U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die...

25

Transcript of U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die...

Page 1: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung
Page 2: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Jobst Broelmann

U 1 – Die unsichtbare Waffe

Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eineIdealvorstellung seiner Erfinder – setzte sich während seiner Entwicklung in einemhäufigen Rollen- und Aufgabenwechsel fort. Seine sprichwörtliche Unsichtbarkeitbehielt das Unterseeboot durch die Geheimhaltung technischer Informationenund ein Untertauchen in eine technische «Sub-Kultur». Im uneingeschränkten See-krieg des Ersten Weltkrieges wurde es im Mythos der Berichterstattung überhöht,danach jedoch wieder verdrängt durch das Verbot der Alliierten – Metamorpho-sen, die eine Analyse des U 1 als ein zur Wahrnehmung und Beurteilung durch dieÖffentlichkeit «dingfest» gemachtes Museumsobjekt herausfordern.

U 1 gehört zu den größten Exponaten des Deutschen Museums; es ist 42 m langund im jetzigen Zustand ca. 150 t schwer. Die in der Literatur vorhandenen tech-nischen Informationen und Zeichnungen finden dagegen auf wenigen DIN A4-Seiten Platz. Dies ist für ein Schiff und zudem ein Objekt, dem um 1903 ein be-deutend innovativer Charakter zugesprochen wurde, ungewöhnlich wenig.1 Eineausführliche technikgeschichtliche Darstellung seiner Entstehung fehlt, das Expo-nat wirkt vornehmlich durch schiere Präsenz. Um diesen Befund zu erklären, sollder Behandlung dieses Objektes in der Geschichte und im Deutschen Museumnachgegangen werden.

Innovation und Geheimhaltung

Unterseeboote unterlagen stets einer besonderen Geheimhaltung. Bereits Leonar-do da Vinci fühlte sich genötigt, sein Verfahren, unter Wasser zu bleiben, vor un-moralischem Zugriff abzuschirmen; es blieb daher unbekannt.2 Die Neugierde ist

1 Hans Techel: Der Bau von Unterseebooten auf der Germaniawerft. Berlin 1922; Bodo Her-zog: 60 Jahre deutsche UBoote. 1906–1966. München 1968; Erich Gröner: Die deutschenKriegsschiffe 1815–1945. Bd.3, Koblenz 1985; Eberhard Rössler: Geschichte des deutschenUbootbaus. 2. Aufl. Bonn 1986; ders.: Die Unterseeboote der kaiserlichen Marine. Bonn1997; ders.: Die deutschen U-Boote und ihre Werften. Bd. 1, Bonn 1979.

2 «Ich veröffentliche oder verbreite es nicht wegen der bösen Natur der Menschen, denn sonstwürden sie Morde auf dem Meeresgrund begehen». In: Theodor Lücke (Hrsg.): Leonardo da

Page 3: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

seitdem unverändert wachgeblieben, zumal die durch ambivalente Motive einge-schränkten Darstellungen von Unterseebootsprojekten zahlreiche Mythen und einGeflecht von Fiktion und Fakten schufen. Die Fiktion und ihre rhetorischen Ent-würfe, etwa in der populären Literatur, wurden dabei mehr gepflegt und verbreitetals eine Kenntnis über den direkten Augenschein eines Artefaktes. Nicht zuletztseiner vielfältig projizierbaren Bedeutungen wegen nennt Michel Foucault bereitsdas ordinäre Schiff das «für unsere Zivilisation vom 16. Jahrhundert bis in unsereTage ... größte Imaginationsarsenal»3. Beim Unterseeboot, dessen Unsichtbarkeiteine neue «Heterotopie»4 darstellte, war die Frage nach dem realen Objekt, nachder Aufdeckung seiner verborgenen Hintergründe, immer aktuell. Sie veranlasstegigantische Suchaktionen des CIA nach gesunkenen sowjetischen U-Booten, diebemäntelt wurden mit der groß angelegten Manganknollensuche eines legendärenHoward Hughes. Zuletzt wurde sie als Forderung laut nach dem geheimnisvollenUntergang der russischen Kursk, wonach diese, seziert nach den Stufen der Ge-heimhaltung, schließlich in einem eher symbolischen Akt an eine scheinbar öf-fentliche Oberfläche gebracht wurde.

Das Paradox der Innovation – der Widerspruch zwischen Neuerungen undeiner bestehenden, tradierten Kultur als Aufhebung der bisher geltenden Werte5 –verstärkte sich beim Unterseeboot noch. Zur größeren Effektivität der Innovationmusste diese möglichst geheimgehalten werden. Gleichwohl waren Erfinder ge-zwungen, den Funktionsnachweis ihrer Konzepte vor Interessenten in realer Weiseam Artefakt zu vollziehen. Bemannte Unterwasserfahrzeuge waren jedoch auf-wändig und gefährlich in ihrer Ersterprobung. Häufig ging das Versuchsobjekt, dasin der herkömmlichen Technik erst eine Versuchsreihe eingeleitet hätte, schon beider Ersterprobung unwiederbringlich verloren und lebte nur noch in den Be-schreibungen fort.

Die Geschichte der Unterseeboote ist daher eine Chronologie von eher als fik-tiv zu bezeichnenden Entwürfen, deren verklärender, oft fragwürdig utopischerCharakter sich dann in der zeitgenössischen Literatur spiegelte und in neuen Er-findungsideen fortsetzte. So schlugen sich vermutlich schon die Vorführungeneines getauchten Bootes durch Cornelius van Drebbel 1620 am Hofe des engli-schen Königs in Francis Bacons Utopie «New Atlantis» (1631) nieder, in der dasUnterseeboot dann wie selbstverständlich zur Vervollkommnung der mechani-schen Künste gehörte.

180 Jobst Broelmann

Vinci. Tagebücher und Aufzeichnungen. Leipzig o. J., S. 666.3 Michel Foucault: Andere Räume. In: Jan Engelmann (Hrsg.): Botschaften der Macht. Der Fou-

cault-Reader. Stuttgart 1999, S. 156.4 Heterotopien sind bei Foucault «tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plät-

ze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind», s. Fußn. 3.5 Werner Rammert: Innovation im Netz. Neue Zeiten für technische Innovationen: heterogen

verteilt und interaktiv vernetzt. In: Soziale Welt 48 (1997), S. 397–416.

