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Tonartbezogenes Denken in Mozarts Werken
unter besonderer Berücksichtigung des Instrumentalwerks
vorgelegt von
Uri B. Rom
Von der Fakultät I – Geisteswissenschaften
der Technischen Universität Berlin
zur Erlangung des akademischen Grades
Dr. phil.
genehmigte Dissertation
Promotionsausschuss:
Vorsitzender: Prof. Dr. Stefan Weinzierl
Berichter: Prof. Dr. Christian Martin Schmidt
Berichter: Prof. Dr. Hartmut Fladt (Universität der Künste Berlin)
Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 27.04.2011
Berlin 2011
D 83
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Meinen Eltern Dina und Adam Rom
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Uri B. Rom
Tonartbezogenes Denken in Mozarts Werken
unter besonderer Berücksichtigung des Instrumentalwerks
Band I
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Inhaltsverzeichnis
Band I
Vorwort
Abkürzungen
Glossar der Modell-Chiffren
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18
Erster Teil: Einleitung und allgemeine Überlegungen zu Mozarts tonartbezogenem Komponieren
I. Ein neuer Blick: Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik 1. Einleitung: Tonartenbezogenheit in Mozarts Komponieren
2. Tonartengebundene Strukturmerkmale in Mozarts Werken gemäß gegenwärtigem Forschungs-stand
3. Von der Tonartencharakteristik zur Tonartenidiomatik
II. Tonartbezogenheit als Merkmal der Mozartschen Schaffensweise 1. Zu Mozarts besonderer Tonartensensibilität
2. Schaffenschronologische Implikationen des tonartenidiomatischen Modells 2.1. Erstes Zustandekommen einer tonartlichen Bindung 2.2. Das Streben nach Exklusivität 2.3. Tonsatzbedingte Ausweitung des Tonartenfelds 2.4. Zum Problem der Werk-Chronologie bei Mozart
3. Tonartenbezogenheit als Tonhöhenbezogenheit – das Prinzip der „Invarianz“
III. Die Tonarten in Mozarts Instrumentalwerk: statistische Annäherungen 1. Einleitung
1.1. Die Instrumentalmusik als Basis der statistischen Auswertung 1.2. Zur Zusammensetzung des auszuwertenden Werkcorpus
2. Die Tonartenverteilung in Mozarts Instrumentalwerk 2.1. Die Tonartenverteilung in Mozarts zyklischen Werken 2.2. Die Tonartenverteilung auf der Satz/Stück-Ebene 2.3. Die Tonartenverteilung in Mozarts Sonaten-Allegro-Sätzen
3. Korrelationen zwischen Tonartenwahl und allgemeinen Merkmalen in Mozarts Instrumentalwerk 3.1. Korrelation zwischen Tonartenwahl und Instrumentalgenre 3.2. Korrelation zwischen Tonartenwahl und Bläserbesetzung in Mozarts Werken mit
Orchester 3.3. Korrelation zwischen Tonartenwahl und Tempo 3.4. Korrelation zwischen Tonartenwahl und „kinetischem Typus“
4. Schaffenschronologische Überlegungen 4.1. Chronologische Tendenzen in Mozarts Verwendung der Instrumentalgenres 4.2. Chronologische Tendenzen in Mozarts Verwendung der sieben Haupt-Dur-Tonarten 4.3. Chronologische Tendenzen in Mozarts Verwendung von seltenen und Moll-Tonarten
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Zweiter Teil: Erörterung des Materialbefunds
IV. Methodologische Voraussetzungen für die Erörterung von tonart-gebundenen Elementen in Mozarts Musik
1. Einleitung
2. Zur besonderen Berücksichtigung des Instrumentalwerks
3. Zur Wahl der zu untersuchenden satztechnischen Phänomene
4. Zur Definition und Ausdifferenzierung von satztechnischen Modellen 4.1 Von „generischer“ zu „individualisierter“ Modell-Definition 4.2 Kategorien des kompositorischen Rückgriffs
5. Methodologische Voraussetzungen für die Verwendung von Statistik in der Analyse von Modell-Instanzen
V. Rhetorisch-gestische Eröffnungstopoi in den zyklischen Werken für Orchester / größere Ensembles unter besonderer Berücksichtigung von anti-thetischen Eröffnungsthemen
1. Einleitung 1.1. Das Hauptthema als Quintessenz eines Zyklus 1.2. Von „Hauptthema“ zu „Eröffnungsthema“ 1.3. Zu untersuchende rhetorisch-gestische Prinzipien
2. Antithetische Topoi in Mozarts Eröffnungsthemen 2.1. Sequenzierte antithetische Themen 2.2. Nicht-sequenzierte antithetische Themen
2.2.1. Symmetrische antithetische Themen 2.2.2. Asymmetrische antithetische Themen
2.2.2.1. Asymmetrische antithetische Themen in anderen Tonarten als Es-Dur
2.2.2.2. Gemeinsame typologische Merkmale der neun asymmetrischen antithetischen Themen in Es-Dur
2.2.2.3. Schaffenschronologische Überlegungen zu Mozarts asym-metrischen antithetischen Eröffnungsthemen
3. Topoi der Bekräftigung
4. Topoi der Wiederholung in entgegengesetzter Dynamik
5. Topoi von gleich bleibender Dynamik
6. Diverse rhetorisch-gestische Modelle in Mozarts Eröffnungsthemen 6.1. Kadenzielle Antiklimax 6.2. Graduelle dynamische Steigerung 6.3. Plötzliche Dynamik-Wechsel
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VI. Wendungen zur Moll-Varianttonart (Vermollung) in Mozarts Instrumentalwerk unter besonderer Berücksichtigung von Sonaten-Allegro-Sätzen
1. Einleitung 1.1. Moll-Tonarten in Mozarts Werken im Kontext des zeitgenössischen Komponierens in
Moll 1.2. Zum Vermollungsbegriff in historischen und neueren Quellen
1.2.1. Verweise auf Vermollungsverfahren in historischen Quellen 1.2.1.1. Die Vermollung aus der Perspektive von Heinrich Christoph
Kochs Tonartenverwandtschaften 1.2.1.2. Joseph Riepels „schwarze Gredel“
1.2.2. „Vermollung“, „tonic minor“ und „minorization“ im neueren musik-theoretischen Diskurs
1.3. Semantisch-hermeneutische Aspekte von Moll und Vermollung in Mozarts Musik
2. Phänomenologische und systematische Annäherungen 2.1. Definition und satztechnische Konstituenten des Vermollungsbegriffs
2.1.1. Unmittelbarkeit des Zusammenschlusses von Dur- und Moll-Varianttonart 2.1.2. Hierarchischer Vorrang der Dur-Tonart 2.1.3. Beibehalten des tonalen Zentrums 2.1.4. Artikulieren der Moll-Varianttonart 2.1.5. Bezug zum dreistufigen Abstieg im Quintenzirkel 2.1.6. Etablierungsgrad der betreffenden Dur-Tonart
2.2. Primäre phänomenologische Unterscheidungen 2.2.1. Architektonische und syntaktische Wendungen zur Moll-Varianttonart 2.2.2. Architektonische Wendungen zur Moll-Varianttonart in Mozarts
Instrumentalwerk 2.2.2.1. Langsame Einleitungen/ganze Sätze als architektonische
Wendungen zur Moll-Varianttonart 2.2.2.2. Minore-Formteile in Mozarts Instrumentalwerk
2.2.3. Syntaktische Wendungen zur Moll-Varianttonart in Mozarts Instrumental-werk – Typologie und harmonisches Verhalten
2.2.3.1. Zu Arten und Umfang von syntaktischen Wendungen zur Moll-Varianttonart
2.2.3.2. Tonikale Vermollung 2.2.3.3. Subdominantische Vermollung
2.2.3.3.1. Punktuelle subdominantische Vermollung 2.2.3.3.2. Moll-Dominantisierung 2.2.3.3.3. Subdominantische Moll-Modulation
2.2.3.4. Typologische Grenzfälle 2.2.3.5. Vermollung in Verbindung mit Modulation
2.2.3.5.1. Modulation einleitende Vermollung 2.2.3.5.2. Vermollung im Anschluss an eine Modulation 2.2.3.5.3. Transitorische Vermollung
2.2.3.6. Eintritt in und Verlassen von syntaktischen Wendungen zur Moll-Varianttonart
2.3. Weiterführende phänomenologische Überlegungen – Interpunktische und rhetorische Bindung
2.3.1. Vermollung in Verbindung mit Quintabsätzen/Halbschlüssen 2.3.2. Vermollung in Verbindung mit kadenzierendem Quartsextakkord 2.3.3. Vermollung als Modulationsinitiale 2.3.4. Vermollung im Zusammenhang mit thematisch-motivischen Wieder-
holungsmodellen (Moll-Echo) 2.3.4.1. Typus 1: „generisches“ Moll-Echo/Moll-Anapher 2.3.4.2. Typus 2: „Binnen-Moll-Echo“
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2.3.4.3. Typus 3: „Moll-Querverweis“ 2.3.4.4. Typologische Grenzfälle und Doppelrubrizierungen
2.3.5. Vermollung in Moll-Sätzen 2.3.6. Vermollung und zyklische Integration
3. Allgemeine statistische Annäherungen 3.1. Methodologische Überlegungen zu Organisation und Auswertung der Daten 3.2. Chronologische und gattungsspezifische Tendenzen in der Verwendung von
Wendungen zur Moll-Varianttonart 3.3. Generelle tonartliche Tendenzen – das Prinzips des „weißen Magnets“
4. Überlegungen zu einer formorientierten Rubrizierungssystematik 4.1. Von „expliziter“ zu „impliziter“ musikalischer Temporalität 4.2. Form-Momente in Mozarts Sonaten-Allegro-Sätzen
5. Wendungen zur Moll-Varianttonart im Hauptsatz-Bereich 5.1. Typologische und formale Überlegungen
5.1.1. Zur Gleichsetzung von Hauptsatz- und Haupttonart-Bereich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
5.1.2 Wendungen zur Moll-Varianttonart im Hauptsatz-Bereich in Exposition, Reprise und Orchestereinleitung
5.2. Darstellung des Materialbefunds 5.3. Vermollungsmodelle im Hauptsatz-Bereich
5.3.1. Modelle von tonikaler Vermollung im Hauptsatz-Bereich 5.3.2. Modelle von subdominantischer Vermollung im Hauptsatz-Bereich 5.3.3. Chromatisch eingeführte erniedrigte Töne im Hauptsatz-Bereich 5.3.4. Vermollte Lamento-Bass-Figuren im Hauptsatz-Bereich 5.3.5. Moll-Echo-Modelle im Hauptsatz-Bereich
6. Wendungen zur Moll-Varianttonart im Seitensatz-Bereich 6.1. Typologische und formale Überlegungen
6.1.1. Der Seitensatz als obligater Bestandteil in Sonaten-Allegro-Sätzen 6.1.2. Zur Abgrenzung des Seitensatz-Bereichs von der Überleitung zum
Seitensatz 6.1.3. Zur Abgrenzung des Seitensatzes von der Schlussgruppe/Codetta
6.2. Darstellung des Materialbefunds 6.3. Moll-Echo-Modelle im Seitensatz-Bereich
6.3.1. Moll-Echo-Modelle von Typus 1 im Seitensatz-Bereich 6.3.2. Moll-Echo-Modelle von Typus 2 im Seitensatz-Bereich 6.3.3. Moll-Echo-Modelle von Typus 3 im Seitensatz-Bereich
6.4. Modelle des syntaktischen Neu-Beginns in Moll im Seitensatz-Bereich
7. Wendungen zur Moll-Varianttonart in der in der Initialphase der Durchführung 7.1. Typologische und formale Überlegungen zur Initialphase der Durchführung 7.2. Darstellung des Materialbefunds 7.3. Vermollungsmodelle in der in der Initialphase der Durchführung
7.3.1. Anschließendes Tonikalisierungsziel als Klassifizierungsmerkmal von Moll-Wendungen in der Initialphase der Durchführung
7.3.1.1. Tonikalisierungsziele von tonikalen Moll-Wendungen aus der Initialphase der Durchführung
7.3.1.2. Tonikalisierungsziele von subdominantischen Moll-Wendungen aus der Initialphase der Durchführung
7.3.2. Rückgriff auf das Hauptthema in Moll-Wendungen aus der Initialphase der Durchführung
7.3.3. Moll-Echo-Modelle in Moll-Wendungen aus der Initialphase der Durchführung
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VII. Eine sechstönige Motivstruktur in Mozarts Gesamtwerk – Fallbeispiel für tonartengebundene Melodik
1. Einleitung: Problemfall melodische Analyse
2. Tonartliche Tendenzen bei Mozarts Wiederverwendung von Melodien
3. Erscheinungsformen der sechstönigen Motivstruktur 3.1. Buchstäbliche Erscheinungsformen 3.2. Modell-Definitionen im typologischen Umfelds der sechstönigen Motivstruktur 3.3. Schaffenschronologische Überlegungen
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Band II
Dritter Teil: Auswertung und weiterführende Hypothesen
VIII. Zum Ausmaß tonartenidiomatischen Denkens in Mozarts Musik – Mozarts „C-Dur-Netzwerk“
1. Auswertung der Ergebnisse aus den Kapiteln V, VI und VII
2. Ein Netzwerk von „C-Dur-Idiomen“ 2.1. „Majestätischer“ Eröffnungsgestus mit punktierter Pause 2.2. Schleifer-Figur im Eröffnungsthema 2.3. Chiastische isorhythmische Hauptthemen mit stufenweise aufsteigender melodischer
Sequenzierung 2.4. Tonika/Subdominant-Pendel als erste harmonische Bewegung im Hauptthema 2.5. Zickzackartige Dreiklangbrechung in aufsteigender Bewegung als Hauptthema 2.6. Schwebend-oszillierende Begleitfigur im Seitenthema 2.7. Diverse Vermollungsmodelle mit signifikanter Anbindung an C-Dur 2.8. Eröffnung der Durchführungspartie in der Dur-Paralleltonart der Moll-Variante (♭III)
