätigkeit als IMdurch das erweiterte Gremium. Nach Ansicht der imGremium verbliebenen Mitglieder wird dadurch einzweifelhafter Umgang mit dem Gesetz und demdarin beinhalteten Überprüfungsauftrag zutage ge-legt. Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitgliederdes erweiterten Gremiums hat sich dafür ausge-sprochen, die demokratische Bewährung als entlas-tend bei der Beurteilung der Parlamentsunwürdig-keit zu berücksichtigen.

Die Wiederwahl des Abgeordneten Kuschel in denThüringer Landtag ist von besonderem Gewicht. Esist davon auszugehen, dass die Wählerinnen undWähler den Abgeordneten Kuschel in Kenntnis sei-ner früheren IM-Tätigkeit und der vom Parlaments-überprüfungsgremium des 4. Thüringer Landtagsfestgestellten Parlamentsunwürdigkeit über dieLandesliste der Partei DIE LINKE erneut in denThüringer Landtag gewählt haben.

Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auchdas Thüringer Verfassungsgericht haben wiederholtein parlamentarisches Verfahren zur Überprüfungvon Abgeordneten auf die Stasibelastung als ver-fassungsrechtlich zulässig angesehen. So auch indem jüngsten Urteil des Thüringer Verfassungsge-richtshofs zu diesem Thema am 1. Juli 2009. Ent-gegen der deutlichen Mehrheitsmeinung des Ver-fassungsgerichtshofs wurde mittels Sondervotum inZweifel gezogen, dass das Parlament die Befugnis-se zur Entscheidung darüber habe, ob ein Abgeord-neter es „verdiene, das Volk zu vertreten“. Hierüberhabe allein der Wähler zu befinden. Die Mehrheits-meinung des Verfassungsgerichtshofs hat aller-dings der Tatsache Rechnung getragen, dass dasÜberprüfungsverfahren nach dem Gesetz zur Über-prüfung von Abgeordneten gerade nicht den Be-stand des Mandats und damit die Wählerentschei-

8290 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Präsidentin Diezel)

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dung infrage stellt. Es dient der Aufarbeitung vonGeschehnissen durch das Parlament im Interesseseiner Repräsentationsfähigkeit. Die Mehrheit derstimmberechtigten Mitglieder des erweiterten Gre-miums hat sich dafür ausgesprochen, dass die Wie-derwahl zum Volksvertreter entlastenden Charakterbei der Beurteilung der Parlamentsunwürdigkeithat.

In der anschließenden Gesamtwürdigung aller Ge-sichtspunkte sind zwei Drittel der stimmberechtig-ten Mitglieder des erweiterten Gremiums in der ers-ten Sitzung zu folgendem vorläufigen Ergebnis ge-kommen: Nach jetzigem Kenntnisstand und vorbe-haltlich der weiteren Beratung und Anhörung bejahteine Mehrheit von zwei Dritteln des erweitertenGremiums nach § 4 Thüringer Abgeordnetenüber-prüfungsgesetz, dass der Abgeordnete Kuschelwissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit demAfNS/MfS zusammengearbeitet hat und deshalbunwürdig ist, dem Landtag anzugehören. Auch inder zweiten, dritten und vierten Sitzung des erwei-terten Gremiums kamen jeweils zwei Drittel des er-weiterten Gremiums zu dem Ergebnis, dass der Ab-geordnete Kuschel wissentlich als inoffizieller Mitar-beiter mit dem MfS und AfNS zusammengearbeitethat und deshalb unwürdig ist, dem Parlament anzu-gehören. Soweit der Bericht.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Vielen Dank. Es folgt nun nach § 7 Abs. 1 Satz 2des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Ab-geordneten die Erklärung des Abgeordneten Ku-schel. Bitte, Herr Abgeordneter Kuschel.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, liebe Gäste, Bürgerinnen und Bürger, nach2006 hat mich die Überprüfungskommission zumzweiten Mal in einem sogenannten Einzelüberprü-fungsverfahren als parlamentsunwürdig eingestuft.Dieses Überprüfungsverfahren hat von allen Betei-ligten unbestritten eine politische Dimension, juristi-sche Fragen sind im Verfahren eher vernachlässi-gungswürdig. In der Diskussion um die Zusammen-arbeit und das Verhältnis zum Ministerium fürStaatssicherheit gilt es zwischen der politischenund persönlichen Verantwortung zu differenzieren.Zur politischen Verantwortung hat sich meine Parteiseit 1990 mehrfach geäußert und sich zu den Ver-fehlungen und Verwerfungen in der DDR bekannt.Dieser Verantwortung schließe ich mich an. Zu mei-ner persönlichen Verantwortung habe ich mich seit1990 ebenfalls vielfach in der Öffentlichkeit geäu-ßert. Beispielhaft verweise ich auch auf meine per-sönliche Erklärung im Thüringer Landtag im Zu-sammenhang mit dem ersten Überprüfungsverfah-ren am 13.07.2006. Da es im Vergleich zu 2006keine neuen Erkenntnisse zu meiner Zusammenar-

beit mit dem MfS gibt, ist meine persönliche Erklä-rung vom Juli 2006 hier im Thüringer Landtag wei-terhin aktuell.

Da jedoch diesem 5. Landtag neue Abgeordneteangehören, die 2006 noch nicht Mitglied des Land-tags waren, möchte ich an dieser Stelle noch ein-mal kurz die Grundaussagen meiner persönlichenErklärung vom 13. Juli 2006 zitieren.

1. Die Zusammenarbeit mit dem MfS war ein per-sönlicher politischer Fehler, resultierend aus mei-nem unkritischen Vertrauen in das Sicherheitskon-zept der SED und der DDR.

2. Der Umgang mit den sogenannten Ausreisewilli-gen stand im Widerspruch zum eigenen sozialisti-schen Gesellschaftsanspruch, insbesondere dieKriminalisierung der Antragsteller war ein klarerVerstoß gegen internationale, selbst nationale aner-kannte Regelungen. Ich hatte damals nicht denMut, dagegen offen vorzugehen, sondern habe viel-mehr die Versetzung in eine andere Stadt vorgezo-gen. Auch dies ist als persönlicher politischer Feh-ler zu bewerten.

3. Ich habe politische Fehler begangen und kanndabei nicht ausschließen, dass in der Folge dieserZusammenarbeit mit dem MfS auch Menschen zu-sätzlicher Schaden entstanden ist. Dafür kann ichnur um Entschuldigung bitten und mein Bedauernerklären. Mehrfach habe ich bereits erklärt und tuees hier an dieser Stelle noch einmal, ein solchermöglicher Schaden für Dritte tut mir leid.

Insofern, also aufgrund der gesamten Vorgänge, istes berechtigt und auch zulässig, mich mit diesemTeil meiner Biographie auch weiterhin zu konfron-tieren, gegen einen Schlussstrich in jeglicher Artspreche ich mich ausdrücklich aus. Meine Zusam-menarbeit mit dem MfS hatte ausschließlich berufli-che Bezüge, dies hatte auch dieses Überprüfungs-verfahren erneut bestätigt, was jedoch nichts an derBewertung ändert, dass diese Zusammenarbeit Be-standteil eines Sicherheitskonzepts war, das mitden eigenen Ansprüchen an eine sozialistische Ge-sellschaft im Widerspruch stand. Ich war immer be-reit, zu meiner Zusammenarbeit mit dem MfS Erklä-rungen und Erläuterungen abzugeben und dies weitüber die eigentliche Aktenlage hinaus. Im Regelfallwurden mir diese Erklärungen und Erläuterungenaber als Rechtfertigungsversuch zugerechnet. Esbleibt aber mein Angebot, mich auch weiterhin demDialog mit den Opfern des MfS-Systems zu stellen.Meine Akte selbst liegt seit 1999 öffentlich aus undkann eingesehen werden.

Nach meiner Überzeugung konnte das jetzige Ein-zelfallüberprüfungsverfahren zu meiner Person kei-nen neuen Beitrag zur Aufarbeitung von DDR-Ge-schichte leisten. Das bedauere ich, dass erneut ei-ne Chance in dieser Hinsicht verstrichen ist. Den-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8291

(Präsidentin Diezel)

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noch seien mir zwei Anmerkungen zum Bericht derPräsidentin gestattet:

1. Es wird der Eindruck erweckt, als hätte der Bun-desbeauftragte für die Stasiunterlagen gutachterlichdas Vorliegen neuer Daten und Informationen fest-gestellt. Diesem Eindruck ist zu widersprechen, imVergleich zu den Ergebnissen der Überprüfung imJahr 2006 gab es keinerlei neue Informationen oderErkenntnisse.

2. Im Abschlussbericht der Einzelfallprüfung wirdausgeführt, dass ich nach einer Anhörung im Über-prüfungsgremium die weitere Zusammenarbeit mitdiesem Gremium abgelehnt hatte oder habe. DieseVerweigerung ist für das Gremium eine wichtigeEntscheidungsgrundlage für meine Einstufung alsunwürdiger Abgeordneter. Hierzu ist klarzustellen,dass ich dem Überprüfungsgremium in einer Anhö-rung sehr umfassend Auskunft über meine Zusam-menarbeit mit dem MfS gegeben habe. Auch dieseAuskunft ging weit über die Aktenlage hinaus.Nachdem ich das Protokoll dieser Anhörung undder anschließenden Auswertung im Gremium zurKenntnis nehmen musste, war durch mich festzu-stellen, dass eine Mehrheit in diesem Gremiummeine Erläuterungen und Aussagen als unglaub-würdig und Schutzbehauptung eingestuft hat. Mitdiesem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit bzw.Schutzbehauptung wurde ich in der Anhörung je-doch zu keinem Zeitpunkt konfrontiert. Insofernmusste ich zu der Einschätzung kommen, dass die-se Anhörung sehr formal erfolgte und letztlich eineMehrheit der Kommissionsmitglieder bereits eineEntscheidung zu meiner Person getroffen hatte. Ei-ne weitere Mitarbeit im Überprüfungsgremium wäredeshalb für alle Beteiligten wenig ergebnisorientiertverlaufen. Zudem ist festzustellen, dass nicht nurich, sondern alle Vertreter der Fraktion der ParteiDIE LINKE die Mitarbeit in dem Gremium einge-stellt haben.

Die Unwürdigkeitseinstufung nehme ich so wie dieÖffentlichkeit zur Kenntnis. Ich werde weiterhin kri-tisch mit meiner eigenen Biographie umgehen undPolitikangebote für Bürgerinnen und Bürger unter-breiten. Nur die Bürgerinnen und Bürger haben dastatsächliche Entscheidungsrecht, wer würdig oderunwürdig ist, dem Landtag anzugehören. Dank derheutigen demokratischen und rechtsstaatlichenMöglichkeiten werde ich wie in den zurückliegen-den 20 Jahren an verschiedenen Stellen, ob in Par-lamenten und Vereinen oder Bürgerinitiativen oderals Bürger, so wie viele andere auch, für meine po-litischen Angebote, Alternativen und Veränderun-gen streiten, und dies in Anbetracht meiner Vergan-genheit und den damit beschriebenen Fehlern undVerwerfungen, für die ich mich nochmals entschul-digen möchte. Danke.

(Beifall Abg. Berninger, DIE LINKE)

Präsidentin Diezel:

Danke schön, Herr Abgeordneter Kuschel. Wir wa-ren im Ältestenrat übereingekommen, zu diesemTagesordnungspunkt keine Aussprache durchzu-führen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENhatte Redebedarf bereits signalisiert und ich bitte,das Wort zu ergreifen.

(Zuruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt direkt?)

Ja.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, warum wollen BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN zu dieser wichtigen Frage dieAussprache, auch hier im Parlament? Vielleichtfragt sich das der eine oder die andere. Aber wirmeinen, dass genau das ein ganz wichtiger Punktund eine Errungenschaft der Demokratie ist, dasswir tatsächlich auch miteinander reden, dass wiruns austauschen, dass wir auch kritische Fragenansprechen, auch und gerade wenn es um solchschwierige Dinge geht, wie wir sie heute hier aufder Tagesordnung haben. Denn es geht um nichtmehr und nicht weniger als um die Aufarbeitung derVergangenheit, um Transparenz, aber auch um dieFrage: Wer hat eigentlich das Recht, in welcherForm über wen wie zu urteilen? Ich möchte sehrdeutlich sagen, dass mir in diesem Landtag, demwir seit 2009 wieder angehören, weniges so schwergefallen ist wie die Mitarbeit in diesem Gremium,weil sie tatsächlich an die Substanz geht. Ich glau-be, das geht vielen so. Wir als BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN haben uns der Aufarbeitung verschrie-ben. Wir kommen aus der ehemaligen Bürger/-in-nen-Bewegung der DDR. Viele von uns sind selbstüber Jahre/Jahrzehnte bespitzelt worden und unsist es wichtig, sich tatsächlich mit dieser Problema-tik adäquat auseinanderzusetzen und sich dazuauch öffentlich zu positionieren.

Ich habe heute früh eine Thüringer Zeitung gele-sen, da ging es um ein anderes Thema, aber trotz-dem passt es hier sehr gut, dass in der Meinungs-spalte, ich möchte sie sinngemäß zitieren, GerlindeSommer in der TLZ heute schreibt: „Abseits vonFormeln zu sprechen, das trauen sich nicht vielePolitiker, sei es, weil sie einen unerwünschten Wi-derhall fürchten, weil Redenschreiber nur Vorge-stanztes aufschreiben oder weil das nötige Formatoder eine Haltung fehlt.“ Ich finde, das passt auchganz gut zu dieser Debatte und ich glaube, wir kön-nen uns nicht darum drücken, wenn es uns

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Was inter-essiert uns, was Gerlinde Sommer auf-schreibt?)

8292 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Kuschel)

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um Aufklärung und Auseinandersetzung geht, unshier im Plenum dieser Debatte zu stellen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Warten Sie es doch mal ab.)

Wir haben uns in diesem Gremium beteiligt und wirhaben es uns in der Tat nicht leicht gemacht. Ichsage aber auch, für uns waren die Akten neu, dievorgelegt wurden, weil wir vorher noch nicht in ei-nem solchen Gremium mitgearbeitet haben. Wir ha-ben aber ebenfalls zur Kenntnis genommen, dasssie über die Aktenlage, die bereits in der letzten Le-gislatur vorlagen, nicht hinausgingen. Unbestreitbarhat es in diesem Fall eine Zusammenarbeit mit demMfS gegeben und das hat der Betroffene auch ein-geräumt. Ich habe hier auch seine Entschuldigungvernommen und das weiß ich sehr zu schätzen.Trotzdem will ich sagen, und das hat Frau Diezel jaauch im Bericht ausgeführt, dass der Begriff derParlamentsunwürdigkeit mir nicht nur schwer imMagen liegt, sondern ein unbestimmter Rechtsbe-griff ist, dessen Zweckbestimmung sein sollte, ichzitiere, „die Selbstreinigung des Parlaments“, deraber keine Folgen mit sich bringt, außer dass heuteeinem Abgeordneten, der das auch schon wusste,wieder gesagt wird, er sei parlamentsunwürdig. Ichsage ganz offen, ich frage mich, wer gibt mir unduns eigentlich das Recht, über einen Kollegen, dergenauso wie ich in den Thüringer Landtag gewähltwurde, so zu urteilen, indem ich ihn für parlaments-unwürdig erkläre?

Ich will Joachim Linck zitieren, Verfassungsrechtlerund früherer Landtagsdirektor, der dem MDR am22. Januar 2012 sagte, es sei Zeit, diese Überprü-fungspraxis zu beenden. Viele der überprüften Ab-geordneten hätten längst bewiesen, dass sie imfreiheitlich demokratischen Rechtsstaat angekom-men seien und wenn die Wähler sagten, Fehler derVergangenheit seien heute nicht mehr ausschlag-gebend, müsse man das respektieren.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das mussuns ein Wessi erzählen, der hierherkommt.)

Ich glaube, wir müssen uns auch das anhören, ja,weil jede und jeder das Recht hat zu sagen, was eroder sie denkt, natürlich auch Herr Linck genausowie Sie, Herr Fiedler. Wir wissen auch, dass esganz wichtig ist, sich DDR-Biographien ganz diffe-renziert anzuschauen, weil es Differenzierungbraucht, um Menschen tatsächlich gerecht zu wer-den.

Gestatten Sie mir noch ein Zitat, nämlich von Ro-land Jahn. Er sagte im Juli 2011: „Es ist wichtig, ge-nauer hinzuschauen, warum sich Menschen wieverhalten haben. Ich verurteile niemanden, der sichangepasst hat. Anpassung hat aber seinen Preis,den oft andere bezahlt haben, manche mit Gefäng-nis.“ Das war am 11. Juli 2011.

Wir stehen für Aufarbeitung und uns geht es mit-nichten um eine Schlussstrichmentalität. Aufarbei-tung tut not und auch eine offensive Debatte tut not.Aber wir handeln hier auf Grundlage eines Ge-setzes, das aus unserer Sicht in dieser Form nichtmehr zeitgemäß ist. Zum einen bestreiten wir, dasses richtig ist, dass ein Gremium oder ein Parlamentdarüber entscheidet, ob ein Abgeordneter, eine Ab-geordnete parlamentsunwürdig ist, insbesonderewenn sich die Wählerinnen und Wähler in dem Wis-sen, das der- oder diejenige für die Staatssicherheitgearbeitet hat, hier ordentlich gewählt in diesemParlament wiederfindet.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Der Mannist nicht gewählt worden, die Liste ist gewähltworden.)

Müssen wir nicht den Mut haben, Herr Fiedler, an-zuerkennen, dass sich die Wählerinnen und Wähleroffensichtlich bewusst so entschieden haben?

(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: … nichtfür die Person entschieden haben.)

Sind wir Abgeordnete nicht ein Abbild auch genauin diesem Landtag, wie es sich in der Gesellschaftwiederfindet?

(Unruhe CDU)

Müssen wir das nicht akzeptieren? Das Entschei-dende ist doch, Herr Fiedler, dass wir um die Ver-gangenheit von uns wissen und dass wir uns ehr-lich damit auseinandersetzen und dass wir dazustehen. Das unterscheidet im Übrigen auch hiervon beispielsweise der Debatte, die im Moment imBrandenburg geführt wird, wo sich jemand nicht of-fen bekannt hat.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist Ver-gangenheit.)

Da ist aber ein ganz gravierender Unterschied.Wenn ich von Menschen weiß, dass sie zu ihrerBiographie und zu ihrem Tun stehen, dann kann ichihnen auch in die Augen schauen und dann kannich auch sehen, wie ich gegebenenfalls mit ihnenzusammenarbeite. Wenn ich das nicht weiß - unddas ist das Entscheidende -, dann kann ich dasnicht. Deswegen halten wir es für richtig, dass esAufarbeitung gibt, dass es auch eine Überprüfunggibt. Aber wenn die Fakten seit Jahren unverändertallesamt bekannt sind, dann muss man sich fragen,Herr Fiedler, wo fängt Schuld an? Und ...

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Hören Siedoch auf, das ist schämenswert, was Sie hiererzählen. Das kann man doch nicht mehr er-tragen.)

(Unruhe CDU)

Herr Fiedler, nein, ich höre jetzt nicht auf.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8293

(Abg. Rothe-Beinlich)

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Präsidentin Diezel:

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten, ich bitte um Mäßigung. Bitte lassen Sie dieRednerin aussprechen.

(Unruhe CDU, FDP)

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Herr Barth, wo hat denn Anpassung angefangen?Damit, dass man sich drei Jahre für die NVA ver-pflichtet hat,

(Unruhe CDU)

Präsidentin Diezel:

Herr Fiedler.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

um einen bestimmten Studienplatz zu bekommen?Damit, dass man beim Rat des Kreises gearbeitethat? Ich verdeutliche es mal für mich persönlich.Ich habe nie für die Stasi oder Ähnliches gearbeitet,sondern ich bin auch über Jahre bespitzelt worden.Aber auch ich habe mich in bestimmten Situationenangepasst und damit muss ich umgehen. Es istvielleicht ein kleines Beispiel, aber es zeigt - lassenSie mich das doch mal ausführen -,

(Unruhe CDU)

wie schnell man in einer Diktatur selbst zum ganz,ganz kleinen Rädchen werden kann. Vielleicht wun-dern Sie sich jetzt über das, was ich sagen werde.Ich habe immer gern gesungen und ich war imMädchen-Kammer-Chor in Erfurt. Der Mädchen-Kammer-Chor hatte einmal die zweifelhafte Ehre,zu einer der Staatsjagden von Erich HoneckerJagd- und Wanderlieder vorzutragen.

(Unruhe CDU)

Ich habe mitgesungen. In einer lächerlichen grauenUniform habe ich mitgesungen im Erfurter Hof undhabe mich geschämt, und zwar bis heute ein Stückweit, dass ich damals nicht den Mut hatte, wie eineandere, zu sagen, ich mache diesen Auftritt nichtmit, sondern ich habe mitgemacht. Das ist gewissnicht vergleichbar mit einer wissentlichen Zusam-menarbeit mit der Staatssicherheit,

(Unruhe CDU, SPD, FDP)

aber ich will damit deutlich machen,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Es wäre bes-ser, Sie hätte geschwiegen.)

niemand ist hier frei von Schuld oder - ich bin Pfar-rerstochter -, wer frei von Schuld ist, der werfe denersten Stein.

(Unruhe CDU, FDP)

Ich würde niemals einen Stein werfen, weil ich da-mit sagen will, dass jede und jeder von uns Verant-wortung trägt, dass man zu dieser Verantwortungstehen muss, dass es dazu der offensiven Ausein-andersetzung bedarf und dass man dann auch denMut haben muss, Gesetze zu hinterfragen in derForm, wie sie vorliegen. Unsere Fraktion wird dieseauch ganz konkret tun. Wir werden in den nächstenMonaten eine Neuformulierung des Gesetzes vor-schlagen, um Aufarbeitung weiterhin zu ermögli-chen, aber um uns von solchen Praktiken, wieeinen Kollegen, eine Kollegin oder auch mehrerefür parlamentsunwürdig in einem solchen Gremiumzu erklären, endlich zu verabschieden. Vielen herz-lichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Präsidentin Diezel:

Danke schön. Ich sehe zwei weitere Wortmeldun-gen. Abgeordneter Barth und AbgeordneterMohring.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Jetzt meldeich mich auch noch.)

Abgeordneter Barth, FDP:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,da die Vereinbarung im Ältestenrat offenbar keinenBestand mehr hat, ist es zum einen normal, zu re-den, zum Zweiten ist es, glaube ich, nach demeben Gehörten auch dringend notwendig.

(Beifall CDU, FDP)

Meine Damen und Herren: „Die Würde des Men-schen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schüt-zen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“Unser Grundgesetz bekennt sich an einer sehr pro-minenten Stelle, nämlich in den ersten beiden Sät-zen des ersten Artikels zu diesen Grundsätzen derMenschenwürde. Die Würde des Menschen zu ach-ten und zu respektieren, jedem seine persönlichenEigenheiten zu belassen, sie zu tolerieren, gehörtzu den Grundüberzeugungen und zu den Grund-werten, die unsere demokratische Gesellschaft zu-sammenhalten. Unsere Gesellschaft ist demokra-tisch. Jeder kann sich, wenn er will, Gehör ver-schaffen, sein Anliegen vortragen, und das, ohnedass er mit Repressalien rechnen muss. Das isteins der wesentlichen Grundmerkmale unseres de-mokratischen Zusammenlebens.

Meine Damen und Herren, bis vor 22 Jahren exis-tierte auf deutschem Boden ein Staat, in dem dieMenschenwürde auch eine Rolle spielte. Für dieDDR-Führung stand die Würde eines jeden Bürgersso im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit, dass sie für

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ihre Überwachung sogar einen eigenen Apparatschaffte.

(Beifall CDU, FDP)

Aber das Ministerium für Staatssicherheit war nichtetwa dazu aufgefordert, die Würde der Menschenin der DDR zu schützen oder zu achten, nein, alsSchild und Schwert der Arbeiterpartei war die Stasiwillfähriges und kreatives Organ, wenn es darumging, die Würde der Menschen in der DDR zu ver-letzen und sie ihnen zu rauben. Das, meine Damenund Herren, war fester Bestandteil des Vorgehensder Staatssicherheit.

(Beifall CDU)

Die Methoden waren dabei mal subtil, mal brutal, jenachdem, aber sie waren immer darauf gerichtet,das eigene Volk, die Menschen in der DDR zu ver-folgen, einzuschüchtern, sie zu manipulieren undbei Bedarf zu brechen. Und so war die Stasi inWahrheit im Laufe der Zeit nicht nur der wesentli-che machterhaltende Faktor für die SED geworden,sie war für viele DDR-Bürger das Schreckens- undFeindbild schlechthin. Sie war es, wovor die De-monstranten im Herbst 1989 in Wahrheit Angst hat-ten und trotzdem auf die Straße gingen, meine sehrverehrten Damen und Herren. Die Stasi war es, dieOppositionelle und Bürgerrechtler bespitzelte, ver-folgte, verhaftete, entwürdigte und auch folterte,und deswegen ist es umso unverständlicher,

(Beifall CDU, FDP)

dass die, die sich heute als legitime Nachfolger die-ser Bürgerrechtler selbst bezeichnen und verste-hen, hier so einen Auftritt hinlegen, wie wir daseben erleben mussten, meine sehr verehrten Da-men und Herren.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Der Sieg der friedlichen Revolution über das kom-munistische System in der DDR ist ganz wesentlichauch ein Sieg über das System Staatssicherheit.Und dieser Sieg ermöglichte in Wahrheit überhaupterst die Aufarbeitung und auch unsere heutigenKenntnisse über das System und über die Täter.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,wissen wir auch erst, dass es im Thüringer Landtageinen Abgeordneten gibt, der Teil dieses Systems,der Teil dieser menschenverachtenden Apparaturwar, der also so gesehen in besonderer Weise einMittäter war und eben nicht nur über die Frage sichschuldig gemacht hat, in einer grauen Uniform aneinem vielleicht unglücklichen Ort zu singen odersich für drei Jahre zur NVA zu verpflichten. Dassind andere Kategorien. Hierzwischen gibt es einendeutlichen Trennstrich, meine sehr verehrten Da-men und Herren.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Trotzdem muss man dazustehen.)

Der Kollege Kuschel hat als IM Kaiser, als inoffiziel-ler Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicher-heit in den 80er-Jahren gespitzelt und Menschenbei der Stasi auch angezeigt. Er sitzt heute als Ab-geordneter in den Reihen der Fraktion DIE LINKE.Er ist nach demokratischem Verfahren gewählt, dasist wahr. Aber ebenso wahr ist auch, dass nicht je-der demokratisch Gewählte automatisch auch einDemokrat ist, meine sehr verehrten Damen undHerren.

(Beifall CDU, FDP)

Er ist heute Mitglied einer Partei, in der die DDRnicht bloß als unsere Vergangenheit, sondern auchals unsere Zukunft gesehen wird, so zumindestheißt es in Unterlagen, in offiziellen Dokumentender Kommunistischen Plattform, die ja wohl Be-standteil Ihrer Partei ist.

(Unruhe DIE LINKE)

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,sind die Fortsetzung der Aufarbeitung und auch dieVerbesserung der Aufklärung über dieses Systemheute genauso wichtig, vielleicht sogar wichtigerdenn je, weil nämlich mit wachsendem zeitlichenAbstand die Gefahr der Verklärung, des Verges-sens und auch der Verharmlosung immer weiterwächst. Aber harmlos waren weder die DDR nochdie Stasi.

(Beifall FDP)

Für den Machterhalt ging man über Leichen an derGrenze, in den Gefängnissen. Die DDR war keinRechtsstaat und sie war erst recht keine Demokra-tie. Und immanenter Bestandteil der Aufarbeitungmuss deshalb auch die Suche nach Opfern und Tä-tern und die Benennung zumindest mal auch derTäter sein.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE:Was heißt angezeigt?)

Das hat in aller Regel wenig oder keine strafrechtli-che Relevanz. Das ist völlig richtig. Genauso wenig,wie die Einstufung des Kollegen Kuschel als parla-mentsunwürdig irgendeine rechtliche Relevanz hat.Es hat aber Relevanz für die Opfer und auch dafür,wie wir uns als Parlament in einer echten Demokra-tie selbst und wie wir unsere Rolle auch für die Ge-staltung des Gemeinwesens verstehen, des Ge-meinwesens, welches wir mit unseren Entscheidun-gen nämlich gestalten.

Deshalb, werte Frau Kollegin Rothe-Beinlich, gehtes auch nicht darum, die Frage zu beantworten,wer uns das Recht gibt, solche Überprüfungen undEinstufungen vorzunehmen.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8295

(Abg. Barth)

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(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das hat auch niemand ge-sagt.)

Wir haben die Pflicht, das zu tun.

(Beifall FDP)

Gerade, weil wir unser Gemeinwesen aus dieserGeschichte heraus nämlich gestalten wollen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch völligerQuatsch.)

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Welches ist das?)

Deshalb ist Aufarbeitung auch weiter nötig, auchund gerade in Form der Aufklärung und der Einstu-fung von Abgeordneten. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Präsidentin Diezel:

Vielen Dank. Es hat sich weiter zu Wort gemeldetder Abgeordnete Mohring.

Abgeordneter Mohring, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, liebe Schülerinnen, liebe Schüler, manch-mal hadern wir Bürger mit unserer Demokratie, weilunsere Demokratie schwerfällig ist, weil sie manch-mal Entscheidungsprozesse nicht einfach nachvoll-ziehen lässt, weil Extremisten demonstrieren kön-nen, weil Extremisten Versammlungen durchführenkönnen und weil parlamentsunwürdige Abgeordne-te in einem demokratisch gewählten Parlament sit-zen können. Aber dass das alles geht, liegt an un-serer Freiheit und im Ausfluss unseres Demokratie-prinzips. Und dass wir das alles in Freiheit tun kön-nen, das ist das Ergebnis der friedlichen Revolutiondes Herbstes 1989, weil wir, weil die Bürger ausder ehemaligen DDR mit der Kerze in der Hand aufdie Straße gegangen sind und gesagt haben, die-ses System, in dem wir leben, in dem wollen wirnicht weiterleben, weil dieses System uns die Frei-heit nimmt, weil dieses System uns keine Demokra-tie ermöglicht, weil dieses System uns keine freienund gleichen und geheimen Wahlen ermöglicht,weil es viele Familienbiographien gebrochen hat,weil es Leben genommen hat und weil es auch dieBürger auf Dauer für immer eingeschränkt hat.Dass wir das jetzt in Freiheit tun können und dasswir als frei gewähltes Parlament, als ThüringerLandtag, jetzt in dieser Erfahrung auch darüberwerten können, wie wir das bewerten, was vor unsgewesen ist, das ergibt sich schon aus unserer ei-genen Verfassung, aus der Thüringer Landesver-fassung, aus der Präambel, in der wir sagen, dassdas Bewusstsein des kulturellen Reichtums und derSchönheit des Landes, seiner wechselvollen Ge-

schichte, der leidvollen Erfahrung mit überstande-nen Diktaturen und des Erfolgs der friedlichen Ver-änderung im Herbst 1989 genau um dessentwillenwir darauf achten und uns diese Verfassung gege-ben haben.

Deshalb haben wir uns als Thüringer Landtag, wirjetzt in dieser Wahlperiode, aber auch davor, dazuentschieden, auch zu überprüfen, wie haben es dieAbgeordneten, die hier in diesem Haus gewähltworden sind, mit dem alten System und mit denVerquickungen der Staatssicherheit gehandhabt?Für uns mit dieser Erfahrung aus diesemHerbst 1989 steht eines fest, und so hat es auchgestern der Abgeordnete Heiko Gentzel gesagt: Wirkönnen uns Geheimdienste nur denken mit parla-mentarischer Kontrolle. Und diese Geheimdienste,die wir kennen, Staatssicherheit aus der alten DDR,die kannten genau diese parlamentarische Kontrol-le nicht. Wir können uns parlamentsunwürdige Ab-geordnete in einem demokratisch gewählten Parla-ment denken, aber ein Bürger der DDR, der unwür-dig dem Sozialismus gewesen sei, den konnten wiruns in einer Volkskammer eben nicht vorstellen.Das ist der Wert unserer Demokratie und das istder Wert unserer Freiheit und darüber auch zu be-werten und darüber nachzudenken, das ist das,was wir uns vorgenommen haben.

Deshalb, sehr geehrte Frau Kollegin Astrid Rothe-Beinlich, die Sie ja auch sozusagen in der Fortset-zung als Vertreterin der Bürgerrechtsbewegung desHerbstes 1989 hier vermeintlich sitzen, ich meine,mit der Wortmeldung heute haben Sie sich dasRecht abgesprochen, für die Bürgerrechtsbewe-gung hier das Wort zu ergreifen.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Vermeintlich?)

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch wir haben die Entschuldigung des Abgeord-neten Kuschel zur Kenntnis genommen. Ich willausdrücklich sagen, wir finden das richtig, dass Siesich entschuldigt haben. Wir wissen auch, das magauch nach so langer Zeit, nach zwei Jahrzehnten,vielleicht fällt es leichter, vielleicht fällt es schwerer,aber man hat gemerkt, Sie haben von Ehrlichkeitgeprägt diese Entschuldigung hier vorgetragen.

Aber ich will zur Relativierung von Frau Rothe-Bein-lich schon noch etwas sagen: Dass wir meinen,dass ein parlamentsunwürdiger Abgeordneter na-türlich sein Mandat behält, das ergibt sich aus un-serer Verfassung, aber es bleibt die Verpflichtungder Partei, die ihn aufstellt, bestehen, darübernachzudenken, wenn jemand für parlamentsunwür-dig erklärt wurde, ihn auch wieder aufzustellen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ja,und das haben wir gemacht.)

8296 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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Und dass der Abgeordnete Kuschel im Parlamentsitzt, war nicht der Bürgerwille, den AbgeordnetenKuschel zu wählen, sondern die Liste der LINKENanzukreuzen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Ja,mit Abgeordneten.)

(Beifall CDU, SPD)

Und die Listenplatzierung hat dafür gesorgt, dassder Abgeordnete Kuschel im Parlament sitzt.

Ein Blick auf die Kommunalwahlergebnisse vomMai und April dieses Jahres zeigt, dass, wenn derAbgeordnete Kuschel persönlich antritt und sich umein Amt bewirbt, wie um das Amt des Bürgermeis-ters in Arnstadt, dann sagen nicht mal mehr als10 Prozent der Bürger, wir wollen diesen Mannwählen.

(Unruhe DIE LINKE)

(Beifall CDU)

Darüber nachzudenken macht auch Sinn, wennman das einschätzt und wenn man versucht zu re-lativieren. Ich finde, es mag so sein - manchmal ha-dern wir mit der Demokratie. An diesem Tag heute,nach dem Bericht der Landtagspräsidentin, tun wirdas ausdrücklich nicht.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Präsidentin Diezel:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mohring. Das Worthat Abgeordneter Höhn von der SPD-Fraktion.

Abgeordneter Höhn, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir habenhier heute entsprechend des Thüringer Gesetzeszur Abgeordnetenüberprüfung einen Bericht unse-rer Präsidentin gehört, der betroffen gemacht hat.Wir haben hier heute eine Erklärung des Abgeord-neten Kuschel gehört. Trotz seiner respektablenEntschuldigung, die er hier vorgetragen hat, hatauch diese Stellungnahme betroffen gemacht.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: NurLippenbekenntnisse.)

Ich sage aber ganz deutlich an dieser Stelle, meineDamen und Herren, Frau Rothe-Beinlich, Ihre Wort-meldung hat mich noch betroffener gemacht.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Ich will das gern begründen. Wenn ich Sie richtigverstanden habe bei Ihrer Rede hier vorn, habenSie nicht zuletzt auch damit ein Stück fundamentaleKritik am Verfahren, was uns durch dieses Gesetzvorgegeben wird, vorgenommen. Das kann mantun, das ist legitim, das gehört zu den demokrati-

schen Grundregeln. Ich sage aber auch, ich kommezu einer anderen Schlussfolgerung als Sie.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das ist ja Ihr gutes Recht.)

Das ist mein, unser gutes Recht. Vielleicht ist esganz hilfreich, wenn man einen Blick zurück in dieGenesis dieses Gesetzes wirft. Ich weiß nicht, obSie das getan haben, ich gehe mal davon aus, Siehaben es getan. Dann müssten Sie wissen, dassdieses Gesetz in der zweiten Legislaturperiode ge-schaffen worden ist mit einer ganz klaren Sanktionim Gesetz formuliert,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: § 8.)

dass bei festgestellter wissentlicher Zusammenar-beit mit Staatssicherheit und allen dazugehörigenDiensten damit ein Mandatsverlust verbunden war.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: § 8, ja, und der ist nichtzulässig.)

§ 8. Es gab einen Fall in der zweiten Legislatur, wodieses Gesetz, genau dieser § 8 mit seiner Sankti-on zur Anwendung gekommen ist und am Endezum Mandatsverlust einer Abgeordneten der dama-ligen PDS-Fraktion geführt hat. Das ist auch be-kannt, das kann man nachlesen. Es ist auch be-kannt, dass diese Abgeordnete, man muss dannsagen diese ehemalige Abgeordnete, vor das Ver-fassungsgericht in Thüringen gezogen ist und dasVerfassungsgericht aus den Gründen, die eben derKollege Mohring hier vorgetragen hat, den Man-datsverlust trotz festgestellter Zusammenarbeit alsverfassungswidrig eingestuft hat. Dem haben wiruns unterworfen als Landtag und haben in der3. Legislatur das Gesetz so geändert, wie es heutevorliegt. Die einzige Sanktion, die uns als Parla-ment zur Verfügung steht, ist die Frage, darf je-mand - und ich formuliere das jetzt mit meinen Wor-ten um, Frau Kollegin -, der in einem früherenStaat, in der früheren DDR Menschen nachweislichSchaden zugefügt hat - er hat es ja heute auch hiererklärt - heute als Gesetzgeber unseren Bürgerin-nen und Bürgern erklären oder sagen, was sie tunoder was sie lassen dürfen. Das ist die Frage, dieich mir stelle. Diese Verantwortung als Parlamenta-rier und als Parlament haben wir alle gemeinsam,zu sagen, darf jemand oder soll jemand, der da-mals diese Verantwortung wahrgenommen hat,heute in einem demokratischen Rechtsstaat denBürgerinnen und Bürgern wiederum erklären, wassie dürfen und was sie nicht dürfen. Ich beantwortediese Frage ganz klar mit Nein.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Ich glaube, auch da im Namen meiner Fraktionsprechen zu dürfen. Deshalb haben wir eine Ver-antwortung hier in diesem Parlament, uns diesem

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8297

(Abg. Mohring)

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unangenehmen Procedere zu stellen. Ja, ich weißdas, ich war Mitglied dieses Gremiums in der letz-ten Legislatur. Ich weiß, wovon Sie sprechen. Ichkann das zum Teil beklemmende Gefühl, dass ei-nem als Abgeordnetenkollege bei dem Studium derAkten - und ich sage an der Stelle ohne gegen Ge-heimhaltungspflichten zu verstoßen - schon der ei-ne oder andere Schauer über den Rücken läuftbeim Aktenstudium, dass man dann diese Erkennt-nisse gewinnen muss und dass man sich dieserVerantwortung stellen muss. Die habe ich mir auchgestellt, steht es uns zu als Abgeordnetenkollegen?Ich habe gezweifelt, ich sage das ganz offen, aberam Ende steht die Verantwortung als Demokrat, dieVerantwortung als Parlamentarier und deshalb ha-ben wir uns dieser Verantwortung zu stellen unddeshalb geht Ihre Kritik hier am eigentlichen Sach-verhalt vorbei. Ich muss sagen, ich habe auchZweifel an Ihrem eigenen Selbstverständnis. Mitden Worten, wie Sie hier heute aufgetreten sind,muss ich sagen, als selbsternannter Vertreter derBürgerbewegung aus den 80er- und 90er-Jahren,ich fand das an dieser Stelle auch unwürdig. Daswill ich an dieser Stelle deutlich sagen. VielenDank.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

(Unruhe DIE LINKE)

Präsidentin Diezel:

Herr Fiedler, hatten Sie sich zu Wort gemeldet oderist Ihre Wortmeldung nicht mehr erwünscht?

(Zuruf Abg. Fiedler, CDU: Ich ziehe zurück.)

Sie ziehen zurück. Herr Ramelow, bitte schön.

Abgeordneter Ramelow, DIE LINKE:

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich kann hier nursprechen, weil es die DDR nicht mehr gibt, sonstkönnte ich hier gar nicht sprechen.

(Beifall SPD)

Ich bin überzeugt, wenn ich in der DDR gelebt hät-te, hätte ich mir die quälende Frage, die Frau Kolle-gin Rothe-Beinlich eben aufgeworfen hat, stellenmüssen. Ich weiß nicht, ob in der Art, wie ich ebennicht ganz handzahm bin, ich in der Partei, für dieich heute tätig bin, wenn ich für die Vorgängerparteitätig gewesen wäre, wie schnell ich mit dem Dienstzu tun gehabt hätte, über den hier gerade geredetwird. Davon bin ich tief überzeugt. Deswegen sageich, es ist gut und richtig, über die zum Glück unter-gegangene DDR mit ihrem Staatssicherheitssystemimmer wieder zu reden und es nicht - Herr KollegeKuschel hat es ausdrücklich gesagt - mit einemSchlussstrich zu beenden, weil - und da bin ichbeim Kollegen Mohring - das MfS nicht Ausdruckeiner Rechtsstaatlichkeit war, sondern ganz im Ge-genteil. Es war eine Institution und eine institutio-

nelle Macht, die als Machtapparat Menschen zer-stört hat, nicht mehr und nicht weniger. Das kannman auch nicht schönreden und nicht verharmlo-sen.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Es war imAuftrag der SED.)

Ja, Entschuldigung, dass ich die Freunde von derBlockpartei daran erinnern darf, dass Ihr auch da-bei wart.

(Unruhe CDU, FDP)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Davon ha-ben Sie nun wirklich keine Ahnung.)

Also, Entschuldigung.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das ist derVersuch, dreist zu sein.)

Ach, Kollege Barth, Ihre Anpassungsfähigkeit habeich seit Jahren genießen dürfen und die Form, heu-te sich hier hinzustellen und Frau Rothe-Beinlichanzugreifen, das ist nur peinlich. Das ist nur unan-genehm.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Aber darf ich auf den eigentlichen Kern zurückkom-men.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Sie sindpeinlich.)

Ja, ich bin peinlich. Ja. Weil Sie das Instrument be-nutzen instrumentell. Wenn ich irgendein Argumentnoch hätte finden müssen, dass diese Art der Fest-stellung der Parlamentsunwürdigkeit eigentlich einInstrument ist, um gegen eine politische Partei vor-zugehen, dann haben Sie heute hier Ihren Beitragdazu geleistet.

(Beifall DIE LINKE)

Das finde ich, ist eigentlich das, was mich traurigmacht.

(Unruhe FDP)

Ich bin sehr nah bei Kollegen Mohring in der Frageder regelmäßigen Überprüfung, hätten wir darüberzu reden gehabt und das Gesetz dahin gehend ge-ändert, Kollege Höhn, dann hätten Sie unsere Zu-stimmung gefunden. Das Gesetz ist nicht in der2. Legislatur nach der Klage von Kollegin AlmuthBeck geändert worden. Nein, es ist nicht geändertworden. In der 3. Legislatur ist ein Sternchen, eineFußnote, ins Gesetz gemacht worden, dass dieAberkennung des Mandats verfassungswidrig sei,und dieses Gesetz ist wieder in Kraft gesetzt wor-den mit der Fußnote. Sie haben das Gesetz nichtgeändert, sie haben das Gesetz erst in der 4. Le-gislatur - und, Kollege Höhn, Sie haben dabei mit-

8298 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Höhn)

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gemacht - geändert, als der Fall der Kollegin Leu-kefeld vor dem Verfassungsgericht ausgeurteiltwurde, dass die Zusammenarbeit, die wissentlicheZusammenarbeit mit K1, nicht durch das Gesetzgedeckt ist. Da haben Sie das Gesetz geändert undhaben „K1“ reingeschrieben. Und jetzt kommt derPunkt, warum ich hier vorgegangen bin: Es sindbeide Kollegen in der Prüfung gewesen. Und jetztkommt der Fall, Frau Präsidentin, bei dem ich fürmich gestehen muss, ich müsste jetzt darüber re-den, was in dem Gremium behandelt wurde. Dasunterliegt aber der Geheimhaltung. Aber ich sollStellung nehmen für meine Fraktion, mich schüt-zend vor meine Fraktion stellen und kann nicht dar-auf hinweisen, dass die Ankündigung, dass wirnicht mehr weiter mitarbeiten, Frau Kollegin Leuke-feld umfasste, Kollegen Kuschel umfasste und alleMitglieder meiner Fraktion, und zwar mit der folgen-den Erklärung: Wir haben ausdrücklich erklärt, dasswir die beiden Kollegen bitten, alles dem Gremiumvorzutragen, was das Gremium zu wünschen vor-trägt, und sich die beiden auch dem Gremium stel-len. Das haben sie getan und alle Fragen, die vor-getragen worden sind, sind bearbeitet worden. Alsoder Eindruck ist falsch, dass wir uns aus Bequem-lichkeitsgründen zurückgezogen hätten. Richtig ist,dass wir gesagt haben, alle Fragen, die auf denTisch kommen, müssen bearbeitet werden, weil esnicht darum geht, irgendetwas zu beschönigen odergar einen Schlussstrich zu ziehen. Als es keine Fra-gen mehr gab, sondern die Wertungen begannen,sind wir komplett aus dem Gremium ausgestiegen,weil wir gesagt haben, die Schlussfolgerungen undWertungen aus den Feststellungen - die Feststel-lungen hat Frau Präsidentin völlig korrekt vorgetra-gen und da beißt die Maus keinen Faden ab. DieFeststellungen, da hatte ich einen Antrag im Gremi-um gestellt - und jetzt muss ich wieder gegen dieGeheimhaltungspflicht verstoßen, die Verantwor-tung muss ich dann auf mich nehmen, vielleicht binich dann auch parlamentsunwürdig -, ich habe amAnfang den Antrag gestellt, dass die Beauftragte fürdie Stasi-Unterlagen dem Gremium ein Dokumentvorlegt, ob zwischen der 4. Legislatur und der 5.Legislatur für beide Fälle neue Erkenntnisse vorlie-gen. Es ist eine ausführliche Stellungnahme erfolgt,dass nicht eine einzige neue Erkenntnis vorliegt. Dahaben wir gesagt und das habe ich für meine Frak-tion erklärt, dass darüber die Wähler zu entschei-den hatten. Also die Frage der Beurteilung, die Fra-ge der Regelüberprüfung waren wir bereit auch inder 4. Legislatur gesetzlich mitzutragen. Ich findees falsch, was Brandenburg dort angerichtet hat.Ich persönlich finde es falsch. Hätte es dort eineRegelüberprüfung gegeben, hätte manches vonden Diskussionen, die da sehr quälend im Momentstattfinden, nicht stattgefunden. Deswegen habenwir uns auch an diesem Teil nicht verweigert. Wirhaben auch gegen das Gesetz in der 4. Legislaturnicht geklagt. Wir haben kein Rechtsmittel einge-

legt. Wir haben festgestellt, das Gesetz gilt, wir ha-ben uns dem Gesetz unterworfen. Und die beidenKollegen - erstaunlich, erstaunlich -, die schon inder 4. Legislatur durch das Verfahren gelaufensind, sind auch in der 5. Legislatur wieder im selbenVerfahren gelandet. Dazwischen gibt es nur einenentscheidenden Unterschied, dass der Wähler dasWort hatte. Und da, Kollege Mohring, stelle ichmich schützend vor meine Partei, vor meine Frak-tion. Wir haben einen Parteitag gehabt, der war öf-fentlich, den Aufstellungs- und Nominierungspartei-tag. Auf diesem Parteitag musste jeder, der aufge-stellt wird, zu seiner politischen Biographie öffent-lich Stellung nehmen. Das heißt, auch die KolleginLeukefeld und der Kollege Kuschel oder jeder an-dere mussten deutlich machen, ob sie in das Sys-tem involviert waren oder nicht und wie sie invol-viert waren. Die Akten von Frau Kollegin Leukefeldund die Akten von Herrn Kollegen Kuschel liegenseit den 90er-Jahren öffentlich vor. Kollegin Leuke-feld hat dafür von Frau Neubert sogar eine Strafan-zeige bekommen, dass sie ihre Akte öffentlich ge-macht hat, weil sie sich dem Dialog der Bürger inSuhl und der Region stellen wollte. Da habe ich ge-sagt, also geht es hier um Aufarbeitung oder gehtes hier um eine Waffe, die man instrumentell be-nutzt?

Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, für mich ist jeder, der auf der Liste der LINKENaufgestellt wurde, ein Demokrat, hat sich einer de-mokratischen Wahl gestellt und ist von den Wähle-rinnen und Wählern beauftragt, mit uns gemeinsamhier politisch mitzuwirken und deswegen ist auchFrank Kuschel für mich ein Demokrat und nicht einLippenbekenntnis. Es gibt so ein paar Details in derSache, deswegen habe ich gesagt, ich stelle michschützend vor die gesamte Fraktion und sage, esgeht nicht, dass man die gleiche Nichtbearbeitungbei Frau Kollegin Leukefeld hier überhaupt nichtthematisiert, aber beim Kollegen Kuschel als straf-verschärfend hier sogar noch vorträgt. Nein, es wareine gemeinsame Entscheidung, weil wir an dieserStelle gesagt haben, die Würdigkeit oder Unwürdig-keit, in einem Parlament tätig zu sein, hat nur einEinziger zu entscheiden - das ist der Souverän, dasist das Volk. Deswegen Aufarbeitung, Überprüfung,Kontrolle - ja, die Entscheidung und Schlussfolge-rung dadurch aber nicht einer Mehrheit des HohenHauses überlassen, weil das politisch instrumentellist. Das geht nicht. Das kann nicht funktionieren.Wir haben es gerade erlebt, dass wir nicht mehrüber Frank Kuschel reden, sondern jetzt reden wirüber Astrid Rothe-Beinlich. Das hat aber bitte mitdem Überprüfungsverfahren gar nichts zu tun undwenn wir über eine gesetzliche Veränderung redenwollen, wäre es mir lieber gewesen, Kollegin Rothe-Beinlich, Sie hätten das beantragt und nicht diesenTeil hier diskutiert über das Gesetz und die Sys-tematik des Gesetzes. Das hat dann mit der Per-son, um die es geht, und ich finde, das darf ein Par-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8299

(Abg. Ramelow)

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lament auch nicht machen, und zwar in guten undin schlechten Zeiten darf man so nicht umgehenund sagen, wir reden jetzt einmal über andere Din-ge. Deswegen, meine sehr verehrten Damen undHerren, glaube ich, wäre es gut, wenn wir denPunkt jetzt stehen lassen. Sie haben sich mehrheit-lich so entschieden, wie Sie sich entschieden ha-ben. Wir halten das für falsch.

(Zwischenruf Abg. Hitzing, FDP: Deshalbwollten wir keine Aussprache.)

Wir haben für uns klare Verhältnisse vor den Wäh-lern geschaffen. Wir haben deutlich gemacht, wel-che Akten vorliegen und da will ich das Beispiel malsagen, der Kollege Kuschel hat für mich interessan-terweise in dem Anhörungsverfahren darauf hinge-wiesen, den Decknamen „Fritz Kaiser“, von demimmer hier so häufig die Rede ist, dass er damitzum Beispiel die Entlassungsurkunden der Bürger,die aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassenworden sind, unterzeichnet hat. Also klar dokumen-tiert. Es wäre mir lieb gewesen, wenn das auch malEingang in das Prüfungsverfahren genommen hät-te, dass es eben nicht Kennzeichen einer IM-Unter-schrift ist, sondern einer amtlichen dienstlichen Tä-tigkeit.

Eine zweite Geschichte: Hier wird festgestellt, erhabe berichtet über Dinge aus dem Bürgermeister-amt.

(Zwischenrufe aus der CDU- und SPD-Frak-tion)

Das kann ich Ihnen sagen, dass die Dokumenteeben in Salzgitter nicht erfasst werden unter demNamen des Bürgermeisters aus Ilmenau, sonderndes Menschennamens Fritz Kaiser - amtliche Doku-mente. Es hätte einfach geprüft werden müssen, obdieser Vortrag so stimmt oder ob er nicht so stimmt.Man kann ja nicht nur so tun, als spielt das gar kei-ne Rolle, weil, man ist sich ja einig, dass manschon verurteilt hat.

Und eine zweite Feststellung will ich schon ma-chen. Sie stellen fest, mehrheitlich, von der Präsi-dentin vorgetragen,

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Das machtes doch nicht besser.)

Es geht doch gar nicht um besser, Herr Kollege.Sie waren doch mit im Gremium. Es geht um dieFrage, ob man wenigstens prüft, was der Delin-quent als entlastendes Argument vorträgt, und die-ser Teil ist im Bericht überhaupt nicht drin, also dieFrage des Namens und was mit dem Namen ge-schehen ist und welche Dokumente ausgefertigtworden sind. Ein Punkt.

Und ein zweiter Punkt.

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Das war fürmich keine Entlastung.)

Ja, das glaube ich Ihnen ja. Deswegen sage ich ja,ich nehme zur Kenntnis, was Sie politisch mehrheit-lich entschieden haben. Das ist eine politische Ent-scheidung, eine politisch moralische Entscheidung,

(Unruhe CDU, SPD, FDP)

aber eben keine, die sich an der Person und an denTatbeständen orientiert. Sie glauben den Stasi-Ak-ten mehr als demjenigen, der sich dazu stellt undsagt, ich bin bereit, darüber zu reden. Das nehmeich zur Kenntnis. Ob das was mit Aufarbeitung zutun hat, da habe ich meine ...

(Unruhe CDU, SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Legendenbil-dung.)

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Es war ohneAussprache vereinbart.)

Ja, Legendenbildung - sehen Sie, jetzt kommen wirzu dem Problem. Der Delinquent äußert sich in ei-nem geheimen Gremium, aber ich darf dazu nichtStellung nehmen, weil ich zur Geheimhaltung ver-pflichtet bin. Das ist absurd. Dann thematisieren Siedie „Akte Kuschel“ hier komplett, dann kann derKollege Kuschel auch selber dazu Stellung neh-men.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Dashat er doch gemacht.)

Sie übertragen es aber gesetzlich einem Gremiumund wenn man dann auf Widersprüche hinweist,dann sagen Sie „Legendenbildung“. Aus der Mitteder CDU kam vorhin der Zuruf „Lippenbekenntnis“.Das ist doch absurd, Sie wollen doch gar nicht überVergangenheit reden. Sie wollen doch nur Steine ineine Richtung werfen, damit die Schuldfrage geklärtist.

(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das isteine Unterstellung.)

Das hilft nur überhaupt nicht, um dankbar zu sein,dass der Spuk mit der Staatssicherheit vorbei ist.Und da bin ich bei Herrn Mohring: Ganz klar, ich binfroh, dass ich heute hier reden kann. Ich bin froh,dass wir uns auseinandersetzen können, aber ichdenke, wir werden es auch aushalten müssen, dassman 22 Jahre danach nicht die Dinge instrumentellbenutzt.

Eine letzte Bemerkung: Frau Präsidentin, Sie ha-ben in Ihrem Bericht darauf hingewiesen bzw. dasGremium hat das so festgestellt, dass der Abgeord-nete Kuschel über Dinge in seinem Bürgermeister-amt berichtet hätte, und dann erwähnen Sie, dassdas nach Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und desDatenschutzes als erschwerend gewertet wird. Mei-ne sehr verehrten Damen und Herren, Sie könnennicht rückwirkend den Datenschutz und die Rechts-staatlichkeit, auf die wir heute stolz sind, für einSystem anwenden, bei dem wir gemeinsam froh

8300 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Ramelow)

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sind, dass es untergegangen ist. Ich finde, so gehtes nicht. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Präsidentin Diezel:

Herr Abgeordneter Ramelow, Frau AbgeordneteMarx wollte Ihnen eine Frage stellen.

(Zuruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Nein.)

Nein. Ich sehe die Wortmeldung des AbgeordnetenGentzel.

Abgeordneter Gentzel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, ich glaube, die Entscheidung damals im Äl-testenrat, keine Aussprache zu führen, war vongroßer Weisheit geprägt.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Mehr will ich dazu nicht sagen.

Das Zweite, was ich eingangs sagen will, ist, ichwürde den Begriff „Delinquenten“ nie gebrauchenund ich lehne diesen Begriff eindeutig ab. Wir ha-ben uns in dieser Kommission unterhalten über denAbgeordneten Kuschel und die Abgeordnete Leu-kefeld und nicht über Delinquenten. Ich weiß nicht,ob Sie das nicht nachvollziehen können, Herr Ra-melow, oder nicht wollen, das ist nicht angenehm.Das Urteil, das Sie eben gefällt haben, wird mir undmeinen Kollegen in dieser Gruppe nicht gerecht.

(Beifall CDU, SPD)

Wir haben erstens, nicht wie Herr Kuschel gesagthat, formal entschieden, sondern das war auch eineemotionale Entscheidung und es hat emotionaleDiskussionen dort gegeben. Zweitens, es war allesandere als eine politische Entscheidung, die wirdort getroffen haben.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Das dokumentiert sich daran, dass zum Beispiel dieVertreter meiner Fraktion eben nicht einheitlich ab-gestimmt haben. Wir haben zu bestimmten Fragenunterschiedliche Auffassungen gehabt und wir ha-ben die gegenseitig respektiert. Ich will eindeutigsagen, es gab auch diese unterschiedlichen Ab-stimmungen zu diesen Fällen in dieser Gruppe undich habe hohen Respekt vor der Entscheidung der-jenigen, die sich in dem einen oder anderen Fallanders entschieden haben als ich. Dieses in der Artund Weise so zu beschreiben, wie Sie das ebengetan haben, ist für mich persönlich eine Unver-schämtheit.

(Beifall CDU, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich findees richtig, wie Herr Barth diese Verfahren formuliert

hat. Es ist eine Pflicht, die wir zu erfüllen haben andieser Stelle. Dieser Pflicht haben wir uns zu stellenund diese Pflicht ist eben nicht nur angenehm. Esmacht keinen Spaß, diese Unterlagen zu lesen unddann für den einen oder anderen wahrscheinlicherst dann zu verstehen, was er dort eigentlich zutun hat. Das ist nicht einfach, aber es ist unserePflicht.

Ich will ausdrücklich auch etwas zu diesem Begriff„parlamentsunwürdig“ sagen. Heute würde ich dasanders formulieren, aber dieses Gesetz ist in einerganz anderen Zeit entstanden. Wer sich nicht zu-rückversetzen kann in diese Zeit, kann diesen Be-griff nicht verstehen. Dieser Begriff steht für michfür den Druck, den dieses Parlament aushaltenmusste, zwischen den noch frischen Forderungen,ich will das mal so nennen, von der Straße, diesegingen damals bis dahin „Stasi in den Steinbruch“und dem Bemühen dieses Parlaments, eine andereArt und Weise der Aufarbeitung zu finden.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Istdas denn noch zeitgemäß?)

Wir haben da auch geirrt in diesem Parlament, dasist doch auch verfassungsrechtlich klargestellt, inder Art und Weise, wie wir das wollten. Aber ich bindagegen, diesen Begriff zu bereinigen, weil er einStück für die Irrungen und die Wirrungen, aberauch für den Willen dieses Parlaments steht. Ichglaube, gerade bei so einer Thematik kann mansich nicht 15 Jahre später in einem weichen Büro,umgeben von Verfassungsjuristen, allein über die-sen Begriff unterhalten. Dieser Begriff ist für michmittlerweile ein historischer Begriff mit all seinen Ir-rungen und Wirrungen, die darin stehen. Ich glau-be, es steht dem Parlament gut, bei alldem, wasSie auch richtig gesagt haben über diesen Begriff,zu diesem Begriff „parlamentsunwürdig“ zu stehen,weil er für dieses Parlament mit seinem Willensteht, aufzuarbeiten, worüber wir lange diskutierenkönnen, was man überhaupt nicht aufarbeitenkann. Danke schön.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Präsidentin Diezel:

Ich sehe den Abgeordneten Fiedler. Bitte, Herr Ab-geordneter Fiedler.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, ich teile die Einschätzung, man hätte dasGanze ohne Aussprache machen sollen. Aber nunhat es sich so entwickelt, wie es sich entwickelt hat.Ich stimme ausdrücklich meinen Vorrednern, Frak-tionsvorsitzenden der FDP, CDU und SPD zu.Nicht, weil man unbedingt noch etwas beifügenmuss, bin ich hier vorgegangen, sondern ich möch-te noch mal darauf verweisen, ich war Mitglied der

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8301

(Abg. Ramelow)

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ersten frei gewählten Volkskammer. Wir haben da-mals - das Wichtigste, was wir beschlossen haben,war aus meiner Sicht die deutsche Einheit. KollegeRamelow, da haben Sie recht, sonst könnten Sieheute hier nicht sitzen und manch anderer auch.

Nummer zwei: Ich glaube, aus heutiger Sicht habenwir einen großen Fehler gemacht, dass wir damals,wie nach 1945 die NSDAP verboten wurde, manhätte auch die damalige Partei verbieten müssen.Dies haben wir nicht gemacht, weil uns sehr viele,insbesondere West-Juristen aus hohen Stellungenabgeraten haben. Wir haben das nicht gemacht.Wir haben uns dann mehr oder weniger kapriziertauf das Ausführungsorgan Stasi und alles, was da-mit im Zusammenhang steht. Aus heutiger Sicht,aus meiner Sicht, ein Fehler. Aber man kann dieGeschichte nicht zurückdrehen.

Dann sind wir in das Grundgesetz, ich jedenfallsund die damals, die ich mit vertreten habe, mitgroßer innerer Bewegtheit und mit großer Begeiste-rung der Bundesrepublik beigetreten. Ich denke,das war für uns ein wichtiger Grund, um überhauptdie Demokratie leben zu können. Ich bin dann auchin den Landtag gewählt worden. Ich musste erken-nen, wie sich eben doch viele Dinge nicht so erfüllthaben, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir ha-ben Kolleginnen und Kollegen erlebt, die sich trotz-dem haben aufstellen lassen, obwohl sie für dieStasi gearbeitet haben. Wir haben eben damals dieInstrumentarien gesehen, wie sie heute hier ge-schildert wurden, um dem entgegenzuwirken, umeinem Gesetzgebungsorgan mitzugeben, dass wiruns nicht wünschen, dass solche Leute mitmachen,die gespitzelt haben, wo wir nicht wissen, wie siedamit Familien, wie sie damit Menschen geschadethaben. Wir wissen es nicht.

Ich will nur einfügen in dem Punkt, damit ich esnicht vergesse, ich habe hohen Respekt, Herr Ku-schel. Ich musste wegen eines anderen Grundeshier vortreten vor vielen, vielen Jahren. Ich weiß,wie das ist. Es fällt einem nicht leicht, wenn man daetwas sagen muss. Davor habe ich Respekt. Daswill ich ausdrücklich sagen. Aber man kann es sichnicht so leicht machen, dass man das Ganze jetztnur in die Richtung lenkt, hier wird eine Partei be-kämpft. Also diese politische Auseinandersetzungfindet woanders statt. Kollege Ramelow und FrauRothe-Beinlich, ich habe damals schon in derVolkskammer und vorher am runden Tisch undnoch vorher, bevor es den gab, habe ich mich mitdafür eingesetzt, dass Kontrolle und Auflösung desMfS weit vorangetrieben wurden. Damals waren siealle noch bewaffnet und alle standen noch Gewehrbei Fuß, wo wir jedenfalls in dem kleinen Stück-chen, was ich vor der Volkskammer mit beackerndurfte, wie wir da vorgegangen sind. Ich will damitnicht sagen, wer war der Bessere und wer war derSchlechtere, ich will nur sagen, auch ich war seit1985 Mitglied der - aus Ihrer Sicht - Blockpartei -

aus meiner Sicht - CDU und es war immer nochauch nach der Verfassung der DDR die SED dieFührungspartei und niemand anderes. Ich will dasaber jetzt nicht zum Thema machen.

Was mich umtreibt: Ich habe in der damaligenVolkskammer, auch da gab es eine große Ausein-andersetzung, es wurde damals heiß diskutiert, wiegehen wir mit Stasi um. Es hat sich damals dieExekutive heftig dagegen gesperrt, dass man eineAufklärung dort vorantreiben konnte. Ich will dasjetzt nicht bis ins Einzelne auseinandernehmen,aber der damalige Innenminister Diestel war dortein großer Bremsklotz in der ganzen Geschichte.Da ich damals in dieser Kommission war, ist es unsdamals gelungen, dass wir über Grenzen hinwegder Volkskammer - das gab es auch viele Jahrehier noch, manchmal gibt es das heute noch - einenBeschluss in der Volkskammer gefasst haben, dasswir diese Aufklärung selber in die Hand nehmen.Wir haben das einfach selber in die Hand genom-men. Und um eine gewisse Legitimation zu haben,hatten wir ein Schreiben, den Beschluss der Volks-kammer, und ein Schreiben damals des Vizepräsi-denten, der hat es unterschrieben, dass wir legiti-miert waren, nach außen zu gehen, die sogenann-ten OibEs, Offiziere im besonderen Einsatz, undandere Dinge zu prüfen, um die Leute aus ihren öf-fentlichen Funktionen zu entfernen; nichts anderesstand dahinter.

Wir hätten eigentlich erwartet, dass sie so viel An-stand haben und das selber machen. Nein, wirmussten so vorgehen. Da die Zeit der Volkskam-mer sehr kurz war, sind wir dort nur stückhaft vor-angekommen. Aber eins kann ich Ihnen sagen, da-mals hatte ich auch Mitarbeiter, wir konnten das janicht alles alleine machen, wir haben teilweise vonfrüh um 8.00 Uhr bis in die Nacht um 2.00 Uhr ge-sessen in der Volkskammer. Ich hatte hier in Erfurtden Mitarbeiter Pfarrer Ebert, er ist leider schonverstorben, ein hoch anständiger Mensch, der sichsehr dort mit eingebracht hat und hier mitgewirkthat. Wir hatten auch Mitarbeiter, die bunt schillerndwaren - Matthias Büchner, auch der hat damals mit-gewirkt. Wir hatten auch Mitarbeiter damals - also,ich will jetzt mal sagen, es reicht jetzt, diese zweiMitarbeiter zu benennen. Wir haben aber eins ge-macht, wir haben Gespräche geführt mit den Be-troffenen, die saßen in unterschiedlichen Funktio-nen. Der eine war LKA-Chef, der Nächste war das,also damals hieß das anders, VPKA und alles, wodie überall eingebracht wurden. Sie wurden einge-bracht, sie wurden ja extra hingeschickt, um dasSystem doppelt zu kontrollieren. Das sollten wir allenicht vergessen; es war ein Spitzelsystem, wassystematisch aufgebaut wurde. Systematisch wur-den selbst die eigenen doppelt bespitzelt, selbst dieIMs wurden noch einmal doppelt kontrolliert usw.usf. Aber was mich am meisten umgetrieben hat,und da bin ich in voller Übereinstimmung mit dem

8302 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Fiedler)

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heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Ichhabe damals mit ihm, ich habe ihn erlebt, wir habensehr eng in der Volkskammer zusammengearbeitet.Wenn es nicht mehr weiterging, haben wir uns ver-bündet oder er kam zu mir und wir haben dann indie Richtung der Exekutive gewirkt. Deswegen binich heute noch einmal hier vorgegangen, weil ichJoachim Gauck damals geschätzt habe und heutenoch mehr schätze. Aber das, Frau Kollegin Rothe-Beinlich, ich hoffe, dass es nicht Ihre gesamte Frak-tion ist, die das vertritt, was Sie heute hier vorgetra-gen haben.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Doch, das ist aber so.)

Ja, wenn es Ihre ganze Fraktion ist, betrübt es michumso mehr, wenn das so sein sollte, denn ich glau-be, Joachim Gauck lebt es uns vor und hat es unsdamals vorgelebt, wie man mit solchen Dingen um-gehen sollte. Sie sollten sich vielleicht wieder ein-mal daran erinnern und Sie sollten nicht vergessen,Sie haben in Ihrem Namen auch das BÜNDNIS 90immer noch drin.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Und das heißt, die Zeitenvon Alleinvertretungsansprüchen sind auchvorbei.)

Wie lange Sie das noch beibehalten wollen, ist IhrProblem. Nach der heutigen Rede kann ich nur sa-gen, es kommen mir große Zweifel.

Meine Damen und Herren, ich bin deswegen hiervorgegangen, weil ich seit weit über 20 Jahren inder ersten frei gewählten Volkskammer mich denDingen stellen musste. Ich kann Ihnen sagen, ichwar einer der wenigen zwei handvoll von Leuten,die damals die Akten lesen mussten, konnten, durf-ten. Ich kann Ihnen sagen, was dort alles rausge-kommen ist, was da drinstand. Es schaudert michnoch heute, wie viel Menschen zu Tode gekommensind, wie viel in Psychiatrien verbracht wurden undwie hier mit den Menschen umgegangen wurde.Das ist und bleibt unwürdig. Das sollten wir auch inZukunft bedenken.

