Tunnel de Champel: Herausforderung in der Stadt Genf · - 2 - Abbildung 2: Geologisches...
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Alessandro Ferrari, Dipl. Bauing. ETH / EMBA HSG, Ingenieurgemeinschaft GECA, B+S AG, Bern
Tobias Witschi, Dipl. Bauing. ETH, Ingenieurgemeinschaft GECA, B+S AG, Bern
Tunnel de Champel: Herausforderung in der Stadt Genf
ZUSAMMENFASSUNG: Der Tunnel de Champel ist Teil der neuen Bahnlinie CEVA, welche voraussichtlich ab
2019 den Hauptbahnhof Genf mit der französischen Stadt Annemasse verbinden soll. Der 1'622 m lange Doppel-
spurtunnel unterquert bei minimalen Firstüberdeckungen von 10 m ein dicht bewohntes Quartier. Der Vortrieb in
fluvioglazialen Ablagerungen der Rhone und Arve erfolgt als Vollausbruch im Schutze eines Rohrschirms mit
systematischer Ortsbrustankerung.
1 Einleitung
Die Abkürzung CEVA steht für die neue Bahnlinie, welche voraussichtlich ab 2019 den Genfer Haupt-
bahnhof Cornavin über die bisherige französische Endstation Eaux-Vives mit der grenznahen Stadt
Annemasse in Frankreich verbinden soll. Bereits im Jahre 1912 in einem Vertrag ratifiziert, schliesst
das Projekt nicht nur eine Lücke zwischen dem französischen SNCF- und dem schweizerischen SBB-
Schienennetz, sondern dient gleichzeitig auch der Anbindung mehrerer wichtiger Zentren der Stadt
Genf (Abbildung 1).
Abbildung 1: Linienführung der neuen Bahnlinie CEVA.
Der 1‘622 m lange Tunnel de Champel ist eines der Kernstücke des Projekts CEVA. Mit dem gleich-
namigen, stark urbanisierten Quartier "Plateau de Champel" unterquert er eine bevorzugte Wohnlage
nicht nur des Stadtteils Plainpalais, sondern der ganzen Stadt Genf. Der Tunnel besteht aus zwei
bergmännischen Abschnitten mit einer Gesamtlänge von 1'428 m sowie aus der in Deckelbauweise
erstellten Haltestelle Champel-Hôpital ungefähr in der Tunnelmitte.
2 Baugrundverhältnisse
Der Vortrieb des Tunnel de Champel erfolgt auf der gesamten Länge in Lockergesteinen bestehend
aus quartären Sedimenten verschiedenen Ursprungs und Alters (Abbildung 2). Der Grundwasserspie-
gel liegt ca. 5 bis 10 m unterhalb der Tunnelsohle.
Die untere Hälfte des Tunnelprofils befindet sich in den – in Genf als Cailloutis morainiques bezeich-
neten – Alten Schottern. Abgelagert zwischen den letzten beiden Eiszeiten weist diese teilweise ze-
mentierte Schicht eine sehr heterogene Kornverteilung auf. Saubere Kiese mit maximalen Korngrös-
sen von rund 200 mm wechseln sich mit siltigen Kiesen ab. Die Cailloutis morainiques werden von
einer dicht gelagerten, undurchlässigen Moräne überlagert. Diese setzt sich aus siltigem Kies bis hin
zu tonigem Silt zusammen und kann lokal in durchlässigeren Linsen gespannte Grundwasserverhält-
nisse aufweisen. Überdeckt wird die Moräne von einer normalkonsolidierten, während des Gletscher-
rückzugs entstandenen Formation. Die darüber liegenden Deckschichten und künstlichen Auffüllun-
gen weisen nur eine geringe Mächtigkeit auf und werden vom Tunnelvortrieb nur am Rande tangiert.
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Abbildung 2: Geologisches Längenprofil des Tunnel de Champel.
Die in mehreren Etappen zwischen 2004 und 2011 ausgeführten Baugrunduntersuchungen umfassten
insgesamt 14 Kernbohrungen und dienten der Bestimmung des Schichtaufbaus und der massgeben-
den geotechnischen Parameter (Tabelle 1). In den Bohrungen wurden systematisch alle 3 m SPT-C-
Tests, sporadisch Dilatometerversuche sowie zusätzlich in den Abschnitten mit geringster Firstüberla-
gerung 8 dynamische Penetrometer-Versuche zur Bestimmung der Schichtdicke der Rückzugsforma-
tion durchgeführt.