3. Satzumfassende Tonartenidiomatik: Der Marsch KV 408/3 – ein „ultimatives“ C-Dur-Stück?
IX. Zusammenfassung und Ausblick: Die Mozartsche Tonartenidiomatik im Kontext eigenen und zeitgenössischen Schaffens
1. Schaffenschronologische und -psychologische Aspekte von Mozarts Tonartenidiomatik 1.1. Zum chronologischen Verhalten von Tonartenidiomen 1.2. Schaffenspsychologische Assoziationen unter den Erscheinungsformen eines
Tonartenidioms 1.3. Zwischen „Tonartenidiomatik“, „Klangidiomatik“ und „Instrumentalidiomatik“
2. Die Mozartsche Tonartenidiomatik und Mozarts Tonartenwahl im Kontext der Wiener Klassik
3. Tonartensemantik aus einem neuen Blickwinkel betrachtet: Mozarts C-Dur-„Mood“ und „Jugend-Tonart“ G-Dur
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Appendices
X. Appendices 1. Mozarts Instrumentalwerk: Corpora- und Datentabellen
1.1. Einleitung und Vorbemerkungen 1.2. Mozarts Instrumentalwerk: Auszuwertender Werkbestand 1.3. Ergänzende Sonaten-Allegro-Sätze zu Mozarts instrumentalem Werkbestand
2. Tempoangaben in Mozarts Instrumentalwerk
3. Überblickstabelle zu den Modell-Analysen in Kapitel V
4. Ergänzende Quellen, systematische Überlegungen und Überblickstabellen zu Kapitel VI 4.1. Heinrich Christoph Kochs „Anmerkung“ zum Absatz „Vor der Verwandtschaft der
Tonarten“ 4.2. Typologische Grenzfälle des Vermollungsphänomens
4.2.1. Erniedrigte Stufen im Zusammenhang mit dem erhöhten vierten Skalenton (doppeldominantische Klänge)
4.2.2. Erniedrigte Stufen in verminderten Klängen 4.2.3. Erniedrigte Stufen im Zusammenhang mit phrygischen Halbschlüssen und
verwandten Progressionen 4.2.4. Erniedrigte Stufen in der Einstimmigkeit bzw. in lückenhafter Harmonik 4.2.5. Erniedrigte Stufen in Verbindung mit Vorhalt-Klängen 2.4.6. Erniedrigte Stufen in der Chromatik 2.4.7. Erniedrigte Stufen als Bestandteile von Dur-Klängen
4.3. Überblickstabellen zu den Modell-Analysen in Kapitel VI 5. Datentabelle: Wendungen zur Moll-Varianttonart in Mozarts Sonaten-Allegro-Sätzen
6. Statistische Methoden und Auswertungstabellen 6.1. Berechnungsmethoden und p-Werte-Tabellen zu Kapitel III, Unterkapitel 2.2. und 3. 6.2. Berechnungsmethoden und p-Werte für die Trendkurven in Kapitel III, Unter-
kapitel 4. 6.3. Offenlegung der statistischen Auswertungsmethoden
6.3.1. Berechnung der p-Werte für die einzelnen Modelle in Kapiteln V, VI und VII
6.3.2. Korrektur für mehrfache Tests aufgrund der FDR-Methode 6.3.3. Verwendung von Simulation zur Überprüfung der kombinierten Null-
Hypothese 6.3.4. Verwendung einer alternativen Referenz-Ebene für die Evaluation von
Vermollungs-modellen 6.3.5. Auswertungsmethode und p-Werte der „C-Dur-Idiome“ in Kapitel VIII
6.4. Kalkulation des „weißen Magnets“
7. Literaturverzeichnis
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Beilage: CD-ROM mit Notenbeispielen
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Vorwort
Die vorliegende Arbeit geht auf eine langjährige Beschäftigung mit Mozarts Musik
zurück. Durch meine theoretische und praktische Auseinandersetzung mit seinem Werk –
als Interpret, als Musiktheoretiker und als Komponist (Ergänzung diverser Mozartscher
Fragmente) – fiel mir zum wiederholten Male ein bemerkenswerter Zusammenhang
zwischen Tonartenwahl und satztechnischen Gestaltungsmerkmalen auf. Da dieser
Aspekt mir bei Mozart ausgeprägter schien als bei anderen Komponisten, hielt ich eine
systematische Untersuchung für angebracht.
Mozarts „Tonartenidiomatik“, wie ich sie nun infolge meiner Forschungsarbeit zu
verstehen glaube, ist in erster Linie ein Phänomen seiner privaten Kompositionswerkstatt
und hat mit kommunizierbarer Tonartensymbolik nur am Rande zu tun. Bereits diese
Erkenntnis veranlasste mich, nach analytischen Kategorien und Methoden zu suchen, die
von der herkömmlichen Tonartencharakteristik maßgeblich abweichen. Dass
tonartenbezogene Strukturen mitunter auch semantisch-topologische Momente der
Komposition darstellen, wird in dieser Arbeit aber keinesfalls bestritten und an mehreren
Beispielen konkret dargelegt.
Die Schaffensvorgänge eines Komponisten – sofern sie nicht durch Skizzen, eigene
Äußerungen des Komponisten oder seines Kreises belegt sind – entziehen sich
grundsätzlich dem rekonstruierenden analytischen Blick von außen. Möglich allerdings
ist der Nachweis der „Spuren“ solcher Schaffensvorgänge im Werk. Der Hauptteil dieser
Arbeit befasst sich mit der Suche nach Mustern in Mozartschen Tonsätzen, die sich unter
verschiedenen Kategorien des „kompositorischen Rückgriffs“ auf bereits Bestehendes
erfassen lassen. Die – statistisch aufzuzeigende – tendenzielle Anbindung konkreter
Gestaltungsweisen an die Tonartenwahl wird als Indiz für Mozarts tonartbezogenes
Denken dargebracht.
In den letzten Jahrzehnten – nicht zuletzt in Verbindung mit dem Gedankengut der „New
Musicology“ – werden die Zusammenhänge zwischen einem komponierenden
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Individuum und seinem soziokulturellen Umfeld verstärkt ins Visier genommen. Auch in
der Mozartforschung vollzieht sich etwa in diesem Zeitraum eine folgenreiche Neu-
Kontextualisierung des Komponisten im Hinblick auf das Schaffen seiner Zeitgenossen.
Wenngleich der Blick auf Mozarts Umfeld seine eigentliche künstlerische Errungenschaft
in keiner Weise schmälert, gewährt er eine korrigierende Perspektive auf einige seiner
Arbeitsweisen und Gestaltungsmittel, indem er sie in Relation zu analogen Praxen und
Leistungen anderer Komponisten setzt.
Bereits vor diesem Hintergrund dürfte eine Arbeit wie die vorliegende, die eine
angebliche „Idiosynkrasie“ der Mozartschen Schaffensweise fokussiert, mit einiger
Skepsis seitens der aktuellen Musikforschung zu rechnen haben. Mit Recht könnte
eingewendet werden, dass tonartspezifische Züge in Mozarts Komponierweise erst im
Vergleich mit ähnlichen Verfahrensweisen im Komponieren seiner Zeitgenossen in
angemessener Weise darzustellen und auszuwerten sind. Darauf ließe sich zweierlei
entgegnen:
1. Im Hinblick auf die darzulegenden Befunde dieser Arbeit erschiene es mir als
leichtfertig, tonartgebundene Momente in Mozarts Komponieren unter allgemeinen
„stilepochentypischen Topoi“ subsumieren zu wollen. Zum einen stellen viele der
untersuchten Muster bis in die minuziösesten Details ausdifferenzierte Strukturen dar, die
sich nicht ohne weiteres allgemeinen Toposbildungen zuschreiben lassen. Zum anderen
ergibt die Gesamtheit der Untersuchungsergebnisse ein kumulatives Bild, das eher den
Eindruck von Individualspezifik als den eines Zeitgeistphänomens des späten 18.
Jahrhunderts vermittelt. Von daher möchte ich an der Möglichkeit festhalten, dass die
Mozartsche Tonartenidiomatik – zumindest in Bezug auf bestimmte Teilaspekte – ein
genuin Mozartsches Phänomen darstellt, das in erster Linie mit der besonderen
Sensibilisierung des Komponisten für Unterschiede unter den Tonarten zusammenhängt.
2. Die Erörterung des Spannungsfelds zwischen Zeittypischem und Mozarttypischem im
Hinblick auf tonartenabhängige satztechnische Gestaltungsweisen bleibt indes ein
Forschungsdesiderat, das von der vorliegenden Arbeit – von einigen wenigen punktuellen
Querverweisen abgesehen – in keiner Weise geleistet werden kann. Somit bewegt sich
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die Studie in einem Koordinatensystem, das von der Forschung der betreffenden
Stilepoche erst noch sehr rudimentär abgesteckt worden ist. Jede Mutmaßung hinsichtlich
einer Mozart-spezifischen Tonartenbezogenheit muss so verstanden werden, dass sie sich
bei hinreichender Erschließung ähnlicher Phänomene aus seinem Umfeld auch
relativieren kann. Insofern versteht sich diese Arbeit als einen Beitrag auf dem Weg zu
einer umfassenderen Erschließung von mutmaßlichen „tonartenidiomatischen“ Verfahren
in der Musik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Im ersten, einleitenden Teil der Arbeit wird das Prinzip der Tonartenidiomatik erläutert
und von der traditionellen Tonartencharakteristik abgegrenzt. In diesem Teil werden
ferner auch grundlegende Voraussetzungen von Mozarts Gebrauch der Tonarten erörtert.
Der zentrale Teil der Dissertation (Erörterung des Materialbefunds) befasst sich mit
Definition und Erörterung diverser satztechnischer Modelle, die dann auf ihre Anbindung
an spezifische Tonarten hin geprüft und ausgewertet werden. Da die aufgestellte These
Mozarts Schaffen im Ganzen betrifft, schien es geboten, mehrere Repertoirebereiche und
unterschiedliche satztechnische Gebiete zu berücksichtigen. Aus Gründen, auf die an Ort
und Stelle näher eingegangen wird, konzentriert sich die vorliegende Studie auf Mozarts
Instrumentalwerk. Umso notwendiger war es, die Art der untersuchten Phänomene stark
zu variieren: Folglich werden in diesem Teil der Arbeit melodische, harmonische und
rhetorisch-gestische Gestaltungsprinzipien eingehend untersucht.