(Beifall CDU, SPD; Abg. Rothe-Beinlich,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsidentin Diezel:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Fiedler. Ich sehekeine weiteren Wortmeldungen. Dann schließe ichdiesen Tagesordnungspunkt 24.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 14

Politische Bildungsarbeit anThüringer Schulen konsequentam Beutelsbacher Konsensausrichten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4357 -dazu: Alternativantrag der Frak-

tion DIE LINKE- Drucksache 5/4401 -

Wünscht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENdie Begründung? Nein. Wünscht die Fraktion DIELINKE die Begründung? Auch nicht. Die Landesre-gierung hat den Sofortbericht angekündigt. Ich bitteHerrn Minister Matschie zum Sofortbericht.

Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaftund Kultur:

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen,das ist jetzt gar nicht so einfach nach der dochauch sehr emotionalen Debatte wieder in die nor-male Antragsdebatte hier einzusteigen. Aber viel-leicht hat die Diskussion um den Bildungs- und Er-ziehungsauftrag von Schulen schon auch etwas mitunserer Auseinandersetzung zu tun, die wir ebenhier geführt haben. Basis für den Bildungs- und Er-ziehungsauftrag der Schulen in Thüringen ist ganzklar das Grundgesetz und die Verfassung des Frei-staats. Dazu gehört die Befähigung zur gesell-schaftlichen Mitverantwortung und zur demokrati-schen Mitgestaltung. Das Fach Sozialkunde leistetdabei einen entscheidenden Beitrag.

(Beifall Abg. Barth, FDP)

Zur Didaktik des Faches gehören Schüler- und Pro-blemorientierung, exemplarisches Lernen, Aktuali-tät, Handlungs- und Wissenschaftsorientierung undauch Kontroversität - eines der drei Grundprinzipi-en, die im Beutelsbacher Konsens festgehaltenworden sind. Die wichtigsten Ziele des Sozialkun-deunterrichts in den Thüringer Regelschulen undGymnasien sind die Fähigkeit zum selbstständigenund gut begründeten politischen Urteil, Sensibilitätfür die Schlüsselprobleme unserer Gegenwart undZukunft und selbstständiges Arbeiten und erste Ein-blicke in wissenschaftliche Arbeitsweisen. Die in-haltlichen Lehrplanvorgaben dazu sind verbindlich.Die Umsetzung durch Schulen und Fachlehrer er-folgt eigenverantwortlich. Deshalb sind aus meinerSicht weitere Handlungskriterien nicht erforderlich.Der neue Lehrplan für das Fach Sozialkunde abdem kommenden Schuljahr bezieht sich dann so-gar direkt auf den Beutelsbacher Konsens. So weitdie schulfachliche Antwort.

Zur Bewertung Ihres Antrags gehört aber auch einBlick auf das Schulrecht. Wer entscheidet, ob Aus-stellungen und Veranstaltungen in Schulen stattfin-den dürfen? Das ist im Schulgesetz klar geregelt.

1. Der Schulleiter genehmigt, ob Veranstaltungenvon schulfremden Personen, also Vorträge undBildvorführungen, stattfinden dürfen.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8303

(Abg. Fiedler)

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2. Die Schulkonferenz entscheidet, welche Zusam-menarbeit mit außerschulischen Einrichtungen undInstitutionen stattfindet.

Das heißt, die Schule selbst entscheidet und ver-antwortet, ob und wie sie Angebote von außer-schulischen Partnern annimmt oder nicht. Das istauch richtig so.

(Beifall CDU, FDP)

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Das bleibtauch so.)

Dieses Recht gilt selbstverständlich auch für dasEvangelische Ratsgymnasium Erfurt.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dieBerichterstattung über die Eröffnung der Ausstel-lung im Ratsgymnasium hat eines gezeigt, nämlichdass Sozialkundeunterricht an den ThüringerSchulen funktioniert. Diese Ausstellung diente derpolitischen Meinungsbildung und das kam auch inder kontroversen Diskussion zwischen Schülerin-nen und Schülern und dem Innenminister zum Aus-druck.

Ich will an dieser Stelle auch noch mal ganz klar sa-gen, Demokratie lebt von unterschiedlichen Haltun-gen und Positionen. Demokratie hält es aus, solcheKonflikte auszutragen. Die Reaktion der Schülerin-nen und Schüler und der Gäste des Gymnasiumshat doch nur eines gezeigt, dass diese demokrati-sche Kultur intakt ist. Dass diese öffentliche Ausein-andersetzung stattfindet mit unterschiedlichen Posi-tionen und dass man dort auch miteinander disku-tiert.

(Beifall CDU)

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, dieForderung nach einem verbindlichen Kriterienkata-log für Angebote der Öffentlichkeitsarbeit, wie sieim Antrag gestellt worden ist, verwundert mich des-halb etwas. Meinen Sie wirklich im Ernst, dass dieSchulleitungen oder Pädagoginnen und Pädagogenim Jahr 23 nach dem Mauerfall tatsächlich, ich zitie-re mal aus dem Antrag, „klare Handlungsorientie-rungen“ für ihre Arbeit benötigen?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Offenbarglauben die das.)

Reichen die gesetzlichen Grundlagen, reicht dasfachliche Können, reichen die beruflichen Erfahrun-gen nicht aus? Sind solche Kriterien von oben nichtdas Gegenteil von eigenverantwortlicher Schule, fürdie wir doch streiten und die wir alle gemeinsamwollen?

(Beifall SPD, FDP)

Muss man nicht vielmehr davon ausgehen, dassdie anerkannten Leitlinien des Beutelsbacher Kon-sens längst zum Alltagsgeschäft der Schulen gehö-ren. Dieser Konsens ist Mitte der 70er-Jahre formu-

liert worden. Der wird übrigens auch heute wiederin einigen Punkten kritisch diskutiert. Die Schüler-orientierung, die im Beutelsbacher Konsens ange-legt worden war, zielte darauf ab, dass der Einzelnelernt, seine eigenen Interessen in der Gesellschaftdurchzusetzen. Das wird heute z.B. auch wiederkritischer reflektiert, indem man sagt,

(Beifall SPD)

es geht eben nicht nur darum, die Eigeninteressendurchzusetzen, sondern gesellschaftliche Gesamt-interessen im Blick zu haben bei dem Kampf auchum die eigenen Interessen. Das heißt, auch derBeutelsbacher Konsens entwickelt sich in der De-batte weiter und unsere Pädagogen nehmen andieser Auseinandersetzung auch teil. Ich glaube,dass die Grundlagen, die wir dafür rechtlich gelegthaben, in der fachlichen Befähigung von Lehrerin-nen und Lehrern ausreichen und sich hier nicht einMinisterium von oben einmischen muss.

Es ist sinnvoll und auch in der Praxis weit verbrei-tet, dass die Schulen Angebote externer Bildungs-träger und öffentlicher Einrichtungen wahrnehmen.§ 56 des Schulgesetzes gibt dafür einen Rahmenvor. Das gilt auch für den Alternativantrag der Frak-tion DIE LINKE, mit dem die Landesregierung auf-gefordert wird, Öffentlichkeitsarbeit von Verfas-sungsschutz und Bundeswehr an ThüringerSchulen nicht mehr zuzulassen. Ich sage ganz klarund deutlich: Das lehne ich ab.

(Beifall FDP)

Denn das Schulgesetz legt ebenfalls fest, dass derSchulleiter über Informationsbesuche nicht zurSchule gehörender Personen im Unterricht ent-scheidet und nicht das Ministerium. Verfassungs-schutz und Bundeswehr stehen auf dem Boden un-serer demokratischen Grundordnung und sie habenauch einen Informationsauftrag.

(Beifall CDU)

Auch wenn wir heute kritisch über den Verfas-sungsschutz in Thüringen diskutieren, ist es immernoch so, dass dieser Verfassungsschutz auf demBoden der Grundordnung steht, dass er einen Infor-mationsauftrag hat, und wenn Schulen und Lehrerder Meinung sind, wir wollen uns Vertreter diesesVerfassungsschutzes in die Schule holen und wol-len uns mit ihnen auseinandersetzen, dann habensie ganz ausdrücklich dazu das Recht. Ich werdeden Schulen in dieses Recht als Minister nicht hin-einreden.

(Beifall FDP)

Indoktrination von oben nach unten, das findet heu-te in den Klassenzimmern nicht mehr statt. Das ge-hörte sicher zur Schule in der DDR. Heute gehörenkritisches Nachfragen, Widerspruch und Meinungs-vielfalt dagegen zum Schulalltag. Auch das - unddas muss man denjenigen sagen, die auch an un-

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(Minister Matschie)

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seren Schulen auftreten, die eingeladen sind -, werhier auftritt, der muss sich auch offene Auseinan-dersetzung und Kritik gefallen lassen. Der musssich auch gefallen lassen, dass Schülerinnen undSchüler nicht alles unkommentiert hinnehmen oderüber sich ergehen lassen, sondern dass sie sichdamit kritisch auseinandersetzen. Deshalb will ichnoch einmal deutlich machen, hier liegt die Verant-wortung bei den Schulen. Sie haben einen klarenrechtlichen Rahmen und mehr bedarf es nicht.

Zum Schluss noch zur Beantwortung der erstenFrage im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN. Nach Angaben des Thüringer Innenmi-nisteriums hat das Thüringer Landesamt für Verfas-sungsschutz im Zeitraum von Januar 2011 bis En-de April 2012 28 Vorträge gehalten an Regel-schulen, Gymnasien und Berufsbildenden Schulen.Thema war dabei überwiegend der Rechtsextremis-mus. Organisation und Durchführung lagen bei derjeweils einladenden Schule. Das Bundesamt fürVerfassungsschutz präsentierte vom 8. bis 18. No-vember 2011 eine Ausstellung gegen Extremismusin Deutschland in der Erfurter Walter-Gropius-Be-rufsschule.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, las-sen Sie mich zum Schluss noch einmal zusammen-fassend sagen, die schulfachlichen Grundlagensind gelegt, der Sozialkundeunterricht funktioniert,das Schulrecht ist klar. Wer was wie entscheidet, istgeregelt, nicht alles muss vom Ministerium geregeltwerden. Zur Demokratie gehört auch das Vertrauenin unsere Institutionen und dazu zähle ich aus-drücklich unsere Schulen. Herzlichen Dank für IhreAufmerksamkeit.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Präsidentin Diezel:

Vielen Dank, Herr Minister. Ich nehme an, die Aus-sprache zum Sofortbericht wird gewünscht. Von al-len Fraktionen? Ja, von allen Fraktionen. Dann er-öffne ich die Aussprache zum Sofortbericht und alsErster hat sich Abgeordneter Emde von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Emde, CDU:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,wir haben zwei Anträge vorliegen, einmal den An-trag von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund dazu dann einen Alternativantrag von der Frak-tion DIE LINKE.

Zu dem Antrag der LINKEN will ich ganz klar sa-gen, so etwas lehnen wir rundheraus ab,

(Beifall CDU, FDP)

denn das Landesamt für Verfassungsschutz wie dieBundeswehr sind Organe unserer Gesellschaft, dieauch demokratisch kontrolliert werden. Sie sind Be-

standteil dieser Gesellschaft und deswegen ist esabsolut zulässig und sogar wünschenswert, dasssie Öffentlichkeitsarbeit betreiben und dies auch anSchulen. Deswegen ist dieser Antrag rundweg ab-zulehnen.

Ich will mich mit dem Antrag der GRÜNEN ein we-nig auseinandersetzen, weil ich schon ein Problemdamit habe und nicht verstehe, wie Sie eigentlichSchule verstehen. Frau Rothe-Beinlich, in IhremAntrag lautet Punkt 1 der Forderungen, einen ver-bindlichen Kriterienkatalog zu entwickeln, der denSchulen dann Handlungsorientierungen bietet. Einverbindlicher Kriterienkatalog bietet nichts, derschreibt etwas vor und dagegen habe ich etwas,dass man den Schulen etwas vorschreibt in dieserHinsicht.

Ich bin da völlig einig mit der Einschätzung des Mi-nisters. Wir gehen hier ganz andere Wege. Wir wol-len eine eigenverantwortliche Schule. Wenn nichtdas, was gehört denn sonst zu einer eigenverant-wortlichen Schule, dass sie sich selbst diesen The-men stellt? Ich bin ganz klar der Auffassung, dassdie eigenverantwortliche Schule in Thüringen undunsere Lehrerinnen und Lehrer sehr wohl in der La-ge sind, sich mit den Regeln der politischen Bildungauseinanderzusetzen, diese Regeln auch einzuhal-ten und

(Beifall CDU, FDP)

entsprechend dieser Regeln politische Bildung zuvermitteln. Davon bin ich sehr fest überzeugt.

Auch in Punkt 2 fordern Sie, dass das Ministeriumnun wieder ganz gezielt Informationen und Veran-staltungen, Personen etc. anbietet. Wir leben in ei-ner Kommunikationsgesellschaft und natürlich kannman alle Informationen weitergeben, aber, ich den-ke, unsere Schulen und unsere Lehrerinnen undLehrer sind sehr wohl in der Lage, sich diese Infor-mationen selber zu beschaffen. Wir haben denSchulen auch im Rahmen des Fortbildungsbudgetsfinanzielle Möglichkeiten an die Hand gegeben, sol-che Dinge auszuschöpfen. Eigentlich hat dieseSchule, an der es die Proteste gab, genau diesauch getan. Insofern, denke ich, ist hier auch allesim Lot und es gibt keinen Grund für weitere Inter-ventionen oder Vorschriften oder wie auch immer.

Der Punkt 3 in Ihrem Forderungskatalog geht fürmeine Begriffe völlig am Ziel vorbei, denn wenn Siejetzt auch noch eine Gesetzesänderung fordern, diedann sagt, wir müssen erst mal die Schulkonferenzfragen, ob denn der Verfassungsschutz oder dieBundeswehr eine Veranstaltung, eine Ausstellung,was auch immer, in einer Schule abhalten darf,dann geht das für meine Begriffe völlig am Ziel vor-bei. Wir brauchen hier in keinster Weise eine Ge-setzesänderung.

Der Anlass, der zu diesem Plenarantrag geführthat, ist für mich eher ein erfreulicher Anlass, denn

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(Minister Matschie)

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man hat sich auseinandergesetzt an einer Schule.Das ist Teil des Prozesses und ist positiv, aber daswar eine Schule. Und an wie viel Hunderten vonSchulen in Thüringen finden denn solche Veranstal-tungen mit dem Verfassungsschutz, mit der Bun-deswehr statt, und das mit großem Erfolg und mitsehr großem pädagogischen und inhaltlichen Ge-halt und Vorteil für Schülerinnen und Schüler für dieSchulen. Deswegen muss ich sagen, wenn einzel-ne Personen an einer Schule so einen Protest vor-tragen, das dann auch noch unterstützt wird vonFrau Renner, die ja dann zitiert wird in der Zeitungund das Thüringer Landesamt für Verfassungs-schutz bezeichnet als „Thüringer Spitzelbehörde“,dann kann ich sagen, auch das dient nur positiv da-zu, dass sich Schüler damit auseinandersetzen, wieauch politische Parteien sich mit diesen Institutio-nen auseinandersetzen. Ich teile nicht die Bewer-tung von Frau Renner, aber ich finde es gut, wennsich Schüler damit auseinandersetzen dürfen, da-mit sie genau erkennen, wie DIE LINKE zu solchenOrganen steht.

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE:Richtig, abschaffen.)

Sehen Sie, Sie können das ja ruhig laut sagen, dasist ja der Vorteil heutzutage. Aber das muss ebenauch allen bewusst sein. Ich finde es gut, wenn sichSchülerinnen und Schüler damit auseinanderset-zen, dass Sie den Verfassungsschutz abschaffenwollen, das wirft das richtige Licht auf Sie.

(Beifall CDU)

Es ist in Ordnung, wenn die Schüler das alles er-kennen und dann bewerten und dann bei der Wahr-nehmung ihrer demokratischen Rechte zu Ergeb-nissen kommen.

Alles in allem, ich halte es eigentlich nicht für not-wendig, dass wir uns mit diesem Antrag oder mitbeiden Anträgen im Bildungsausschuss befassen.Aber ich verweigere mich auch nicht einer solchenBefassung und habe vielleicht sogar ein wenig dieHoffnung, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Er-gebnis der Beratung dazu kommen, ihren Antragwieder zurückzuziehen. Vielen Dank.

Präsidentin Diezel:

Vielen Dank, Herr Emde. Als Nächster spricht Ab-geordneter Metz von der SPD.

Abgeordneter Metz, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, meine feste Überzeugung ist, Verfassungs-schutz ist aus seinem Kern heraus nicht in der La-ge, die tiefen Ursachen rechter Gewalt und rechterGesellschaft zu analysieren und darzustellen. Ervernachlässigt nämlich aus seiner Funktion herausdie FDGO zu schützen, Alltagsrassismen, rechte

Angstträume, Opfer physischer und psychischerGewalt sich mit diesen Themen auseinanderzuset-zen. Es ist nicht seine Aufgabe.

Verfassungsschutz ist in der Lage, Antifaläden undNaziläden vielleicht gleichzusetzen und genauso zuthematisieren, weil sie der Extremismus-Theorieanheimfallen, einer von einem kleinen Teil der Wis-senschaft anerkannten Theorie, aber es gibt ebenauch andere Theorien. Die Mechanismen rechterGewalt und rechter Hegemonie in der Gesellschaftsind dann auch, wenn man sich mit Kindern und Ju-gendlichen unterhält, eher Alltagserfahrung ebenvon diesen Kindern und Jugendlichen als die sys-tematischen Parteitage der NPD. Das heißt, dasUmfeld von Kindern und Jugendlichen ist das Ent-decken von rechter Gewalt und Rassismen im All-tag. Und so ist es vollkommen richtig, dass dieGRÜNEN im Kern diesen Punkt thematisieren undauch im Ausschuss beraten wollen. Ich bin, HerrEmde, dankbar, dass Sie sich dem auch an derStelle nicht verweigern. Ob die Mittel, die Sie anbie-ten wollen und die Sie aufzeigen, geeignet sind, be-zweifele ich allerdings noch, würde dies und Alter-nativen aber, wie gesagt, gern im Ausschuss bera-ten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müs-sen als Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitikerunabhängig von der Frage, wie wir Dinge persön-lich bewerten, aber bei einer Sache aufpassen,nämlich als Landtagsabgeordneter darf keiner vonuns Schulleiterin oder Schulleiter spielen. Ich habeauch Vorstellungen, wie meine ideale Schule aus-sieht. Die unterscheiden sich wahrscheinlich nichtvon der der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wenn ichSchulleiter wäre, käme mir der Verfassungsschutz,wenn nicht unbedingt von Schülerinnen und Schü-lern gewollt, auch nicht in das Haus. Ob das demBeutelsbacher Konsens allerdings entspricht, weißich auch nicht. Darüber würde ich mich wirklichgern im Ausschuss verständigen. Ich weiß nur, imSinne der aktuellen Debatte um Beutelsbach, ins-besondere im Bereich Schülerorientierung - HerrMatschie hat es vollkommen richtig angesprochen -Individuum und Solidarität, da ist es ein No Go,wenn Schülerinnen und Schüler die PerspektiveBetroffener hören wollen, die Perspektiven von Op-ferverbänden hören wollen, dass diese ihnen nurbedingt und nur unter Protest gewährt wird. Ich binaber kein Schulleiter und wir sollten die Waage fin-den zwischen Freiheit der Schule und gesetzlichenRegelungen und vor allen Dingen auch Freiheitenvon Schülerinnen und Schülern zu gewährleistenund zu unterstützen.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob der von Ihnen inPunkt II.1. geforderte Kriterienkatalog und die inPunkt II.3. geforderte Schulgesetzänderung wirklichdiese Waage, die ich beschrieben habe, einhält. Ichtendiere eher zum Nein. Ich halte aber die Diskussi-on für enorm wichtig, weil wir gerade in dem Be-

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(Abg. Emde)

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reich des Verfassungsschutzes darüber reden müs-sen, ob ein Verfassungsschutz alleinig als Angebotwirklich den Beutelsbacher Konsens einhält, wennwir nicht auf Augenhöhe gleichzeitig eine Perspekti-ve von Opfern rechter Gewalt, eine Perspektive vonAlltagsrassismen und auch von Kritikerinnen undKritikern des Verfassungsschutzes haben. Genaudiese Frage gilt es zu beantworten, wie kriegen wirdiese Kultur in Schule, ob mit Richtlinien und Ge-setzen wage ich zu bezweifeln. Einer Diskussionwürdig ist das Thema allerdings dennoch. Deswe-gen bitte ich um Überweisung an den Ausschuss.

(Beifall SPD; Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Fraktion der FDP hat Abgeordneter Barthdas Wort.

Abgeordneter Barth, FDP:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,die Anträge, die vorliegen, wollen im Kern das Glei-che.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Nein.)

Den Antrag der GRÜNEN, den hätte ich, wenn dievorangegangene Debatte nicht gewesen wäre, alsso ziemlich das Scheinheiligste bezeichnet, was siein den letzten anderthalb bis zwei Jahren hier vor-gelegt haben, jetzt ist es das Zweitscheinheiligste.Die LINKEN sind wenigstens ehrlich, so könnteman es sagen.

(Beifall Abg. Bärwolff, DIE LINKE)

In Wahrheit geht es Ihnen beiden darum, dass Ver-fassungsschutz und Bundeswehr an den Schulennicht mehr auftreten. Sie bemühen eine Geschichtezur Begründung und die Geschichte geht so: AmErfurter Ratsgymnasium ist vor ein paar Wochen ei-ne Ausstellung eröffnet worden unter dem Titel„Feinde der Demokratie“. Erstellt wurde diese Aus-stellung vom Thüringer Landesamt für Verfas-sungsschutz. Nach Darstellung der ursprünglichenAntragsteller, also des Antrags der GRÜNEN, Zitataus der Begründung „zeigen die Schülerprotesteum diese Ausstellung, dass solche Informationsan-gebote nicht ohne Weiteres in der Unterrichtsge-staltung eingesetzt werden können“.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Genau.)

Allein dieser Satz, meine sehr verehrten Damenund Herren, enthält mehrere falsche Darstellungen.Proteste hat es am Rande der Ausstellung bei derEröffnung gegeben, das stimmt.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Sie waren doch gar nichtda.)

Von den ca. 600 Schülern, die derzeit diese Schulebesuchen, haben sich an den Protesten zwei betei-ligt. Jetzt ist es deren gutes Recht und ich will auchgar nicht bewerten, was junge Menschen dazu be-wegt, die auch ihren Weg und ihre Position in unse-rem Gemeinwesen suchen. Aber angesichts dieserTatsache, dass von 600 Schülern zwei an den Pro-testen teilgenommen haben, von Schülerprotestenzu reden, scheint mir doch weit hergeholt.

(Beifall FDP)

Weit hergeholt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wa-ren eine ganze Reihe der anderen Protestierenden.Sandro Witt wurde dort gesehen, Vizevorsitzenderder Thüringer LINKEN. Der ist irgendwo in Ostthü-ringen beheimatet, er ist Jahrgang ’81 und hat nacheigenen Angaben die mittlere Reife. Man kann esals relativ gesichert ansehen, dass er kein Schülerdes Erfurter Ratsgymnasiums ist, meine sehr ver-ehrten Damen und Herren. Auch Herr Witt darf na-türlich protestieren, überhaupt keine Frage, aberdas ist kein Schüler-, sondern das ist ein organisier-ter Funktionärsprotest. Und wenn das so ist, dannmuss man auch bei der Wahrheit bleiben:Zwei Schüler waren unter den Protestierenden, alleanderen Protestierenden waren schulfremde Perso-nen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Das stimmt überhauptnicht.)

Dass die Ausstellung ausdrücklich kein Angebotder Bildungsarbeit ist, Herr Metz, ist auch die Ant-wort auf Ihre Frage. Die Ausstellung ist ausdrück-lich kein Angebot der Bildungsarbeit und ist auchnicht in der Unterrichtsgestaltung eingesetzt wor-den, sondern es handelt sich hier um ein Informati-onsangebot des Thüringer Landesamtes für Verfas-sungsschutz. Das ist deshalb wichtig, weil auch hierim Antrag schlicht ein falscher Eindruck suggeriertwird. Im Übrigen, und das muss man der Vollstän-digkeit halber auch erwähnen, hat das Landesamtfür Verfassungsschutz diese Ausstellung im Auftragkeines Geringeren als dieses Hohen Hauses hierentwickelt. Es ist nämlich entwickelt worden im Zu-sammenhang oder im Ergebnis des Thüringer Lan-desprogramms für Demokratie, Toleranz undWeltoffenheit, mit dessen Erarbeitung dieser Land-tag einstimmig die Landesregierung beauftragt hat.In diesem Landesprogramm heißt es unterPunkt 3.3.2 „Ziele und Strategien im Bereich desVerfassungsschutzes“, „dass zukünftig die Präven-tions- und Öffentlichkeitsarbeit über demokratie-feindliche Bestrebungen in Thüringen zum Beispieldurch die zu verstärkende Zusammenarbeit mit an-deren Institutionen und Organisationen oder die

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(Abg. Metz)

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Produktion einer Wanderausstellung fortentwickeltund intensiviert werden sollen“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass derVerfassungsschutz nicht nur in Thüringen, aber ge-rade hier bei uns eine ganze Reihe von problemati-schen Vorgängen, Entwicklungen und Verwicklun-gen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten hat, dasist unbestritten. Wir haben gestern in einem ande-ren Tagesordnungspunkt darüber auch sehr aus-führlich gesprochen. Aber der Minister hat es aucheben deutlich gesagt, diese Dinge müssen aufgear-beitet werden, daraus müssen Lehren gezogenwerden, das stimmt ja auch, aber der Verfassungs-schutz ist deshalb keine verfassungsfeindliche Or-ganisation und er ist auch nicht die Staatssicher-heit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Die Ausstellung, über die wir reden, ist inhaltlichdarauf ausgerichtet, demokratische Werte zu ver-mitteln, und sie befasst sich thematisch vorwiegendmit dem Rechtsextremismus. Sie kann und soll aufdie Bereiche Linksextremismus und auch religiösmotivierter Extremismus erweitert werden, das fin-de ich ausdrücklich gut, aber im Moment - und dasspiegelt ja auch ein Stück weit die öffentliche De-batte wider - befasst sie sich vorwiegend mit demRechtsextremismus. Wenn es Ihnen, liebe Kollegenvon den GRÜNEN, nun darum ginge, Wertevermitt-lung zu betreiben, dann sollten Sie genau das tun,wozu die überwiegende Mehrzahl der Schüler andieser Schule, die Lehrer und die Eltern offenkun-dig auch in der Lage waren, nämlich zwischen derAusstellung und dem Aussteller und insbesonderedessen aktueller Verfasstheit wohl zu unterschei-den.

Es liegen eine ganze Reihe Anfragen vor, dieseAusstellung im öffentlichen Raum zu zeigen. Ange-sichts des Anliegens der Ausstellung, meine sehrverehrten Damen und Herren, halte ich es fürdurchaus richtig, notwendig und wichtig, dass dieseAusstellung auch künftig gezeigt werden kann,auch, wenn das gewollt ist, an Schulen in Thürin-gen.

(Beifall FDP)

Dass es dazu eines Verständnisses, einer Diskussi-on zwischen Lehrern, Eltern und Schülern bedarf,dieser Grundsatz gilt für alle außerunterrichtlichenVorhaben in Thüringer Schulen. Ihr Punkt II.3. istdeshalb ein Misstrauensantrag, ein Misstrauensvo-tum gegenüber den Thüringer Schulen. Das stehtim Übrigen auch im Thüringer Schulgesetz bei derFrage, wofür die Schulkonferenz zuständig ist, aus-drücklich drin, dass Zusammenarbeit mit außer-schulischen Institutionen in der Schulkonferenz zuberaten und zu beschließen ist. Von daher ist die-ser Punkt absolut unnötig.

Zur Bundeswehr: Meine sehr verehrten Damen undHerren, gemäß dem Weißbuch hat die Bundeswehrunter anderem den Auftrag, die außenpolitischeHandlungsfähigkeit Deutschlands zu sichern, einenBeitrag zur Stabilität im europäischen und globalenRaum zu leisten. In ihrer Konzeption wird als Auf-gabe weiter festgelegt unter anderem die internatio-nale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung ein-schließlich des Kampfs gegen den internationalenTerrorismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bun-deswehr sieht sich ausdrücklich nicht in der Traditi-on der Wehrmacht, sondern pflegt ihr eigenes Tra-ditionsbewusstsein aus ihrem Verständnis als de-mokratische Armee aus mündigen Bürgern aus denletzten 50 Jahren Bundeswehrgeschichte. DerDeutsche Bundestag hat weitreichende Mitbestim-mungsrechte hinsichtlich des Einsatzes der Streit-kräfte im Ausland, deshalb wird die Bundeswehrauch als Parlamentsarmee bezeichnet.

(Beifall FDP)

Und dieser Armee, die aus ihrem Auftrag und ihremSelbstverständnis gerade auch in Abgrenzung zuden finsteren Zeiten zwischen 1933 und 1945 ganzbestimmt viel zur politischen Bildung in unseremLand beitragen kann, dieser Bundeswehr wollenSie den Zugang zu den Schulen verbieten. Diekommunistische Fraktion, die das ja ehrlich sagtund bei der das ja auch nicht überrascht, die sagtdas, wie gesagt, wenigstens ehrlich. Aber ich sageganz deutlich: Wir wollen das ausdrücklich nicht,meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Heute Nachmittag werden 360 Soldaten des Logi-stik-Batallions 131 in Bad Frankenhausen in denEinsatz nach Afghanistan verabschiedet. Diese Sol-daten gehen in einen Einsatz im Auftrag unseresLandes, im Auftrag unseres Volkes, meine sehrverehrten Damen und Herren. Ein Einsatz übrigens,der unter Federführung eines GRÜNEN Außenmini-sters begonnen worden ist und quasi als Ab-schiedsgeschenk soll dieser Landtag diesen Solda-ten die Botschaft mitgeben: Wir erwarten von Ihnenden Einsatz Ihres Lebens, aber an unserenSchulen haben sie nichts zu suchen. Das ist schä-big, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall CDU, FDP)

In vielen Bundesländern gibt es Kooperationsver-einbarungen zwischen den Kultusministerien undder Bundeswehr über den Einsatz der Jugendoffi-ziere und über die Formen der politischen Bildungs-arbeit an den Schulen, die sich selbstverständlichimmer an den Grundsätzen des BeutelsbacherKonsenses orientiert.

In Thüringen gibt es eine solche Vereinbarungnicht. Es gab einmal einen Entwurf, der nicht wei-

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(Abg. Barth)

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terverfolgt worden ist. Ich will das hier gar nicht kriti-sieren, weil ich auch nach den Ausführungen desMinisters davon ausgehe, dass man diese Verein-barung deshalb nicht weiterverfolgt hat, weil alleBeteiligten der Meinung sind, dass es so, wie esläuft, gut ist und in Ruhe und ohne weitere Regulie-rung und großen Aufwand weiterlaufen soll. Es wirdkein Handlungsbedarf gesehen, so würde ich dasinterpretieren.

Genauso wenig wie hier offenbar das gesehenwird, genauso wenig, meine sehr verehrten Damenund Herren, braucht man diesen Kriterienkatalog,von dem schon bei meinen Vorrednern die Redewar. Da soll ein Kriterienkatalog entwickelt werden,der „den Schulleitungen sowie den veranstaltendenLehrerinnen und Lehrern im Freistaat klare Hand-lungsorientierungen bietet, wie der Einsatz von In-formations- und Öffentlichkeitsangeboten von nichtzur Schule zugehörigen Personen konsequent amBeutelsbacher Konsens ausgerichtet werdenkann;“.

Der Minister hat das vorhin schon kurz gesagt,beim Beutelsbacher Konsens Mitte der 70er-Jahre,1976 meine ich, ist es gewesen, ging es geradenicht um einen theoretischen Konzeptstreit oder ir-gend so etwas, sondern es ging um klare Regelnfür die pädagogische Praxis. Der BeutelsbacherKonsens ist genau der Kriterienkatalog, an demsich politische Bildung auszurichten hat. Es ist ge-nau der Katalog, den Sie fordern. Was Sie wahr-scheinlich meinen, das ist eine Vorschrift, die stu-dierten Pädagogen wie kleinen Kindern genau je-den einzelnen Schritt vorschreibt, den sie zu tunhaben, auch die Reihenfolge, in der sie das zu tunhaben und der die Pädagogen genauso übrigenswie Schüler und Eltern schlicht und ergreifend ent-mündigt.

(Beifall FDP)

An GRÜNEN Ideen soll das Thüringer Schulwesenausgerichtet werden. Meine Damen und Herren vonden GRÜNEN, wenn Sie schon studierten Pädago-gen in einer solchen Weise misstrauen, wie begrün-den Sie eigentlich Ihre Aktivitäten zum Ausbau derKindergartenbetreuung? Dort hat das Personalüberwiegend keine Hochschulausbildung und wirsollen denen unsere Kinder anvertrauen, ohne dasswir ihnen für jede Aktivität, die im Kindergarten ge-macht wird, ein Kochrezept mitgeben. Was wollenSie denn demnächst überhaupt alles vorschreiben?Ich finde, wie gesagt, dass Ihr Antrag ein Misstrau-ensvotum ist, ein Misstrauensvotum gegen zentraleInstitutionen des demokratischen Rechtsstaats.

(Beifall FDP)

Er ist auch - und das ist vor allem zu konstatieren -ein weiteres Dokument Ihres Gesellschaftsbildes,alles zu verbieten, was sich Ihrem Zugriff vielleicht

entziehen könnte, und alles zu regulieren, was Sieirgendwie in die Finger bekommen können.

Man könnte meinen, diesen Antrag braucht keinMensch.

(Beifall FDP)

Wenn er zu irgendetwas gut ist oder war, dann da-für, möglichst vielen Menschen genau dieses Bildvermittelt zu haben, insbesondere vielen Menschenin den betroffenen Institutionen, in Schulen und inder Bundeswehr insbesondere zu zeigen, was Sievon ihrer Arbeit, von ihrer Tätigkeit halten, die Au-gen über die GRÜNEN zu öffnen. Das ist mit demAntrag geschehen, deswegen kann man ihn auchablehnen. Herr Kollege Emde, wenn Sie konse-quent wären und sagen, dass Sie den Antrag derLINKEN ablehnen, dann müssen Sie den der GRÜ-NEN auch ablehnen, denn die wollen beide dasGleiche. Deshalb werden wir sie beide ablehnen.Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatFrau Abgeordnete Rothe-Beinlich das Wort.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, zunächst möchte ich michganz herzlich im Namen meiner Fraktion für denBericht von Minister Matschie bedanken, der jadurchaus auf den einen oder anderen Punkt in derFragestellung eingegangen ist. Ich werde auch aus-führen, an welchen Stellen es vielleicht Dissensgibt. Ich bin dennoch aber schon jetzt guter Hoff-nung, dass wir im Ausschuss tatsächlich eine fun-dierte Debatte führen werden, denn ich glaube, esgibt etliche Punkte, über die wir uns einmal austau-schen sollten.

Herr Barth, zu Ihnen nur so viel, mit Scheinheiligkeitkennen Sie sich ja sehr gut aus, auch steht das,was Sie hier vorgetragen haben, mitnichten in un-serem Antrag, die Mühe, ihn zu lesen, machen Siesich ja gar nicht, Sie sind in Ihrer Verbotsschienedrin, die Sie uns zuschreiben. Wenn Sie meinen,dass die Welt so schlicht gestrickt ist, Herr Barth,dann tut es mir in gewisser Weise leid, aber ganzso einfach ist es eben manchmal auch nicht.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Deswegenhabe ich mehrfach aus dem Antrag zitiert.)

Die Ausstellung, die Sie erwähnten, im ErfurterRatsgymnasium und von der Sie im Übrigen so ge-nau wissen, dass nur zwei Schüler oder Schülerin-nen an Protesten beteiligt waren, hat stattgefundenund sie hat zu einer durchaus spannenden Ausein-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8309

(Abg. Barth)

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andersetzung geführt. Schön, dass Sie sich auchetwas dazu angelesen haben. Ich kenne dieseSchule sehr gut, es waren und sind durchaus mehrSchülerinnen und Schüler beteiligt und vor allenDingen ist daraus ein sehr, sehr gutes Projekt ent-standen. Ich weiß nicht, ob Sie das auch schon ge-sehen haben, ab heute gibt es nämlich eine Home-page, weil sich eine Gruppe von Schülerinnen undSchülern unter der Überschrift „Stellungnahme zuden Inhalten einer Ausstellung“ zusammengetanhat und einen zweitägigen Workshop veranstaltethat, wo sie sich mit dieser Ausstellung intensiv aus-einandergesetzt haben und ihre Überlegungen prä-sentieren.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Dafür brauchtes Ihren Antrag nicht.)

Das ist sehr gut, Herr Barth, aber belehren Sie michjetzt nicht, sondern vielleicht hören Sie mir einfachmal zu. Ich freue mich, dass Schülerinnen undSchüler hier eine kontroverse Debatte führen, esgab allerdings einen Auslöser, den wir durchaus ingewisser Weise problematisieren wollen und der si-cherlich mit dazu beigetragen hat, warum unser An-trag genauso aussieht, wie er aussieht. Unser An-trag möchte eine konsequente Orientierung amBeutelsbacher Konsens. Und der BeutelsbacherKonsens, lieber Herr Minister Matschie, findet sichbisher nur in einer Fußnote, das wissen Sie auch,in einem Lehrplan wieder. Er liegt der Bildungsar-beit eigentlich zugrunde, aber viele wissen garnicht, was dieser eigentlich beinhaltet. Er beinhaltetdas Kontroversitätsgebot beispielsweise und genauda möchte ich noch einmal Bezug auf diese Aus-stellung nehmen. Die Ausstellung des ThüringerLandesamts für Verfassungsschutz wurde im Evan-gelischen Ratsgymnasium gezeigt und sie hat zuRecht zu vielen Protesten geführt. Im Übrigen willniemand diese Ausstellung verbieten. Was abersagt der Beutelsbacher Konsens im Umgang mit ei-ner solchen Ausstellung?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Nichts.)

Der Beutelsbacher Konsens sagt, dass unter-schiedliche Positionen in kritischen Fragen adäquatdargestellt werden müssen. Der Verfassungsschutzhat auch keinen Bildungsauftrag, Gott sei Dank,das will ich nur mal sagen. Uns geht es darum,dass die unterschiedlichen Positionen dargestelltund hinterfragt werden können. Wenn aber unkri-tisch eine Ausstellung einfach nur gezeigt wird, diezudem auch noch, wie etliche Fachleute bestätigen,als didaktisch grottenschlecht bewertet werdenmuss, dann kann ich Ihnen nur sagen, wäre es sehrgut gewesen, wenn bereits zur Ausstellungseröff-nung auch Kritikerinnen und Kritiker beispielsweiseeingeladen worden wären, wenn zivilgesellschaftli-che Akteurinnen eingeladen worden wären,

(Beifall DIE LINKE)

wenn es vielleicht parallel eine Ausstellung bei-spielsweise von MOBIT in dieser Schule gegebenhätte und man dann hätte vergleichen können, dis-kutieren können, streiten können, beraten können,genau das ist das Kontroversitätsgebot, lieber HerrBarth, und genau das wollen wir umgesetzt wissen.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Anfragedurch den Herrn Barth?

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Am Ende.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Bitte am Ende.

Abgeordnete Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Vielen herzlichen Dank. Ich möchte auf ein paarfachliche Fehler in dieser Ausstellung eingehen.Warum beispielsweise erwähnt die Ausstellung dieKleidungsmarken Fred Perry, Lonsdale und Ähnli-che, die überhaupt nicht mehr häufig in der Szenegetragen werden? Auch ist Rock Against Commu-nism nicht, wie in der Ausstellung dargestellt, einMusikstil, sondern eine Vorform von Blood & Ho-nour. Weiterhin ist National Socialist Hardcore nichtmit Street Aig Nazis identisch. Es finden sich inhalt-liche Fehler in dieser Ausstellung zuhauf, sie gip-feln in der Tafel, die sich mit der sogenannten Ex-tremismustheorie befasst. Da sage ich Ihnen ganzdeutlich: Ich habe mit vielen Lehrerinnen und Leh-rern gesprochen, auch von dieser Schule war Leh-rerinnen und Lehrern nicht bewusst, dass ein Infor-mationsangebot des Thüringer Landesamtes fürVerfassungsschutz derart fehlerhaft sein könnte,derart zu hinterfragen ist. Das, meine ich, istdurchaus eine der Begründungen mit dafür, dasswir sagen, wir wollen einen verbindlichen Kriterien-katalog. Ich finde das auch gar nicht schlimm, dasswir vielleicht nicht einer Meinung sind. Wir könnenja gern darüber diskutieren, wie dieser aussehenkann, aber er soll eine Handreichung, er soll eineHilfestellung sein, genauso wie es die entsprechen-den Informationen über qualitativ hochwertige undfür schulische Bildung geeignete Vortrags-, Ausstel-lungs- und Informationsangebote braucht. Denn wieSie eben richtig sagten, das Thüringer Landesamtfür Verfassungsschutz hat keinerlei Bildungsauf-trag. Das muss hier einfach noch mal gesagt sein.

Ich will aber auch sehr deutlich hier sagen: Unsgeht es eben nicht darum, den Schulen irgendet-was zu verbieten. Wir wollen nicht, wie Sie es soplatt sagen oder herbeireden wollen, Herr Barth,was Sie uns unterstellen, dass die Bundeswehr

8310 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Rothe-Beinlich)

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überhaupt nichts mehr in Schulen zu suchen hat.Aber wenn die Bundeswehr in eine Schule eingela-den wird, dann wollen wir, dass selbstverständlichauch beispielsweise diejenigen eingeladen werden,die sich für zivilen Friedensdienst stark machen undAlternativen aufzeigen, dass vielleicht auch Betrof-fene von Konflikt- und Kriegssituationen mit einge-laden werden und dass man so ebenfalls eine kon-troverse Debatte führen kann, weil es eben nichtum eine Überrumpelung oder eine Indoktrinationgeht, sondern darum, dass wir mündige Schülerin-nen und Schüler erziehen, dass wir auch mündigeLehrerinnen und Lehrer haben, die sich selbstver-ständlich mit Problematiken auseinandersetzen unddafür ganz unterschiedliche Akteurinnen und Akteu-re einladen können. Die Regelungen dazu sind inden Lehrplänen nicht ausreichend, davon sind wirüberzeugt. Zwar sind in den Entwürfen, das sagteich eben schon, die zugrunde liegenden Prinzipienenthalten - Schülerorientierung, Kontroversität undÜberwältigungsverbot -, aber die aktuellen Beispie-le zeigen durchaus, dass dies nicht ausreicht unddass es dringend Informationsangebote braucht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns geht es nicht um Vorschriften, sondern wir wol-len den Lehrkräften Unterstützung und Orientierungbieten, und das nicht in Form von Vorschriften, son-dern in Form von Angeboten.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Was ist dennein Gesetz anderes als eine Vorschrift?)

Sehr geehrter Herr Barth, lassen Sie mich ausre-den! Ich habe Ihre Rede auch ertragen.

(Unruhe FDP)

Wir wollen außerdem natürlich, dass das ThüringerInstitut für Lehrerfortbildung und die Landeszentralefür politische Bildung entsprechende Ausstellungs-angebote für Schulen erarbeiten. Da, das sage ichganz deutlich, würde ich diese selbstverständlichbevorzugen gegenüber Angeboten des ThüringerLandesamts für Verfassungsschutz, weil wir mei-nen, dass es sicherlich dann auch didaktisch ent-sprechend aufbereitet ist. Auch könnte man auf dieInformationsangebote von MOBIT verweisen. Unduns geht es um mehr Mitsprache und mehr Mitbe-stimmung von Schülerinnen und Schülern, wenn esdarum geht, derartige Informationsangebote inSchulen einzusetzen. Was ist denn daran falsch,wenn tatsächlich die Schulkonferenz entscheidet?Nichts. Was ist denn daran falsch?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist völlig richtig, dass sie entscheidet. Im Mo-ment

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das stehtaber im Gesetz, deshalb brauchen wir esnicht zu ändern.)

ist es nicht zwingend vorgeschrieben, dass dieSchulkonferenz entscheidet. Wir wollen aber, dassdie Schülerinnen und Schüler, dass die Eltern im-mer mit einbezogen werden, wenn Bildungsange-bote von außerschulischen Partnern geplant sind.Wir glauben, dass dies gut und richtig ist. Wir kön-nen dies dann gern im Ausschuss umfänglicher dis-kutieren.

Ich will aber auch ein paar Sätze zum Alternativan-trag der Fraktion DIE LINKE sagen. Sie wollen jaAngebote vom Verfassungsschutz und anderenGeheimdiensten, aber auch Öffentlichkeitsarbeitder Bundeswehr überhaupt nicht mehr zulassen.

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: AnSchulen.)

An Schulen. Wir werden diesem nicht folgen unddafür gibt es gute Gründe. Denn wenn wir uns denBeutelsbacher Konsens anschauen, dann besagtder, dass kontroverse gesellschaftliche Problemeauch kontrovers diskutiert werden können. Dasheißt, uns geht es nicht darum, Angebote auszu-schließen, sondern wir wollen eine ausgewogeneDiskussion um gesellschaftliche Fragestellungen.Deswegen braucht es natürlich auch diejenigen alsAnsprechpartner mit in Schule, allerdings ebennicht allein und nicht damit, dass sie eine Meinungquasi vorgeben und für einzig richtig darstellen kön-nen. Uns geht es darum, für Pluralität zu sorgen.Wir streben eine ausgewogene Unterrichtsgestal-tung an unter der Einbeziehung unterschiedlichsterMeinungen gerade bei der Behandlung von ganzdiffizilen Themenstellungen. In diesem Sinne bean-tragen auch wir die Überweisung der Anträge anden Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kul-tur.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gut, ich dachte, Herr Barth wollte noch eine Fragestellen, deswegen habe ich so wartend geschaut.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Der Herr Barth möchte seine Frage in einen Wort-beitrag kleiden, aber erst ist mal Frau AbgeordneteKönig an der Reihe für die Fraktion DIE LINKE.

Abgeordnete König, DIE LINKE:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Da-men und Herren, liebe Besucher und Besucherin-nen hier im Landtag, die Debatte, die wir geradeführen, dreht sich darum, dass in Erfurt an einemGymnasium eine Ausstellung des Verfassungs-schutzes gezeigt wurde, die sich mit Feinden derDemokratie befasste. Meine Kollegin Astrid Rothe-Beinlich hat gerade schon dargestellt, dass dieAusstellung inhaltlich Fehler enthielt, und hat auchdargestellt, dass es in der Schule von Schülern u.a.Proteste dagegen gab. Herr Barth hat vorhin ge-

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(Abg. Rothe-Beinlich)

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meint, dass es nicht nur Proteste von Schülern ge-geben hätte, sondern auch von weiteren Personenund hat da

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Vorwiegend,überwiegend habe ich gesagt.)

- danke schön - unter Anderem auf Sandro Witt ver-wiesen. Es ist natürlich sehr einfach, zu versuchen,Herrn Witts Engagement zu diskreditieren. Ichmöchte darauf hinweisen, dass Herr Witt für denLandesjugendring im Landesjugendhilfeausschusssitzt und meines Wissens nach auch in dieserFunktion und Position versucht, gegen - ich nennees einmal - gewisse Informationsbestrebungen desVerfassungsschutzes vorzugehen. Das hier so ein-seitig darzustellen, wie Sie das gemacht haben,halte ich für verfälschend, aber das ist ja auchnichts Neues.

Unser Alternativantrag bezieht sich darauf, dass wirsagen, der Verfassungsschutz, aber auch die Bun-deswehr haben nichts an der Schule zu suchen.Das hat mehrere Gründe. Die Bundeswehr führtseit mehreren Jahren mit sogenannten Jugendoffi-zieren - zurzeit sind das ca. 100 - Informationsver-anstaltungen an der Schule durch. Um einmal dar-zustellen, was das in der Konsequenz dann auchan Kosten bedeutet, weil es der Bundeswehr natür-lich darum geht, junge Menschen für den Beruf Sol-datendasein zu rekrutieren, möchte ich mal dieZahlen ab 1998 zumindest ganz kurz darstellen.Und zwar wurden im Jahr 1998 für die Nachwuchs-werbung, so heißt das offiziell bei der Bundeswehr,9,2 Mio. € ausgegeben, nur für die Werbung. ImJahr 2008 sind wir dann schon bei 10,3 Mio. €.Jetzt, nachdem die Wehrpflicht ausgesetzt ist, siehtauch die Bundeswehr und natürlich auch die zu-ständigen Ministerien einen erhöhten Finanzbedarf.Für 2012 sind für die Nachwuchswerbung, nur fürdie Werbung 29 Mio. € veranschlagt worden. DieBundeswehr begründet das, bzw. der Gesetzent-wurf der Bundesregierung damals begründet dasdamit, dass ein Mehr an Intensivierung nötig ist vonWerbemaßnahmen, da die Aussetzung der Pflichtzur Ableistung des Grundwehrdienste stattgefun-den habe. Damit ist natürlich zumindest für mich lo-gisch, worum es geht; wenn diese Jugendoffizierein die Schule gehen, geht es eben nicht darum, ei-ne kritische, eine diskursive, eine wie auch immergeartete Diskussion zum Thema Kriegseinsätze,zum Thema Bundwehr und Ähnlichem mehr zu füh-ren, sondern es geht darum, junge Leute für denDienst an der Waffe zu rekrutieren.

(Beifall Abg. Bärwolff, DIE LINKE)

Da möchte ich verweisen auf ein sozialwissen-schaftliches Institut der Bundeswehr, also wiederein Institut, was von denen, die ich gerade kritisiere,finanziert wird. Die haben nämlich eine Studiedurchgeführt und haben versucht, zu ergründen,warum denn Personen zur Bundeswehr gehen.

Dieses sozialwissenschaftliche Institut der Bundes-wehr, dass in Nina Leonhard und anderen veröf-fentlicht wurde, kommt zu dem Schluss: „Wer beruf-liche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr.Wer über ausreichende berufliche Chancen verfügt,zieht die Möglichkeit, Soldat der Bundeswehr zuwerden, gar nicht in Betracht.“ Ich glaube, das soll-ten wir im Hinterkopf haben, wenn wir darüber spre-chen, dass mehr als 100 Jugendoffiziere, die übri-gens mindestens den Auftrag haben, pro Person 80solcher Informationsveranstaltungen im Jahr durch-zuführen, hier auch in Thüringen an die Schulengehen. Es geht eben nicht um eine kritische, um ei-ne im weitesten Sinne demokratische Debatte, son-dern es geht darum, junge Menschen für denKriegsdienst zu rekrutieren. Und das kritisieren wir,da sagen wir ganz klar, dass wollen wir nicht mehrhaben.

(Beifall DIE LINKE)

Übrigens habe ich mich mit Schülern u.a. aus demLandkreis Saalfeld-Rudolstadt verständigt; wenndiese Jugendoffiziere in die Schule kommen, gibtes keine Diskussion. Wenn diese Jugendoffiziere indie Schule kommen, wird von diesen nicht kritischdargestellt, was die Bundeswehr in Konsequenzbedeuten kann. Da frage ich mich schon, ob esnicht auch einen Auftrag gibt seitens des Kultusmi-nisteriums, da zumindest in der Form einzuwirken,dass der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN zumindest in der Form erfüllt wird, dassjemand vor Ort ist, der das ganze kritisch begleitet.

Jetzt zum Verfassungsschutz: Wir möchten ja auchden Verfassungsschutz nicht mehr an den Schulenhaben. Auch das hat mehrere Gründe. Zum einenist es für mich ein Stück weit unlogisch, dass so-wohl Herr Fiedler als auch Herr Gentzel

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich bin da.)

- danke, Herr Fiedler ist da, Herr Gentzel hört michvielleicht draußen - gestern in der Debatte erklär-ten, dass sie der Spitze des Verfassungsschutzesihr Vertrauen entziehen und dass das Gründe hat,die nicht erst in den letzten Monaten liegen, son-dern die eigentlich seit Jahren offensichtlich sind,allerdings jetzt erst öffentlich wurden. Wenn ich aufder einen Seite der Spitze des Verfassungsschut-zes meine Zustimmung, mein Vertrauen entziehe,frage ich mich, wie ich auf der anderen Seite diesemir nicht mehr vertrauten Institutionen in Schulenschicken kann und wie ich das verantwortungsvollmachen kann. Das zumindest bezweifele ich. Fürmich ist das auch ein Stück weit unlogisch, auf dereinen Seite so zu argumentieren und auf der ande-ren Seite heute das abzulehnen.

Frau Astrid Rothe-Beinlich hat schon darauf hinge-wiesen und genauso Kollege Metz - der sitzt hintermir -, dass der Verfassungsschutz eine sehr einsei-tige Definition von Extremismus mit sich bringt und

8312 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. König)

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natürlich auch versucht, diese Definition - sei es inseinen Informationsveranstaltungen oder auch inder Ausstellung - an die Schülerinnen/Schüler rü-berzugeben. Jede und jeder, der sich mit Rechtsex-tremismus ausführlicher und fundierter beschäftigt,weiß, dass man das eigentlich auch mit der soge-nannten - ich nenne es jetzt mal - extremistischenMitte machen muss, dass man dort beginnen muss.Um es auf den Punkt zu bringen, es gibt in Thürin-gen eine Studie, den sogenannten Thüringen-Moni-tor, der jährlich im Auftrag der Landesregierung er-hebt, wie sind denn die Einstellungen der ThüringerBevölkerung. Der kommt zu dem Ergebnis, dass11 Prozent der Thüringer antisemitisch sind,19 Prozent verharmlosen das NS-Regime und im-merhin 56 Prozent haben fremdenfeindliche Ein-stellungen. Der Verfassungsschutz thematisiert sol-che Einstellungen in und aus der Mitte der Gesell-schaft überhaupt nicht, insofern ist er schon alleinvon seiner sachlich fachlichen Ausrichtung herüberhaupt nicht in der Lage, im Sinne einer Bildung- diesen Auftrag hat ja er zum Glück nicht - Informa-tionen insbesondere an Jugendliche und junge Er-wachsene zu geben. Übrigens stimmt dieser Aus-sage auch der Geschäftsführer des Vereins „Schuleohne Rassismus - Schule für Courage“ zu, derebenso die Ausstellung des Verfassungsschutzeskritisiert.

Zuletzt: Sie sprachen davon - ich glaube, Herr Em-de war es, nein, Herr Barth war es -, dass der Ver-fassungsschutz demokratisch kontrolliert wäre -oder vielleicht sogar Minister Matschie, ich weißnicht mehr genau, von wem die Aussage war - undvon daher er eine Berechtigung hätte, an Schulenoder auch woanders Informationsveranstaltungendurchzuführen. Wissen Sie, wenn es eine solchedemokratische Kontrolle geben würde, dann frageich mich, was wir gestern hier debattiert haben,dann frage ich mich, warum die Koalitionsfraktioneneinen Änderungsantrag zum Verfassungsschutzge-setz vorgelegt haben, in dem sie genau diese de-mokratische Kontrolle versuchen wenigstens an-satzweise wiederherzustellen oder auch zu verbes-sern.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Für mich ist das alles ein Stück weit unglaubwürdig.Ich habe jetzt gehört, dass Sie den Antrag der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Ausschussfür Bildung, Wissenschaft und Kultur überweisenwollen. Ich beantrage, unseren auch dorthin zuüberweisen, weiß allerdings schon, dass es eineKoalitionsvorabstimmung gibt, dass unser Antragdirekt abgelehnt wird, hoffe, dass Sie vielleicht nochnach der Debatte jetzt das Ganze etwas anders be-urteilen. Vielleicht versuchen Sie auch ein Stückweit, Meinungsumfragen mit einzubeziehen. Circa70 Prozent der Deutschen sind derzeit - das ist eineUmfrage der ARD - gegen Kriegseinsätze der Bun-

deswehr. Ich unterstelle, dass eine Mehrheit dieser70 Prozent auch ein Problem damit hat, dass Ju-gendoffiziere an Thüringer Schulen oder überhauptan Schulen Werbung für eben diese Kriegseinsätzemachen.

In Thüringen mehrt sich die Kritik am Verfassungs-schutz. Übrigens sind wir nicht die Einzigen, dieden Verfassungsschutz abschaffen wollen. DerSPD-Kreisverband Erfurt hatte das einstimmig auchbeschlossen. Vielleicht ist das für Sie ein Argument,zu überlegen, ob Sie nicht zumindest im Ausschussauch über unseren Antrag diskutieren wollen. Dan-ke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt eine weitere Redemeldung - ich hatte es be-reits angekündigt - durch die FDP-Fraktion, undzwar vom Abgeordneten Barth.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Weil ein paar Leuteja auch zuhören, glaube ich, dass man zwei, dreiDinge schon noch mal ein bisschen geraderückenmuss. Frau Kollegin König, das, was Sie zu HerrnWitt gesagt haben, ist im Wesentlichen nicht zu be-streiten, aber ich bitte da zumindest zur Kenntnis zunehmen, dass ich nicht bestritten habe, dass HerrWitt ein Recht, vielleicht aus verschiedenen Funk-tionen heraus sogar die Pflicht hat, mindestens alsStaatsbürger seine Meinung zu sagen und auchdas Recht unbestritten hat, an Demonstrationenteilzunehmen. Das war nicht Punkt meiner - das ha-be ich ausdrücklich gesagt. Aber in dem Antragwird unterstellt, dass es sich um Schülerinnenpro-teste und Schülerproteste gehandelt habe. DassHerr Witt kein Schüler dieser Schule ist, und wennes bei einer solchen Veranstaltung 15, 20 Demon-strierende gibt, bei denen gerade zwei von600 Schülern dieser Schule dabei sind, dass daskeine Schülerproteste sind, das kann man nun,glaube ich, selbst unter Anlegung großzügigsterMaßstäbe für so eine Bezeichnung nicht anders se-hen. Das ist der Punkt gewesen, um den es mir ander Stelle ging.

Was die Nachwuchswerbung bei der Bundeswehrbetrifft, Frau Kollegin König, zum einen bestätigt Ih-re Rede Ihr Feindbild, was Sie in der Bundeswehrhaben. So eins zu haben, ist legitim. Aber ich glau-be, es gehört zumindest auch zum Realitätssinndazu, dass man zugesteht, wenn eine Institutionwie die Bundeswehr über ein zentrales Mittel, näm-lich die Wehrpflicht, aus der in der Vergangenheit30 bis 50 Prozent der Zeitsoldaten des Berufssol-datennachwuchses rekrutiert worden sind, dasheißt über junge Männer in der Regel, die sonstkeinen Bezug zur Bundeswehr gehabt hätten, weil

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8313

(Abg. König)

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sie vielleicht den Wehrdienst verweigert hätten, unddie plötzlich, als sie wegen der Wehrpflicht hinge-kommen sind, gemerkt haben, das ist doch ganztoll, dieses Mittel hat die Bundeswehr jetzt nichtmehr. Dass man demzufolge die anderen Wege derNachwuchswerbung entsprechend verstärkenmuss, das ist mindestens legitim, das ist verständ-lich und deswegen wird die Aufgabe der Jugendoffi-ziere trotzdem nicht zur Nachwuchswerbung. DieJugendoffiziere haben die Aufgabe, politische Bil-dung an Schulen zu betreiben. Diese politische Bil-dung hat sich strikt an den Grundlagen des Beu-telsbacher Konsenses zu orientieren und tut dasauch.

(Beifall CDU, FDP)

Anders verstehe ich auch das Nichtvorhandenseindieser Vereinbarung nicht, auch das Ministerium isteinverstanden, genauso wie die Schulen, mit dem,was an dieser Stelle von den Jugendoffizieren ge-macht wird.

Frau Kollegin Rothe-Beinlich, Sie - das wäre meinAnsatzpunkt - reden auf der einen Seite davon,dass wir mündige Schüler und mündige Lehrer ha-ben. Ich füge hinzu, wir haben auch mündige El-tern. Dass Sie gleichzeitig diesen mündigen Schü-lern und Lehrern und Eltern unterstellen, dass sieam Ratsgymnasium unkritisch eine

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Entschuldigung, ich bin El-ternteil, Sie müssen mich nicht belehren.)

Ausstellung gezeigt haben, das zeigt nur, wie wi-dersprüchlich das ist und es hält auch der Überprü-fung nicht stand. Ich bin nicht Elternteil an dieserSchule, aber ich war mal Schulelternsprecher auchan einer Schule in freier Trägerschaft. Ich habemich deshalb mit ein paar Leuten vom Ratsgymna-sium unterhalten. Die Wahrheit ist - da können Sieerzählen, was Sie wollen -, dass es zwei Schülerwaren, die dort teilgenommen haben, dass diesenSchülern seitens der Schulleitung auch ein Angebotunterbreitet worden ist, sich auf der Veranstaltungzu artikulieren.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Woher wissen Sie denndas?)

Dass die das nicht gemacht haben, mag auch da-mit zusammenhängen, dass es für junge Menschenvielleicht nicht einfach ist, vor so einer großen Men-ge Menschen dann aufzutreten und sich zu artiku-lieren. Im Innenministerium hat es dann eine Rundegegeben. Es gibt Angebote, dass die wahrgenom-men werden, ist auch völlig in Ordnung, Frau Ro-the-Beinlich. Trotzdem bleibt die Wahrheit, dass Sieversuchen, einen Vorgang zu instrumentalisieren,um Schulen einen Misstrauensantrag auszustellen,und das ist es, was wir nicht mitmachen, meinesehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Letztlich mit Blick auf Ihre Gesetzesänderung sa-gen Sie, Sie wollen keine Vorschriften machen.Was bitte ist ein Gesetz, wenn keine Vorschrift?Gesetz ist der Inbegriff einer Vorschrift. Dann zitiereich nur mal aus § 38 des derzeit geltenden Thürin-ger Schulgesetzes, in dem unter anderem nämlichnormiert ist, welche Aufgaben die Schulkonferenzhat. Da steht drin, dass die Schulkonferenz ent-scheidet über das außerunterrichtliche Angebot derSchule im Rahmen der an der Schule gegebenenpersonellen und sächlichen Voraussetzungen.Mehr braucht es nicht. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Abgeord-nete Hennig zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Hennig, DIE LINKE:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete,liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Besucher, ichwill vorab sagen, DIE LINKE hat kein Feindbild inder Bundeswehr, sondern ein höchst kritisches Ver-hältnis zur Bundeswehr.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Zweiten geht es in dieser Debatte doch nichtzuerst darum, ob es einen Beutelsbacher Konsensgibt, ob es juristische Regelungen gibt, sondern esgeht um ein politisches Bekenntnis des ThüringerLandtags zu gewaltfreier und demokratischer Erzie-hung an Thüringer Schulen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich muss sagen, mich wundert in dieser Debattenicht, dass einzig DIE LINKE die Auffassung ver-tritt, dass Bundeswehr an den Schulen überhauptnichts zu suchen hat, immerhin sitzen hier vierFraktionen, die im Bundestag immer Kriege mitdeutschen Soldaten befürwortet haben.

(Beifall DIE LINKE)

Ich will noch mal meine Kollegin Katharina König inihrer Auffassung und in der Position der Fraktionbekräftigen. Wissen Sie eigentlich, dass die Ju-gendoffiziere der Bundeswehr sich natürlich auchan die Vorschriften der Bundeswehr zu halten ha-ben, die da heißen, natürlich nur die öffentlichenMeinungen und Auffassungen der Bundeswehr undihrer Organisation zu vertreten? Da frage ich mich,an welchem Punkt Jugendoffiziere der BundeswehrNeutralität an Thüringer Schulen wahren sollen. DieBundeswehr ist eine Institution der Bundesrepublikund vertritt natürlich nach innen und nach außendie offizielle und herrschende Regierungspolitik;nichts anderes ist die Bundeswehr und nichts ande-res tun Jugendoffiziere an Thüringer Schulen.

8314 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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Wenn man sich anschaut - und meine Kollegin Ka-tharina König hat das mal benannt -, wer geht denneigentlich zur Bundeswehr? Es sind diejenigen, diekeine berufliche Perspektive haben.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Eine Frech-heit ist das gegenüber allen Soldaten.)

Es sind diejenigen, die existenziell Schwierigkeitenhaben, und nicht umsonst benennt die Bundeswehrselbst im Zuge der Wehrpflicht - lesen Sie einfachdie entsprechenden Papiere -, die Bundeswehrselbst möchte im Zuge der aufgehobenen Wehr-pflicht -

(Unruhe SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Jeder, der inseiner Familie einen Soldaten hat, müsstejetzt aufschreien.)

und jetzt zitiere ich - „im gering qualifizierten Seg-ment nach Bewerberinnen und Bewerbern für dieBundeswehr“ suchen. Ich finde, an dem Punkt spie-geln sich doch einmal deutlich gesellschaftlicheRealitäten in diesem Land.

Thüringer Schulen haben den Auftrag, demokra-tisch und gewaltfrei zu erziehen. Da frage ich michnatürlich, wie eine militärische Institution, wie dasdie Bundeswehr ist, die, wie Bundespräsident Köh-ler, wir erinnern uns alle daran, richtigerweise ge-sagt hat, Wirtschaftswege in aller Welt für Deutsch-land sichert, die unsere Sicherheit am Hindukuschverteidigt, die Tanklaster in Afghanistan zerbombtund damit Hunderte Tote fordert, wie diese für Ge-waltfreiheit an Thüringer Schulen stehen kann. Ichfrage mich, wie eine Organisation wie der Verfas-sungsschutz, der mit geheimdienstlichen Mitteln ar-beitet, der falsche und völlig nicht akzeptable Infor-mationen auch über Neonazis verbreitet, an Thürin-ger Schulen politische Bildung machen kann.

(Beifall Abg. Bärwolff, DIE LINKE)

Und wer hier von demokratischer Kontrolle des Ver-fassungsschutzes spricht, da kann ich nur sagen,schauen wir uns das letzte halbe Jahr an, das ist jawohl ein Witz.

(Beifall DIE LINKE)

Demokratie erkämpft man nicht mit Krieg und Mili-tär und ich habe keine Lust, Kinder, Schülerinnenund Schüler, Jugendliche in der Schule vors Korneiner militärischen Organisation zu setzen. Sie kön-nen sich dem nicht entziehen und da, muss ich sa-gen, muss das politische Bekenntnis auch von ei-ner Landesregierung erfolgen, dass Bundeswehrund Verfassungsschutz an Thüringer Schulennichts zu suchen haben.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die CDU-Fraktion hat Abgeordneter Fiedler dasWort.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren! Wenn man das hört, Frau Hennig, was Siehier gerade gesagt haben, kann man nicht einfachsitzen bleiben. Ich will Sie daran erinnern, dass inder Bundesrepublik Deutschland nicht die Regie-rung entscheidet, wo die Bundeswehr hingeht, son-dern das Parlament, und das ist der Deutsche Bun-destag

(Beifall CDU, FDP)

und niemand anderes. Dass Ihre Fraktion dort nichtzustimmt, ist Ihr gutes Recht, aber noch immer ent-scheidet der Deutsche Bundestag, wie im Interesseder Bundesrepublik Deutschland hier gehandeltwird. Und dass es Fehler gegeben hat, Sie habenAfghanistan angesprochen mit dem verheerendenTanklastzug und dass danach auch Konsequenzenerfolgt sind.

(Unruhe DIE LINKE)

Da sind Konsequenzen erfolgt, in denen die Leutezur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Feh-ler begangen haben.

(Zwischenruf Abg. Hennig, DIE LINKE: Diesind doch nicht tot.)

Aber deswegen ist doch das ganze System nichtverkehrt und steht nicht etwa auf dem Boden desGrundgesetzes. Genauso haben Sie jetzt immerwieder den Verfassungsschutz ins Spiel gebracht.Wenn Einzelne Fehler begehen, dann müssen dieabgestellt werden, aber nichtsdestotrotz stehen sieauf dem Boden des Grundgesetzes und der Verfas-sung und das auch in Thüringen. Nichts ist so gut,dass es nicht verbessert werden könnte. Deswegensind wir ja gerade in der Diskussion, wo wir ent-sprechende Gesetze und Kontrollmöglichkeiten ver-bessern wollen und müssen. Es stellt sich doch nie-mand her und sagt, es ist alles wunderbar und esläuft alles, sondern ganz kritisch setzen wir uns da-mit auseinander und sagen, da, wo Fehler began-gen werden, werden sie aufgedeckt und es wird ab-gestellt. Das ist doch das Entscheidende, es gibt ei-ne parlamentarische Kontrolle.

(Zwischenruf Abg. Hennig, DIE LINKE: Wel-cher Fehler ist denn abgestellt? Nennen Siemir einen!)