Tabelle 1: Wichtigste geotechnische Parameter.
Parameter Symbol Einheit Cailloutis morainiques Moräne Rückzugsformation
Klassifikation USCS --- GM, GP GM-GC, SM CL, ML, SM-SC
Raumgewicht γsat kN/m3 23.2 22.7 21.5
Reibungswinkel φ‘k ° 34 34 27
Dilatanzwinkel ψ‘ ° 10 6 0
Kohäsion c‘k kPa 0 … 100 5 5
Erstbelastungsmodul ME MPa 100 … 300 80 … 150 10
Wiederbelastungsmodul ME‘ MPa 300 … 1‘500 240 … 750 30
3 Anforderungen und Randbedingungen im innerstädtischen Gebiet
Der Doppelspurtunnel weist einen zweischaligen Ausbau bestehend aus einer Ausbruchsicherung und
einer definitiven Verkleidung mit einer dazwischenliegenden Regenschirmabdichtung auf. Infolge des
Rohrschirmvortriebs variiert die Ausbruchfläche zwischen 105 und 140 m2 mit einer Ortsbrusthöhe von
bis zu 12 m (Abbildung 4). Die Tunnelentwässerung erfolgt im Mischwassersystem.
Wie im Längenprofil (Abbildung 2) dargestellt, werden durch den Tunnelvortrieb mehrere Gebäude-
komplexe mit einer minimalen Firstüberdeckung von ca. 10 m direkt unterquert. Tagbruch, Niederbrü-
che, Instabilität der Ortsbrust und die Erzeugung von unzulässigen Oberflächensetzungen stellen die
Hauptgefährdungsbilder für den Tunnelvortrieb dar.
In Anbetracht der dichten Bebauung und des sensiblen Umfelds ist die konsequente Begrenzung von
Oberflächensetzungen eine der zentralen Anforderungen des Projekts. Neben der Planung eines ge-
eigneten Vortriebsverfahrens sowie der Wahl der erforderlichen Bauhilfsmassnahmen wurde deshalb
bereits in einer frühen Projektierungsphase der Tunnelvortrieb simuliert (im vorliegenden Fall erfolgte
dies sowohl mit empirischen als auch mit numerischen Methoden) und die resultierenden, prognosti-
zierten Setzungen mit der Schadenanfälligkeit der Gebäude verglichen [3].
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Abbildung 3: Normalprofil des Tunnel de Champel.
Während des Vortriebs schliesslich werden die Konvergenzen im Tunnel, Baugrunddeformation,
Oberflächensetzungen sowie die Gebäude kontinuierlich überwacht. Falls notwendig, wird als Konse-
quenz der Messergebnisse das Vortriebsverfahren in geeigneter Weise durch sporadische Zusatz-
massnahmen ergänzt (zusätzliche Rohrschirmrohre und Brustanker, ergänzende Drainage- und Vo-
rauserkundungsbohrungen, doppelter Rohrschirm, Verstärkung der Ausbruchsicherung).
4 Vortriebskonzept
Infolge der dichten Überbauung oberhalb des Tunnels sind Setzungen soweit möglich zu begrenzen
und Ortsbrustinstabilitäten oder gar Tagbrüche zu verhindern. Zusätzlich zu diesen Anforderungen
muss ein flexibles Vortriebsverfahren gewählt werden, um auf unterschiedliche Baugrundverhältnisse
reagieren zu können.
Aufgrund der vergleichsweise kurzen Vortriebsstrecken (502 m Vortrieb für den südlichen und 926 m
für den nördlichen Abschnitt) sowie den innerstädtischen Verhältnissen, welche die Möglichkeit von
Interventionen von der Oberfläche stark begrenzen, wurde ein konventioneller bergmännischer Vor-
trieb gewählt. Bei einem solchen Vortrieb im Lockergestein mit kleinen Überlagerungen sind vorausei-
lende Bauhilfsmassnahmen zur Beherrschung der vorhandenen Gefährdungsbilder unerlässlich. Zu-
sätzlich ist zur Begrenzung der Oberflächensetzungen ein Vollausbruch mit sofortigem Ringschluss
von Vorteil (Abbildung 4).
Abbildung 4: Vortriebsverfahren des Tunnel de Champel.