Im dritten und letzten Teil der Dissertation werden die Ergebnisse der vorangehenden
Untersuchungen ausgewertet. Anschließend werden weiterführende quantitative und
qualitative Fragestellungen hinsichtlich der Mozartschen Tonartenidiomatik und ihres
Stellenwerts im Schaffen des Komponisten erörtert.
Die Dissertation ist so aufgebaut, dass die eingehenden methodologischen und
analytischen Diskussionen als solche gekennzeichnet sind und je nachdem gelesen oder
auch übersprungen werden können, ohne dass man den großen Zusammenhang aus dem
Auge verliert. Sofern eine gegebene Textstelle auf vorangehenden Überlegungen fußt,
wird auf die entsprechenden Textstellen verwiesen: Somit wird das „Querlesen“ durch
die Arbeit leichter gemacht. Um die Orientierung beim Lesen zu erleichtern, wird ferner
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eine Liste der in der Arbeit abgehandelten Modell-Definitionen in einem gesonderten
Glossar dem Haupttext vorauszuschicken: Hierbei handelt es sich um eine Darstellung
der in der Arbeit verwendeten „Modell-Chiffren“ mit jeweils knapper Erläuterung dazu.
Meinem Doktorvater Prof. Dr. Christian Martin Schmidt von der Technischen Universität
Berlin und meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Hartmut Fladt von der Universität der
Künste Berlin danke ich für ihre engagierte Betreuung und für viele wichtige Anregungen
aufs Herzlichste. Wertvoll waren mir auch Kritik und Ratschläge meiner Kommilitonen
im Doktorandenkolloquium. Und dass eine solche Arbeit ohne den Beistand von Familie
und Freunden nicht gelingen kann, versteht sich von selbst. Herzlichen Dank an alle.
Für die finanzielle Absicherung des Projektes danke ich dem Land Berlin, das mich mit
einem NaFöG-Stipenium gefördert hat.
Für die Entwicklung und Anfertigung aller in dieser Arbeit erscheinenden Statistiken und
Grafiken sowie für eine intensive und fruchtbare Zusammenarbeit danke ich Dr. Saharon
Rosset aus dem Department of Statistics and Operations Research, Tel Aviv University,
Israel. Ein Teil der vorliegenden Arbeit erschien als Artikel in der Zeitschrift der
Gesellschaft für Musiktheorie 6/1 Jahrgang 2009. Dem Editorenteam – allem voran
Oliver Schwab-Felisch – danke ich für ihr sorgfältiges Lektorat und für viele hilfreiche
Anregungen.
Die im Rahmen dieser Arbeit herangezogenen Notenbeispiele sind dem Ausdruck in
Form einer CD-ROM beigelegt. Die Beispiele zu den einzelnen Kapiteln der Arbeit
finden sich jeweils in einer PDF-Datei, die die römische Zahl des betreffenden Kapitels
trägt. Im Text wird auf die betreffende Datei sowie auf die Seitenzahl des Beispiels
hingewiesen. In einigen wenigen Fällen erschien es sinnvoll, kürzere Beispiele auch in
den Fließtext zu integrieren.
Die Internet-Version der Arbeit bietet zwei Möglichkeiten, auf die Notenbeispiele
zuzugreifen. Zum einen sind die gleichen PDF-Dateien, die auf der CD-ROM erscheinen,
über das digitale Repositorium der TU Berlin zugänglich, und zwar unter Dateinamen des
Formats: „rom_uri_nbsp_zu_kap_“ + zweistellige Zahl des betreffenden Kapitels der
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Arbeit. Zum anderen sind die Notenbeispiele im Einzelnen auch direkt vom Haupttext
aus abrufbar, indem man die betreffenden Überschriften anklickt. Um den Zugriff zu
erleichtern, sind darüber hinaus auch viele der formlosen Verweise im Fließtext als Links
aktiviert, so dass sie ebenfalls zu den erwünschten Beispielen durch Anklicken führen.
Die einzelnen Beispiel-Dateien befinden sich im online bereitgestellten Verzeichnis
http://urirom.com/media/dissertation.
Alle Mozartschen Beispiele entstammen den durch die Internationale Stiftung
Mozarteum in Verbindung mit dem Packard Humanities Institute zu Studienzwecken ins
Netz gestellten Scans aus der Neuen Mozart-Ausgabe. Beispiele aus dem Werk anderer
Komponisten entstammen eingescanten älteren Ausgaben.
Die Literaturhinweise erscheinen im Fließtext und in den Fußnoten in Form von
Kurzsigeln (Autor und Erscheinungsjahr). Sofern die Auflage, auf die Bezug genommen
wird, nicht die erste ist, erscheinen zwei Jahreszahlen mit trennendem Schrägstrich – die
zweite Jahreszahl (ggf. mit vorangestellter Auflagenummer) entspricht sodann der in der
Arbeit verwendeten Auflage.
Uri Rom, Berlin im Mai 2011
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Abkürzungen
BriefeGA: Briefe Gesamtausgabe = Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe (=Briefe Gesamtausgabe), hrsg. v. der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von W.A. Bauer und O.E. Deutsch, auf Grund deren Vorarbeiten erläutert von Joseph Heinz Eibl, Textbände I–IV, Kommentarbände V/VI, Registerband VII, zusammengestellt von Joseph Heinz Eibl, Kassel u.a.: Bärenreiter, 1962/63, 1971 und 1975; neu aufgelegt mit zusätzlichem Bd. VIII (=Einführung, Ergänzungen und Bibliographie), hrsg. v. Ulrich Konrad, Kassel u.a.: Bärenreiter 2005.
BRM: Brockhaus Riemann Musiklexikon, 4 Bde. und ein Ergänzungsband, hrsg. v. Carl Dahlhaus, Hans Heinrich Eggebrecht und Kurt Oehl, 2. Aufl., Mainz, 1995.
GarlandSymph: The Symphony 1720–1840: A Comprehensive Collection of Full Scores, hrsg. v. Barry S. Brook und Barbara B. Heyman, New York u.a.: Garland, 1979–1986.
HMT: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, hrsg. v. Hans H. Eggebrecht, Stuttgart: Steiner, 1996 ff.
KochL: Koch Lexikon = Heinrich Christoph Koch, Musikalisches Lexikon welches die theoretische und praktische Tonkunst, encyclopädisch bearbeitet, alle alten und neuen Kunstwörter erklärt, und die alten und neuen Instrumente beschrieben enthält, Frankfurt am Main 1802, Nachdruck zwei Teile in einem Bd., Hildesheim: Olms, 21985.
KonradW: Konrad Werkbestand = Ulrich Konrad, Wolfgang Amadé Mozart: Leben, Musik. Werkbestand, Kassel u.a.: Bärenreiter, 2005, Werkbestand: S. 272–359.
KV: Köchel-Verzeichnis = Chronologisch-thematisches Verzeichniss sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amade Mozart’s. Nebst Angabe der verloren gegangenen, unvollendeten, übertragenen, zweifelhaften und unterschobenen Compositionen desselben v. Lud. Ritter v. Köchel, Leipzig 1862, 3. Auflage (KV3) ebd. 1937, 6. Auflage (KV6) Wiesbaden 1964.
MGG2: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. neu bearbeitete Ausgabe, hrsg. v. Ludwig Finscher, Sachteil, 9 Bde., Kassel und Stuttgart: Bärenreiter, 1994–1998, Personenteil, 12 Bde., ebd., 1999 ff.
MozartL: Das Mozart Lexikon, hrsg. v. Gernot Gruber und Joachim Brügge, Laaber: Laaber 2005.
MozDok: Mozart Dokumente = Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Gesammelt und erläutert von Otto Erich Deutsch, Kassel 1961 (=Neue Ausgabe Sämtlicher Werke [NMA] X/34), Addenda und Corrigenda von Joseph Heinz Eibl, Kassel 1978 (=NMA X/31, 1), Addenda von Cliff Eisen (=NMA X/31, 2), Kassel 1997
MozVerz: Mozart Verzeichnis = Verzeichnüß aller meiner Werke vom Monath febrario 1784 bis Monath [] 1 [], Einführung und Übertragung von Albi Rosenthal und
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Alan Tyson, Kassen u.a.: Bärenreiter, 1991 (=NMA X/33/Abt. 1, dort: „Mozart/Eigenhändiges Werkverzeichnis/Faksimile“).
NGrove2: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, 2. erweiterte Ausgabe, hrsg. v. Stanley Sadie, 29 Bde., London u.a.: Macmillan u.a., 2001.
NMA: Neue Mozart-Ausgabe = Wolfgang Amadeus Mozart. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, in Verbindung mit den Mozartstädten Augsburg, Salzburg und Wien hrsg. v. der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, 10 Serien, Kassel u.a.: Bärenreiter 1955 ff.
SulzerT: Sulzer Theorie = Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der Schönen Künste. In einzeln, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt, 2 Bde., I. Leipzig: M. G. Weidemanns Erben und Reich, 1771, II. ebd., 1774, Nachdruck der 2. neuen und vermehrten Auflage Leipzig 1793, 4 Bde. u. 1 Registerband, Hildesheim: Olms, 21994.
WaltherL: Walther Lexikon = Johann Gottfried Walther, Alte und Neue Musicalische Bibliothec, Oder Musicalisches Lexicon, Darinnen Die Musici, so sich bey verschiedenen Nationen durch Theorie und Praxis hervor gethan, nebst ihren Schrifften und andern Lebens-Umständen; ingleichen Die in Griech., Lat. Ital., und Frantz. Sprache gebräuchliche Musicalische Kunst- oder sonst dahin gehörige Wörter […], Erfurt: Limprecht, 1728, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1732 (=Documenta Musicologica, 1. Reihe, Bd. 3), hrsg. v. Richard Schaal, Kassel u.a.: Bärenreiter, 1953.
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Glossar der Modell-Chiffren
Modell-Chiffre Erläuterung Kapitel,
Unterkapitel Top_Anti_Seq Antithetisch-sequenzierter Eröffnungstopos V, 2.1. Top_Anti_Sym Antithetisch-symmetrischer Eröffnungstopos V, 2.2.1. Top_Anti_Asym Antithetisch- asymmetrischer Eröffnungstopos V, 2.2.2. Top_pF-lokal Lokaler Bekräftigungstopos V, 3. Top_pF-Anh Forte-Anhang-Topos V, 3. Top_pF-Inpkt Bekräftigungstopos in Verbindung mit formaler Interpunktion V, 3. Top_Gegendyn Wiederholung des Eröffnungsthemas in entgegengesetzter Dynamik V, 4. Top_Echo Echo-Bildung im Rahmen des Eröffnungsthemas V, 4. Top_F-Block Eröffnungsthema ganz in forte V, 5. Top_P-Block Eröffnungsthema ganz in piano V, 5. Top_Kad-P „Kadenzielle Antiklimax“, Rücknahme der Dynamik zur Kadenz hin V, 6.1. Top_cresc Graduelle dynamische Steigerung im Eröffnungsthema V, 6.2. Top_Jäh-Dyn Plötzlicher Dynamik-Wechsel im Eröffnungsthema V, 6.3. H_Ton_Kad Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit Kadenzieren in Moll VI, 5.3.1. H_Ton_QA Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit Quintabsatz/Halbschluss in Moll VI, 5.3.1. H_Ton_QA-Mod Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit Quintabsatz/Halbschluss in Moll und anschließender Modulation VI, 5.3.1. H_Sub_iv subdominantische Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit der Stufe iv VI, 5.3.2.
H_Sub_ii5b7 subdominantische Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit der Stufe ii5♭/7 VI, 5.3.2.