Page 4: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Idealtyp oder Waffe des Schwachen

Die seitdem konkret ausgeführten Entwürfe entsprangen jedoch nicht einer solchfortschrittlich-überlegenen Technik, sondern einem Ohnmachtgefühl gegenüberden bestehenden Machtverhältnissen. Robert Fulton versuchte 1797, Frankreich zuüberzeugen, trotz dessen Unterlegenheit die Seemacht England mit einem Unter-seeboot bekämpfen zu können, und setzte mit seinem «Nautilus» auf eine Blo-ckade gegen die Seeherrschaft. Er stieß jedoch dort wie auch nach einem Fronten-wechsel in Großbritannien auf Ablehnung: die Kriegsführung unter Wasser sei zuheimtückisch und unehrenhaft, um sie im Namen des Staates ausüben zu lassen.6

Das Unterseeboot erhielt den Ruf der Waffe des Schwachen und Minderen: «l’ar-me du faible, l’arme du pauvre».7 Auch das 1849 entstandene Konzept des «eiser-nen Seehundes» des deutschen Erfinders Wilhelm Bauer, das dessen lautloses Ab-tauchen nachahmte, um sich unbemerkt einer gegnerischen Flotte zu nähern, ent-sprang aus einer Situation der Unterlegenheit. Dies sollte auch in Deutschland denStatus der Unterwasserwaffe lange unterminieren.

Die Idealvorstellungen der Erfinder waren trügerisch, gemessen an den realentechnischen Möglichkeiten ihrer Zeit, die sich meist noch auf dem Niveau desMuskelkraftantriebs bewegten. Als sich auch der mit Druckluftantrieb ausgestatte-te französische Plongeur, der bei der Weltausstellung 1867 gezeigt worden war,8 alsFehlschlag erwies, setzte Jules Verne für seinen literarischen Nautilus die technischePerspektive fort und verhalf dem Unterwasserfahrzeug in einer visionären Ideali-sierung zu einer neuen Kraftquelle. Das eben formulierte dynamo-elektrische Prin-zip aufgreifend, bedachte er eine zukünftige Elektrotechnik mit großzügigem sym-bolischem Kapital: «Sie ist eine mächtige Kraft, gefügig, schnell, einfach, die sichallen Aufgaben unterwirft und als Herrin an Bord regiert. Alles wird durch sie be-wirkt. Sie gibt Licht, sie wärmt, sie ist die Seele meiner mechanischen Geräte. DieseKraft ist die Elektrizität.»9

Der Plongeur hatte aber auch gezeigt, dass auf anderen Feldern, der Steuerungs-und der Sensortechnik noch ein großer Entwicklungsbedarf bestand. Die List einerTarnung durch Abtauchen bedeutete umgekehrt ja auch zuerst eine Beeinträchti-gung der Wahrnehmungen des Angreifenden; eine Blindheit, die noch lange gegendas Unterseeboot sprach. Unklar blieb auch, wie diese unterseeischen «Brandma-

181U1 – Die unsichtbare Waffe

6 Marine Rundschau (1909), S. 1232.7 M(axime) Laubeuf: Sous-Marins et Submersibles. Paris 1915, S. 47; Zeitschrift Schiffbau

(1901), No 14, S. 529; Marine Rundschau (1909), S. 1233.8 Rainer Zimmermann: Das Technikverständnis im Werk von Jules Verne. Diss. Berlin 1988, S.

164; s.a. F. Forest/H. Noalhat: Les Bateaux Sous-Marins. Paris 1900, Bd. Historique, S. 78 u.S. 340.

9 «Il est un agent puissant, obéissant, rapide, facile, qui se plie à tous les usages et qui règne enmaître à mon bord. Tout se fait par lui. Il m’éclaire, il m’échauffe , il est l’âme de mes appa-reils mécaniques. Cet agent, c’est l’électricité.» Jules Verne: Vingt Mille Lieues sous Les Mers.Paris o. J. (ca 1910), S. 83–84.

Page 5: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

schinen» ihr Werk verrichten sollten, wie der Kommandant eine Sprengladung amfeindlichen Schiff anbringen konnte und wie Seh- und Greiforgane auszubildenwaren. Auch Wilhelm Bauer war daher auf konkrete Modelle angewiesen, die erauf Reisen zu Interessenten mitnahm und vorführte.10 Solche Demonstrations-modelle veranschaulichten das im Artefakt inkorporierte Wissen des Erfinders undsein Funktionskonzept. Bauer weigerte sich daher, die in seinem Werk angelegtenInnovationen einer Abnahmekommission preiszugeben, und reduzierte den In-formationswert des Modells, das er ausliefern sollte, durch Zertrümmern auf ebendie Grundmaterialien, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren.

Die technischen Probleme gingen über die Kraft des Einzelnen hinaus. Bereitsbeim ersten Tauchversuch versagte der Brandtaucher durch Unzulänglichkeitenbei der Stabilisierung des Bootes. Das Risiko, ungefährdet eine Sprengladung amgegnerischen Schiff zu befestigen und zu zünden, war ebenfalls hoch. Es wurdeerst gemindert, als diese gefährliche Aktion an eine Maschine delegiert wurde undRobert Whitehead nach dem Vorbild der angetriebenen Tauchmodelle den unbe-mannten «Torpedo» entwickelte, der mit seiner Sprengladung sich und das gegne-rische Schiff zerstörte. Auch der Name «Torpedo» berief sich wieder symbolisch aufdie Wirkung der Elektrizität, die bei seinem natürlichen Vorbild, dem «electricalfish» beobachtet worden war.11