Ach, Frau Hennig, ich will Ihnen nur sagen, Sie ha-ben doch mitbekommen, es gibt die Schäfer-Kom-mission, es gibt die Diskussion, die wir hier schongeführt haben, es wird weitere Diskussionen dazugeben und es wird auch noch andere Dinge dazugeben, ob Ihnen das passt oder nicht. Ich will nur

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8315

(Abg. Hennig)

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einfach darauf hinweisen, es gibt noch die Kontrolledes Verfassungsschutzes durch dieses Hohe Haus.Und da kann man sich nicht hier herstellen und sa-gen, es gibt keine Kontrolle. Wo sind wir denn nureigentlich? Sie können sich doch nicht einfach soherstellen. Deswegen sage ich Ihnen, wenn esFehler gibt, werden die aufgedeckt. Ich bin dem Mi-nister ausdrücklich dankbar, dass er das gesagthat, dass die Bundeswehr und der Verfassungs-schutz auf dem Boden der Verfassung stehen, un-ter den Gesetzen stehen. Da wird entsprechend da-nach gehandelt.

(Beifall FDP)

Die Schulkonferenzen entscheiden das vor Ort. Wirsind hier nicht in einem zentralistisch geleitetenStaat, wo Margot Honecker was vorgibt und die an-deren müssen unten folgen, sondern es ist die Mit-verantwortung unserer Leute vor Ort gefragt. Dassind natürlich in erster Linie auch die Eltern, die mitzu fragen und einzubeziehen sind, das sind dieSchüler und das sind die Lehrer. Da gibt nicht derMinister Matschie oder der Staatssekretär vor, woes langgeht. Das ist doch nun mal die Freiheit, diewir haben. Wir sollten nicht alles immer wieder aufso eine Ebene bringen, als ob da alles schlecht ist.Wenn wir den Verfassungsschutz nicht hätten,wenn Hass-CDs und Ähnliches ...

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Fiedler, ich wollte Sie an irgend-einer Stelle mal unterbrechen, jetzt habe ich es ge-schafft. Frau Abgeordnete König möchte nämlicheine Frage stellen. Gestatten Sie das?

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Ja.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Bitte, Frau König.

Abgeordnete König, DIE LINKE:

Danke schön. Danke auch, Herr Fiedler. Ich möch-te mich auf Ihre Äußerung bezüglich des - Sie nen-nen es - Unglücks beziehen mit der Bundeswehr.Vielleicht für diejenigen, die sich nicht daran erin-nern, zwei Tankwagen ...

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Ich weiß es. Mir wollen Sie doch eine Frage stellen,mir.

Abgeordnete König, DIE LINKE:

Sie sagen, das war ein Unglück. Ich würde gernvon Ihnen wissen, ob Sie sich erinnern, dass im An-schluss an das von Ihnen so bezeichnete Unglück

in dem Bundeswehrlager, das unter anderem dortmit zuständig war, T-Shirts auftauchten mit demAufdruck über zwei aufeinander zufahrenden Last-wagen „Du sollst nicht stehlen“, welche zumindestvon Teilen auch Ihrer damaligen Bundestagsfrak-tion als zynische Reaktion in Konsequenz diesesvon Ihnen so benannten Unglücks eingeordnet wur-den?

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Ich weiß nicht, Frau Kollegin König, wie Sie die Ver-bindung herstellen wollen. Wenn irgendwo Fehlerpassieren, das habe ich versucht deutlich zu ma-chen, wird dem nachgegangen von den zuständi-gen Stellen und nichts anderes. Wir haben auchschon leider Gottes in der Bundeswehr erlebenmüssen - obwohl es sonst dort hervorragend zu-geht und ich und meine Fraktion stehen zur Bun-deswehr -, da sind auch dort in der Ausbildung Feh-ler gemacht worden, die sind geahndet worden unddie Leute sind zur Verantwortung gezogen worden.Genauso ist es in den Camps, die außerhalb vonDeutschland sind. Wenn dort Fehler passieren,werden sie durch die zuständigen Verantwortlichenaufgedeckt. Das ist gut so und richtig so. Deswe-gen gibt es auch die parlamentarische Kontrolle.Deswegen gibt es auch vom Bundestag die ent-sprechenden Verantwortlichen, die für die Bundes-wehr parlamentarisch zuständig sind, wo sich allehinwenden können. Wir haben doch die Demokra-tie, Gott sei Dank haben wir die. Da kann man nichtimmer nur einseitig was herauspacken.

Deswegen, Herr Minister, ich denke, wie Sie es ge-sagt haben, das ist der vollkommen richtige Weg.Und wenn es Fehler in irgendeiner Form gibt, ichwollte nur sagen, da haben Sie mich gerade unter-brochen, wenn wir teilweise den Verfassungsschutznicht hätten, wenn die Hass-CDs, die an denSchulen verbreitet werden, dass das über den Ver-fassungsschutz aufgedeckt wird und wir das verhin-dern können, das ist doch eine gute Arbeit, die sieleisten. Da sollten wir ihnen nicht irgendwas ansZeug flicken.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt eine weitere Redemeldung seitens der Ab-geordneten Hennig von der Fraktion DIE LINKE.

Abgeordnete Hennig, DIE LINKE:

Sehr geehrter Herr Fiedler, vielleicht ist Ihnenschon einmal aufgefallen, wenn der Verfassungs-schutz einen Fehler macht oder wenn die Bundes-wehr einen Fehler macht, ist es in der Regel damitverbunden, dass Hunderte oder auch nur einMensch sein Leben verliert. In der Bauverwaltungwird eine falsche Entscheidung getroffen und einHaus kann nicht gebaut werden, da geht es umMenschenleben, da geht es um Zukunftsperspekti-

8316 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Fiedler)

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ven, da geht es um Perspektiven ganzer Länder.Genau das ist der Punkt, wo DIE LINKE ihre Kritikauch an der Bundeswehr immer und immer wiederanbringen wird und es nicht verstehen kann, wievier deutsche Parteien im Bundestag immer wiederAuslandseinsätzen zustimmen können.

(Unruhe CDU)

Und Konsequenzen ziehen heißt doch nicht, wie imFall NSU, dass ein LKA-Ermittler versetzt wird. Dasist die einzige Konsequenz, die ich bisher kenne,außer dass es einen Bericht gibt.

(Unruhe CDU)

Ich habe nicht gesagt, es gibt keine Kontrolle desVerfassungsschutzes, ich habe gesagt, die Kontrol-le ist ein Witz. Und Sie wissen selbst als PKK-Mit-glied, was Sie alles nicht wussten. Weil der Verfas-sungsschutz in Thüringen versagt hat, haben wirzehn Morde. Jetzt kann man noch mal darübernachdenken, was eine Versetzung des LKA-Ermitt-lers gegen zehn Tote ist.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich sehe jetzt keine weiteren Redeanmeldungen.Doch, ich sehe eine weitere Redeanmeldung sei-tens der Landesregierung. Minister Matschie, bitte.

Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaftund Kultur:

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch ein-mal auf den Kern der Debatte zurückkommen, wirsind jetzt dabei, eine Debatte über Bundeswehr undVerfassungsschutz zu führen.

(Beifall CDU, SPD)

Der Kern der Debatte ist eigentlich: Sollen wir unse-ren Schulen von oben mit engen Kriterien vor-schreiben, was sie in dieser Frage Kooperation mitaußerschulischen Partnern, Ausstellung usw. zutun haben?

Ich will hier noch einmal deutlich machen, wir ha-ben, was den Sozialkundeunterricht angeht, klarefachliche Vorgaben. Wir haben eine klare Orientie-rung auch am Beutelsbacher Konsens. Die Grund-prinzipien, die dort niedergelegt sind, werden aner-kannt im Unterricht. Ich weiß nicht, ob einige vonIhnen, werte Kolleginnen und Kollegen, vielleichtmal Gelegenheit hatten, einen solchen Sozialkun-deunterricht zum Beispiel auch mit einem Jugend-offizier der Bundeswehr zu erleben. Das ist keineWerbeveranstaltung für die Bundeswehr, sonderndas ist auch eine kritische Auseinandersetzung vonSchülerinnen und Schülern mit dieser Institution.

(Beifall CDU, SPD)

Im Übrigen ist in der Bundeswehr selbst auch einekritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Auf-

trag da, mit dem eigenen Verhalten da. All das er-möglichen unsere demokratisch konstituierten Or-ganisationen. Man kann ja der Auffassung sein, ichwill die Bundeswehr nicht mehr. Dann müssen Siedas so deutlich sagen. Aber wir haben diese Institu-tion, sie steht auf dem Boden der Verfassung unddeshalb haben auch die Schulen die Möglichkeit,sich mit der Bundeswehr auseinanderzusetzen.Das Gleiche gilt für den Verfassungsschutz.

(Beifall CDU)

Natürlich kann ich der Auffassung sein, dass dieMist gebaut haben, dass die Fehler gemacht ha-ben. Aber deshalb kann ich doch nicht den Schulenverbieten, sich damit auseinanderzusetzen und sichzum Beispiel Vertreter einzuladen oder Ausstellun-gen an die Schule zu holen.

(Beifall CDU, SPD)

Das Recht, darüber zu entscheiden, liegt zum einenTeil, was die Zusammenarbeit mit außerschuli-schen Partnern und Organisationen angeht, bei derSchulkonferenz, wenn es um bestimmte Veranstal-tungen geht, muss der Schulleiter es genehmigen.Ich finde, damit sind ausreichend Grundlagen ge-legt, auf denen sich die Schulen bewegen können.Mein Ziel ist, dass wir eigenverantwortliche Schulehaben, dass wir nicht mit Dirigismus von oben nachunten Schule machen,

(Beifall CDU, SPD)

sondern dass Schule selbst gestaltet in eigenerVerantwortung von Eltern, Lehrern und Schülern.Deshalb ist mein Ziel, die Schulkonferenz zu stär-ken und nicht Vorgaben von oben nach unten zumachen. Ich hoffe, ich werde hier im Hause dabeiunterstützt.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt eine weitere Redeanmeldung, für die Frak-tion DIE LINKE Abgeordneter Bärwolff.

Abgeordneter Bärwolff, DIE LINKE:

Ja, Herr Barth, ich war auch mal in der Schule.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, aberes gibt auch einen wesentlichen Unterschied. DieBundeswehr ist ein Instrument, wo Menschen dasHandwerk des Tötens lernen. Das findet doch ander Schule statt.

(Unruhe CDU)

(Zwischenruf Abg. Kellner, CDU: Auch Lebenzu retten.)

Ich habe doch nichts dagegen, dass sich dieSchulen kritisch mit gesellschaftlichen Institutionender Bundesrepublik Deutschland auseinanderset-zen, aber genau die gleiche Art und Weise, wie wir

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8317

(Abg. Hennig)

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Diskussionen über Kriegseinsätze an der Schulebrauchen und genau die gleiche Art und Weise, wiewir Diskussionen über Verfassungsschutz an derSchule brauchen. Uns als Abgeordnete zum Bei-spiel ist es nicht ohne Weiteres möglich, in Schulenzu kommen. Da stehen dann immer die Demokratieund die Neutralitätspflicht der Schule im Vorder-grund. Wir als Abgeordnete sind konstitutives Ele-ment unserer Gesellschaft, die Bundeswehr nicht,der Verfassungsschutz auch nicht. Ich denke, dasswir hier noch mal ganz klar auch gewichten müs-sen: Warum ist es denn für Abgeordnete nicht ohneWeiteres möglich, an Schulen Veranstaltungen zumachen und zu diskutieren? Das ist doch wirklichder immanente Unterschied.

(Beifall DIE LINKE)

Die Bundeswehr hat einen ganz klaren Auftrag undein ganz klares Ziel. Ich glaube, dass wir das nichtaußer Acht lassen dürfen,

(Unruhe FDP)

und ich glaube, dass es wichtig ist, sich sehr kri-tisch damit auseinanderzusetzen.

(Unruhe im Hause)

Denn jedes Mal, das hören wir immer wieder vonSchülerinnen und Schülern, wenn in solchen Ver-anstaltungen kritische Fragen gestellt werden, wirdeben nicht darauf eingegangen, sondern dann heißtes, wir unterhalten uns hinterher noch einmal imStillen darüber. Das ist der Punkt, der durchausnoch mal kritisch angesprochen werden muss.Wenn Sie sich mit Schülern unterhalten, werdenSie diese Erfahrung sicherlich auch machen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt eine Redemeldung des Ministers und vonder Frau Abgeordneten Hitzing. Würden Sie jetztnoch Frau Abgeordnete Hitzing vorlassen? Bitte,Frau Abgeordnete Hitzing für die FDP-Fraktion.

Abgeordnete Hitzing, FDP:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Da-men und Herren, ich möchte nur zwei/drei Sätze zudiesem Thema noch mal sagen. Ich bin erstens,das ist den meisten hier im Haus bekannt, Lehrerin,und das auch durch einen veränderten Arbeitsver-trag aktiv. Das heißt, ich habe schon die Möglich-keit, mit vielen Schülerinnen und Schülern zu spre-chen, denn die jungen Leute, die ich unterrichte,sind im Alter zwischen 5. und 10. Klasse, also ichbin Regelschullehrerin. Punkt 1. Zweitens bin ichMutter einer Soldatin. Und an dieser Stelle sprecheich jetzt, und da kommen mir die Tränen, für dieMütter und die Familien von Soldaten und Väterauch. Es gibt auch Kollegen bei Ihnen, die damit

genauso zu tun haben wie ich jetzt. Es ist infam,hier festzustellen, dass junge Leute, die sich fürden Dienst bei der Bundeswehr, einer Institutionder Bundesrepublik Deutschland und im Diensteder Bundesrepublik Deutschland, hier zu sagen, diehaben überhaupt keine anderen Perspektiven, diesind eventuell zu dumm, was anderes zu finden.Hochintelligente junge Leute gehen in die Bundes-wehr und entscheiden sich für diesen Beruf.

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: ZumSchutz der Bundesrepublik.)

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Und dies nehme ich auch für meine Tochter in An-spruch. Ich verbitte mir einfach solche infamen,ganz flachen Behauptungen. Danke.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Minister Matschie, bitte.

Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaftund Kultur:

Herr Kollege Bärwolff, ich wollte noch mal auf Siereagieren, weil Sie hier gesagt haben, Abgeordnetedürfen nicht in Schulen eingeladen werden. Das willich noch mal klarstellen. Was verboten ist anSchulen, ist Parteienwerbung.

(Beifall CDU)

Aber natürlich können auch Abgeordnete anSchulen eingeladen werden, wenn der Schulleiterdem zustimmt. Ich selbst bin als Abgeordneter auchüber die Jahre immer wieder mal an Schulen einge-laden gewesen und musste mich im Sozialkunde-unterricht der Debatte mit Schülern stellen.

(Beifall CDU)

Das ist selbstverständlich in unseren Schulen mög-lich, um das noch mal klarzustellen.

(Unruhe FDP)

Aber was nicht möglich ist, und deshalb gilt auchder Beutelsbacher Konsens, dass man die Schülerindoktriniert, dass man Parteienwerbung dort be-treibt,

(Beifall CDU)

aber die Auseinandersetzung mit der Demokratie,mit dem Parlament, mit den Aufgaben eines Abge-ordneten, das ist selbstverständlich im Sozialkun-deunterricht möglich.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemer-kung, da geht es mir ein bisschen wie Frau Hitzingan dieser Stelle. Ich persönlich bin der Überzeu-gung, die Demokratie muss auch wehrhaft sein.

(Beifall CDU)

8318 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Bärwolff)

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Wir leben heute nicht in einer Welt, wo wir daraufverzichten können. Und wer Demokratie will, dermuss sie auch schützen können, und dazu gibt esInstitutionen und dazu muss ein Parlament auchstehen.

(Beifall CDU, SPD, FDP)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich schaue jetzt mal in die Runde, es gibt keineweiteren Redeanmeldungen. Da in Parlamentsde-batten ja die Präsidentin das letzte Wort hat, stelleich erst mal fest, dass das Berichtsersuchen nachNummer I des Antrags erfüllt ist. Es erhebt sich da-gegen kein Widerspruch. Mir ist jetzt nicht ganz klargeworden, wie wir verfahren, denn es ist immer vonder Ausschussberatung gesprochen worden. Nungibt es auf die Nummer I bezogen natürlich dieMöglichkeit der Fortberatung des Berichts im Aus-schuss und natürlich dann die Überweisung derNummer II und des Antrags der LINKEN an denAusschuss. Deswegen frage ich einmal: War es sozu verstehen, dass über die Fortberatung des Be-richts im Ausschuss entschieden werden soll? Ja,es wird mir so von den Fraktionen signalisiert.

Dann lasse ich darüber abstimmen, dass die Fort-beratung dieses Berichts im Ausschuss für Bildung,Wissenschaft und Kultur erfolgt.

Ich werde darauf hingewiesen, die Fraktionen ha-ben das Berichtsersuchen verlangt und demzufolgeauch zugestimmt, dass dieser Antrag gestellt wird.Diesen Antrag lasse ich jetzt abstimmen, die Fort-setzung oder Fortberatung des Berichts im Aus-schuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Werdiesem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Hand-zeichen. Das sind die Stimmen aus den FraktionenDIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, Tei-le der CDU, die ganze CDU-Fraktion. Damit ist dasjetzt erst einmal festgestellt. Ich frage nach Gegen-stimmen. Die Gegenstimmen kommen aus derFDP-Fraktion und von zwei Personen der CDU-Fraktion. Ich frage nach Stimmenthaltungen?Stimmenthaltungen gibt es nicht. Mehrheitlich wirddieser Bericht im Ausschuss für Bildung, Wissen-schaft und Kultur fortberaten.

Jetzt kommen wir zu Nummer II aus dem Antragder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Hier istoffensichtlich auch mit den verbalen BekundungenAusschussüberweisung beantragt worden. Überdiese Ausschussüberweisung stimmen wir jetzt ab.Wer die Nummer II

(Zwischenruf Abg. Bärwolff, DIE LINKE: Dassagt ja keiner.)

des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaftund Kultur überweisen möchte, den bitte ich jetztum das Handzeichen. Bitte hören Sie mir auch biszum Schluss immer zu! Das sind die Stimmen aus

den Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, SPD und CDU. Danke. Ich frage nachden Gegenstimmen? Das sind die Stimmen aus derFDP-Fraktion und 2 Stimmen aus der CDU-Frak-tion. 3 Stimmen? 4 Stimmen aus der CDU-Fraktion.Gibt es Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungengibt es nicht. Mehrheitlich ist die Ausschussüber-weisung an den Ausschuss für Bildung, Wissen-schaft und Kultur abgestimmt worden.

Nun kommen wir zur Abstimmung zum Alternativ-antrag der Fraktion DIE LINKE. Hier ist auch Aus-schussüberweisung an den Ausschuss für Bildung,Wissenschaft und Kultur beantragt worden. Werdiesem seine Zustimmung gibt, den bitte ich jetztum das Handzeichen. Das sind die Stimmen ausden Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN. Ich frage jetzt nach den Gegenstimmen?Das sind die Stimmen aus der SPD-Fraktion, derCDU-Fraktion und der FDP-Fraktion. Ich frage nachStimmenthaltungen? Die gibt es nicht. Diese Aus-schussüberweisung ist abgelehnt worden.

Demzufolge stimmen wir nun direkt über den Alter-nativantrag der Fraktion DIE LINKE in Drucksa-che 5/4401 ab. Wer diesem seine Zustimmung gibt,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sinddie Stimmen aus der Fraktion DIE LINKE. Ich fragenach den Gegenstimmen? Das sind die Stimmenaus allen anderen Fraktionen. Gibt es Stimmenent-haltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. DerAlternativantrag ist abgelehnt worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 14 und rufeauf den Tagesordnungspunkt 15

Beteiligung an der LandesbankHessen-Thüringen aufgebenAntrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4358 -

Es gibt, glaube ich, nicht den Wunsch nach einerBegründung des Antrags?

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Doch, meine Fraktionmöchte den Antrag gern begründen.)

Und wer sollte das tun?

(Zuruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wird unser Finanzpoli-tiker Carsten Meyer tun.)

Dann würde ich da gern den finanzpolitischen Spre-cher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurBegründung des Antrags in der Drucksache 5/4358aufrufen.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8319

(Minister Matschie)

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Abgeordneter Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich will wirklich nurganz kurz begründen und damit den Bogen schla-gen, warum wir dieses Thema heute auf der Tages-ordnung haben, eigentlich schon das letzte Maldrauf hatten, aber nicht mehr aufgerufen werdenkonnte. Ich hoffe auch darauf, dass die Debattejetzt einen anderen emotionalen Verlauf nimmt, alsdie beiden vorherigen Tagesordnungspunkte. Ichglaube, darauf kann ich mich verlassen.

Der Anlass der Einbringung dieses Antrags, die Be-teiligungen an der Hessisch-Thüringischen Landes-bank aufzugeben, ist zum einen ein ganz formaler,wenn man so möchte. Grundsätzlich sollte - und dawürde sicherlich auch Konsens in diesem HohenHause herrschen - das Beteiligungsportfolio desLandes regelmäßig auf seine Sinnhaftigkeit über-prüft werden. Sinnhaftigkeit einer Beteiligung einesLandes sind regelmäßig zwei Aspekte. Der politischgewollte Zweck muss noch erreichbar sein mit derBeteiligung und sie muss werthaltig sein, sie mussalso wirtschaftlich darstellbar sein.

Das wäre noch nicht der Grund dafür, heute genaukonkret über die Helaba zu reden. Wir bringen denAntrag heute, respektive schon beim letzten Malein, weil konkret bei der Hessisch-ThüringischenLandesbank durch eine wichtige Änderung in derGeschäftspolitik die Möglichkeit besteht, eine mögli-che Abwägung auch in Richtung Aufgabe der Betei-ligungen vornehmen zu können. Das ist nämlichnicht zu jedem Zeitpunkt der Fall, der Zeitpunkt jetztist da und deshalb heute dieser Antrag. Ich freuemich auf die Debatte. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich eröffne nun die Aussprache zu diesem Antragund rufe als Erste auf für die CDU-Fraktion FrauAbgeordnete Lehmann.

Abgeordnete Lehmann, CDU:

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen,Ziel dieses Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN ist, dass wir unsere Beteiligung in Höhevon 5 Prozent, also in Höhe von 153,4 Mio. € ander Landesbank Hessen-Thüringen aufgeben sol-len. So habe ich den eben von Herrn Kollegen Mey-er begründeten Antrag verstanden. Sie stellen da-bei auf unsere Landeshaushaltsordnung ab, wo-nach das Land nur dann eine Beteiligung eingehensoll, wenn ein wichtiges Landesinteresse an derBeteiligung besteht und sich vom Land angestrebteZiele nicht besser oder wirtschaftlicher auf andereArt und Weise erledigen lassen. Soweit zu der Vor-schrift. Dass man auch immer mal die Beteiligun-gen anschaut und hinterfragt, ob sie noch sein

müssen, dagegen spricht auch nichts. Allerdingswerde ich Ihnen jetzt gleich begründen, warum wirdas bei der Helaba eben so sehen, dass wir an derBeteiligung festhalten möchten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieserAntrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENverwundert uns nämlich an dieser Stelle schon.Aufgrund von Aussagen des Wirtschaftsministers inden vergangenen Monaten, die immer mal kamen,habe ich mich dann schon gefragt, ob Sie gemein-sam diesen Antrag verfasst haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Hela-ba ist eine der am besten am Markt aufgestelltenLandesbanken, das steht für uns fest und das istauch gut so. Mit 492 Mio. € vor Steuern, erzielte dieHelaba 2011 ihr bestes Konzernergebnis seit ihremBestehen überhaupt. Die Träger erhalten im Durch-schnitt eine Dividende von 6 Prozent, zuletzt sogar8 Prozent. Die Anforderungen an Basel III werdendurch die Helaba erfüllt. Die Helaba ist die Ver-bundbank für unsere Thüringer Sparkassen und mitstarkem regionalen Fokus ausgerichtet. Die Helabahat Aufgaben und Verantwortung, die man ebennicht mit einem Handstreich ad acta legen sollteund darf.

Meine Damen und Herren, viele der positiven Da-ten und Fakten, die ich hier auch nicht alle aufzäh-len möchte, können Sie aus der Presseinformationder Helaba im Internet vom 29. März dieses Jahreszum Jahresabschluss 2011 entnehmen. Bereits öf-ter im vergangnen Jahr war ja die Helaba Gegen-stand der Diskussion oder von Anträgen hier imLandtag, aber auch im Haushalts- und Finanzaus-schuss. So gab es zum Beispiel in der AktuellenStunde im November das Thema Helaba und aucheine Anfrage des Abgeordneten Hausold dazu. DieMeinung der CDU-Fraktion ist unverändert, dasswir als Land mit unserer Beteiligung nach wie vorsehr gut aufgehoben sind und dass die Helaba bis-lang gut und sicher durch alle Turbulenzen der Fi-nanzmärkte gekommen ist. Das ist eben nicht in al-len Bundesländern so. Deswegen möchten undwerden wir auch nicht an unserer Helaba-Beteili-gung rütteln, um dies auch gleich klarzustellen.

Das habe ich auch bei unserem Arbeitsbesuch un-seres Haushalts- und Finanzarbeitskreises in dervorletzten Woche dem Vorstandsvorsitzenden derHelaba, Herrn Brenner, in Frankfurt deutlich ge-macht. Natürlich verfolgt man auch in Frankfurt,was hier bei uns im Thüringer Landtag so bespro-chen wird und welche Themen im Zusammenhangmit der Helaba beraten werden. So wird natürlichauch verfolgt, wie die Bestrebungen Einzelner sind,diese gute Beteiligung und die gute Zusammenar-beit zu torpedieren bzw. aufzukündigen.

Wir sind nicht der Auffassung, dass in Zeiten knap-per Kassen alles Tafelsilber verscherbelt werdensollte, sondern wir sagen, man soll an dem Bewähr-

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ten festhalten. Einige Gründe, warum es sich be-währt hat, beteiligt zu sein an der Helaba, habe ichja eben dargestellt.

Aus dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN geht für uns auch nicht hervor, was Siemit den 153 Mio. eigentlich machen wollen. DasGeld kann man auch nur einmal ausgeben. Ich ha-be eben gesagt, man muss nicht alles Tafelsilberverscherbeln, sondern man muss sich gut überle-gen was Sinn macht und wo man bleiben soll. Beider Helaba haben wir eine ganz klare Aussage alsCDU-Fraktion schon immer getroffen und dabeibleibt es auch.

Für uns ist auch offen, das haben Sie in Ihrem An-trag auch nicht deutlich gemacht, wer dann IhrerMeinung nach diese Aufgabe als Landesbank fürThüringen mit welchem finanziellen Hintergrund -denn auch da braucht es dann natürlich Geld, wennSie da etwas ändern wollen - oder mit welchemPersonal übernehmen soll. Deswegen ist Ihr Antragaus unserer Sicht unvollständig und ökonomischwie auch politisch nicht geeignet. Er enthält keineAussagen darüber, wer die Beteiligung erwerbensoll bzw. was aus dem Veräußerungserlös werdensoll. Aus unserer Sicht ist es so, dass das Drei-Säulen-System der deutschen Bankenlandschaftnicht gefährdet werden darf. Deswegen würdendann als einziger Käufer für den Anteil des Frei-staats der Sparkassen- und Giroverband bzw. dieregionalen Sparkassen in Betracht kommen. Mitdem Blick auf die Anforderungen nach Basel IIIkönnten unsere Thüringer Sparkassen eine solchezusätzliche Belastung eher nicht verkraften. Unge-achtet dessen ist die Helaba aktuell mit 11 Mrd. €Geschäftsvolumen in Thüringen aktiv und damitauch ein entscheidender Wirtschaftsfaktor bei unsim Freistaat. Außerdem wäre das auch politisch einfatales Signal für alle Beschäftigten in der Nieder-lassung Erfurt, wenn der Freistaat seine Beteiligungaufgeben würde.

Als Kommunalbank bietet die Helaba dem Freistaatund den Gebietskörperschaften ihr komplettesDienstleistungsspektrum an. Sie ist unsere Haus-bank, die Hausbank des Freistaats Thüringen. Seit1996 wickelt die Helaba den Zahlungsverkehr desFreistaats ab und der Kreditbestand beläuft sichnach unserem Kenntnisstand auf 750 Mio. €. Seit2001 hat der Freistaat Schuldscheindarlehen imVolumen von 2,3 Mrd. € über die Helaba abge-wickelt. Die Helaba ist Partner der Kommunen undauch der kommunalnahen Unternehmen in Thürin-gen. Die Helaba eröffnet den Kommunen und ihrenUnternehmen den Zugang zu modernen Finanzin-strumenten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Frei-staat Thüringen zahlte damals 153 Mio. € an denSparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen.

Der Stammkapitalanteil beträgt 5 Prozent,23,85 Mio. €.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion im Landtag ist der Auffassung, dass unterBerücksichtigung all dieser Dinge eine Beteiligungan der Landesbank Helaba auf jeden Fall aus unse-rer Sicht bleiben soll und muss und auch vollauf ge-rechtfertigt ist. Nur so kann die regionale Kreditver-sorgung im Verbundgeschäft der Thüringer Spar-kassen auch flächendeckend zukünftig sicherge-stellt werden. Unsere kleinen und mittelgroßenSparkassen wären ohne die Landesbank sicherlichnicht in der Lage, alle heute üblichen Bankdienst-leistungen anbieten zu können. In § 65 der Landes-haushaltsordnung ist die Frage der Beteiligung ge-nau geregelt. Wir haben uns das angeschaut undsind der Auffassung, dass die Anforderungen derLandeshaushaltsordnung erfüllt sind, insbesonderenach dem benannten § 65 Abs. 1 Nr. 3 auch derhinreichende Einfluss auf die Landesbank und ihreÜberwachungsorgane sichergestellt ist, bei strategi-schen Beteiligungsmaßnahmen gemäß § 10 Abs. 4der Helaba-Satzung das Einstimmigkeitserforderniszwischen den Trägern gilt. Ich habe dazu auch einePressemitteilung am 29. Mai herausgegeben. Da istnoch mal einiges dazu gesagt, auch auf die Zahlenhingewiesen.

Wir als CDU-Fraktion würden aus den vorgenann-ten Gründen Ihren Antrag auch gleich heute ableh-nen. Unser Koalitionspartner möchte jedoch aucherst Gespräche mit der Helaba führen und deswe-gen können wir es uns auch gern in den Haushalts-und Finanzausschuss als Aufgabe heute übertra-gen lassen und dort diesen Tagesordnungspunktweiterberaten. Aber an unserer Meinung als CDU-Fraktion wird sich nichts mehr ändern. Dankeschön.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Fraktion DIE LINKE hat Abgeordneter Hu-ster das Wort.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENliegt vor. Frau Lehmann hat ja eine ganze Mengean Argumenten genannt aus ihrer Sicht, die für dasHalten der Beteiligung sprechen. Frau Lehmann hatauch erwähnt, dass sich der Haushalts- und Fi-nanzausschuss im letzten Jahr mehrmals mit derThematik befasst hat.

In der Debatte gibt es Pro und Kontra, wie das übli-cherweise so ist, aber auch hier halten sich, denkeich, die Argumente und die Ansichten durchaus dieWage und sie haben natürlich auch hier eine partei-politische Note in der Koalition. Das will ich nur ein-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8321

(Abg. Lehmann)

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mal feststellen, weil ich denke, dass man das nichtganz außer Acht lassen sollte. Grundsätzlich ist ausunserer Sicht klar, bei Beteiligungsverkäufen gehenwir als LINKE zurückhaltend an die Sache ran,

(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)

genauso wie wir bei Käufen dafür plädieren, auchsehr umfassend im Vorfeld zu prüfen, wenn manEigentum erwirbt bzw. wenn man welches verkauftund das auch für die entsprechenden Anteile gilt.Der Finanzminister hat im Haushaltsausschussmehrmals seine Sicht der Dinge dargelegt. Es istdurchaus bedauerlich, dass wir das miteinanderjetzt schlecht kommunizieren können.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Doch.)

Er hat es dargelegt und das Halten der Beteiligungaus seiner Sicht begründet. Ein Anlassthema, dasüberhaupt zu debattieren, war die Frage, was mussgetan werden, um die Helaba im Zuge von Basel IIIzukunftsfester zu machen. Das war ein Thema, wasuns interessiert hat. Genauso ging es um die gene-relle Frage, was passiert jetzt infolge der Restruktu-rierung der Landesbanken: Wird die Helaba sichentsprechend an anderen Instituten zukünftig stär-ker beteiligen - mit anderen Worten -, wird siewachsen, wird sie mehr Einfluss haben? Und esschloss sich die Frage an, ob Thüringen infolge die-ses Prozesses mit seinen 5 Prozent am Ende desTages eher gestärkte Einflussmöglichkeiten hatoder ob sie in so einem Prozess eher unsicherer,geschwächter hervorgeht. Auch da ist die Positionvon Dr. Voß bekannt, der die Gefahren eher weni-ger sieht und für das Halten plädiert.

Einen Kritikpunkt will ich auch noch erwähnen, weil,Frau Lehmann, Sie es angesprochen haben, dasbetrifft die Dividende. Also zumindest im FreistaatThüringen ist die Diskussion ja tatsächlich vorhan-den, die sagt, gemessen an dem, was wir dort ein-gebracht haben, kommt zu wenig für uns auch ausSicht des Haushalts heraus. Das sind alles Sichten,die, wie ich finde, gar nicht so leicht zu bewertensind. Deswegen, Herr Meyer, Ihr Antrag hilft, dasswir wieder in die Debatte kommen, dass wir mögli-cherweise auch eine zügige Debatte führen, den-noch wenden wir uns zum heutigen Tag gegeneinen Schnellschuss in dieser Frage, sondern wirwollen tiefer mit Ihnen darüber diskutieren. Insofernstört in Ihrem Antrag das Wort „schnellstmöglich“.Wenn wir uns aber über eine Ausschussüberwei-sung verständigen können, denke ich, wäre dassachgerecht auch heilbar.

Herr Meyer, es fällt natürlich auf - Frau Lehmannhat es erwähnt -, Sie haben in Ihrem Antrag nichtgesagt, welche mögliche Verwendung Sie für mög-liche Erlöse vorsehen. Auch da gibt es aus unsererSicht zumindest drei Dinge in der Diskussion. HerrBarth, wenn ich jetzt Ihre folgenden Anträge sehe,

die sagen, jede Einnahme grundsätzlich zur Tilgungvon Schulden nehmen, könnte ich mir vorstellen, esfindet sich jemand, der sagt, also stoßt die Beteili-gung ab und nehmt das Geld zur Schuldentilgung.Das könnte ein Argument oder ein Vorschlag sein.Aber es gibt zwei Vorschläge, die aus meiner Sichternster zu nehmen sind, das eine ist die Frage ei-nes Zukunftsfonds für Thüringen, den DIE LINKEim Jahr 2009 schon aufgeworfen hat. Da kann mandarüber diskutieren, was man unter einem Zu-kunftsfonds versteht, was künftige Felder seinkönnten, und denkt man das mehr investiv - alsoich sage nur einmal das Stichwort Energiewende -oder denkt man das investiv durchaus auch im Sin-ne von Fragen von Bildung und Kultur. Also dakann man durchaus offen diskutieren.

Das dritte Feld, und da sind wir wieder im ThüringerLandtag, das ist die Debatte, die im Wirtschaftsaus-schuss geführt wurde. Sie ist ja da und die Proto-kolle des Wirtschaftssausschusses liegen da. Auchder Wirtschaftsausschuss hat sich seit Längeremzwar nur indirekt mit der Problematik Helaba be-fasst, aber die Debatte geführt, was müssen wir inThüringen tun, um insbesondere auf die Zeit nach2014 vorbereitet zu sein, wenn wir mit sinkendenEU-Mitteln rechnen müssen? Und die Frage, die imWirtschaftsausschuss diskutiert wurde: Sind wir mitunseren Instrumenten der Wirtschaftsförderung hin-reichend vorbereitet oder muss es Veränderungengeben? Zumindest an diesem dritten Punkt ver-knüpft sich in etwa die Debatte, nämlich die Frage,wenn wir Geld brauchen, um Strukturveränderun-gen mit unseren Instrumenten, mit unseren Institu-ten zu führen, könnte nicht ein möglicher Verkaufder Helaba-Anteile, also ein Teil zumindest, in dieRefinanzierung dieser Umstrukturierung gehen.

Meine Damen und Herren, das, denke ich, sind al-les Fragen, die man intensiv miteinander diskutie-ren sollte. Für uns als LINKE sollte die Debatte er-gebnisoffen, aber auch ergebnisorientiert geführtwerden, also nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tagverschoben werden. Deshalb unterstützen wir das,was Frau Lehmann hier schon beantragt hat, dieÜberweisung an den Haushalts- und Finanzaus-schuss. Wir würden aber genauso beantragen,auch im Ausschuss für Wirtschaft, Technologie undArbeit diesen Antrag weiterzuberaten. Ich kann mirauch vorstellen, dass auf der technischen Ebenedie Kollegen beider Ausschüsse miteinander dieDebatte führen, weil unter dem Schlagwort ergeb-nisorientiert, denke ich, wäre auch das sachge-recht. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich AbgeordneterDr. Pidde zu Wort gemeldet.

8322 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Huster)

Page 47: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es istschon erwähnt worden, dass wir zum Thema Betei-ligung an der Landesbank Hessen-Thüringen, derHelaba, schon im zurückliegenden Jahr diskutierthaben. Der Wirtschaftsminister hatte die Frage auf-geworfen, ob die eingesetzten Mittel des Freistaatszur Beteiligung am Stammkapital der Helaba in die-ser Form tatsächlich den größten Nutzen für denFreistaat bringen. Wir hatten daraufhin im Haus-halts- und Finanzausschuss eine Selbstbefassung,auch das ist schon genannt worden, dass wir da-rüber beraten haben. Hierbei ging es um die Folgender von der Europäischen Bankenaufsicht geforder-ten Härtung der stillen Einlagen der Helaba, damitdiese als Kernkapital anerkannt werden. Der Fi-nanzminister konnte hierbei glaubhaft machen,dass auch danach die Interessen des FreistaatsThüringen entsprechend gewahrt sind.

Meine Damen und Herren, es gibt aber neue Ent-wicklungen, die es notwendig machen, die Beteili-gung Thüringens an der Helaba im Auge zu behal-ten. So übernimmt die Helaba von der WestLB de-ren Geschäft mit den Sparkassen, die sogenannteVerbundbank. Mit der Übernahme der Verbund-bank ändert sich der Kreis der Helaba-Eigentümer.Die Eigentümer der Verbundbank, nämlich einer-seits der Sparkassenverband Westfalen-Lippe undandererseits der Rheinische Sparkassenverbandziehen in den Trägerkreis und in den Verwaltungs-rat der Helaba ein. Dazu kommt, dass sich auchandere Landesbanken bei der Helaba einkaufen,indem sie der Verbundbank 250 Mio. Eigenkapitalzuschießen. Aus Sicht der SPD-Fraktion ergebensich dadurch eine ganze Reihe von Fragen: WelcheFolgen werden sich aus der Übernahme der Ver-bundbank und der Erweiterung des Eigentümerkrei-ses an der Helaba für den Freistaat Thüringen undfür unsere Beteiligung ergeben? Gibt es eine Ver-besserung der bisherigen Anteile? Gibt es eine Ver-besserung der bisherigen Mitsprachemöglichkei-ten?

Meine Damen und Herren, die gestellten Fragenführen gleichwohl nicht dazu, dass die SPD-Frak-tion das Engagement Thüringens bei der Helaba soeinfach aufgeben will und schon gar nicht Schnell-schüsse oder Ähnliches. Natürlich gibt es ein stra-tegisches Interesse, die Anteile jetzt zu halten. Soist Thüringen zumindest angebunden an den Dis-kussionsprozess. Ohne diese Anteile gingen dieanstehenden weitreichenden Entscheidungen kom-plett am Freistaat Thüringen vorbei. Natürlich hatder Freistaat ein Interesse daran, dass die Helabaim Verbund mit den Thüringer Sparkassen auchweiterhin eine wichtige Säule der Kreditwirtschaft inThüringen bildet. Auch deshalb müssen Verände-rungen in der Eigentümerschaft, wenn man siedenn überhaupt haben will, sehr gut überlegt sein.Diesen Diskussionsprozess möchten wir gern im

Haushalts- und Finanzausschuss fortsetzen. Dankeschön.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die FDP-Fraktion hat Abgeordneter Barth dasWort.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnenund Kollegen, Gegenstand, das ist gesagt worden,des vorliegenden Antrags ist die Aufforderung andie Landesregierung, die Beteiligung an der Lan-desbank Hessen-Thüringen, das ist der volle Namedes Kindes, das mit dem Kürzel Helaba bezeichnetwird, schnellstmöglich zu veräußern. Grundsätzlichist aus meiner Sicht, aus Sicht meiner Fraktion da-zu zu sagen, der Staat ist nicht der bessere Ban-kier. Das haben die Erfahrungen mit vielen Landes-banken in den zurückliegenden Jahren gezeigt -während der Finanzkrise, aber auch schon vorher.Ohne jetzt auf Details einzugehen, es hat in fast al-len Landesbanken Turbulenzen gegeben: West-LB,Bankgesellschaft Berlin, Bayerische Landesbank,die HSH Nordbank, auch die Sachsen-LB. Proble-me, Skandale, Verluste, mit allem, was hintendranhängt, hat es überall gegeben. Auch die Privatban-ken sind da nicht ungeschoren davongekommen.Deswegen gilt nun die Erkenntnis, der Staat istnicht der bessere Bankier.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Aberdie Privatbanken sind nicht dabei.)

Der Staat ist nicht der bessere. In den Landesban-ken haben überall Politiker in den Aufsichtsrätengesessen und alle Entscheidungen, die zu diesenEntwicklungen beigetragen haben, zumindest mit-getragen,

(Beifall FDP)

ob bewusst oder mit Absicht, das sei mal dahinge-stellt. Die Lehre bleibt, der Staat kann es nicht bes-ser. Deswegen sind wir grundsätzlich der Meinung,dass Landesbanken, also die Beteiligung des Lan-des an Kreditinstituten, eine mindestens entbehrli-che Einrichtung ist. Und diese Einschätzung wirdauch dadurch zunächst nicht geschmälert, dass dieHelaba im Gegensatz zu vielen anderen Landes-banken, soweit ich das einschätzen kann, eine guteArbeit geleistet hat und auch gut durch die Finanz-krise gekommen ist. Zur Wahrheit gehört, dasshierzu unser Partnerland in dem Institut und unserNachbarland Hessen einen nicht unerheblichenBeitrag geleistet hat, indem Hessen seinerseits sei-ne Einlagen gehärtet hat. Ich habe den Finanzmi-nister mal gefragt, er sagt, mit 1,9 Mrd. € hat dasLand Hessen das getan.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8323

Page 48: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

Meine Damen und Herren, wir glauben, dass diePolitik nicht versuchen sollte, der bessere Bankierzu sein. Die Politik sollte sich darauf beschränkenzu versuchen, der bessere Finanzmarktreguliererzu werden, anstatt im Bankgeschäft mitmischen zuwollen.

(Beifall FDP)

Nicht Banktransaktionen, sondern effektive Bank-und auch Marktregulierung, das ist die Aufgabe fürPolitik und Verwaltung, das aber grundsätzlich nachdem Motto, nicht so viel wie möglich, sondern soviel wie nötig, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Hier gibt es durchaus viel zu lernen und auch nochviel zu tun. Ich glaube, dass in der Vergangenheitleider zu viele Fehler im Bereich der Finanzmarktre-gulierung gemacht wurden. Ich erinnere nur an dieZulassung der Hedgefonds im Rahmen des Invest-ment-Modernisierungsgesetzes im Jahr 2004 unterder damaligen rot-grünen Bundesregierung, ohnedass die Regulierung dieser Fonds auch nur im An-satz, möchte man fast sagen, durchdacht war.

Für uns als FDP-Fraktion steht fest: Finanzmärktebrauchen, wie alle anderen Märkte übrigens auch,grundlegende Regeln, die einen verlässlichen Rah-men für die Akteure, die in den Märkten unterwegssind, festlegen und bieten.

(Beifall FDP)

Zum Thema Beteiligung des Landes an der Helabaist also durchaus festzustellen, dass es gute Grün-de gibt, die Frage, die im Antrag aufgeworfen wird,zu stellen: Warum soll der Freistaat Anteile an die-ser Bank halten? Allerdings stellen sich weitereFragen, die hier auch von meinen Vorrednerinnenund Vorrednern schon angesprochen worden sind.Warum kommt dieser Antrag ausgerechnet jetztund ausgerechnet von den GRÜNEN? Es stellt sichauch die Frage, wer unter den aktuellen Umstän-den die Anteile überhaupt kaufen soll? Es stellt sichdie Frage,

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE:Warum jetzt nicht?)

wie hoch der Erlös sein würde, wenn man die Ver-äußerung der Anteile zum jetzigen Zeitpunkt unterZeitdruck schnellstmöglich, das ist von beiden Vor-rednern gesagt worden, erfolgen soll. Das müsstenach diesem Beschluss ja dann umgehend aucherfolgen. Und es stellt sich natürlich die Frage, wasmit dem Erlös geschehen soll. Herr Kollege Huster,ich kann Ihnen bestätigen, Sie haben bei Prof. Tre-lawney beim Wahrsagen gut aufgepasst, aber dieFrage, wie das mit dem Wahrsagen so ist, dasFach ist nicht unumstritten. Auch Prof. McGonagallhat so ihre Kritik und ihre Vorbehalte bei diesem

Fach. Das war jetzt aber auch keine große Leis-tung, vorherzusehen wie unser Vorschlag ausse-hen würde, deswegen ist es vielleicht gar nicht aufIhre Kunst im Wahrsagen, sondern nur auf Ihrengesunden Menschenverstand zurückzuführen.

Zur Frage des Zeitpunkts und des Antragstellers,meine Damen und Herren, könnte man sicherlichspekulieren. Nachdem es die Vorredner jetzt schonangesprochen haben, will ich das zumindest im An-satz auch durchaus tun und sagen, dass mandurchaus die Vermutung von Frau Lehmann alsrichtig ansehen könnte - und ich kann der schonwas abgewinnen -, wenn man auf die Idee kommt,dass der Verkauf mit dem Ziel erfolgen soll, dasGeld in eine landeseigene Strukturbank zu tun. Dasist ein Fall, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, der für uns keinesfalls infrage kommt, das willich ausdrücklich sagen. Und wenn seine Abwesen-heit nicht die Regel wäre, könnte man seine Abwe-senheit - die Abwesenheit des Wirtschaftsministers- zu genau diesem Punkt schon fast als symbolischbezeichnen.

(Beifall Abg. Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Aber es ist die Regel und deshalb nehmen wir malan, es ist seine übliche Einstellung zu den Verhand-lungen hier im Parlament.

Aber auch einige Fakten gehören natürlich zu derFrage, wie das zustande kommt. Dazu gehört, zurKenntnis zu nehmen, dass sich die Helaba ja tat-sächlich im Moment in einer nicht ganz unerhebli-chen Umstrukturierungsphase befindet. Hier wer-den eine Menge von Entscheidungen getroffen, dieder Bank Impulse und Voraussetzungen für die Ent-wicklung in den nächsten Jahren, Jahrzehnten ge-ben sollen. Da gibt es ein Sonderverkaufsrecht, daskann man jetzt als Aufhänger nehmen, das ist mög-licherweise auch das, was Herr Meyer mir dannvielleicht antworten würde auf die Frage nach demZeitpunkt. Aber in Wahrheit muss man doch dieFrage stellen: Welches Signal senden wir als An-teilseigner an den Markt und damit natürlich auchan potenzielle Käufer, wenn wir zum Zeitpunkt, wostrategische Entscheidungen getroffen werden, sa-gen, wir verkaufen? Das heißt doch im Kern, wirvertrauen diesen strategischen Entscheidungen,die dort getroffen werden, nicht, wir vertrauen nichtdarauf, dass diese strategischen Entscheidungengenau dazu führen, nämlich die Helaba zukunfts-fest zu machen. Ich glaube, dass so ein Signal zudiesem Zeitpunkt zumindest mal nicht wertstei-gernd wirkt. Das, glaube ich, kann man auf jedenFall sagen. Das zeigt auf jeden Fall, dass einSchnellschuss nicht weiterhilft. Wenn man grund-sätzlich verkaufen will - und, wie gesagt, diesemGedanken stehen wir ausgesprochen aufgeschlos-sen gegenüber -, dann kommt es darauf an, denZeitpunkt zu finden, an dem ein potenzieller Käufer

8324 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

Page 49: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

nicht nur da ist, sondern natürlich auch bereit ist,einen guten Preis für unsere Anteile zu bezahlen.Es macht schließlich durchaus einen Unterschied,ob wir 153 Mio. € wiederbekommen oder ob wirvielleicht 300 Mio. € - um jetzt mal eine Zahl zuschießen - wiederbekommen. Das ist ein leichterUnterschied, weil das natürlich auch für die Frage,wie viele Schulden wir tilgen können mit dem Geld,nicht ganz unerheblich ist, für die Frage, wie vieleZinsen wir damit in Zukunft sparen, auch dann na-türlich für die Frage, welchen Nutzen das für dasLand hat. Auf jeden Fall sollte die Entscheidunglangfristig als die richtige gelten. Wir sollten keines-falls den Fehler von Hessen wiederholen, dass wirAnteile in Höhe von 50 Prozent verkaufen undzehn Jahre später mit demselben Geld 10 Prozentwieder zurückkaufen können, das sollten wir unsauf jeden Fall ersparen. Wir sollten dann schonwirklich sicher sein, dass wir das Richtige machen.Wie gesagt, wenn man es tut zu irgendeinem Zeit-punkt, an dem die Marktlage so ist, dass die Helabawirklich stabil ist, ihre Umstrukturierungen hintersich hat und man auch einen entsprechenden Erlöserwirtschaften kann, würden wir uns so einem Vor-haben mit Sicherheit nicht verschließen. Wenn wirden Antrag im Ausschuss weiterdiskutieren, kannman da sicherlich über ein paar Details noch malreden, dann würden wir einer Ausschussüberwei-sung zustimmen. Falls die nicht zustande kommt,werden wir uns zum Antrag enthalten. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatHerr Abgeordneter Meyer das Wort.

Abgeordneter Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das ist mit der Se-mantik immer so eine Sache, wie man es macht,macht man es auch verkehrt. Einerseits möchtenwir die Damen und Herren aus der Exekutive dazubringen, doch möglichst das Ganze nicht auf dielange Bank zu schieben und dann wird aus einem„schnellstmöglich“ ein „hektisch“ interpretiert. Daswar nicht unsere Absicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schnellstmöglich heißt, so schnell wie es dieserTanker schafft, eine Kurve zu fahren. Tanker dre-hen nicht auf der Stelle, Tanker brauchen dafür einpaar Kilometer. Das ist auch bei der Frage einerBeteiligung der Fall.

Wir haben uns bewusst deshalb in unserem Antragmit diesem einen Satz begnügt und ganz absichts-voll auch die Verwendung des Geldes nicht in dieDiskussion gebracht, weil nämlich genau dann daspassiert wäre, was hier nur ansatzweise anklingen

konnte, weil wir Ihnen ja keine Angriffsfläche gebo-ten haben, wohin wir das Geld gern hätten. Aberdamit Sie jetzt nicht wieder raten müssen, HerrBarth, kann ich Ihnen versichern, wir haben dazuauch eine Meinung, und zwar eine deutlich andereals die SPD oder die CDU, DIE LINKE oder Sie.Wir würden davon Naturschutzflächen kaufen unteranderem. Wir würden dafür sorgen, dass endlichdas Thema Landfraß aufhört und dass wir aktiv dasEinzige, was wir wirklich haben, nämlich unserLand Thüringen, damit entwickeln, das heißt, Im-mobilien kaufen, sehr werthaltig übrigens nebenbeibemerkt. Aber das zum Beispiel ist eine Frage, dieich mit Ihnen gerade nicht diskutieren wollte heute,das machen wir dann im Ausschuss.

Wir haben uns angeschaut, welche Gründe eigent-lich dafür gesprochen haben, im Jahr 2000 dieseBeteiligung einzugehen in der sagenhaften Höhevon 5 Prozent. Da ist die Rede von der Stärkungder Bank als Instrument für den Ausbau der Stel-lung Thüringens im Wettbewerb der Regionen. Daskann man sich auf der Zunge zergehen lassen, obdafür die 5-Prozent-Beteiligung an der Helaba inden letzten 12 Jahren ausschlaggebend gewesenist oder anderes. Wenn Herr Machnig jetzt da wäre,würde er bestimmt sagen, seine tollen Werbekam-pagnen waren viel wirkungsvoller. Jedenfalls hatdie Beteiligung dazu nicht beigetragen, davon sindwir überzeugt.

Die Unterstreichung der öffentlich-rechtlichen Auf-gabenstellung der Bank wollte man damit deutlichmachen, dass man Politiker mit in die Aufsichtsgre-mien der Bank reinsetzt, Thüringer Politikerinnenund Politiker. Das ist in der Helaba gelungen, in al-len anderen Landesbanken nicht. Ob das daranlag, dass Politiker dringesessen haben, darüberkann man sehr geteilter Meinung sein, denn dasAlltagsgeschäft dieser Helaba und ihr Erfolg sindgerade nicht Aufgabe der Vertreter der Anteilseig-ner. Ich möchte darauf verweisen, dass wir alle dieMöglichkeit haben, letztendlich den Gewährträger-vertrag auch einsehen zu können, wenn auch nichtzitieren zu dürfen. Aber darin wird das ziemlichdeutlich, das kann ich Ihnen versichern, ohne Ge-heimnisse zu verraten.

Es sollte die öffentlich-rechtliche Kreditwirtschaftgestärkt werden. Dazu will ich mal weiter gar nichtssagen. Und es sollte - ganz besonders interessant -dem bundesweiten Trend gefolgt werden zur unmit-telbaren staatlichen Einflussnahme bei den Landes-banken. Das war die Absicht für die Beteiligung. MitVerlaub gesagt, man kann wohl jetzt davon ausge-hen, dass dieser Trend so ein bisschen umgedrehtist, um nicht zu sagen, wenn es irgendwie geht,Finger weg von Landesbanken. Herr Barth, da binich mal ganz bei den Liberalen.

(Zwischenruf Abg. Schubert, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber nur da.)

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8325

(Abg. Barth)

Page 50: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

Jaja, kommt schon noch, keine Sorge.

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ausnahmsweise.)

Es gibt dann im Jahr 2010, als wir das Thema daserste Mal angefragt haben, das nächste Mal die Be-gründung zu dem Thema, warum wir eigentlich da-bei sind. Der Thüringer Anteil müsste ansonstenvom Sparkassen-Giroverband beglichen werdenund das würde diesen schwächen. Das ist natürlichaus zweierlei Gründen falsch. Zum Ersten, etwas,das 8 Prozent Rendite abwirft, schwächt nicht,wenn man es hat.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da muss man schon konsistent bleiben in der Argu-mentation, Frau Lehmann. Entweder es ist renta-bel, dann sind die froh, wenn sie den Anteil auchbekommen, oder es ist nicht rentabel, dann habenwir ein Problem. Aber zurzeit - haben Sie ausge-führt - ist es rentabel. Und 5 Prozent einer renta-blen Bank kaufen zu können, da finden Sie auf derganzen Welt eine ganze Menge Menschen, die daskaufen würden.

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, FDP: Abernicht 5 Prozent.)

Aber nicht 5 Prozent - danke für die Bemerkung -hätte ich von der LINKEN erwartet, aber nicht vonden Liberalen. Genau das ist das Problem, warumeigentlich nur 5 Prozent.

(Unruhe FDP)

Ich weiß, wir haben nur 5 Prozent und haben unsein paar Sonderrechte gegeben. Diese Sonderrech-te haben wir nie gebraucht, weil die Sonderrechtenie zum Tragen kommen, weil das nach Gewährträ-gervertrag gar nicht vorgesehen ist - weiß ich alles,wissen Sie auch, ist auch schön -, deshalb ist jadiese Beteiligung zu überprüfen. Das ist ja das, wasich gerade gesagt habe.

Dann kam als Argument: Die Helaba stellt den Thü-ringer Sparkassen Produkte und Dienstleistungenzur Verfügung. Sie ist Geschäftsbank für die Thü-ringer Wirtschaft. Sie ist Investor in Thüringen, hältunter anderem 31,5 Prozent der Wirtschaftsbank inThüringen und 38,6 Prozent der mittelständischenBeteiligungsgesellschaft Thüringen. Sie schafft Ar-beitsplätze hier, unter anderem 254 bei der Landes-bausparkasse in Erfurt. Nebenbei bemerkt kurzeErklärung, es sind 6.000 Menschen insgesamt be-schäftigt bei der Helaba. Da kann man mal sehen,ob 254 auch 5 Prozent sind, Herr Barth, rechnenSie mal.

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, FDP: 2,68.)

Ja, danke. Eben, noch nicht einmal so viele, wie dieAnteile eigentlich hergeben, hätte eigentlich kom-men sollen, ist aber nicht gekommen. Die Helabaist Sponsor für Kultur und Sport, die immense Sum-

me von 1,2 Mio. € in fünf Jahren ist da geflossenund sie gibt eine Dividende. Aber erstens hat ja kei-ner behauptet, dass die Helaba nicht weiter in Thü-ringen tätig sein soll mit all diesen Maßnahmen,auch nicht für diese Sparkassen, und die Frage derDividende ist eben die Frage der Abwägung auchzum Risiko. Entschuldigen Sie bitte. Ich habe jetztin der Bankenkrise nicht als Einziger gelernt, dassDividenden damit zu tun haben, welches Risikoman erwartet. Und wenn heute 8 Prozent aus derHelaba gezahlt werden, dann könnte man ja auchmal die Frage stellen: Warum? Unter anderemmöglicherweise deshalb, weil nicht umsonst dieCDU-Fraktion schnell eingeladen wird, weil manAngst bekommt, dass man genau diese Unterstüt-zung nicht mehr bekommt, die man aber gern hätteund deshalb entsprechend noch mal schnell einbisschen einen Köder auslegt. Das wäre nicht daserste Mal, dass Menschen oder Organisationen, diejemanden halten wollen, auf diese Art und Weisedas versuchen. Mit kleinen Geschenken erhält mandie Freundschaft. Ich bin aber ganz schön beein-druckt davon, dass ein Antrag der GRÜNEN in Thü-ringen schon solche Verwerfungen auslöst, dass inFrankfurt Menschen scheinbar Angst davor haben,was noch passieren könnte. Wir haben folgenderechtliche Möglichkeiten des Ausstiegs.

(Zwischenruf Dr. Voß, Finanzminister: ...)

Ich habe das nicht gesagt, ich habe mich nur ge-wundert. Auch die Überlegung, dass wir mit demWirtschaftsministerium zusammen kungeln könn-ten, habe ich auch mit Bewunderung gehört. Nein,schade eigentlich.

Ich will darauf hinweisen, dass der § 15 Abs. 1 desGewährträgervertrags - und hier zitiere ich aus ei-ner Kleine Anfrage und nicht etwa aus dem Vertragselbst - ausführt, „dass die Beteiligung auf Dauerangelegt ist. Eine Kündigung ist nur aus wichtigemGrund möglich.“ Die Änderungen in den Beteiligun-gen der Bank an anderen oder der Beteiligung ander Bank ist auf jeden Fall ein wichtiger Grund nachunserer festen Überzeugung. Dementsprechend istdie rechtliche Möglichkeit jetzt da und aus diesemGrund wird auch jetzt von uns diese Frage aufge-worfen, denn die Frage wird von niemand anderemaufgeworfen. Es muss ja einfach getan werden. Wirals Parlament sind dafür zuständig.

Welche aktuelle Entwicklung können wir nun fest-stellen zum Thema Helaba, die noch nicht von denVorrednern und Vorrednerinnen genannt wordenist? Die Finanzkrise hat den Trend zur direktenstaatlichen Einflussnahme auf die Landesbankendeutlich umgekehrt. Zum Beispiel habe ich nochnichts davon gehört, dass das Land Nordrhein-Westfalen jetzt dringend auch gern Prozente an derHelaba hätte, um dafür zu sorgen, dass die Politikseiner beiden Sparkassen- und Giroverbände dannentsprechend auch gut durchgeführt wird. Warum

8326 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Meyer)

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eigentlich nicht? Erklären Sie mal, warum es fürThüringen wichtig ist und für Hessen und Nord-rhein-Westfalen aber nicht.

Wie werden die Sparkassen Nordrhein-Westfalenseigentlich beteiligt werden? Wer gibt Prozente abund warum? Ist es für den Sparkassen- und Giro-verband Hessen Thüringen richtig, Prozente abzu-geben, und heißt das auch, dass sie abgeben wer-den an den Möglichkeiten der Einflussnahme aufdie Geschäftspolitik? Ungeklärte Fragen, die aberuns eigentlich nur insofern betreffen, dass wir Angsthaben müssen, dass unsere Beteiligungsquoteoder unsere Möglichkeit der Einflussnahme sinkenkann. Das heißt, das Risiko dafür ist auf jeden Fallin diese Richtung höher und nicht die Frage, dasses risikoärmer werden wird.

Ich erlaube mir jetzt auch einmal, Herr Barth, daraufzu rekurrieren, dass auch in Hessen nicht alles soeinfach ist, was die Helaba angeht. Ich zitiere mitder Erlaubnis der Frau Präsidentin aus der Frank-furter Allgemeinen Zeitung vom17. November 2011: „Für uns ist die Beteiligung ander Helaba nur wegen des Fördergeschäfts interes-sant. Ansonsten gäbe es keinen Grund, warum ei-ne Landesregierung an einer Bank beteiligt seinsollte.“ Die Neuordnung der Landesbanken ist Sa-che der Sparkassen, so die Landesregierung inHessen. Ich habe zitiert Herrn Posch, Wirtschafts-minister der FDP.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Recht hat er.)

Ja, wir sind uns heute zum zweiten Mal schon ei-nig, Herr Barth.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Nein, ich binmit Herrn Posch einig.)

Okay. Wir können feststellen, um auch noch mit derCDU zu argumentieren, dass Bayern angekündigthat, sich mittelfristig aus der Bayerischen Landes-bank zurückziehen zu wollen, und als ersten Schrittdazu dafür gesorgt hat, dass in den Aufsichtsgremi-en die Politiker abgezogen werden sollen. Also umuns herum ist der Trend auf jeden Fall in dieseRichtung.

Die CDU argumentiert, es sei politisch falsch, sichdaraus zurückzuziehen. Das können wir nicht er-kennen, weil wir nicht erkennen können, wo dieSparkassen geschwächt werden dadurch, dass diepolitische Einflussnahme, die bis auf die Helabafast überall von Schaden gewesen ist, abgebautwird. Wir können auch nicht erkennen, warum eswirtschaftlich falsch ist, was die CDU in Ihrer Pres-seerklärung - Frau Lehmann hat darauf hingewie-sen - am 29. gesagt hat, denn die Dienstleistungenfür die Sparkassen und das Verbundgeschäft blei-ben natürlich weiterhin in Thüringen erhalten.

Was die Erlösverwendung angeht, habe ich unsereHaltung gesagt. Wir verschließen uns auch ande-

ren Maßnahmen nicht. Der einfache Einbau dieserVariante in die Schuldentilgung erscheint uns aller-dings auch nicht sinnvoll. Wir gehen eher von revol-vierenden Fonds aus oder von nachhaltiger Anlage,zum Beispiel in Immobilien. Darüber habe ichschon gesprochen. Und last, but not least, bevorich dann auch erkläre, dass wir natürlich selbstver-ständlich auch dafür sind, in den Fachausschüssenweiterzudiskutieren, will ich darauf hinweisen, dasswir als GRÜNE uns immer dafür stark machen,dass die drei verschiedenen Möglichkeiten der Ei-gentümerschaft an Einrichtungen der Daseinsvor-sorge, nämlich der Staat oder private oder selbst-verwaltete Einrichtungen, gerade auch in dem drit-ten Bereich deutlich gestärkt werden könnte; daswäre für die Sparkassen auch wünschenswert. Ichbedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung hat Minister Dr. Voß dasWort.

Dr. Voß, Finanzminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir ha-ben uns mit der Frage der Beteiligung Thüringensan der Helaba schon hier im Hohen Haus mehr-mals befasst im vergangenen Jahr, ich glaube, inzwei Debatten. Insofern hat mich der Antrag schonetwas überrascht. Noch im November 2011 habenwir intensiv darüber diskutiert. Herr Meyer, Sie ha-ben das eben geradegerückt, das schnellstmöglichhat so etwas Fluchtartiges und etwas Gefahrenab-wehrendes, aber das ist hier nicht in dem Themaangelegt. Ganz im Gegenteil, die Helaba hat infolgeein super Quartalsergebnis, das ist gerade veröf-fentlicht worden, und dieses Plus bleibt per netto,weil eben die Helaba wenig Abschreibungen zuverkraften hat. Da unterscheidet sie sich ja geradevon der LBBW aus Baden-Württemberg. Nein, dieBank steht stabil und insofern ist Thüringen auchan einer gut funktionierenden und gut aufgestelltenBank beteiligt.

Aber Ihr Antrag sagt, der § 65 ist nicht mehr gege-ben, begründen tun Sie das nicht. Herr Meyer, Siehaben das eben in Ihrer Rede etwas ausgeführt,warum soll die Beteiligung nicht mehr stichhaltigsein - ein paar Argumente hatten Sie gesagt. Ichmöchte darauf auch noch mal eingehen. Sie istVerbundbank und insofern Partner für unsere Spar-kassen und deren Kunden. Jetzt muss man überle-gen, was heißt denn das überhaupt. Das ist so einWort, man ist Verbundbank, ja wie schön. Was ma-chen die denn da? Sie stellen den Sparkassen Fi-nanzprodukte für ihre Kunden bereit. Sie werdenkonzipiert, Kreditkonstruktionen, Entwicklungen,Entwicklungen im Anlagebereich, aber auch im Kre-ditbereich. Und sie stehen als Partner dafür, was

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8327

(Abg. Meyer)

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passiert mit dem Passivüberhang, den also dieSparkassen haben. Wenn diese Funktion wegfällt,wenn die Helaba diese Funktion nicht mehr wahr-nimmt, dann muss ganz gewiss eine andere Institu-tion her, die dann diese wichtige Funktion wahr-nimmt. Sie ist Geschäftsbank und insofern Partnerfür unsere Wirtschaft, und zwar über die Sparkas-senfinanzgruppe Hessen-Thüringen. Hier gibt es ei-ne Arbeitsteilung zwischen unseren Sparkassenund der Helaba. Die Helaba mischt sich nicht in dasMittelstandsgeschäft der Sparkassen ein, sondernsie steht dann als Partner zur Verfügung, wenn dieeinzelnen Sparkassen vom Bilanzvolumen odersonst wie überfordert sind. Hier gibt es eine klareArbeitsteilung und insofern auch keine Marktlückenach meiner Auffassung. Sie übernimmt also grö-ßere Kreditengagements. Sie steht aber auch mitEigenkapital zur Verfügung, sie sagten es, 31 Pro-zent bei der Bürgschaftsbank Thüringen GmbH,und 38 Prozent bei der BeteiligungsgesellschaftThüringen GmbH. Sie ist der größte Gesellschafterdort.

Auch hier muss die Frage gestellt werden: Wenndie Helaba hier ausfällt, wer stellt denn dann daserforderliche Risikokapital zur Verfügung? Jetztwird es auf jeden Fall auf der Grundlage von Risi-koübernahme der Helaba bereitgestellt. Ich denke,man sollte dieses Engagement auch nicht unter-schätzen, als Arbeitgeber haben Sie schon daraufhingewiesen, als Sponsor für Kultur und Sport, die-ses erwähnten Sie auch. Ich meine, dass diesesgenügend Argumente und genügend Gesichtspunk-te sind, um das Landesinteresse weiterhin zu be-gründen, weil die Funktionen, die ich sagte, müs-sen in jedem Fall erfüllt werden. Es muss auchdann, wenn wir das im Ausschuss diskutieren - undhier habe ich ja gehört, dass es überwiesen werdensoll -, diese Frage beantwortet werden. Einfachaussteigen und die Funktionen werden nicht mehrerfüllt, das ist wohl nicht möglich. Wir haben in derHelaba Einfluss, bitte unterschätzen Sie das nicht.Wir haben Einfluss auf die Geschäftsstrategie undwir haben Einfluss, wenn es zu Beteiligungen undin irgendeiner Weise zu strategischen Änderungenkommt. Das ist gerade jetzt sehr wichtig. Wir habenVetorechte in diesem Gewährträgervertrag, HerrMeyer, das haben Sie ja erwähnt. Diese haben wirso lange, bis unsere Beteiligungsquote nicht unter2,5 Prozent sinkt. Auch die Beteiligung der Spar-kassenverbände des Rheinländischen Sparkassen-verbandes und des Westfälischen Sparkassenver-bandes würde nicht dazu führen, dass wir unter2,5 Prozent sinken. Das heißt, wir werden auch beidieser Größenordnung unseren strategischen Ein-fluss behalten können. Ich meine, dieser strategi-sche Einfluss ist wichtig, weil wir an einer Bank be-teiligt sind, die wächst. Das unterscheidet sie zumBeispiel von der Bayern LB, damals eine sehr star-ke Bank, auch die LBBW hat einiges zu tun. Gera-de wegen der konservativen Politik der Helaba ist

sie eben nicht von Abschreibungen betroffen, dieständig die Ausschüttungsmöglichkeiten reduzie-ren. Das ist auch der tiefere Grund, warum sich inDeutschland die Helaba jetzt vorschiebt. Ich sagemal, gelingt die Übernahme dieser Sparkassenver-bände durch die Helaba, dann strahlt das bis nachBrandenburg aus, weil bekanntermaßen die Spar-kassen Brandenburgs an NRW angeschlossensind.