H_Sub_ bII/bVI subdominantische Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit der Stufe ♭II bzw. ♭VI VI, 5.3.2. H_Chrom_3 Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit chromatisch eingeführtem 3. Skalenton VI, 5.3.3. H_Chrom_6 Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit chromatisch eingeführtem 6. Skalenton VI, 5.3.3. H_Lamento Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit Lamento-Bass-Figur VI, 5.3.4. H_Echo1 Moll-Echo im Hauptsatz-Bereich von Typus 1 VI, 5.3.5. H_Echo2 Moll-Echo im Hauptsatz-Bereich von Typus 2 VI, 5.3.5. H_Echo3 Moll-Echo im Hauptsatz-Bereich von Typus 3 VI, 5.3.5. S_Echo1 Moll-Echo im Seitensatz-Bereich von Typus 1 VI, 6.3.1. S_Echo2 Moll-Echo im Seitensatz-Bereich von Typus 2 VI, 6.3.2. S_Echo3 Moll-Echo im Seitensatz-Bereich von Typus 3 VI, 6.3.3. S_Echo_VS-NS Moll-Echo im Seitensatz-Bereich mit Vordersatz-/Nachsatz-Konstellation VI, 6.3.1. S_Echo-Verd Vorangestelltes Moll-Echo im Seitensatz-Bereich VI, 6.3.1. S_Echo-Abgew Erheblich abgewandeltes Moll-Echo im Seitensatz-Bereich VI, 6.3.1. S_Moll-Neubeg Syntaktischer Neubeginn in Moll im Seitensatz-Bereich VI, 6.4. S_Moll-Thema Moll-Seitenthema VI, 6.4.
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Modell-Chiffre Erläuterung Kapitel, Unterkapitel
DFI_T-Mod-II Tonikale Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach II VI, 7.3.1.1. DFI_T-Mod-ii Tonikale Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach ii VI, 7.3.1.1.
DFI_T-Mod-bIII Tonikale Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach ♭III VI, 7.3.1.1. DFI_T-Mod-IV Tonikale Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach IV VI, 7.3.1.1.
DFI_T-Mod-bVII Tonikale Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach ♭VII VI, 7.3.1.1. DFI_S-Moll-Mod Subdominantische Moll-Modulation in der Initialphase der Durchführung VI, 7.3.1.2. DFI_S-Mod-I Subdominantische Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach I VI, 7.3.1.2. DFI_S-Mod-vi Subdominantische Vermollung in der Initialphase der Durchführung mit anschließender Modulation nach vi VI, 7.3.1.2. DFI_M-Gest_Wörtl Wörtliche Moll-Gestalt des Hauptthemas am Durchführungsbeginn VI, 7.3.2. DFI_M-Gest_Ähnl Vermollte Ableitung vom Hauptthema in der Initialphase der Durchführung VI, 7.3.2. DFI_M-Gest_Abgew Abgewandelte vermollte Ableitung vom Hauptthema in der Initialphase der Durchführung VI, 7.3.2. DFI_Echo1 Moll-Echo in der Initialphase der Durchführung von Typus 1 VI, 7.3.3. DFI_Echo2 Moll-Echo in der Initialphase der Durchführung von Typus 2 VI, 7.3.3. DFI_Echo3 Moll-Echo in der Initialphase der Durchführung von Typus 3 VI, 7.3.3. 6Ton_Wörtl Wörtliche Erscheinungsform der sechstönigen Motivstruktur VII, 3.1. 6Ton_Beinahe-Wörtl Beinahe wörtliche Erscheinungsform der sechstönigen Motivstruktur VII, 3.2. 6Ton_Ähnl Von der sechstönigen Motivstruktur abgeleiteten Erscheinungsform VII, 3.2. 6Ton_Tonartx Erscheinungsform der sechstönigen Motivstruktur in abweichender Tonart VII, 3.2. C_Eröff_Punkt-Pause „Majestätischer“ Eröffnungsgestus mit punktierter Pause VIII, 2.1. C_Eröff_Scheifer-V-I Schleifer-Figur im Eröffnungsthema VIII, 2.2. C_H_Chiastisch-Gradatio_Iso Chiastisches isorhythmisches Hauptthema mit stufenweise aufsteigender melodischer Sequenzierung VIII, 2.3. C_H_I-IV-Pendel Tonika/Subdominant-Pendel als erste harmonische Bewegung im Hauptthema VIII, 2.4. C_H_Zickzack-Dreikang Zickzackartige Dreiklangbrechung in aufsteigender Bewegung als Hauptthema VIII, 2.5. C_H_Vrm_Ton_Kad Vermollung im Hauptsatz-Bereich mit Kadenzierung in Moll VI, 5.3.1. / VIII, 2.7.
C_H_Vrm_Sub_ii5b7 Subdominantische Vermollung im Hauptthema mit der Stufe ii5♭/7 VI, 5.3.2. / VIII, 2.7. C_S_Beg-Schweb-Osz Schwebend-oszillierende Begleitfigur im Seitenthema VIII, 2.6. C_S_Vrm_Echo3 Moll-Echo im Seitensatz-Bereich von Typus 3 VI, 6.3.3. / VIII, 2.7. C_DFI_Vrm_M-Gest_Wört Wörtliche Moll-Gestalt des Hauptthemas am Durchführungsbeginn VI, 7.3.2. / VIII, 2.7. C_DF-Beg_bIII Eröffnung der Durchführungspartie in der Dur-Parallele der Moll-Varianttonart (♭III) VIII, 2.8.
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Erster Teil:
Einleitung und allgemeine Überlegungen zu Mozarts
tonartbezogenem Komponieren
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* Die Notenbeispiele für Kapitel I befinden sich a) für die Ausdruckversion: in der Datei I.pdf auf der beiliegenden CD-ROM, b) für die Online-Version: in der entsprechenden Datei auf der Volltext-Seite des Opus-Systems bzw. direkt über den folgenden Link: rom_uri_nbsp_zu_kap_01.pdf. Die Einzelbeispiele sind über Links im Fließtext abrufbar.
I. Ein neuer Blick: Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik*
1. Einleitung: Tonartbezogenheit in Mozarts Komponieren
Inwiefern stellt die Tonartenwahl bei Mozart ein wesentliches, inwiefern nur ein
akzidentelles Moment seines Komponierens dar? Die Mozartforschung des ausgehenden
Jahrhunderts suchte die Antwort auf diese Frage vor allem im Bereich der
Tonartencharakteristik. Als erster umfassender Versuch dieser Art kann Werner Lüthys
Studie Mozart und die Tonartencharakteristik von 1931 genannt werden1. Lüthy, der
seine Thesen hauptsächlich auf eine Textanalyse von Arien und Liedern stützt, fasst seine
Ergebnisse in einem Überblick zusammen, der an Tabellen von Tonartencharakteristika
erinnert, wie sie von Musiktheoretikern des 18. und 19. Jahrhunderts her bekannt sind2.
Die in der Folgezeit entstandene umfangreiche Reihe von Publikationen zur
Tonartencharakteristik bei Mozart reicht bis in unsere Zeit hinein3. Indessen scheint
dieser Ansatz unter Mozartforschern kein Konsens zu sein. Während Wolfgang Auhagen
mit Blick auf die wichtigsten Beiträge zu diesem Thema eine positive Bilanz zieht4, lehnt
Wilhelm Gloede jeden Versuch, die Tonartencharakteristik auf Mozarts Musik
anzuwenden, kategorisch ab5.
Die Primärquellen aus Mozarts Umfeld bieten indes wenig Hilfe bei dem Versuch, die
Rolle der Tonartencharakteristik in seinem Denken zu rekonstruieren. Die „Lehre“ der
Tonartencharakteristik, die im Spätbarock eine überaus präsente, von Musiktheoretikern
1 Lüthy 1931/1974. 2 Johann Matthesons ausführlichste Auflistung verschiedener Tonartencharaktere befindet sich in der Orchestre-Schrift (1713/2002, S. 231–253). Wichtige und umfangreiche Quellen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Schilling 1835–38 und Hand 1837. 3 Als repräsentative Auswahl aus der Sekundärliteratur zur Tonartencharakteristik bei Mozart können folgende Quellen genannt werden: Souper 1933, Hyatt-King 1937, Tenschert 1953, Chusid 1968, Bockholdt-Weber 2003 und Jan 1995. Letztere Veröffentlichung beschäftigt sich allerdings überwiegend mit satztechnischen Aspekten (s. Besprechung in Unterkapitel 2.). Da sich die Zielrichtung der Tonartencharakteristik mit derjenigen der vorliegenden Studie nicht deckt, wird auf diese Quellen nicht näher eingegangen, es sei denn, zur Veranschaulichung konkreter Argumente. 4 Auhagen 1983, S. 270–279. 5 „Mozarts Tonartenentscheidungen auf die Lehre von der Tonartencharakteristik zurückzuführen, stellt m. E. eine durch Tatsachen nicht gedeckte, wissenschaftlich unhaltbare Mystifikation dar.“ (Gloede 1993, 42 f.)
23
http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2011/3128/pdf/rom_uri_nbsp_zu_kap_01.pdf
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
und Komponisten intensiv diskutierte Größe darstellte6, war zwar in Mozarts zeitlichem
sowie geographischem Umfeld weiterhin lebendig7, doch ist genau genommen keine
Aussage des Komponisten überliefert, die ihren Einfluss erkennen ließe. Während
beispielsweise Salieri bei der Vorbereitung auf die Komposition einer neuen Oper
pflegte, zuallererst die Tonarten der diversen Nummern in Übereinstimmung mit deren
Charakteren festzulegen8, sind solche Arbeitsvorgänge bei Mozart nicht bekannt. Verbale
Charakterisierungen von individuellen Tonarten – wie etwa Beethovens Beschreibung
von h-Moll als „schwarze Tonart“9 – begegnen bei Mozart ebenso wenig.