Den Druckluftantrieb des Torpedos hatte Whitehead wiederum vom Plongeurübernommen, während John Holland dann seine U-Boote als Nachfahren desWhitehead-Torpedos sah.12 Bei der Veröffentlichungspraxis auf diesem Gebiet ver-bietet es sich jedoch, von zusammenhängenden Entwicklungen zu sprechen, dadie wechselseitige Kenntnis nicht konkret nachgewiesen werden kann. Auch dieVersuche Bauers zu dieser Zeit müssen als isoliert angesehen werden; eine direkteVorläuferschaft zur späteren Entwicklung in Deutschland, etwa zu U 1 ist dahernicht zu verfolgen.13

Die faktische Unsichtbarkeit der Unterwasserfahrzeuge nährte jedoch die Neu-gierde in der Öffentlichkeit. Im Jahr 1887 wurde der Brandtaucher durch Zufall ge-funden und gehoben. Bauers Witwe lehnte jedoch eine spekulative Verwendungund den Verkauf an Schausteller ab, die das Boot überwiegend als lukrative At-traktion nutzen wollten. Eine solche Verwendung unterschied sich kaum von denspäteren musealen Nutzungen.14 Nach Intervention von Kaiser Wilhelm I wurdeder Brandtaucher schließlich auf dem Gelände der Marine-Akademie in Kiel ab-gestellt.

182 Jobst Broelmann

10 Ludwig Hauff: Die unterseeische Schifffahrt, erfunden und ausgeführt von Wilhelm Bauer,früher Artillerie-Unteroffizier, später k. russ. Submarine-Ingenieur. Bamberg 1859. Ein ModellBauers ist erhalten: DME, Inv.-Nr. 74463.

11 Insofern fand der Torpedo auch das Interesse Faradays und Maxwells, s. James Clerk Maxwell:The Scientific Papers of Henry Cavendish. Cambridge 1921, S. 419.

12 Murray F. Sueter: The Evolution of the Submarine Boat Mine and Torpedo. Portsmouth 1908,S. 113.

13 Im Gegensatz zu Klaus Herold: Der Kieler Brandtaucher. Bonn 1993.14 S. die mobile «U-Bootshow» des Klein-U-Bootes Typ «Biber», DME, Inv.-Nr. 1979-1.

Page 6: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Zur Jahrhundertwende unternahmen einige Autoren die mühevolle Aufgabe,die bisher existierenden Entwürfe auf diesem «dunklen Gebiete» ans Licht zu brin-gen und zu systematisieren.15 Angesichts der zahlreichen internationalen Projekt-varianten erhob sich dabei immer wieder die Frage, was ein U-Boot überhaupt seinkonnte und sollte, aus technischer Sicht, aus Sicht einer Seekriegstaktik und ausder Sicht des Völkerrechts, und ob ein See- oder Handelskrieg, ein Krieg der Staa-ten oder der Völker beabsichtigt war. Allein das Beunruhigende und Bedrohlichedieses Artefaktes, seine Unsichtbarkeit und sein ungewisses Potential dem Feindewie dem Insassen gegenüber versprach neue Bedrohungen. Erste Stimmen verwie-sen auf die Dimension eines «Nervenkrieges», auf eine Auseinandersetzung mitund inmitten einer Maschinerie, die «starke Nerven» forderte.16 Selbst Visionäreäußerten sich nun angesichts der komplexen technischen Probleme skeptisch, wieH. G. Wells: «submarines would do little more than suffocate their crews.»17

«Sous-marin» und «submersible»

Aus der Vielzahl der Entwürfe kristallisierten sich bis zur Jahrhundertwende zweiKonzeptvarianten heraus: das «reine» Unterseeboot, meist in Spindel- oder Fisch-form, mit schlechten Überwassereigenschaften sowie das tauchfähige Überwasser-schiff, das relativ langsam und unbeholfen unter Wasser war. Die schlechte Sehfä-higkeit der reinen Unterseeboote sollte durch kleine verglaste Kuppeln oder ein-fachste Sehrohre überwunden werden, die ein schwieriges Manövrieren nahe derWasseroberfläche erforderten; außerdem neigten die spindelförmigen Rümpfe beischneller Überwasserfahrt zum Unterschneiden, d.h. zum ungewollten Untertau-chen. Die Tendenz ging zum Tauchboot, vom «sous-marin» zum «submersible»18,denn die Elektrotechnik und ihre Kraftmetaphorik blieb, an Akkumulatoren ge-bunden, kurzatmig, und das Leitbild der Überwasserschiffe wirkte überzeugender.

Auf diesem Gebiet der Tauchboote hatte der französische Marineingenieur Ma-xime Laubeuf einen Wettbewerb der französischen Regierung gewonnen und eineÄra des offensiven Hochsee-U-Bootes eingeleitet. Im Jahr 1896 entwarf er ein Tor-pedoboot, «das im Inneren ein Unterseeboot mitführt», ein Zweihüllenboot. Mitden Tauchtanks als leichte seitliche Außenkörper waren nun wieder konventionel-le Schiffsformen mit ihren besseren Überwassereigenschaften möglich, dafür

183U1 – Die unsichtbare Waffe

15 Z. B. Wilhelm Gentsch: Unterwasserfahrzeuge. Eine Studie auf dunklem Gebiete. Berlin 1895;sowie Scientific American Supplement No 1222, 03.06.1899, S. 19586–19587.

16 Illustrierte Zeitung Nr. 3584, 07.03.1912, S. 430; s.a. Alan Burgoyne: Submarine Navigation:Past and Present. New York 1903, sowie allgemein Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervo-sität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler. München 1998.

17 Herbert G. Wells: Anticipations of the Reaction of Mechanical and Scientific Progress uponHuman Life and Thought. London 1902, S. 121.

18 Sueter (Fußn. 12), S. 92.

Page 7: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

184 Jobst Broelmann

Abb. 1: U-Bootentwürfe, circa 1903 an die publizistische Oberfläche gebracht. «A large amountof patient and intelligent research» sammelte etwa 118 Entwürfe. Scientific American Supple-ment No 1222, 03.06.1899, S. 19587. 2. Reihe links: ein Tauchboot nach dem Vorbild des Über-wasserschiffes. 3. Reihe rechts: ein typisches Unterwasserboot in Fischform. 2. Reihe rechts: alsamerikanische Variante das Unterwasserauto von Lake. DMA, BN CD 518484.