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Der Tunnel de Champel wird auf der gesamten Länge im Vollausbruch im Schutze eines Rohrschirms
aufgefahren. Die Überlappung des Rohrschirms variiert je nach Geologie zwischen 4 und 5 m. Die
Ortsbruststützung erfolgt systematisch durch subhorizontale, 20 m lange GFK-Brustanker. Die Aus-
bruchsicherung besteht aus schweren 4-Gurt-Gitterträgern alle 1 m sowie stahlfaserbewehrtem
Spritzbeton mit einer Gesamtstärke von 40 cm. Die Abschlagslänge beträgt 1 m, der Ringschluss
erfolgt i.d.R. 4 m hinter der Ortsbrust. Nach jedem Abschlag werden die Ortsbrust und der Ausbruch-
rand mit 7 cm stahlfaserbewehrtem Spritzbeton versiegelt. In der Sohle besteht die Ausbruchsiche-
rung aus Stahlbogen HEB 200, welche über einen vorfabrizierten Stahlfuss an die Gitterträger ange-
schlossen werden, sowie aus stahlfaserbewehrtem Spritzbeton.
5 Bauhilfsmassnahmen
5.1 Rohrschirm
Jede Rohrschirmetappe besteht aus 51 bis 77 Rohren angeordnet in einem Achsabstand von 40 cm.
Die Gesamtlänge einer Vortriebsetappe beträgt 10 bis 11 m je nach geologischen Verhältnissen. Die
Stahlrohre der Qualität S235 weisen einen Durchmesser von 140 mm, eine Wandstärke von 10 mm
sowie eine Länge von 15 m auf. Auch aufgrund der horizontalen Linienführung mit engen Radien wer-
den sie mit einer Neigung von 6 bis 7° ohne Rohrkupplung gebohrt. Der Zeitbedarf für die Bohrung
eines Rohres mittels des Verfahrens Symmetrix (Atlas Copco, Abbildung 5) beträgt ca. 25 Minuten.
Abbildung 5: Detailaufnahmen Rohrschirm (Bohrverfahren Symmetrix und Injektionsventil).
Anschliessend an die Bohrung wird der Hohlraum zwischen Rohr und Baugrund verfüllt. Hierbei wird
eine Zementsuspension mit einem W/Z-Wert von ca. 0.8 über vier Ventile pro Laufmeter Rohr unter
einem Druck von 3 bis 5 bar injiziert. Die durchschnittliche Injektionsmenge pro Rohr beträgt ca. 350 l,
der Zeitbedarf pro Rohr ca. 5 Minuten.
5.2 Lange Brustanker
Die Ortsbruststützung erfolgt systematisch durch 20 m lange, subhorizontale GFK-Brustanker. Ihre
Anzahl wurde mittels des Ansatzes von Anagnostou [1] zur Berechnung der Ortsbruststabilität be-
stimmt. In der Regel sind je nach Profiltyp 36 bis 47 Anker pro Vortriebsetappe vorgesehen. Die mini-
male Überlappung der Anker beträgt 10 m. Die Anker des Typs Durglass FLY55 weisen eine Bruch-
last von 550 kN auf (Abbildung 6). Sie werden fächerförmig mit einer maximalen Neigung von 5° ana-
log zum Rohrschirm mittels des Verfahrens Symmetrix gebohrt. In der Regel bleiben die Bohrlöcher
stabil. Der Zeitbedarf pro Bohrung (ohne Ankereinbau) beträgt ca. 35 Minuten.
Abbildung 6: Detailaufnahmen GFK-Anker Durglass FLY55.
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Anschliessend an die Bohrung wird der Hohlraum zwischen Anker und Baugrund verfüllt. Die Ze-
mentsuspension weist einen W/Z-Wert von ca. 0.6 auf und wird unter einem Druck von ca. 3 bis 6 bar
eingebracht. Die durchschnittliche Injektionsmenge pro Anker beträgt ca. 500 l, der Zeitbedarf pro
Anker ca. 10 Minuten.
5.3 Drainagebohrungen
Zur Entspannung von wassergesättigten Sandlinsen sind je Vortriebsetappe 3 subhorizontale, 15 m
lange Drainagebohrungen aus der Ortsbrust vorgesehen. Sie werden analog zu den Brustankern fä-
cherförmig mit einer maximalen Neigung von 5° mittels des Verfahrens Symmetrix gebohrt und an-
schliessend mit einem PVC-Filterrohr ausgerüstet.