Mozarts dokumentierte Aussagen zu Fragen der Tonartenwahl fallen ohnehin extrem
spärlich aus10. Die ausführlichste Formulierung befindet sich in einem Brief an den Vater
vom 26. September 1781 aus Wien und betrifft die tonartlichen Entscheidungen in der
Arie des Osmin Nr. 3 der Entführung aus dem Serail:
„[…] und da sein Zorn immer wächst, so muß – da man glaubt, die aria seye schon zu Ende – das allegro aßai – ganz in einem andern zeitmaas, und in einem andern Ton – eben den besten Effect machen; denn, ein Mensch, der sich in einem so heftigen Zorne befindet, überschreitet alle Ordnung, Maas und Ziel, er kennt sich nicht – und so muß sich auch die Musick nicht mehr kennen – Weil aber die leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Eckel ausgedrücket seyn müssen, und die Musick, auch in der schaudervollsten lage, das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen muß, folglich allzeit Musick bleiben muß, so habe ich keinen fremden Ton zum f (zum ton der aria), sondern einen
6 Die Tonartencharakteristik stand inmitten erbitterter musiktheoretischer Debatten wie etwa derjenigen zwischen Friedrich Wilhelm Marpurg und Johann Philipp Kirnberger (vgl. Steblin 1983/1996, S. 79–102). Aber auch bei den Anhängern der Lehre herrschten grundsätzliche Zweifel über die triftige Zuordnung konkreter Charaktere zu bestimmen Tonarten: Allein unter den Veröffentlichungen Johann Matthesons zum Thema lassen sich eklatante Abweichungen feststellen (vgl. ebd., 51f.). 7 Vgl. z.B. Schubart 1806/1924, S. 261–265. 8 Mosel 1827/1999, S. 30–32. Für eine Besprechung der Stelle s. Heartz 1987/1990, S. 139 und Platoff 1996, S. 148 f. 9 S. Nottebohm 1887, S. 326. 10 In der Regel verwendet Mozart Tonartenbezeichnungen in seiner Korrespondenz als Erkennungsmerkmale, häufig um ein bestimmtes Werk von anderen Werken derselben Gattung zu unterscheiden (beispielsweise im Brief an den Vater aus Wien vom 26. Mai 1784 heißt es in Bezug auf die Klavierkonzerte KV 450, KV 451, KV 453 und KV 449: „Übrigens bin ich sehr begierig, welches unter den 3 Concerten B. D. und g. Ihnen und meiner Schwester am besten gefällt; – Das ex Eb gehört gar nicht dazu.“, BriefeGA, Bd. III, S. 315). Das Dur-Tongeschlecht versteht sich von selbst, Moll-Tonarten erhalten den Zusatz „minor“ (vgl. Briefzitat im Haupttext). Außer dem oben angeführten Zitat bezüglich der Osmin-Arie findet sich nur noch eine Briefstelle Mozarts, die seine Tonartenwahl thematisiert: Dieses auf die Haffner-Sinfonie (in ihrer ursprünglichen Fassung als Serenade) bezogene Zitat wird in Kapitel V in einem Exkurs unter 2.2.2.2. diskutiert.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
befreundten dazu, aber nicht den Nächsten, D minor, sondern den weitern, A minor, gewählt.“11
Diese bereits aufgrund ihrer Relevanz für das Verständnis von Mozarts Musikästhetik
bemerkenswerte Aussage12 wurde als Indiz für den vermeintlichen Stellenwert der
Tonartencharakteristik des Komponisten interpretiert: Genau genommen handelt es sich
bei dieser Besprechung jedoch um das Tonarten-Verhältnis zwischen dem Hauptteil der
Arie (in F-Dur) und dem abschließenden Presto (in a-Moll) und um keine Einzel-
Charakterisierung dieser beiden Tonarten13.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Tonart a-Moll eine charakteristische Tonart der
Janitscharmusik der Zeit darstellte14, hätte sich Mozart in seiner Erklärung auch auf
diesen kompositorischen Gemeinplatz berufen können (schließlich verwendet er im
abschließenden Presto von Osmins Arie auch das typisch türkische Schlagwerk). Eine
solche nahe liegende Erklärungsstrategie bezöge sich wiederum nicht auf die
Tonartenrelationen innerhalb der konkreten Arie, sondern vielmehr auf einen stück-
unabhängigen „a-Moll-Charakter“. Mozarts Vermeidung einer Erklärung im Geiste der
Tonartencharakteristik sowie seine viel raffiniertere, auf individuelle kompositorische
Begebenheiten eingehende Rechtfertigung seiner Tonartenwahl sprechen – wenn
überhaupt – eher gegen die Annahme, die Tonartencharakteristik habe in seinem
ästhetischen Denken eine wesentliche Rolle gespielt. Obwohl sich in seinem Schaffen der
„türkische Charakter“ tatsächlich mit einiger Regelmäßigkeit mit der Tonart a-Moll
verband15, belegt das obige Zitat, dass Mozart sich dieser Korrelation möglicherweise
nicht bewusst war, sie jedenfalls zu keinem tonartencharakteristischen „Programm“
machte16.
11 BriefeGA, Bd. III, S. 162. 12 Vgl. Konrad 2005, S. 148–150. 13 Dieser Briefstelle entnimmt Lüthy (1931/1974, S. 37) „zwischen den Zeilen“, dass Mozart „tatsächlich bewußt die Tonarten zur Charakteristik herbeizog“ und dass er die Tonart a-Moll deshalb gewählt habe, „weil sie sich zur Schilderung von Grausamkeit eignet“. Gloede (1993, S. 29) kritisiert Lüthys „Überinterpretation“ als einen „Zirkelschluß“, denn „die Eignung der Tonart zur Schilderung von Grausamkeit wird bei deren ausführlicherer Erörterung allein aus eben dieser Arie abgeleitet“. 14 Vgl. Überlegungen zu den „Janitschar-Tonrten“ und zu deren Verwendung bei Mozart in Perl 2000. 15 Zu benennen wären etwa die a-Moll-Episode aus dem Schlusssatz der Violinkonzert KV 219 sowie der „Alla Turca“-Satz aus der Klaviersonate KV 331 (300i). 16 Mit dieser Besprechung soll keinesfalls ausgeschlossen werden, dass Mozart Tonarten gelegentlich auch symbolisch verwendet haben könnte: Ein bekannter Fall begegnet im Zusammenhang mit der
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Leopold Mozarts Ansichten über tonartencharakteristische Fragen sind ebenfalls von
Belang, da er in Wolfgangs kompositorischem Werdegang eine zentrale Rolle spielte und
einen lebenslangen Einfluss auf die kompositionstechnischen Gewohnheiten und die
ästhetischen Anschauungen seines Sohnes ausübte17. In seiner Gründlichen Violinschule
von 1756 widmet Leopold dem Thema eine einzige etwas kryptische Fußnote:
„[…] In der Kirche geniessen sie [die „alten“ Modi] das Freyungsrecht; bey Hofe aber werden sie nimmer gelitten. Und wenn gleich alle die heutigen Tongattungen nur aus der Tonleiter (C) Dur und (A) moll versetzet zu seyn scheinen; ja wirklich durch Hinzusetzung der (b) und (#) erst gebildet werden: woher kömmt es denn, daß ein Stück, welches z.E. vom (F) ins (G) übersetzet wird, nimmer so angenehm läßt, und eine ganz andere Wirkung in dem Gemüthe der Zuhörer verursachet? Und woher kömmt es denn, daß ein wohlgeübter Musikus bey Anhörung einer Musik augenblicklich den Ton derselben anzugeben weis, wenn sie nicht unterschieden sind?“18
Aus dieser knappen Bemerkung geht hervor, der Autor halte es für selbstverständlich,
dass verschiedene Tonarten unterschiedliche Charaktere besitzen und folglich auch
unterschiedliche „Wirkungen“ beim Zuhörer erzeugen. Mit der Behauptung, ein geübter
(professioneller) Musiker würde die Tonart eines Stücks sofort erkennen, dürfte sich
Leopold kaum auf Musiker mit absolutem Gehör bezogen haben, denn in diesem
Zusammenhang muss diese Aussage als rein tautologisch erscheinen. Vielmehr scheint
Leopold zu suggerieren, dass unterschiedliche Tonarten über unterschiedliche „akustische
Profile“ verfügen, die sie – für Musiker vom Fach – leicht erkennbar und unterscheidbar
machen (zum Begriff des akustischen Profils einer Tonart s. Besprechung in Unterkapitel
3.). In Anbetracht der Tatsache, dass keine weiteren Aussagen Leopolds zum Thema
überliefert sind, scheint die Tonartencharakteristik keine maßgebliche Rolle in seiner
ästhetischen Auffassung gespielt zu haben und dürfte folglich auch in der musikalischen
Erziehung seines Sohnes einen eher untergeordneten Stellenwert innegehabt haben.
Angesichts der eher mageren Indizien aus Mozarts direktem Umfeld drängt sich die
Frage auf, ob der Diskurs zur Bedeutung der Tonartenwahl in seiner Musik zwangsläufig
ausschließlich aus der Perspektive der Tonartencharakteristik geführt werden muss. mutmaßlichen symbolischen Funktion der Tonart Es-Dur als „Freimaurer-Tonart“ (die Argumente für diese Lesart sind beispielsweise in Wagner 2004 und Elenor 1987 dargelegt). 17 Eine stichhaltige Würdigung von Leopolds eigenen künstlerischen Meriten sowie von seiner Rolle in Wolfgangs kompositorischer Entwicklung stellt indes ein derzeit noch nicht gelöstes Problem der Mozart- und der Leopold-Mozart-Forschung dar; vgl. hierzu Raab 1997, Kaiser 2007, S. 32 f., 48 f. 18 Mozart 1756, S. 59, Anm. 1.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Neuere Beiträge verfolgen gelegentlich einen anderen Ansatz, welcher – im Unterschied
zur Tonartencharakteristik – strukturell-satztechnischen Aspekten der
Tonartenbezogenheit eine wichtigere Rolle beimisst als dem Tonartencharakter (eine
Auswahl dieser Beiträge wird unter 2. diskutiert). So beispielsweise zeigt Wilhelm
Gloede in seinem Artikel „Motivstruktur und Tonart bei Mozart“ – ausgehend von einer
grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der Anwendung tonartencharakteristischer
Denkkategorien auf Mozarts Musik – eine statistische Korrelation bestimmter
motivischer Gestalten und bestimmter Tonarten in Teilbereichen des Mozartschen
Œuvres auf19.
Es muss allerdings festgehalten werden, dass zwischen tonartengebundenen Strukturen
und Tonartencharakter kein apodiktischer Gegensatz besteht. Ein Versuch, dass
Verhältnis zwischen Charakter und satztechnischen Bestimmungsmomenten als eine
Dichotomie darzustellen, müsste bereits daran scheitern, dass ein musikalischer Charakter
schließlich nichts anderes darstellen dürfte als das Resultat ineinander wirkender
satztechnischer Momente. In diesem Sinne schreibt Paul Mies:
„Eine Tonart hat also einen bestimmten Charakter, 1. wenn eine große Gruppe von Stücken der Tonart gemeinsame Inhalte (Stimmungen, Vorstellungen), gemeinsame musikalische Faktoren (Tempo, Melodik, Rhythmik und dgl.) hat.“20
Die Bezugnahme auf konkrete strukturelle Merkmale bedeutet folglich an sich noch keine
Aufgabe des „paradigmatischen Rahmens“ der Tonartencharakteristik. Bei der im
Rahmen der vorliegenden Arbeit zu postulierenden Tonartenbezogenheit des
Mozartschen Werks handelt es sich jedoch um eine grundsätzlich andere Fragestellung
als diejenige der Tonartencharakteristik. Selbst wenn die konkreten Befunden der im
Folgenden vorzunehmenden Untersuchung – zumindest teilweise – auch aus
tonartensemantischer Sicht fruchtbar gemacht werden können, ist die zwingende
Schlussfolgerung aus diesem Umstand jedoch nicht, dass Mozart „tonartensemantisch“
gedacht haben muss. Vielmehr wird in dieser Studie versucht, die Tonartenbezogenheit
als die Eigenschaft einer a- (bzw. vor-)semantischen Ebene von Mozarts Komponieren
herauszudestillieren – sofern sich eine solche Ebene als eine eigenständige Größe
19 Für einen Überblick über Gloedes Befunde s. Unterkapitel 2. 20 Mies 1948, S. 12.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
erfassen und darstellen lässt. Die epistemologische Grenze zwischen der herkömmlichen
Tonartencharakteristik und dem Phänomen, das im Folgenden als „Tonartenidiomatik“ zu
bezeichnen sein wird, wird in Unterkapitel 3. zu erörtern sein. Dieser Unterscheidung sei
Zunächst ein kurzer Überblick über einige der bisherigen Untersuchungen zu
tonartenbezogenen Strukturmerkmalen in Mozarts Werken vorausgeschickt.
2. Tonartengebundene Strukturmerkmale in Mozarts Werken gemäß
gegenwärtigem Forschungsstand
Wie im vorangehenden Unterkapitel angemerkt, besteht kein apodiktischer Gegensatz
zwischen tonartenbezogenen Strukturen und tonartenbezogener Semantik. Während im
folgenden Unterkapitel eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Unterscheidung
zwischen „Tonartencharakteristik“ und „Tonartenidiomatik“ angestrebt wird, sprechen
Studien zu tonartgebundenen Strukturmerkmalen in aller Regel auch die semantische
Komponente an. Der umgekehrte Sachverhalt – dass primär auf den Tonartencharakter
gerichtete Besprechungen explizit auf strukturelle Aspekte eingehen – tritt seltener auf,
bzw. beschränken sich solche Verweise häufig auf generelle Parameter wie Tempo,
Taktart und grundlegende rhythmische Gesten bzw. Satzbilder eines Stücks21.
Während die Literatur über Tonartencharakteristik bei Mozart inzwischen auf eine reiche
Tradition zurückblicken kann, fallen Beiträge zu satztechnischen Aspekten seines
tonartbezogenen Komponierens eher spärlich aus. Mit der folgenden Übersicht wird
keine lückenlose Darstellung der betreffenden Besprechungen in der einschlägigen
Literatur angestrebt; vielmehr geht es darum, die Vielfalt der bestehenden Ansätze
aufzuzeigen und auf die diversen dargebotenen Interpretationen zur Korrelation zwischen
Tonartenwahl und satztechnischer Gestaltung in Mozarts Schaffen zu verweisen. Explizit
„tonartencharakteristische“ Diskussionen werden indes nicht berücksichtigt.