Page 8: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

konnte der innere Druckkörper davon unabhängig einen für Außendruckbelas-tung optimalen Kreisquerschnitt aufweisen.19

Ebenso erhielt das Tauchboot einen zweiten Antrieb, um für längere Streckenvom Elektroantrieb unabhängig zu werden. Bereits 1901 sah Laubeuf hierfür einenDieselmotor als Überwasserantrieb vor.20 Erst der Dieselmotor verhalf demElektroantrieb in einer symbiotischen Form zum Durchbruch; ein «Einheitsmo-tor», wie er gewünscht wurde, ist im Atomantrieb oder über die Brennstoffzelle erstviel später ausgeführt worden.21

Frankreich erhielt so bis zur Jahrhundertwende eine «Musterkarte der verschie-densten Typen».22 Die Zeitschrift Nauticus, hinter der sich Alfred Tirpitz verbarg,verspottete diese noch 1906 in Deutschland als «Seitensprünge» der Franzosen, dieaus den «schwankenden Ansichten maßgeblicher Persönlichkeiten» entstandenseien.23 Beim Flottenchef Tirpitz stießen die U-Boote, durch die er seinen Flot-tenbau gefährdet sah,24 auf Widerstand. Sie entsprachen nicht seiner Vorstellungvon der Flotte, die sich eng am hochstilisierten britischen Vorbild orientierte und«mit Überlegenheit»25 über das U-Boot hinwegsah, das im fest geformten«Schlachtkörper»26 keinen Platz fand. Vor allem die Linienschiffe, wie sie in den

185U1 – Die unsichtbare Waffe

19 G(ustav) Berling: Die Entwicklung der Unterseeboote und ihrer Hauptmaschinenanlagen. In:Jahrbuch Schiffbautechnische Gesellschaft 14 (1913), S. 109–155; Erminio Bagnasco Erminio:Uboote im 2. Weltkrieg. 3. Aufl. Stuttgart 1994, S. 14.

20 Boot Aigrette: Herzog (Fußn. 1), S. 13; Rössler 1986 (Fußn. 1), Bd.1, S. 27; s. z.B. d’Equevil-ley, DRP 166937, 10.06.1904; Forest (Fußn. 8), Fig 349; Sueter (Fußn. 12), S. 86 u. S. 103; JohnE. Moore (Hrsg.): Janes Pocket Book of Submarine Development. London 1976, S. 8 u. S. 133.

21 Nauticus (1908), S. 198.22 (Hermann) Bauer: Das Unterseeboot. Seine Bedeutung als Teil einer Flotte. Seine Stellung im

Völkerrecht. Seine Kriegsverwendung. Seine Zukunft. Berlin 1931. 23 Nauticus (1906), S. 139.24 Nauticus (Juli 1902), S. 58; s.a. Rössler 1986 (Fußn. 1), Bd 1, S.34.25 E. Reventlow: Das Unterseeboot heute. In: Der Zeitgeist, Beiblatt zu Berliner Tageblatt, Nr.

21, 25.05.1903.26 Michael Salewski: Tirpitz. Aufstieg, Macht, Scheitern. Göttingen 1979, S. 47.

Abb. 2: Laubeufs Narval (1898) als tauchfähiges Torpedoboot. Die Torpedos werden noch seitlichan Deck geführt. Bagnasco (Fußn. 19). DMA, BN CD 518486.

Page 9: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Skizzen des Kaisers paradierten, waren Ausdruck eines Fortschrittsglaubens undeiner kulturellen Vorliebe.27 In einer Ära des Navalismus28 war die Flotte ein Wun-derwerk deutscher Wertarbeit, technischen Genies, wissenschaftlichen Fortschritts,militärischer Disziplin, das Panzerschiff eine Metapher für Werte und Normen.29

Neben solchen Symbolen der Stärke konnte das U-Boot als Waffe des Schwachennicht akzeptiert werden. Georg Wislicenus polemisierte im Sinne des Reichs-Ma-rine-Amts, Frankreich suche «sein Heil hauptsächlich in den Unterseebooten, weiles im ritterlichen Kampf der Panzerriesen den dickhäutigen englischen Linien-schiffen auf hoher See nicht mehr gewachsen sei. Das bedeute freilich einen Rück-zug von der See». U-Boote seien «lahme Enten», «blinde Maulwürfe».30

Die durch die «Tonnenideologie» der Stahlindustrie verkörperten Gefechtswer-te eines «archaischen Militarismus», der Panzerung und der Artillerie, standen füreine Entwicklung, die in eine bessere Zukunft auf den Meeren und zu überseei-schen Besitztümern führen sollte, zu einem «Platz an der Sonne». Unübersehbarwar hier die Bevorzugung des Panzers vor einer Sensor- und Steuerungstechnik.Nur diese konnte aber eine erneute Blindheit überwinden, die stählerne Wändebei einem unentbehrlichen Navigationsinstrument, dem Magnetkompass, verur-sachten. Auch die Elektrotechnik – als eine «neue Herrin an Bord» – wurde bei derMarine eher misstrauisch aufgenommen. Unmittelbar verantwortlich hierfür wardie Schwierigkeit der autarken Bereitstellung elektrischen Stroms, die Sicherheits-bedürfnisse auf See, erneut die Problematik des Magnetkompasses neben Strom-leitungen ebenso wie der niedrige Rang des Elektro- und Maschinentechnikers unddie Abneigung gegen komplexe neue Technik.31

Es bestand im Falle der U-Boote «eine begreifliche Scheu davor, die durch dierapide fortschreitende Technik immer komplizierter sich gestaltenden [...] Seewaf-fen noch um eine weitere, besonders difficile zu vermehren,»32 also alle neuenMöglichkeiten einer fortschrittlichen Technik auch systematisch zu erkennen.