Ich bin der Meinung, wir sollten dabei bleiben auf-grund unseres strategischen Interesses, aber wirsollten auch dabei bleiben, weil wir es hier mit ei-nem Wachstumsunternehmen zu tun haben. Ichglaube, ich verrate kein Geheimnis, dass unser An-teil von 153 Mio. € mittlerweile mehr wert gewordenist. Das heißt, die Ausschüttungen hier immer alseinzige Frucht darzustellen, ist wohl zu gering. Dasist zu gering. Wir werden sehen in absehbarer Zeit,wenn es zu einer Unternehmensneubewertungkommt, dass aus diesen 150 Mio. € wahrscheinlichirgendwie so 200 Mio. €, 180 Mio. € geworden sind.Mit diesem Anteil werden wir in die neue Anteilseig-nerstruktur eintreten und wir werden unsere Ein-flussrechte behalten.

Von Geld verteilen möchte ich überhaupt noch nichtreden. Die Debatte wurde ja auch von Herrn Meyernicht eröffnet, aber ich frage mich schon einbisschen, warum Sie dieses hier in Thüringen soartikulieren, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN. Der Zeitpunkt, weil es vielleicht gerade zurUmstrukturierung kommt, jedenfalls ist mir dort, woSie Regierungsbeteiligung haben, in Baden-Würt-temberg, kein Antrag bekannt, dass das Land Ba-den-Württemberg aus der LBBW aussteigen will.Und in Bremen, wo sie ja die Finanzsenatorin stel-len, Frau Linnert möchte - so die Nachrichten vonAnfang Mai - die Beteiligung von Bremen an derenLandesbank erhöhen und nicht das Gegenteil tun.Herr Meyer, es ist manchmal so wie es halt ist. Diewerden hier ihre eigenen Gründe haben, aber esverwundert schon ein bisschen, dass Sie hier die-sen Antrag so gestellt haben. Nein, ich bin weiterdafür, dass wir diese Beteiligung behalten, wir soll-ten unseren Einfluss behalten. Es ist richtig, es isteine kleine Beteiligung, aber wir reden halt auch mitund wir sollten auch die Wachstumsstrategie, diedort dahintersteht, weiter befördern.

Nun möchte ich einem Missverständnis hier imRaum begegnen. Mehrmals kam es zu Aussagen,wir sollten die Anteile verkaufen. Meine Damen undHerren, das geht nicht, die Helaba ist ein öffentlich-rechtliches Institut und unsere Anteile sind nichthandelbar, es sind keine Aktien. Es geht auch nichtdarum, jemanden zu finden, der meistbietend dafüreinen Preis gibt, das ist nicht möglich, sondern essteht im Vertrag, dass wir diesen Anteil, wenn wirden nicht mehr haben wollen, dem Sparkassen-und Giroverband Hessen-Thüringen anzudienenhaben. Und nun - ich hätte fast gesagt - aufge-

8328 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Minister Dr. Voß)

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passt: Was passiert denn dann, wenn wir diesestun müssen? Das heißt, die 150 Mio. muss derSparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringenbezahlen. Und wo kommt das Geld zur Bezahlungher? Es kommt von unseren Sparkassen, dasheißt, wir schwächen sogar durch den Ausstieg un-ser hier in Thüringen existierendes Sparkassensys-tem, die müssen die 150 Mio. aufbringen.

Dann möchte ich sagen, viel Spaß bei den Bürger-meistern und bei den Landräten, die dann mit Si-cherheit über viele Jahre auf Ausschüttungen ver-zichten müssen, die sie jetzt selbstverständlich vonihren Sparkassen haben. Noch mal gesagt, wir ha-ben damals aus bestimmten Mitteln heraus demSparkassen- und Giroverband diesen Anteil abge-kauft. Wo ist das Geld hingeflossen? Es ist in dieSparkassen geflossen, und zwar zur Stärkung un-serer Thüringer Sparkassen, damit sie im Wettbe-werb mit einer entsprechenden Kapitalausstattungmitsegeln können, und das hat ja gut geklappt.Wenn ich jetzt den umgekehrten Vorgang nehme,dann entsteht doch selbstverständlich eine Schwä-chung unseres Sparkassensystems, das kann jawohl niemand wollen. Ich finde, das ist auch einwichtiges Argument, um diese Beteiligung weiterhinaufrechtzuerhalten, nämlich eine Schwächung die-ses Systems kommt wohl nicht infrage. Jetzt spieltdie Geldverwendung halt doch eine Rolle. WennSie diese Argumente alle negieren, was sind denndie überlegenen Argumente, die dann tragfähigsind, um diese negativen Effekte, die ich eben er-zählt habe, alle aufwiegen zu lassen? Da kenne icheigentlich kaum ein Argument. Ich höre hier immerLandesstrukturbank, das ist für mich ein fliehendesPhänomen, ich weiß, dass wir eine TAB haben, dieeigentlich ganz gut dasteht, übrigens hat die Hela-ba auch noch über 30 Mio. € stille Beteiligung dort,dieses alles, was wir aufgebaut haben, würden wirschwächen. Ich frage mich, warum? Was soll dennbesser werden, wo stehen denn die zwingendenNotwendigkeiten dazu? Ich denke, das sind allesFragen, die wir im Ausschuss beraten können. In-sofern recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksam-keit.

(Beifall CDU)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Minister. Weitere Wortmeldungen lie-gen mir nicht vor, dann schließe ich die Ausspra-che. Es ist Überweisung des Antrags von BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN beantragt worden, und zwaran den Haushalts- und Finanzausschuss und anden Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Ar-beit. Das möchte ich jetzt ganz gern abstimmen las-sen.

Wer den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, „Beteiligung an der Landesbank Hes-sen-Thüringen aufgeben“, in Drucksache 5/4385,

an den Haushalts- und Finanzausschuss überwei-sen möchte, den bitte ich jetzt um sein Handzei-chen. Das ist Zustimmung von den Fraktionen derFDP, der CDU, der SPD, von BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und von den LINKEN. Damit ist die Aus-schussüberweisung beschlossen.

Ich frage jetzt, wer möchte den eben genanntenAntrag an den Ausschuss für Wirtschaft, Technolo-gie und Arbeit überweisen, den bitte ich jetzt umsein Handzeichen. Das ist Zustimmung von denFraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN. Gegenstimmen? Gegenstimmen kommenvon den Fraktionen der FDP, der CDU und derSPD. Stimmenthaltungen? Das sind keine. Damitist die Ausschussüberweisung abgelehnt und dieFrage nach der Federführung hat sich somit erle-digt. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe erstens den Tagesordnungspunkt 16 aufund kündige für danach die Fortführung der Frage-stunde, nach diesem Tagesordnungspunkt an.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16

Steuermehreinnahmen zurSchuldentilgung verwendenAntrag der Fraktion der FDP- Drucksache 5/4425 -

Es ist mir signalisiert, dass der Abgeordnete Barthden Wunsch hat, diesen Antrag zu begründen. Siehaben das Wort, Herr Barth.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Herr Präsident. Ein Blick ins Gesetzhilft bei der Rechtsfindung. Auf den Punkt werde ichgleich noch eingehen, Herr Kollege Mohring.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Da bin ichaber gespannt!)

Das dürfen Sie auch sein.

Meine Damen und Herren, die Steuerschätzungvom Mai stellt allein für das laufende Haushaltsjahrfür Thüringen noch einmal Mehreinnahmen von fast100 Mio. €, 96 Mio. € sind es fast genau, in Aus-sicht. Für die nächsten beiden Haushaltsjahre -Doppelhaushalt oder auch nicht, das weiß mannoch nicht so genau -, sollen es in Summe sogar320 Mio. € werden. Das sind gewaltige Summen.Das sind ausgesprochen gute Nachrichten. Wirsollten bei aller durchaus berechtigten Freude überdiese zusätzlichen Steuereinnahmen aber nichtvergessen, dass sich eine gute Lage natürlich aucheinmal wieder ändern kann, und sollten deswegenbei der konkreten Finanzplanung entsprechendVorsicht walten lassen. Die Kollegin Lehmann hathier im letzten Plenum bereits darauf hingewiesenund die Frage gestellt: Was passiert eigentlich,wenn sich die Steuereinnahmen einmal wieder ver-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8329

(Minister Dr. Voß)

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ringern? Genau diese Frage müssen wir beantwor-ten, denn die Erfahrung lehrt, dass es nach gutenJahren auch wieder schlechte gibt. Das sind nichtimmer sieben und sieben, das macht die Sachekomplizierter. Sonst wäre es in der Tat recht ein-fach. Wir dürfen uns also freuen, müssen abergleichzeitig vorsorgen und wir dürfen nicht aus denAugen verlieren, dass die zur Verfügung stehendenMittel, heute 9 Mrd. im Jahr, im Jahr 2020 sich auf7, vielleicht 7,5 Mrd. reduzieren werden, dass wiralso im Haushalt 1,5 Mrd. strukturell, das heißt alsodauerhaft jedes Jahr einsparen müssen. Wir müs-sen gerade deswegen endlich Schulden tilgen, da-mit wir die hohe Zinsbelastung, deren Anteil amGesamthaushalt bei sinkendem Volumen natürlichprozentual immer weiter steigt, auch entsprechendsenken. Jeder Euro, den wir für Zinsen ausgebenmüssen, ist einer, der an anderer Stelle fehlt. Des-wegen ist unsere Forderung, jeden Euro Steuer-mehreinnahmen in die Schuldentilgung zu stecken,und zwar ohne Wenn und Aber, meine sehr verehr-ten Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Im Thüringer Gesetz über die Feststellung des Lan-deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 stehtin § 3 in der Tat eine Formulierung, die heißt: Mehr-einnahmen sind, soweit sie nicht zur Deckung un-vorhergesehener und unabweisbarer Mehrausga-ben zur Gewährleistung des Haushaltsausgleichsbenötigt werden, zur Tilgung von Schulden oder zurBildung von Rücklagen oder zur Abfinanzierungvon Rechtsverpflichtungen zu verwenden. Dasklingt in der Tat zunächst ganz gut, Herr KollegeMohring, aber da gibt es eben diese Formulierungmit den unabweisbaren Mehrausgaben und das istgerade das Problem. Diese Landesregierung findetimmer irgendwo unabweisbare Mehrausgaben, fürdie sie zusätzliche Einnahmen lieber ausgibt, alssie in die Schuldentilgung zu stecken.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Nur dieSozialdemokraten.)

Bei verantwortungsvollem Umgang der Landesre-gierung mit dem Haushalt könnte ich diese Formu-lierung, die in dem Gesetz steht, durchaus akzep-tieren. Aber bei einer Landesregierung, für die Be-treuungsgeld, Gemeinschaftsschulen, 1.000-Dä-cher-Programme und vieles andere mehr beden-kenlos unabweisbare Mehrausgaben sind, bei soeiner Landesregierung sehe ich den Missbrauchdieser Formulierung eben doch. Genau das ist dasProblem. Dieser Umgang mit dem Geld der Steuer-zahler ist alles andere als verantwortungsvoll. Dasist Steuerverschwendung. Genau deswegen isttrotz der Formulierung in dem genannten Gesetz,Herr Kollege Mohring, auf die Sie mich eingangshingewiesen haben und die ich kenne, aber ebengenauso bewerte, genau trotzdem, deswegen ist so

ein Antrag als Signal des Landtags an die Landes-regierung doch nötig. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter für die Begründung. Icheröffne jetzt die Aussprache und als Erster hat dasWort Abgeordneter Dr. Pidde von der SPD-Frak-tion.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir se-hen das natürlich ganz anders, als es Herr Barthgerade eben vorgeschlagen hat.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Nur dieSozialdemokraten.)

Hier kommt der Vorschlag, wir mögen beschließen:Erstens, jeden Morgen geht die Sonne auf undzweitens, jeden Abend geht die Sonne unter. Dassind Selbstverständlichkeiten, das steht in den Ge-setzlichkeiten und deshalb ist der Antrag, den Sievorgelegt haben, total überflüssig. Das, was Sie for-dern, ist geltendes Recht.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Sie haltensich aber nicht dran und das ist das Pro-blem.)

Sie haben darauf hingewiesen zu Punkt 1, dassteht im Haushaltsgesetz 2012, wir haben dortmehrheitlich beschlossen, wie mit Mehreinnahmenzu verfahren ist, nämlich zur Deckung unvorherge-sehener und unabweisbarer Mehrausgaben unddass das Geld dann zur Tilgung der Schulden undzur Bildung von Rücklagen oder Abfinanzierungvon Rechtsverpflichtungen zu verwenden ist.

Was den Punkt 2 Ihres Antrags angeht, so ist dasin der Landeshaushaltsordnung klipp und klar gere-gelt, dass überplanmäßige und außerplanmäßigeAusgaben durch Einsparung an anderer Stelle indemselben Einzelplan ausgeglichen werden sollen.Also beide Punkte sind erfüllt, Ihr Antrag ist über-flüssig. Ich denke, wir sollten hier im Hohen Hausum die besten Ideen für die Zukunft Thüringens rin-gen und nicht uns Selbstbeschäftigung mit Schau-fensteranträgen mit trivialen Aussagen hingeben.Danke schön.

(Beifall SPD)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt Ab-geordneter Huster von der Fraktion DIE LINKE.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Dr. Pidde, ich lese den Antrag der

8330 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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FDP etwas anders. Also ich interpretiere ihn nichtso, dass die FDP dort nur aufgeschrieben hat, wasgeltendes Recht ist, sondern ich interpretiere denAntrag der FDP so, dass er über das, was wir in § 3des Haushaltsgesetzes beschlossen haben, hin-ausgeht. Mit anderen Worten, die FDP will denSpardruck verschärfen, deutlich verschärfen unddas ist die Intention. Ich glaube, es gibt viele Grün-de, warum wir den § 3 im Haushaltsgesetz so ste-hen haben wie er steht und eben nicht eine wie im-mer geartete Formulierung in der Intention der FDPdrin haben. Der § 3 im Haushaltsgesetz sagt ein-deutig: „Mehreinnahmen sind, soweit sie nicht zurDeckung unvorhergesehener und unabweisbarerMehrausgaben zur Gewährleistung des Haushalts-ausgleichs benötigt werden, zur Tilgung von Schul-den oder zur Bildung von Rücklagen … zu verwen-den.“ Das meint doch nichts anderes, als dass derFinanzminister Dr. Voß unabweisbare Mehrausga-ben zu finanzieren hat, u.a. durch Einsparung ananderer Stelle, aber auch durch Mehreinnahmen,die ihm im laufenden Haushaltsjahr zuteil werden.Unter Mehreinnahmen fallen natürlich auch Steuer-einnahmen. Das meint er, wenn unter diesemStrich - also einer sorgsamen Bewirtschaftung desHaushalts, idealerweise unter Ausgleich von Min-derausgaben, der Abfinanzierung von unabweisba-ren Mehrausgaben, Verwendung von Steuermehr-einnahmen, was auch immer - dann etwas übrigbleibt. Dann soll das zur Senkung bzw. zur Tilgungalter Kredite eingesetzt werden. Das ist der Geist,der in § 3 formuliert ist und der intendiert sowohldas Vorhandensein einer Schuldenbremse, der in-tendiert natürlich auch einen Haushalt ohne Netto-neuverschuldung. So weit, so gut.

Sie sagen jetzt, Herr Barth, etwas ganz anderes.So wie ich das lese, sagen Sie, alle Steuermehrein-nahmen sollen vorab sofort zur Tilgung eingesetztwerden. Mit anderen Worten, die 1,5 Mio., die imLandeshaushalt als - sagen wir es eher zunächsteinmal - symbolischer, aber erstmals immerhin alsTilgungsbeitrag vorgesehen sind, die sollen sofortmit den noch nicht eingenommenen, aber voraus-gesagten Steuereinnahmen für das Jahr 2012 zurTilgung eingesetzt werden und unabweisbareMehrausgaben durch Einsparungen bei anderenHaushaltstiteln finanziert werden. Das heißt nichtsanderes, als dass Sie die Masse, die Dr. Voß zurVerfügung steht - seinen Haushalt im Geiste des-sen, was das Parlament hier beschlossen hat, zubewirtschaften -, verringern. Sie nehmen ihm dieEinnahmen weg, aber die Mehrausgaben muss ertrotzdem erbringen. Wo erbringt er die? Da erinnereich Sie daran, was hier los war im Land, als wirüber das Thema Bewirtschaftungsreserve geredethaben. Insofern ist natürlich Ihr Antrag konsequent,weil Sie sich damals sogar für weitergehende Re-gelungen bei der Bewirtschaftungsreserve ausge-sprochen haben. Sie haben eine Verfassungsände-rung zur Schuldenbremse vorgeschlagen, die in

wirtschaftlichen Krisenzeiten sogar infrage stellenwürde, ob dieses Parlament noch handlungsfähigist, ob de facto die Leute am Ende des Monats ihrGehalt bekommen, von dem sie leben müssen. In-sofern ist Ihr Antrag völlig logisch, aber er ist auchso gemeint, Herr Dr. Pidde, er ist nicht das, was wirim Geiste in § 3 haben, sondern er geht ganz deut-lich darüber hinaus.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Deshalb ist eskeine Änderung des Paragraphen.)

Genau, das hätten Sie konsequenterweise machenkönnen, die Änderung des Haushaltsgesetzes hierbeantragen.

Ich will Ihnen nur aus dem vorläufigen Jahresab-schluss, den Dr. Voß uns zur Verfügung gestellthat, ein paar Beispiele nennen für unabweisbareMehrausgaben, Herr Barth. Ich glaube, die Beispie-le, die Sie genannt haben, 1.000-Dächer-Pro-gramm, fallen nun wirklich nicht darunter, denn diesind im Geiste dessen, was das Parlament hier be-schlossen hat. Die sind dann problematisch, wennder Wirtschaftsminister deutlich über die Etatansät-ze hinausgehen würde, als das Parlament hier be-auftragt hat.

Aber ich sage Ihnen mal, um was es geht. Beispieleaus dem Jahr 2011: 17,7 Mio. € ModellversuchHortpersonal bei Kommunen, 46,8 Mio. € Mehraus-gaben bei Sonder- und Zusatzversorgungssys-temen der ehemaligen DDR, Sachen, die wir hierjuristisch und finanziell gar nicht beeinflussen kön-nen, wo wir nur als Land die Rechnung bekommenund zahlen müssen. Das sind unabweisbare Mehr-ausgaben. Sie wollen sagen, die Mehreinnahmen,die Sie aufgrund der guten Konjunktur haben, zie-hen wir zur Finanzierung dort nicht zusammen,sondern, das heißt mit anderen Worten, wenn ichdas zusammenrechne, weit über 100 Mio. € müss-ten zusätzlich äquivalent zu den unabweisbarenMehrausgaben durch zusätzliche Sparleistungenerbracht werden. Da kommt die nächste Gemein-heit, die Sie sich leisten. Sie sagen mit Ihrem An-trag, Voß spar das mal ein, aber Sie machen kei-nerlei Vorschlag, wo er das nun einsparen soll. Sei-en Sie dann so ehrlich, zu sagen, im Einzelplan 08,im Einzelplan 04 wollen wir die 100 Mio. rausquet-schen. Das wäre seriös und das wäre auch entlangdessen, was man Ihnen politisch zutrauen kann,aber Sie machen es nicht, Sie verschleiern das und

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Das habenwir bei den Haushaltsberatungen gemacht.)

wollen eine abstrakte Spardebatte führen nach demMotto, alle anderen geben zu viel Geld aus undkönnen mit Geld nicht umgehen.

Ich will letztens noch etwas anderes sagen, wasmöglicherweise dann in der Fragestunde noch kla-rer beantwortet wird. Aufgrund unserer geltendenSchuldenbremse haben wir ein anderes Problem,

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8331

(Abg. Huster)

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nämlich dann, wenn trotz guter Konjunktur und trotzSteuermehreinnahmen erhebliche Mindereinnah-men an anderer Stelle zu verbuchen sind, so dassder Finanzminister seinen Haushaltsabschlussnicht mit einer Null hinbekommt. Wir nehmen dannin dem Fall neue Schulden auf - mögen sie auchgeringer sein als im Haushaltsplan veranschlagt -,aber wenn das im Jahr 2011 passiert ist, bedeutetes zwingend für die Jahre ab 2011 einen verbindli-chen Tilgungsplan über die nächsten fünf Jahre.Wenn uns das im Jahr 2012 noch mal passierenwürde, aus welchen Gründen auch immer, dannwürde für die Jahre ab 2013 und die nächstenfünf Jahre dasselbe gelten. Das heißt, wir würdeneinen Rucksack schon mitschleppen und den mitSteinen beschweren für die Folgejahre, obwohl wirnoch gar nicht wissen, wie das konjunkturelle Um-feld in den Jahren ab 2013/14 sich gestaltet. Dasalles zu dem zusätzlichen Einspardruck aufgrunddes Rückgangs der Solidarpaktmittel und der EU-Mittel sowieso.

Das sind die Schwierigkeiten, Herr Barth, mit demsich ein Haushaltsvollzug im Jahr 2012 darstellt fürden Finanzminister aus meiner Sicht. Oder, HerrDr. Voß, Sie sagen was anderes. Aber die Ratiomüsste ja sein, insofern wir im Jahr 2012 ver-gleichsweise gutes konjunkturelles Umfeld haben,vergleichsweise gute Steuereinnahmen haben, die-se Mehreinnahmen natürlich, nachdem wir auch dieunabweisbaren Mehrausgaben finanziert haben,aber natürlich einzusetzen zur Tilgung, damit derRucksack für die Jahre 2013/14 ff. nicht allzu großwird. Ich denke, in diesem Bewusstsein wäre daseine seriöse Debatte. Herr Barth, Sie werdenverstehen, nach dem Gesagten, dass wir Ihren An-trag nur ablehnen können. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt Ab-geordnete Lehmann von der CDU-Fraktion.

Abgeordnete Lehmann, CDU:

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnenund Kollegen, mit dem Antrag soll die Landesregie-rung aufgefordert werden, alle möglichen Steuer-mehreinnahmen, mit denen nun nach der Mai-Steu-erschätzung zu rechnen ist, im laufenden Haus-haltsjahr für eine zusätzliche Schuldentilgung zuverwenden und die unabweisbaren Mehrausgabendurch Einsparungen ausschließlich bei anderenAusgabetiteln zu finanzieren.

Ich muss voranstellen, mit dem Antrag verfolgt dieFDP-Fraktion grundsätzlich das gleiche Ziel derHaushaltskonsolidierung und der Schuldentilgungwie die Landesregierung und die CDU-Fraktion.Werte Kollegen der FDP, aber Ihr Antrag ist nicht

erforderlich, um den eingeschlagenen Konsolidie-rungskurs auch erfolgreich fortzusetzen. Denn auchich hatte es mir ins Manuskript geschrieben, wasvorhin schon mal gesagt wurde. Ein Blick ins Ge-setz erleichtert die Rechtsfindung. Als ich Ihren An-trag gesehen habe, hatte ich schon befürchtet, Siehätten vergessen, was der Landtag beschlossenhat. Nachlesbar im Landtagsprotokoll der 73. Sit-zung am 15.12.2011, da wurde auch der § 3 desThüringer Haushaltsgesetzes beschlossen, der hierauch schon zitiert wurde. Deswegen kann ich mirdas jetzt sparen. Die FDP hat nicht zugestimmt da-mals, ich habe das auch extra noch mal nachgese-hen, es gab ja namentliche Abstimmung. Deswe-gen hätte ich es ansonsten jetzt auch noch zur Er-innerung vorgetragen.

Werte Kollegen der FDP, Sie wollen mit Ihrem An-trag weitergehen als das, was in § 3 beschlossenwurde. Das kann ich durchaus nachvollziehen, aberes gibt eben diesen Beschluss, mehrheitlich vomLandtag gefasst, und das sollten Sie auch respek-tieren. Dieser Beschluss, sehr geehrter KollegeBarth, schließt ja auch das nicht aus, dass bei un-vorhergesehenen und unabweisbaren Mehrausga-ben an anderer Stelle im Haushalt weniger ausge-geben wird, um die Steuermehreinnahmen nichtdafür verwenden zu müssen. Das ist ja auch garnicht ausgeschlossen. Das würde eben auch derIntention meiner Fraktion zum Thema Haushalts-vollzug entsprechen.

Herr Kollege Barth, es gibt in jedem Jahr auch un-abweisbare Mehrausgaben und bei einem Haus-halt, der ca. 9 Mrd. € umfasst, ist das auch so. Dasist sogar in vielen kleinen Dörfern so, wo es Mehr-ausgaben unabweisbarer Art und Weise gibt, unddas ist eben auch bei dem Landeshaushalt in die-ser Größenordnung so und gar nicht zu verhindern.Deswegen weise ich das auch zurück, dass dashier so ein bisschen anklang, das sei böser Willeder Landesregierung. Das ist es mit Sicherheitnicht. Das war mir vorhin bei Ihrem Redebeitrag soaufgefallen. Wir können uns ja im Haushalts- undFinanzausschuss am Jahresende noch mal dieseDinge genau anschauen, wo unabweisbare Mehr-ausgaben gewesen sind und werden dann sicher-lich feststellen, dass das wirklich Dinge sind, dieman nicht immer bei der Haushaltsaufstellung vor-hersehen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Voll-zug des vom Parlament beschlossenen Haushaltsliegt in der Ressortkompetenz des Finanzministersund dieser ist auch durch die Thüringer Verfassungund die im Freistaat geltenden Gesetze gebunden.In diesem Zusammenhang möchte ich auch aufden § 25 Abs. 2 Satz 1 in der Landeshaushaltsord-nung hinweisen, in dem es heißt: „Ein Überschussist insbesondere zur Verminderung des Kreditbe-darfs oder zur Tilgung von Schulden zu verwendenoder Rücklagen zuzuführen. Wird der Überschuss

8332 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Huster)

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zur Schuldentilgung verwendet oder Rücklagen zu-geführt, ist er in den nächsten festzustellendenHaushaltsplan einzustellen.“ Auch das klärt nochmal den Umgang mit den Steuermehreinnahmen.

Hinsichtlich des zweiten Teils Ihres Antrags, HerrKollege Barth, zum Thema, unabweisbare Mehr-ausgaben durch Einsparungen bei anderen Ausga-betiteln zu finanzieren, bedarf es Ihres Antragsauch nicht. Ich habe das immer in den vielen Jah-ren hier so gesehen und so auch erlebt, dass imHaushaltsvollzug es auch selbstverständlich ist,dass man zunächst versucht, diese Mehrausgabenbei anderen Ausgabetiteln zu akquirieren, bevorman dann die Steuermehreinnahmen dafür - in Jah-ren, in denen es sie gibt; die gab es ja auch nichtimmer - verwendet.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir reden für dasJahr 2012 nach der regionalisierten Steuerschät-zung über Mehreinnahmen für das Land in Höhevon ca. 96 Mio. €. Für die Jahre 2013 und 2014wurden 136 Mio. € bzw. 184 Mio. € mehr als bishereingeplant angezeigt. Das sind sehr erfreulicheZahlen und Einnahmen, die wir auch dringend be-nötigen. Wenn ich an die voraussichtlichen Tarif-steigerungen im nächsten Jahr im öffentlichenDienst des Landes und auch an die Schuldentil-gung gemäß Thüringer Landeshaushaltsordnungdenke - das hat ja mein Vorredner eben auchschon angesprochen -, ist das Geld, diese prognos-tizierte Mehreinnahme für 2013, im Prinzip schonweg, bevor es hier angekommen ist.

Man sieht also deutlich, dass es auch kein zusätzli-ches Geld im nächsten Haushalt für eine neueWunsch- und Ausgabenliste oder irgendwelcheneuen Programme oder Stellen geben wird. Unddabei denke ich gerade an die jüngste Diskussionim Gleichstellungsausschuss, wo die Fraktion derLINKEN einen neuen Antidiskriminierungsbeauf-tragten nebst natürlich Verwaltung, die dann auchdazugehört, eingefordert hat. Solche Dinge werdenwir uns trotz dieser erfreulicherweise prognostizier-ten Mehreinnahmen nicht leisten können. Nein, wirmüssen und wollen unseren Konsolidierungskursfortsetzen und das habe ich ja auch bereits vorges-tern in der Aktuellen Stunde anhand des Fiskal-pakts erläutert und begründet. Davon darf es keinAbweichen und keine Ausnahmen geben. Wir wol-len und müssen den Konsolidierungskurs für unserBundesland fortsetzen und dabei helfen uns auchdiese Steuer- bzw. steuerindizierten Mehreinnah-men. Sie sind mit insgesamt 6,055 Mrd. € in diesemJahr so hoch wie noch nie und auch höher als inden zeitlich betrachteten guten Jahren 2007 und2008.

Erinnern möchte ich an der Stelle auch daran, dasswir es damals als CDU in der Alleinregierung ge-schafft haben, von diesen Steuereinnahmen Rück-lagen zu bilden, immerhin insgesamt in beiden Jah-

ren 451 Mio. €. Deswegen sagen wir, es muss unsauch jetzt gelingen, mit den Steuermehreinnahmennatürlich Schulden zu tilgen oder Rücklagen auchzu bilden. Denn ich frage Sie alle: Wann soll dasgelingen, wenn nicht jetzt, in Jahren, in denen dieSteuereinnahmen gut fließen, wann soll das sonstpassieren?

Dass wir in den nächsten Jahren den Rückgang derEinnahmen aus Solidarpaktmitteln, Länderfinanz-ausgleich und EU verkraften müssen, ist nichtsNeues. Herr Kollege Huster hat auch darauf zuRecht schon hingewiesen. Deshalb ist es umsowichtiger, dass jeder Euro jetzt mehr in die Schul-dentilgung oder in Rücklagen gesteckt werdenmuss. Mit dem Zinsniveau hatten wir bis jetztGlück, das wird aber auch sicherlich nicht dauerhaftso bleiben. Jeder Euro, den wir künftig weniger fürdie Zinsen ausgeben müssen, verhilft uns dannauch zu mehr Möglichkeiten im Haushalt. VonSpielräumen will ich gar nicht erst reden, die wer-den wir so nicht wieder bekommen.

Das Prinzip der Tilgung gilt im Übrigen auch schonimmer bei den Kommunen. Auch für diese wurdenSteuermehreinnahmen prognostiziert - das kam mirbisher in der Diskussion etwas zu kurz -, immerhin55 Mio. € für das Jahr 2012 und auch weitere Mehr-einnahmen für die Folgejahre. Wir hoffen, dass dasauch alles so eintreten wird, auch in den Jah-ren 2013 und 2014, für die diese Steuerschätzungja auch Aussagen getroffen hat. Das alles freut unsnatürlich und nach unserem Willen sollen dieseSteuermehreinnahmen auch für die Kommunennicht mehr der Spitzabrechnung unterliegen, son-dern für wichtige Investitionen in den Kommunenverbleiben, für die wir auch eine Planungssicherheitmit einer Finanzgarantie beim KFA bis in die nächs-ten Jahre, voraussichtlich bis zum Jahr 2020 auchanstreben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aufgrundder Einnahmeprognose steht auch der Umsetzungder entsprechenden Regelung unseres Koalitions-vertrages nichts mehr im Wege. Wir halten an derVereinbarung an der Aufstellung eins Doppelhaus-halts für die Jahre 2013 und 2014 fest. Wir hattenhier in Thüringen bereits mehrere Doppelhaushalteund das hat sich aus unserer Sicht auch bewährt,zumal auch Zuwendungsempfänger oder Förder-mittelempfänger wie auch die Kommunen dann et-was längere Planungssicherheit haben und überein Jahr hinaus planen können und auch ihre eige-nen Haushalte rechtzeitig damit aufstellen können.

Bundesländer wie Brandenburg oder Sachsen ha-ben auch Doppelhaushalte und die gleichen Rah-menbedingungen wie wir. Das will ich nur noch miterklärt haben bei diesem Tagesordnungspunkt, weiles ja auch immer mal diskutiert wird, nicht nur hierim Plenum, auch außerhalb.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8333

(Abg. Lehmann)

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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich werbeabschließend natürlich auch noch einmal für dieSchuldenbremse in der Landesverfassung, wie ichdas auch in der Aktuellen Stunde bei dem Punktbereits angesprochen habe. Auch dieser Tagesord-nungspunkt zeigt auf, wie wichtig es ist, dass wiruns an die Schuldentilgung machen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich den-ke, Herr Kollege Barth von der FDP, ich habe unse-re Position Ihnen gegenüber jetzt deutlich gemacht.Nach unserer Sicht ist im Gesetz und auch in derLandeshaushaltsordnung das Verfahren klar gere-gelt. Der Landtag hat das beschlossen mit demHaushaltsplan 2012. Insofern ist Ihr Antrag nichtnotwendig, aber schön geschrieben, wenn ich esabschließend noch sagen darf -, trifft im Großenund Ganzen auf unsere Intention. Aber es ist allesgeregelt. Deswegen werden wir Ihren Antrag ableh-nen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Frau Abgeordnete. Das Wort hat jetzt Abge-ordneter Meyer von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN.

Abgeordneter Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Herr Präsident. Aber der Antrag hat ja immerhinFrau Lehmann die Chance einer haushalterischenGrundsatzrede gegeben. Insofern war er bestimmtsehr sinnvoll und möglicherweise durchaus mal vor-besprochen mit irgendjemandem, Herr Barth.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Manchmal er-reicht man ja auch Dinge, die man nicht be-absichtigt.)

Das kann ja auch mal passieren, richtig. Ich glaubenämlich, dass sowohl Herr Dr. Pidde als auch FrauLehmann gewollt oder ungewollt die eigentliche Ab-sicht des FDP-Antrags nicht getroffen haben. Ichwill jetzt versuchen dagegenzusprechen und klarzu-machen, dass ich mich jetzt hier vorn wieder als je-mand sehe, der eigentlich für das gesamte Parla-ment redet und dafür den Haushalt, den diese Ko-alition beschlossen hat, den nicht ich beschlossenhabe, den auch nicht die Opposition beschlossenhat, zu verteidigen gegen die Exekutive und gegenIhren Antrag übrigens nebenbei auch, ist ja klar.Weil meiner Ansicht nach nicht nur der Spardruckhöher wird - da hat Herr Huster völlig recht -, son-dern das Recht des Parlaments, die Höhe von Aus-gaben selbst zu bestimmen, beschnitten wird. Siehaben in § 3 eine Reihenfolge vorgegeben bekom-men, Herr Finanzminister, Sie haben Schulden zutilgen, soweit sie nicht Mehrausgaben damit aus-gleichen müssen. Das heißt, Sie müssen Mehrein-nahmen zunächst benutzen, um Mehrausgaben,

und zwar unabweisbare Mehrausgaben - nicht ir-gend so ein Gedöns, was hier irgendjemand gernhätte, sondern unabweisbare Mehrausgaben, dasist definiert, dafür gibt es eine Landeshaushaltsord-nung - damit zu bezahlen. Und dann gibt es eineschöne Reihenfolge und die möchte Herr Barth än-dern. Der sagt, erst Schulden tilgen mit den Einnah-men, und zwar vollständig. Und dann sieh zu, wieDu irgendwoher Geld bekommst. Und dieses Ir-gendwoher-Geld-bekommen beschneidet in diesemFall sozusagen die Koalition, die die Mehrheit hat,in der Frage, wo denn eigentlich Geld eingestelltwerden sollte. Wir haben das Thema schon öfterdebattiert. Wir haben nur die Möglichkeit als Parla-ment, zu sagen, eine Summe von - nehmen wir malgegriffen - 1 Mio. € soll für eine bestimmte Leistungausgegeben werden können. Wenn das Geld nichtda ist, bestimmt der Finanzminister, dass nur weni-ger ausgegeben werden darf. Oder es wird auchweniger gebraucht, weil man sparsam wirtschaftet.Es sei, wie es sei, aber wenn wir dem Finanzminis-ter sagen, alle deine unabweisbaren Mehrausga-ben deckst du bitte durch Beschneidung andererAusgaben, respektive anderer Einnahmezuweisun-gen, dann ist das eine Beschneidung unseresRechts als Parlament darüber zu reden. Deshalblehnen wir das ab.

Das ist auch ein großer Unterschied zu dem, wasFrau Lehmann und Herr Dr. Pidde behauptet habenhier.

(Zwischenruf Abg. Lehmann, CDU: Wir sindja auch unterschiedliche Parteien und Frak-tionen.)

Ja, Sie haben aber behauptet, der Antrag würdeRechtslage darstellen, das tut er nicht. Er dreht dieReihenfolge der Verwendung der Mehreinnahmenum. Das ist gewollt vom Antrag. Das kann nicht vonIhnen gewollt sein, wenn Sie das Parlament ernstnehmen und Ihre Mehrheit in diesem Parlament,meiner Ansicht nach.

Frau Lehmann bringt es dann auch in ihrer Grund-satzrede fertig, Mehreinnahmen und Überschuss zuvermischen. Der Überschuss entsteht dann, wenndie Mehreinnahmen so hoch sind, dass die unab-weisbaren Mehrausgaben niedriger sind. Und ne-benbei bemerkt, Rücklagen können dann aus die-sem Überschuss gebildet werden. Aber die haus-haltspolitische Glanzleistung, 1 Mrd. € mehr Steuer-einnahmen zu bekommen, weil man mit so vielWirtschaftswachstum in 2007 und 2008 nicht ge-rechnet hatte, und davon dann nur 450 Mio. € alsRücklage einstellen zu können (und nicht zurSchuldentilgung zu verwenden, weil man schonahnte, was in den nächsten Haushaltsjahren aufeinen zukommt), kann man auch ganz anders be-werten. Man kann auch sagen, man hat es nichtfertig gebracht, weitere 550 Mio. € unabweisbareMehrausgaben anderweitig zu decken, denn das

8334 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Lehmann)

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hätte man eigentlich tun müssen nach der Lesartvon Herrn Barth und die Sie auch gerade unter-stützt haben, und da hätte man selbstverständlichdie Rücklagen, die Sie da genannt haben, eigent-lich zur Schuldentilgung einsetzen müssen. Das ha-ben Sie aber nicht getan. Dann hätten wir heute ei-ne halbe Milliarde weniger entsprechende Zinszah-lung. Sondern Sie wussten, dass Sie ab 2009 fürdie ganzen strukturellen Defizite, mit denen wir unsheute auseinandersetzen müssen, auch werdenzahlen müssen und waren sehr froh darüber, dassSie zwei Jahre lang das Problem unter der Deckehalten konnten. Das ist der Grund für die Rückla-gen und nicht für die Schuldentilgung. So viel zumThema kreativer Umgang mit Haushalt und Über-schüssen.

Aber der kreative Vorschlag, den Herr Barth hiermacht, heißt, wir würden uns darauf einstellen müs-sen, dass wir eine Summe von 50/60/70 Mio. € indiesem Haushaltsjahr zusätzlich aus anderenHaushaltspositionen herausnehmen müssten, unddas kann nicht in Ihrem Sinn sein, denn nach IhrerAuffassung ist jeder Euro genau richtig angelegt.Es ist Ihr Haushalt. Ich bestreite das, DIE LINKEauch und übrigens die FDP auch. Aber nach IhrerLesart dürften Sie das mit sich nicht machen lassenund dann dürften Sie auch zu so einem Antragnicht sagen: Im Prinzip finden wir ihn ganz toll, ichstimme ihm nur deshalb nicht zu, weil er von Ihnenkommt, sondern Sie müssten ihn ablehnen, weil ereine falsche Reihenfolge vorschlägt bei der Frage,wie mit § 3 umgegangen wird.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Nebenbei bemerkt müssten Sie ihn auch deshalbablehnen, weil er eigentlich eine Gesetzesänderungvorsieht, und das müsste man hier auch reinschrei-ben, er dürfte so, wie er hier geschrieben ist, nie-mals eingereicht werden, denn er würde § 3 än-dern. Vielen Dank, wir lehnen ab.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Abso-lut richtig.)

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt Ab-geordneter Barth von der FDP-Fraktion.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen undKollegen, herzlichen Dank an die beiden Oppositi-onskollegen. Sie haben sich immerhin die Mühe ge-macht, darüber nachzudenken, und sind offenkun-dig auch intellektuell dazu in der Lage, das hierdann wiederzugeben und zu erkennen zu geben,

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Ver-geben Sie wieder Noten, ja?)

dass es eben nicht einfach ein Antrag ist, den manjede Woche wieder aus der Tasche holt, ähnlichwie das Herr Pidde mit seinen Reden offenbarmacht, die zu beliebigen Dingen immer wiedergleich sind. Ich weiß gar nicht, eigentlich müsstenSie diese inzwischen auswendig können, Herr Pid-de.

Aber jedenfalls Herr Huster und Herr Meyer habenverstanden, worum es geht. Es geht eben geradenicht darum, dass alles geregelt ist. Genau darumgeht es nicht. Es geht gerade auch nicht darum,den § 3 zu ändern, sondern es geht zunächst ein-mal darum, der Landesregierung ein politisches Si-gnal, eine politische Willensbekundung aus diesemLandtag zu geben. Ob dann daraus, wenn man daskonsequent weitertreibt, Änderungen auch des § 3oder auch dann entsprechend im nächsten Haus-haltsgesetz entsprechende andere Formulierungen,Neuformulierungen folgen müssen, das ist eine Dis-kussion, auf die man sich dann einlassen kann,wenn dieser Antrag beschlossen ist. Erst einmalmuss der Landtag den politischen Willen dokumen-tieren, dass man die Reihenfolge, genau wie HerrMeyer es sagt, entsprechend ändert.

(Beifall FDP)

Meine Skepsis, liebe Kolleginnen und Kollegen, ge-genüber dieser Landesregierung bleibt.

Vizepräsident Gentzel:

Herr Abgeordneter, es gibt den Wunsch auf eineZwischenfrage vom Abgeordneten Huster.

Abgeordneter Barth, FDP:

Sehr gern.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Herr Barth, wir bemühen uns ja nun gegenseitig umKlärung. Nun sagen Sie mir mal bitte, was solltedenn nach Ihrer Lesart der Finanzminister beimVollzug des Haushaltes 2012, um den es in IhremAntrag geht, jetzt machen, wenn Ihr Antrag ange-nommen werden würde, der offenbar eine andereIntention, weil eine andere Reihenfolge hat als das,was wir in § 3 Haushaltsgesetz beschlossen ha-ben? Was soll dieser arme Mann denn nach IhrerLesart tun, wenn Ihr Antrag angenommen wird?

Abgeordneter Barth, FDP:

Also zunächst freue ich mich, dass Sie ihm gegen-über gelegentlich genauso bedauernd sich fühlenwie ich auch, ich komme noch darauf, aber die Ant-wort ist zunächst ganz einfach: Wir haben in denHaushaltsberatungen hier allein von meiner Frak-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8335

(Abg. Meyer)

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tion um die 600 Anträge gehabt, wo man im Haus-halt einsparen kann. Man kann sicherlich zu jedemeinzelnen unterschiedlicher Meinung sein. Mankann das, wie gesagt, auch so machen wie HerrPidde, das hat nichts mit einer ernsthaften Befas-sung zu tun, aber wenn man vor der Frage stünde,will ich/muss ich eine unabweisbare Mehrausgabefinanzieren oder muss ich das nicht tun, dann kannich mich vielleicht fragen: Nehme ich das Geld ausden Steuermehreinnahmen oder spare ich nicht aneiner anderen Stelle entsprechend Geld ein? Unddann kann ich die 700 Anträge oder 600 von unsoder die ich weiß nicht mehr wie viele von Ihneneinzeln durchgehen und kann sagen, in der Abwä-gung zwischen Schuldentilgung und dem entspre-chenden Haushaltstitel, der beschlossen ist, wasvon den beiden will ich wirklich und was ist mir inder Abwägung wichtiger? Das wäre zum Beispielein Vorgehen, das ich mir vorstellen kann.

(Beifall FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, denn es bleibt jameine Skepsis, die Skepsis meiner Fraktion gegendiese Landesregierung bestehen, was eben die De-finition - und es gibt ja diese Positivliste nicht - wassind denn unabweisbare Mehrausgaben. Ich kannmir die Begehrlichkeiten, die da gelegentlich geäu-ßert werden, gerade wenn Steuermehreinnahmenkommen, wir haben das in der Zeitung gelesen, derKultusminister hat gleich erst mal gesagt, dassSchuldenmachen kein Tabu ist, trotzdem wir Steu-ermehreinnahmen haben. Ich kann mir mit Sicher-heit vorstellen, dass unser Wirtschaftsverhinde-rungsminister durchaus auch der Meinung ist, dasses, wenn im Bund Solarförderung aus gutem Grundgekürzt wird, unabweisbar ist, dass wir in Thüringendie entsprechenden Programme erhöhen. Also dasind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Ich erin-nere an einen Vorgang, lieber Herr Kollege Meyer,der sich am Ende des Jahres 2010, ist es, glaubeich, gewesen, oder 2009, ich weiß es jetzt nichtmehr genau, als die Landesregierung plötzlich imHaushalt 10 Mio. € übrig hatte und sagte, was kön-nen wir denn damit alles schönes machen, und einApplikationszentrum in Ilmenau kaufte oder Beteili-gung daran kaufte. Wer klagt dagegen zu Recht,meine sehr verehrten Damen und Herren? Also dassind alles Dinge, wo ich sage, ja, das war in keinemHaushaltsplan drin. Das Geld hätten Sie eigentlichzur Schuldentilgung nehmen müssen.

(Beifall FDP)

Plötzlich war das Applikationszentrum in Ilmenaueine unabweisbare Mehrausgabe. Dieser Art Krea-tivität würde ich gern einen Riegel vorschieben. Dererste Schritt dazu ist eine politische Willensbekun-dung über die Reihenfolge, die gesetzlich dann zu-nächst noch anders geregelt ist, wo man in derKonsequenz durchaus darüber nachdenken kann.Ich kann mir vorstellen, dass wir dann auch für die

nächste Haushaltsberatung eine entsprechendeÄnderung des Paragraphen im Haushaltsgesetzdann vorschlagen, meine sehr verehrten Damenund Herren. Denn es bleibt, und das will ich hiernoch mal sagen, aus unserer Sicht richtig: Wir müs-sen die zusätzlichen Einnahmen verwenden, umendlich mit der Schuldentilgung zu beginnen, denndie europäische Schuldenkrise zeigt, dass auf Dau-er die Strategie des Schuldenmachens nicht auf-geht, meine Damen und Herren,

(Beifall FDP)

Wann, wenn nicht in den Zeiten, wo wir steigendeSteuereinnahmen haben, liebe Frau Kollegin Leh-mann, wann, wenn nicht jetzt, soll man damit begin-nen und sich entsprechend politisch auch deutlichpositionieren?

(Zwischenruf Abg. Lehmann, CDU: Das istdie Frage.)

Das ist übrigens auch ein Signal nach Europa, dasswir es in Deutschland nicht nur im Bund, sondernauch in den Ländern ernst meinen mit der Frageder Haushaltskonsolidierung.

(Beifall CDU, FDP)

Das hat für das Land zusätzlich den positiven Ef-fekt, dass wir natürlich auch perspektivisch Geldsparen. Das habe ich heute an anderer Stelleschon mal gesagt, aber es gehört auch hier hin, esist auch hier richtig. 651 Mio. € sind zwar im laufen-den Haushalt für die Schuldentilgung vorgesehen,wenn die Schulden entsprechend niedriger sind,sparen wir natürlich jedes Jahr auch die entspre-chende Zinszahlung. Es ist im Moment beim jetzi-gen Zinsniveau etwa 1 Mio. € pro Prozentpunkt, diewir an Zinsen bezahlen, und wenn entsprechenddie Zinsen dann auch hochgehen, werden es mit je-dem Prozentpunkt 1 Mio. €, die wir im Haushaltsparen, mehr. Auch das sollte ein Argument sein,was uns dazu führt, Schuldentilgung endlich anzu-gehen. Es gibt aber noch einen anderen Grund,auch wieder die Landeshaushaltsordnung, in dernämlich drinsteht, dass das Land verpflichtet ist, dieim Jahr 2011 aufgenommenen Schulden etwasüber 260 Mio. € - innerhalb von fünf Jahren zurück-zuzahlen. Das macht man durch Umschuldungenund so was. Das ist sicherlich alles dann auch inder Kreativität so, dass es sich im Rahmen des Ge-setzes bewegt, aber in Wahrheit müssten wir bei ei-ner gleichmäßigen Verteilung 52,3 Mio. € pro Jahran Schulden zurückzahlen, um auch dieser Rege-lung des Haushaltsgesetzes zu entsprechen, ihrGenüge zu tun. 1,5 Mio. sind vorgesehen von 52,3.1,5 Mio. sind in diesem Haushalt vorgesehen; wennwir das mal auf die fünf Jahre rechnen, müssten wirin den nächsten vier Jahren jeweils 65 Mio. € zu-rückzahlen, um die Differenz, die dieses Jahr ent-steht, auszugleichen. Ich weiß nicht, ob meineFraktion die einzige ist in diesem Hohen Haus, die

8336 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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durchaus Zweifel daran hat, dass es genauso kom-men wird. Wenn wir uns dann mal vorstellen - dieZahlen kann man sich natürlich auch beliebigschönrechnen -, dass wir die 96 Mio. € jetzt zusätz-lich nehmen, vielleicht die 320 Mio. € aus dennächsten beiden Jahren auch noch, dann kommenwir in drei Jahren zu einem Maß an Schuldentil-gung, da sind wir dann bei ungefähr 800 Mio. €,700 Mio. €, die wir dann Schulden tilgen könnten,wenn wir das konsequent täten. Ich finde, das istden Schweiß der Edlen wert und das wäre es auchwert, sich so einem Verfahren, lieber Kollege Hu-ster, im Haushaltsausschuss zu unterziehen, selbstohne die entsprechende gesetzliche Grundlage.

(Beifall FDP)

Frau Lehmann sagt aber, ist nicht nötig, ist alles ge-regelt, ein bisschen falsch verstanden. Ich glaube,dass es trotzdem notwendig ist, noch einmal zu sa-gen, die Erfahrung lehrt, dass die Haushaltsord-nung, dass die Gesetzeslage durchaus gelegent-lich, sagen wir, kreativ gehandhabt wird von derLandesregierung. Es gibt eine Grenze von 4 Mio. €bei entsprechenden Mehrausgaben, wo Nachtrags-haushalte notwendig sind. An 4 Mio. € Mehrausga-ben kann ich mich erinnern, an einen Nachtrags-haushalt nicht, jedenfalls nicht in den letzten zwei-einhalb Jahren. Das allein zeigt, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, dass es schon notwendigist, dass wir als Haushaltsgesetzgeber gelegentlichdie Landesregierung daran erinnern und auch mitpolitischen Willensbekundungen darauf pochen,dass es so läuft, wie wir als Landtag das wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habedas mit den 700 Anträgen gesagt. Herr Kollege Pid-de, Sie können das so machen, aber es ist keineseriöse Form der Auseinandersetzung, jeden dieser700 Anträge mit der Rede, die Sie heute gehaltenhaben, die Sie bei den Haushaltsberatungen gehal-ten haben, die Sie wahrscheinlich im nächsten Ta-gesordnungspunkt auch wieder halten werden, dasso zu machen, aber ich glaube, dass das AnliegenSchuldentilgung uns allen so viel wert sein sollte,dass wir uns im Ausschuss vielleicht noch einmal,lieber Herr Kollege Huster, darüber unterhalten, wieman das tatsächlich machen kann, ob mein Vor-schlag trägt oder ob es vielleicht einen anderengibt. Es geht um das Ziel, die Schuldentilgung. Dassollte uns einen und deswegen rufe ich Sie auf, un-serem Antrag, zumindest der Überweisung an denHaushaltsausschuss, zuzustimmen. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter. Aus der Mitte desHauses liegen mir jetzt keine weiteren Anträge aufRede vor. Herr Finanzminister hat um das Wort ge-beten.

Dr. Voß, Finanzminister:

Herr Präsident, meinen Damen und Herren, ja, dieSteuerschätzung vom Mai dieses Jahres signali-siert für das Jahr 2012 Steuermehreinnahmen ge-genüber unserer Veranschlagung von 96 Mio. €.Wir haben sehr viel in der Debatte gehört, wasdenn mit diesem schönen vielen Geld alles ge-macht werden soll. Ich will Ihnen mal als Finanzmi-nister sagen, ich wäre froh, wenn ich sie schon ein-mal in der Kasse hätte und würde dann mit Ihnengern über die Verwendung reden wollen. Wir solltennicht ganz vergessen, dass es sich nach wie vorum eine Schätzung und nicht um ein sicheres Er-eignis handelt. Das vielleicht mal vorweg.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Es steht auchkeine Zahl im Antrag, Herr Minister.)

Es ist wie bei dem berühmten Bär, den wir ja ersteinmal erlegen müssen, bevor wir das Fell vertei-len. Das muss man sich immer wieder in Erinne-rung rufen. Aber ich möchte auch klar sagen, wirhaben es nun mal im Haushaltsvollzug auch mitUnabweisbarkeiten und mitunter mit Ereignissen zutun, denen wir nicht ausweichen können. Ich erin-nere an die Zusatzversorgungssysteme, Herr Hu-ster. Das ist ein ständiges Ärgernis, aber eben auchnicht auf den letzten Groschen planbar. Insofernwird es auch an anderen Stellen immer mal zu Ver-schiebungen im Vollzug kommen, die natürlich derFinanzminister so steuern muss, dass er im Rah-men des Rechts bleibt. Das ist selbstverständlich.Das heißt, also mit ÜPL und APL darf man nichtleichtfertig umgehen. Wir haben auch Risiken überdie Tarife. Wir haben einiges eingeplant, das wis-sen Sie, aber es wird ja zugrunde gelegt ein festesBudget im Personalbereich und es bleibt ein Auf-trag für die Ressorts, dass sie das auch schaffen.Ich will einen Vergleich machen. Wir haben ja denHaushaltsplan 2011, den Abschluss, gerade vorge-legt. Der Haushalt 2012 liegt fast 300 Mio. € unter-halb des Abschlusses 2011. Das heißt, die Verwal-tung und das Land muss sich erst mal am Riemenreißen, jetzt diesen Schritt zu machen von einemIst, was eben 300 Mio. € über dem Soll 2012 liegt.Da wird deutlich, dass der Haushalt 2012 ein wirkli-cher Sparhaushalt ist und er wird auch nicht so ein-fach zu vollziehen sein ohne Anpassungen. Wennes dann Spielraum gibt, Herr Barth, haben Sie michauf Ihrer Seite. Selbstverständlich sollte man versu-chen, möglichst viel, vielleicht auch alles, man weißes nicht, man muss es abwarten, aber selbstver-ständlich werde ich mich dafür einsetzen, dannauch zu tilgen, um einfach diese Überschüsse derFinanzpolitik und damit auch der finanziellen Stabi-lität des Freistaats zugute kommen zu lassen. Wirhaben eine Tilgung von 1,5 Mio. €. Er hat abge-schlossen mit 261 Mio. € neuen Schulden. Ich sageauch ganz offen, das ist für mich zu viel, ich binnicht sehr erbaut darüber, das haben Sie ja viel-leicht auch in den Debatten gemerkt. Aber gleich-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8337

(Abg. Barth)

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wohl es ist immer noch ein Abschluss, der hierdoch über 200 Mio. € unter dem Soll liegt, insofernerfreulich. Aber wir tragen jetzt auch ein Päckchenvon etwa 65 Mio. € pro Jahr, welches wir zu tilgenhaben, oder welches wir zu schultern haben. Ichsage noch mal, wenn es der Haushaltsvollzug inder Gesamtbetrachtung zulässt, dann natürlichmöglichst viel für die Finanzpolitik und das heißt,Abfinanzierung von Rechtsverpflichtungen undSchulden sind ja auch Rechtsverpflichtungen. Inso-fern möchte ich vielleicht auch dem einen oder an-deren schon mal ein Signal geben. Schauen wirmal, wie der Abschluss 2012 wird, Überschüssesollten dann auch wirklich zur Tilgung verwendetwerden. Schönen Dank.

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Dr. Voß. Weitere Wortmeldungen zudiesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor,ich schließe deshalb die Aussprache und wir kom-men zur Abstimmung.

Zunächst ist die Überweisung des Antrags derFraktion der FDP an den Haushalts- und Finanz-ausschuss beantragt worden. Wer der Überwei-sung der Drucksache 5/4425 - Steuermehreinnah-men zur Schuldentilgung verwenden -, Antrag derFraktion der FDP, an den Haushalts- und Finanz-ausschuss zustimmen möchte, den bitte ich jetztum sein Handzeichen. Das ist die Zustimmung beider Fraktion der FDP. Gegenstimmen? Gegenstim-men kommen von den Fraktionen der CDU, derSPD, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von denLINKEN. Gibt es Stimmenthaltungen? Bei1 Stimmenthaltung ist die Ausschussüberweisungabgelehnt.

Wir kommen zur direkten Abstimmung über denAntrag. Wer dem von mir genannten Antrag in derDrucksache 5/4425 zustimmen möchte, den bitteich jetzt um sein Handzeichen. Das ist Zustimmungvon der Fraktion der FDP. Danke. Gegenstimmen?Gegenstimmen gibt es von der CDU, der SPD, vonBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von den LINKEN.Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist jetzt nicht derFall. Damit ist dieser Antrag abgelehnt und ichschließe diesen Tagesordnungspunkt.

Wie angekündigt, rufe ich jetzt auf den Tagesord-nungspunkt 25

Fragestunde

Wir beginnen mit der Mündlichen Anfrage des Ab-geordneten Hauboldt von der Fraktion DIE LINKEin der Drucksache 5/4491.

Abgeordneter Hauboldt, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident.

Gesundheitsgefahren im Justizzentrum Gera?

In einem Artikel der „Thüringer Allgemeinen“ vom23. Mai 2012 unter der Überschrift „Schadstoffe imJustizzentrum in Gera“ wird berichtet, dass es imneuen Justizzentrum in Gera Probleme mit Schad-und Giftstoffen im Gebäude bzw. in der Raumluftgeben soll. In dem o. g. Artikel wird auch über zumTeil schwerwiegende Erkrankungsfälle von Be-schäftigten berichtet. Schadstoffmessungen in derLiegenschaft sollen auch Überschreitungen vonGrenzwerten für Giftstoffe ergeben haben. Schonim Jahr 2010 soll es im Justizzentrum Gera ver-gleichbare Probleme gegeben haben.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie stellt sich derzeit die Situation hinsichtlichSchad- und Giftstoffbelastung und daraus wahr-scheinlich resultierenden Erkrankungen von Be-schäftigten im Justizzentrum Gera dar, vor allemmit Blick auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläu-fe (Art und Konzentration der festgestellten Schad-stoffe, Kausalzusammenhang mit Zahl und Sym-ptombild der Erkrankungsfälle)?

2. Wie lange sind diese und gegebenenfalls anderefür die Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe (z.B. Nutzbarkeit von Sitzungssälen) im JustizzentrumGera relevanten Belastungen bekannt und welchedavon waren gegebenenfalls schon zum Zeitpunktder Bauabnahme bzw. Inbetriebnahme der Einrich-tung ersichtlich?

3. In welcher Form wurde bzw. wird im vorliegen-den Fall - gegebenenfalls mit welchen schon vorlie-genden Ergebnissen - Ursachenforschung betrie-ben, insbesondere auch mit Blick auf eine möglicheGeltendmachung von Schadenersatz- und Bau-mängelhaftungsansprüchen?

4. Welche mit dem aktuellen Fall im JustizzentrumGera vergleichbaren Fälle aus den Jahren 2002 bis2012 sind der Landesregierung, bezogen auf neuerrichtete oder sanierte Liegenschaften der Thürin-ger Justiz, bekannt?

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet das Justizminis-terium, Herr Minister Dr. Poppenhäger.

Dr. Poppenhäger, Justizminister:

Herr Abgeordneter Hauboldt, lassen Sie mich vor-ausschicken, dass die Umstände im JustizzentrumGera durch mein Haus genau verfolgt und sehrernst genommen werden. Gestatten Sie mir daherzum besseren Verständnis die Fragen 1 bis 3 zu-sammenhängend und chronologisch zu beantwor-ten.

Die vier neuen Mietgebäude des JustizzentrumsGera wurden im Februar 2010 bezogen. Zu erstenMeldungen über Geruchsbeschwerden kam es et-wa drei bis vier Wochen nach dem Einzug. Akuten

8338 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Minister Dr. Voß)

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Handlungsbedarf sah das hausverwaltende Land-gericht nicht, da bei einem Neubau Geruchsproble-me zunächst nicht ungewöhnlich schienen. Dasliegt an der heutzutage verwendeten Bauchemie,auf die zumindest bei der konventionellen Bauwei-se allein schon aus Gründen der Energieeinspar-verordnung nicht verzichtet werden kann. Fernerbezogen sich die Problemschilderungen vorwie-gend auf die Raumluftsituation nach den Wochen-enden, die sich durch Lüftung schnell bessern ließ.Da aber bis Mitte April 2010 subjektiv sich keineBesserung ergab, sammelte das Landgericht dieBeschwerdebilder, um die Raumluftmessung einzu-leiten. Mitte Mai 2010 nahm das Landgericht Kon-takt zum Landesbetrieb THÜLIMA auf, um eineRaumluftmessung durch die Unfallkasse Thürin-gens zu veranlassen. Zwischen Juni und Septem-ber 2010 hat die Unfallkasse Thüringen vier Raum-luftmessungen vorgenommen. Aus dem erstenMessbericht im Juni 2010 ergab sich noch, dass dieRaumluftkonzentration als deutlich zu hoch einzu-stufen war. Im Laufe der weiteren Messungennahm die gemessene Raumluftkonzentration je-doch stetig ab. Die vierte Raumluftmessung imSeptember 2011 ergab schließlich, dass unter denBedingungen des Lüftungsregimes während derNutzung nicht von einer allgemeinen Gesundheits-gefahr auszugehen sei. Begleitend zu den Raum-luftproblemen wurden vom Vermieter die Datenblät-ter über den Bau des Justizzentrums und die ver-wendeten Stoffe eingeholt. Die Datenblätter enthal-ten keine Auffälligkeiten. Es wurden gemäß der vor-gelegten Datenblätter keine Stoffe verwendet, diebautechnisch nicht zugelassen wären.

Trotz der in den Messberichten festgestellten Bes-serungen hielten die Beschwerden über die Raum-luft an. Um die Angelegenheit weiter aufzuklären,vereinbarte das Landgericht Gera AnfangApril 2012 mit dem betriebsärztlichen Dienst, dass27 Personen aus den verschiedenen Bereichen desJustizzentrums, die sich dafür freiwillig gemeldethatten, vom 12. April bis 12. Juni 2012 medizinischuntersucht werden. Nach der Erkrankung eines Mit-arbeiters, in dessen Blut Giftstoffe nachgewiesenwerden konnten, beschloss das Landgericht ferner,von zwei unabhängigen Fachinstituten jeweils Ma-terialproben, also aus dem Bodenbelag, aus demEstrich, aus dem Kleber, aus der Tapete und denRestfarben aus den betroffenen Bereichen des Jus-tizzentrums entnehmen und analysieren zu lassen.Zusätzlich soll ein Fachinstitut nochmals die Raum-luft messen. Dabei wurde zunächst vom Vermieterdie Zustimmung zur Entnahme von Materialprobeneingeholt. Allerdings gestaltete sich die Gewinnungeines Instituts äußerst schwierig. Zunächst ange-schriebene Institute haben jeweils einen Auftragwegen Überlastung abgelehnt. Es mussten weitereInstitute angeschrieben werden. Nunmehr habenzwei Institute mündliche Zusagen gegeben. Schrift-liche Zusagen liegen bislang nicht vor. Die Aufträge

sollten sobald wie möglich jedoch nach meiner Mei-nung vergeben werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Nach den letz-ten Berichten der Unfallkasse Thüringen befindetsich die Schadstoffkonzentration der Raumluft ins-besondere auch im Haus IV des Justizzentrum ineinem unproblematischen Bereich. Allerdings riechtes dort nach wie vor zeitweise nach „Chemie“ undes werden Beschwerden weiterhin vorgebracht. Biszum heutigen Zeitpunkt konnte nicht festgestelltwerden, dass Krankmeldungen kausal auf dasRaumluftklima zurückzuführen sind. Veränderun-gen im Arbeitsablauf, sieht man von dem Lüftungs-regime ab, wurden jedoch bislang nicht bekannt.

Zu Frage 4: In ihren Dimensionen mit dem Justiz-zentrum Gera vergleichbare Fälle gab es bei Bezuganderer Gerichtsgebäude in Thüringen nicht. Pro-bleme gab es in einem räumlich relativ eng be-grenzten Bereich im Justizzentrum in Meiningen.Dort wurde nach Bezug aufgrund ähnlicher Be-schwerden wie jetzt in Gera ebenfalls Ursachenfor-schung betrieben. Eine konkrete Ursache konntejedoch nicht festgestellt werden. Es wird u.a. ver-mutet, dass eine Charge des Teppichbodens Aus-löser von Geruchsbelästigung war. Nach ca. zwei-einhalb Jahren hat sich die Situation dann gebes-sert und es kam nicht mehr zu weiteren Beschwer-den. Vielen Dank.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt zunächst eine Nachfrage durch den Frage-steller.

Abgeordneter Hauboldt, DIE LINKE:

Danke, Herr Minister. Mit Blick auf die Zeitabläufe,die Sie hier geschildert haben, dass es bereits nachEinzug - drei, vier Wochen nach Einzug - erste Be-schwerden gab und mit dem Jahr 2010 dann auchbestimmte Verfahren eingeleitet worden sind: Se-hen Sie hinsichtlich der Geltendmachung von Scha-denersatz- und BaumängelhaftungsansprüchenProbleme auf die Landesregierung zukommen odersind diesbezüglich schon Vorkehrungen getroffenworden?

Dr. Poppenhäger, Justizminister:

Na ja, die Frage stellt sich eher umgekehrt, HerrAbgeordneter Hauboldt. Die Frage stellt sich jaeher, ob angesichts der Mängel, die dort im Mo-ment untersucht werden, Schadenersatzansprücheauf den Eigentümer und Vermieter dieser Immobiliezukommen. Wir haben eher das Problem - das willich offen sagen -, wenn die Probleme dauerhaftnicht abgestellt werden können, vor allem wenn eseine Kausalitätskette geben sollte zwischen Erkran-kung und den Baumängeln, dann müssen wir natür-lich erwägen, auch eine außerordentliche Kündi-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8339

(Minister Dr. Poppenhäger)

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gung dort in Betracht zu ziehen, zumindest ausHaus IV, um unsere Mitarbeiter dort zu schützen.Dann würden auch etwaige Schadenersatzforde-rungen an den Vermieter infrage stehen, aber, wiegesagt, in dieser Reihenfolge.

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE:Verjährungsfristen - kein Thema? Das wardie Frage.)

Das hoffe ich nicht, dass Verjährungsfristen jetztschon ein Thema sein können.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt den Wunsch auf Nachfrage durch den Ab-geordneten Koppe.

Abgeordneter Koppe, FDP:

Herr Minister, ich würde gern zwei Fragen stellen -Herr Präsident, wenn ich darf -, zum einen, Sie ha-ben ja angesprochen, dass das Land sich dort indie Immobilie eingemietet hat. Die erste Frage wä-re: Wer ist der Eigentümer? Falls das nicht iden-tisch ist: Wer war der Bauherr des Bauvorhabens?Zum Zweiten zielt es jetzt so ein bisschen auf dieFrage des Kollegen Hauboldt: Wurden überhauptund - wenn ja - wann wurden gegebenenfalls Män-gel angezeigt und auf welcher Rechtsgrundlage?

Dr. Poppenhäger, Justizminister:

Ich bitte um Verständnis, dass ich den Namen desVermieters an dieser Stelle nicht nennen will. Ichkann aber sagen, dass er sich bisher sehr konstruk-tiv verhalten hat in Bezug auf die Mängelsuche.Nach allem, was wir bisher wissen, ist jedenfallsder Bau nach den technischen Voraussetzungen,nach den technischen Vorschriften errichtet wor-den.

Die zweite Frage: Auf welcher RechtsgrundlageMängel angezeigt wurden, ist mir nicht klar. Alsodie Mitarbeiter haben über subjektive Beschwerdengeklagt. Das Landgericht, der Landgerichtspräsi-dent, der der Hausherr ist, hat sich daraufhin natür-lich an THÜLIMA gewandt, die für uns diese Immo-bilie verwaltet. THÜLIMA hat den Kontakt dann mitdem Vermieter aufgenommen. All das ist bisherwohl reibungslos verlaufen. Aber vielleicht habe ichSie an der Stelle nicht richtig verstanden, Herr Ab-geordneter Koppe.

(Zuruf Abg. Koppe, FDP: Meine erste Fragewar: Ist der Bauherr identisch mit dem Eigen-tümer?)

Das kann ich im Moment nicht beantworten. Daswill ich Ihnen gern schriftlich beantworten.

Vizepräsident Gentzel:

Weitere Nachfragen sind nicht möglich. Danke,Herr Minister. Ich rufe auf die Mündliche Anfrageder Abgeordneten Stange von der Fraktion DIELINKE in der Drucksache 5/4492.