21 So beispielsweise fokussiert Mies’ Auswertung von Tonartencharakteren im Schaffen Beethovens und Brahms’ „Bindungen der Tonart mit Taktarten, Zeitmaßen, Rhythmen, Inhalt“ (1948, S. 211 ff.). Im Hinblick auf Mozarts Tonartencharaktere beschränkt sich Mies auf eine Wiedergabe der Hauptbefunde Lüthys (ebd., S. 219 ff.).
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Zunächst sei eine Textstelle Alfred Einsteins herangezogen, die insofern frappiert, als der
Autor Mozart – im Unterschied etwa zu Bach und Beethoven – eine Ausdifferenzierung
in der konkreten satztechnischen Ausrichtung von diversen Tonarten eher abspricht:
„‚Tonart’ hat für ihn eine ganz andere Bedeutung als für Bach, Beethoven und eine ganze Reihe anderer Meister; auch für Haydn. Jeder feinfühlige Musiker hat vielleicht schon beobachtet, daß bei solchen Meistern bestimmte melodische Wendungen oder Figurationen mit bestimmten Tonarten fest verbunden sind. Bei Bach zum Beispiel mit G-dur die Sechsachtelketten, mit d-moll eine Art von reizbarer Figuration (verbunden mit Chromatik); bei Beethoven mit C-dur eine spezifische Brillianz, verbunden mit akkordischer Figuration […] Es handelt sich hier um eine Art von Idiosynkrasien, die bei der Wahl besonderer Tonarten besondere melodische Wendungen ausschließen und andern den Zugang erleichtern. […] Bei Mozart ist die Tonart neutral, so sorgsam er sie in jedem Fall gewählt hat. Sein C-dur, D-dur, Es-dur ist ihm ein reicherer, weiterer Bezirk als andern Zeitgenossen, ein fruchtbarer Boden, auf dem Rosen, aber auch Zypressen wachsen können.“22
Einsteins Betrachtungen schillern zwischen allgemeiner Charakterisierung von Tonarten
einerseits und Verweisen auf konkrete tonartbezogene satztechnische Verfahren
(„melodische Wendungen oder Figurationen“) andererseits. Aus der Gegenüberstellung
der Komponisten im obigen Zitat geht indes eindeutig hervor, dass er gerade solche
konkreten „Idiosynkrasien“ als typisch für Bach und Beethoven, nicht aber für Mozart
wissen will.
Wilhelm Gloedes Sicht auf Mozarts Handhabung der Tonarten ist derjenigen Einsteins
beinahe diametral entgegengesetzt. Während Einstein an einer weiteren Stelle seines
Texts immerhin bestimmten Tonarten (F-, G-, A- und – auf eine etwas weniger
ausgeprägte Art – auch B-Dur) eine „mehr spezifische Färbung“ anerkennt23, betrachtet
Gloede solche allgemeinen Charakterisierungen von Tonarten grundsätzlich als
Fehlschlüsse, verweist im Gegenzug auf konkrete Motivstrukturen, die er als eine
„Enklave musikbezogen-systematischer Tonartwahl innerhalb Mozarts im übrigen
weitgehend beliebig anmutender Praxis der Tonartbestimmung“ bezeichnet24.
22 Einstein 1945/31953, S. 193 f. 23 Ebd., S. 195. 24 Gloede 1993, S. 43.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Gloedes Motivstrukturen betreffen die Tonarten: A-Dur, a-Moll, B-Dur, c-Moll und d-
Moll (s. schematische Darstellung in Beispiel 1.1)25. Seine Ergebnisse belegt er mit einer
Statistik, die auf einer Analyse von Satz- bzw. Opernnummern-Anfängen beruht.
Bezeichnend erscheint, dass drei von Gloedes fünf Motivstrukturen an Moll-Tonarten
gebunden sind, obwohl der prozentuale Anteil der Moll-Tonarten bei Mozart weit unter
10% seines Schaffens liegt (vgl. Diagramm 3.2 und 3.3 in Kapitel III unter 2.1. und 2.2.
resp.)26.
Beispiel 1.1: W. Gloedes Motivstrukturen für die Tonarten a) A-Dur und a-Moll b) d-Moll
c) c-Moll d) B-Dur
Die Instanzen der d-Moll-Motivstruktur (Beispiel 1.1b) umfassen beispielsweise solche
Passagen wie den Beginn des III. Satzes (Menuett) aus dem d-Moll-Streichquartett KV
421 (417b), den Beginn des d-Moll-Klavierkonzerts KV 466, den ersten Einsatz Donna 25 Da Gloede selbst für seine Motivstrukturen keine Schemata generiert, geht die Darstellung in Beispiel 1.1 auf eine Auswertung seiner konkreten Beispiele sowie auf seine verbalen Beschreibungen zurück. Vor allem die Darstellung der B-Dur-Motivstruktur in Beispiel 1.1d stellt eine freie Zusammenstellung von typischen Klangfortschreitungen dar, wie sie sich in Gloedes konkreten Belegstellen für diese Tonart manifestieren. 26 Eine in Kapitel VII der vorliegenden Arbeit zu untersuchende, an die Tonart Es-Dur angebundene sechstönige Motivstruktur (vgl. Beispiel 7.3 dort unter 3.) wird von Gloede nicht erwähnt. Dies ist wohl kein Zufall, denn seine Untersuchung erfasst vor allem melodische Wendungen, die am Anfang eines Satzes bzw. zu Beginn eines größeren Formabschnitts exponiert werden, während die betreffende Motivstruktur in der Regel der zweiten oder dritten Phrase eines Themas angehört.
30
http://urirom.com/media/dissertation/NBSP_1.1.pdf
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Annas im Sextett Nr. 19 aus Don Giovanni, die erste Gesangphrase aus der zweiten Arie
der Königin der Nacht Nr. 14 der Zauberflöte etc.27 Die identischen Motivstrukturen von
A-Dur und a-Moll (s. Beispiel 1.1a; Belegstellen: Streichquartett in A-Dur KV 464, I.
Satz, Rondo in a-Moll KV 511) führt Gloede auf einen instrumentaltechnischen Aspekt
zurück: Hinter dem abfallenden Quintmotiv e2 – a1 vermutet er eine Kombination der
beiden oberen Violinsaiten, welche die „Hör- und Lernerlebnisse Mozarts“ maßgeblich
geprägt haben soll28. Das Charakteristische an der B-Dur-Motivstruktur (Beispiel 1.1d)
besteht weniger im linearen Verlauf der Melodiestimme als vielmehr in der Kombination
der beiden Prinzipien Chromatik einerseits und melodischer Bewegung in Terzparallelen
andererseits (Belegstellen: Hauptthemen des Klavierkonzerts KV 450 und des
Klaviertrios KV 502)29. Das c-Moll-Motiv (Beispiel 1.1c) begegnet beispielsweise am
Beginn der Klaviersonate KV 457 sowie beim ersten Choreinsatz im Kyrie der c-Moll-
Messe KV 427 (417a)30.
Gloedes Erklärung der Korrelation zwischen Tonartenwahl und Motivstruktur bei Mozart
bezieht sich auf das absolute Gehör des Komponisten (s. Besprechung in Kapitel II unter
1.). Diese Art der Erklärungsstrategie ist explizit individualspezifisch: Das Phänomen
wird einzig und allein in Verbindung mit Mozarts individueller Komponierweise und mit
seinen besonderen musikalischen Fähigkeiten gesehen – die Möglichkeit, dass
tonartspezifische satztechnische Strategien mithin kulturelles Gemeingut darstellen und
auch bei anderen Komponisten begegnen könnten, kommt bei Gloede nicht zur Sprache.
Im Unterschied zu Gloede setzt Mark Anson-Cartwright in einem Artikel über
chromatische Merkmale in Es-Dur-Werken der Wiener Klassik voraus, dass die
Korrelation zwischen Tonart und Satztechnik keine individualspezifische, sondern
vielmehr eine gemeinschaftliche Eigenschaft darstellen, die mehrere Komponisten einer
gegebenen Stilepoche miteinander verbindet. Der Autor versteht seinen Beitrag als einen
27 Ebd., S. 36. Es wäre nicht auszuschließen, dass Gloedes d-Moll-Motivstruktur im Zusammenhang mit bestimmten melodischen Wendungen des plagalen dorischen Modus verstanden werden dürfte, womit sich ihre Affinität zu einer D-Tonalität auch toposgeschichtlich begründen ließe. 28 Ebd., S. 39. Vgl. Diskussion zur Instrumentalidiomatik in Kapitel IX unter 1.3. 29 Ebd., S. 37. 30 Ebd., S. 36. Für eines Besprechung des mutmaßlichen Einflusses dieser c-Moll-Motivik auf Beethovens Themenbildung in dieser Tonart vgl. Tusa 1993, S. 6–10.
31
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Schritt auf dem Weg zu einer von ihm postulierten „allgemeinen Theorie der Relationen
zwischen Tonart und Kompositionstechnik“31. Das gemeinschaftliche Moment an sich
wird nicht hinterfragt, vielmehr werden Befundstellen aus Werken des Dreigestirns
Haydn – Mozart – Beethoven zum Belegen von bestimmten satztechnischen Verfahren
herangezogen, wobei sich allerdings auch eklatante Unterschiede unter den drei
Komponisten zeigen.
Der zentrale Gegenstand von Anson-Cartwrights Untersuchung ist ein Schillern zwischen
h und ces in der Rückleitung am Ende von Durchführungspartien aus Es-Dur-Sätzen der
drei Komponisten. Seine angeführten Beispiele etwa aus Mozarts KV 498/I und KV
543/IV sowie Haydns Hob. XVI:49/I und op. 33 no. 2/I überzeugen als
Erscheinungsformen von vergleichbaren satztechnischen Prinzipien32. In diversen
Appendices werden auch zusätzliche „chromatische Merkmale“ aus Es-Dur-Tonsätzen
der drei Komponisten aufgelistet33. Das Erscheinen von des „kurz nach Satzbeginn“ ließe
sich nur unter einer breiten Definition von Chromatik auffassen, handelt es sich doch um
keine chromatische Progression im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um eine
Exordialkadenz in Verbindung mit „Motivo di cadenza“34. Während es für dieses
Verfahren viele Beispiele in Es-Dur gibt, stehen bei Mozart etliche Fälle auch in anderen
Tonarten35. Anson-Cartwrights Beispiele für die Tonikalisierung von Des-Dur im Laufe
der Durchführungspartien von Es-Dur-Sätzen der besagten drei Komponisten stellen ein
Sammelsurium von sehr unterschiedlichen Verfahrensweisen dar: Während in den
Mozartschen Beispielen die Tonikalisierung von Des-Dur an eine Vermollung der
Dominanttonart B-Dur am Durchführungsbeginn anschließt, stehen etwa die Haydnschen
Belegstellen ausnahmslos an späterer Position der jeweiligen Durchführungspartien und
sind ferner in andersartige harmonische Konstellationen eingebunden36.