Tatsächlich herrschte ein Missverhältnis zwischen den zahlreichen neuen Tech-nologiezweigen mit ungewöhnlich vielen konstruktiven Neuerungen und nochfehlenden Erfahrungen der Hersteller. Technologieschübe waren zu vollbringenbei Motoren und Batterien, den Optiksehrohren oder der Unterwasserakustik fürSignalmittel. Skeptisch äußerten sich Fachleute über wichtige Einzelkomponen-ten; noch 1906 hielt ein Physiker bei Siemens einen Kreiselkompass, als Ersatz des

186 Jobst Broelmann

27 S. z.B. Skizzen auf einem Telegrammformular Kaiser Wilhelms II, dat. 12.07.94; BundesarchivN 160/1.

28 Walther Hubatsch (Hrsg): Navalismus. Wechselwirkung von Seeinteressen, Politik und Tech-nik im 19. und 20. Jahrhundert. Koblenz 1983.

29 Michael Salewski: Zur deutschen Marinepolitik in Krieg und Frieden. In: Lars U. Scholl: ClausBergen 1885–1964. Bremerhaven 1982, S. 7–18.

30 Abt.Vorstand der Seewarte, Kommand. zum Reichs-Marine-Amt Berlin, zit. aus Hans Krae-mer: Weltall und Menschheit. Bd. 5, Berlin o. J. (ca. 1904) o. Pag., zwischen S. 416 u. S. 417.

31 Jobst Broelmann: Intuition und Wissenschaft in der Kreiseltechnik. München 2002, S. 86.32 O.A., Der Stand der Unterseebootfrage zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. In: Dinglers

Polytechnisches Journal. 81 Jg., Bd. 315, H. 18, 5. Mai 1900, S. 277–281, hier S. 281.

Page 10: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Magnetkompasses unabdingbar für den U-Booteinsatz, auf Schiffen für unver-wendbar.33

Wie viel und welche Technik favorisiert wurde, bestimmten die Marine und See-offiziere vor Ingenieuren und Erfindern, die auf Skepsis und deutliche Barrierenstießen. Ihr «Können stünde nicht im annähernden Verhältnis zum Wollen» pole-misierte Tirpitz, doch präsentierte ihm gerade der Laie und zivile U-Bootverfech-ter Anschütz-Kaempfe bereits 1908 einen funktionsfähigen Kreiselkompass.34

Das konservative Technikverständnis der Marine wurde deutlich gerade inihrem Bestreben, in breiten Schichten Popularität und Unterstützung zu gewin-nen, wobei sie deren technische Phantasie dann aber eher wieder ablehnte. Wäh-rend mit Publikationen wie der Marine-Rundschau, die vom Kaiser selbst unterPseudonym genutzt wurde, oder dem Jahrbuch für Deutschlands Seeinteressen, he-rausgegeben von Nauticus, das Volk mobilisiert werden sollte, wurde bereits dieGründung einer Fachorganisation der Schiffstechniker zum Anlass genommen,gegen das technische Interesse von Laien vorzugehen. Hier verurteilte Carl Busley,als Sprachrohr Tirpitz’,35 die Erfindertätigkeiten bei Unterseebooten: «Auf keinemGebiete des Schiffbaues haben sich Unberufene oder gar Unwissende so breit ge-macht, als auf dem des Entwerfens von unterseeischen Fahrzeugen [...] Es berührtdoch etwas eigentümlich,[...] wie sich Pastoren, Lehrer, Seminaristen, Apotheker,Sparkassenbeamte [...] und andere ganz friedliche Leute mit den verschiedenstenTechnikern vom einfachen Maschinenarbeiter bis zum «sogenannten» Ingenieurim bunten Wechsel ablösen, um eine schreckenerregende Zerstörungsmaschineherzustellen», wohingegen sich doch Fachleute durch ernste und angemessene Be-dächtigkeit auszeichneten,36 die ebenfalls auf diese Linie einschwenkten und die«in Frankreich herrschende Begeisterung», die bereits inhaltsreiche Handbücherfür den U-Bootsbau hervorgebracht hatte, für verfrüht hielten.37

Busleys scharfer Verweis des aufkeimenden bürgerlichen Interesses an einerTechnik, dem sich nun gleichzeitig die technischen Museen widmen sollten, kanneine Vorstellung davon vermitteln, welche interne Reaktion die Vorschläge vielerErfinder hervorgerufen haben müssen. Seit 1861 waren nicht weniger als 180 Pro-jekte für U-Boote angeboten worden, denen gegenüber sich die Marineleitung«durchweg ablehnend» verhalten hatte.38 So entwickelte sich neben den vorherr-schenden Ansichten über die Einsatzmöglichkeiten der Technik in der Flotte eine

187U1 – Die unsichtbare Waffe

33 Rössler 1986 (Fußn. 1), Bd. 1, S. 34; Techel (Fußn. 1); Broelmann (Fußn. 31).34 Nauticus (1906), S. 136; Anschütz-Kaempfe an Tirpitz, 20.05.1908. DMA 1931/26(3).35 Rössler 1986 (Fußn. 1), Bd 1, S. 30.36 Carl Busley, bis 1896 Prof. d. Marine-Akad. Kiel, an mehreren Weltausstellungen beteiligt, Dr.

ing. h.c. TH Charlottenburg: Zeitschrift Überall 14 (1911/12), S. 641; Wolfgang Marienfeld:Wissenschaft und Schlachtflottenbau in Deutschland 1897–1906. Beiheft 2, Marine Rund-schau (April 1957) S. 63; Carl Busley: Moderne Unterseeboote. In: Jahrbuch Schiffbautechni-sche Gesellschaft (1900) S. 106–107; s. a. Herzog (Fußn. 1), S. 16.

37 Freyer: Unterseeboote vom Standpunkte des Ingenieurs. In: Zeitschrift Verein deutscher In-genieure 46 (1902), S. 856; s. dort a. S. 576.

38 s. Fußn. 32, S. 277.