Abgeordnete Stange, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident.

Schulbauempfehlungen mit Raumprogrammemp-fehlungen für allgemeinbildende Schulen

Im Rahmen der Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention ist die Thüringer Landesregierungangehalten, ein Schulsystem aufzubauen, in demInklusion fester Bestandteil ist. Hierzu bedarf esinsbesondere Umbauten zu barrierefreien Schulen.Das Land unterstützt die Schulträger bei Baumaß-nahmen und fördert diese nach der Schulbauförder-richtlinie. Die Schulbauempfehlung, welche dietechnischen Regelungen für den Schulbau vorgibt,stammt aus dem Jahr 1997 und die ThüringerSchulbaurichtlinie stammt aus dem Jahr 1999. Bei-de entsprechen damit nicht mehr den Anforderun-gen an die Inklusion. Schulen, die bei Umbautendie Anforderungen an die Inklusion berücksichtigtenund deshalb den Vorgaben der Schulbaurichtlinieund der Schulbauempfehlung nicht entsprochen ha-ben, sollen Fördermittel verwehrt worden sein.

Ich frage die Landesregierung:

1. Werden die Schulbauempfehlung mit Raumpro-grammempfehlungen für allgemeinbildendeSchulen sowie die Thüringer Schulbaurichtlinieüberarbeitet? Falls ja, wann werden die überarbei-teten Fassungen vorliegen?

2. Wer ist für die Überarbeitung federführend?

3. Wie gedenkt die Landesregierung mit notwendi-gen Abweichungen im Schulneubau und Schulum-bau und der dazu notwendigen Finanzierung biszum Vorliegen der überarbeiteten Fassungen um-zugehen?

4. Gibt es im Freistaat Thüringen Schulen, welchenaufgrund der notwendigen Abweichungen zur Rea-lisierung der Inklusion Fördermittel gestrichen wur-den? Wenn ja, wie viele Schulen waren davon be-troffen und in welchen Orten (nach Landkreis undGemeinde aufgeschlüsselt) befinden sich diese?

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet der Minister fürBau, Landesentwicklung und Verkehr, Herr Carius.

Carius, Minister für Bau, Landesentwicklungund Verkehr:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren, die Mündliche Anfrage der Abgeordneten

8340 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Minister Dr. Poppenhäger)

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Stange beantworte ich im Namen der Landesregie-rung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Thüringer Schulbaurichtlinie ausdem Jahr 1999 wurde im Jahr 2010 überarbeitetund am 29. November 2010 im Thüringer Staatsan-zeiger veröffentlicht. Die Thüringer Schulbaurichtli-nie enthält keine Anforderungen zur Barrierefreiheit,da die Richtlinie ausschließlich die Anforderung derThüringer Bauordnung zum vorbeugenden bauli-chen Brandschutz konkretisiert. Somit stellt sich imZusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskon-vention auch nicht die Frage der Überarbeitung. DieAnforderungen an die Barrierefreiheit ergeben sichaus § 53 der Thüringer Bauordnung sowie den ent-sprechenden DIN-Vorschriften - hier DIN 18024 -zum barrierefreien Bauen. Bezüglich der Schulbau-empfehlung mit Raumprogrammempfehlungen fürallgemeinbildende Schulen ist hingegen zeitnah ei-ne Überarbeitung vorgesehen. Neben der Anpas-sung der Raumprogrammempfehlung an die Inklu-sion wird im Rahmen dieser Überarbeitung auchdie Herstellung der notwendigen Barrierefreiheit be-rücksichtigt werden.

Zu Frage 2: Die Federführung für die Überarbeitungliegt in meinem Haus.

Zu Frage 3: Da die Prüfung der Angemessenheitvon Schulbauvorhaben stets eine Einzelfallent-scheidung ist, können notwendige Abweichungenvon den Schulbauempfehlungen auch weiterhin alsförderfähig anerkannt werden.

Zu Frage 4: Nein.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt eine Nachfrage durch die Fragestellerin.

Abgeordnete Stange, DIE LINKE:

Sie haben gerade gesagt, dass eine Überarbeitungder Raumprogrammbauempfehlung zeitnah erfol-gen soll. Was ist zeitnah?

Carius, Minister für Bau, Landesentwicklungund Verkehr:

Zeitnah ist, dass der Abstimmungsprozess mit denSchulträgern gerade begonnen hat.

Vizepräsident Gentzel:

Eine weitere Nachfrage.

Abgeordnete Stange, DIE LINKE:

Wie lange kann der Abstimmungsprozess mit denTrägern denn Ihrer Meinung nach dauern? Geht esda um Monate, kann sich das über ein Jahr hinzie-hen?

Carius, Minister für Bau, Landesentwicklungund Verkehr:

Er kann so lange dauern, bis er abgeschlossen ist.

Abgeordnete Stange, DIE LINKE:

Danke für die sehr konkrete Antwort.

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Minister. Ich rufe auf die MündlicheAnfrage des Abgeordneten Gumprecht von derCDU-Fraktion in der Drucksache 5/4495.

Abgeordneter Gumprecht, CDU:

„Fangprämien“ im Thüringer Gesundheitswesen?

Eine aktuelle Studie der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg im Auftrag des GKV-Spitzenver-bandes kommt zu dem Ergebnis, dass die Zuwei-sung von Patienten gegen wirtschaftliche Vorteile -die sogenannte „Fangprämie“ - im deutschen Ge-sundheitswesen keine Ausnahme, sondern gängigePraxis ist. Statt medizinischer Argumente würdenoft Prämiengelder oder Sachleistungen darüberentscheiden, zu welchem Arzt, zu welcher Klinikoder zu welchem Hilfsmittelerbringer Patienten ge-lenkt werden. Die repräsentative Studie stützt sichauf die Aussagen von 1.141 niedergelassenen Ärz-ten, leitenden Angestellten von stationären Einrich-tungen sowie nichtärztlichen Leistungserbringern.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie schätzt die Landesregierung die Ergebnisseder Studie ein?

2. Wie viele Fälle von Vergütung für die Zuweisungvon Patienten sind der Landesregierung in Thürin-gen seit der Einrichtung der gemeinsamen Clea-ringstelle der Landesärztekammer, der Kassenärzt-lichen Vereinigung und der Landeskrankenhausge-sellschaft im Jahr 2010 bekannt?

3. Wie wurden diese Fälle sanktioniert?

4. Beabsichtigt die Landesregierung, bei der anste-henden Novellierung des Thüringer Krankenhaus-gesetzes der Empfehlung des GKV-Spitzenverban-des zu folgen und ein Verbot von Zuweisungen ge-gen Entgelt nach dem Vorbild der BundesländerNordrhein-Westfalen und Bremen aufzunehmen,wenn nein, warum nicht?

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet das Ministeriumfür Soziales, Familie und Gesundheit. In diesemFall macht es Herr Staatssekretär Dr. Schubert.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8341

(Minister Carius)

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Dr. Schubert, Staatssekretär:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen undHerren Abgeordneten, namens der Landesregie-rung beantworte ich die Mündliche Anfrage des Ab-geordneten Gumprecht wie folgt.

Zu Frage 1: Die Studie selbst liegt uns im TMSFGnoch nicht vor. Lediglich die Zusammenfassung derStudie durch die Autoren ist unserem Haus be-kannt. Ziel der Studie, so die Aussage der Autorenin der Veröffentlichung der wesentlichen Ergebnis-se, war es, die Verbreitung, das Ausmaß und dieUrsachen unzulässiger Zusammenarbeit im Ge-sundheitswesen, z.B. von Zuweisungen gegen Ent-gelt, zu untersuchen. Das Kernergebnis der Studieist nach deren Aussage die Selbsteinschätzung vonniedergelassenen Ärzten, leitenden Mitarbeiternund stationärer Einrichtungen und von nichtärztli-chen Leistungserbringern, dass Patientenzuweisun-gen gegen Entgelt und andere wirtschaftliche Vor-teile im deutschen Gesundheitswesen keine Einzel-fälle, sondern die verbreitete Praxis seien. NachAussage der Autoren der Studie haben die Ärztenicht ausreichendes Wissen über die bestehendengesetzlichen Regelungen. Nach § 2 - Allgemeineärztliche Berufspflicht - ist aber unter anderem diePflicht des Arztes geregelt, sich über die für die Be-rufsausübung geltenden Vorschriften unterrichtet zuhaben. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetzhat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2012 zu denbestehenden rechtlichen Regelungen noch eingleichlautendes sozialgesetzliches Verbot, der „Zu-weisung gegen Entgelt für Vertragsärzte“ einge-führt, das steht in § 73 Abs. 7 SGB V. Wer also Zu-weisungen künftig mit einem monetären oder ge-genständlichen Angebot bzw. einer Forderung ver-bindet, verstößt gegen die vertragsärztlichen Pflich-ten und hat mit entsprechenden Konsequenzen zurechnen. Die ärztlichen Standesvertretungen sindhinsichtlich der Einhaltung der vorgenannten klarenberufsrechtlichen und sozialrechtlichen Normen inbesonderer Verantwortung. Es ist daher die Aufga-be der Landesärztekammer Thüringen, der Kassen-ärztlichen Vereinigung Thüringen und der Landes-krankenhausgesellschaft, in Zukunft noch genauerhinzuschauen und erwiesene Verstöße mit den not-wendigen Konsequenzen zu ahnden.

Zu Frage 2: Weder der federführend für berufs-rechtliche Prüfungen verantwortlichen Landesärzte-kammer Thüringen noch der Thüringer Landesre-gierung sind die vom Fragesteller, also von Ihnenhinterfragten Fälle bis zum heutigen Tage bekanntgeworden. Ich darf zudem klarstellen, dass es inThüringen eine Clearingstelle als gemeinsame Ein-richtung der in der Antwort zu Frage 1 genanntenKörperschaften nicht gibt. Vielmehr haben die Lan-desärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigungund die Landeskrankenhausgesellschaft am 22. Juli2010 eine Vereinbarung zum Zusammenhalt zwi-schen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäu-

sern beschlossen und damit die Empfehlung derBundesärztekammer, Kassenärztlichen Bundesver-einigung und deutschen Krankenhausgesellschaftebenfalls vollinhaltlich umgesetzt. In der ThüringerVereinbarung verpflichten sich die Vertragspartnerzur Zusammenarbeit und heben hervor, dass derBestechung und Korruption kein Platz im Gesund-heitswesen eingeräumt werden darf.

Zu Frage 3: Da es keine im Sinne der Fragestellunggenannten Fälle gibt, können auch keine Sanktio-nen erlassen werden.

Zu Frage 4: Der derzeitige Entwurf der Novellierungdes Thüringer Krankenhausgesetzes sieht eine Re-gelung zum Verbot von Zuweisungen gegen Entgeltnicht vor. Auch wenn es entsprechende gesetzlicheRegelungen wie z.B. in § 31 der Musterberufsord-nung für deutsche Ärzte in § 128 Abs. 2 und 6SGB V oder § 73 Abs. 7 SGB V bereits gibt, wirddieser Aspekt im Rahmen der Anhörung zum Ge-setzentwurf jedoch einer Prüfung unterzogen undwir schauen dann, ob wir das in der zweiten Lesungim Kabinett dann noch aufnehmen können. Danke.

Vizepräsident Gentzel:

Nachfragen sehe ich nicht. Danke, Herr Staatsse-kretär. Ich rufe auf die Mündliche Anfrage des Ab-geordneten Huster von der Fraktion DIE LINKE inder Drucksache 5/4497.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Zusätzliche Kürzungen im Landeshaushalt auf-grund nicht zufließender bzw. nicht abgerufenerEU-Mittel?

Der Haushalt 2011 wurde mit 261,4 Mio. € Netto-neuverschuldung abgeschlossen, obwohl es u.a. si-gnifikante Steuermehreinnahmen gab.

Ein Grund der Nettoneuverschuldung war, dass esbei den EU-Programmen 2011 aufgrund nicht zu-fließender bzw. nicht abgerufener EU-Mittel der ak-tuellen Förderperiode zu Mindereinnahmen in Höhevon 324,3 Mio. € kam. Zusammen mit der Abrech-nung der Förderperiode 2000 bis 2006 standen sogeplanten Einnahmen im Haushalt 2011 in Höhevon ca. 816 Mio. € lediglich 445 Mio. € Ist-Einnah-men gegenüber.

Aufgrund der geltenden Schuldenbremse in derThüringer Landeshaushaltsordnung muss es imFalle einer Nettokreditaufnahme im Jahr 2011 inden Folgejahren zu Tilgungen dieser 261,4 Mio. €Schulden kommen. Diese müssen in einem Til-gungsplan (§ 18 Abs. 3 ThürLHO) verbindlichdargestellt werden. Für das Haushaltsjahr 2012sind 1,5 Mio. € Tilgung veranschlagt, so dass259,9 Mio. € in den Jahren 2013 bis 2016 getilgtwerden müssen.

8342 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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Für das Haushaltsjahr 2012 sind einnahmeseitigvon der EU wiederum ca. 522 Mio. € geplant. AmEnde des I. Quartals 2012 ist lediglich ein Eingangder Mittel bei ELER in Höhe von 25 Mio. € zu ver-zeichnen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Mittel in welcher Höhe stehen einnah-meseitig aus den Förderperioden 2000 bis 2006 so-wie 2007 bis 2013 in den einzelnen Programmenaktuell noch aus?

2. Welche Ursachen hat die im Haushaltsjahr 2011wesentliche Unterschreitung der einnahmeseitigenPlanansätze bei den EU-Mitteln, besonders beimEFRE und beim ESF und welche Konsequenzensieht die Landesregierung für den Haushaltsvoll-zug 2012?

3. Welche Konsequenzen zieht die Landesregie-rung daraus für die Aufstellung und den Vollzug derHaushalte für die nächsten zwei Jahre?

4. Sieht die Landesregierung Bedarf für eine mögli-che Klarstellung in der Landeshaushaltsordnungbei der Schuldenbremse oder weiterer Regelungenbezüglich der Vereinnahmung bzw. Verausgabungder EU-Mittel?

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet der Finanzminis-ter Herr Dr. Voß.

Dr. Voß, Finanzminister:

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Hu-ster, ich beantworte Ihre Mündliche Anfrage für dieLandesregierung wie folgt:

Zur 1. Frage: Im ESF - also dem Europäischen So-zialfonds - stehen für die Förderperiode 2000 bis2006, also die vergangene Förderperiode, nochEinnahmen von 9 Mio. € aus. Bezogen auf die ge-samte Förderperiode 2007 bis 2013 stehen noch367 Mio. € für den gesamten Zeitraum aus. Für denBereich des EFRE stehen von der Förderperiode2000 bis 2006 noch Einnahmen in Höhe von37 Mio. € aus und für die Förderperiode 2007 bis2013 noch 605 Mio. €, die stehen noch zur Verfü-gung und sind aus der Säule noch nicht verarbeitet.Beim EAGFL stehen für die vergangene Förderperi-ode 2000 bis 2006 keine Mittel mehr aus. Diese Pe-riode ist für den Bereich der Landwirtschaft abge-schlossen und es sind auch keine Schlusszahlun-gen oder sonstige Dinge zu erwarten. Für denELER - so heißt das ja jetzt in der neuen Förderpe-riode 2007 bis 2013 - stehen noch 292,2 Mio. aus.Ich füge hinzu, dass natürlich auch noch entspre-chende Ausgaben getätigt werden müssen, dasmuss man sehen.

Zu Frage 2 antworte ich wie folgt: Die einnahmesei-tige Unterschreitung der Planansätze für 2011 bein-haltet im Wesentlichen die Schlusszahlungen, diefür ESF und EFRE aus der vergangenen Förderpe-riode nicht voll gekommen sind. Ich habe gesagt,dass 37 Mio. und 9 Mio. dort noch ausstehen unddie Einnahmen für den ESF für die Förderperiode2007 und 2013 ebenfalls nicht voll gekommen sind.Für den aufgrund anhaltender Prüfungen durch dieEuropäische Kommission, Europäische Institutio-nen kam es also nicht zur vollumfänglichen Verein-nahmung dieser Schlusszahlung. Man muss viel-leicht erläuternd hinzufügen, dass für den ESF dieEuropäische Kommission auch das Erstattungsver-fahren umgestellt hat, und zwar soll nunmehr nurnoch ausgezahlt werden, wenn Verwendungsnach-weisprüfungen der entsprechenden Ausgaben er-folgt sind. Also die EU verlangt einen gewissen Gü-testempel für diese Verwendungen, also die quali-tativen Anforderungen sind gestiegen. Auch dasführte dazu, dass hier eine gewisse zeitliche Di-stanz, also ein gewisser Zeitraum nicht erreichtwerden konnte.

Sie fragen, wie soll dem künftig begegnet werdenals Bestandteil der Frage 2: Hier hatte ich schon imHaushalts- und Finanzausschuss ausgeführt, dasswir selbstverständlich das Abrufen optimieren müs-sen. Was verstehe ich unter Optimieren? Die Ver-waltungsbehörde, die im Wirtschaftsministerium an-gesiedelt ist für den ESF und EFRE, muss sichstärker - und das gilt auch umgedreht - mit dem Fi-nanzministerium terminlich und was die Antragstel-lung bei der EU betrifft, verzahnen und was das Fi-nanzministerium anbelangt, werden wir sehr, sehrscharf darauf drängen, dass die Anträge pünktlichgestellt werden, so dass hier auch das Manage-ment, das Einnahmemanagement verbessert wer-den kann und es dann - wie wir heute schon in derDebatte auch gehört haben - nicht zu Überraschun-gen kommen kann.

Zu Frage 3: Nach § 11 der Thüringer Landeshaus-haltsordnung enthält der Haushaltsplan erwarteteEinnahmen und Ausgabeermächtigungen. Er ent-hält Prognosen über die Kassenwirksamkeit sowohlbei den Ausgaben als auch bei den Einnahmen.Ansonsten die Frage, was hat das für eine Auswir-kung für die Aufstellung, den Vollzug des Haushaltsfür die nächsten zwei Jahre? Ich sehe das nicht,verweise aber darauf, dass wir stärker daraufschauen müssen, dass die formalen Dinge erfülltsind.

Zu Frage 4: Eine mögliche Klarstellung in der Lan-deshaushaltsordnung, Herr Huster, das muss ichsagen, sehe ich nicht, in der Haushaltsaufstellungohnehin nicht. Was hier in Rede steht, bedarf derFinanzminister oder bedarf der Freistaat stärkererInstrumente im Haushaltsvollzug. Das sehe ichauch nicht. Ich will mal sagen, wir haben den § 41und wenn das Controlling Mitte des Jahres offenbar

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8343

(Abg. Huster)

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werden lässt, dass gewisse Dinge nicht zueinan-derpassen, Ausgaben und Einnahmen, so mussman auch notfalls auf der Ausgabenseite reagieren.Insofern sehe ich das Instrumentarium dafür alsvorhanden an und sehe auch keine Konkretisie-rungsnotwendigkeiten, was die Landeshaushalts-ordnung anbelangt. Man kann handeln und überSperren ist es auf jeden Fall möglich, dass der Fi-nanzminister ein starkes Recht hat und davon mussman notfalls Gebrauch machen. Aber das ist nichtder Königsweg. Der Königsweg besteht meines Er-achtens darin, dass wir die Abstimmungsprozesseverbessern und mit stärkerem Nachdruck auchdann auf die Einnahmenbeschaffung achten undvorstellig werden.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt eine Nachfrage durch den Fragesteller.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Vielen Dank, Herr Minister. Ich habe eine Frage:Wenn Sie der These nicht widersprechen, dass we-sentlicher Grund für den negativen Jahresab-schluss im Jahr 2011 bei diesen EU-Mitteln liegt,sehen Sie zumindest das politische Problem, dasswir nach der geltenden Schuldenbremse allein auf-grund dieser, wie Sie sagen, formalen Dinge, dienicht in Ordnung sind, aber gezwungen sind undSie gezwungen sind, mit dem Entwurf eines mögli-chen Doppelhaushalts 2013/2014 diese zusätzli-chen Tilgungsleistungen dem Parlament vorzu-schlagen?

Die zweite Frage die daraus resultiert: Sie habengesagt, dass Sie als Finanzminister natürlich die In-strumente wahrnehmen werden, um darauf zu ach-ten, dass für den Vollzug 2012 sich nicht Ähnlicheswiederholt, wenn ich Sie mal übersetzen dürfte.

Dr. Voß, Finanzminister:

Ja, das ist vollkommen richtig.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Wie wollen Sie das faktische Problem lösen, dassSie den voraussichtlichen Jahresabschluss 2012 jaerst nach Ablauf des Kalenderjahres vollziehenkönnen, nämlich dieses Jahr im April des darauffol-genden Jahres, Sie aber aus diesem voraussichtli-chen Ist resultierende Fehlbeträge schon wieder inden Entwurf des Doppelhaushalts 2013/2014 imlaufenden Jahr 2012 dem Parlament vorschlagenwollen? Also sehen Sie da einen Widerspruch bzw.wie sehen Sie eine Lösungsmöglichkeit?

Dr. Voß, Finanzminister:

Herr Huster, klare Bestätigung, dass wir die aufge-nommenen Kredite, 261 Mio. € vom letzten Ab-

schluss, dass wir hier die Landeshaushaltsordnungselbstverständlich einhalten und einen Tilgungsplanvorlegen müssen, so heißt es, im Zusammenhangmit der Mittelfristigen Finanzplanung. Das wird jaMitte des Jahres sein. Das heißt, wenn im Jah-re 2012 diese 1,5 Mio. € nur getilgt würden, dannbedeutet das logischerweise, dass 65 Mio. € getilgtwerden müssen jetzt die kommenden vier Jahre.Das werden wir auch vorschlagen, wir werden dasauch einhalten.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sehr gut.)

Herr Fraktionsvorsitzender, das werden wir ma-chen. Im Vollzug, darauf spielten Sie an, und sa-gen, ja Herr Voß, wenn Ihnen denn noch einmal diegleiche Situation entstehen sollte in 2012, wenn ichSie richtig verstanden habe, dann könnte ja auchein Defizit entstehen, aber Herr Huster, das giltmeiner und unser aller Anstrengung, dass das na-türlich nicht eintritt. Selbstverständlich wird derRahmen des Haushaltsgesetzes, also einen Haus-halt zu vollziehen am Ende des Jahres mit einerNull, das ist ja gesetzliche Pflicht. Ich werde allestun, dass dieses auch so erreicht wird. Insofern ma-che ich mir jetzt keine Gedanken darüber, wenn imJahre 2012 ein Defizit entstünde, ob ich diesesdann auch wieder vortrage oder fortschreibe. Nein,wir werden alles tun, dass dieses Jahr eben keineneuen Schulden aufgenommen werden.

Vizepräsident Gentzel:

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Danke, Herr Mi-nister. Ich rufe auf die Mündliche Anfrage der Abge-ordneten Leukefeld von der Fraktion DIE LINKE inder Drucksache 5/4498.

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident.

Überlassung von Kopien der Niederschriften ausnicht öffentlichen Sitzungen von Kommunalgremien

Das Thüringer Landesverwaltungsamt sowie derThüringer Datenschutzbeauftragte haben Kommu-nalverwaltungen (etwa der Stadt Suhl) mitgeteilt,dass Kopien von Niederschriften nicht öffentlicherSitzungen kommunaler Gremien nicht deren Mit-gliedern überlassen werden dürfen. Das sei nach§ 42 der Thüringer Kommunalordnung unzulässig.In Umsetzung dessen seien die Geschäftsordnun-gen kommunaler Gremien dahin gehend abzuän-dern, dass den Mitgliedern (nur) die Einsichtnahmein die Unterlagen bei der Gemeinde- bzw. Kreisver-waltung ermöglicht wird. Kritischen Äußerungen be-troffener Kommunalvertreter vor Ort ist zu entneh-men, dass der Verweis auf die Einsichtnahme gera-de mit Blick auf die ehrenamtliche Tätigkeit alskommunaler Mandatsträger und insbesondere beiBerufstätigkeit eine ganz erhebliche Einschränkungund Erschwerung für eine möglichst wirksame Ar-

8344 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Minister Dr. Voß)

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beit der Kommunalvertreterinnen und -vertreter dar-stellt. So wurde bereits in einzelnen Fällen ange-kündigt, unter solchen Umständen diese ehrenamt-liche Tätigkeit nicht mehr ausüben zu können. Dar-an kann niemand ein Interesse haben.

Ich frage die Landesregierung:

1. Inwiefern ist mit Blick auf kommunalrechtlicheVorgaben nach Ansicht der Landesregierung dievon der Kommunalaufsicht vertretene Rechtsauf-fassung zutreffend, Kopien von Niederschriften ausnicht öffentlichen Sitzungen von Ausschüssen, Ge-meindevertretungen, Stadträten und Kreistagendürften nicht - wie bisher in der Praxis in Thüringenmancherorts üblich - an die Mitglieder herausgege-ben werden?

2. Welche Vorschriften gibt es nach Kenntnis derLandesregierung in Thüringen und in den anderenBundesländern zum Umgang mit Vorlagen und Nie-derschriften aus nicht öffentlichen Sitzungen kom-munaler Gremien, insbesondere zu deren Aushän-digung und Versendung an die Gremienmitglieder?

3. Welcher Änderungsbedarf besteht nach Ansichtder Thüringer Landesregierung auf Ebene der Thü-ringer Kommunalordnung, um den Arbeitserforder-nissen ehrenamtlicher kommunaler Mandatsträgermit Blick auf den Umgang mit Kopien von Protokol-len nicht öffentlicher Sitzungen zu entsprechen?

4. Welche Konsequenzen hätte aus Sicht der Lan-desregierung eine Weigerung kommunaler Gremi-en, entsprechenden Auflagen der Kommunalauf-sicht zu einer Satzungsänderung nachzukommen?

Herzlichen Dank.

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet das Innenminis-terium, Herr Staatssekretär Rieder.

Rieder, Staatssekretär:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren Abgeordneten, die MündlicheAnfrage der Abgeordneten Leukefeld beantworteich für die Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Das Thüringer Landesverwaltungsamthat gegenüber der Stadt Suhl richtigerweise auf§ 42 Abs. 3 Thüringer Kommunalordnung zu unter-schiedlichen Verfahrensweisen mit Niederschriftenöffentlicher und nicht öffentlicher Sitzungen hinge-wiesen. Danach haben die Mitglieder des Gemein-derats neben dem Recht der Einsichtnahme in dieNiederschriften der öffentlichen und nicht öffentli-chen Sitzungen auch das Recht, Abschriften derNiederschriften über öffentliche Sitzungen zu ver-langen. Die Geschäftsordnung kann auch derenÜbersendung vorsehen. Die Mitglieder des Ge-meinderats haben keinen Anspruch auf Aushändi-

gung von Abschriften der Niederschrift über nichtöffentliche Sitzungen, es sei denn, der Gemeinde-rat hat entschieden, dass die Gründe für die Ge-heimhaltung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 ThüringerKommunalordnung weggefallen sind.

Zu Frage 2: Die Thüringer Kommunalordnung ent-hält keine ausdrücklichen Regelungen zum Um-gang mit Vorlagen. Zum Umgang mit Niederschrif-ten über nicht öffentliche Sitzungen wird auf dieAntwort zu Frage 1 verwiesen. Die Regelungen an-derer Bundesländer sind für die Rechtslage in Thü-ringen ohne Belang.

Zu Frage 3: Ein Änderungsbedarf wird derzeit nichtgesehen.

Zur Frage 4: Die Frage ist hypothetischer Natur. Ichgehe heute jedoch davon aus, dass sich kommuna-le Gremien auch in diesem Fall selbstverständlichan geltendes Recht halten.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt zunächst eine Nachfrage durch die Frage-stellerin.

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Ich will eine Vorbemerkung machen. Sie sehen,dass es ja diese Debatte im Stadtrat in Suhl gege-ben hat. Ich gehe davon aus, Frage, dass es woan-ders dieses Problem überhaupt nicht gibt, sondernes scheint eine Einzelauffassung im Stadtrat Suhlzu sein, das zu hinterfragen. Stimmt das oder gibtes das auch anderenorts? Das wäre die eine Fra-ge.

Und die zweite Frage: Sie haben zur Frage 2 ver-wiesen, dass es also keine Regelung für Vorlagengibt. Wir haben jetzt gesprochen über die Nieder-schriften, aber in den Vorlagen, wo ja letztendlicherst in den Sitzungen der Gremien entschiedenwird, ob es nicht öffentlich oder öffentlich behandeltwird, sind ja oftmals sehr viel sensiblere Daten vor-handen als in den Niederschriften über die nicht öf-fentliche Sitzung. Da würde ich gern noch einmalIhre Rechtsauffassung hören, ob das nicht ein Wi-derspruch ist und wie dann mit diesen Vorlagenumzugehen wäre.

Rieder, Staatssekretär:

Ja, es würde natürlich nicht gehen - um gleich zurzweiten Frage zu kommen -, dass etwa in einerVorlage der Entwurf einer Niederschrift aufgenom-men wird über eine nicht öffentliche Sitzung, dawürde ja diese Regelung unterlaufen werden. An-sonsten mag es in Einzelfällen sein, dass daten-schutzrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle spielenund dann auch schon bei Verwendung von Vorla-gen zu beachten sind.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8345

(Abg. Leukefeld)

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Zur Frage 1: Ich gehe davon aus, dass es in Thü-ringen zwei Fälle gibt, weil Herr Kuschel auchschon eine ähnliche Mündliche Anfrage gestellt hat.Ich glaube, das war vor zwei, drei Plenarsitzungen.Mehr sind mir nicht bekannt.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt eine Nachfrage durch den AbgeordnetenKuschel.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, Siehatten verwiesen, Sie sehen, also die Landesregie-rung, keinen Neuregelungsbedarf. Könnten Sie dasnoch einmal begründen, weshalb Sie keinen Neure-gelungsbedarf in dieser Frage sehen?

Rieder, Staatssekretär:

Ja, die Begründung ist einfach. Es ist dieselbe Be-gründung, die auch der Datenschutzbeauftragte ge-bracht hat. Es geht hier um den Datenschutz vonPersonen und der sollte einen hohen Stellenwerthaben.

Vizepräsident Gentzel:

Es gibt eine weitere Nachfrage durch den Abgeord-neten Kuschel.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Danke, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, die Ge-meinderats-, Stadtrats-, Kreistagsmitglieder sind javerpflichtet zur Verschwiegenheit, was nicht öffentli-che Sitzungen betrifft. Reicht denn diese Regelungnicht aus, um auch Ihnen Dokumente, in dem Fallalso Protokollabschriften, auszureichen, weil dieseVerpflichtung gilt ja unabhängig von der Art undWeise der Informationsübermittlung?

Rieder, Staatssekretär:

Der Gesetzgeber hat in § 42 Abs. 3 eine gesetzli-che Wertung getroffen, die gilt.

Vizepräsident Gentzel:

Weitere Nachfragen sind nicht möglich. Das Kontin-gent ist erschöpft, insofern danke, Herr Staatsse-kretär. Ich rufe auf die Mündliche Anfrage des Ab-geordneten Bergner von der FDP-Fraktion in derDrucksache 5/4499. Sie wird ersatzweise von HerrnUntermann gestellt.

Abgeordneter Untermann, FDP:

Danke schön, Herr Präsident. Bei dieser Mündli-chen Anfrage geht es um Folgendes:

Einordnung des Miniatur-Bullterriers als gefährli-cher Hund

Der Miniatur-Bullterrier ist nicht in § 3 Abs. 2 Satz 1Nr. 1 des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Be-völkerung vor Tiergefahren ausdrücklich normiert.Nach einem Schreiben der Stadtverwaltung Wei-mar vom 22. Mai 2012 gilt der Miniatur-Bullterriertrotzdem als gefährlich im Sinne des § 3 Abs. 2Satz 1 Nr. 1 des eben genannten Gesetzes. In demSchreiben der Stadtverwaltung wird dazu auf eineStellungnahme des Thüringer Innenministeriumsverwiesen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie begründet die Landesregierung die Einord-nung des Miniatur-Bullterriers als grundsätzlich ge-fährlich im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 desbesagten Gesetzes?

2. Ist der Miniatur-Bullterrier nach Auffassung derLandesregierung eine eigenständige Hunderasse?

3. Wann liegt nach Auffassung der Landesregie-rung eine anzuerkennende eigenständige Hun-derasse vor?

4. Sind der Landesregierung Auffassungen andererBundesländer zur Einordnung des Miniatur-Bullter-riers als eigenständige Hunderasse bzw. Einord-nung als gefährlich im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1Nr. 1 des besagten Gesetzes bekannt (falls ja, bitteBundesländer und die diesbezügliche Auffassungnennen)?

Danke schön.

Vizepräsident Gentzel:

Für die Landesregierung antwortet das Innenminis-terium, Herr Staatssekretär Rieder.

Rieder, Staatssekretär:

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrtenDamen und Herren Abgeordneten, namens derLandesregierung beantworte ich die Mündliche An-frage wie folgt:

Zu Frage 1: § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Thüringer Ge-setz zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahrenbestimmt unter anderem, dass Bullterrier und derenKreuzungen als gefährlich im Sinne des Gesetzesgelten. Beim Miniatur-Bullterrier handelt es sich umeine verkleinerte Ausgabe des Bullterriers. Der Mi-niatur-Bullterrier ist wie der Standard-Bullterriersehr muskulös, hat einen kompakten Körperbauund ein kräftiges Gebiss, er wurde ebenfalls fürHundekämpfe gezüchtet. Die rechtliche Gleichstel-lung mit dem Standard-Bullterrier ist daher zumSchutz der Bevölkerung geboten.

Zu Frage 2: Nein.

8346 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Staatssekretär Rieder)

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Zu Frage 3: In Zweifelsfällen ist es die Obliegenheitdes Halters eines Hundes, nachzuweisen, dasssein Hund keiner der aufgelisteten Rassen ange-hört. Den Nachweis kann er auch durch die Vorlageeines entsprechenden Gutachtens führen.

Zu Frage 4: Nach Auffassung des Thüringer Innen-ministeriums wird der Begriff „Miniatur-Bullterrier“vom Gesetzeswortlaut „Bullterrier“ sowie vom Sinnund Zweck des Gesetzes, die Bevölkerung vor ge-fährlichen Hunden zu schützen, mit umfasst. Da-rüber hinaus handelt es sich beim Miniatur-Bullterri-er allenfalls um eine Kreuzungsvariante des Bullter-riers, die ebenfalls vom Thüringer Gesetz zumSchutz der Bevölkerung vor Tiergefahren erfasstwird. Ähnlich begründet das zuständige Ministeriumin Sachsen-Anhalt seine Ansicht. Die übrigen Bun-desländer, die über eine sogenannte Rasselisteverfügen, stufen den Miniatur-Bullterrier nicht alsgefährlich ein. Der Bund hingegen geht bei der An-wendung des Gesetzes zur Beschränkung des Ver-bringens oder der Einfuhr gefährlicher Hunde in dasInland auch davon aus, dass der Miniatur-Bullterrierkeine eigenständige Rasse ist und daher vom Im-portverbot ebenfalls erfasst wird.

Vizepräsident Gentzel:

Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Danke, HerrStaatssekretär. Damit hätten wir auch alle Mündli-chen Anfragen abgearbeitet und ich kann diesenTagesordnungspunkt schließen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 17

Zustimmung zum deutsch-schweizerischen Steuerab-kommenAntrag der Fraktion der FDP- Drucksache 5/4434 -

Wünscht die Fraktion der FDP das Wort zur Be-gründung?

(Zuruf Abg. Barth, FDP: Ja.)

Ja, Herr Abgeordneter Barth, Sie haben das Wort.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen undKollegen, in dem vorliegenden Antrag geht es, wieder Titel schon vermuten lässt, um das deutsch-schweizerische Steuerabkommen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: WelcheÜberraschung.)

Das ist für den einen überraschend, für den ande-ren ergibt es sich schon aus dem Titel, ich wollte eszu Beginn einfach noch mal sagen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie muss-ten es vorlesen.)

Es ist, das habe ich nicht gesagt, der Zwischenrufdes Abgeordneten Bergemann, von dem ich michausdrücklich distanziere, hieß, für die die lesenkönnen, hat es sich aus dem Titel ergeben. MeineDamen und Herren, das Steuerabkommen ist zuEnde verhandelt, ausverhandelt, es hat Nachver-handlungen gegeben und die deutsche Bundesre-gierung konnte auch in diesen Nachverhandlungennoch eine ganze Reihe von Verbesserungen ge-genüber den ersten Entwürfen erreichen. Das Ab-kommen ist in der Schweiz auch angenommen wor-den, vorgestern hat das Schweizer Parlament seineZustimmung mehrheitlich zu diesem Abkommengegeben. Am Mittwoch bereits oder am Tag davor,dass war dann am Dienstag bereits, hat der Stän-derat, in dem die Kantone vertreten sind, dem Ab-kommen ebenfalls zugestimmt. Jetzt ist es anDeutschland, das Abkommen zu ratifizieren. DerZeitplan, der dazu vorliegt, sieht vor, dass am15. Juni die erste Beratung und am 23. November2012 die zweite Beratung des Abkommens im Bun-desrat stattfinden soll.

Das Abkommen sieht im Kern vor, dass dasSchwarzgeld, welches in der Schweiz lagert, pau-schal nachversteuert wird mit, je nachdem, um wieviel es sich handelt, Steuersätzen zwischen 21 und41 Prozent auf die jeweilige Summe. Im ursprüngli-chen Entwurf war eine Spannweite von 19 bis34 Prozent vorgesehen. Ich glaube, allein dieserPunkt zeigt, dass tatsächlich in den VerhandlungenVerbesserungen für den deutschen Fiskus erreichtworden sind.

Außerdem werden Lücken in der laufendenBesteuerung geschlossen. Das Abkommen siehtvor, dass zusätzlich zu der bereits geltenden Quel-lensteuer aus Zinserträgen nach dem EU-Zinsab-kommen jetzt auch Erträge deutscher Kunden ausDividenden und Veräußerungsgewinnen besteuertund dem deutschen Fiskus zugeleitet werden. Zu-dem ist im Abkommen festgelegt, dass in Zukunftauch auf in der Schweiz lagernde Vermögen Erb-schaftsteuer gezahlt werden muss. Damit wirdSteuergerechtigkeit hergestellt, und es wird ein lan-ge Zeit schwelender Konflikt mit einem Nachbarn inEuropa über das Thema Schwarzgeld endlich bei-gelegt.

Es geht um erhebliche Mehreinnahmen für dendeutschen Fiskus, um einmalige erhebliche Mehr-einnahmen, aber natürlich auch um laufende. Dasgilt nicht nur für den Bund, sondern das gilt für dieLänder und damit auch für Thüringen. Nicht durchSteuererhöhungen, sondern durch die Beilegung ei-nes lange schwelenden Konflikts wird das erreicht.Ich finde, wir finden, das ist eine fast wunderbareMöglichkeit, die zu ergreifen wir wirklich die Gele-genheit auch nehmen sollten. Wir sollten uns hierauch eindeutig positionieren.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8347

(Staatssekretär Rieder)

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Ich bitte deshalb ausdrücklich um Zustimmung zudem Antrag meiner Fraktion, dass die Landesregie-rung im Bundesrat diesem Abkommen zustimmensoll. Ich möchte die Gelegenheit auch durchausnutzen, der Bundesregierung dafür zu danken,dass mit geschickten Verhandlungen dieses Ergeb-nis erzielt werden konnte,

(Beifall CDU)

denn es wurde in der Vergangenheit nichts Sub-stanzielles erreicht in dieser Frage. Wir können inder Debatte gern noch ein bisschen Rückblick be-treiben, was da so gewesen ist. Für uns ist es eineChance, auch wieder Einnahmen zu generieren,die möglicherweise für die Schuldentilgung verwen-det werden können, wenn keine anderen unabweis-baren Mehrausgaben dem entgegenstehen. MeineDamen und Herren, ich freue mich auf die Debatte.Vielen Dank.

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter Barth, für die Begrün-dung. Ich eröffne die Aussprache und als Erster hatdas Wort der Abgeordnete Huster von der FraktionDIE LINKE.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren, wie man will, der Abgeordnete Barth ist ent-weder lernfähig und das in kurzer Zeit oder er istein großer Schlingel.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Beides!)

Beides ist unmöglich. Ob das politisch weiterhilft,müssen andere bewerten.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Je nachdem.)

Aber Ihr letzter Satz, der darauf abzielt, zu fragen,was passiert denn, wenn wir Mehreinnahmen infol-ge dieses Abkommens generieren könnten? Waspassiert denn damit? Da haben Sie aus der vorher-gehenden Debatte gelernt und haben gesagt:Nachdem unabwendbare Mehrausgaben finanziertsind, könnte natürlich auch ein Beitrag für dieSchuldentilgung aufgewandt werden. Das stehtaber nicht in Ihrem Antrag, denn in Ihrem Antragsteht das, was Sie im Tagesordnungspunkt vorhergenauso apodiktisch formuliert haben: Mehreinnah-men sind ausschließlich zur Schuldentilgung einzu-setzen. Das ist übrigens ein Grund, warum wir Ih-rem Antrag natürlich nicht zustimmen können, weilSie auch hier wieder ein Prinzip durchbrechen inunserem Haushalt, dass Einnahmen, allgemeineDeckungsmittel zur Bewirtschaftung des Haushaltszu verwenden sind. Wenn dann Mittel übrig bleiben,sind nach § 3 des Haushaltsgesetzes Fragen wieSchuldentilgung einzusetzen.

Vizepräsident Gentzel:

Herr Abgeordneter Huster, der Abgeordnete Barthmöchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Dem kann ich nicht widerstehen.

(Heiterkeit im Hause)

Abgeordneter Barth, FDP:

Das beruht ja durchaus auf Gegenseitigkeit. LieberHerr Kollege Huster, da ich die Klarstellung in eineFrage kleiden muss, frage ich, ob Sie bereit sind,zur Kenntnis zu nehmen, mein letzter Satz in derTat nur eine Reflexion auf die vorangegangene De-batte gewesen ist und inhaltlich natürlich genau,wie Sie es auch richtig erkannt haben mit Ihrer Ein-gangsvermutung, das gilt, was in dem Antragsteht?

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, dass esvon Ihnen zwar ein formuliertes Dazulernen gege-ben hat, aber der Konflikt zu Ihrem Antragstext jadennoch dann weiter besteht.

Ich denke, das Thema Steuerabkommen zwischenDeutschland und der Schweiz muss auch durchausRaum geben für die eine oder andere grundsätzli-chere Überlegung. Es ist auch eine hoch politischeSituation mit dem Ausbrechen der Finanz- undWirtschaftskrise entstanden und im Zuge dieserEntwicklung wurde offenbar, dass eine signifikanteZahl von deutschen Steuerbürgern ihr Geld nichthier versteuert hat, wie das Recht und Gesetz ist,sondern das in der Schweiz geparkt haben mit Un-terstützung der Schweizer Banken und man im Zu-ge dieser Krise nicht bloß zwischen Deutschlandund Schweiz, sondern ich erinnere an die CDs ausLiechtenstein, ich erinnere an ein deutsch-österrei-chisches Doppelbesteuerungsabkommen im Zugedieser CD-Ankäufe durch verschiedene Bundeslän-der. Also insgesamt ist in diese Frage Bewegunggekommen. Herr Barth, wissen Sie, was mir da vonIhrer Seite, von Ihrer Partei bisher grundsätzlich inall diesen Fragen gefehlt hat? Ein klares Bekennt-nis dafür, dass in diesem Land Recht und Gesetzeinzuhalten sind, dass hier Steuern zu zahlen sindund dass demzufolge auch die CD-Einkäufe derBundesländer legitim waren, um Leuten auf dieSchlichte zu kommen, die diese Gesellschaft betro-gen haben, systematisch über Jahre betrogen ha-ben,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wo zum großen Teil Steuerhinterziehung als Kava-liersdelikt behandelt wurde. Das ist doch nicht hin-nehmbar. Ihre Partei, vertreten gerade in den Bun-desländern, ich denke damals an Baden-Württem-

8348 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

Page 73: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

berg, hat sich da nie klar positioniert, dass sie mitdieser Duldung letztlich brechen will.

Das Steuerabkommen, das jetzt in Rede steht, be-schäftigt uns im Haushaltsausschuss seit Länge-rem. Ich denke, Herr Minister, seit fast einem Jahrlassen wir uns von Ihnen regelmäßig über den ak-tuellen Stand informieren. Insofern überrascht IhrAntrag, Herr Barth, dann doch etwas, weil der Zeit-plan, den wir jetzt in der letzten Haushalts- und Fi-nanzausschuss-Sitzung dazu beraten haben, javorsieht, dass eine endgültige Entscheidung überdie zweite Lesung im Bundesrat voraussichtlich erstam Ende des Jahres 2012 gefällt werden wird.

Ich glaube, da noch viele offene Fragen nicht nur inDeutschland, nicht nur im Bundestag, sondern auchauf Schweizer Seite stehen, sollte ein Votum derLandesregierung jetzt zumindest noch nicht von Ih-rer Seite so klar eingeschränkt werden, indem Sieauffordern, die Landesregierung soll diesem Gesetzzustimmen. Denn Sie haben richtig erwähnt, es gibtauf Schweizer Seite entsprechende Gesetzge-bungsverfahren und Beschlüsse, aber das Umset-zungsgesetz ist beispielsweise in der Schweiz nochnicht beschlossen worden. Es wird diskutiert, ob eslegitim ist, ob es richtig ist, diese Altfälle, also sprichdas Bunkern von Schwarzgeld in der Schweiz, mitdiesem Abkommen zu legalisieren. Auch eine zwei-te Frage spielt eine Rolle, ob das Abkommen ge-eignet ist für die Zukunft, künftige Schlupflöcherauszuschließen. Auch da, wenn Sie sich das mal inder Schweiz genauer betrachten, wird von Schwei-zer Seite sogar diskutiert, ob nicht in einem neuenText wieder Schlupflöcher drin sind, die es wieder-um in Zukunft auch ermöglichen, dass unversteuer-tes Geld, zu gering versteuertes Geld hier abwan-dert. Das kann ja nicht Sinn und Zweck der ganzenSache sein. Das Ziel, Herr Barth, am Ende ausSchwarzgeld Weißgeld zu machen, das steht überdem allen und wenn ich mich in Ihre Lage hineinzu-versetzen versuche, da könnte man nach Doyle sa-gen: „Lieber den Spatz in der Hand, als die Taubeauf dem Dach.“ Mit anderen Worten, wir macheneinen Haken an die Altfälle dran, das ist alles nichtsauber gelaufen und suchen aber für die Zukunft ei-ne Chance, dass das in Zukunft sauber läuft undfreuen uns daneben noch über die Einnahmen, diewir unter dem Strich dann auch im Landeshaushalthaben. Ich denke, ich habe aber deutlich gemacht,wo man grundsätzlich in dieser Frage diskutierenmuss. Wir sind skeptisch, dass die Vergangenheits-bewältigung so richtig ist. Wir sind auch skeptisch,ob mit diesem Entwurf oder mit diesem deutsch-schweizerischen Abkommen in der jetzigen Formtatsächlich alle Schlupflöcher für die Zukunft ver-borgen sind. Ich halte auch aus der Erwägung her-aus, was den Zeitplan betrifft, jetzt eine Festlegungder Landesregierung auf ein Votum im Bundesrat,zum jetzigen Zeitpunkt zuzustimmen, für falsch. Wirsollten uns weiter über die Selbstbefassung, wie

gehabt, im Haushalts- und Finanzausschuss überden Fortgang der Beratung durch das Finanzminis-terium unterrichten lassen. Vielen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsident Gentzel:

Danke, Herr Abgeordneter. Das Wort hat jetzt Ab-geordneter Dr. Zeh von der CDU-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Zeh, CDU:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen undHerren, ich will an dieser Stelle nicht verschweigen,dass die CDU-Fraktion natürlich hier mit der FDP-Fraktion im Grundsatz übereinstimmt. Wir sind derMeinung, das ist gut verhandelt worden. Das mussgut sein, das war auch ein CDU-Minister, HerrSchäuble hat es verhandelt. Ich denke, es ist klug,wenn wir ab 2013 alle deutschen Kapitalanleger,die in der Schweiz ihr Kapital anlegen, genauso be-handeln, wie es in Deutschland üblich ist. Damit ha-ben wir Rechtsgleichheit, wir haben Rechtssicher-heit. Wir haben auch ein Stück weit die Kapitalanle-ger, die sich bisher in der Schweiz versteckenkonnten, mit ihren Geldern für unseren Fiskus inder Pflicht.

Ich denke, dass das in der Zukunft mehr Steuerein-nahmen bringen wird, und das ist in jedem Fall ersteinmal vernünftig. Im eigentlichen Streit geht es umdie Altfälle. Da ist in der Tat die Frage, ob das ge-recht ist oder nicht. Herr Huster hat das breit darge-legt. Ich bin auch der Meinung, dass das, wennman das nach rechtsstaatlichen Kriterien bewertet,nicht einfach ist, aber was sollen wir denn machen?Wenn wir einen Vertrag abschließen, der andersnicht zu fassen ist, dann ist es mit der Nachver-handlung schwierig. Ich kann mich erinnern, es gabmal einen Vergleich von dem Finanzminister PeerSteinbrück, der etwa gesagt hat, die Schweizer sindwie Indianer, wenn man denen die Kavallerie zeigt,dann machen die, was wir wollen. So ähnlich, ichhabe das nicht ganz genau im Gedächtnis, wie dasZitat war. Das war schon eine Methode, der kannman sich sehr schlecht meines Erachtens jetzt wie-der anschließen. Das funktioniert nicht. DieSchweiz ist ein souveräner Staat. Wenn die überbestimmte Hürden nicht gehen, dann können wirnicht darüber springen. Es ist die Frage wiederum,die man sich stellen muss: Ist hier der berühmteSpatz in der Hand besser als die Taube auf demDach? Ich muss sagen, langfristig gesehen, ist mirder Spatz lieber. Allerdings - und da ist jetzt unsereMeinung anders - ob wir nun heute zustimmen oderablehnen, es gibt eine lange Zeitleiste, die bis Endedes Jahres, bis Dezember 2012 ist und das wird imBundesrat behandelt. Soweit ich es jetzt beurteilenkann, sind die Anzeichen darauf gestellt, dass eskeine Einigung geben wird, das wird im Vermitt-lungsausschuss landen und dann werden wir eine

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8349

(Abg. Huster)

Page 74: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

andere Vorlage haben als jetzt. Insofern macht eskeinen Sinn, wenn wir heute dem einfach schon zu-stimmen. Deswegen, glaube ich, dass wir gut bera-ten sind, wenn wir es noch mal im November aufru-fen, wo ich dann wahrscheinlich nicht mehr hiersein werde, aber dass dann hier die Diskussionstattfindet, ist sicherlich sehr sinnvoll. Ich rate hiernoch einmal, das so zurückzustellen, dass wir dasim November/Dezember beraten können. Es machtauch keinen Sinn, das in den Ausschuss hineinzu-tragen, denn dann beraten wir über etwas, was esso in der Form noch nicht gibt. Auf Wiedervorlagelegen und dann noch mal im November bereden, istunsere Empfehlung. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Zeh. Das Wort hatjetzt Carsten Meyer für die Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN.

Abgeordneter Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Danke, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen undKollegen, ich bin, denke ich, dafür bekannt, dassich versuche, nichts doppelt zu erzählen. Insofern,Herr Dr. Zeh, völlig richtig, das finden wir auch.Wenn vielleicht die Antragsteller so freundlich wä-ren und diesen Antrag schlicht und ergreifend heutezurückziehen nach der Debatte und wir den im No-vember wieder aufrufen, wäre das eine gute Lö-sung, um das Thema sachgerecht zu behandeln,denn es wird über den Sommer ganz sicherlichnoch zu wunderbaren Diskussionen, man könnteauch sagen Hakeleien, Kampfabstimmungen undhinter den Linien bei den Indianern und der Kavalle-rie zu Auseinandersetzungen kommen, denn hiergeht es um sehr viel Geld, wenn es um das Thema„Steuerabkommen mit der Schweiz“ geht.

Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bundesweitund auch hier im Landtag halten die steuerliche Of-fenlegung und den automatisierten Informations-austausch, wenn es um das Thema Steuern undSchwarzgeld geht, für zentral. Insofern bleibt manda ja immer kritisch diesem Steuerabkommen ge-genüber. Bilaterale Abkommen müssten eigentlichgerade jetzt in jedem Bereich der Fiskalpolitik, unddazu gehört ja auch das Wiederauffinden von Geld,was nicht mehr da ist, eigentlich verboten werdenund europaweite Lösungen angestrebt werden. Da-für stehen wir auch ein. Wir wollen auch nur daraufhinweisen, dass z.B. Vermögen bereits verlagertworden sind, und wir da uns mit der SPD einig wis-sen, dass wir die Offenlegung auch dieser soge-nannten - ganz neues Wort - Verschwinder - wersich das ausgedacht hat -, der Menschen oder derKonten, die von einem Konto in der Schweiz z.B.auf ein Konto einer Filialbank in Singapur oder wo

auch immer hingewandert sind, dass man auch die-se Namen braucht, und wir halten es eigentlich füreine schöne Methode, in diesem Fall mal als euro-päische Länder von den USA zu lernen, die begrif-fen haben, dass es in diesem konkreten Fall umGeld geht, das heißt um Macht, und da muss manauch mal, nicht vielleicht gerade Kavallerie bemü-hen als Beispiel, aber einfach schlicht mal zeigen,was man kann. Und wenn Europa sich dort einigwäre und dafür sorgen würde, dass als Drohung imRaum steht, dass die Schweizer Banken Ge-schäftsbeschränkungen in der gesamten europäi-schen Union bekommen, wenn sie das nicht auchfür uns tun, und zwar nicht nur mit der großenVolkswirtschaft, mit der es wirklich weh tut, sondernz.B. auch und gerade mit Griechenland, Irland,Spanien, Italien oder Portugal, um auch dort dievielleicht geringeren, aber doch vorhandenen Ab-flüsse von Geld von den Reichen und den Superrei-chen zu verhindern.

Unsere Minimalforderungen für eine Zustimmung,wenn sie dann im Herbst oder im Winter notwendigsein sollte, sind die folgenden:

Wir fordern die völlige Offenlegung der Namen derdeutschen Steuerpflichtigen, die zwischen dem1. Januar 2009 und dem Inkrafttreten des Abkom-mens Geld aus der Schweiz abgezogen haben.

Wir fordern, dass die Definition der sogenanntenZahlstellen in der Schweiz ausgeweitet wird. Dazugehört unter anderem, dass die Niederlassungenund die Töchter von Schweizer Banken in anderenLändern als Zahlstellen gewertet werden, anson-sten werden einfach nur Umbuchungen vorgenom-men, z.B. nach Singapur oder in andere Steueroa-sen.

Wir sprechen uns für eine automatische Anpassungdes Steuersatzes auf diese Vermögen aus, wennsich das deutsche Besteuerungssystem ändert, istes auch in diesem Rahmen hier, glaube ich, keineÜberraschung. Die GRÜNEN treten ja da für einedeutliche Veränderung der Fördersteuersätze beiErbschaftssteuern und auch bei Spitzensteuersät-zen ein.

Wir sind der Ansicht, dass das Abkommen ausdeutscher Sicht nur ein Zwischenschritt zu einemautomatischen Informationsaustausch sein kann,der dann natürlich europaweit vorzulegen ist. Esbraucht eine sinnvolle Regelung für die Schen-kungssteuer, denn nur die Erbschaftssteuer auf50 Prozent zu setzen und dann nicht zu realisieren,dass der potenzielle Erblasser noch zu seinen Leb-zeiten, und sei es auch nur einen halben Tag vor-her, Verschenkungen, das Vermögen in einen si-cheren Hafen führen kann, bei seinen Erblassern,das muss auch geregelt werden. Die Kontrolle derDurchführung des Abkommens muss auch fürDeutschland möglich sein. Die Forderung derSchweiz, dass die Deutschen keine Daten-CDs

8350 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Dr. Zeh)

Page 75: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

mehr kaufen dürfen, ist natürlich ganz deutlich ab-zulehnen. In diesem Zusammenhang, wie gesagt,freue ich mich auf die Debatte etwa in einem hal-ben Jahr wieder hier. Danke.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Meyer. Das Worthat jetzt Abgeordneter Pidde für die SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, meineFraktion ist der Meinung, dass das Abkommen inder jetzigen Form unzureichend ist. Es ist ein Ver-trauensbruch, ein Vertrauensbruch gegenüber allenehrlichen Steuerzahlern in Deutschland. Es kannund darf einfach nicht sein, dass sich kriminelleEnergie zur Steuervermeidung am Ende wirklichrechnet. Das Steuerabkommen schafft zwei Klas-sen von Steuerbürgern. Diejenigen, die hierzulanderegulär zahlen müssten und die Privilegierten, dieein anonymes Konto in der Schweiz haben unddann weniger zahlen müssten. Deutsche Straftäterund ihre Helfer im In- und Ausland sind die Gewin-ner dieses Abkommens, wenn das so beschlossenwürde. Bisher nicht versteuerte Vermögenswerte inder Schweiz sollen - das ist schon gesagt worden -eine anonyme pauschale Einmalzahlung leistenund dadurch legalisiert werden. Ziel der Regelungist also weder die Aufdeckung begangener Steuer-straftaten noch die vollständige Durchsetzungbestehender Steueransprüche. Die Täter könnensich weiterhin unerkannt dem Zugriff der deutschenBehörden entziehen.

Meine Damen und Herren, um die Schweizer Ban-ken und ihre Kunden vor Bestrafung zu bewahrenund das Bankgeheimnis weitgehend zu erhalten,muss Deutschland seine Steueransprüche reduzie-ren, die Strafverfolgung begrenzen und Befugnisseder deutschen Finanz- und Justizbehörden ein-schränken. Diese Zugeständnisse verletzen dieGrundsätze der Steuergerechtigkeit und des ord-nungsgemäßen Steuervollzugs. Die Steuermoralwird durch das Abkommen nachhaltig beschädigt.

(Beifall SPD)

Es gibt aber auch rechtliche Bedenken. Die Steuer-pflichtigen mit unversteuertem Vermögen in derSchweiz werden gegenüber allen anderen in ver-fassungsrechtlich bedenklicher Weise privilegiert. Inden zurückliegenden Jahren sind durch die Vorgän-gerregierung bereits goldene Brücken in die Steuer-ehrlichkeit gebaut worden. Und wer das nicht ge-nutzt hat, der soll jetzt noch belohnt werden, daskann einfach nicht sein.

Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Bun-desregierung schlecht für den Staat und die ehrli-chen Steuerbürger verhandelt hat. Dieses Ergebniskann nun weiß Gott nicht als der große Wurf gefei-ert werden. Das Verhandlungsergebnis der USAmit der Schweiz zu dem Steuerstreit zeigt, dassdort deutlich mehr möglich gewesen war und auchnoch ist. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Pidde. Das Worthat jetzt für die FDP-Fraktion der AbgeordneteBarth.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnenund Kollegen, lieber Herr Pidde, das war in der Tateine neue Rede. Jetzt wissen wir zunächst mal,was die Fraktionen hier im Landtag darüber den-ken.

Vielleicht ist es ganz interessant zu hören, was Ex-perten zu dem Abkommen sagen. Es hat eine Um-frage unter Ökonomen in der „Wirtschaftswoche“gegeben, ich will mal paar zitieren: Die Ökonomenmachen sich für eine Ratifizierung stark, heißt esdort. Zukünftiger Steuerhinterziehung werde effektivvorgebeugt, da laut Abkommen mögliche Steuerän-derungen in Deutschland für Kontoinhaber in derSchweiz nachvollzogen werden. Das ist ein ganzwichtiger Punkt, meine sehr verehrten Damen undHerren, glaube ich, weil man mit dieser Regelungschon konstatieren kann, dass die SteueroaseSchweiz auf Dauer dichtgemacht wird. In der „Wirt-schaftswoche“ heißt es dann weiter: Zudem wirdAltvermögen nicht geschont. Das Argument, durchdie Ankündigung werde es zu einer Kapitalverlage-rung kommen, lassen die Experten nicht gelten.

Meine Damen und Herren, die Argumente, die im-mer wieder vorgetragen werden und auch hier vor-getragen worden sind, werden von den Expertenweitestgehend nicht geteilt. Und, Herr Kollege Mey-er, es mag ja so sein, dass man sich viel noch wün-schen kann, was in dieses Abkommen noch hineinsoll, ob Steuersätze, ob Bemessungsgrundlagen,was auch immer, der Punkt ist nur, wir sind nicht di-rekter Vertragspartner. Wir stehen im Prinzip in derTat vor der Frage, nehmen wir den Spatz in derHand oder wollen wir die Taube auf dem Dach, wis-send, dass wir die Taube nicht kriegen werden. Wirstehen nur vor der Frage, dem Abkommen, daszwischen der Bundesrepublik und der Schweiz ver-handelt worden ist, im Bundesrat zuzustimmenoder das eben nicht zu tun. Wir können nicht ver-handeln, weil wir kein Verhandlungspartner an die-ser Stelle sind.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8351

(Abg. Meyer)

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Es wird immer das Argument vorgetragen, dass esbis Ende 2012 dann noch zu Kapitalverlagerungenkommt - Kollege Pidde hat das ja eben auch ge-sagt -, das ist so, das ist auch nicht zu ändern.Wenn wir das Abkommen nicht abschließen, wirdes auch nach dem 01.01.2013 weiter zu Kapitalver-lagerungen kommen und wer weiß wie lange - biswir dann irgendein neues Abkommen haben. Ob indem dann die Dinge drinstehen, die sich Herr Mey-er gewünscht hat, von denen ich das eine oder an-dere durchaus sogar teile, aber das wissen wirauch nicht. Es wird weiter zu entsprechenden Ver-lagerungen kommen, weil ein neuer Vertrag erstmal verhandelt werden muss, meine sehr verehrtenDamen und Herren.

Herr Kollege Pidde, der von Ihnen beschriebeneZustand bleibt dann erhalten. Sie müssen mal zurKenntnis nehmen, dass die Schweiz ein souveränerStaat ist. Wie die Schweiz ihr Bankenwesen organi-siert, wie sie den Umgang mit dem Bankgeheimnisdann auch organisiert, wie hoch sie das Bankge-heimnis in der Wertigkeit einstuft, das ist Sache dessouveränen Staates Schweiz, der übrigens auchnicht EU-Mitglied ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kriminellist auch der, der CDs mit illegal beschafften Datenkauft.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: BeiKriminalität …)

(Beifall FDP)

Das müssen wir moralisch nicht gut finden, weil dieDaten vielleicht moralisch wertvoll sind, nichtsdes-toweniger ist es insbesondere nach SchweizerRecht illegal, diese Daten herauszugeben, wäre esnach deutschem möglich, wohl auch, wenn ich dasrichtig überblicke. Das ist Verletzung des Bankge-heimnisses. Da können wir uns moralisch darüberaufregen, aber es ist Sache der Schweiz, das müs-sen wir nun mal zur Kenntnis nehmen. Es hat über-haupt keinen Sinn, den Vergleich von Herrn Stein-brück irgendwie zu bemühen und zu sagen, dieSchweizer sind wie die Apachen am Colorado-Ri-ver und wir müssten nur mal die Artillerie vom FortYuma holen und da knicken die schon ein. So funk-tioniert das nicht und das ist übrigens überhauptkein Stil irgendeiner politischen Auseinanderset-zung, den ich auch nur ansatzweise für gut befindeoder teile.

(Beifall FDP)

Deswegen glaube ich, dass der Vorwurf, das Ab-kommen wäre nicht hart genug verhandelt, nichtzieht. Das sieht man an zwei Dingen. Herr KollegePidde hat das Abkommen mit den USA angespro-chen. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. An demTag, an dem der Schweizer Nationalrat dasdeutsch-schweizerische Abkommen mit 108 zu81 Stimmen beschlossen hat, ihm zugestimmt hat,

am gleichen Tag wurde das Steuerabkommen mitÖsterreich mit 138 Jastimmen beschlossen, also 30mehr. Das heißt, es war für die Schweizer einfa-cher, dem Abkommen mit Österreich zuzustimmen.Offenbar hat unsere Regierung, hat die Bundesre-gierung aus Sicht der Schweizer härter, für sie un-angenehmer verhandelt als die Österreicher. Es istimmer so, dass das Ergebnis eben beide dannauch zufriedenstellen muss und beide damit lebenkönnen. Das ist nun mal das Wesen von Verträgen,meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Essind auch mehr Deutsche im Schweizer Na-tionalrat.)

Genau, es sind mehr Deutsche im Schweizer Natio-nalrat. Wahrscheinlich ist das so. Ich kenne einpaar Kollegen dort, aber Deutsche sind nicht dabei.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bleibtdabei, das Abkommen ist ein gutes und es ist weit-gehend auch ein faires. Wir hatten 2004 bis EndeMärz 2005 eine Steueramnestie. In Anbetracht des-sen, was eben gesagt wurde, besteht vielleicht Ei-nigkeit darüber, dass das jetzt auch nicht unbedingtso das Mittel sein muss, was man da wählt. Dashatte die damalige rot-grüne Bundesregierung be-schlossen. Das sind also genau die, die uns hierjetzt auch gesagt haben, dass eine Besteuerungvon 21 bis 41 Prozent nicht genug ist. Die haben ei-ne Steueramnestie beschlossen. Da ist mir das Ab-kommen, sage ich deutlich, erheblich lieber, meinesehr verehrten Damen und Herren.

Die Finanzministerin der Schweiz, Frau Widmer-Schlumpf, hat in einem Interview vor sechs Wochen- Mitte April - im Handelsblatt Folgendes gesagt, ichzitiere: „Ich stelle ganz nüchtern fest, dass die rot-grüne Regierung im Jahr 2003 eine Steueramnestiezu 15 Prozent eingeführt hat. Wir bieten nun imSteuerabkommen 21 bis 41 Prozent an. Und das istkeine Steueramnestie. Wir anerkennen ja, dass esvon deutscher Seite einen Anspruch auf dieseSteuergelder gibt.“ Das, meine sehr verehrten Da-men und Herren, ist schon eine Aussage von einerFinanzministerin eines Nachbarlandes, die aner-kennt, dass wir ein Anrecht auf dieses Geld haben.Das, finde ich, ist schon ein Schritt, auch so etwasmit so einem Vertrag, mit so einer Zustimmung zuerreichen, der sich durchaus sehen lassen kann.

Die Bedingungen sind also deutlich besser als esbei der Amnestieregelung gewesen ist. Ich will dasnoch mal sagen: Ich finde, die schwarz-gelbe Bun-desregierung hat hart verhandelt und sie hat gera-de im Interesse der ehrlichen deutschen Steuerzah-ler ein gutes Ergebnis erzielt.

(Beifall FDP)

Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPDund GRÜNEN, sind Sie dann immer wieder dage-gen? Man kann eigentlich den Populismus an die-

8352 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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ser Stelle auch mal lassen. Aber vermutlich ist esgar nicht Populismus, zumindest bei den Kollegender SPD vermute ich, dass es aus dem Willy-Brandt-Haus da eine klare Weisung gibt oder ausder Bundestagsfraktion vielleicht. Ob das dazu bei-trägt, wer denn Kanzlerkandidat wird, das mag sosein. Ob das dazu beiträgt, dass dieser Kanzlerkan-didat erfolgreich ist, das mag ich durchaus bezwei-feln, denn ein Beitrag zur Herstellung von Steuer-gerechtigkeit ist die Ablehnung dieses Vertragsganz bestimmt nicht, meine sehr verehrten Damenund Herren,

(Beifall FDP)

das ist billige Blockadepolitik. Damit ist ein gewisserHerr Lafontaine schon einmal auf die Nase gefal-len.

(Beifall FDP)

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: UndHerr Kohl.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus demdeutsch-schweizerischen Steuerabkommen sinddauerhafte Mehreinnahmen für die öffentliche Handzu erwarten und auch das sollte, das will ich nocheinmal sagen, unsere Zustimmung durchaus leichtmachen. Ich hatte es vorhin schon gesagt, bis zu10 Mrd. € werden an einmaligen Einnahmen erwar-tet. Die Verhandlungen zur Verteilung auf die Län-der laufen wohl noch nach dem, was ich weiß, aberes dürfte sich für Thüringen auch um einen namhaf-ten zweistelligen Millionenbetrag handeln, der hierin die Kasse fließen würde. Ich glaube, dass auchmit Blick auf die Debatte, die wir auch vorhin hat-ten, das schon ein Beitrag zur Konsolidierung seinkann.

Herr Kollege Huster, um das an dieser Stelle aus-drücklich klarzustellen, das war vorhin eine reinrhetorische Reflexion auf die Debatte vorher, wo ichja, glaube ich, deutlich gesagt hatte, was ich vonder Interpretation, die die Landesregierung zumThema unabweisbare Mehrausgaben üblicherweisean den Tag legt, halte, nämlich gar nichts. Deswe-gen ganz klar, ich glaube, dass, wenn schon nichtSteuermehreinnahmen, so doch zumindest Einnah-men, die aus einem völlig unerwarteten Topf kom-men. Wenn wir das auch mal summieren auf die er-warteten Steuereinnahmen obendrauf, sollte esdoch möglich sein, wenigstens bei diesem Geld dieLandesregierung wirklich aufzufordern, das kom-plett in den Schuldenabbau zu stecken, wenn wirdas schon nicht bei den Steuermehreinnahmen ma-chen, so doch wenigstens hier bei einer Mehrein-nahme, die nun tatsächlich nicht geplant ist und die,glaube ich, dort wirklich am besten aufgehoben ist,meine sehr verehrten Damen und Herren.