31 Im Original: „a general theory of relations between key and compositional technique“ (Anson-Cartwright 2000, S. 177). 32 Ebd., S. 183–187. 33 Ebd., S. 197–200. 34 Vgl. Anm. 95 in Kapitel V unter 2.2.2.2. 35 Vgl. Erscheinungsformen des Prinzips in D-Dur-Sätzen in Anson-Cartwright 2000, Appendix 5, S. 200 sowie Anm. 97 in Kapitel V unter 2.2.2.2. 36 Für eine Auseinandersetzung mit Anson-Cartwrights Belegstellen für die erniedrigte VII. Stufe als Tonikalisierungsziel in der Durchführung vgl. Anm. 422 in Kapitel VI unter 7.3.1.1.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
Es stellt sich indes die generelle Frage, inwiefern man von einer „allgemeinen“
satztechnischen Ausrichtung einer Tonart überhaupt sprechen kann. Während Gloedes
Vernachlässigung von nahe liegenden Entsprechungen zwischen den Mozartschen
Motivstrukturen und allgemeinen toposgeschichtlichen Traditionen als einseitig kritisiert
werden kann37, sind Anson-Cartwrights Verallgemeinerungen irreführend auf eine andere
Art, und zwar insofern, als sie über den Umstand hinwegtäuschen, dass die satztechnische
Ausrichtung einer Tonart keine Eigenschaft der Tonart selbst darstellt, sondern vielmehr
auf den Schaffensprozess diverser einzelner Komponisten zurückgeht. Selbst wenn sich
ein eklatanter Bezug zu topologischen Traditionen oder gar zu allgemeinen „akustischen“
Merkmalen einer Tonart erhärten ließe (zum „akustischen Profil“ einer Tonart vgl.
nächstes Unterkapitel), bleiben die tonartspezifischen Gestaltungsweisen Eigentum der
einzelnen Komponisten, die diese Einflüsse wahr- und annehmen – und sie dabei auch
maßgeblich variieren können. Wird eine „allgemeine Relation“ zwischen Tonartenwahl
und satztechnischen Merkmalen als eine reale Größe postuliert, verführt dieses dazu,
Zusammenhänge auch an Stellen zu sehen, wo sie nicht existieren38.
Dieses bedeutet aber keinesfalls, dass etwaige Entsprechungen in der satztechnischen
Ausgestaltung von bestimmten Tonarten unter den Mitgliedern einer
„Komponistengemeinschaft“ keinen angemessenen Untersuchungsgegenstand darstellten.
Im Gegenteil: Die Korrektur zu Anson-Cartwrights Konzept bestünde lediglich darin,
dass an die Stelle einer „allgemeinen Theorie der Relationen zwischen Tonart und
Kompositionstechnik“ die Summe der Einzeltheorien treten sollte, die die
individualspezifische Behandlung der Tonarten durch einzelne Komponisten einerseits
sowie das Netzwerk an möglichen Einflüssen und kollektiven Traditionen andererseits
zum Gegenstand der Erörterung machten.
David Beachs Studie über ein „wiederkehrendes Muster“ in Mozarts Werken39 stellt im
Kontext der vorliegenden Besprechung insofern einen Sonderfall dar, als sich der Autor
keine Fragen zu tonartgebundenen Gestaltungsmerkmalen stellt, sondern sich vielmehr 37 Vgl. Anm. 27 oben. 38 Anson-Cartwrights Idee einer „allgemeinen Theorie“ der Korrelationen zwischen Tonartenwahl und satztechnischer Gestaltung erinnert an den Anspruch der Tonartencharakteristik, den Tonartencharakter an der „Tonart selbst“ im Sinne einer für sich stehenden Entität festmachen zu wollen. 39 S. Beach 1983.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
mit den Erscheinungsformen eines bestimmten satztechnischen Prinzips – zunächst
tonart-unabhängig – befasst: Die tonartlichen Entsprechungen entspringen dieser
Untersuchung gewissermaßen als ein „Nebenprodukt“. Beach geht es um das
Artikulieren der Stufe III (mit erhöhtem drittem Skalenton) gegen Ende der
Durchführungspartie in Mozarts Klaviersonaten40. Diese satztechnische Verfahrensweise
stellt er in zwölf Klaviersonatensätzen Mozarts fest. Dabei stellt sich folgender
Sachverhalt heraus:
„[…] half of the twelve movements from Mozart’s piano sonatas which contain this emphasis on the mediant, are in the key of F major. This suggests the possibility that Mozart may have associated certain progressions with certain keys. This does not seem to be an unreasonable assumption given the obvious keeness [sic!] of Mozart’s musical ear.“41
Die Herangehensweise Beachs entspricht insofern den analytischen
Auseinandersetzungen im zentralen Teil der vorliegenden Arbeit, als die in den Kapiteln
V–VII zu untersuchenden satztechnischen Modell-Definitionen ebenfalls zunächst
tonarten-unabhängig zu entwickeln sein werden. Ähnlich wie bei Beach wird auch in
dieser Arbeit festzustellen sein, dass die konkreten Erscheinungsformen eines
satztechnischen Modells nicht – oder nur selten – ausschließlich in einer Tonart stehen.
Vielmehr offenbart sich das tonartgebundene Moment in Mozarts Komponieren in
statistisch nachweisbaren Präferenzen für eine bestimmte Tonart unter den
Erscheinungsformen eines Modells – nicht aber in einer ausschließlichen Korrelation.
Die bisher umfangreichste Einzelstudie zu Mozarts satztechnischer Ausrichtung einer
Tonart ist Steven Jans Monografie über Mozarts Komponieren in g-Moll42. Jan befasst
sich überwiegend mit „objektiv-strukturellen“ (also musik-immanenten bzw.
40 Die harmonische Progression V – III# – I bezeichnet Beach als „large-scale bass arpeggiation“ (ebd., S. 1). Anhand einer Analyse der Klaviersonatensätze KV 280/I und III (in F-Dur), KV 332/I (in F-Dur) und KV 333/I (in B-Dur) sowie des Kopfsatzes des Streichquartetts KV 590 (in F-Dur) zeigt Beach, dass diese „arpeggiation“ auch eine konkrete Verbindung zu motivisch-thematischen Elementen der jeweiligen Tonsätze aufweist. 41 Ebd., S. 21. In diesem Zusammenhang stellt Beach auch zwei Nicht-Mozartsche Erscheinungsformen der von ihm untersuchten Gestaltungsstrategie fest, und zwar im ersten Satz aus Beethovens Frühlingssonate für Klavier und Violine op. 24 sowie in Chopins Etüde in op. 10 Nr. 8. Beide Stücke – wie auch die Hälfte der Mozartschen Beispiele – stehen in F-Dur. 42 Jan 1995.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
satztechnischen) Aspekten von Mozarts Musik in g-Moll; Textvertonungen benutzt er
jedoch, um gelegentlich auch in den „subjektiv-konzeptuellen“ Bereich einzudringen43.
Jans Untersuchungsgebiete sind sehr vielfältig. Zum einen bietet er gattungsspezifische
Studien zu Mozarts g-Moll-Arien und zu den Moll-Menuetten des Komponisten44. Zum
anderen werden konkrete satztechnische Verfahren im Corpus der Mozartschen g-Moll-
Werke und -Sätze herausgegriffen und analysiert. Ein Untersuchungsgegenstand, dem Jan
besondere Aufmerksamkeit widmet, ist das Prinzip der Register- bzw. Tonhöhen-
Invarianz, das sich im Verhältnis zwischen analogen Kadenz-Progressionen aus
Expositions- und Reprisenteil eines Satzes manifestiert45. Zwei Kapitel gelten der
Untersuchung von chromatischen Merkmalen in Mozarts melodischen Linienführung: Es
handelt sich zum einen um absteigende chromatische Linien, die die V. und die I.
melodische Stufe miteinander verbinden, zum anderen um chromatisierte Lamentobass-
Progressionen und ihre satztechnische Inszenierung46. Der tonale Plan von
Durchführungspartien in Mozarts g-Moll-Sonatenhauptsätzen wird in einem separaten
Kapitel im Sinne Schenkerscher „Mittelgrund-Struktur“ untersucht47.
Die vorliegende Besprechung bietet keinen Rahmen für eine gebührende Würdigung von
Jans detail- und kenntnisreicher Studie. Im Folgenden sollen lediglich einige wenige
Punkte seiner Methodologie sowie einige seiner Ergebnisse hervorgehoben werden, die
für die vorliegende Untersuchung von besonderem Belang sind.
Jans Untersuchungen gehen von Tonsätzen aus, die in ein und derselben Tonart stehen,
mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter ihnen herauszuarbeiten. Die
Materialbefund-Kapitel (V–VII) der vorliegenden Studie gehen insofern umgekehrt vor,
als die zu untersuchenden Modell-Definitionen zunächst tonart-unabhängig entwickelt
werden und erst in einem zweiten Schritt auf potentielle tonartliche Tendenzen hin
43 Zu Jans Unterscheidung zwischen den Kategorien „objektiv-strukturell“ und „subjektiv-konzeptuell“ vgl. ebd., S. 28 ff. 44 Ebd., S. 51 ff. und 97 ff. resp. 45 Diese Thematik wird in Jans Kapitel über „cadential correspondence patterns“ abgehandelt (ebd., S. 149 ff.). Für eine Besprechung des Invarianz-Prinzips unter Miteinbeziehung von Jans Kategorien s. Kapitel II unter 3. 46 Ebd., S. 191 ff. und 225 ff. resp. 47 Ebd., S. 271 ff.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
geprüft werden48. Für einen Vergleich mit anderen Tonarten sorgt in Jans Studie das
Miteinbeziehen von verschiedenen „Kontroll-Corpora“49, anhand derer Aussagen darüber
getroffen werden, welche Gestaltungsmerkmale typisch (oder gar exklusiv) für g-Moll
sind, welche wiederum keine solchen tonartlichen Bindungen aufweisen.
Bemerkenswert ist ebenfalls der Umstand, dass Jan Top-Down- und Bottom-Up-
Verfahren miteinander kombiniert (ohne dieses jedoch explizit zu thematisieren):
Ausgehend von einer übergeordneten Definition des jeweiligen
Untersuchungsgegenstandes zeigt er nicht nur die Entsprechungen (bzw. Divergenzen)
auf, welche die „Haupteigenschaften“ dieses Gegenstands betreffen, sondern geht
ebenfalls auf Momente der Ähnlichkeit ein, die erst aus einem Vergleich unter den
konkreten Tonsätzen hervorgehen50. Die Vermischung von Top-Down- und Bottom-Up-
Strategien ist auch für die Methodologie der vorliegenden Arbeit von grundlegender
Bedeutung (s. Kapitel IV unter 4.1.).
Ein wichtiges Ergebnis aus Jans Untersuchung ist die Erkenntnis, dass die Korrelation
zwischen Tonartenwahl und satztechnischer Gestaltung in Mozarts Musik in g-Moll
keine statische, konstante Größe darstellt: Vielmehr postuliert Jan eine allmähliche
Entwicklung in Richtung tonartspezifischer Gestaltung zu Mozarts spätem Schaffen
hin51. Etwa aus den zehn Arien in dieser Tonart zeigen nur die letzten fünf solche
Merkmale, die sie mit einem spezifischen „g-Moll-Charakter“ verbinden (Inhalte von
Traurigkeit und Verlust und – dementsprechend – mäßige bis langsame Tempi)52. Diese
48 Die ausgewählten Merkmale des „C-Dur-Netzwerks“ in Kapitel VIII (Unterkapitel 2.) werden – ähnlich der Verfahrensweise Jans – zunächst aus C-Dur-Tonsätzen zusammengetragen und erst dann gegen Erscheinungsformen aus Sätzen anderer Tonarten abgewogen. Die methodologische Herangehensweise hierbei ist allerdings ergebnis-orientierter als bei Jan, da nur solche Merkmale berücksichtigt werden, die sich tatsächlich als „idiomatisch“ für C-Dur erweisen (s. dort). 49 Vgl. ebd., S. 38 f. und 100 ff. Bei den Kontroll-Corpora handelt es sich jeweils um Proben aus Mozarts Werken in anderen Tonarten als g-Moll. 50 Hierher gehören die offensichtlichen Analogien in der Konstruktion der Durchführungspartien von KV 312 (590d), KV 478/I, KV 516/I und der Arie Nr. 13 aus Zaide KV 344 (336b), s. ebd., S. 280 ff. Umfassende satztechnische Analogien zwischen zwei Tonsätzen (oder mehr) werden in der vorliegenden Arbeit unter der Kategorie der „Entlehnung“ aufzufassen sein (vgl. Kapitel IV unter 4.2.). 51 Vgl. Besprechung in Kapitel IX unter 1.1. 52 Die betreffenden Arien sind „Padre, germani, addio!“, Nr. 1 aus Idomeneo, „Traurigkeit ward mir zum Lose“, Nr. 10 aus der Entführung aus dem Serail, „Da schlägt die Abschiedsstunde“, Nr. 1 aus Der Schauspieldirektor, der mittlere Abschnitt aus der Arie der Königin der Nacht Nr. 4 aus der Zauberflöte sowie die Arie der Pamina Nr. 17 derselben Oper.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
charakterlich-affektive Spezifizierung eines g-Moll-Stils soll laut Jan parallel zu einer
ähnlichen Entwicklung von konkreten g-Moll-typischen satztechnischen Verfahren
stattgefunden haben: Beide Entwicklungen lassen sich vor allem auf Mozarts zehn letzte
Lebensjahre datieren.