Page 11: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Art «Sub»-Kultur mit im Verborgenen operierenden Erfindern, die einen Krieg derInnovationen vorbereiteten, Christian Hülsmeyer, Christian Wirth, Alard du Bois-Reymond. Auch laienhafte Visionäre wie Hermann Anschütz-Kaempfe waren hiernicht zu unterschätzen, obwohl dessen provokantes Projekt, in einer Forschungs-expedition den Nordpol mit einem U-Boot zu erreichen, unverkennbar die Visio-nen Jules Vernes fortsetzte. Auch er war deswegen genötigt, seinen Plan in jedemDetail durchführbar darzustellen, um die vorherrschende Kritik von Tirpitz zu be-rücksichtigen. Außer der Anlehnung an international bekannte Entwürfe, wie desHolland-Bootes, spielten auch für ihn wieder Objektvorführungen eine großeRolle. Anschütz-Kaempfe setzte hierbei funktionsfähige Modelle ein, die er ineinem Bassin demonstrierte.39

Zur realen Umsetzung wandte er sich um das Jahr 1902 an Krupps Germania-werft in Kiel, die aber auf diesem Gebiet noch keine Erfahrungen besaß und etwagleichzeitig von einem spanischen Ingenieur Vorschläge für Unterseeboote erhielt.Reymond d’Equevilley war Mitarbeiter des Marineingenieurs Laubeuf gewesen,hatte in Frankreich aber selbst nicht Fuß fassen können.40 Da die Marine sichimmer noch abwartend verhielt, gab Krupp schließlich den Auftrag, auf eigeneRechnung ein kleines Versuchsboot zu bauen, die Forelle41, die selbst innerhalb derWerft unter Geheimhaltung als Leuchtboje gebaut und erst nach einer Vorführungdurch den Prinzen Heinrich einigermaßen «gesellschaftsfähig» wurde.42

D’Equevilley reproduzierte nun bei Krupp die beiden in Frankreich bereits alssous-marin und submersible etablierten Grundvarianten. Sein Elektroboot Forellefolgte früheren Entwürfen von Goubet (Goubet N°1, 1885) Gustave Zédé (Gymno-te 1888), Peral (1889) und des Engländers Waddington43, während die Tauchboo-te Karp und das darauf folgende U 1 auf der Kenntnis von Plänen des französi-schen Konstrukteurs Laubeuf beruhten.44

Der Bau dieser beiden Varianten bei der Germaniawerft kann als Symbol für diederzeitige Unentschiedenheit der Konzeptionen auch in Deutschland gedeutetwerden, die d’Equevilley noch 1905 in einer provokanten deutschen Veröffentli-chung kritisierte: «Das Problem der Unterwasserschiffahrt kann heute als vollstän-dig gelöst betrachtet werden. Als einzige Schwierigkeit bleibt der Umstand anzu-erkennen, daß die Staaten [...] sich vor der Bauausführung über die geplante Ver-wendung durchaus klar sein müssen.»45

188 Jobst Broelmann

39 A.R. Hecht: Im Unterseeboot zum Nordpol. In: Illustrierte Zeitung Nr. 3059 (13.02.1902),S. 244; Jobst Broelmann: Polarexpeditionen im Labor. Der Polforscher Hermann Anschütz-Kaempfe. In: Kultur & Technik (1997) H. 4, S. 10–17, hier S. 16; s. Broelmann (Fußn. 31).

40 Rössler 1997 (Fußn. 1), S. 79; R(eymond) d’Equevilley: Untersee- und Tauchboote. Kiel 1905,S. 184.

41 Techel (Fußn. 1), S. 5.42 Bobo Herzog (Hrsg.): Lebenserinnerungen von Julius Kritzler (1859–1933). Ein Beitrag zur

Geschichte des U-Boot-Baus. In: Technikgeschichte 49 (1982), S. 177–207, hier S. 189.43 Forest, Bd. Historique (Fußn. 8).44 Musée de la Marine, Paris o. J., Katalog, S. 53; s. a. Laubeuf (Fußn. 7), S. 39; Bagnasco (Fußn.

19), S. 14.45 D’Equevilley (Fußn. 39), S. VII.

Page 12: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Tatsächlich wurde dann auch in Deutschland das U-Boot von einem schnellwechselnden Bedeutungs- und Wertegehalt geprägt: vom Klein-U-Boot zur Küs-tenverteidigung, als «Verteidigungsmittel des Strandes»46, über eine Forschungs-plattform (Anschütz-Kaempfe) zur Angriffswaffe und einem großräumig operie-renden U-Kreuzer. Nicht vergessen sei schließlich die Variante das Handels-U-Bootes (Deutschland), die allerdings durch den uneingeschränkten U-Bootkriegund den Kriegseintritt der USA wieder obsolet wurde.

Ein deutsches Unterseeboot?

Circa 1903, nach den Versuchen mit den zwei Prinzipvarianten der Germania-werft, die anschließend nach Russland verkauft wurden, entschloss sich die Mari-ne fast widerwillig zu eigenen Unterseebooten. Der Marineingenieur Gustav Ber-ling, der im April 1904 dazu abkommandiert wurde, ließ keine Begeisterung überdieses Projekt erkennen, denn er hatte bisher «das U-Bootswesen für großen Un-sinn gehalten».47 Der Bau von U 1 musste nun in einer Phase des Spagats von derpolemischen Ablehnung der französischen Entwürfe zu einem eigenen, erfolgrei-chen deutschen Boot vollzogen werden, was am leichtesten wieder durch Ge-heimhaltung erreichbar war. Berling nahm dabei Verbesserungen am Entwurf d’E-quevilleys vor, wie die Ergänzung eines Ballastkiels, die die Fertigstellung verzö-gerte und zu Konflikten mit d’Equevilley führte. Der eigentliche Urheber, Lau-beuf, kritisierte das Plagiat seiner Entwürfe durch die deutschen Werften.48 Ber-ling, der den Entwurf des U 1 überarbeitete, anerkannte die Priorität Laubeufs imTauchbootentwurf. Der Germania-Ingenieur Techel verwehrte sich später jedochgegen die Behauptung einer unrechtmäßigen Übernahme der Pläne.49 NeuereDarstellungen lassen diese Herkunft dann völlig außer Acht; so ist dann auch auf-grund der schwierigen Quellenlage bisher nie ein Vergleich der Konstruktionen er-folgt.50