Man kann das alles rückwärtsgewandt diskutieren.Was Herr Huster auch gesagt hat, auch aus derGeschichte heraus, zum Teil teile ich das, zum Teil

nicht. Es ist viel richtig beschrieben, was Sie ge-macht haben. Die Frage ist: Ist es das, was unsweiterhilft? Wir stehen an einer Stelle und es ist un-sere Aufgabe, nach vorn zu blicken. Ich glaube,dass es richtig ist, wenn wir nach vorne schauenund sagen, wir können die Dinge, die in der Ver-gangenheit liegen, nicht mehr alle ändern. Wir kön-nen Sie begrüßen, wir können Sie verurteilen, aberwir können zumindest dafür sorgen, dass die Din-ge, wo wir uns vielleicht sogar einig sind, die in derVergangenheit falsch gelaufen sind, zukünftig rich-tig oder zumindest besser organisiert oder bessergehandhabt werden, als das in der Vergangenheitder Fall gewesen ist. Zumindest auf diesen Punkt,glaube ich, hoffe ich, sollte man sich doch einigenkönnen.

Wenn ich die CDU höre, muss ich sagen, Herr Kol-lege Zeh, das ist schon wirklich eine bemerkens-werte Pirouette, die Sie hier drehen. Sie stellen sichhier hin und sagen, was in dem Antrag drinsteht istvernünftig, was in dem Vertrag drinsteht, ist ver-nünftig, das muss gut sein, weil es ja ein CDU-Mini-ster verhandelt hat, und trotzdem lehnen wir es ab.Die Argumentation, die müssten Sie mir noch ein-mal erklären, meine sehr verehrten Damen undHerren. Und um Ihnen die Gelegenheit zu geben,das zu erklären,

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Weil esnoch nicht so reif ist.)

finde ich, Herr Kollege Meyer und auch Herr Zeh,es ist ein Zuckerle, was Sie mir hingelegt habenund sagen, ziehen Sie den Antrag zurück, bringenSie ihn im November noch einmal und

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Genauso.)

dann lehnen Sie ihm im November ab - weiß ichnicht. Wir können es doch genauso machen, wir ei-nigen uns jetzt darauf, dass wir den Antrag an denAusschuss überweisen, dann nehmen wir es beiden Debatten entsprechend mit dazu, legen ihndort im Ausschuss, ich sage mal, so lange auf Eis,bis entsprechend im November oder im Oktober dieDebatte um die zweite Beratung im Bundesrat dranist, und beziehen ihn dann dort im Ausschuss in dieBeratungen ein. Was spricht dagegen? Nach dem,was ich hier gehört habe, außer der von Herrn Pid-de verordneten Totalblockade, glaube ich, nichts.Deswegen bitte ich Sie herzlich, der Ausschuss-überweisung, die ich hiermit beantrage, an denHaushalts- und Finanzausschuss selbstredend zu-zustimmen. Ersatzweise beantrage ich getrennteAbstimmung über die beiden Punkte des Antrags.Herzlichen Dank.

(Beifall FDP)

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8353

(Abg. Barth)

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Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Barth. Es liegt eineweitere Wortmeldung vor, und zwar von dem Abge-ordneten Huster von der Fraktion DIE LINKE.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Barth, lassen Sie mich mal kurz erwi-dern zu Ihrer Bemerkung, was die Steueramnestieunter anderem von Rot-Grün, die Sie erwähnt ha-ben, im Unterschied zur jetzt vorgesehenen Rege-lung im Abkommen darstellte. Ein wesentlicher Un-terschied war, dass die Amnestie dann in Kraft trat,wenn derjenige, der Steuern hinterzogen hatte, sichselbst bei den deutschen Behörden meldete. Dasmacht ja auch theoretisch Sinn, dass dann derStaat sagt, also wenn du - auf deutsch gesagt -Mist gemacht hast, dann sind wir zu kulanten Rege-lungen bereit, aber die Voraussetzung dafür ist,dass du sagst, jawohl, ich habe einen Fehler ge-macht, und durch diese Aufgabe der Anonymitätder Staat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit er-warten kann, dass ich in Zukunft meine Geschäftesauber abwickle. Das, denke ich, war der Grundge-danke dieser Regelung. Herr Meyer, glaube ich, hates erwähnt, wer bis jetzt diese - oder Herr Dr. Pidde- goldene Tür nicht genutzt hat, denke ich, hateinen besonderen Erklärungsbedarf, dass er dasbisher nicht getan hat. Das ist doch die Schwierig-keit bei der Bewertung des jetzigen Verhandlungs-standes, ob nicht durch diese Heilung mit der ver-bleibenden Anonymisierung, mit der zunehmendenErschwerung, dass deutsche Steuerbehörden dieLeute dingfest machen können, das muss doch indie Bewertung mit einbezogen werden, ob das jetzttatsächlich ein Fortschritt gegenüber alten Rege-lungen ist und ob die Altfälle wirklich sauber geheiltwerden, so dass wir von Gerechtigkeit reden kön-nen.

Herr Barth, da Sie diesen Widerspruch, wie Sie ihndargestellt haben, andererseits nicht auflösen,bleibt mein Verdacht, dass Sie im Kern die Leuteschützen wollen, die diese Straftaten über Jahrebegangen haben. Ich glaube, da muss ich nicht aufdas Thema Steuer-CDs noch mal zu sprechenkommen, aber Sie hätten auch heute wieder eineGelegenheit gehabt, mal zu sagen für Ihre Partei,dass Sie das eben nicht für ein Kavaliersdelikt hal-ten, was da in den letzten Jahren gelaufen ist undwo sehr zugesehen wurde, wie das gelaufen ist,sondern dass das wirklich eine Straftat ist, die wirauch aus Aspekten der Gerechtigkeit dringend inder Zukunft abstellen müssen.

Meine Damen und Herren, weil Sie jetzt zum Ver-fahrensvorschlag noch mal gebeten haben um dieAusschussüberweisung, dass wir das parallelisie-ren mit dem Selbstbefassungsantrag im Haushalts-ausschuss, dagegen spricht aus meiner Sicht

nichts, dass man so verfahren könnte. Man könnteaber auch wiederum bei Ablehnung Ihres Antragsden Inhalt Ihres Antrags natürlich immer mit zurSelbstbefassung selbst in den nächsten Monaten,insofern es einen neuen Stand gibt, natürlich mitzur Beratung heranziehen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen Dank, Herr Huster. Es hat sich noch einmalAbgeordneter Barth zu Wort gemeldet. Sie habennoch 20 Sekunden Redezeit.

Abgeordneter Barth, FDP:

Genau so ist es. Das reicht völlig aus. Herr Huster,wenn Ihnen das hilft, dann sage ich das. Natürlichist Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt, son-dern eine Straftat, überhaupt keine Frage. Es gehtdoch nicht darum, das damit heilig zu sprechenoder zu heilen, sondern nach vorne zu schauenund zu gucken, wie können wir es regeln, dass sichso was möglichst nicht wiederholt? Vielen Dank.Das waren 17 Sekunden.

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Genau, da gebe ich Ihnen jetzt mal recht. Es hatsich jetzt kein weiterer Abgeordneter zu Wort ge-meldet, aber der Herr Minister möchte jetzt spre-chen. Herr Dr. Voß, Sie haben das Wort.

Dr. Voß, Finanzminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, dasdeutsch-schweizerische Steuerabkommen ist aus-gehandelt, es ist von der Bundesregierung in einenGesetzentwurf gegossen worden, und zwar vomBundeskabinett am 25. April beschlossen worden.Es soll erstmalig im Bundesrat am 15. Juni beratenwerden. Es kam in der Debatte zum Ausdruck, wasist der Regelungsgehalt? Wir sollten unterscheidenzwischen der künftigen Behandlung von Kapitaler-trägen der Schweiz und von der Behandlung vonvergangenen Erträgen (Steuerhinterziehung) wurdedeutlich genannt. Alles, was die Zukunft anbelangt,werden die Kapitalerträge von Deutschen in derSchweiz künftig so behandelt, als seien sie inDeutschland, das heißt die Abgeltungssteuer. DieSchweiz hat sich bereit erklärt, die Abgeltungssteu-er auch in der Schweiz anzuwenden. Insofern istdie Zukunft bereinigt, und zwar vollends bereinigt.Mehr können wir ja schließlich von der Schweiznicht verlangen, dass sie sozusagen eigentlich un-ser Steuerrecht für diese Fragen anwendet - ich fin-de, ein weites Entgegenkommen der Schweiz.

Der zweite Inhalt ist die Frage der Erbschaftssteu-er. Wenn sich niemand offenbart gegenüber denSchweizer Behörden und den Banken, dann wer-

8354 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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den anfallende Erbschaften zu 50 Prozent besteu-ert. Das ist der höchste Steuersatz der Erbschafts-steuer, den unser Recht kennt. Von daher ist es einklarer Anreiz, wenn ich ein näheres Verwandt-schaftsverhältnis zum Erben habe, habe ich einenAnreiz, mich zu offenbaren, weil ich dann eine ge-ringere Steuer zahle. Das einzige, was im Grundegenommen umstritten sein kann - und das hat jadie Debatte auch gezeigt -, wie gehen wir mit denVermögen um, die in der Vergangenheit hinterzo-gen worden sind und wie werden die behandelt?Da haben die Nachverhandlungen zweifellos zu ei-ner Verbesserung geführt. Sie sollen mit einemSteuersatz, der Vermögensbestand, nicht der Er-trag … Der vorfindbare Vermögensbestand wird mit21 Prozent respektive 41 Prozent besteuert, undzwar mit zunehmendem Abstand in die Vergangen-heit von jetzt an gesehen. Insofern ist hier wirklichdie Frage zu stellen, ob weitere Verhandlungen zueinem besseren Ergebnis führen würden. Ich sageIhnen, das wird nicht der Fall sein. Die Bundesrepu-blik hat jetzt mehrmals nachverhandelt und Sie wis-sen, dass die Schweiz natürlich dem Bankgeheim-nis einen hohen Wert einräumt. Wir werden wohlnichts Besseres bekommen. Jetzt ist die einzigeFrage, die beantwortet werden muss, ob wir sagen,die Frage der Gerechtigkeit bewerten wir anders.Wir haben höhere Ansprüche und höhere Ziele,was die Gerechtigkeit anbelangt. Dann werden wirder Gerechtigkeit überhaupt nicht näherkommen,weil wir dann kein Abkommen kriegen. Es bleibtdann bei dem desaströsen Ergebnis vom Statusquo oder entscheiden wir, wir haben zwar höhereAnsprüche, aber das Abkommen bringt uns auf eingutes Stück des Weges in diese Gerechtigkeit hin-ein? Die Frage müssen Sie beantworten. Da diesesAbkommen auch im Finanzausschuss des Bundes-rats behandelt wird, werde ich auch zustimmen.

(Beifall FDP)

Wie die Landesregierung insgesamt sich dann ver-hält, werden wir sehen, wenn die Dinge im Plenumsind. Sie wissen, es gibt hier unterschiedliche Auf-fassungen, aber die Abstimmung muss auch unterdem Aspekt gesehen werden, wie stark Thüringenbetroffen ist, das heißt wir hier mit unserem Haus-halt. Wie stark sind wir betroffen? Herr Barth hatteschon einige Zahlen genannt, die ich bestätigenkann, aber die Beteiligung an der Vorabzahlungvon etwa 1,6 Mrd. €, das ist die erste Abschlags-zahlung, meine Damen und Herren. Man geht von10 Mrd. € aus. Der Wert, den ich auch auf der Ba-sis unserer Rechnung mal überschlagen habe, et-wa 100/120 Mio. € bis 2019, ging nur von der Ab-schlagszahlung von 1,6 Mrd. € aus. Das heißt,wenn das Abkommen besteht, reden wir über einVielfaches dieses Geldes und das wird ja schließ-lich den Leuten abgenommen, die - Herr Huster, dagehe ich vollkommen mit - sich strafbar gemachthaben, die hinterzogen haben und die in der Regel

nicht besser davonkommen dürfen als ehrlicheSteuerbürger. Aber all dieses ist mit zu berücksich-tigen und es wird eine Entlastung für uns bedeuten.Wir werden zusätzliches Geld bekommen und inso-fern muss man auch überlegen, was man damitmacht. Ich meine auch, wir sollten uns einig seindarüber, dass wir dieses Geld, wenn es denn sokommt und die Dinge den Bundesrat durchlaufen,auch zur Haushaltskonsolidierung einsetzen. DasThema war ja heute schon mehrmals dran. Wir soll-ten aber - das ist jetzt die zweite Debatte, wo wirüber Mehreinnahen reden - bei diesen Debattennicht vergessen, dass unsere Haushaltskonsolidie-rung eben, so erfreulich Mehreinnahmen sind, vorallen Dingen über die Ausgabenseite zu erfolgenhat, und hier reden wir, ich möchte es nur noch ein-mal in Erinnerung rufen, über Personalabbau, wirreden über Verwaltungsreformen und wir redenüber sonstige Konsolidierungsmaßnahmen. Das istdas Programm, was wir uns vorgenommen haben.Nur auf dem Weg werden wir stabil in dasJahr 2020 gehen können. Recht herzlichen Dank.

(Beifall CDU, FDP)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Finanzminister. Es lie-gen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Eswurde Ausschussüberweisung beantragt, und zwaran den Haushalts- und Finanzausschuss. Wer die-ser Ausschussüberweisung folgen möchte, den bit-te ich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stim-men der Fraktionen FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN und DIE LINKE. Gibt es Gegenstimmen? Dassind die Stimmen von CDU- und SPD-Fraktion. Gibtes Enthaltungen? 1 Enthaltung. Damit ist dieseAusschussüberweisung abgelehnt.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den An-trag der Fraktion der FDP in der Drucksa-che 5/4434, hier war Einzelabstimmung über diebeiden Punkte beantragt. Dann stimmen wir zu-nächst ab über Punkt 1. Wer diesem zustimmenmöchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen.Das sind die Stimmen der Fraktion der FDP. Gibtes Gegenstimmen? Das sind die Stimmen aus allenanderen Fraktionen. Gibt es Enthaltungen? Das istnicht der Fall. Dann ist Punkt 1 dieses Antrags ab-gelehnt.

Wir stimmen ab über Punkt 2 dieses Antrags. Werdiesem folgen möchte, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Das sind die Stimmen der FDP-Frak-tion. Gibt es Gegenstimmen? Das sind die Stimmenaus allen anderen Fraktionen. Gibt es Enthaltun-gen? Das ist nicht der Fall. Dann ist auch dieserPunkt abgelehnt und somit der gesamte Antrag. Ichschließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 18

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8355

(Minister Dr. Voß)

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Auswirkungen des jüngstenTarifabschlusses für den öf-fentlichen Dienst auf die Thü-ringer KommunenAntrag der Fraktion DIE LINKE- Drucksache 5/4459 -

Ich frage, wünscht die Fraktion DIE LINKE dasWort zur Begründung? Ja, das wird gewünscht. Ab-geordneter Kummer hat das Wort.

Abgeordneter Kummer, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, seitdem 1. März 2012 gilt für die Beschäftigten in denThüringer Kommunen ein neuer Tarifvertrag. Dieserenthält eine Tariferhöhung für 2012 um 3,5 Prozentund für Januar und August 2013 Tariferhöhungenum je 1,4 Prozent. Dass der neue Tarifvertragkommt, war allen Kommunen klar, was ihnen je-doch nicht klar war, war die Höhe des Abschlussesund deswegen werden die wenigsten Kommunen inihrer Vorsorge diese Höhe berücksichtigt haben.Ich will hier ausdrücklich für unsere Fraktion sagen,dass wir den Tarifvertrag begrüßen

(Beifall DIE LINKE)

und dass er für uns sehr, sehr wichtig ist, da er dasRecht der Beschäftigten auf eine angemessene Be-zahlung berücksichtigt. Jedoch können wir die Thü-ringer Kommunen mit der sich daraus ergebendenBelastung nicht allein lassen. Bisher sind diese Er-höhungen im Thüringer Finanzausgleichgesetzbzw. in den Schlüsselzuweisungen nicht vollständigberücksichtigt. Der Deutsche Städtetag spricht inseiner Pressemitteilung vom 31. März von derGrenze des Vertretbaren und der Deutsche Städte-und Gemeindebund sagt, die Erhöhung überschrei-tet bei einigen Gemeinden und Städten dieSchmerzgrenze.

Meine Damen und Herren, auf die Situation derThüringer Kommunen in Sachen Finanzen habenwir mit unserer Kampagne „Kommunen in Not“ inder letzen Zeit mehrfach hingewiesen. Der Antrag,der hier vorliegt, reiht sich in diese Kampagne einund wir wollen damit deutlich machen, dass dieFeststellung des Deutschen Gemeinde- und Städ-tebundes vom 02.04., dass Mehrkosten über höhe-re Gebühren, Beiträge und Steuern finanziert odergar durch Personalabbau ausgeglichen werdenmüssen, für uns aus unserer Sicht nicht der einzigeWeg sein kann.

(Beifall DIE LINKE)

Wir machen klar, dass die Landesregierung durcheine konkrete finanzielle Regelung im Finanzaus-gleichsgesetz hier die finanziellen Auswirkungender Kommunen berücksichtigen muss, und dass dieeinfache Vorstellung, die es offensichtlich vonseitender Landesregierung gibt, dass die Herren Minister

Geibert und Voß zusammen mit den kommunalenSpitzengremien im Finanzbeirat hinter verschlosse-nen Türen darüber reden, wie die ganze Geschich-te geklärt werden soll, nicht ausreichend ist. Wirbrauchen Öffentlichkeit, wir brauchen Transparenzin diesem Verfahren. Deshalb unser heutiger An-trag. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Kum-mer. Die Landesregierung erstattet einen Sofortbe-richt zu Nummer I des Antrags. Für die Landesre-gierung erteile ich jetzt das Wort Herrn MinisterDr. Voß.

Dr. Voß, Finanzminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im Er-gebnis der Tarifverhandlungen vom März diesesJahres einigten sich die Gewerkschaften und Ar-beitgeber darauf, dass die Beschäftigten im öffentli-chen Dienst beim Bund und bei den Kommunenüber die nächsten zwei Jahre in mehreren Stufeninsgesamt 6,3 Prozent mehr Geld bekommen soll-ten, also gehaltlich angehoben werden. Für die Ta-rifbeschäftigten der Thüringer Kommunen bedeutetdies zum Beispiel eine rückwirkende Gehaltssteige-rung für 2012 ab 1. März um 3,5 Prozent. Die finan-ziellen Auswirkungen dieses Tarifabschlusses fürdie Thüringer Kommunen können seitens der Lan-desregierung nicht exakt beziffert werden. Warumist das so? Die genauen Auswirkungen ermitteltman nicht, indem man die Anzahl der Beschäftigtennimmt und deren Gehaltssummen und hier einfachdiese Tarifsteigerung, diesen Prozentsatz anwen-det, sondern es geht um Eingruppierungen, es gehtum Gehaltsstufungen und davon hängt das absolu-te Ergebnis ab. Solche Daten liegen uns nicht vor.Insofern kann ich das Gesamtergebnis nicht sagen.

Meine Damen und Herren, den Belastungen derKommunen durch die Personalausgaben wird imKommunalen Finanzausgleich Rechnung getragen.Sie wissen, dass wir den Kommunalen Finanzaus-gleich auf die Basis einer angemessenen Finanz-ausstattung stellen und in dieser angemessenen Fi-nanzausstattung sind auch Steigerungen der Per-sonalausgaben schon berücksichtigt. Im Rahmendes Dritten Gesetzes zur Änderung des Finanzaus-gleichs, also für das Jahr 2012, wurde bereits eineSteigerung der Personalaufwendungen, so, wie wirdas beim Land auch getan haben, in Höhe von1 Prozent Personalkosten berücksichtigt. Also ins-gesamt 12,8 Mio. pauschal. Im Rahmen der Auf-tragskostenpauschale wurden weitere 4 Mio. be-rücksichtigt und im Rahmen der Schlüsselmassedann eben noch mal 8 Mio. Aber auch das ist nichtalles, nämlich im Bereich der besonderen Ergän-zungszuweisungen SGB II und SGB XII, aber auch

8356 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Vizepräsidentin Rothe-Beinlich)

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im Kita-Bereich werden die Personalkosten genauberechnet und da diese Pflöcke und diese Zuwei-sungen einen hohen Anteil bei uns im KommunalenFinanzausgleich haben, wird weiterhin ein StückPersonalkostensteigerung berücksichtigt. Danngeht allerdings auch die Berücksichtigung der Per-sonalkostensteigerung davon aus, ähnlich wie beimLand, wo wir pro Einzelplan ein Personalbudget ha-ben, dass eben auch über Personaleinsparungenund eventuell verzögerte Besetzungen weiter Per-sonalkosten gespart werden sollten und müssen.Das gilt auch für die Kommunen hier im FreistaatThüringen. Wie Sie es wollen, dass wir eine Tarif-steigerung, die über diese Berücksichtigung hinausgeht, dass wir dieses unterjährig berücksichtigensollen, dafür sehen wir zunächst einmal keine Not-wendigkeit. Das wäre aber systematisch vollkom-men falsch. Stellen Sie sich vor, wir würden alle14 Tage das Finanzausgleichsgesetz ändern, näm-lich immer dann, wenn sich Sachverhalte ergeben,die von den Planungen, von den Prognosen abwei-chen.

Hier möchte ich einen Punkt hervorheben: Im Be-reich des SGB II - also diese Hartz IV, die Kostender Unterkunft - zahlen wir seit Jahren in Größen-ordnungen mehr aus, als sich dann Ende des Jah-res im Ist ergibt. Wir rechnen die nie im Ist ab undwir reden hier auch gut über 10 Mio. €, manchmalsogar über 20 Mio. €, die den Gemeinden belassenwerden. Wenn man so will und nimmt jeden einzel-nen Gesichtspunkt zum Anlass, dann müssten wirständig verrechnen.

Ich gehe jetzt mal zu den Steuereinnahmen: Wirprognostizieren ja für die Steuereinnahmen im kom-munalen Bereich für das Jahr 2012 gegenüber derBerücksichtigung, die wir dem Finanzausgleichsge-setz zugrunde legen, ein Mehr von 72 Mio. €. Sollich jetzt auch hingehen und aktualisiere das? Siemerken, dass so ein Verhalten total systemfremd istund gerade die Kommunen verunsichern würde.Wir würden ihnen nicht nur keine mehrjährige Si-cherheit über ihre Finanzausstattung geben, nein,wir würden ihnen die Sicherheit im Laufe des Jah-res sogar noch nehmen. Dass das wohl nicht ge-meint sein kann, davon gehe ich einfach aus, dassSie mit mir da einer Meinung sind. Insofern würdenwir darauf verweisen, dass Personalsteigerungenim Budget des Kommunalen Finanzausgleichs2012 berücksichtigt sind. Eine unterjährige Verän-derung je nach Sachverhalt würde systematischfalsch sein. Weil der Herr Justizminister mich gera-de anschaut, ich glaube, wir stoßen sogar an Ver-fassungsgrenzen. Es gibt nämlich auch einen Ver-trauensschutz, dass, wenn Kommunen am Anfangdes Jahres mit bestimmten Dingen planen können,es dann kaum möglich ist, dass ich Mitte des Jah-res hingehe und mische die Karten in diesem Feldganz neu. Es hängen doch eine Reihe der Kommu-nalhaushalte daran. Ich denke, da können wir kei-

nen schwankenden Boden erzeugen. Wir solltenuns eher bemühen, mehr Stabilität in die kommuna-le Finanzausstattung zu bekommen. Recht herzli-chen Dank. Das wäre mein Sofortbericht. VielenDank.

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Minister Voß. Ich fra-ge, wer wünscht die Beratung zum Sofortbericht zuNummer I des Antrags? Sind das alle Fraktionen?Das ist schön. Auf Verlangen von allen Fraktioneneröffne ich die Beratung zum Sofortbericht zu Num-mer I des Antrags und gleichzeitig eröffne ich dieAussprache zu Nummer II des Antrags. Zu Wortgemeldet hat sich hier Abgeordneter Matthias Heyfür die SPD-Fraktion.

Abgeordneter Hey, SPD:

Frau Präsidentin, vielen Dank. Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Herr Kuschel, ich spreche Siejetzt mal an.

(Zuruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Es gibt ver-fassungsrechtliche Bedenken?)

Herr Kummer hat zwar den Antrag eingebracht,aber Sie haben vorhin sofort Ihr Sakko übergewor-fen, ich nehme an, wir werden Sie hier also gleichnoch zu diesem Thema erleben. Es ist nachvoll-ziehbar, dass aufgrund der Tarifabschlüsse einMehrbedarf seitens der Kommunen formuliert wird.Um ehrlich zu sein, wir haben eigentlich nur daraufgewartet, wann so ein Antrag mal im Plenum einge-bracht wird. Ich will gleich vorausschicken, dassauch ich die Entwicklung in den letzten Jahren im-mer sehr ambivalent gewertet habe, also es gibt im-mer ein lachendes und ein weinendes Auge, wennes in die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienstging. Das geht mir nicht allein so. Einerseits weiß jajeder, der schon einmal in kommunaler Verantwor-tung stand oder noch steht, wie es um die öffentli-chen Kassen bestellt ist und jeder Euro mehr, ganzgleich wofür, das Finanzproblem eigentlich nochvergrößert, das die meisten Kommunen haben. An-dererseits ist es natürlich auch wichtig, dass die Be-diensteten in diesen Kommunen auch anständigbezahlt werden und Tariferhöhungen gehören dannund wann eben zu dieser anständigen Bezahlungdazu. Aber das nur vorweg.

(Beifall DIE LINKE)

Ihr Antrag verkennt aber vor allen Dingen eines -und der Finanzminister hat das eben schon ausge-führt -, die Ermittlung der angemessenen kommu-nalen Finanzausstattung ist quasi eine Momentauf-nahme im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens.Das ist auch das Problem. Ich komme gleich nochmal darauf zurück. Im Rahmen der Ermittlungender angemessenen Finanzausstattung für dasJahr 2012 zum Beispiel wurde - und das ist eben

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8357

(Minister Dr. Voß)

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auch schon hier angeklungen - eine Personalkos-tensteigerung in Höhe von 1 Prozent berücksichtigt.Dafür wurden bei der Auftragskostenpauschale zu-sätzlich - Sie haben es gesagt, Herr Voß - 4 Mio. €und für den eigenen Wirkungskreis zusätzlich8,8 Mio. € sogar berücksichtigt. Weitere Personal-kostensteigerungen sind im Rahmen der Bedarfs-prognose einzelner Aufgabenbereiche, also zumBeispiel Kita, SGB II, in die Ermittlung der ange-messenen Finanzausstattung einbezogen worden.Änderungen, die sich im Jahresverlauf an einzelnenAusgabepositionen ergeben, werden weder im po-sitiven - das ist eben auch schon so gesagt worden- noch im negativen Fall berücksichtigt. Allein beiden kommunalen Steuereinnahmen gibt es nach§ 3 Abs. 2 des Thüringer FAG nach Ablauf desAusgleichsjahres eine Berücksichtigung eventuellerMehr- und Minderausgaben. Selbst das, Herr Ku-schel, ist nicht immer so. Sie kennen die Situationim vergangenen Jahr, als die Mehreinnahmen desLandes verstärkt in die Kommunalfinanzierung ge-flossen ist und diese zusätzliche Finanzspritze - al-so am Ende des Jahres - nicht in die Anrechnungeinbezogen wurde, wie sie im Kommunalen Finanz-ausgleich eigentlich üblich wäre. Wir haben eineähnliche Diskussion schon einmal hier im Plenumgeführt, als es zum Beispiel um den besonders har-ten Winter im Jahr 2010 und 2011 ging. Sie erin-nern sich sicherlich noch daran, damals gab esauch Mehrausgaben für die Kommunen, die in die-ser Form nicht vorhersehbar waren. Auch hier solltedann quasi über den Kommunalen Finanzausgleichden Kommunen geholfen werden. Wir haben da-mals auch festgestellt, zumindest mehrheitlich fest-gestellt, dass es in der Systematik der Zuweisungfinanzieller Mittel über das FAG nicht darum gehenkann, bei bestimmten signifikanten Änderungen so-fort zu reagieren, weil dieses Finanzausgleichsge-setz immer - ich drücke das mal sehr salopp aus -einen ausgeprägten Querschnitts- oder auch einenDurchschnittscharakter hat. Das führt sicher hinund wieder zu einigen Verwerfungen, die Sie dannimmer unter anderem durch solche Anträge aufgrei-fen, und die gefallen uns auch nicht immer, also ichmeine jetzt die Verwerfungen, nicht die Anträge -wobei, das sehen hier im Plenum einige Kollegin-nen und Kollegen sicher auch manchmal anders -,aber diese Systematik ist nun einmal gegeben. Mankann vielleicht darüber diskutieren, Herr Kuschel,ob zukünftig nicht beim Ermittlungsansatz der finan-ziellen Mittel von vornherein zum Beispiel ein grö-ßerer Anstieg der Kosten für Personalausgaben beiden Kommunen berücksichtigt werden sollte, wobeidas quasi auch so eine Art vorauseilende Maßnah-me der anstehenden Tarifverhandlungen wäre, dieimmer erst im jeweils laufenden Jahr des Vollzugsdes FAG stattfinden. Ich bin nun kein Hellseher undkann ähnlich wie Sie nicht voraussagen, welcheHöhe der Tarifabschluss immer haben wird, wobeisich natürlich trefflich - auch das muss man sagen -

über eines streiten lässt: Das Personal auf kommu-naler Ebene soll auch abgebaut werden, so dassauch hier der Zuwachs an Ausgaben für Tarifstei-gerungen gebremst werden soll. Das klingt manch-mal auch so an, wenn man Ausführungen aus demFinanzministerium liest, weil ja das Mehr an Perso-nalausgaben sich dann auf weniger Köpfe beziehenwürde. Hier muss ich fairerweise sagen, dass die-ser Ball ziemlich vorsichtig in die Reihen der kom-munalen Familien gespielt werden sollte, weil auchdas Land Thüringen - das muss man legitimerweisesagen dürfen - Personal abzubauen hat und im Üb-rigen aber auch von den Tarifsteigerungen im öf-fentlichen Dienst betroffen sein wird, zwar übereinen anderen Flächentarifvertrag - darüber werdenwir erst im nächsten Jahr reden können -, aberauch da erwachsen Mehrausgaben. Es gibt immerzwei Seiten der Medaille.

An den Festlegungen des aktuellen Finanzaus-gleichsgesetzes wird auch im Hinblick auf die vonIhnen bereits angesprochene geplante Neujustie-rung, Herr Voß, des Kommunalen Finanzausgleichsseitens der SPD-Fraktion festgehalten. Deswegenkönnen wir uns für den hier vorliegenden Antrag indieser Form, wie er hier eingebracht wurde, nichterwärmen. Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Hey.Das Wort hat jetzt Abgeordneter Barth für die FDP-Fraktion.

Abgeordneter Barth, FDP:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,der Antrag zeigt zunächst, dass inzwischen auchDIE LINKE verstanden hat, dass eine gerechte Ent-lohnung, die nicht nur wünschenswert ist, die not-wendig ist, natürlich auch irgendwie finanziert wer-den muss. Das Problem ist allein, welche Schluss-folgerungen man aus dieser Erkenntnis zieht. Ichglaube, solange die Mehrheit nicht verinnerlicht, ichwill gar nicht von begreifen reden, solange es dieMehrheit nicht verinnerlicht, dass das Geld endlichist, und dass das, was ausgegeben werden soll,auch erwirtschaftet werden muss, so lange wird esuns nicht gelingen, den Staat insgesamt, auch inden Kommunen, in den Ländern oder im Bund auffinanziell solide Beine zu stellen.

(Beifall FDP)

Diese Grundüberlegung, meine Damen und Herren,hat etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun, fürdie wir uns ausdrücklich einsetzen. In Thüringenprofitieren 45.000 Beschäftigte etwa von den Tarif-abschlüssen und das ist auch gut so, das ist das la-chende Auge, was Herr Kollege Hey meinte. Aufdie Kommunen kommt eine Mehrbelastung von,

8358 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Hey)

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Herr Minister hat es gesagt, etwas mehr als100 Mio. € durch den Abschluss zu; das ist dasweinende Auge. Natürlich kann man sagen, manmüsste entsprechende Mehrbelastungen durcheinen vorhersehbaren Tarifabschluss bei einer soli-den und ehrlichen Berechnung des KFA in denSchlüsselzuweisungen schon berechnen. Eigentlichmüssten, wenn das in der Vergangenheit auch im-mer alles erfolgt wäre - es geht ja bei der Berech-nung des KFA nun nicht nur um die Frage der Tarif-entwicklung -, die Kommunen auch in der Lagesein, durch Rücklagen oder durch Sparmaßnahmenim Einzelfall auch mal eine Mehrbelastung, die viel-leicht durch einen Abschluss, der höher ist als er-wartet, sage ich jetzt mal, selbst zu stemmen. Dasssie das nicht sind, hat mit den Kommunalen Finanz-ausgleichen der zurückliegenden Jahre zu tun. Dashat ja eine gewisse Historie, eine gewisse Entwick-lung, und die Situation, in der die meisten Kommu-nen sind, ist nicht vom Himmel gefallen, sonderndie ist natürlich Ergebnis auch der FAGs der ver-gangenen Jahre, ganz klar.

Auch wenn wir vom Statistischen Landesamt gehörthaben, und das ist ja auch erfreulich, dass sich dieGesamtverschuldung der Kommunen, der Ministerhat es auch bei der Versammlung des Gemeinde-und Städtebundes vorgetragen, dass sich derSchuldenstand der Kommunen im Vergleich zu2011 um 120 Mio. € verringert hat, so ändert dasan der insgesamt und überwiegend schwierigen fi-nanziellen Situation der Kommunen zunächstnichts. Wie also herauskommen? DIE LINKEschlägt vor, den KFA rückwirkend zu ändern undden Tarifabschluss entsprechend dort einzurech-nen, zu berücksichtigen. Die Vorredner, der Minis-ter, der Kollege Hey haben bereits auf die Schwie-rigkeiten, die damit verbunden sind, hingewiesen,soweit es den laufenden Haushalt betrifft. Und soeine Vorausberücksichtigung ist unter verschiede-nen Aspekten schwierig, auch deshalb, weil natür-lich eine Verhandlungsseite in Tarifverhandlungendamit auch schon einen Vorschlag auf den Tischlegt. Aber darüber könnte man diskutieren, weil esja nicht ein auf Gewinn gerichtetes Unternehmenist, um das es hier geht, sondern es sind Gemein-den, die keinen Gewinn erwirtschaften, sondern esgeht „nur“ um die Frage, wofür sie ihr Geld verwen-den. Ein Angebot auf den Tisch zu legen ist ja so-wieso auch Sache der Arbeitgeber. Aber ich glau-be, dass es nach vorn gerichtet zumindest ein paarmehr Überlegungen auch geben kann. Wir glauben,dass ein Punkt auch die Überlegung ist, die Steuer-mehreinnahmen, die die Kommunen einnehmen,auch wirklich bei den Kommunen künftig zu belas-sen und nicht immer wieder zu verrechnen,

(Beifall DIE LINKE)

um damit auch die Möglichkeit zu bieten, Rückla-gen zu bilden, und eben auch mal einen Tarifab-schluss, der vielleicht höher ist, als man ihn nun un-

bedingt erwartet, daraus entsprechend abzufedern.Das ist allein für sich genommen jetzt nicht die Lö-sung,

(Beifall FDP)

aber gemeinsam mit anderen Vorschlägen kanndas, glaube ich, zu einem Paket beitragen, welchesfür die Zukunft die Kommunen in die Lage versetzt,auch mit Tarifabschlüssen entsprechend umzuge-hen. Was wir alle nicht wollen und wozu die Diskus-sionen um den KFA nicht führen dürfen, ist, dassdie Bürgermeister die Buhmänner in ihren Kommu-nen sind und suggeriert wird, dass die Bürgermeis-ter ihre Mitarbeiter in den Kommunen für die über-wiegend gute Arbeit, die dort geleistet wird, nichtangemessen bezahlen wollen.

(Beifall FDP)

Ich glaube, die Bürgermeister wollen das, und die-sen Eindruck sollten wir nicht in irgendeiner Weisezerstören, und wir sollten insbesondere Bürger-meistern, die eh schon mit dem Rücken zur Wandstehen, nicht noch weitere Probleme aufbürden.

Weil der Kollege Kummer in seinem Einführungs-beitrag auf diese bemerkenswerte Kampagne derLINKEN vor einiger Zeit, vor einem halben Jahr et-wa, meine ich, hingewiesen hat, die unter dem Titel„Kommunen in Not“, so ist es wohl gewesen, ge-standen hat, das war die Veranstaltung auf derMesse, wo auch Mitglieder Ihrer Partei standen unddort ein Plakat in die Höhe gehalten haben „Kom-munen in Not“ und jeden, der da kam, mit so einemUmschlag beglückt haben. Ich habe so einen Um-schlag auch gekriegt, weil ich bei der Veranstaltungwar, habe den einigermaßen gespannt aufgemachtund es hat sich entpuppt als im Wesentlichen Wer-beveranstaltung für eine Gemeinde- und Kreisge-bietsreform. Das war sozusagen der wesentlicheInhalt des Vorschlags im Zusammenhang mit die-ser Kampagne.

Ich will Sie nur mal darauf hinweisen, es gibt imThüringen-Atlas, Frau Präsidentin, das ist vom Lan-desamt für Statistik, so eine sehr interessante Gra-fik, Personalausgaben in Gemeinden und Verwal-tungsgemeinschaften 2009. Wenn man sich dasanschaut und das mal neben die übliche Argumen-tation legt, kleine Einheiten sind ineffizient und inef-fektiv und große Strukturen sind sozusagenzwangsläufig besser, dann will ich Ihnen mal sa-gen, die kleine Gemeinde Straufhain, die so kleinund ineffizient ist, dass sie nach Meinung der Lan-desregierung gar keinen hauptamtlichen Bürger-meister mehr haben darf, liegt bei den Pro-Kopf-Kosten in der Verwaltung bei 239 € pro Einwohner.Dank an den Bürgermeister Horst Gärtner, der indiesen Tagen in den Ruhestand geht. Bürgel imSaale-Holzland-Kreis liegt bei 214 €. Die unterma-ßige VG Leubatal, zu der auch die Gemeinde Ho-henleuben gehört, der mein Kollege Dirk Bergner

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8359

(Abg. Barth)

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als Bürgermeister vorsteht, liegt bei 317 €; Greizbei 435 €, Sömmerda bei 484 €, Eisenach bei460 €, Gera bei 545 € und Erfurt bei 694 €. MeineDamen und Herren, die Mär, dass große Struktureneffektiv und preiswert sind und kleine teuer und un-effizient, ist damit endgültig widerlegt. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Barth.Das Wort hat jetzt Abgeordneter Dirk Adams für dieFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Abgeordneter Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, ich will auf das Rechenbeispiel von HerrnBarth jetzt gar nicht eingehen, weil ich glaube, dasses an vielen Stellen hinkt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wir BÜNDNISGRÜNE wollen eine Beratung diesesAntrags im Innenausschuss und Haushalts- und Fi-nanzausschuss. Wir wollen guten Lohn für gute Ar-beit. Das heißt, wir begrüßen natürlich den Tarifab-schluss ganz besonders dafür, dass die Menschen,die in unseren Verwaltungen arbeiten, gut bezahltwerden, dass wir dadurch sichern, dass wir guteFachkräfte bekommen können. Wir wollen eine an-gemessene Finanzausstattung der Kommunen, umdas auch möglich zu machen und die Kommunennicht allein zu lassen auf ihrem Weg. Wir habenvernommen, dass der Finanzminister angekündigthat, den Kommunalen Finanzausgleich zu reformie-ren, eine neue Struktur zu geben. Dem stehen wiroffen gegenüber, weil dringend Reformbedarfbesteht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. VielenDank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Adams. Das Wort hatjetzt Abgeordneter von der Krone für die CDU-Frak-tion.

Abgeordneter von der Krone, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE solldie Landesregierung aufgefordert werden, demThüringer Landtag über die finanziellen Auswirkun-gen des jüngsten Tarifabschlusses für die Beschäf-tigten des öffentlichen Dienstes in Thüringer Kom-munen zu berichten. Für den zweiten Teil des An-trags soll die Landesregierung aufgefordert werden,dem Thüringer Landtag einen Entwurf zur Ände-

rung des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes fürdas Jahr 2012 vorzulegen, der die Auswirkungendes Tarifabschlusses berücksichtigt und eine ent-sprechende Anpassung der Schlüsselzuweisungendes Landes an die Thüringer Kommunen beinhal-tet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gegen ei-ne Berichterstattung - und der Herr Finanzministerhat es ja auch getan - durch die Landesregierungist nichts einzuwenden, obgleich die Eckwerte derTarifverhandlungen jedem hier im Hohen Hausebekannt sein sollten. Aufgrund des Tarifabschlus-ses zahlen die Kommunen in Thüringen ihren tarif-beschäftigten Angestellten seit dem 1. März 20123,5 Prozent mehr Gehalt. Um diese Steigerunggeht es insbesondere im zweiten Teil des vorlie-genden Antrags.

Der Thüringer Landtag hat im Dezember 2011 denLandeshaushalt 2012 und das Dritte Gesetz zurÄnderung des Thüringer Finanzausgleichs be-schlossen. Eine Änderung dieses Gesetzes lehntdie CDU-Fraktion ab. Zum einen wurde in dem Än-derungsgesetz zum FAG aufgrund von Prognoseneine Tarifsteigerung bereits berücksichtigt, die An-sätze für Personalkosten wurden deshalb um ca.1 Prozent höher angesetzt als im Vorjahr. Zum an-deren ist allgemein bekannt, dass das FAG über-wiegend auf Prognosen basiert. Es ist fatal undfalsch, bei jeder Abweichung von einer Prognosegleich eine Anpassung des Gesetzes zu fordern.Außerdem ist es nur sachgerecht, dann auch dieanderen Einnahme- und Ausgabeblöcke in die Be-trachtung mit einzubeziehen. Nennen möchte ichan dieser Stelle nur prognostizierte Steuermehrein-nahmen, die auch bei den Kommunen ankommen.Durch nachträgliche Änderung würde der ohnehinschon komplizierte Kommunale Finanzausgleichnoch intransparenter und für die Bürgermeister,Oberbürgermeister und Landräte im Ergebnis kaumnoch nachvollziehbar sein. Damit wäre die Pla-nungssicherheit für alle - Land und Kommunen -dahin. Und genau das will die CDU-Fraktion nicht.Aus diesem Grund sieht das Gesetz eine unterjähri-ge Spitzabrechnung bei Tarifsteigerungen nicht vor.Stattdessen wollen wir den Kommunen Planungssi-cherheit geben, damit, nachdem ein Haushalt imParlament beschlossen wurde, auch der Kämmerervor Ort planen und bewirtschaften kann. Viel besserist es, den bestehenden KFA im Rahmen dernächsten Haushaltsverhandlung einfacher undtransparenter zu machen. Wir wollen eine Finanz-garantie des Landes für Städte, Gemeinden undKreise. Das Land sollte den Kommunen bis 2019einen festen Betrag pro Jahr zusagen, mit dem sieplanen können. Zudem sollten die Kommunen künf-tig ihre Steuermehreinnahmen behalten könnenund nicht mehr mit den Zahlungen des Landes ver-rechnet werden müssen. Um das alles aber zu er-möglichen, muss mit Strukturreformen endlich ernst

8360 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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gemacht werden - und ich rede hier von Strukturre-formen, nicht von Gemeindereformen. Aufgaben-standards und Behörden müssen reduziert werden,damit Ausgaben weiter eingespart werden können.Das ist der richtige Weg, um den Kommunen zuhelfen, und nicht diese rückwirkende Flickschuste-rei am Finanzausgleichsgesetz des laufendenHaushaltsjahres. Wir lehnen deswegen den Teil IIdieses Antrags ab. Danke schön.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr von der Krone. DasWort hat jetzt Abgeordneter Frank Kuschel für dieFraktion DIE LINKE.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, zunächst also danke für die sehr sachlicheDiskussion zu dem Thema. Sonst setzen wir mitunseren Anträgen größere Reizthemen, aber offen-bar, wenn es um die kommunale Familie geht, istman sich am Freitagnachmittag noch weitestge-hend einig. Ich hoffe, das bleibt so, auch nachdemich geredet habe.

Herr Voß, erst mal vielen Dank für den Sofortbe-richt. Ich bedauere natürlich, dass Sie die Auswir-kungen nicht konkret in Zahlen fassen können, aberhabe natürlich auch dafür Verständnis, dass dasjetzt nicht bis auf den Centbetrag geht, und dieSchätzung in etwa haben wir ja. Die Zahlen sindgenannt worden. Wir gehen auch davon aus, dassdie Mehrbelastung um die rund 100 Mio. € im Jah-re 2012 ausmachen, das ist schon eine erkennbareGröße, über die es sich lohnt, im Thüringer Landtagzu diskutieren. Wir wollen gar nicht, Herr Voß, sowie Sie ein wenig das Szenario beschrieben haben,dass alle 14 Tage dann der Finanzausgleich geän-dert werden soll, das ist nicht unsere Absicht. Aber,wie gesagt, bei einem Betrag von 100 Mio. € kannman zumindest mal im Landtag darüber reden.

Es wäre schon sehr hilfreich für die Thüringer Kom-munen, wenn heute vom Landtag das Signal aus-geht, dass zumindest bei der Diskussion der Fi-nanzausgleichssysteme 2013/2014 wir auch Rege-lungen schaffen, dass die Kommunen künftig sichsicher sein können, dass bei der Berechnung einerangemessenen Finanzausstattung derartige Ausga-benabweichungen Berücksichtigung finden. Daswäre schon etwas.

Herr von der Krone hat einen Vorschlag gemacht,von dem man sagen könnte, wenn das auch dasSignal von heute wäre, wäre viel gekonnt, dass wirnämlich den Kommunen signalisieren, die Steuer-mehreinnahmen in diesem Jahr könnt ihr behalten.Das ist zurzeit eben noch unklar, weil nach dem jet-zigen, wenn ich die Regelungen des Finanzaus-

gleichs sehr eng auslege, müssen die Kommunendavon ausgehen, dass die Steuermehreinnahmenin diesem Jahr künftig verrechnet werden. Nun istein neuer Finanzausgleich angekündigt, da wissenwir nicht, welche Verrechnungsregelungen es dagibt. Aber das wäre schon so ein deutliches Signal:Gemeinden, die 72 Mio. € ..., wollen wir zumindestalles dafür tun, dass wir die also nicht mit den Zu-weisungen aus dem Finanzausgleich verrechnen.Damit wäre schon tatsächlich viel geholfen und dieKommunen könnten mit der Situation etwas andersumgehen.

Wir sind immer noch in einer Situation, wo wir zwardavon reden, dass die Kommunen Steuermehrein-nahmen haben, aber wir nach wie vor zur Kenntnisnehmen müssen, dass die kommunale Steuer-deckungsquote noch immer um die 20 Prozent, al-so knapp über 20 Prozent liegt. Das heißt, nur rund20 Prozent der Einnahmen der Kommunen resultie-ren aus eigenen Steuereinnahmen. Selbst ich warin den 90er-Jahren da optimistischer, was den Auf-holprozess gegenüber den Kommunen in den altenBundesländern betraf. Ich war überzeugt, wir nä-hern uns viel rascher den 30/35 Prozent, wie das inden alten Bundesländern gang und gäbe ist. Dasheißt natürlich im Umkehrschluss, die ThüringerKommunen bleiben nach wie vor in hoher Abhän-gigkeit des Landes was die Landeszuweisung be-trifft.

Deswegen auch immer wieder unser Appell, auchmein Appell an die Landesregierung, wir müssenmit dem Bund in den Dialog treten, dass das Steu-errecht so gestaltet wird, dass die kommunalenSteuereinnahmen sich insgesamt erhöhen und da-mit natürlich auch in der Folge der Landeshaushaltdurch die Reduzierung des Finanzausgleichs ent-lastet werden kann. Das ist ein politischer Auftrag,wo ich die Landesregierung bitte, ihre Zurückhal-tung zumindest zu überdenken und da viel aktiverüber den Bundesrat zu wirken. Da haben Sie unsauf Ihrer Seite.

Ihr Vorschlag, Herr Dr. Voß, oder Ihre Forderung andie Kommunen, einen Teil der Tariferhöhungendurch Personalabbau zu kompensieren, ist tatsäch-lich zumindest als Sofortmaßnahme kaum umsetz-bar. Sie wissen, wie Personalabbau in den Kommu-nen rechtlich geregelt ist, äußerst kompliziert, ähn-lich wie beim Land und man erreicht im Regelfallnur mittelfristig dort überhaupt Entlastungen. Aberes ist ein anderer Fakt, den wir zur Kenntnis neh-men müssen: Die Thüringer Kommunen haben inden letzten Jahren schon erheblich Personal abge-baut. Ein weiterer Personalabbau ohne tatsächlicheFunktional- und Verwaltungsreform erscheint kaummöglich. Es würde zumindest die Leistungskraft derkommunalen Ebene und das Angebot, was dieKommunen an Bürgerinnen und Bürger unterbrei-ten können, erheblich tangieren und es wäre spür-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8361

(Abg. von der Krone)

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bar für die Menschen vor Ort, wenn weiterer Perso-nalabbau erfolgt.

Herr Kellner hat mir immer vorgeworfen, ich nutzejedes Thema, um dann zum Schluss über Verwal-tungs-, Funktional- und Gebietsreform zu diskutie-ren. Dieses Mal war es Herr Barth, der das Themaaufgemacht hat.

(Beifall DIE LINKE)

Aber dazu muss man natürlich auch anmerken,dass der bloße Vergleich von Personalausgabenpro Einwohner wenig hilfreich ist. Da ist die Strukturder Kommunen viel zu differenziert und der Aufga-benkatalog. Was aber klar ist, das will ich immerwieder betonen, da werde ich nicht müde, weil esimmer wieder auch uns unterstellt wird, wir führendiese Diskussion zur Funktional-, Verwaltungs- undGebietsreform nicht vorrangig unter der Maßgabe,Kosten zu sparen nach der Devise „koste es wases wolle“, sondern uns geht es um Leistungsfähig-keit der Kommunen und damit über Leistungsfähig-keit höhere Einnahmen zu kreieren und damit dieKostenstruktur anders darzustellen. Das sind danndie entsprechenden Effekte. Da müssen wir zurKenntnis nehmen, dass die Kleinstverwaltungenüberhaupt nicht in der Lage sind, das erforderlichePersonal vorzuhalten. Ich bekomme heute für Ent-geltgruppen 6 bis 9 anderes Personal als ab denEntgeltgruppen 11, das ist halt so. Ich habe aber imRegelfall auf gemeindlicher Ebene, wenn die Ge-meinde weniger als 10.000 Einwohner hat, nur An-gestellte und Beamte im mittleren Dienst. Der Fra-ge müssen wir uns zuwenden. Wenn wir gutes Per-sonal wollen in Konkurrenz mit der freien Wirt-schaft, müssen wir dieses Personal gut bezahlenkönnen, und das ist in Kleinstverwaltungen nichtmöglich. Es ist auch nicht attraktiv für junge Men-schen, in einer Kleinstverwaltung Ordnungsamt,Bauamt und alles Mögliche zusammen zu machen,sondern sie wollen tatsächlich auch ein Aufgaben-gebiet, wo sie sich persönlich fortentwickeln kön-nen. Das wird so nicht funktionieren. Ausdrücklichstimme ich dem Finanzminister zu bei der Formulie-rung seiner Zielstellung der Stabilisierung der kom-munalen Finanzen. Das ist ganz wichtig, da habenSie uns auch auf Ihrer Seite. Sie haben es erst malals Schlagwort genannt, wir sind sehr gespannt aufIhre Vorstellungen zur Neuausrichtung des Finanz-ausgleichs und werden diese Vorstellungen dannan dem von Ihnen selbst formulierten Maßstabmessen. Aber dieser Auseinandersetzung stellenSie sich ja gern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, HerrBarth hat hier noch mal darauf verwiesen, dassGeld endlich ist und es muss erwirtschaftet werden.Genau, das muss erwirtschaftet werden. Ich ver-weise in diesem Zusammenhang noch einmal dar-auf, allein das Fiskalvermögen in diesem Landeliegt bei 4,7 Billionen €. Das ist also erwirtschaftet,

es ist eben nur ungleich verteilt. Die übergroßeMasse konzentriert sich also auf 12 Mio. Bundes-bürger, die dieses Fiskalvermögen besitzen. Daserscheint eine große Zahl, gemessen aber an den80 Mio. relativiert sich das dann schon wieder. Die-se Frage müssen wir einfach diskutieren, trotz Wirt-schafts- und Finanzkrise ist dieses Fiskalvermögengewachsen. Ich betone auch noch mal, aus Vermö-gen und wirtschaftlicher Betätigung kommen ge-genwärtig zu geringe Beiträge zur Finanzierung desGemeinwesens insgesamt. Das macht auch unserLandeshaushalt deutlich. Schauen Sie sich den an,fast 4 Mrd. € aus der Umsatzsteuer und ganze130 Mio. € aus der Körperschaftssteuer. Das sindVerwerfungen, wo Menschen zu Recht erst mal hin-terfragen, wieso. Dem müssen wir uns stellen. Wirwissen, das können wir nicht allein machen, dasSteuerrecht ist Bundesrecht, das ist uns allen be-wusst. Aber wenn das schon benannt wird, dann ja.

Noch eine Anmerkung auch zu Herrn Barth, er hatgesagt, die Verschuldung der Kommune ist gesun-ken um 120 Mio. - wir wissen, die Kommunen ma-chen das nicht freiwillig, das haben wir ihnen alsGesetzgeber vorgeschrieben, diese Schulden, dasist gut. Aber wir müssen auch feststellen, dass imgleichen Jahr, in dem die Verschuldung um120 Mio. gesunken ist, der Investitionsstau in derkommunalen Infrastruktur um 700 Mio. € gestiegenist. Das liegt daran, dass nach den Zahlen des difu-Instituts etwa 1,5 Mrd. im Jahr in Thüringen, in denThüringer Kommunen, investiert werden müssten,um die kommunale Infrastruktur zu erhalten, undtatsächlich im vergangenen Jahr rund 600 Mio. €Bauinvestitionen durch die Kommunen getätigt wur-den und etwa 80 Mio. € in Sachinvestitionen, alsonicht einmal die Hälfte dessen, was erforderlich wä-re. Da müssen wir natürlich sagen, das ist ein Pro-blem, das kann man mal einige Jahre durchhalten,aber dann ist der Verfall der kommunalen Infra-struktur so fortgeschritten, dass ich das dann nurmit einem erheblichen Mehraufwand korrigierenkann.

Ich erinnere an die letzten Presseinformationen,was kommunale Straßen betrifft, was die Zuständein Schulen angeht, also das ist eine Entwicklung,die wir hier als Landesgesetzgeber, auch weil wir jaeine Patronatsverpflichtung gegenüber den Kom-munen haben, zumindest nicht vollständig ausblen-den können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, HerrAdams hat für seine Fraktion vorgeschlagen, dasweiter im Ausschuss zu beraten. Dieser Aus-schussüberweisung würden wir uns natürlich nichtverweigern und anschließen. Vielleicht ist dann jaauch das Finanzministerium, der Finanzminister soweit, dass die ersten Eckdaten vorliegen. Wir wis-sen, mit den kommunalen Spitzenverbänden gibtes da schon einen Dialog zu Eckdaten des neuenKommunalen Finanzausgleichs. Vielleicht können

8362 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Kuschel)

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wir das dann auch in der Ausschussberatung mit-einander verzahnen und signalisieren damit auchder kommunalen Ebene, wir nehmen uns zumin-dest dieser Problemlage an und werden Lösungs-vorschläge unterbreiten. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Ku-schel. Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldun-gen aus den Reihen der Abgeordneten vor, aberder Herr Minister Dr. Voß hat noch einmal um dasWort gebeten.

Dr. Voß, Finanzminister:

Frau Präsidentin, einen kleinen Nachtrag zu mei-nem Bericht vorhin. Es gingen ja verschiedene Zah-len hier hin und her, was der Tarifabschluss eigent-lich für den kommunalen Bereich bedeuten würde.Also ich möchte mal präzisieren. Das Wort von100 Mio. € zusätzlichen Personalausgaben ist ge-fallen, und zwar beziehen Sie das auf dasJahr 2012. Das stimmt auf jeden Fall nicht. Wennwir die Personalausgaben aus der Kassenstatis-tik 2011 nehmen und wenden darauf das Tarifer-gebnis für dieses Jahr an, also das heißt 3,5 Pro-zent, kommen wir auf 38 Mio. € ungefähr, das wirddieser Tarifabschluss nach den Kassenergebnissendie Kommunen dieses Jahr kosten. Ich sagteschon, die Steuermehreinnahmen, die die Kommu-nen dieses Jahr haben, betragen 72 Mio. €. Daswollte ich nur zur Klarstellung der Zahlen sagen.Schönen Dank.

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Finanzminister. Es lie-gen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Kannich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen zuNummer I des Antrags erfüllt ist oder erhebt sichWiderspruch? Das ist nicht der Fall.

Es wurde Fortsetzung der Beratung zum Sofortbe-richt beantragt, und zwar im Haushalts- und Finanz-ausschuss. Hierfür muss aber die Zustimmung allerFraktionen vorliegen, weil alle die Beratung zumSofortbericht verlangt haben. Ist das der Fall, dassalle dem zustimmen? Das ist nicht der Fall. Dannkönnen wir darüber nicht abstimmen und kommendirekt zur Abstimmung zu Nummer II des Antrags.Hier wurde Überweisung an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss und an den Innenausschuss bean-tragt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über dieÜberweisung an den Haushalts- und Finanzaus-schuss. Wer dieser zustimmen möchte, den bitteich jetzt um das Handzeichen. Das sind die Stim-men der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,DIE LINKE und FDP. Gibt es Gegenstimmen? Das

sind die Stimmen der Fraktionen CDU und SPD.Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Dannist diese Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir stimmen ab über den Antrag auf Überweisungan den Innenausschuss. Wer dieser folgen möchte,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das sinddie Stimmen der Fraktionen DIE LINKE und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen?Das sind die Stimmen der Fraktionen CDU undSPD. Gibt es Enthaltungen? Die FDP-Fraktion ent-hält sich. Damit ist auch diese Ausschussüberwei-sung abgelehnt.

So kommen wir direkt zur Abstimmung über dieNummer II des Antrags der Fraktion DIE LINKE inder Drucksache 5/4459. Wer dieser zustimmenmöchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen.Das sind die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. Gibtes Gegenstimmen? Das sind die Stimmen derFraktionen FDP, SPD und CDU. Gibt es Enthaltun-gen? Das sind die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN. Damit ist dieser Antrag abge-lehnt und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 19

Schließung von „Steuer-schlupflöchern“ im Grunder-werbsteuerrechtAntrag der Fraktion DIE LINKE- Drucksache 5/4460 -

Es wurde bereits signalisiert, dass der AbgeordneteMike Huster das Wort zur Begründung wünscht.

Abgeordneter Huster, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, die Erhebung der Grunderwerbsteuer ist imGrunderwerbsteuergesetz geregelt. Das ist einBundesgesetz. Wir können hier im Land die Hebe-sätze regeln. Das haben wir im letzten Jahr getan.Dass diese Steuer nicht so unbedeutend ist, wie sievermutlich dem einen oder anderen erscheinenkönnte, zeigt, dass wir jetzt mit der Mai-Steuer-schätzung bei den Einnahmeprognosen bei100 Mio. € liegen.

(Beifall DIE LINKE)

Das wollte ich nur mal erwähnen, weil wir in denletzten Jahren dort im Bereich von 50 Mio. € lagenund weil insbesondere Herr Barth mit zu denjenigengehörte, die den Teufel an die Wand gemalt haben,als wir hier die Hebesätze angehoben haben. Eswurde vermutet, dass der Grundstücksverkehr inThüringen zum Erliegen kommt. Das ist offenbarnicht eingetreten. Ich sage, 100 Mio. € Einnahmensind für den Landeshaushalt eine stattliche Größe.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, esgibt in diesem Recht besondere Befreiungsvor-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8363

(Abg. Kuschel)

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schriften - insbesondere bei Unternehmensverkäu-fen und Unternehmensumstrukturierungen - undbeispielsweise eine zum 01.01.2010 in § 6 a desGrunderwerbssteuergesetzes neu eingeführte Re-gelung im Rahmen oder als Bestandteil desWachstumsbeschleunigungsgesetzes, die jetztmehr als zwei Jahre später durchaus auf ihre Wir-kung hin zu überprüfen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unserZiel ist, mit dem Antrag eine Bundesratsinitiative zubeauftragen. Die soll dem Ziel dienen, die Erhe-bung der Grunderwerbsteuer zu vereinheitlichenund besondere Befreiungsvorschriften dabei zu be-grenzen. Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Huster. Da Wortmel-dungen aus allen Fraktionen vorliegen, eröffne ichjetzt die Aussprache. Zuerst zu Wort gemeldet hatsich die Abgeordnete Annette Lehmann für dieCDU-Fraktion.

Abgeordnete Lehmann, CDU:

Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen,die Fraktion der LINKEN beschäftigt uns heute malwieder mit einem Antrag zum Bundessteuerrecht.Es geht um angebliche Steuerschlupflöcher im Ge-werbesteuerrecht, die man ausgemacht haben willund deren vermeintliche Schließung bestimmt zuerheblichen weiteren Mehreinnahmen im Landes-haushalt führen würde - Letzteres sage ich etwassarkastisch -, die wir auch gern nehmen würden,denn wir haben uns den Antrag und das Gesetz na-türlich daraufhin auch angeschaut, aber wir meinen,die LINKEN täuschen sich.

Nein, keine Zwischenfrage, ich möchte meinen Re-debeitrag halten. Herr Kuschel wird sich …

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Ich hätte Sie gern gefragt, ob Sie die Zwischenfra-ge zulassen. Das wollen Sie nicht, das haben wirverstanden.

Abgeordnete Lehmann, CDU:

Ich habe das schon erkannt.

Bei ihrem Antrag hier konnten wir ein solches Steu-erschlupfloch nicht ausfindig machen.

Natürlich gibt es im Grunderwerbsteuerrecht Aus-nahmetatbestände, also Befreiungsvorschriften wiein vielen anderen Steuergesetzen auch. Natürlichhätten wir gern weitere Mehreinnahmen in dieserPosition im Landeshaushalt, nachdem wir im letz-ten Jahr den Hebesatz bei der Grunderwerbsteuerauch erhöht haben, aber wir sehen hier nicht dieses

vermeintliche Schlupfloch, aus dem man da nochgrößere Geldsummen erzielen könnte.

In der Tat wurde der § 6 a ab 1. Januar 2010 durchdas Wachstumsbeschleunigungsgesetz neu einge-führt und betrifft vor allen Dingen Änderungen beiKonzernen bzw. großen Unternehmen. Ob und wieoft diese Regelungen überhaupt in Thüringen auf-grund unserer eher kleinen und mittelständischenWirtschaft zur Anwendung kommt, mag dahinge-stellt sein und ist auch fraglich, aber letztlich uner-heblich, da natürlich die Steuergesetze überall glei-chermaßen anzuwenden sind. Wenn es da eineÄnderung gäbe, würde das natürlich bundesweit füralle gelten. Ich werde jetzt aber auch nicht weiterdiesen einzelnen Paragraphen erläutern. Ich denke,das wird Herr Kollege Kuschel dann in der Diskus-sion gern noch tun oder Herr Huster, denn Sie ha-ben sich bei der Erstellung des Antrags sicherlichintensiv damit beschäftigt, aber ich werde hier we-der unsere Kollegen mit dem doch schwierigendeutschen Steuerrecht langweilen noch unserekostbare Plenarzeit damit vertreiben.

Wir als CDU-Fraktion sehen nach Prüfung IhresAntrags und des Gesetzes keinen Beschlussbedarfzu dieser Regelung. Wir gehen davon aus, dassunsere Landesregierung alles dafür tut, um unsereSteuereinnahmen im Landeshaushalt zu realisierenund zu sichern, sofern der Einfluss im Bundesratbei der Gesetzgebung dafür gefragt ist, und dazugibt es einen Koalitionsvertrag und darin auch eineganz klare Regelung dafür. Wir sehen kein „Steuer-schlupfloch“ und wir lehnen daher Ihren Antragnachher ab. Vielen Dank.

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Frau Abgeordnete Leh-mann. Das Wort hat jetzt Abgeordneter CarstenMeyer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Abgeordneter Meyer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnenund Kollegen, Frau Lehmann hat recht, Sie und unsmit den Tiefen des Steuerrechts zu langweilen, wä-re jetzt wirklich in Anbetracht der Zeit nicht der rich-tige Ort. Das werde ich auch nicht machen. Abge-sehen davon verstehe ich auch nicht alles, was zudem Thema zu sagen wäre. Das muss ich mal ehr-licherweise zugeben. Aber ich kann mich noch guterinnern, als dieses Thema Ende 2009 aufkam,wenn ich mich richtig erinnere, war dies eines derBestandteile einer möglichst schnellen Erfolgsmel-dung der neuen Bundesregierung im Zusammen-hang unter anderem mit Mehrwertsteuer und Ho-tels. In diesem Zusammenhang gab es auch dasThema, wir müssen ganz dringend dafür sorgen,dass unsere Unternehmen, die hier so unglaublichdaran interessiert sind, viele Fusionen, Aufspaltun-

8364 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Huster)

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gen, Abspaltungen oder Wiederverschmelzungenvorzunehmen, nicht noch damit zu belasten, dasssie bei der Gelegenheit wieder Grunderwerbsteuerzu zahlen haben.

Das einzige Problem an der Frage ist: Hat das wirk-lich „geholfen“ im Sinne der FDP, denn die hat dasmeiner Ansicht nach maßgeblich betrieben, nichtdie CDU auf Bundesebene, oder hat das eigentlichgar keine Wirkung gehabt?

An dieser Stelle zucke ich mit den Schultern, denndaran müsste sich jetzt eigentlich erklären, ob die-ser Antrag der LINKEN eine gewisse Relevanz inThüringen hat oder nicht. Ich mutmaße mal eherleider nein, aus Mangel an Konzernen, die diesesvornehmen. Ich wüsste jetzt nicht, dass Jenoptikoder Opel oder wer auch immer in den letzten zwei-einhalb Jahren dabei gewesen ist, Grundstücke, dienicht erst in den letzten fünf Jahren gekauft wurdenund auch danach nicht fünf Jahre verkauft werdensollten, sozusagen in einer Tochtergesellschaft ein-gelagert hatten und sie dann zurück eingeschmol-zen haben oder ausgeteilt haben, wie auch immer.Lange Rede kurzer Sinn, ist das eigentlich häufig inThüringen passiert? Das wäre zu prüfen, denn in-haltlich haben die LINKEN recht. Frau Lehmann,Sie meinen das natürlich nicht, weil Sie das für eineArt von Wirtschaftsförderung halten. Ich halte dasfür eine entgangene Einnahme der Kommunen unddes Landes natürlich auch. Das ist das eigentlicheProblem daran. Man muss sich immer die Fragestellen: Ist diese Art von vorausschauender Immo-bilienwirtschaft innerhalb eines Konzerns, und vonso etwas reden wir bei Tochtergesellschaft, Mutter-konzern oder wie auch immer, eigentlich richtigoder falsch? Kommt es wirklich darauf an, ein Be-triebsgrundstück gesellschaftsrechtlich von A nachB zu transferieren oder nicht? Und wie häufig pas-siert das? Lange Rede, kurzer Sinn, wir wären sehrstark daran interessiert, dieses Thema mit Faktenzu unterfüttern und das im Ausschuss zu tun. Heutespontan Ja oder Nein zu sagen, dazu fehlt unsschlicht die Datengrundlage. Wir wären also für dieÜberweisung dieses Antrags an den Haushalts-und Finanzausschuss. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Meyer.Das Wort hat jetzt Abgeordneter Dr. Pidde für dieSPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, esgeht um Möglichkeiten der Steuervermeidung beiUnternehmensverkäufen und Unternehmensum-strukturierung. Das sind Gelder, die verloren gehen,wenn es so ist. Deshalb schlägt DIE LINKE vor,

dass man die Umgehungstatbestände bei der Erhe-bung der Grunderwerbsteuer überprüft und dazu,wie schon angekündigt, eine Bundesratsinitiativestarten möchte. Die Steuerschlupflöcher, die hiergenannt werden, sind durch das sogenannteWachstumsbeschleunigungsgesetz initiiert worden.Meine Fraktion und die SPD insgesamt hat das Ge-setz damals heftig kritisiert, hatte aber im Bundes-rat nicht die entsprechende Mehrheit, um es zu ver-hindern. Aber es gab heftige Kritik an diesem Ge-setz nicht nur von Parteien auch von Verbändenund der Steuergewerkschaft. Es gab aber gleich-wohl in dem damaligen Gesetzentwurf steuerrecht-liche Regelungen, die von den Anzuhörenden imFinanzausschuss des Bundestages - das war imNovember 2009 - grundsätzlich begrüßt wurden.Genau dazu gehört diese Änderung im Grunder-werbsteuerrecht. Nach dem in Kraft getretenen Ge-setz wurden schließlich bestimmte grunderwerb-steuerpflichtige Grundstücksübergänge im Rahmenvon Umstrukturierungen oder Umwandlungsvorgän-gen von Unternehmen grunderwerbsteuerrechtlichbegünstigt, damit notwendige Umstrukturierungennicht aus diesen Steuergründen unterbleiben sol-len. Die Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, derChef der Steuergewerkschaft, führte in der Anhö-rung, die ich gerade erwähnt habe, zum Sachver-halt Folgendes aus - ich zitiere, Frau Präsidentin,mit Ihrer Zustimmung -, „dass es denkbare Konstel-lationen gibt, in denen heute eine sinnvolle Umglie-derung aufgrund der Grunderwerbsteuer nicht vor-genommen wird. Es ist ein reiner Kostenfaktor. Manunterlässt möglicherweise eine Umgliederung, ob-wohl sie wichtig und sinnvoll wäre, um zu sparen.“Von daher ist der Grundgedanke richtig. Aus diesenbesagten Gründen und mit der von der Steuerge-werkschaft angeführten Begründung sollten dieseRegelungen in dem Gesetz also bestehen bleiben.Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion DIELINKE ab. Das Ganze hat nichts zu tun mit unsererEinschätzung des sogenannten Wachstumsbe-schleunigungsgesetzes. Da sind wir immer nochder Meinung, dass man das so schnell wie möglichrückabwickeln sollte, sobald die Mehrheit im Bun-destag und im Bundesrat das zulässt. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Pidde. Das Worthat jetzt Abgeordneter Barth für die FDP-Fraktion.