3. Von der Tonartencharakteristik zur Tonartenidiomatik
Das Konzept des „Tonartencharakters“ schließt zwangsläufig eine Ebene von
symbolischer Kommunikation ein53. Sobald einer Tonart eine bestimmte „Bedeutung“
zugewiesen wird, wird implizit angenommen, dass der Komponist durch die Wahl dieser
Tonart eine zusätzliche Schicht von Bedeutungen in das Werk mit einflechtet, die über
diejenige der rein strukturellen Merkmale der Musik hinausgeht. Die konkrete, einer
Tonart beizumessende Bedeutung kann eine dauerhafte kulturelle Konvention, eine
vorübergehende „Modeerscheinung“ oder gar eine individualspezifische Gepflogenheit
eines spezifischen Komponisten repräsentieren. Sie kann gelegentlich sogar in
ironischem Widerspruch zum Inhalt des konkreten Stücks stehen, wie etwa wenn Mozart
die „Grauen-Tonart“ f-Moll für Barbarinas Klage über den Verlust einer Nadel am
Beginn des IV. Akts Figaro wählt54. Grundsätzlich vereinnahmen
53 Im Kapitel „Ausdruck“ seiner philosophisch-erkenntnistheoretischen Untersuchung Sprachen der Kunst beschreibt Nelson Goodman das, was ein „Symbol“ auszudrücken vermag folgendermaßen: „Die Eigenschaften, die ein Symbol ausdrückt, sind sein Eigentum. Aber sie sind erworbenes Eigentum. Sie sind nicht die heimischen Merkmale, durch die die als Symbole dienenden Gegenstände und Ereignisse buchstäblich klassifiziert werden, sondern sie sind metaphorische Importe.“ (Goodman 1968/1975, S. 89) – Auf die Tonartencharakteristik übertragen bedeutet diese Formulierung, dass eine Tonart, sofern sie als Symbol verwendet oder verstanden wird, ihre symbolischen Eigenschaften „erwirbt“, etwa indem sie mit bestimmten Ausdrucksweisen konnotiert wird. Sofern die „Merkmale“, die einer bestimmten Tonart ihre symbolischen Eigenschaften verleihen, von der besonderen Klanglichkeit dieser Tonart herrühren (gleichwohl, ob diese Klanglichkeit auf Nuancen der nicht-gleichschwebenden Stimmung oder auf akustische Eigenschaften bestimmter Instrumente in bestimmten Tonarten zurückzuführen sei – vgl. Besprechung von „akustischem Profil“ unten), gilt der „metaphorische Import“ nicht der Tonart „als solcher“, sondern ihrer Klanglichkeit (die symbolischen Eigenschaften beziehen sich folglich nicht etwa auf C-Dur, sondern vielmehr auf eine Tonart, die „wie C-Dur klingt“). Diese Art der Symbolbildung dürfte allerdings noch nicht als eine Manifestation von Tonartencharakteristik im eigentlichen Sinne betrachtet werden, da die abstrakte Größe „C-Dur“ auch unabhängig von ihren klanglichen Realisierungen besteht. Erst wenn der betreffende semantische Gehalt auf die Tonart selbst bezogen wird – etwa im Sinne geschichtlich gefestigter Hermeneutik, die ihre Ursprünge zwar in klangbedingten Eigenschaften haben kann, im Zuge einer Erweiterung des metaphorischen Transfers allerdings auch unabhängig von diesen besteht – können die erworbenen symbolischen Merkmale als „Eigentum“ der Tonart „an sich“ gelten. 54 Zur Charakterisierung von f-Moll (unter anderem) als Tonart von Verzweiflung und Grauen vgl. Mattheson 1713/2002, S. 248 f. Vgl. hierzu auch Einstein (1945/31953, S. 196): „Wenn, in den ‚Nozze’, Barbarina ihre verlorene Nadel sucht, so gibt schon die Wahl der Tonart der winzigen Cavatina ihre
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
tonartencharakteristische Ansätze, selbst diejenigen, die die strukturellen Grundlagen der
jeweiligen Toncharaktere hervorkehren, die Korrelation zwischen Tonartenwahl und
satztechnischer Gestaltung als Mittel symbolischen Ausdrucks und symbolischer
Kommunikation.
Die Konzentration auf die symbolisch-semantische Ebene lenkt allerdings von einer
technischeren Sicht auf die Korrelation zwischen Tonart und Tonsatz ab. Im Grunde liegt
es nahe, dass jeder Komponist tonaler Musik bestimmte tonartenbezogene musikalische
Vokabel entwickeln könnte, auch ohne dass diese zwangsläufig mit musiksemantischen
Inhalten behaftet sein müssten. Freilich sind die Ausdrucksintentionen eines
Komponisten dem analytischen Blick von außen nur sehr bedingt zugänglich, so dass es
nie mit Sicherheit festzustellen ist, welche tonartenbezogene kompositorische Strategien
semantisch belegt sind und welche lediglich „satztechnische Gewohnheiten“ des
Komponierens in einer bestimmten Tonart darstellen. Diese Frage ist – weil
unentscheidbar – aus epistemologischer Sicht irrelevant. Nimmt man allerdings an, dass
sich die Korrelation zwischen Tonartenwahl und musikalischer Gestaltung bzw.
musikalischer Substanz auch auf einer rein technischen, von der Semantik losgelösten
Ebene abspielen kann, liefert dieses eine hinreichende Rechtfertigung, um die
ausdrucksbezogene, symbolische Ebene in bestimmten Kontexten aus der Betrachtung
grundsätzlich auszublenden. Aus diesem Blickwinkel lassen sich tonartliche Bindungen
konkreter musikalischer Merkmale als eine Eigenschaft der Komponierweise eines
schaffenden Individuums verstehen, ohne die (keinesfalls auszuschließende)
Erklärungsstrategie von „Tonartensymbolik“ zu bemühen.
Somit verlässt der im Folgenden zu unterbreitende Ansatz den „paradigmatischen
Rahmen“ der Tonartencharakteristik. Dieser abweichende Ansatz ließe sich mit dem
Begriff „Tonartenidiomatik“ bezeichnen, da es sich hiermit um konkrete satztechnische
Wendungen („Tonartenidiome“) handelt, an denen sich die kompositorische Ausrichtung
Komik: f-moll, die Tonart dunkelgefärbter Pathetik, angewandt auf ein Nichts, den Kummer eines naiven – wenn auch nicht mehr allzu naiven – Mädelchens.“ – In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Cavatina Nr. 24 aus Le nozze di Figaro sowie die Arie des Don Alfonso Nr. 5 aus Così fan tutte nicht nur derselben Tonart – f-Moll – angehören, sondern gleichzeitig auch die jeweils einzigen komplett in Moll stehenden Nummern beider Opern darstellen – die „Ironie“ entsteht in beiden Fällen bereits durch die Wahl des Mollgeschlechts zur Darstellung von „Scheinkatastrophen“.
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
einer Tonart offenbart, ohne dass der Korrelation zwischen Tonart und musikalischer
Substanz zwangsläufig eine semantisch-kommunikative Funktion zukäme. Der
prinzipielle Paradigmenwechsel beim Übergang von der Tonartencharakteristik zur
Tonartenidiomatik lässt sich an zwei miteinander verbundenen Aspekten festmachen, die
zum einen die Art der zu berücksichtigenden Phänomene, zum anderen das
erkenntnisleitende Interesse der analytischen Betrachtung betreffen.
Erstens werden bei der im Folgenden durchzuführenden Untersuchung auch solche
tonartengebundenen Tonsatzelemente in Betracht gezogen, die zu „technisch“ bzw. zu
ausdrucksunspezifisch sind, um als Merkmale symbolischer Kommunikation überhaupt
in Frage zu kommen. Beispielsweise tritt eine in Kapitel VII zu erörternde, mit
statistischer Signifikanz an die Tonart Es-Dur gebundene sechstönige Motivstruktur in
Mozarts Gesamtwerk in drei verschiedenen topologischen Ausführungen auf, die sich
anhand von Tempo und Ausdrucksweise deutlich voneinander unterscheiden, und zwar
als lapidare Spielfigur im schnellen Tempo, als galant-lyrische Seufzerkette im mäßig-
langsamen Tempo sowie als feierliches „Motto“ im Adagio-Tempo (s. Besprechung in
Kapitel VII unter 3.1.). Während diese divergierenden Inszenierungsweisen kaum unter
ein und demselben „Charakter“ bzw. „Topos“ aufzufassen wären, gestattet eine auf
strukturelle Momente des Tonsatzes gerichtete Betrachtungsweise – wie die in der
vorliegenden Studie mit dem Begriff der „Tonartenidiomatik“ bezeichnete – eine
gemeinsame Klassifizierung der betreffenden Erscheinungsformen unter einer
gemeinsamen satztechnischen Modell-Definition.
Zweitens zielt diese Art der Betrachtung auf eine entschieden andersartige
Erklärungsstrategie ab als diejenige, die im Hintergrund der traditionellen
Tonartencharakteristik (bzw. jegliches auf semantischen Überlegungen basierenden
Erklärungsmodells) operiert. Sofern das Wiederkehren bestimmter Strukturmerkmale
nicht vor dem Hintergrund eines gemeinsamen semantischen Moments interpretiert wird,
muss angenommen werden, dass die Wiederverwendung von Material keinen Akt der
symbolischen Kommunikation darstellt, sondern vielmehr auf satztechnische
Überlegungen, mitunter auf regelrechte „Schreibautomatismen“ des betreffenden
Komponisten zurückzuführen ist. Geht die Wiederverwendung von Strukturen mit einer
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I. Tonartenidiomatik statt Tonartencharakteristik
konkreten tonartlichen Präferenz einher, wäre der Grund für eine solche Kopplung
wiederum in einer a- (bzw. vor-)semantischen Veranlagung des Komponisten zu suchen,
sich bestimmte Strukturmerkmale im Zusammenhang mit bestimmten Tonarten zu
merken und in dieser Kombination auch (wieder) zu verwenden55. Wie im nächsten
Kapitel zu besprechen sein wird, ließe sich die Tonartenabhängigkeit in Mozarts
musikalischem Denken auf eine „Tonhöhen-Abhängigkeit“ zurückführen, die etwa mit
seinem verlässlich dokumentierten absoluten Gehör zusammenhängen dürfte.
Eine unmittelbare Konsequenz dieser Herangehensweise für die vorliegende Studie ist
eine grundlegende Akzentverschiebung in der Interpretation von tonartlichen Bindungen
zugunsten einer nicht-semantischen Lesart. Die Schwerpunktlegung auf
„Schreibautomatismen“ des Mozartschen Schaffensprozesses bedeutet mitunter, dass
selbst solche tonartengebundenen Elemente, die sich durchaus als Träger von
musikalischer Semantik und dadurch als Merkmale eines „Tonartencharakters“ verstehen
ließen (wie etwa bestimmte in Kapitel V zu erörternde Eröffnungstopoi in Mozarts
Werken für Orchester/größere Ensembles), in erster Linie als die Folge einer
individualspezifisch bedingten Veranlagung Mozarts zu tonartbezogenem Komponieren
verstanden werden: Dabei wird die Tonartensemantik als eine mögliche
Erklärungsstrategie zwar nicht negiert, jedoch aus der Betrachtung ausgeklammert56.
Wä