Um bei diesem Wechsel von der Übernahme fremder Konzepte zur eigenen,autarken Entwicklung nun die fremde «Privatindustrie» auszuschalten, wurde dieEntwicklung von U 2 bis U 4 zur Kaiserlichen Werft nach Danzig verlegt; bei U 2stellten sich dann ureigene Probleme mit dieser neuen Technik ein.51

Generell galt die Abhängigkeit des Schiffbaus von der ausländischen Industrie,vor allem der britischen, die lange bestanden hatte, als unangenehm und ihre

189U1 – Die unsichtbare Waffe

46 Gentsch (Fußn. 15), S. 8.47 Zit. nach Herzog 1968 (Fußn. 1), S. 11.48 Laubeuf (Fußn. 7), S. 81.49 Berling 1913 (Fußn. 19), S. 114 u. 134; Rössler 1986 (Fußn. 1), Bd. 1, S. 28, S. 38 u. S. 50.50 Jörg Duppler: Die Erfindung des UBootes und seine Entwicklung bis zur Einsatzreife zu Be-

ginn des 20. Jahrhunderts. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 22 (1999), S. 23–33; s.a. Abb. 2, 3, 4.51 Techel (Fußn. 1), S. 81.

Page 13: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

190 Jobst Broelmann

Abb

. 3:E

in L

aube

uf-E

ntw

urf,

der

die

Vorb

ildfu

nktio

n fü

r U

1er

kenn

en lä

sst.

Laub

euf 1

915

(Fuß

n.7)

. DM

A, B

N C

D 5

1848

3.

Page 14: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

191U1 – Die unsichtbare Waffe

Abb

. 4:D

er e

inzi

g er

halte

ne G

ener

alpl

an v

on U

1. T

eche

l (Fu

ßn. 1

). D

MA

, BN

CD

518

482.

Page 15: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

Überwindung schließlich als besonderer Erfolg, der hervorzuheben war.52 DieGermaniawerft in Kiel erhielt erst wieder Aufträge, nachdem der Einfluss vond’Equevilley dort ausgeschaltet war. Krupps auf Export bedachte Germaniawerftsuchte dagegen weiter die internationale Bühne, als sie auf der Verkehrs-Ausstel-lung in Mailand 1906 das Modell ihres U 1 zeigte, um im weiteren Verlauf wieder-holt an das Ausland zu liefern.53

Mit der Übernahme des U-Bootes durch die deutsche Marine wurde deren pu-blizistische Kontrolle in Form einer Geheimhaltung noch verstärkt, die sich, als na-tionale Sache, nun auch auf Informationsträger wie ausländische Fachleute aus-wirkte, die sich bisher hatten frei bewegen können. Im Nauticus 1906 wird der Sta-tus der U-Boote in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern völlig ver-schwiegen. Selbst die veröffentlichten Fotos der Forelle und eines folgenden Boo-tes, vermutlich U 1, bleiben ohne Bilderklärung anonym.54 U 1 lag im Hafen fürmögliche Beobachter hinter Sichtblenden verborgen.55

Der Germania-Baumeister Techel, ein Freund Berlings, der diese Gründungs-phase nach dem Kriege kommentierte, spielte deren Bedeutung herab. Er kritisier-te vielmehr d’Equevilley und seine krassen Fehler bei der Berechnung des Druck-körpers von U 1. Er habe die sogenannte Kesselformel benutzt und nicht die we-sentlich geringere Beulfestigkeit für einen Außendruck zugrundegelegt. Tatsächlichhätten nur die Verstärkungen an den Sektionsenden die Tauchfähigkeit bis 30 mgewährleistet.56 Es bestand für ihn also keine Veranlassung, U 1 als originelle In-genieurleistung darzustellen – umso weniger als ein deutsches Meisterwerk.

Bezeichnenderweise und nach den Vorgaben der «Kultur» einer Überlegenheitder Hochseeflotten nicht überraschend, erlangte das U-Boot in Deutschland erstAchtung, als es als Überwasserschiff seine Tauglichkeit und Seefähigkeit bewiesenhatte. Ein solcher Nachweis gelang U 1 bei einer Fahrt bei Sturm um Jütland 1907.U-Boote wurden nun – im Duktus einer Festungsarchitektur – mit «höheren Tür-men und Brücken» versehen.57 Diese verschafften der Besatzung zwar eine größe-re Augenhöhe und Übersicht, verzögerten jedoch den Tauchvorgang. U 1 erhieltaußerdem zur Verbesserung der Seeeigenschaften einen hochgezogenen Vorste-ven, was zwangsläufig weiter zu einer Verminderung der Unterwassergeschwindig-keit führte.58

Diese nur zögernde Wahrnehmung und Anerkennung des U-Bootes in der Ma-rine wiederholte sich in der angepassten Marinemalerei. Bei Willy Stöwer, dergemäß seinem Motto «Kunst braucht Gunst» als Illustrator der kaiserlichen Flot-

192 Jobst Broelmann

52 DMA VBer 1910, S. 36. 53 Zeitschrift Verein deutscher Ingenieure (1906), S. 1522; Herzog (Fußn. 1), S. 23; Modell DME,

Inv.-Nr. 9702, Zugang 24.04.07.54 Nauticus (1906), S. 139.55 S. Foto Herzog 1968 (Fußn. 1), S. 17.56 Herzog (Fußn. 1), S. 14; Rössler 1997 (Fußn. 1), S. 80.57 Nauticus (1906), S. 156.58 Berling (Fußn. 19), S. 118.

Page 16: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

tenpolitik agierte, erhebt sich U 1 in der Komposition eines Flottenverbandes inder Gestaltung kaum sichtbar über die Wasserlinie und verbleibt unterhalb desBildhorizontes. Erst im U-Bootkrieg um 1917 stellten Marinemaler wie Claus Ber-gen, der selbst auf U 53 an einer Feindfahrt teilnahm, die neue, gewachsene Be-deutung des U-Bootes dar und rückten es in eine ihm nun entsprechende Per-spektive.59

Flottenpolitik und Museumsgründungen

Die in Deutschland vorherrschende Flottenagitation schlug sich über «Flottenpro-fessoren» direkt an den Bildungseinrichtungen nieder. Zur Popularisierung der Ma-rine wurde 1900 das Institut für Meereskunde an der Universität Berlin gegründet,das Interesse für das Seewesen und den Flottengedanken wecken sollte.60 Auf An-

193U1 – Die unsichtbare Waffe

59 S. Abb. Scholl 1982 (Fußn. 29), S. 11–12, sowie Abb. 6 u. 7.60 Vgl. dazu Nauticus (1900) H.12, S. 35; Marine-Rundschau (1912), S. 1290.