6 Erfahrungen
Das Monitoring des Vortriebs erfolgt mittels Konvergenzmessungen alle 10 m, subhorizontalen Inkli-
nometern im Rohrschirm (Abbildung 7) sowie Reverse-Head-Extensometern in der Ortsbrust. Zusätz-
lich werden Oberflächensetzungen gemessen und die überlagernden Gebäude an zahlreichen Punk-
ten geodätisch überwacht. Die vortriebsbegleitende, kontinuierliche Überwachung sowohl über- als
auch untertage ist ein zentrales Element der Vortriebssteuerung.
Abbildung 7: Vergleich Prognose und Messung der Rohrschirmdeformation.
Hinsichtlich der Deformationsminimierung kann aufgrund der bisherigen Erfahrungen festgehalten
werden, dass sich das Konzept eines "langsamen" Vortriebs mit vorauseilenden Bauhilfsmassnah-
men, steifem Ausbau und sofortigem Ringschluss bewährt hat. So sind beispielsweise die bisher ge-
messenen Konvergenzen sowie die Deformationen der Ortsbrust auf wenige Millimeter beschränkt.
Gleiches gilt für die Messungen an der Oberfläche: die Setzungen liegen mehrheitlich zwischen 0 und
15 mm, die maximal gemessene Setzung betrug 60 mm bei einer Firstüberlagerung von 6 m zu Be-
ginn des Vortriebs ab dem Nordportal.
Bezüglich der Vortriebsleistungen kann festgehalten werden, dass der Zeitbedarf für die Bauhilfs-
massnahmen bzw. für den anschliessenden Ausbruch und Sicherung einer Vortriebsetappe von 10 m
Länge jeweils ca. 1 Woche beträgt. Dies entspricht bei einem 2-Schichtbetrieb einer durchschnittli-
chen Vortriebsleistung von ca. 0.9 m pro Arbeitstag.
7 Stand der Arbeiten und Ausblick
Im Oktober 2012 konnten die Vorbereitungsarbeiten in Form der Hangsicherung beim Südportal sowie
der Bereitstellung des Installationsplatzes Fontenette beginnen. Anschliessend erfolgte unter beeng-
ten Platzverhältnissen die Ausführung des Voreinschnittes beim Südportal "Val d'Arve" am Nordufer
der Flusses Arve. Die eigentlichen Tunnelvortriebe (Abbildung 8) konnten im März 2014 (Südportal)
respektive im August 2014 (Nordportal) aufgenommen werden. Aktuell sind ab Südportal ca. 340 m,
ab Nordportal ca. 230 m der gesamten bergmännischen Tunnellänge von 1'428 m ausgebrochen. Der
letzte Durchschlag ist nach heutigem Kenntnisstand für Ende 2017 geplant.
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Abbildung 8: Rohrschirmbohrgeräte der Vortriebe ab Süd- bzw. Nordportal.
Als Besonderheit im vorliegenden Projekt werden sowohl das definitive Sohlgewölbe als auch das
endgültige Gewölbe parallel zum Vortrieb ausgeführt. Für die Betonarbeiten am Sohlgewölbe, welche
sich seit Frühjahr 2015 in Ausführung befinden, kommt hierbei eine mit der Sohlschalung kombinierte
Überfahrbrücke zum Einsatz (Abbildung 9). Der Beginn der Arbeiten am Ortbetoninnengewölbe ist für
den Frühsommer 2016 geplant.
Abbildung 9: Sohlschalung mit Überfahrbrücke und Gewölbeschalung beim Einfahren am Südportal.
8 Literatur
[1] Anagnostou G., 1999. Standsicherheit im Ortsbrustbereich beim Vortrieb von oberflächennahen Tunneln. Symposium „Städtischer Tunnelbau: Bautechnik und funktionelle Ausschreibung“, Zürich.
[2] Ferrari A., Witschi T., Steiner, W. 2013. CEVA Tunnel de Champel, 1,6 km innerstädtischer Tunnelvortrieb im Lockergestein. Swiss Tunnel Congress. Genf 2013. 90-101.
[3] Witschi T. 2013. Setzungsprognosen mittels der FE-Methode am Beispiel des CEVA Tunnel de Champel. Geotechnik Schweiz. Herbsttagung 2013 : FEM in der Geotechnik. Biel 2013. Abstracts, 69-76.
[4] Ferrús Pinyol, B., Cekerevac, C. 2015. Lot 5 – Tunnel de Champel. Geotechnik Schweiz. Herbsttagung 2015 : CEVA. Genf 2015.