Abgeordneter Barth, FDP:

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,wir diskutieren ja in dieser Legislaturperiode nichtdas erste Mal und insbesondere auch nicht das ers-te Mal auf Antrag der LINKEN über die Grunder-werbsteuer. Da es mir im Kern so geht wie demKollegen Meyer, ich habe keine Zahl und auch kein

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8365

(Abg. Meyer)

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Gefühl dafür, wie viele Fälle das insbesondere imBereich der Unternehmensbesteuerung sind, willich an dieser Stelle ein paar grundsätzliche Ausfüh-rungen zu den Fragen der Grunderwerbsteuer ma-chen.

Meine Damen und Herren, im März 2011 hat derThüringer Landtag mit den Stimmen von CDU,SPD, GRÜNEN und LINKEN einen Gesetzentwurfder Linkspartei verabschiedet, mit dem die Grund-erwerbsteuer von zuvor 3,5 Prozentpunkten auf5 Prozentpunkte angehoben wurde. Das ist relativgesehen eine Erhöhung um 42 Prozent. Als eineBegründung dieser Steuererhöhung wurde vorge-bracht, dass dies die einzige Steuerart sei, die dasLand erhöhen kann. Dieser Aspekt findet sich in derBegründung des vorliegenden Antrags ja auch wie-der. Die Begründung finde ich seltsam, muss ich of-fen sagen, mindestens seltsam, weil die formaleZuständigkeit ja noch lange nichts darüber aussagt,ob eine Steuererhöhung sinnvoll, angemessen oderin sonstiger Weise wünschenswert ist. Bei der Er-höhung gerade der Grunderwerbsteuer verneineich das alles, dass das weder sinnvoll noch hilf-reich, noch angemessen ist, denn die Grunder-werbsteuer trifft vor allem junge Familien, meinesehr verehrten Damen und Herren. Sie trifft vor al-lem junge Familien, die mit einem häufig knapp be-messenen, zumindest knapp berechneten Budgetversuchen, ihrer Familie, sich und ihren Kindern eineigenes Zuhause zu schaffen. Diesen Familien hatdie ganz Große Koalition in diesem Haus diesesVorhaben nicht leichter gemacht, meine sehr ver-ehrten Damen und Herren. Sie werfen den jungenFamilien in Thüringen Knüppel zwischen die Beine,wenn die sich in Thüringen ein Haus oder eineWohnung bauen oder kaufen wollen. Deshalb hatmeine Fraktion als einzige Fraktion in diesem Ho-hen Haus gegen die Steuererhöhung gestimmt.

(Zwischenruf Abg. Huster, DIE LINKE: Dasist aber falsch.)

Frau Lehmann hat auch die Motivation der CDUverraten; die Mehreinnahmen, das haben Sie ebengesagt, die wir auch gern nehmen würden. Das,Frau Lehmann, ist Ihre Motivation gewesen. Siewollen das Geld haben, ohne zu überlegen, was esbei denen verursacht, die das Geld bezahlen müs-sen, denn es sind immer zwei, die zu einem sol-chen Geldfluss beitragen.

(Beifall FDP)

Bei den Diskussionen kam neben dieser fragwürdi-gen Motivation, neben dieser fragwürdigen Begrün-dung noch mindestens eine andere auch sehr inter-essante und aufschlussreiche Erkenntnis zutage,nämlich dass die Linksfraktion eigentlich eine Erhö-hung der Grunderwerbsteuer auf den Satz der re-gulären Mehrwertsteuer sich vorstellen kann, dasheißt auf 19 Prozent - 19 Prozent Grunderwerb-steuer, meine sehr verehrten Damen und Herren,

was dann mit dem ländlichen Raum, was dann mitdem Leben in unseren Dörfern passiert, da brauchtman tatsächlich kein Prophet zu sein, dass das si-cherlich der Exitus für viele Thüringer Dörfer wäre.

Frau Lehmann, mit der Motivation, die Sie ebenhier vorgetragen haben, nämlich wir würden dasGeld auch gern nehmen, werden Sie irgendwannSchwierigkeiten bekommen, wenn der Antragkommt, die Grunderwerbsteuer der Mehrwertsteueranzupassen und auf 19 Prozent zu erhöhen. Dennwenn man das erst einmal nur auf dem Papierdurchrechnet, das ist damals auch geschehen, dawurden, ich meine, 22 Mio. an Mehreinnahmen pro-gnostiziert, jetzt können wir das zusammen hoch-rechnen, ich will das aus dem Stand nicht machen,ich habe mich im Plenum schon einmal verrechnet,aber dass das eine erheblich theoretische Summezumindest ist, die da zusammenkommt, das liegtauf der Hand. Was davon realisierbar ist, ist eineandere Frage. Und was es, wie gesagt, am Endetatsächlich auswirkt, das ist das Dritte.

Ich sage für meine Fraktion, wir wollen das aus-drücklich nicht, meine sehr verehrten Damen undHerren. Wir wollen unsere Dörfer erhalten und wirsind auch, nicht nur, aber auch aus diesem Grundgegen die Erhöhung der Grunderwerbsteuer gewe-sen. Wir werden auch in Zukunft dagegen sein.

(Beifall FDP)

Vor diesem Hintergrund muss man sich auch denjetzigen Antrag ansehen, sehr geehrter Herr Kolle-ge Huster, denn erst die Grunderwerbsteuer erhö-hen und dann zu versuchen, den Durchgriff zu er-höhen, damit die Steuererhöhung voll durchschlägt,das ist die logische Schrittfolge, die dieser Antragdann auch als zweiten, als Nachfolgeantrag zumErhöhungsantrag in gewisser Weise konsequent,dadurch aber noch lange nicht richtig macht.

(Beifall FDP)

Aber es ist Ihre Politik. Man muss eigentlich auchdafür dankbar sein, bei allen Schwierigkeiten, dieich ganz offen zugeben will, die wir gelegentlich mitder Politik der Landesregierung, insbesondere desCDU-Teils haben, zeigen uns solche Diskussionenimmer wieder, wenn es denn noch nötig sei, aberdann zeigen die das immer wieder, dass es richtigwar, damals im dritten Wahlgang Frau Lieberknechtdazu zu verhelfen, dass sie Ministerpräsidentin desFreistaats Thüringen werden konnte, meine sehrverehrten Damen und Herren.

Der vorliegende Steuererhöhungsantrag kommt da-her im Gewand der Steuervereinfachung. Wir ha-ben schon oft über Steuervereinfachungen gespro-chen und es hat - ich will nicht absolut sagen, aberzumindest - wenn überhaupt, dann sehr selten Zu-stimmung vonseiten der LINKEN zu Steuervereinfa-chungsvorhaben gegeben. Ausgerechnet an dieserStelle sich das Mäntelchen umzuhängen und zu sa-

8366 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Barth)

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gen, hier wollen wir jetzt eine Steuervereinfachunghaben und die Abschaffung von Ausnahmen kannman auch immer interpretieren als Vereinfachung,das, meine sehr verehrten Damen und Herren, istein bisschen ein zu durchsichtiges Mäntelchen,welches Sie diesem Vorhaben umhängen, deswe-gen werden wir Ihren Antrag natürlich ablehnen.Mehr ist dazu nicht zu sagen. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Barth. Das Worthat jetzt Abgeordneter Frank Kuschel für die Frak-tion DIE LINKE.

Abgeordneter Kuschel, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren, einige Vorredner und Vorrednerinnen wieFrau Lehmann haben gesagt, sie haben gar keineLust, jetzt über Steuerrechtsfragen zu diskutieren

(Zwischenruf Abg. Lehmann, CDU: Das habeich nicht gesagt.)

und haben die Erwartungshaltung geäußert, dassich das jetzt mache und Ihnen das erläutere.

(Unruhe CDU)

Von daher werde ich Ihnen den Gefallen nicht tun,weil Sie sich und auch die Redner der anderenFraktionen eigentlich eindeutig positioniert haben.Wir haben ein Stimmungs- und Meinungsbild. HerrMeyer hat einen vernünftigen Vorschlag gemacht,mit Details sollten wir uns im Ausschuss beschäfti-gen. Frau Lehmann, wenn Sie diesem Antrag derAusschussüberweisung an den Haushalts- und Fi-nanzausschuss zustimmen, will ich Ihnen dort auchgern die Details weiter in Ergänzung zum Finanzmi-nister natürlich darlegen, weil er ein ganzes Haushat, das sich mit derartigen Detailfragen beschäfti-gen darf.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: MitLust hat das nichts zu tun.)

Zu Recht hat Herr Meyer darauf verwiesen, unsereDatenbasis bewegt sich eher in einer Grauzone, al-so wir haben keine konkreten Zahlen. Wir erhoffendie dann durch die Landesregierung, insbesonderedurch das Finanzministerium. Aber neben dieserFrage, um wie viel es denn tatsächlich geht und wieviel Fallzahlen denn da sind und was das für einenErtrag für den Landeshaushalt bringen würde, gehtes uns auch um die Frage der Steuergerechtigkeit.Da bin ich wieder Herrn Barth dankbar für seineEhrlichkeit. Sonst muss immer der Bäckermeisterherhalten, dafür, dass Großkonzerne steuerlich ent-lastet werden. Heute waren es die jungen Familien,die dafür herhalten müssen,

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Ja, weil dudie Steuern erhöhen willst.)

dass wir uns zu einem Thema äußern, das ebenGroßkonzerne betrifft. Es geht heute um Steuertat-bestände nicht von jungen Familien, sondern vonKonzernen oder konzernähnlichen Strukturen.

Herr Barth, wenn Ihre Aussage stimmen würde,dann müsste es andere Begründungen geben fürdie Entwicklung der Einnahmen bei der Grunder-werbsteuer. Wenn es tatsächlich so ist, wie Sie sa-gen, dass durch die Erhöhung der Grunderwerb-steuer insbesondere junge Familien an der Schaf-fung von Wohneigentum gehindert werden oder er-schwert, nicht gehindert, erschwert, dann müsstesich das in den Zahlen irgendwie auch widerspie-geln. Das macht es nicht. Wir haben gegenwärtig,davon kann ich auch als Kommunalpolitiker einLied singen, eine sehr hohe Nachfrage wieder anBauland, was das individuelle Wohnen betrifft. Dashat aber etwas damit zu tun, dass es jetzt nach derFinanz- und Wirtschaftskrise einen Teil der Bevöl-kerung gibt, der jetzt die Zeit reif sieht, Wohneigen-tum zu schaffen. Wir machen das auch in Arnstadtmithilfe der LEG. Das Landesverwaltungsamt hatseine Widerstände gegen die Ausweisung vonWohngebieten relativiert, also von daher wird zu-mindest die Aussage in der Grundsätzlichkeit, wiesie Herr Barth hier getroffen hat, durch die kommu-nale Praxis widerlegt.

Herr Barth, und noch mal, wir als LINKE haben hierim Landtag beantragt, die Grunderwerbsteuer auf5 Prozent zu erhöhen. Solange das noch unterhalbanderer Umsatzsteuersätze liegt, ist das so in Ord-nung. Wir haben uns aber dabei auch von zwei Din-gen leiten lassen. Wir sind Nehmerland im Rahmendes Länderfinanzausgleichs und wir bekommennach wie vor bis 2019 auch über den Solidarpakterhebliche Mittel. Andere Bundesländer haben vorThüringen die Grunderwerbsteuer auf 5 Prozent an-gehoben und da ist es nur sachgerecht, dass wirdas machen, auch als Signal an die Geberländer,das sind die ganz geringen Möglichkeiten der Ein-nahmeausschöpfung, die wir haben. Es ist die ein-zige gestaltbare Landessteuer, die wir haben, wasdie Höhe betrifft, dass wir das zumindest mit nut-zen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gehtalso um zwei Fallgruppen. Dabei ist die eine dieKonzernstruktur. Wenn Grundstücke innerhalb ei-nes Konzerns anderen Rechtspersonen zugeordnetwerden, dann ist das grunderwerbsteuerfrei. Dieandere Gruppe sind tatsächlich Unternehmensver-käufe, wenn Unternehmensanteile, insbesondereAktien veräußert werden. Insbesondere bei derzweiten Gruppe sehe auch ich persönlich ein Pro-blem der Steuergerechtigkeit. Bei der ersten Fall-gruppe, also innerhalb einer Konzernstruktur, dakann man diskutieren. Deswegen haben wir auch

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8367

(Abg. Barth)

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bewusst formuliert: Prüfung. Prüfung dieser Aus-nahme oder begünstigende Tatbestände, weil wirsagen, das muss man sich noch mal im Einzelnenansehen. Übrigens hat die FDP in der Debatte zurErhöhung des Hebesatzes bei der Grunderwerb-steuer gerade auf dieses Problem hingewiesen,dass, wenn ich nur Unternehmensanteile veräuße-re, also Aktien oder Gesellschaftsanteile, dassdann im Grunde genommen keine Grunderwerb-steuer anfällt, selbst wenn es dadurch zu einer er-heblichen Veränderung im Immobilienbesitz kommt.Das ist ein Gerechtigkeitsproblem, dem müssen wiruns zuwenden und bei dieser Fallgruppe der Unter-nehmensveräußerung kommt es gar nicht auf dieGröße des Unternehmens an. Das gilt auch für klei-ne Aktiengesellschaften oder für Gesellschaften mitbeschränkter Haftung. Daher ist es sicherlich auchein haushalterisch wichtiges Problem. Da sind wirauf das Finanzministerium angewiesen, um mal zurecherchieren, welche Größenordnung das hat.Aber es ist ein Problem der Steuergerechtigkeit.

Wir beantragen die Überweisung unseres Antragszur Weiterberatung an den Haushalts- und Finanz-ausschuss. Danke.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Ku-schel. Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldun-gen aus den Reihen der Abgeordneten vor. Es hatsich jetzt zu Wort gemeldet der Herr FinanzministerDr. Voß.

Dr. Voß, Finanzminister:

Wir haben offenbar einen finanzpolitischen Nach-mittag und das passt ganz gut.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, die Fraktion DIE LINKE fordert die Landes-regierung auf, eine Bundesratsinitiative zu starten,um Umgehungstatbestände bei der Grunderwerb-steuer aufzuheben und zu beseitigen. SogenannteUmgehungstatbestände bei Unternehmensverkäu-fen und Umstrukturierungen stehen hier im Vorder-grund. Es wird von Steuerschlupflöchern geredet.Dazu möchte ich doch bemerken, dass Umge-hungstatbestände ja Dinge sind, die - gesetzlichnormierte und damit legitime Steuerbefreiungen,um die geht es ja hier, kann man wohl nicht als Um-gehungstatbestände bezeichnen und gesetzlich er-öffnete Möglichkeiten, Herr Huster, muss man auchsehen, kann man auch nicht als Steuerschlupflö-cher bezeichnen. Man kann natürlich die Fragestellen, ob die gesetzlichen Regeln mir passen undob sie richtig sind. Man kann auch nicht von Aus-nutzung dieser Möglichkeiten sprechen, sondernwenn Steuerbefreiungen eben kodifiziert sind, dann

sind es ganz normale Regeln und Möglichkeiten,die mir gegeben sind.

Was steht dahinter? Wir sollten uns vielleicht erin-nern, dass im Zusammenhang der Finanz- undWirtschaftskrise dieser § 6 a in das Grunderwerb-steuergesetz eingefügt wurde und das Inkrafttretender Regeln am 1. Januar 2010 war.

Warum war das so? Weil man angesichts der Krisenatürlich klar vor Augen hatte, dass Umstrukturie-rungen und Veränderungen und Anpassungen imwirtschaftlichen Bereich mit dazu beitragen können,die Krise zu bewältigen. Das stand damals im Vor-dergrund, dieses wollte man nicht noch mit zusätzli-chen Kosten belasten. Insofern hat man in demWachstumsbeschleunigungsgesetz genau dieseseingefügt. Man wollte Unternehmen Umstrukturie-rungen durchaus erleichtern, damit Unternehmensich wieder etwas krisenfester machen können. Al-lerdings muss man auch sehen, dass diese Ver-günstigungen durchaus an enge Voraussetzungengeknüpft sind. Davon war bislang noch nicht dieRede. Aber es ist nur für Unternehmen vorgesehen,die sozusagen eine herrschende oder beherrschen-de Unternehmensbeteiligung darstellen. Es geht al-so nicht darum, dass Unternehmen, die nur lockermit anderen verbunden sind, hier Steuern sparenkönnen, nein, es muss schon einen sehr strammenUnternehmensverbund geben, damit das innerhalbdieses Verbundes gelten kann. Das heißt, das be-herrschende Unternehmen muss mindestens zu95 Prozent unmittelbar oder mittelbar am Kapitalder abhängigen Gesellschaft beteiligt sein. Dasheißt, es geht hier wirklich um ein Mutter-Tochter-Verhältnis und nicht um einen Immobilienverkehrzwischen Unternehmen, die eigentlich nichts mit-einander zu tun haben. Wichtig ist auch, dass die-ses Abhängigkeitsverhältnis, dieses Konzernver-hältnis fünf Jahre vor und fünf Jahre nach der Steu-ervergünstigung bestanden haben muss bzw. nochbestehen bleiben muss. Auch hier hat man Schran-ken aufgebaut, dass es eben nicht zu einemMissbrauch und zur Ausnutzung dieser Steuerbe-freiung kommen kann. Insofern hat diese Vergünsti-gung auch nichts mit Immobilienbranche, Finanzin-vestoren und irgend solchen Dingen zu tun, son-dern es geht darum, ob Betriebe, Unternehmen, diekonzernmäßig sehr stramm verbunden sind, sichumstrukturieren können, ohne dass besondersgroße Steuerlasten entstehen. Im Fokus standenhier die Arbeitsplätze, das Wollen, möglichstschnell aus der Krise wieder herauszukommen. In-sofern ging es auch um den Standort hier inDeutschland. Für Thüringen hatte und hat dieseBestimmung eine sehr geringe Bedeutung. Esklang schon an, dass dieses mit der Wirtschafts-struktur zu tun hat, mit der mittelständisch kleinteiliggeprägten Wirtschaftsstruktur, in der diese Kon-zernstrukturen etwas weniger vorhanden sind. Inso-fern denke ich, dass der Antrag, wenn ich das mal

8368 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Kuschel)

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sagen darf, auch von der Suggestion und vomSprachgebrauch vielleicht dann doch nicht ganz indas Zentrum der Regeln trifft, wenn ich es mal soausdrücken darf. Schönen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

Vielen herzlichen Dank, Herr Minister. Es liegenkeine weiteren Wortmeldungen vor. Es wurde Aus-schussüberweisung beantragt, und zwar an denHaushalts- und Finanzausschuss. Wer dieser fol-gen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzei-chen. Das sind die Stimmen der Fraktionen DIELINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt esGegenstimmen? Das sind die Stimmen der Fraktio-nen FDP, CDU und SPD. Gibt es Enthaltungen?Das ist nicht der Fall. Damit wurde diese Aus-schussüberweisung abgelehnt.

Wir kommen direkt zur Abstimmung über den An-trag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/4460. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ichjetzt um das Handzeichen. Das sind die Stimmender Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? Das sind dieStimmen der Fraktionen SPD, CDU und FDP. Gibtes Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Damit istdieser Antrag abgelehnt und ich schließe diesenTagesordnungspunkt.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 20

EU-Förderperiode 2014 bis2020 - Einbindung von Parla-ment, Wirtschafts-, Sozial- undUmweltpartnern sowie der Zi-vilgesellschaft in die Vorberei-tung des nächsten Operatio-nellen Programms für Thürin-genAntrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN- Drucksache 5/4466 -

Ich frage, wünscht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN das Wort zur Begründung? Das ist derFall, dann hat Herr Dr. Augsten jetzt das Wort.

Abgeordneter Dr. Augsten, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Thü-ringen ist das, was es ist, auch dank der Zuwen-dungen aus Brüssel, darüber besteht gar keine Fra-ge. Seit 1991 sind insgesamt über 8 Mrd. € geflos-sen, die gleichzeitig noch mal in etwa gleicher Grö-ßenordnung Kofinanzierungsmittel generiert haben.Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass da-mit der Entwicklungsrückstand des Freistaats ge-genüber den anderen westdeutschen Bundeslän-

dern, insbesondere aber auch den anderen EU-Staaten - zumindest teilweise - aufgeholt werdenkonnte.

Das betrifft neben der Wirtschaft natürlich vor allenDingen auch die Infrastruktur. Man braucht nurdurch das Land zu fahren, dann sieht man das, wasalles gebaut wurde. Es betrifft aber auch insbeson-dere beim Europäischen Sozialfonds die Arbeits-marktpolitik. Mit den ESF-Mitteln konnte eine ganzeReihe von Arbeitsmaßnahmen finanziert werden.Aber - um auch in meinem Bereich zu bleiben, dassind immer die Dinge, die etwas hinten runterfallen- der ländliche Raum würde sich heute nicht so prä-sentieren, wie er das ohne die EU-Strukturfondsmachen würde.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke da insbesondere an Dorferneuerungen,die spielen hier immer eine ganz große Rolle. Dassind im Wesentlichen die EU-Strukturfonds, die dorthingeflossen sind. Ich denke an den Wegebau,auch wenn wir den mittlerweile kritisch sehen. Ichmag mir gar nicht auszudenken, wie das Radwege-netz aussehen würde in Thüringen ohne den land-wirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Wegebau.Und - was besonders wichtig ist - wir diskutieren abund zu mal über den Anschlussgrad beim Abwas-ser. Wenn man überlegt, wo wir 1989/90 standenund wo wir jetzt stehen, dann ist das natürlich auchdeshalb so gut und so zufriedenstellend gelaufen,weil wir von Brüssel das Geld bekommen haben.Gerade in diesen Bereichen hat uns das Geld ausBrüssel sehr geholfen.

Meine Damen und Herren, das ist ein bisschen ausdem Blick gefallen, aber alles, was mit Altlasten, mitWismut, mit Rositz zu tun hat, auch das waren letz-ten Endes Mittel aus Brüssel, die uns da geholfenhaben.

Meine Damen und Herren, man muss nicht durchdas Land fahren, um zu sehen, dass die Struktur-fondsperiode hier im Freistaat eine Erfolgsge-schichte ist, auch die Statistik zeigt das. Wer sichein klein wenig auskennt, der weiß, dass wir alsThüringen gemeinsam mit den anderen ostdeut-schen Bundesländern in der höchsten Förderstufewaren als sogenanntes Ziel-1-Gebiet. Das lag dar-an, dass wir hier in Thüringen bei der Grenze von75 Prozent des Bruttoinlandproduktes pro Einwoh-ner unterhalb des Durchschnitts in der EU lagen,das heißt also, man hat die Ziel-1-Gebiete so aus-definiert, dass man sagt, dort, wo pro Einwohnerweniger als 75 Prozent des Durchschnitts erreichtwerden, dort wird die höchste Förderstufe gewährt.Das sind wir in Thüringen gewesen. Wir haben mitt-lerweile in der laufenden Förderperiode die 80 Pro-zent überschritten, das ist also ein deutlicher Be-weis dafür, dass die EU-Strukturfonds auch dazugeführt haben, dass wir uns hier auch gut aufge-stellt haben und hier nachholen konnten.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8369

(Minister Dr. Voß)

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Meine Damen und Herren, wenn alles so gut ist,warum dann dieser Antrag? Sie können dem Titelschon entnehmen bzw. dann vor allen Dingen auchdem Antrag selbst, dass es drei Kernforderungengibt. Zum einen möchten wir gern von der Landes-regierung wissen, wie der Stand der Vorbereitungist, vor allem auch der Fahrplan. Als Zweites fragenuns natürlich die Wirtschafts- und Sozialpartner im-mer wieder an, wie es denn mit der Einbindung der-selben aussieht. Eine ganz neue Forderung ist dieEinbindung des Parlaments. Ich möchte dasdurchaus mal an einem Beispiel aus der letztenOP-Erstellung berichten. Dort gab es einen Faux-pas aus Thüringer Sicht, dass man seitens der Lan-desregierung geglaubt hat, einen der wichtigstenSchwerpunkte im EFRE, den Entwicklungsfonds,wegzulassen, nämlich den Schwerpunkt Umwelt.Man hat sich dort eine heftige Backpfeife abgeholtaus Brüssel. Brüssel hat den damaligen Entwurfnicht gebilligt. Thüringen musste nacharbeiten mitder Konsequenz, dass wir hier eine Verzögerunghatten von einem halben bis zu einem Dreiviertel-jahr, was für einige Unternehmen, die auf eine An-schlussfinanzierung quasi angewiesen waren, zuerheblichen Problemen geführt hat. Ich behaupteeinfach mal, wenn damals das Parlament gefragtworden wäre bzw. das Parlament ausreichend ein-gebunden gewesen wäre, wäre so etwas nicht pas-siert. Das ist, glaube ich, ein Zeichen dafür, dass eswichtig ist, dass das Parlament hier auch gebüh-rend beteiligt ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt noch mehrere solcher Beispiele, ich werdedann im zweiten Teil darauf zurückkommen. Des-halb ist eine unserer wichtigsten Forderungen eineausreichende nicht nur Information, sondern Beteili-gung des Parlaments bei der Erstellung des Opera-tionellen Programms.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie wir das im Weiteren begründen, werde ichdann im zweiten Teil meines Beitrags ausführen.Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Dr. Augsten. Die Landesregie-rung hat angekündigt, von der Möglichkeit einesSofortberichts gemäß der Geschäftsordnung keinenGebrauch zu machen. Das heißt, ich eröffne jetztdie Aussprache und das Wort hat als Erster HerrAbgeordneter Baumann für die SPD-Fraktion.

Abgeordneter Baumann, SPD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren, wir haben mit dem vorliegenden Antrag vonBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur EU-Förderperiode

2014 bis 2020 einen Antrag vorliegen, der in sei-nem Umfang nur sehr schwer hier in diesem Gremi-um zu behandeln ist. Ich glaube, was Herr Augstenjetzt vorgetragen hat, beweist das eigentlich schon.Es betrifft alle Politikbereiche. Demnach ist es wich-tig, dass der Thüringer Landtag sich mit dieser neu-en Förderperiode trotzdem beschäftigt. Diese neueFörderperiode wird in Thüringen ab 2014 zu we-sentlichen Veränderungen in der Förderlandschaftführen, sowohl was die finanzielle Seite als auchwas die inhaltliche Ausrichtung betrifft. Das spiegeltsich dann im Übrigen in allen Politikbereichen wi-der.

Es ist schwierig, jetzt auf alle Ihre über 40 Frage-stellungen einzugehen, die Sie hier quer über allePolitikbereiche ansprechen. Eine fachlich und sach-lich fundierte Diskussion in diesem Umfang ist un-serer Meinung nach in anderen Gremien diesesHauses zu führen. Ihre Fragen sind zweifelsohnealle sehr wichtig und auch berechtigt. Weil uns alsregierungstragenden Fraktionen der Stand der Vor-bereitung der EU-Strukturfonds der Förderperi-ode 2014 bis 2020 als sehr wichtig erscheint, ha-ben wir bereits in der vergangenen Woche Selbst-befassungsanträge im Wirtschaftsausschuss, imUmweltausschuss, im Sozialausschuss und imHaushalts- und Finanzausschuss gestellt, in denenwir gern über all ihre Fragen diskutieren können.

(Beifall Abg. Bergemann, CDU)

Dort, in den Fachgremien, ist der richtige Ort, umüber die inhaltliche Ausrichtung der OperationellenProgramme und die Auswirkungen zu diskutieren,zumal die Abstimmungsprozesse mit Brüssel zur-zeit noch laufen. In den Fachausschüssen kanndann aktuell berichtet und diskutiert werden. Des-halb bedarf es unserer Meinung nach auch keinerAusschussüberweisung des Antrags. Ich bedankemich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Baumann. DasWort hat jetzt Abgeordneter Kemmerich für dieFDP-Fraktion.

Abgeordneter Kemmerich, FDP:

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren, die Europäische Union und damit die Bun-desrepublik Deutschland und natürlich auch Thürin-gen stehen vor immer komplexeren Herausforde-rungen, die einen strukturierten und integriertenstrategischen Mix aus gemeinschaftlichen nationa-len und regionalen politischen Maßnahmen erfor-dern. Angesichts dieser Herausforderungen brau-chen wir mehr Zusammenarbeit und innovativeKonzepte der Universitäten, Forschungszentrenund Behörden. Das vorrangige Ziel der Kohäsions-

8370 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Dr. Augsten)

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politik ist laut den Europäischen Verträgen die Ver-ringerung der wirtschaftlichen und sozialen Unter-schiede zwischen den Regionen. Die erneutenStrategien der EU-Fonds wurden unter dem Ein-druck der heutigen Herausforderungen angenom-men. Wir müssen uns auch als diejenige, die in un-serer Region politische Verantwortung tragen, fähigerweisen, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum undnatürlich auch Beschäftigung nachhaltig zu fördernund dabei auch die wirtschaftlichen, sozialen undumweltpolitischen Dimensionen gerade der regio-nalen Entwicklungen zu berücksichtigen. Die För-derung der Wissensgesellschaft - insbesonderedurch Forschung, technologische Entwicklung, In-novation - ist von entscheidender Bedeutung für dieVerwirklichung erneuter Partnerschaft für die ge-sellschaftliche Entwicklung. Es kommt also daraufan, dass das Parlament - damit auch unser Parla-ment - sehr wohl einbezogen wird in die Ausarbei-tung der Operationellen Programme.

(Beifall FDP)

Allerdings, meine Damen und Herren, unterstellt IhrAntrag, dass das nicht in ausreichender Form ge-macht wird. Die Komplexität der Programme undder Ausarbeitung, die ist uns allen bekannt und ichdenke sehr wohl, dass die Europäische Gemein-schaft, auch die Landesregierung - da stehen wirnicht in Verdacht, die als Opposition übermäßig zuloben, weder in Häufigkeit noch in Intensität - aller-dings haben wir hier den Eindruck - insbesonderemein Kollege Marian Koppe im Europaausschussausdrücklich -, dass hier in großem Maße an demsogenannten einen Strang gezogen wird.

(Beifall CDU, FDP)

Wir wünschen uns sehr, dass das so bleibt, dassman das intensivieren kann. Denn gerade diesekomplexe Masse und sicherlich auch der geeinteWunsch aller dort Beteiligten, für Thüringen dasRichtige zu tun, eint uns in diesem Ausschuss undwir sind auf einem guten Weg. Der Kollege Bau-mann hat schon erwähnt, dass es einen Selbstbe-fassungsantrag im Ausschuss gibt - im Sozialaus-schuss zugegebenermaßen -, der dort einen Be-richt erstattet, und zwar für alle Ausschüsse - es istja eine Querschnittsaufgabe, wichtig, dass man dainformiert und im Thema steht. Ich denke, das istauch wiederum Beweis dafür, dass auch für umfas-sende Aufklärung gesorgt wird und auch für Zu-sammenarbeit, für Kooperation innerhalb der Struk-turen hier im Hohen Hause gesorgt wird.

(Beifall FDP)

Ansonsten ist der Antrag relativ unbestimmt. HerrKollege Baumann hat schon gesagt, dass die regie-rungstragenden Fraktionen den Antrag ablehnen.Einer Diskussion im Ausschuss hätten wir uns nichtverwehrt, um gerade diese Punkte etwas konkreterzu fassen, weil das ein sehr langer Katalog ist. Das

ist eine fast beliebige Aufzählung von allem, was ir-gendwie denkbar und wünschenswert wäre, ob dasdem Konkreten hilft, wage ich sehr zu bezweifeln.Aufgefallen ist mir - und wir haben es tatsächlichbis zu Ende gelesen - unter II.7.e, da taucht dannendlich mal etwas auf, was wir innovativ und gutfinden, nämlich dass man auch private Kofinanzie-rung von EU-Mitteln zulassen sollte, das halte ichdurchaus für innovativ und sehr erwähnenswert.

(Beifall FDP)

Über den einen kleinen Satz kann man sich auchan anderer Stelle wieder streiten. Vielen Dank.

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kemmerich. DasWort hat jetzt Herr Abgeordneter Wucherpfennig fürdie CDU-Fraktion.

Abgeordneter Wucherpfennig, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren, mitder Drucksache 5/4466 wurde ein sehr umfangrei-cher Antrag zur kommenden EU-Förder-periode 2014-2020 vorgelegt, der bei intensiver Er-örterung den zeitlichen Rahmen eines ganzenPlenartags sicherlich sprengen würde. Ich will michnur auf ganz wenige Punkte hier konzentrieren undkann auch jetzt bereits sagen, dass ich dem Antragund der Antragsbegründung in vielen Punkten zu-stimmen kann. Es gibt einige Dinge dabei, die sindnicht ganz richtig. Manche Dinge werden auch nichtganz so gesehen. Unabhängig davon denke ich,dass wir in den Fachausschüssen dieses Thema in-tensiv diskutieren werden und da auch eine großegemeinsame Linie entwickeln können.

Ich möchte nur sagen, es gibt nicht das Operatio-nelle Programm für EFRE, ESF und den ELER,sondern es gibt ein OP für den ESF, ein weiteresfür den ESF, dann gibt es das Entwicklungspro-gramm für den ländlichen Raum. Der ELER gehörtauch seit ein paar Jahren nicht mehr zu den Struk-turfonds, aber das sind alles jetzt Dinge, die ichweglassen kann. Heute werden wir den Antrag ab-lehnen, eine intensive Diskussion in den Fachaus-schüssen führen. Die entsprechenden Anträge sindin der vergangenen Woche gestellt worden. So vielzum heutigen Tag zu diesem Thema. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Wucherpfennig. Jetzt hat dasWort Herr Abgeordneter Kubitzki für die FraktionDIE LINKE.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8371

(Abg. Kemmerich)

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Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ei-gentlich könnte ich das so sagen, ich schließe michmeinen Vorrednern an, wie es hier gesagt wurde,aber ich will trotzdem noch ein bisschen näher dar-auf eingehen, weil ich schon erstaunt war, als ichden Antrag gelesen habe, und dachte: Haben dasjetzt die Kollegen verwechselt mit einem Leitantragan den Parteitag, der sich mit dem Europathemabeschäftigt? Grundsätzlich ist das ja sehr umfang-reich, muss ich sagen, man hätte auch zwei Sa-chen daraus machen können, eine Große Anfrageund dann noch einen Antrag. Es ist wirklich sehrumfangreich, aber es zeugt auch ein bisschen da-von, dass man nicht richtig erkennen kann, waswollen Sie mit diesem Antrag? Ich muss auch sa-gen, es sind auch ein paar fachliche Sachen drin,mit denen man sich doch auseinandersetzen muss.Grundsätzlich kann man ja die drei Punkte begrü-ßen, die Sie da drin haben, einmal die stärkere Ein-beziehung, was die Wirtschafts- und Sozialpartnerbetrifft, die zweite Sache, dass Sie gesagt haben,dass Sie auch Vorgaben machen, inhaltlicheSchwerpunkte für die Operativen Programme, undauch die Einbeziehung des Landtags. Aber an die-ser Stelle müssen wir natürlich auch darauf einge-hen, was läuft jetzt schon in der jetzigen Förderperi-ode und wie läuft das? Grundsätzlich ist es abererst einmal so, Sie wollen schon über etwas spre-chen, wo wir noch gar nicht genau wissen, was ei-gentlich kommt

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Weniger Geld kommt, daswissen wir schon.)

- darauf komme ich noch zurück, Frau Siegesmund,nicht so aufgeregt sein -,

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ich bin doch gar nicht auf-geregt.)

weil als Erstes, es liegen die Entwürfe der einzel-nen Richtlinien für die Fonds vor, aber das sindEntwürfe. Das müssen wir an dieser Stelle erst ein-mal sagen. Es sind dort Zielvorgaben gemacht wor-den, die ganz konkrete Festlegungen treffen, unddas, was bei Ihnen in dem Antrag ist, was Sie vonder Landesregierung fordern, steht in diesen Ent-würfen drin. Wenn die beschlossen werden in derKommission, hat die Landesregierung die Pflicht,diese Richtlinien so in dem Operationellen Pro-gramm umzusetzen, wie das ist. Sie fordern auchmehr Transparenz. Richtig, aber ich muss sagen,auch wir als LINKE haben in der Vorbereitung derjetzigen Förderperiode, also in der letzten Legisla-tur dieses Landtags, gerade die Einbindung desLandtags gefordert und da müssen wir sagen, dagab es Differenzen. Da gab es die Begleitaus-schüsse, die gebildet werden, aber der Landtag warund ist in den Begleitausschüssen nicht drin und wir

mussten von den Sozialpartnern erfahren undmussten erfragen, was geht dort vor sich in den Be-gleitausschüssen und welche Schwerpunkte derOperationellen Programme gibt es? Wir haben aberjetzt mittlerweile, das muss ich sagen, dank einesgemeinsamen Beschlusses dieses Hauses, eineneue Qualität, was die Einbeziehung des Landtagsin europapolitische Entscheidungen der Landesre-gierung betrifft. Wir haben die Vereinbarung zwi-schen Landesregierung und dem Landtag, wir ha-ben einen neu gegründeten Europausschuss, derarbeitet und Kollege Meyer ist ja in diesem Aus-schuss drin. Wir haben uns schon jetzt mehrmalsund fast in jeder Ausschuss-Sitzung mit der zukünf-tigen Kohäsionspolitik beschäftigt und wir habenuns über den Stand der Vorbereitung informiert.Abgesehen davon diskutieren wir die europapoliti-sche Strategie der Landesregierung im Europaus-schuss und wir haben als Europaausschuss auchdie anderen Ausschüsse gebeten, ihre Abschnitteentsprechend, die fachlich für sie wichtig sind, in ih-ren Ausschüssen dazu zu beraten.

Ein Punkt der europapolitischen Strategie ist auchdie Kohäsionspolitik, also in den Fachausschüssenist der Ort, wo darüber geredet werden muss undvor allem fachlich geredet werden sollte. Deshalbgehören all die Punkte, die Sie in Ihrem Antrag ha-ben, in die Ausschüsse und müssen in den Aus-schüssen beraten werden, weil ESF zum Beispielwieder etwas anderes ist als EFRE, wieder etwasanderes ist als ELER, andere Schwerpunkte ge-setzt werden und dergleichen, deshalb gehört dasin die Fachausschüsse.

Wir haben ein gegenwärtiges Hauptproblem, waswir alle noch nicht beantworten können. Es wurdeschon gesagt, wir fallen aus der Höchstförderungraus, aus der Konvergenzzone. Da können wir frohsein, dass es gelungen ist, dass dort in der Kom-mission die Einsicht gewonnen wurde, dass es fürdie, die aus der Konvergenzzone herausfallen,dass es diese Übergangsregion geben soll. Wirsind mal davon ausgegangen - hier sind nicht alleunsere Wünsche erfüllt worden -, dass es für dieseÜbergangsregion ein Drittel weniger Förderunggibt/geben soll in Zukunft, als es bisher war. Daswürde für uns bedeuten, dass wir insgesamt in Thü-ringen ungefähr 528 bis 550 Mio. € weniger in dernächsten Förderperiode bekommen würden.

Als der Europaausschuss aber jetzt in Brüssel war,mussten wir bedauerlicherweise erfahren, das istnoch gar nicht so, wie wir das dachten, dass esein Drittel weniger wird. Selbst das ist noch offenund man diskutiert in der Kommission, dass es so-gar nur 55 Prozent dessen sein sollen, was es bis-her gab. Das bedeutet natürlich, dass, wenn wirweniger Mittel bekommen, auch gerade bei der Er-arbeitung der Operationellen Programme dieSchwerpunkte dann eventuell noch mal neu gesetzt

8372 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

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werden müssen oder alle Schwerpunkte gar nichterfüllt werden können, die wir haben.

Was die Transparenz betrifft: Die haben jetzt schonarbeitende Begleitausschüsse. Sie fragen zum Bei-spiel in Ihrem Antrag nach einer Auflistung der Be-gleitausschüsse. Die Auflistung gibt es. Ich habesie auf meinem Platz liegen für die einzelnenFonds, welche Begleitausschüsse, wer in den Be-gleitausschüssen von den Sozial- und Wirtschafts-partnern drin ist. Die gibt es schon. Natürlich ist daseine Forderung und die ist richtig, dass die jetzigenBegleitausschüsse jetzt schon mit in die Erarbei-tung der Operationellen Programme mit einbezo-gen werden. Aber das kann ich erfragen, wie dasfunktioniert in den jeweiligen Fachausschüssen -unterschiedliche Fonds, unterschiedliche Begleit-ausschüsse, kann ich machen.

Was die Beteiligung des Landtags betrifft - dasmuss ich noch mal sagen -, da haben wir eine neueQualität und jeder Ausschuss kann die Landesre-gierung fragen und Selbstbefassungsanträge ma-chen, wie der Stand der Dinge ist und kann sich in-formieren lassen und eigene Vorschläge dort ein-bringen. Das muss nur genutzt werden.

Dann natürlich noch solche Sachen, die Sie for-dern, die Aufteilung der einzelnen Fonds, also ESFund EFRE zum Beispiel. Jetzt steht in den Richtli-nienentwürfen 60 Prozent EFRE, 40 Prozent ESF.Wir hatten bisher im Hohen Haus 70 Prozent EFREund 30 Prozent ESF beschlossen. Natürlich könnteich jetzt sagen, wenn 40 Prozent ESF ist - auchwenn das für mich als Sozialpolitiker natürlichschon positiv wäre -, aber trotzdem muss ich auchan der Stelle sagen, anhand der Operationelle Pro-gramme, die erarbeitet werden: Wir wissen in Thü-ringen, wie wir die Mittel einsetzen sollten und fürwas wir die einsetzen sollten. Da sollten wir dieMöglichkeit haben, hier im Landtag zu debattierenund dazu Festlegungen zu treffen. Das ist jeden-falls unsere Ansicht.

Wir werden uns noch, davon bin ich überzeugt,meine Damen und Herren, sowohl vor der Sommer-pause, aber auf alle Fälle auch nach der Sommer-pause, wenn wir vielleicht dann genaueres Wissenaus Brüssel haben, noch sehr intensiv mit der Ko-häsionspolitik und der Förderpolitik beschäftigen.Ich möchte nur an dieser Stelle auch als Vorsitzen-der des Europaausschusses alle anderen Fachaus-schüsse auffordern, von der Möglichkeit, die unsjetzt die Geschäftsordnung dazu gibt, wirklich inten-siv Gebrauch zu machen. Auch wenn ich Oppositi-on bin, muss ich sagen, bisher hat sich die Landes-regierung an die Vereinbarung, die wir abgeschlos-sen haben zwischen Landtag und Landesregierung,gehalten und ist ihrer Informationspflicht jederzeitnachgekommen. Das muss beibehalten werden.Unbenommen sollten wir in den Ausschüssen un-sere Vorschläge natürlich für die Operationellen

Programme mit einbeziehen. Auch wir werden demAntrag nicht zustimmen.

(Beifall DIE LINKE)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kubitzki. Das Worthat jetzt Abgeordneter Dr. Augsten für die FraktionBÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Abgeordneter Dr. Augsten, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, dieZeit reicht leider nur, um auf die Vorrednerinnenund -redner einzugehen. Fangen wir mit Herrn Bau-mann an. Ich glaube, niemand hat erwartet odergeglaubt, dass wir davon ausgehen, dass wir jetztden Fragenkatalog hier abarbeiten. Das ist eine gu-te Sitte, wenn man möchte, dass man darüberspricht, dass man das an den Ausschuss über-weist. Das wäre sicher keine Überraschung gewe-sen, wenn ich nachher den Antrag gestellt hätte,das an den Ausschuss zu überweisen. Das istselbstverständlich, darauf möchte ich gleich hinwei-sen. Herr Baumann, ich sitze seit ’96 in diesen Be-gleitausschüssen, also in allen bisher, bis ich hier inden Landtag eingezogen bin. Wenn Sie davonsprechen, schwierige Fragen und viele Fragen undmanche sind berechtigt, manche nicht usw. - HerrWucherpfennig hat das ähnlich formuliert -, dassind genau die Dinge, die in den letzten Jahren im-mer eine Rolle gespielt haben bei der Erstellungder OPs. Das sind die Dinge, die die Wirtschafts-und Sozialpartner an uns herantragen, weil sieauch in Sorge sind, dass sich Zeitverzug ergibt,weil Brüssel nicht schnell genug reagiert. Wir habenaber erlebt, zweimal hintereinander habe ich einOP mit erstellt, dass immer wieder Zeitverzug ein-gestellt ist, dass man sagt, man muss rechtzeitigreagieren. Im ersten Teil ging es nur darum, zu er-fahren, wie ist der Stand der Dinge, wie verhält mansich für den Fall, dass Brüssel noch später reagiert- solche Dinge können auch passieren - und wiestellt man sich denn die Erstellung der OPs vor. Alsjemand, der seit ‘96 das miterlebt und auch zweiOPs mit erstellt hat, kann ich sagen, es gibt einegute Entwicklung in diesem Bereich, aber es gabdurchaus auch von Wirtschafts- und Sozialpartnernviele Wünsche, wie man das dieses Mal bessermachen kann.

Der Hinweis von allen Vorrednerinnen, dass wirdiesen Europaausschuss haben, Herr Baumann,schauen Sie doch mal, was Sie machen. SchauenSie mal, wie das in den anderen Fachausschüssendiskutiert wird, wie viel Input da kommt bzw. wieviel Reaktion. Dann bestreite ich, dass Sie im Euro-paausschuss genau das erledigen können oderwollen, was wir im Auge haben und was Wirt-schafts- und Sozialpartner von uns auch einfordern.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8373

(Abg. Kubitzki)

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Ich habe Ihnen ein Beispiel genannt, mit dieserPeinlichkeit aus Thüringer Sicht. Es gab nur zweiBundesländer, wo das überhaupt passiert ist, dassman seinen kompletten Entwurf zurückbekommenhat mit der Aufforderung, den nachzuarbeiten, weilman geglaubt hat, einen kompletten Schwerpunktherauszustreichen. Wir haben damals als Wirt-schafts- und Sozialpartner und als Umweltpartnerdarauf hingewiesen, das könnte dazu führen, dasswir Probleme bekommen, und es ist passiert. Ichsage noch einmal, vielleicht wäre das nicht pas-siert, wenn wir oder wenn Sie damals hier im Hausdarüber diskutiert hätten.

Ein zweiter Punkt, den ich als Beispiel ansprechenmöchte: Normalerweise hätte ich erwartet, dass dieRegierung mit uns gemeinsam darüber diskutiert,ob man Thüringen als gemeinsames, als zwar klei-nes Bundesland, aber als gesamtes Bundeslandwirklich das mit den über 80 Prozent durchgehenlässt, oder ob man nicht darüber nachdenkt, dassman Konvergenzregionen in Thüringen einführt.Weil wir natürlich oberhalb der Autobahn, im Südenvielleicht nicht so, aber oberhalb der Autobahngroße Probleme haben. Deswegen wäre das aucheine Diskussion gewesen, wo man sagt, vielleichthätte Thüringen das gut zu Gesicht gestanden, zusagen, wir haben hier Regionen, die weit unter den80 Prozent, weit unter den 75 Prozent liegen. Aucheine Diskussion, die wir hier verpasst haben. Des-wegen glaube ich, dass wir gut daran tun, hier dieDiskussion viel intensiver zu führen. Das hat nichtsmit dem zu tun, was Sie im Europaausschuss ma-chen. Da diskutieren Sie Dinge, die im Vollzug sind.Eine OP-Erstellung erfolgt mit einem so unglaubli-chen Druck, mit einer so unglaublichen Geschwin-digkeit, dass wir hier nicht warten können, bis ir-gendwelche Anträge an Ausschüsse überwiesenwerden,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

sondern da muss man auch mal ganz schnell rea-gieren.

Meine Damen und Herren, ich habe mich gefreut,dass Herr Baumann und auch Herr Wucherpfennigdas inhaltlich zumindest für gut befunden haben.Wenn Herr Kemmerich sagt „unbestimmte Fragenund fast beliebig“, da merkt man, dass zumindestdiese Partei wahrscheinlich noch nie in so ein Do-kument reingeschaut hat.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind die Fragen, die wir gemeinsam mit einerganzen Anzahl von Wirtschafts- und Sozialpartnernerarbeitet haben. Da haben wir uns hingesetzt undgesagt, was sind die Probleme, was waren die Pro-bleme bei der letzten OP-Erstellung? Das sind dieDinge, die jetzt eine große Rolle spielen. Der Multi-Fonds, Sie haben es angesprochen. Ist es dennvielleicht sinnvoll, darüber nachzudenken, EFRE

und ESF viel stärker an den Belangen des ländli-chen Raumes auszurichten? Darüber könnte mannachdenken; wir sind zu 80 Prozent ländlich ge-prägt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Eine Idee, die aus Brüssel kommt, die man in denletzten beiden Jahren hier in Thüringen überhauptnicht diskutiert hat. Uns interessiert das, die Wirt-schafts- und Sozialpartner interessiert das, wiesteht die Landesregierung dazu, nicht nur zu demVerhältnis ESF-EFRE, sondern ob man den ländli-chen Raum nicht als ganz wichtiges Kriterium über-haupt über die Gesamt-OPs stellt. Ganz wichtigeFrage.

Genauso Kofinanzierung: Wenn Herr Kemmerichdie private Finanzierung als einzigen innovativenPunkt hier anspricht, dann zeigt das, wessen Geistdiese Fraktion und diese Partei ist. Das stand indem Fragenkatalog der Wirtschafts- und Sozialpart-ner nicht drin, weil es eine große Angst gibt, in demMoment, wo man diese Tür aufmacht, die Möglich-keit EU-Strukturfonds privat zu finanzieren. Da ha-ben wir das, was wir in anderen Bereichen auch ha-ben. Da geht das Geld dorthin, wo es schon ist,weil Private das Geld natürlich hinlegen können,was andere nicht haben. Insofern haben wir uns daschwergetan, haben mit den Wirtschafts- und Sozi-alpartnern gerungen und ich habe gesagt, wirschreiben das rein, weil das eine ganz wichtige Dis-kussion ist und weil es berechtigterweise Angstgibt, dass so etwas hineinkommt und dann im Prin-zip das Geld dort fehlt, wo es gebraucht wird. Dassteht drin als Diskussionspunkt, nicht als etwas,was wir fordern. Aber da sieht man mal, das ist das,was der FDP auffällt, das ist das, was dieser Frak-tion aufgefallen ist.

Ja, meine Damen und Herren, ich habe ganz wenigZeit, deswegen eine letzte Bemerkung: Ja, Herr Ku-bitzki, wir sprechen über etwas, wo wir nicht wis-sen, was kommt.

Vizepräsidentin Hitzing:

Entschuldigung, Herr Dr. Augsten, Sie haben nochüber 6 Minuten, nicht dass Sie in Eile verfallen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abgeordneter Dr. Augsten, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Noch 6 Minuten? Das ist aber schön, wunderbar.

(Heiterkeit im Hause)

Da habe ich eine falsche Information. 6 Minuten,gut, da muss ich mir etwas überlegen.

Ja, Herr Kubitzki, da fange ich mal mit der GroßenAnfrage an, gerade weil ich glaube, die Zeitabläufe

8374 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Dr. Augsten)

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auch einschätzen zu können, was man wann erledi-gen muss. Sie wissen selbst, man stellt eine GroßeAnfrage, dann kommt die Bitte der Landesregie-rung, noch einmal ein Vierteljahr mehr zu bekom-men. Da kommen wir in Zeiten, wo eigentlich derEntwurf fertig sein müsste. Insofern war die GroßeAnfrage der FDP hilfreich, um die aktuelle Förder-periode mal zu beleuchten, die war ja auch sehrausführlich, wobei man das hätte alles nachlesenkönnen in Broschüren, die das Wirtschafts- und So-zialministerium herausgibt. Aber insofern, wir habenda keine Zeit mit der Großen Anfrage. Wenn Siesagen, wir sprechen über etwas, wo wir nicht wis-sen, was kommt, dann dient so eine Debatte wiejetzt und wie in den Ausschüssen vielleicht auchdazu, zu erkennen, in Brüssel wesentlich mehrDruck machen zu müssen, weil es auch um An-schlussfinanzierung geht, wo Unternehmen daraufhoffen können, dass sie das Geld auch sofort imAnschluss bekommen.

Sie haben recht, ich mache mir da auch große Sor-gen aus der Erfahrung heraus, dass in Brüssel dis-kutiert wird oder Dinge letzten Endes liegenbleibenoder zu spät uns dann auf den Weg gegeben wird,worum wir diskutieren sollen, was wir auf den Wegbringen sollen und was in die OPs muss. Insoferndient ja so eine Diskussion vielleicht auch dazu, zusagen, wir wissen dann, was man in Brüssel letztenEndes auch anstoßen muss.

Ja, meine Damen und Herren, uns ist es besonderswichtig und ich glaube, die vier Anträge, die jetzt alsSelbstbefassungsanträge in die Ausschüsse gege-ben wurden von CDU und SPD, zeigen, dass eszumindest von den beiden Regierungsfraktionengenauso gesehen wird, dass wir dort wesentlichmehr Druck aufbauen. Mindestens zwei Vorrednerhaben davon gesprochen, dass wir als Konver-genzregion, die über die 75 Prozent kommt, mit we-sentlich weniger Geld rechnen müssen. Ich habedas selbst verfolgt, es war einmal von 75 Prozentdie Rede, letztens hieß es 66 Prozent, heute habeich zum ersten Mal 51 Prozent gehört. Egal wie eskommt, es wird heftig werden, nicht nur deshalb,weil alle, die bisher EU-Strukturfonds erhalten ha-ben, natürlich auf das Geld hoffen, sondern vor al-len Dingen deshalb, weil es viele neue Begehrlich-keiten gibt. Ich will gar nicht so tief einsteigen, weiles meinen Bereich insbesondere trifft. Es gibt alsoviele, die bisher mit Bundes- und Landesmitteln fi-nanziert wurden, denen man signalisiert hat, dasGeld ist nicht mehr da. Jetzt glauben sie, dass mandas mit EU-Mitteln kompensieren kann. Also, wirhaben weniger Geld, wir haben neue Herausforde-rungen und die, die bisher keine EU-Strukturfondsbekommen haben, glauben im Ernst, sie könnensich da auch noch bedienen.

Darauf müssen Sie, glaube ich, reagieren, manmuss den Menschen die Wahrheit sagen. Das istsicher auch eine Aufgabe dessen, was wir hier ge-

meinsam tun, nämlich diskutieren und dann denLeuten, die auf so etwas hoffen, auch reinen Weineinschenken.

Meine Damen und Herren, was jetzt die Aus-schussüberweisung angeht: Wir werden natürlich,auch um das formal hier abzusichern, weil ich weiß,dass eine ganze Menge Wirtschafts- und Sozial-partner das hier verfolgen, mit uns ja auch intensivgearbeitet haben in Vorbereitung dieses Antragsoder damit sie ein Signal bekommen, wie man dennauch miteinander umgeht, werden wir die Aus-schussüberweisung beantragen. Ich muss jetztnicht die Reihen durchgehen, aber zumindest anden Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Ar-beit, Ausschuss für Soziales, Familie und Gesund-heit, Haushalts- und Finanzausschuss, natürlichAusschuss für Landwirtschaft, Forsten, Umwelt undNaturschutz, Europaausschuss - ganz wichtig, dassder sich damit auch beschäftigt.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Gleich-stellungsausschuss.)

Wenn ich jetzt jemanden vergessen habe, dann -bitte?

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Gender.)

Nein, Gender ist eine Querschnittsaufgabe, das ha-ben alle im Auge. Das ist ganz anders als bei derUmwelt.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Wenn da noch jemand meint, es müsste noch ineinen Ausschuss, dann kann er das hier noch be-antragen. Auf jeden Fall finde ich es schon sehr be-merkenswert - und wir werden im Juni-Plenumdann darüber reden, wie das beim Fracking gewe-sen ist mit den Anträgen -, wenn am 22.05. unserAntrag im Ältestenrat beraten wird, dann einen Tagspäter die Selbstbefassungsanträge für die Aus-schüsse gestellt werden. Das ist sicher ein beson-derer Umgang miteinander. Ich weiß nicht, wie esIhnen geht, aber wir haben uns als Opposition an-gewöhnt, ganz konkrete Fragen zu stellen. Einfachdeshalb, wenn man so allgemein formuliert, wie dasin den Anträgen von CDU und SPD drinsteht, dieLandesregierung möge doch mal berichten, wie derStand ist, dann bekommt man bestimmte Antwortennicht. Deswegen sind es diese 40 Fragen, deswe-gen sind es diese ganz in die Tiefe gehenden undmit den Wirtschafts- und Sozialpartnern gemeinsamabgestimmten Fragen, weil wir auch eine Auskunfthaben wollen. Deshalb finden wir es schon sehr be-merkenswert, dass dann, nachdem unser Antragheute hier behandelt wird, man ihn sicher hätteauch an die Ausschüsse überweisen können, wenndann einen Tag später Selbstbefassungsanträge indie Ausschüsse gestellt werden so nach dem Mot-to, es wird auf jeden Fall behandelt, wir halten das

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8375

(Abg. Dr. Augsten)

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Thema für wichtig, aber wir brauchen dann nichtden Antrag der GRÜNEN zu überweisen.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Wir habenvor Ihnen den Antrag eingereicht.)

Das ist ein toller Umgang miteinander, Herr Primas.Wir reden dann beim nächsten Mal darüber, wie esbeim Fracking ist, da ist es nämlich genau anders-herum. Es ist schon bemerkenswert, das ist fürmich auch so ein Tiefpunkt der parlamentarischenZusammenarbeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mir jetzt keinen Ordnungsruf einholen, aberdas ist etwas, was ich so nicht erwartet hätte.

Wir bleiben dabei, wir überweisen an die Ausschüs-se, die ich genannt habe. Ich glaube, Sie könnenein Stück weit von dem, was ich da mit dieser Aus-schussüberweisung oder mit Ihren Ausschussanträ-gen getan habe, was mit Sicherheit intellektuellmindestens oder auch in Zusammenarbeit im Parla-ment sehr fragwürdig ist, wiedergutmachen, indemSie diesen Anträgen folgen. Lassen Sie uns genaudie Fragen, die wir gestellt haben, in den Ausschüs-sen behandeln. Die Landesregierung hätte einenFahrplan, was die Wirtschafts- und Sozialpartner in-teressiert. Wir könnten uns darauf freuen, dass wirgemeinsam die Antworten bekommen, die wir aucherwarten. Das sind wir auch vor allen Dingen denLeuten schuldig, die in diesen Begleitausschüssenehrenamtlich einen Haufen Zeit investieren,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

große Stapel bewältigen müssen und die ganz zuRecht und sicher auch mit viel Begründung an unsherangetreten sind und gesagt haben, Leute, gehtin die Spur, kümmert euch darum, dass das einThema wird, und vor allen Dingen versucht, dasswir Antworten auf diese Fragen bekommen, die wirin diesen Antrag reingeschrieben haben.

Sie haben die Chance, das wiedergutzumachen.Ich hoffe, Sie machen davon Gebrauch, ansonstensprechen wir uns dann nächstes Mal im Juni beimFracking wieder. Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Hitzing:

Danke, Herr Abgeordneter Augsten. Eine Frage fürmich zur Klärung: Hatten Sie jetzt den Ausschussfür Bau, Landesentwicklung und Verkehr auch da-bei?

(Zuruf Abg. Dr. Augsten, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Auch.)

Es hat sich jetzt Abgeordneter Bergemann für dieCDU-Fraktion zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Frau Präsidentin, wenige Bemerkungen will ich ma-chen. Herr Dr. Augsten, man könnte tatsächlich soden Eindruck gewinnen, Sie sind der einzige Euro-päer hier im ganzen Haus.

(Beifall SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: In Thüringen.)

So weit will ich nicht gehen. Denn ganz unbelecktsind die Kolleginnen und Kollegen im Europaaus-schuss auch nicht, das darf ich Ihnen mal sagen.Kollege Meyer sitzt hier hinter mir, der selbst mit inBrüssel war und der sicherlich genau weiß, wie sichdie Situation darstellt. Ich will Ihnen nur noch malsagen, weil Sie hier fälschlicherweise sagten, dieSachanträge in den Ausschüssen - Sie müssen malauf das Datum schauen - sind vor Ihrem Antrag ein-gereicht worden. Bitte keine Legendenbildung,schauen Sie es bitte nach. Auch was Sie angeregthaben mit den Regionen, Sie wissen dann auch,wenn Sie so gut informiert sind, dass zum Beispielin Sachsen oder in Sachsen-Anhalt bestimmte Teil-regionen schon lange aus der Höchstförderungrausgefallen sind. Wenn wir es genauso gemachthätten, hätten wir in der letzten Förderperiode näm-lich diesen Vorteil nicht mehr gehabt für Thüringen.Es war damals die richtige Entscheidung, es so zutun. Deshalb relativieren Sie es hier bitte nicht. Ichmache mir da auch schon ein bisschen Sorgen. Ichwill nur zwei kurze Bemerkungen machen, weil inIhrer Begründung steht, wenn ich es zitieren darf:„Unter den Prämissen kann ein gutes OP nicht vonwenigen Experten und Entscheidungsträgern hinterverschlossenen Türen geplant werden.“ Das möch-te ich aber tatsächlich mal zurückweisen, weil gera-de im Programmplanungsprozess, der ja voll imGange ist, Einbindung der WiSo-Partner, die ist ge-währleistet. Sie wissen auch genau, dass es inter-ministerielle Arbeitsgruppen zum EFRE gibt, zumESF gibt, es gibt zum ELER, was will man dennmehr? Hier ist gewährleistet, dass auch Gesamt-verantwortung wahrgenommen wird. Das tut dieLandesregierung, deshalb kann ich das überhauptnicht nachvollziehen „hinter verschlossenen Türen“,denn auch wir im zuständigen Europaausschuss -der Vorsitzende hat es ja auch noch mal erläutert -haben jederzeit und immer auf all die Fragen, dieuns bewegt haben, die Antwort der Landesregie-rung bekommen. Das muss sie schon aufgrund un-serer Vereinbarung tun. Das ist auch nach derSommerpause angekündigt zu dem Thema - einBericht der zuständigen Europaministerin über denStand der Programmplanung im zuständigen Aus-schuss. Da sind wir, glaube ich, gut dabei. Richtigist allerdings, die Bedenken haben Sie ja auch ge-teilt, die finanziellen und inhaltlichen Rahmenbedin-gungen für die Förderperiode 14 bis 20, die sindund bleiben bis Mitte nächsten Jahres völlig unklar.Da bin ich lange genug dabei und da können wir im

8376 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Dr. Augsten)

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Herbst alles diskutieren in den Ausschüssen, in denAnträgen können wir alles machen, wir werden kei-ne verlässlichen Zahlen haben. Überhaupt keine,weil sich vor dem 2. Halbjahr 2013 überhaupt nichtsbewegen wird. Ob wir bei 65 Prozent oder66 zwei Drittel liegen, dieses sogenannte Sicher-heitsnetz ist auch noch lange nicht unter Dach undFach. Wenn Sie so europäisch aufgestellt sind,dann wüssten Sie auch ganz genau, welche Ländersich z.B. sperren gegen dieses Sicherheitsnetz. Ichwill da nur mit aller Vorsicht sagen, keine Aufre-gung. Ich will jetzt nicht sagen, Schaufensterantrag,das wäre schlecht für mich als Europäer. Es ist inOrdnung, dass man das macht, aber auch bitte beider Sachlichkeit bleiben, denn für mich ist klar,nachdem die Debatten innerhalb der Kommissionso kontrovers geführt werden zu den Strukturfonds,wenn ich nur an den neu aufzulegenden Globalisie-rungsfonds denke, auch der will Geld haben. Wosoll es denn herkommen, es bleibt bei 1 Prozent,mehr geben alle Länder nicht. Also heißt das, ichmuss da und dort wegnehmen, es werden wahr-scheinlich alle hier noch Diskussionen führen ausden jeweiligen Fachbereichen, die uns die Tränenin die Augen treiben, wenn wir am Ende nämlichnicht wissen, wie viel Geld wir bekommen. So vielwollte ich bemerkt haben, ganz so unbeleckt, wieSie uns hier hinstellen, sind wir als Europapolitikerallerdings auch nicht. Danke schön.

(Beifall CDU)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bergemann. Eshat sich jetzt zu Wort gemeldet Herr AbgeordneterBarth für die FDP-Fraktion.

Abgeordneter Barth, FDP:

Vielen Dank, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnenund liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr KollegeAugsten, ich bedanke mich ganz herzlich dafür,dass Sie uns in erschöpfender Rede vorgetragenhaben, was Sie alles über Europa wissen. Ich binder Überzeugung, dass die politische Debatte hierim Plenum nicht den Zweck erfüllt, sich gegenseitigdavon zu überzeugen und damit zu beeindrucken,was man alles weiß, sondern sich insbesonderevielleicht auch gerade in der ersten Beratung aufein paar wesentliche Punkte zu konzentrieren. Siehaben uns einen Antrag vorgelegt, mit 12 Berichter-stattungspunkten und, wenn ich die Unterpunktegrob zusammenzähle, über 30 einzelne Punkte.Wenn mein Kollege Kemmerich, der das übrigensin Vertretung gemacht hat für einen Kollegen, derheute nicht da ist, sich nur auf einen Punkt konzen-triert, den Ihr Teilnehmer der Reise nach Brüssel,der hier hinter mir sitzt, übrigens auch - glaube ich,wenn ich das richtig berichtet bekommen habe - soschlecht gar nicht gefunden hat, dann ist es zumin-

dest billig, sich hier hinzustellen und zu sagen, wirreduzieren uns darauf. Das muss sich meine Parteivon Ihnen nicht sagen lassen. Ich sage mal, imPrinzip haben Sie so einen Auftritt hier auch nichtnötig. Wir sollten uns so was hier nicht gönnen. Vie-len Dank.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Vielen Dank, Herr Oberlehrer.)

(Beifall CDU, FDP)

Vizepräsidentin Hitzing:

Danke, Herr Abgeordneter Barth. Ich sehe jetzt ausden Reihen der Abgeordneten keine Redewünschemehr. Dann hat sich für die Regierung Herr Staats-sekretär Staschewski zu Wort gemeldet.

Staschewski, Staatssekretär:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren, zuerst einmal möchte ichmich ausdrücklich bei Gustav Bergemann bedan-ken. Sie haben zum Schluss mit Ihrer Wortmeldunghier noch mal ganz klar auf den Punkt gebracht. Damuss ich schon sagen, es war ja heute auch eingroßer Konsens von den LINKEN bis zur FDP,

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Nein bei uns, wir habenden Antrag gestellt.)

wo immer wieder darauf hingewiesen wurde, dasswir dieses Verfahren sehr transparent machen.Was haben wir denn gemacht? Als die EuropäischeKommission die Verordnungstexte und den mittelfri-stigen Finanzrahmen für die Förderperiode 2014bis 2020 im Juni bzw. im Oktober letzten Jahresvorgelegt haben und wir im Bundesrat zu diesenVorlagen Stellung nahmen und Positionen der deut-schen Bundesländer verabschiedet haben, die nun-mehr auch die Basis der Verhandlungen der Vertre-ter der Bundesregierung in den jeweils zuständigenRatsarbeitsgruppen sind, haben wir dann die Doku-mente unmittelbar auch Ihnen, also den Mitgliederndes Begleitausschusses, und auch Ihnen zur Verfü-gung gestellt. Ich finde, wir haben hier ein transpa-rentes Verfahren begonnen, das werden wir auchweitermachen. Wir haben auch gesagt, es bleibtnicht nur bei dieser IMAG, die wir im Dezemberletzten Jahres bzw. im Januar dieses Jahres einge-setzt haben, sondern wir werden natürlich jetzt Mit-te des Jahres, wenn der Prozess so weit fortge-schritten ist, dann auch Sie als Parlamentarier indiesen Beratungen und in diesen Prozess mit ein-beziehen. Deshalb begrüße ich das auch ausdrück-lich, dass es diese Selbstbefassungsanträge nichtnur bei uns im Ausschuss für Wirtschaft, Technolo-gie und Arbeit, sondern auch in den anderen Aus-schüssen gibt. Überall sind diese Selbstbefas-sungsanträge da und, ich glaube, das ist wichtig.

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8377

(Abg. Bergemann)

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Lassen Sie mich noch zwei bis drei Sätze zu denInhalten sagen. Mit der strategischen Programm-planung strebt die Europäische Kommission eineKonzentration der Förderung auf das Erreichen derEuropa-2020-Ziele an. Dies erfolgt auf drei Ebenen,das ist sehr wichtig. Der gemeinsame strategischeRahmen wird auf europäischer Ebene abgestimmt.Die Partnerschaftsvereinbarung bildet die Strategieeines Mitgliedstaats ab und die Operationellen Pro-gramme werden in Deutschland vor allem durch dieBundesländer erstellt und verhandelt. Diese Part-nerschaftsvereinbarungen und Operationellen Pro-gramme sollen gleichzeitig eingereicht werden. Hierentsteht zwischen Bund und Ländern ein enorm ho-her Koordinierungsaufwand, der seitens der Länderdurch die Fondsverwalter zu gewährleisten ist. Esmuss derzeit berücksichtigt werden, dass alle be-reits stattfindenden Beratungen auf Bundes- undLandesebene auf der Basis eines noch nicht fest-stehenden Finanz- und Rechtsrahmens erfolgen.Da sage ich ganz klar, Gustav Bergemann, da ha-ben Sie vollkommen recht, wir werden auch nocheine ganze Weile darauf warten müssen. Die Zei-teinschätzung teile ich vollkommen, da werden wirbis 2013 warten müssen. Die Rahmenbedingungenwerden gerade verhandelt. Gleichwohl haben wirals Thüringer Landesregierung bereits im Dezem-ber letzten Jahres diese interministeriellen Arbeits-gruppen für die Planung der Operationellen Pro-gramme EFRE und ESF sowie für den ELER einge-richtet. Damit sind alle Ministerien und die Staats-kanzlei in die Programmplanung eingebunden. Daist eine Koordinierung gewährleistet. Zu den Detailsder künftigen Programme wie z.B. Arbeitsmarktpoli-tik, Stadtentwicklung, Dorferneuerung, Kofinanzie-rung oder den Einsatz revolvierender Fonds, hatsich die Landesregierung insofern noch nicht fest-gelegt. Das ist doch ganz klar, weil wir auch erstmal schauen müssen, wie die Aufteilungen sind.Das wollen wir auch mit Ihnen diskutieren.

Es bleibt natürlich dem weiteren Planungsprozessvorbehalten und bedarf eines abgestimmten Fi-nanz- und Rechtsrahmens. Die Einbindung derWirtschafts- und Sozialpartner hat sich bei der Pla-nung und Umsetzung der Programme - da gebe ichIhnen recht, Herr Augsten - bei der letzten Förder-periode bewährt und die muss intensiviert und fort-gesetzt werden. Das ist klar, das machen wir auch.

Eine aktive Einbindung des Parlaments wird statt-finden, das ist selbstverständlich, nicht nur überden Europaausschuss, sondern auch in den einzel-nen Ausschüssen. Da ist natürlich dieser breite Er-fahrungsschatz, den Sie mitbringen, den GustavBergemann mitbringt, den viele aus unserer Frak-tion mitbringen, gefragt. Der Begleitausschuss wirdseit dem Jahr 2011 in jeder Sitzung zum aktuellenStand der jeweiligen Vorschläge der EuropäischenKommission informiert. Die Verordnungsentwürfe

wurden vorgestellt und im Begleitausschuss sinddie Wirtschafts- und Sozialpartner vertreten.

Jetzt werden wir auch noch - das kann ich schonankündigen - am 18. September gibt es eine ge-plante Jahresveranstaltung zum EFRE, die werdenwir hier im Landtag durchführen. Auch diese Veran-staltung wird sich selbstverständlich schwerpunkt-mäßig mit der Programmplanung 2014 bis 2020 be-schäftigen. Da erwarten wir auch - genauso wie inden Ausschüssen - Ihre Beteiligung. Ich freue michauf einen regen Austausch in den Ausschüssen,aber auch am 18. September bei dieser Veranstal-tung. Ich glaube, dieses Miteinander sollten wir hierweiter pflegen. Ich wollte mich ausdrücklich bedan-ken, dass dies von einem Großteil der Anwesendenso gesehen wird. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich sehe jetzt kei-ne weiteren Wortmeldungen mehr. Dann kommenwir zu den beantragten Ausschussüberweisungen.Wir beginnen der Reihe nach.

Es wurde beantragt, diesen Antrag an den Aus-schuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit zuüberweisen. Wer sich dem anschließen kann, denbitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das sind dieStimmen der Fraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Wir auch.)

und der FDP - Entschuldigung. Gegenstimmen?Gegenstimmen kommen aus den Fraktionen derSPD und der CDU. Gibt es Stimmenthaltungen?Damit ist die Antragsüberweisung abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Überweisung an den Haus-halts- und Finanzausschuss. Wer sich dem an-schließt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen.Das sind die Stimmen aus den Fraktionen BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE zum Teil. Ge-genstimmen? Die kommen aus den FraktionenSPD und CDU. Enthaltungen? Aus der FDP. Damitist diese Überweisung abgelehnt.

Jetzt kommen wir zur Überweisung an den Aus-schuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Wersich dem anschließt, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Das sind die Fraktionen BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Gegenstimmen?Die kommen aus den Fraktionen CDU und SPD.Gibt es Enthaltungen? Die kommen aus der FDP.Damit ist diese Überweisung auch abgelehnt.

Wir kommen zur Überweisung an den Ausschussfür Landwirtschaft, Forsten, Umwelt und Natur-schutz. Wer stimmt mit Ja? Die Fraktionen BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Wer stimmtmit Nein? CDU und SPD. Wer enthält sich? FDP.Damit ist diese Überweisung abgelehnt.

8378 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Staatssekretär Staschewski)

Page 103: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

Jetzt kommt die Überweisung an den Ausschussfür Bau, Landesentwicklung und Verkehr. Werstimmt mit Ja? BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undDIE LINKE. Gegenstimmen? CDU und SPD. Ent-haltungen? FDP. Damit ist das auch abgelehnt.

Überweisung an den Europaausschuss - wer möch-te sich dem anschließen? Das sind die FraktionenDIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.Gegenstimmen? Die kommen aus der CDU und derSPD. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist nicht derFall. Damit ist diese Ausschussüberweisung auchabgelehnt und wir haben alle Anträge auf Überwei-sung abgearbeitet.

Wir kommen jetzt, weil keine Überweisung an einenAusschuss angenommen wurde, zur eigentlichenAbstimmung über den Antrag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN in Drucksache 5/4466. Wersich diesem Antrag anschließt und dafür ist, denbitte ich jetzt um sein Handzeichen. Das sind dieStimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.Gibt es Gegenstimmen? Die kommen aus denFraktionen FDP, CDU, SPD und DIE LINKE. Gibtes Stimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Da-mit ist der Antrag abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 20 und rufeauf den Tagesordnungspunkt 21

Medizinische Versorgung imländlichen Raum - Sicherstel-lung einer bedarfsgerechtenVersorgungAntrag der Fraktionen der CDUund der SPD- Drucksache 5/4474 -

Wünschen die Fraktionen das Wort zur Begrün-dung? Das ist nicht der Fall. Die Landesregierungerstattet einen Sofortbericht zu Nummer I des An-trags. Für die Landesregierung hat das Wort FrauMinisterin Taubert.

Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehr-ten Damen und Herren Abgeordneten, ich möchtemich bei den Fraktionen der CDU und SPD bedan-ken, dass ein für Thüringen wirklich wichtiges The-ma heute auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Siewissen ja, dass wir ein ganzes Bündel von Maß-nahmen gegen den drohenden Ärztemangel in Thü-ringen über viele Jahre aufgebaut haben. Ich möch-te Ihnen chronologisch anhand dieses Antragsauch aufzählen, was wir im Einzelnen getan habenund auch tun.

Zu Punkt 1: Die Auswirkungen des GKV-Versor-gungsstrukturgesetzes für Thüringen sind vielfältig.Lassen Sie mich die wesentlichen Dinge kurz an-

sprechen: zum einen die Erweiterung des Bean-standungsrechts und Stellungnahmemöglichkeitenfür bestimmte Selektivverträge, ein Initiativrecht bei-spielsweise für Verträge über die hausarztzentrierteVersorgung oder die besondere ambulante ärztli-che Versorgung, das Mitberatungsrecht bei Sitzun-gen der Landesausschüsse, die Rechtsaufsichtüber Landesausschüsse - bisher haben wir da nurdie Geschäftsstellen gestellt - einschließlich desBeanstandungsrechts gegenüber den Entscheidun-gen der Landesausschüsse, das ist § 90 Abs. 6 desSGB V. Darüber hinaus ist es noch zu bedeutsa-men Änderungen gekommen, unter anderem beider spezialfachärztlichen ambulanten Versorgungund bei der Beteiligung an der Bedarfsplanung. Ei-ne weitere wesentliche Neuerung ist die Möglichkeitder Schaffung eines Gremiums auf Landesebene,welches Empfehlungen zu sektorübergreifendenVersorgungsfragen abgeben kann und zu den Be-darfsplänen wie den Entscheidungen der Landes-ausschüsse Stellung nehmen kann. Das war be-sonders ein Anliegen aller Bundesländer gegen-über dem Bund bereits vor zwei Jahren, damit wiran der Stelle tatsächlich auch Steuerungsmöglich-keiten haben, weil wir gemeinsam, also alle Bun-desländer, merkten, dass wir zwar die Ansprech-partner aus dem kommunalen Raum oder auch vonBürgerinnen und Bürgern von der KV sind, aberdennoch bisher überhaupt keine Möglichkeit hatten,da zumindest auch im Rahmen von größeren Gre-mien darüber zu sprechen und Dinge zu beeinflus-sen.

Zunächst möchte ich Ihnen im Bericht die beste-henden und geplanten Maßnahmen zur Vorbeu-gung eines drohenden Ärztemangels - das ist I.2.des Antrags - vortragen. Wie Sie wissen, besteht imFreistaat Thüringen eine Vielzahl von Maßnahmen,um junge Medizinerinnen und Mediziner für eineNiederlassung in Thüringen zu gewinnen. Ein we-sentliches Instrument ist die Ihnen bekannte Stif-tung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Ver-sorgung im Freistaat Thüringen. Der Stiftungs-zweck sieht verschiedene Maßnahmen vor, bei-spielsweise den Betrieb von Eigeneinrichtungen,ein Thüringen-Stipendium, die Förderung ambulan-ter ärztlicher und psychotherapeutischer Weiterbil-dungen, die Unterstützung kommunaler Angebotezur Niederlassung in ländlichen Gemeinden, undvieles mehr.

Sehr gut genutzt wird derzeit das erwähnte Stipen-dium, das mit bislang 51 Medizinern in hausärztli-cher Weiterbildung durchaus gut nachgefragt wur-de. Hier kann man mit monatlich 250 € maximal60 Monate gefördert werden. Wir merken auch,dass wir in einzelnen Facharztrichtungen Bedarfhaben. Deshalb wird auch überlegt, das auf be-stimmte Facharztrichtungen zu erweitern. Die Vor-aussetzung ist immer - das war uns natürlich wich-tig -, dass sich die Personen auch später in Thürin-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8379

(Vizepräsidentin Hitzing)

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gen niederlassen. Wenn das nicht so ist, dannmuss das Stipendium zurückgezahlt werden.

Derzeit besteht eine Eigeneinrichtung in Gotha,

(Beifall SPD)

bei der zwei junge Ärzte - ein Ärzteehepaar ausÖsterreich - als Angestellte der Stiftung tätig sind.Wer bei der Eröffnung dabei war, der konnte sehen,dass beide ganz engagiert und in Gotha auchschon so nachgefragt sind, dass sie sich eigentlichgar nicht denken können, aus Gotha wegzugehen,wenngleich die Verwandtschaft, die auch da gewe-sen war, natürlich ein bisschen Heimweh oder einbisschen Trennungsschmerz hatte. Es soll eineweitere Eigeneinrichtung dazukommen, und zwar inGräfenthal, das liegt bei Saalfeld.

Ein weiterer Punkt: Durch die Arbeit an der Fried-rich-Schiller-Universität Jena mit dem errichtetenLehrstuhl für Allgemeinmedizin sollen angehendeMediziner bereits während des Studiums für eineNiederlassung als Allgemeinmediziner interessiertwerden. Die Medizinstudenten werden frühzeitig aneine Tätigkeit als Hausarzt herangeführt. Im weite-ren Verlauf des Studiums werden sie engmaschigbetreut und erhalten Kontakt zu Hausärzten. Auchdas ist ganz wichtig, damit man schon einmal sieht,was in der Praxis tatsächlich an Aufgaben auf einenzukommt.

Der Lehrstuhl wird seit dem 1. Juli 2009 auch vomFreistaat Thüringen jährlich mit 145.000 € im Rah-men eines Werksvertrags gefördert. Der Gegen-stand des Vertrags ist die Entwicklung und Imple-mentierung von Ausbildungsinstrumentarien im Be-reich der Allgemeinmedizin, die die Nachwuchsför-derung für diesen Bereich zum Ziel haben. Inhalt-lich wird das Projekt nach einer dem Gesamtvorha-ben zugrunde liegenden Projektsskizze jährlich wei-terentwickelt.

Das durch das Sozialministerium geleitete Netz-werk zur hausärztlichen Nachwuchssicherung dientals Gremium des Erfahrungsaustauschs und derErarbeitung neuer innovativer Konzepte und derDiskussion verschiedener Lösungsansätze. Ständi-ge Teilnehmer sind die Krankenkassen, die Kas-senärztliche Vereinigung Thüringen, die Landesärz-tekammer Thüringen, die Thüringer Landeskran-kenhausgesellschaft sowie der Lehrstuhl für Allge-meinmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität inJena.

Auf der Grundlage der Selbstverwaltung besteht diezwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Thürin-gen, der Landesärztekammer Thüringen und derThüringer Landeskrankenhausgesellschaft imJahr 2010 gegründete Koordinierungsstelle Allge-meinmedizin. Deren Aufgaben bestehen darin, Ko-ordination und Organisation der Förderung der Wei-terbildung der Allgemeinmedizin aus einer Hand zugewährleisten und dem sich abzeichnenden Ärz-

temangel entgegenzuwirken und somit die haus-ärztliche Versorgung langfristig zu sichern.

Wir merken auch in dem Gremium - sicher wie invielen Gremien - nach einigen Anlaufschwierigkei-ten und Positionierungen der einzelnen Partner,dass es wirklich ein geeignetes Instrument ist, nichtDoppelarbeit zu machen und sich auch regelmäßigdem Thema zu widmen. Wir haben unter anderemdie gezielte Weiterbildung, allgemeinmedizinischeWeiterbildung im ambulanten wie im stationärenBereich damit erreicht und wir haben dreiseitige Ko-operationsverträge geschlossen. Es erfolgt eine Zu-sammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Allgemeinme-dizin an der FSU Jena.

Für das von der Koordinierungsstelle betreute Pro-jekt Blockweiterbildung zum Hausarzt konnten bis-lang 66 Teilnehmerinnen und Teilnehmer geworbenwerden. Weiterhin fördern die Kassenärztliche Ver-einigung Thüringen und die Krankenkassen Ärzte,die in Gebieten mit drohender Unterversorgungpraktizieren bzw. sich dort niederlassen. Ich möchtees an der Stelle nicht versäumen, der Vorsitzendender Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen, FrauFeldmann, besonders zu danken, denn viele derMaßnahmen, die ich aufgezählt habe, die kommenauch aus ihrem Ideenkasten, kann man so sagen,weil sie als Praktikerin natürlich am ehesten ge-merkt hat, was man tun muss. Es ist auch der Si-cherstellungsauftrag, den die KV sicher hat, abersie ist immer eine gute Gesprächspartnerin für unsgewesen. Ich sage das deswegen, weil sie in dieBundeskassenärztliche Vereinigung gewählt wurde,für die Hausärzte dort zuständig sein wird und wirihr natürlich ganz viel Glück wünschen, dass sie mitden Ideen, die sie hat, auch weiterhin für die Zu-kunft natürlich durchdringt,

(Beifall SPD)

damit wir in Thüringen von so einer sehr umtriebi-gen, auch kritischen, aber auch professionell arbei-tenden Person in diesem Bereich profitieren kön-nen.

(Beifall SPD; Abg. Dr. Augsten, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen, meine Herren, wir haben wegen die-ser drohenden Unterversorgung auch durch denzuständigen Landesausschuss der Ärzte und Kran-kenkassen Beschlüsse gefasst. Diese Beschlüssebeinhalten für einzelne Facharztbereiche und Ge-biete, in denen drohende Unterversorgung oder lo-kaler Versorgungsbedarf festgestellt wurden,grundsätzlich folgende Möglichkeiten: Förderung ei-ner Praxisneugründung sowie der Übernahme einerbestehenden Praxis mit einer Investitionskosten-pauschale in Höhe von 60.000 €. Es ist die Grün-dung einer Zweigpraxis möglich; die kann mit bis zu15.000 € gefördert werden und ebenso erhalten äl-tere Ärztinnen und Ärzte, die über 65 Jahre alt und

8380 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Ministerin Taubert)

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darüber hinaus auch tätig sind, 1.500 € pro Quartalzusätzlich zu ihrem Honorar. Seit Juli 2011 fördertder Freistaat Thüringen zudem die Ansiedlung vonÄrzten in den genannten Gebieten auch finanziell.Hierfür steht den Ärzten das mit EFRE-Mitteln fi-nanzierte Förderprogramm „Thüringen-Dynamik“offen. Durch dieses Programm erhalten Ärztinnenund Ärzte zinsgünstige Kredite, um damit ihre zuBeginn der Niederlassung zu tätigenden Investitio-nen für eine Praxisausstattung finanziell zu fördern.Da gilt mein Dank auch dem Thüringer Wirtschafts-ministerium, das sich aufgemacht hat, mit uns dasProgramm auf die Ärzte auszuweiten. Das, findeich, ist eine gute Sache, die wir da mit beiden Mi-nisterien gemacht haben.

Über diese bestehenden Maßnahmen hinaus sollenim Jahr 2012 noch weitere Maßnahmen erfolgen,um die ambulante medizinische Versorgung imFreistaat Thüringen zu verbessern. Auf der Grund-lage des mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetzzum 1. Januar 2012 neu eingeführten § 105Abs. 1 a SGB V kann die Kassenärztliche Vereini-gung Thüringen zur Finanzierung von Fördermaß-nahmen in unterversorgten und von Unterversor-gung bedrohten Gebieten bzw. in Gebieten, in de-nen lokaler Versorgungsbedarf besteht, einenStrukturfonds bilden. In diesen Strukturfonds flie-ßen 0,1 Prozent der Gesamtvergütung seitens derKassenärztlichen Vereinigung Thüringen und er-gänzend eine entsprechend gleich große Summeseitens der Krankenkassen. Die KassenärztlicheVereinigung Thüringen entscheidet über die kon-krete Mittelverwendung allein und kann gezieltMaßnahmen für die Niederlassung ergreifen bzw.finanzielle Anreize setzen. Dies können laut Gesetzinsbesondere sein: Zuschüsse zu den Investitions-kosten bei der Neuniederlassung oder der Grün-dung von Zweigpraxen, Zuschläge zur Vergütungund zur Ausbildung oder auch Nachwuchsförde-rung von Medizinstudenten durch die Vergabe vonStipendien. Die Kassenärztliche Vereinigung Thü-ringen wird aller Voraussicht nach bereits ab die-sem Jahr diesen Strukturfond einrichten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-neten, eine weitere Maßnahme - ich habe sie ein-gangs erwähnt - ist seitens der Landesregierungdie Einrichtung eines gemeinsamen Landesgremi-ums hier in Thüringen. Hierzu möchte ich Ihnenkurz den aktuellen Stand mitteilen, womit ich aufZiffer II.1. des Antrags eingehe. Mit dem GKV-Ver-sorgungsstrukturgesetz wurde zum 1. Januar 2012§ 90 a SGB V neu eingefügt. Dieser schafft eineRechtsgrundlage dafür, durch landesgesetzlicheRegelungen ein gemeinsames Landesgremium zuerrichten. Dieses Gremium besteht aus Vertreterndes Landes, der Kassenärztlichen Vereinigung, derLandesverbände der Krankenkassen sowie der Er-satzkassen und der Landeskrankenhausgesell-schaft sowie weiteren Beteiligten. Das Sozialminis-

terium beabsichtigt, von dieser Ermächtigung Ge-brauch zu machen und ein entsprechendes ge-meinsames Landesgremium in Thüringen zu errich-ten. Dieses Gremium soll Empfehlungen zu sekto-renübergreifenden Fragen der medizinischen Ver-sorgung im Freistaat Thüringen abgeben. Dadurchkönnen die derzeit getrennten Sektoren der medizi-nischen Versorgung - namentlich der ambulanteund der stationäre Sektor - miteinander vernetztwerden, um eine Verbesserung der medizinischenVersorgung der Thüringer Bevölkerung zu errei-chen. Durch das gemeinsame Landesgremium sol-len die in Thüringen bestehende ambulante undstationäre medizinische Versorgungslage unter-sucht und Versorgungslücken sowie Versorgungs-überangebote aufgezeigt werden. Dadurch sollenvorhandene Defizite und Ressourcen aufgedecktund die medizinische Versorgungssituation insge-samt verbessert werden. Die für die Errichtung desgemeinsamen Landesgremiums notwendige ge-setzliche Grundlage wurde durch das Sozialminis-terium bereits erarbeitet und befindet sich derzeit inder Abstimmung.

Meine Damen und Herren, ich möchte der Bitte, dieunter Ziffer II.2. des Antrags genannten Maßnah-men darzustellen bzw. die Möglichkeit neuer Maß-nahmen zu prüfen, gern nachkommen und möchtein diesem Zusammenhang auf zwei Aspekte nähereingehen.

Zum einen soll die unter Buchstabe b benannteVerzahnung von stationärer und ambulanter Ver-sorgung durch das soeben beschriebene gemein-same Landesgremium erfolgen.

Zu der unter Buchstabe d geforderten Prüfung derMöglichkeit zur Errichtung eigener medizinischerVersorgungszentren durch die Gemeinden kann ichFolgendes aufzählen: Wir haben mit § 95 Abs. 1 aSGB V die Gründung von MVZs geregelt. Sie kannzum einen erfolgen durch zugelassene Ärzte, durchzugelassene Krankenhäuser, durch Erbringer nicht-ärztlicher Dialyseeinrichtungen oder durch gemein-nützige Träger, die aufgrund von Zulassung oderErmächtigung einer vertragsärztlichen Versorgungteilnehmen. Das sind die regulären Teilnehmer undich will auch noch einmal darauf verweisen, weildas Thema, was können die Kommunen da tun, ge-regelt ist. Ich sage gleich wo, aber das sind zu-nächst erst einmal die Spieler auch im System undwir dürfen eines nicht machen, wir dürfen nichtüberreagieren und sagen, jetzt müssen wir alles aufKommune packen. Ich denke, die Kommunen ha-ben viele Aufgaben und im Einzelfall haben sienach § 105 Abs. 5 SGB V mit dem GKV-Versor-gungsstrukturgesetz auch die Einrichtung so einesMVZ in der Möglichkeit, aber das ist nur die Aus-nahmesituation. Wenn alle anderen, die ich geradebeschrieben habe, nichts machen können, weil keinArzt da ist, dann kann gegebenenfalls und auch nurnach Zulassung, also nach Rücksprache, die Ge-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8381

(Ministerin Taubert)

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meinde einstehen und ich denke, das ist auch derrichtige Weg. Ich denke, ich bin schon auch nahdran, was die Kommunen da drückt, dass sie auchgewillt sind, da etwas zu tun, das ist aller Ehrenwert, aber wir dürfen auch als Freistaat nicht darinverfallen und sagen, da musst du Kommune dasmachen, sondern wir müssen erst gemeinsam mitder KV versuchen, alle anderen Möglichkeiten aus-zuschöpfen. Wir haben die Möglichkeit bei denkommunalen Krankenhäusern, also die in kommu-naler Trägerschaft sind, zu sehen, gibt es auch gu-te Beispiele in Thüringen, dass diese kommunalenKrankenhausträger MVZs in unterversorgten Regio-nen schaffen, die dann nicht am Krankenhaus, son-dern weiter weg sind. Ich möchte Bad Salzungenals positives Beispiel ansprechen mit 6 MVZs in derRegion. Das ist eine gute Lösung gewesen unddann erst, wenn gar nichts mehr geht, dann kannman mit Kommunen sprechen und auch diese Mög-lichkeit einräumen.

Ich möchte abschließend auf Ziffer II.3. des Antragskommen, wozu ich ebenfalls einige Ausführungenmachen möchte. Durch das GKV-Versorgungs-strukturgesetz erfolgte eine Änderung des für dieVergütungsverhandlungen für die Hebammen rele-vanten § 134 a Abs. 1 SGB V, der um folgendenSatz 3 erweitert wurde: „Bei der Berücksichtigungder wirtschaftlichen Interessen der freiberuflich täti-gen Hebammen nach Satz 2 sind insbesondereKostensteigerungen zu beachten, die die Berufs-ausübung betreffen.“ Nach Auskunft der Geschäfts-stelle des Deutschen HebammenVerbandes e.V.laufen derzeit entsprechende Vergütungsverhand-lungen. Sie kennen das auch aus dem Jahr davor,die GRÜNEN haben sich auch da dankenswerter-weise immer mit einbinden lassen, um das auchnachdrücklich zu unterstützen an ganz präsenterStelle. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wirvor zwei Jahren, als wir Gesundheitsministerkonfe-renz hatten und auch gerade da der Protest lief -wir waren da auch in Hannover gewesen -, dass wirauch da noch mal betont haben als Gesundheitsmi-nisterinnen und -minister der Bundesländer, dasswir nachdrücklich wollen, dass Hebammen weiter-hin auch ihren Beruf ausüben können, und da be-deutet es natürlich, dass auch finanziell bestimmteDinge abgesichert sind durch die Krankenkassen.Das Ergebnis der jetzigen Verhandlungen bleibtwiederum abzuwarten. Entscheidend ist - das willich nochmals ausdrücklich betonen -, dass die Län-der hierauf keinen Einfluss haben, aber ich denkeschon indirekt, wenn wir uns dazu äußern, solltedas Herrn Bahr auch Anreiz sein, sich dafür zu en-gagieren.

Meine Damen und Herren, das war es so weit zudiesem Antrag von meiner Seite und ich hoffe, dasswir bei dem Thema weiter gemeinsam dranbleiben.Ich möchte mich auch bei allen Fraktionen im Thü-ringer Landtag bedanken, denn alles, was Sie tun -

jeder auf seinem Platz und an seiner Stelle, vor al-len Dingen auch in seiner Region -, wird uns helfen,dass wir drohenden Ärztemangel auch abwendenkönnen. Ich sage das ausdrücklich, wir sind an derStelle keine politischen Gegner, sondern wir ma-chen es gemeinsam. Das zeigt schon, dass auchbei den Gesundheitsministerinnen und -ministern,die allen Parteien angehören, die auch hier im Thü-ringer Landtag vertreten sind, die gleiche Meinungherrscht. Wir müssen gemeinsam den Bund an derStelle immer wieder drängen, dass wir gesundheitli-che Versorgung auf dem derzeitigen Niveau auchhalten können. Herzlichen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Frau Ministerin Taubert. Ich weise Siedarauf hin, dass gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 der Ge-schäftsordnung Beratungen zu Berichten der Lan-desregierung grundsätzlich in langer, also doppelterRedezeit behandelt werden. Ich frage Sie jetzt: Istdie Beratung zum Sofortbericht gewünscht? Gibt esWiderspruch? Den sehe ich nicht. Dann eröffne ichjetzt auf Verlangen aller Fraktionen die Beratungzum Sofortbericht zu Nummer I des Antrags undgleichzeitig die Aussprache zu Nummer II des An-trags. Mir liegt eine Rednerliste vor und das Worthat als Erster Herr Abgeordneter Kubitzki für dieFraktion DIE LINKE.

Abgeordneter Kubitzki, DIE LINKE:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, denSinn des Antrags sehe ich darin, dass wir über die-ses Thema sprechen, dass wir uns informieren,was läuft bis dahin schon. Ansonsten muss ich sa-gen, ist der Antrag, er ist da, aber die Vorschläge,die da drin sind, ob das nun der große Wurf ist, umda nachhaltig etwas zu erreichen, das sei dahinge-stellt. Aber wichtig ist - und Frau Ministerin, da gebeich Ihnen recht -, wir brauchen Lösungen, die vorallem nachhaltig sind und was vor allem gefragt ist,man muss Ideen anbringen, man sollte über Ideenreden und nicht von vornherein sagen, weil sie vonder einen Partei kommen oder von der anderenPartei, wir lehnen sie erst mal ab, sondern mansollte wirklich dort nach Möglichkeiten suchen, wasist machbar, was ist nicht machbar.

Eines muss ich sagen, also das stimmt in dem An-trag, das steht aber in der Begründung, dort stehtsinngemäß: Es gibt nicht den Hebel zur Sicherstel-lung der ärztlichen Versorgung. Da muss ich sagen,das Allheilmittel, wie wir das Problem lösen können,gibt es nicht. Wir müssen nach mehreren Möglich-keiten, nach mehreren Varianten suchen. Wir wer-den testen müssen, ist das eine möglich oder istdas andere möglich. Ich sage aber auch, medizini-sche Versorgung im ländlichen Raum ist nicht nurdie Versorgung mit Ärzten, das ist ein Teil. Wenn in

8382 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Ministerin Taubert)

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einer größeren Gemeinde, in der noch ein Arzt vor-handen ist und - ich sage zum Beispiel - eine Apo-theke vorhanden ist, und der Arzt hört auf, es wirdkein Nachfolger gefunden, dann stirbt mit der Zeitauch die Apotheke. Das müssen wir an der Stellezum Beispiel sagen. Auch das muss beachtet wer-den und gehört mit zur medizinischen Versorgung.

Im Einzelnen etwas zu dem Antrag: Die Schaffungdes Gremiums ist eine Möglichkeit und das SGB Vlässt das zu und ist gegenwärtig auch meiner Auf-fassung nach die einzige Möglichkeit, dort Einflussauf Strukturfragen zu nehmen. Ich wollte an dieserStelle hinweisen, das geht aber auch nur aufGrundlage eines Gesetzes. Sie haben jetzt gesagt,an der Gesetzeserarbeitung ist man dran. Ich binauf alle Fälle der Auffassung, die Schaffung diesesGremiums und die Arbeit dieses Gremiums mussauf Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Das ist nurein Baustein, aber was wichtig ist, dass dieses Gre-mium Transparenz haben muss, also dass Trans-parenz vorhanden ist. Es bleibt natürlich die Frage,weil die entsprechenden Paragraphen dem Gremi-um nur Empfehlungen an die Landesausschüssegeben können. Ich hätte dann schon mehr gehabt,aber das hat der Bundesgesetzgeber gemacht. Dasliegt jetzt nicht in unserer Möglichkeit, aber viel-leicht kann man per Gesetz Möglichkeiten schaffen,dass zumindest die Wertigkeit der Empfehlung desGremiums in irgendeiner Form, dazu habe ich nochkeine Lösung, schon eine gewisse Untermauerungbekommen. Es bleibt abzuwarten, wie die Empfeh-lungen des Gremiums nun durch den Landesaus-schuss und durch die Selbstverwaltung akzeptiertund beachtet werden oder nicht.

Zum nächsten Punkt: Ausbau des Lehrstuhls fürAllgemeinmedizin. Da muss ich sagen, wir sindfroh, das hat auch in der letzten Legislatur einenlangen Kampf gekostet, dass es diesen Lehrstuhlgibt. Nach jetzigen Erkenntnissen und Aussagen istder Lehrstuhl ausgelastet. Inwieweit Kapazitätenvorhanden sind, den zu erweitern, was im Antraggefordert wird, ich glaube, das muss man erst malprüfen. Aber das Problem ist, wenn dort auch aus-gebildet wird, wie viele Ärzte bleiben in Thüringen.Das ist das Problem dort. Ich kann noch mal denLehrstuhl um 50 Plätze erweitern, da steht abernoch nicht fest, ob die 50 neuen Plätze für die, diedort studieren, wenn sie fertig sind, in Thüringenbleiben. Das heißt also, es bleibt die Frage, wirmüssen Anreize schaffen, dass Ärzte hier in Thürin-gen bleiben. Die Frage ist auch, wenn wir den Lehr-stuhl schon erweitern wollen, haben wir genugKrankenhäuser in Thüringen, die den Status einesakademischen Lehrkrankenhauses haben? Das istletzten Endes eine Voraussetzung, die damit ver-bunden ist, wenn ich so einen Lehrstuhl erweitere.

Ich sage immer, wir müssen auch an die Hemmnis-se herangehen, die einen Arzt hindern - also einenjungen Arzt vor allem -, Hemmnisse versuchen zu

beseitigen oder zumindest zu beachten, welche esdort gibt. Warum soll sich ein junger Arzt auf demLand niederlassen? Ich will mal sagen, wenn dieweichen Standortfaktoren für ihn nicht stimmen,wenn ich jetzt als junger Arzt hinkomme, habe eineFamilie und soll auf das Land gehen und habe aberim größeren Umkreis keine Kita, die Schule ist ge-rade geschlossen worden, der Weg zur Kultur istweit. Auch das gehört zum Leben und zum Anreizdazu.

Eine andere Seite ist aber auch, ein Arzt auf demLande, der muss sich höheren Anforderungen stel-len als ein Arzt in der Stadt, Hausbesuche, weiteWege, die er absolvieren muss, mehr Hausbesucheals ein Arzt in der Stadt. Wie wird es aber vergütet?Er bekommt die gleiche Vergütung wie der Arzt inder Stadt. Ich glaube - das ist allerdings jetzt wiederBundesebene -, auch darüber muss man nachden-ken, welche Lösungen es dort geben kann.

Was jetzt hier noch in dem Antrag die Problematikist, zum Beispiel auch Schaffung von medizinischenVersorgungseinrichtungen durch und in Kommu-nen. Da gibt es mehrere Möglichkeiten, Sie habensie ja schon genannt: MVZs, MVZs auch durchKrankenhäuser. Es sollten alle Möglichkeiten aus-geschöpft werden, aber ich sage auch, man sollnicht einfach sagen, die Kommunen nicht unbe-dingt. Auch diese Möglichkeiten sollte man prüfen,wenn es auch nach Ihrer Auffassung der letzte Wegerst einmal sein sollte. Aber was da geklärt werdenmuss, wenn solche Einrichtungen auf dem Landgeschaffen werden, ist die Anschubfinanzierung.Die Mittel, die Sie vorhin schon aufgezählt haben,die sollten dann aber auch nach Möglichkeit einerKommune gegeben werden, um die Anschubfinan-zierung dieser Einrichtungen zu machen. Ich plä-diere dafür - wir nennen das bei uns das ModellLandambulatorium, egal wie das jetzt heißt -, dassKommunen diese Möglichkeit haben, dass aberauch die KV das machen kann, dass Krankenhäu-ser das machen können in Form von MVZs. AllesMögliche sollte gemacht werden. Aber wir solltenauch über solche Sachen nachdenken, z.B. fahrba-re barrierefreie Arztpraxen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Pidde, SPD)

Erstens komme ich da noch früh genug hin, zwei-tens reicht es, wenn ich morgen Abend spät dortbin.

(Heiterkeit SPD)

Aber zum Thema wieder zurück: Wir sollten auchüber solche Formen nachdenken, wie z.B. fahrbareArztpraxen, die also in die ländlichen Gemeindenkommen, wo ein Arzt dort ist oder man sollte aucheinmal über so eine Form nachdenken, so eine ArtShuttle-Service einzurichten, wo ich die Patientenin die Arztpraxis bringe, die in einer größeren Land-

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8383

(Abg. Kubitzki)

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gemeinde noch ist, oder im Prinzip zu der Arztpra-xis, die in der Kreisstadt ist.

Zu Zweitniederlassungen hatten Sie schon etwaszu dieser Möglichkeit gesagt, die es gibt, ich sagenatürlich, das, was im Antrag mit der Fachkräfte-werbung über die Agentur für Fachkräfte ist, kannman machen, aber die Frage ist, welche Anreiz-möglichkeiten habe ich, damit ein Arzt aufs Landgeht. Wir sollten hier eine breite Diskussion führen -nicht unbedingt heute -, aber das Thema wird unsbegleiten, wir sollten weiter in den Ausschüssen da-rüber reden und wir werden dem Antrag zustim-men.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kubitzki. Das Worthat jetzt Herr Abgeordneter Untermann für die FDP-Fraktion.

Abgeordneter Untermann, FDP:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, dasGKV-Versorgungsstrukturgesetz - das sind immersolche Ausdrücke - ist die Grundlage des vorliegen-den Antrags und dies ist nicht zu Unrecht, denn esbietet Antworten auf die Sorgen und Nöte der Men-schen, auch zukünftig eine gute medizinische Ver-sorgung gerade im ländlichen Raum - was wir jadiese Woche schon einmal ausführlich behandelthatten - zu erleben. Zwar wird auch künftig kein Mi-nister einen Arzt zwingen, in unterversorgte bzw.von Unterversorgung gefährdete Gebiete zu zie-hen, aber es bildet die Rahmenbedingung, damitdie Sicherstellung medizinischer Leistungen auchkünftig möglich ist.

Das liberal geführte Bundesgesundheitsministeriumhat die Prioritäten in der Gesundheitspolitik inDeutschland verändert. Während lange Jahre inDeutschland mehr Geld für Arzneimittel als für dieambulante Versorgung ausgegeben wurde, könnenwir nun feststellen, dass in Deutschland wiedermehr Geld für die ambulante Versorgung als für dieArzneimittel ausgegeben wird. Generell steht seitmehr als 30 Jahren erstmalig die Frage im Raum,ob aufgrund der Rücklagen der Krankenkassen dieVersicherten entlastet werden können.

So, jetzt lasse ich mal ein paar Seiten weg, weil dasschon gesagt wurde.

(Beifall und Heiterkeit im Hause)

Wir in Deutschland können stolz darauf sein, dassunser Gesundheitssystem so leistungsfähig ist, dasmuss man mal grundsätzlich auch hier betonen.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Aber was bietet das GKV-Versorgungsstrukturge-setz eigentlich? Nun, es ist das erste Gesetz, dassich überhaupt den verschärften Problemen desÄrztemangels annimmt. Die Sicherstellung der am-bulanten ärztlichen Versorgung soll nun über dieWeiterentwicklung der Bedarfsplanung der Ländererreicht werden. Hier trug die Bundesregierungauch dem lauten Ruf der Länder nach mehr Ein-fluss Rechnung. Es soll künftig zum Beispiel mög-lich sein, die Planungsbereiche zu flexibilisieren,die Möglichkeit der Berücksichtigung der Demogra-phie und der damit erhöhten Mobilität und Arzt-Pati-enten-Kontakte bei der Anpassung der Verhältnis-zahlen auf Landesebene von den Vorgaben desgemeinsamen Bundesausschusses bei der Aufstel-lung des Bedarfsplans auf Länderebene abzuwei-chen, Krankenhausärzte in die Bedarfsplanung ein-zubeziehen, die Möglichkeit zur Erteilung von Son-derzulassungen sektorenübergreifend der Organi-sation des ärztlichen Notfalldienstes. Kassenärztli-che Vereinigungen können Strukturfonds bildenund damit gezielt Niederlassungen fördern. Die Auf-hebung der Residenzpflicht für Vertragsärzte, er-leichterte Grundlagen zur Delegation von ärztlichenLeistungen und anderer Gesundheitsberufe, Unter-stützung mobiler Versorgungskonzepte wie z.B. anweiteren Orten und Bildung von Zweitpraxen, diebessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oderim Ausnahmefall, dass Gemeinden selbst eigeneEinrichtungen betreiben können usw. usf.

Sie sehen, auf die Akteure des Gesundheitswesenskommen große Herausforderungen zu, auch gera-de für die Gesundheitsministerien der Länder. Wirsind schon sehr gespannt, welche Lösung uns dieLandesregierung bis Jahresende 2012 präsentierenwird, denn eine weitere zentrale Neuerung ist es,dass die Akteure und damit auch die Länder mehrGestaltungsmöglichkeiten haben und damit in einenWettbewerb der besten Lösungen eintreten.

(Beifall FDP)

Ich hoffe, wir werden Lösungen in Thüringen fin-den, von denen andere Länder lernen können undThüringen profitiert.

(Beifall Abg. Mühlbauer, SPD)

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Da hört dochmal hin.)

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das war einguter Satz, den kann man so stehen lassen.)

Ich bin gleich fertig.

Wenn ich mir aber die Arbeitsgeschwindigkeit beider Hygieneverordnung ansehe, die viele Wochenüber den bundesgesetzlich verankerten Termin hin-ausgeht, befallen uns als Liberale berechtigte Zwei-fel.

(Beifall FDP)

8384 Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012

(Abg. Kubitzki)

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Wir werden jedenfalls diesen Prozess kritisch, abermit Wohlwollen begleiten. Ich freue mich dann auchschon oder mein Kollege Koppe wird sich auchfreuen, wenn dies im zuständigen Ausschuss fürSoziales, Familie und Gesundheit und im Haus-halts- und Finanzausschuss beredet wird und dar-um bitte ich. Danke.

(Zwischenruf Abg. Blechschmidt, DIE LINKE:Mal sehen, was wir machen können.)

(Beifall FDP)

Vizepräsidentin Hitzing:

Herzlichen Dank, Herr Abgeordneter Untermann.Das Wort hat jetzt Abgeordneter Gumprecht für dieCDU-Fraktion.

Abgeordneter Gumprecht, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen undHerren, der heutige Antrag hat einen längeren Ur-sprung, der Start begann nämlich im vergangenenJahr. Unsere Fraktion hatte einen runden Tisch mitzahlreichen Partnern, nämlich 18 wesentlichenPartnern aus Thüringen, eingerichtet, natürlich mitdem Ziel, Vorschläge zur Verbesserung der ärztli-chen Versorgung zu erarbeiten. Diese Methode hatsich als sehr konstruktiv erwiesen. Natürlich bautder runde Tisch auf einer Reihe schon vorhandenerMaßnahmen auf. Ich möchte hier nur eine nennen.Frau Ministerin hat dies sehr ausführlich in ihremBericht getan. Ich möchte mich noch mal dafür be-danken.

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Die hört doch gar nichtzu.)

Dennoch hat eine Ministerin immer so viel Aufmerk-samkeit, dass sie das auch noch hört.

Ich möchte nur eine nennen, und zwar die Stiftungzur Förderung der ambulanten ärztlichen Versor-gung. Diese hat gerade in diesem Jahr im Bundes-wettbewerb eine Auszeichnung erhalten, und zwarin dem Wettbewerb „365 Orte im Land der Ideen“.Ich denke, das ist etwas, was Thüringen hier ganzbesonders hervorhebt. Die Arbeit fand neben derTatsache, dass natürlich sehr viele Entscheidungenauf Bundesebene liegen oder in der Hand der KVder Selbstverwaltung, immerhin 200 Anregungen,die bedenkenswert waren, natürlich einstimmig. DieMethode des runden Tisches waren 50 konkreteVorschläge, auf die wir uns verständigt haben. Siekönnen sie nachlesen auf den Internetseiten unse-rer Fraktion. Ich habe den Bericht hier mit, den willich nicht vortragen.

Meine Damen und Herren, ich möchte nur kurznoch auf ein zweites Thema eingehen, das natür-lich heute auch Basis war, die Diskussion auf Bun-desebene, was hat sich dort getan. Mit dem GKV-

Versorgungsgesetz sind natürlich eine Menge Mög-lichkeiten geschaffen worden, weil auch das Themavorhin kam, dass ein Arzt nicht mehr die Präsenz-pflicht hat. Mit der Öffnung der Präsenzpflicht kannich nämlich den Wohnort vom Arbeitsort trennen.Ich halte es für schwierig, weil das gerade denLandarzt ausgemacht hat. Er war immer zu errei-chen. Aber die Vorstellungen unserer jungen Leutesind heute andere. Wir müssen uns auf die Lebens-welt unserer jungen Leute einrichten und dem müs-sen wir Rechnung tragen. Deshalb gab es auch ei-ne Reihe Ideen im Gesetzgebungsverfahren.

Ich möchte aus unserem Antrag nur auf fünf The-men eingehen, einmal die Möglichkeit, die wir hierversuchen zu initiieren und worauf die Ministerinschon eingegangen ist, dass dieses gemeinsameGremium errichtet wird. Ich bin froh, dass sie es ge-sagt hat, die gesetzlichen Voraussetzungen werdenjetzt dazu geschaffen. Entscheidend werden wiruns darüber sicher noch sehr umfangreich hier andieser Stelle unterhalten können, wer wird mitwir-ken, was sind die Arbeitsaufgaben, wie groß ist dasGremium, wie konstruktiv kann das sein, was ist dieAufgabe des Landes? Ich denke, das ist sehr um-fangreich.

Ein zweiter Themenschwerpunkt ist für mich derLehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität. Die FSU gehört zu den16 deutschen medizinischen Fakultäten mit einemeigenen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin.

(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Eine der besten.)

Es versteht sich, und sie ist gerade jetzt im Rankingder Universitäten als eine der besten mit aufgenom-men worden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, das zeugt auch davon, dass auf dereinen Seite die praktische Tätigkeit sehr wichtig ist,aber die Lehre genauso in der Weise. Das ist jadas, was wir brauchen. Wir brauchen in ZukunftStudenten, die auch eine große Begeisterung ha-ben, damit sie in Thüringen bleiben.

Wenn wir den Bericht der Uni Trier lesen, der in derletzten Zeit entstanden ist, um die Frage, wie vieleStudenten denn zum Beispiel in deutschen Hoch-schulen studieren, dann sagt dieser aus, dass Jenamit 360 Studenten immerhin eine Quote von3,5 Prozent in Deutschland hat, die über dem Thü-ringendurchschnitt oder dem Bundesdurchschnittliegt. Dennoch muss man feststellen, dass nach wievor 70 Studenten außerhalb von Thüringen studie-ren. Das bleibt zum Beispiel auch Aufgabe dieserEinrichtung, die so im Klacks abgeklatscht wurde,gerade diese anzusprechen. Warum sollen die 70nicht wieder zurück nach Thüringen kommen? Ichdenke, das ist eine konkrete Maßnahme. Genausowie man darüber nachdenken muss, kann ich im

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8385

(Abg. Untermann)

Page 110: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

Rahmen der jetzigen Möglichkeiten auch über einehöhere Studentenzahl nachdenken? Ich denke, dassind eigentlich Fragen, die auch gestellt werden.Ich bin mir da sicher, dass man da nicht einfach sodarüber hinweggeht. Es reicht doch aus. Ich denke,da gibt es genug Verantwortlichkeiten auf diesemGebiet.

Ich möchte noch zwei Themen ansprechen. Das ei-ne Thema wurde vor allem in der letzten Zeit sehremotional diskutiert, und zwar bei der Tagung deröffentlichen Gesundheitseinrichtungen: das Themader Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Das isteine Herausforderung, der wir uns in den nächstenJahren stellen müssen. Das hat mehrere Ursachen.Eine der Hauptursachen ist die ungleiche Honorie-rung. Dort ist gerade der Öffentliche Gesundheits-dienst gegenüber angestellten Ärzten in den letztenJahren benachteiligt worden. Das ist ein Themanicht des Landes, sondern der Tarifpartner. Aberdennoch wird das hier zur Problematik werden. Daswird ein Thema sein, dem wir uns stellen.

Das zweite Thema - das hat die Ministerin schonangesprochen - ist die Frage der Hebammen. Ichdenke, dieses Problem muss dringend gelöst wer-den. Der Bundesminister Bahr, der vor vier Wochenhier war, hat sich dazu geäußert. Ich erwarte nun,dass er auch diese Zusage umsetzt.

Zur Verzahnung des ambulanten Sektors undebenso auf die Frage der medizinischen Versor-gungszentren möchte ich nicht eingehen.

(Beifall Abg. Mühlbauer, SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben sicherlich indiesem Jahr noch über weitere Themen - gerade imGesundheitsbereich - zu diskutieren, über das The-ma Pflegekräftebedarf. Wir werden uns auch nochkonkret über die Frage unterhalten, wie das Errich-tungsgesetz des gemeinsamen Ausschusses aus-sehen wird? Deshalb werbe ich heute um Zustim-mung zu unserem Antrag, vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gumprecht. DasWort hat jetzt Frau Abgeordnete Siegesmund fürdie Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Abgeordnete Siegesmund, BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen undHerren. Frau Ministerin Taubert, vielen Dank auchvon mir für den Sofortbericht. Ich habe mir ehrlichgesagt gewünscht, dass wir den Antrag im nächs-ten Plenum besprechen, aber nicht, weil es Freitagnach 18.00 Uhr ist, sondern weil meine Fraktion am18. April eine Kleine Anfrage zu dem Thema einge-reicht hat mit ganz vielen Detailfragen, deren Ant-

worten Sie uns aber heute leider trotzdem nochschuldig geblieben sind. Ich nenne mal ein paarBeispiele; die Frage des gemeinsamen Landesgre-miums, was eingerichtet werden soll nach § 90 aSGB V, wann das kommen soll? Das haben Siezum Beispiel leider nicht gesagt. Wer da Mitgliedsein soll, wie die Landesregierung die Verteilungder unterschiedlichen Interessengruppen in demGremium sieht, in welchen Bundesländern es dasvielleicht gibt und wo man Anleihe nehmen kannund wer in den Landesausschuss entsendet wirdund viele, viele andere Fragen, die hätte man ein-fach, wenn das im nächsten Plenum dran gewesenwäre, heute hier besser diskutieren können. Jetztist es eben so.

Ich habe Ihrem Bericht aber sehr aufmerksam zu-gehört und zumindest haben Sie ja gesagt, dassdas Ganze in Planung ist. Zum Zweiten haben Sieja auch deutlich gemacht, welches Maßnahmepa-ket jenseits davon geschnürt wird, also können wirauch heute darüber reden. Ich will aber gleich andieser Stelle sagen, es macht eine Überweisungdes Antrags trotz allem großen Sinn, weil wir dasheute nicht abschließend beraten können, weil zen-trale Fragen in Ihrem Antrag, den Sie berechtigter-weise stellen, offen geblieben sind.

An vielen Stellen kann ich mich meinen Vorrednernanschließen. Gesundheitspolitiker diskutieren nichtso streithaft miteinander, weil wir eigentlich alle dasGleiche wollen, nämlich das Beste für Patientinnenund Patienten.

(Beifall Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt für das, was Herr Gumprecht ausführte,ebenso wie für das, was Herr Kubitzki sagte. Nochbreiter kann man sich politisch nicht aufstellen; andieser Stelle sind wir uns, glaube ich, sehr, sehr ei-nig. Wir sind uns auch einig, dass der demographi-sche und soziale Wandel uns in Thüringen vor im-mense Herausforderungen stellt und dass infolgedes Anstiegs des Anteils älterer Menschen vieleKrankheiten, chronische Krankheiten, Mehrfacher-krankungen zunehmen und wir deswegen neueKonzepte und Ideen brauchen und pfiffige Ideenbrauchen. Deswegen muss sich auch die Art derVersorgung ändern, weg von der reinen arztzen-trierten Behandlung hin zu einer ganzheitlichenVersorgung.

Deswegen hat sich unsere Fraktion in den vergan-genen Wochen und Monaten auch auf Tour, aufden Weg gemacht, in verschiedenen Städten inThüringen eine Gesundheitstour veranstaltet, mitExpertinnen und Experten geredet. Wir haben vieleKrankenhäuser und MVZs besucht und ich kannweitestgehend das, was Frau Ministerin dargestellthat - übrigens auch die gute Aufstellung in Bad Sal-zungen - unterstreichen. Das ist völlig richtig, dassda in Teilen ein großes Stück Weg gegangen wur-

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(Abg. Gumprecht)

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de. Nichtsdestotrotz stellt sich die Landschaft dermedizinischen Versorgung als überaus heterogendar. Das ist nun mal so, dass wir zum Teil ein Über-angebot an Arztpraxen aller Arten und Fachrichtun-gen in Ballungsgebieten haben und an andererStelle jetzt schon einen deutlichen Mangel, dassagt ja auch die Kassenärztliche Vereinigung, dieangibt, dass derzeit 234 Hausärzte und Hausärztin-nen sowie 47 Fachärzte für die ambulante Versor-gung im Freistaat benötigt werden und dass dieserMangel bis 2020 um 12,5 Prozent steigt. Mit ande-ren Worten: Es ist immer begrüßenswert, dass dieFraktionen von SPD und CDU sich kreativ mit die-sem Thema auseinandersetzen, da schließen wiruns gern an.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe eine Sache so ein bisschen vermisst indem Bericht der Ministerin und das ist die grund-sätzliche Bewertung des GKV-Versorgungsstruktur-gesetzes. Ich nehme an, das hat auch einfach ander Stelle wirklich etwas damit zu tun, wie sich aufBundesebene aufgestellt wird. Meine Bundestags-fraktion hat eine sehr umfassende Formulierung da-zu gefunden, wie sie das Ganze bewertet, undspricht am Ende davon, dass es nichts anderes seials ein Sammelsurium unterschiedlichster Rege-lungen, die aber auch nicht dahin führen, dass wirzufrieden sein können.

Ein Beispiel möchte ich an dieser Stelle anbringen,das ist auch im Antrag von CDU und SPD genannt,und zwar geht es da um die bessere Verzahnungvon stationärer und ambulanter Versorgung. Dasind wir der festen Überzeugung, dass die Zusam-menlegung des ambulanten und stationären Sek-tors für bestimmte Erkrankungen zwar vernünftigist, nämlich so, dass sie Krankenhäusern und Ärz-ten nützt, aber nicht wirklich den Patientinnen undPatienten, weil die Instrumentarien fehlen, mit de-nen Krankenkassen die Versorgung steuern undgute Qualität belohnen können. Das ist nur einAspekt, bei dem man sieht, dass wir eigentlich nocheine deutlich weitergehende Diskussion führenmüssten, deswegen auch mein Wunsch, das imAusschuss mit Ihnen weiterzuberaten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir brauchen, ist eine Politik, die sachgerechtund sektorübergreifend Versorgungsplanungmacht, die die Primärversorgung aufwertet und dieKooperation der Gesundheitsberufe vor allen Din-gen fördert und außerdem Anreize gegen die ver-breiterte Über- und Fehlversorgung schafft.

Noch mal: Wir haben eine sehr heterogene Aufstel-lung in Thüringen. Das lässt sich sehr wohl - daswurde vorhin auch schon gesagt - nicht mit einemPatentrezept lösen, wohl aber mit guten, kreativenIdeen.

Zum Antrag und den einzelnen Punkten noch in al-ler Kürze vielleicht auch aus Erfahrung während derGesundheitstour einfach ein, zwei Gespräche fürSie zum Nachvollziehen: Zum Thema Ausbau desLehrstuhls für Allgemeinmedizin, das ist alles ganztoll, aber wenn Sie sich mal mit Ärzten, die in unter-versorgten Gebieten arbeiten, unterhalten, dann sa-gen die, was bringt uns das, dass Sie jetzt diesenLehrstuhl aufpeppen. Diejenigen, die da jetzt anfan-gen zu studieren, sind frühestens in zehn Jahrenfertig - frühestens. Bis dahin müssen wir irgendwiekommen. Das heißt, wir brauchen auch Ideen, wiewir die Ärzte, die jetzt in unterversorgten Gebietenbehandeln, befähigt werden, einfach viel mehrMenschen behandeln zu können mit kreativen In-strumenten von AGnES bis VERA usw. angefan-gen. Sie wissen, Sie kennen diese Konzepte zurGemeindekrankenschwester.

Zur Frage der Verzahnung von stationärer und am-bulanter Versorgung habe ich schon etwas gesagt.Ich will aber noch einen Satz sagen zur Frage derHebammenarbeit. Ich weiß nicht, warum Sie dashier aufgenommen haben. Das scheint mir so einbisschen willkürlicher Mischmasch, weil es maldran war. Die Hebammen, denen es an vielen Stel-len wirklich schlecht geht, vor allen Dingen deswe-gen, weil sie so schlecht bezahlt werden, dass sieechte Nachwuchsprobleme haben,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN)

und die so eine wichtige und so eine unglaublichgute Arbeit leisten, denen ist nicht damit geholfen,dass Sie hier ganze zehn Worte für diese Berufs-gruppe übrig haben. Der schöne Spruch, den fastjede Hebamme auf ihrem Köfferchen, den sie im-mer bei sich hat, drauf trägt, nämlich „Kinder tungut, nur Mut“, der gewinnt dadurch jedenfalls nichtmehr Gewicht.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie sich da etwas Besseres einfallen. Siesitzen am längeren Hebel, da nehmen wir auch ih-ren Antrag ernst. Sollten Sie nicht vorhaben, diesenAntrag an den Ausschuss zu überweisen, werdenwir dem nicht zustimmen können, weil er so einSammelsurium ist und weil er der Tatsache, dasswir da noch viel tiefgründiger arbeiten müssen - ichkann auch sagen, er ist unterkomplex, das trifft esam besten -, einfach nicht gerecht. Wir würden unsan dieser Stelle enthalten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Hitzing:

Danke, Frau Abgeordnete Siegesmund, war dasjetzt von Ihrer Seite die Beantragung zur Überwei-sung an den Ausschuss?

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8387

(Abg. Siegesmund)

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(Zwischenruf Abg. Siegesmund, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN: Ja.)

Gut, danke. Das Wort hat jetzt Herr AbgeordneterDr. Hartung für die SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Hartung, SPD:

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren,ich bin der letzte Redner und das ist sehr gut, weilich mich dann kurzfassen kann, denn das meistewurde schon gesagt. Sehr viel Richtiges ist gesagt,wir sind uns alle überwiegend einig. Eine Sache, damöchte ich Herrn Gumprecht - mit dem wir zusam-men den Antrag hier erarbeitet haben - trotzdem wi-dersprechen. Ein Mehr an Studenten wird das Pro-blem leider nicht lösen, weil wir schon während desStudiengangs 20 Prozent verlieren, aber zwischenStaatsexamen und Anmeldung bei der Landesärz-tekammer noch mal um die 20 Prozent verlieren.

(Beifall SPD)

Während der Facharztausbildung gehen dann30 Prozent jedes Jahrgangs noch mal ins Ausland.Das heißt, wir verlieren vom Studienbeginn bis zudem Zeitpunkt, an dem die Leute Facharzt sind,sich niederlassen könnten, überwiegend 70 Prozentder Studenten an das Ausland - nicht alle, manchekommen wieder, manche gehen nur zeitweilig, aberman kann das nicht so 100-prozentig sagen. Wirmüssen da also die Bemühungen intensiveren undnicht extensivieren. Wir müssen die Leute, die hierstudieren, hier halten, dauerhaft hier halten.

Da ist gerade von der Ministerin ein ganzer Mix anMaßnahmen vorgestellt worden. Diese Maßnah-men werden uns sicher helfen. Aber in der Pflichtist natürlich auch die Kassenärztliche Vereinigung,die Frau Feldmann ist ja ausdrücklich gelobt wor-den. Für mich ist die Nagelprobe bei der Kassen-ärztlichen Vereinigung erstens der Umgang mit denRegressforderungen an Ärzte, die zu viel gearbeitethaben, denn es ist ziemlich widersinnig, dass wirauf der einen Seite sagen, wir haben einen Ärz-temangel. Auf der anderen Seite machen wir Pra-xen durch sechsstellige Regressforderungen platt,weil sie zu viele Patienten gehabt haben; das istschizophren.

Das Zweite, bei dem ich die KV in die Pflicht neh-me, wenn sie tatsächlich jetzt die Regelleistungsvo-lumina verändern. Das möchte ich bitte als Len-kungsfunktion verstanden wissen. Das heißt, siewerden dort verändert, wo wir einen Ärztemangelhaben. Wo wir keinen Ärztemangel haben, mussman sie nicht zwingend verändern. Deswegen wür-de ich da sagen, ein bisschen Veränderung mit Au-genmaß, das ist auch sehr wichtig.

Die Definition des Mangelgebiets gehört endlich aufden Prüfstand, denn auch in Gebieten in Regionenmit 110-prozentiger Ärzteauslastung - also die vollversorgt sind - gibt es Fachrichtungen, zu denen

man heute hingeht und sagt, ich brauche einen Ter-min. Da sagen die, kommen Sie nächsten Monat,da vergeben wir die Termine für das übernächsteQuartal. Wir brauchen also die Neudefinition, wo istein Mangelgebiet, wie viele Ärzte brauchen wir vonjeder Fachrichtung in entsprechender Altersstruk-tur. Da ist auch viel zu tun. Aber, ich denke, wir sindmit diesen Maßnahmen auf einem richtigen Weg.Da hat der Freistaat auf jeden Fall die Funktion, dieLeute an einen Tisch zu bringen, auch die Marsch-richtung vorzugeben. Ich persönlich finde es sehrwichtig, dass wir hier klargemacht haben, dass wirdie Kommunen, die keinen anderen Weg mehr fin-den, einen Arzt in ihre kommunalen Grenzen zubringen, in die Lage versetzt haben oder in die La-ge versetzen können, das zu tun. Sie sind nicht dererste Ansprechpartner, sie sind nicht die Ersten inder Pflicht, aber sie sind diejenigen, die jetzt zumin-dest nicht mehr als Bittsteller von Pontius zu Pilatuslaufen müssen, um da irgendwelche Ärzte aufzu-treiben, sie können selber auch aktiv werden. Dasist ein Gewinn an Möglichkeiten, ein Gewinn anQualität und deswegen ist das zu begrüßen. VielenDank.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Hartung. Eshat sich noch einmal zu Wort gemeldet Frau Minis-terin Taubert.

Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen undHerren Abgeordneten, ich will Sie auch nicht längerals die nächste halbe Stunde belästigen.

(Beifall SPD)

Aber es sind schon noch ein paar Fragen aufge-worfen worden, da möchte ich nicht, dass die sounbeantwortet stehen bleiben. Frau Siegesmundhat GKV-Versorgungsstrukturgesetz angesprochen;ich denke, wir haben uns oft in der Zeitung dazugeäußert, nicht nur die SPD auf Bundesebene, son-dern wir auch als Ministerium, und das hat einenganz nüchternen Grund. Wir haben zwei Jahre, be-vor Herr Minister Bahr einige unserer Anregungenaller Landesgesundheitsminister aufgegriffen hat,darüber beraten, wirklich parteiübergreifend, A- undB-Seite zusammen, ist ein langes Papier erarbeitetworden, das wir auf der Gesundheitsministerkonfe-renz im Jahr 2009 dann auch einstimmig beschlos-sen haben. Das heißt, die Vorarbeit für dieses Ge-setz, die ist auf jeden Fall in den Ländern geleistetworden. Deswegen haben auch wir gesagt, es istein unzureichendes Gesetz. Der Bund ist aber - daskann man zumindest nachvollziehen, wenn man esauch nicht toleriert - zuständig dafür. Der sagt na-

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(Vizepräsidentin Hitzing)

Page 113: Thüringer Landtag Plenarprotokoll 5/88 5. Wahlperiode 01.06 · Plenarprotokoll 5/88 01.06.2012 88. Sitzung Freitag, den 01.06.2012 Erfurt, Plenarsaal Überprüfung der Abgeordne-ten

türlich, ja, Freunde, wenn wir zuständig sind, dannwollen wir es auch regeln, und das in unserer Kom-petenz. Alles mache ich dann auch nicht mit. Wirhaben z.B. vorgestellt, weil das ein Nadelöhr ist,das wir identifiziert haben, dass wir nicht im G-BAsitzen. Jetzt sitzen wir im Unterausschuss des G-BA, das heißt, wir können eigentlich wenig tun.Aber das ist vom Bundesgesundheitsministeriumvollständig abgelehnt worden, da eine andere Kom-petenz zu haben. Es ist begründet worden. Darübermuss man in der politischen Diskussion auf Bun-desebene auch noch mal sprechen, dass er selberja auch nur im G-BA wegen der Selbstverwaltungdie Geschäftsstelle führt. Also auch der Bund hatim G-BA nichts zu sagen. Deswegen ist das einPunkt, bei dem wir als Länderminister auch in Thü-ringen gefordert haben, wir müssen da sitzen. Dasist auf Bundesebene zu klären. Da sage ich schonauch noch einmal, Frau Andrea Fischer hat in ihrerZeit als Bundesgesundheitsministerin an der Stelleauch nicht wirklich etwas bewirken können. Das istgerade einmal zehn Jahre her, aber das Problemwar damals auch schon so. Insofern sollten wir dar-an gemeinsam weiter arbeiten, das ist meine Bot-schaft an der Stelle.

Der Herr Kubitzki hat die Frage gestellt, ob es mitden akademischen Lehrkrankenhäusern reicht. Dasreicht. Wir haben jetzt erst kürzlich auf Bundesebe-ne zugestimmt - nach einer etwas schwierigerenAbstimmung -, dass eigentlich alle Krankenhäuserals Lehrkrankenhäuser dienen können. Insoferngibt es da keine Probleme. Das kann ich heuteschon beantworten.

Das gemeinsame Gremium wird sich zusammen-setzen aus der Ärzteschaft, Landeskrankenhausge-sellschaft, die kommunalen Vertreter werden drin-sitzen und wir finden, es ist wichtig, dass es dasgibt. Wir haben in keinem anderen Bundesland einmomentan arbeitendes. Es ist auch gar nicht an-ders zu erwarten, weil der Bund zunächst Anfangdes Jahres das Gesetz in Kraft treten lassen hatund wir jetzt die Landesgesetze machen müssen.Wir haben es in der Ressortabstimmung. Mittlerwei-le, denke ich, sind alle Ministerien für diesen Ge-setzentwurf aufgeschlossen und das wird diesesJahr gut auf den Weg kommen. Dann werden wiruns auch selber erarbeiten müssen, was wir bere-den. Das ist unsere Kompetenz. Hier sind wir sel-ber das lernende System.

Die Kleine Anfrage geht Ihnen zu, die ist mittlerwei-le beantwortet, also werden Sie sie in den nächstenTagen bekommen.

Ich möchte auch meinen Kollegen Hartung korrigie-ren, das kann ich nicht stehen lassen. Nicht 70 Pro-zent der ausgebildeten Ärzte gehen ins Ausland -ich habe 70 verstanden und ich denke, ich sitze na-he dran, aber die 70 verlieren wir … Keine Anfragestellen.

Vizepräsidentin Hitzing:

Ich stelle Ihnen aber die Frage, Frau Ministerin, obSie die Frage zulassen würden.

Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Ich lasse die Frage nicht zu.

(Heiterkeit im Hause)

Vizepräsidentin Hitzing:

So, geklärt.

Taubert, Ministerin für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Die 70 Prozent - das ist richtig, war ja auch gemeint- gehen nicht in den Arztberuf. Das ist tatsächlichso, daran müssen wir arbeiten, das wollen wir auchgern tun. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.Jetzt kann auch der Letzte gehen.

(Beifall CDU, SPD)

Vizepräsidentin Hitzing:

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Jetzt stelle ichnoch mal die Frage, gibt es noch Redebedarf? Dassehe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass das Be-richtsersuchen zu Nummer I des Antrags erfüllt istoder regt sich hier Widerspruch? Nein. Außerdemgibt es den Antrag auf Überweisung der Nummer IIdes Antrags an den Ausschuss für Soziales, Fami-lie und Gesundheit. Wer dieser Überweisung zu-stimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. Dassind die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE,BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Gibt es Ge-genstimmen? Die kommen aus den Fraktionen derSPD und der CDU. Gibt es Stimmenthaltungen?Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung ab-gelehnt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung zu Nummer IIdes Antrags der Fraktionen der CDU und der SPDin Drucksache 5/4474. Wer für den Antrag stimmenmöchte - die Nummer II des Antrags -, den bitte ichjetzt um sein Handzeichen. Das sind die Stimmenaus den Fraktionen DIE LINKE, SPD und CDU.Gibt es Gegenstimmen? Keine. Gibt es Stimment-haltungen? Die sind von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN und von der FDP. Damit ist der Antrag ange-nommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wün-sche Ihnen ein schönes Wochenende. Die Plenar-sitzung ist beendet.

Ende: 18.45 Uhr

Thüringer Landtag - 5. Wahlperiode - 88. Sitzung - 01.06.2012 8389

(Ministerin Taubert)