Abb. 5: U1 als «Überwasserschiff». Der aufgesetzte Fahrstand ist nicht besetzt. Ungewollt war dieleichte Erkennbarkeit des Bootes durch die weißen Abgase der Petroleummotore. Foto: ArchivAutor.

Page 17: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

194 Jobst Broelmann

Abb. 7: U-Boot im Krieg. Gemälde von Claus Bergen als Teilnehmer eines U-Booteinsatzes 1917.DMA, BN CD 518480.

Abb. 6: Der Bedeutungswandel in der darstellenden Kunst. Willy Stöwer: Flottenparade mit U1.In: Die Gartenlaube (1912) S. 1025. DMA, BN 51776.

Page 18: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

ordnung Wilhelm II. sollten dorthin alle Sammlungsgegenstände der Marine ge-bracht werden, die nicht für Lehrzwecke benötigt wurden - ein deutlicher Hinweisauf den Rang und den Inhalt des Museums. Unter diesen Gegenständen befandsich auch der Brandtaucher, der bereits 1890 in Bremen auf der Marine-, Handels-und Kunstausstellung gezeigt worden war und als «Seeungethüm [...] die Auf-merksamkeit aller Besucher erregt» hatte. In Berlin wurde es 1906 im Innenhof desMuseums für Meereskunde aufgestellt.61

Dies stand nicht im Widerspruch zu den ablehnenden Tendenzen der Marine,sondern konnte auch eine offenkundige Unvollkommenheit der U-Boote bewei-sen, diese als Waffe für «Fatalisten» entlarven und die durchsickernden Informa-tionen über die fortgeschrittenen internationalen Aktivitäten entkräften. Dennochübernahm der Brandtaucher und später eine daneben aufgestellte U-Bootsektion62

zweifellos eine Vorbildfunktion auch für Oskar von Miller bei der Planung derSchifffahrtsabteilung im Deutschen Museum. Für diese wurde der bereits vorge-stellte Organisator von Fachausstellungen, Carl Busley, hinzugezogen.

Auf der Woge des Navalismus und der Verquickung von Politik und Technikschloss sich der Museumsgründer Oskar von Miller ohne Zögern der vorherr-schend militaristischen Richtung an. Um das Interesse des Kaisers auch in Mün-chen zu wecken und dem Mythos des Panzerschiffs zu huldigen, versicherte er Tir-pitz, dass im «modernen Panzerschiff [...] die vollendetsten technischen Einrich-tungen aller Industriezweige in sich vereinigt seien und es daher ein bedeutendesMuseumsobjekt werden solle».63 Damit erreichte er schließlich auch den Bau einesgroßen, kostspieligen Schnittmodells des aktuellen Linienschiffes Rheinland, das1910 als das Gründungsgeschenk des Kaisers dem Museum übergeben wurde.64

Zwei Jahre später folgte dann in ähnlicher Weise auch Krupp, der mit Genehmi-gung des Reichs-Marine-Amtes ein dem Maßstab der Rheinland entsprechendesSchnittmodell von U 1 stiftete. In seiner minutiösen Detaillierung verniedlichtedies jedoch den Charakter und die Intentionen seines Originals zu einem «Meis-terwerk der Kleintechnik».65

Mit dem Bau von U 1 war die interne Diskussion bei der Marine um den U-Bootbau nicht beendet, doch galten allgemein bei Kriegsanfang die frühen Typentechnisch bereits als überholt, als Experimente von geringem aktuellem Wert undnur noch für Schulungen geeignet.66 Nach überraschenden Anfangserfolgen, etwaals Otto Weddigen im September 1914 mit U 9 drei britische Panzerkreuzer ver-

195U1 – Die unsichtbare Waffe

61 Herold (Fußn. 1), S. 89; Museum für Verkehr und Technik (Hrsg.): Aufgetaucht. Das Institutund Museum für Meereskunde im Museum für Verkehr und Technik Berlin. Berlin 1996,S. 95; Albert Röhr: Meereskunde und Kriegsmarine. In: Kultur & Technik (1986), S. 222–225,hier S. 223.

62 S. Abb. Aufgetaucht (Fußn. 61).63 Miller an Tirpitz, 20.03.1905, DMA, VA 1974.64 DME, Inv.-Nr. 25 200, s. a. DMA, VBer 1910, S. 34.65 Krupp an DM 13.10.1910, DMA, VA 1983; DME, Inv.-Nr. 34258, Schnitt 1:25; Illustrierte

Zeitung Nr. 3584, 07.03.1912, S. 430.66 Jane´s Fighting Ships (1914) S. 148; Bauer (Fußn. 22), S. VI.

Page 19: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

senkte, wurde die Waffe des Schwächeren rhetorisch geschärft und umgemünzt indie Waffe des unerschrockenen Seehelden, des «Wikingers» und «Ritters derTiefe».67 Die schnelle Entwicklung der Waffentechnik weckte neue politische Am-bitionen. Im Handelskrieg war das U-Boot auf der Basis internationaler Vereinba-rungen jedoch praktisch nicht vorgesehen. Seine beschränkten Einsatzmöglichkei-ten missachteten bestehende humanitäre Regeln und verstießen gegen das Völker-recht. «Auf der anderen Seite stellte diese Waffe täglich wachsende Forderungennach Betätigung, die in unzweifelhafter Leistungsfähigkeit ihre Grundlage hattenund in dem gesunden Gefühl weiter Volkskreise begeisterte Aufnahme fanden», soHermann Bauer, ein Taktiker der U-Bootwaffe.68 Unzweifelhafte Leistungsfähig-keit bewies U 20 dann im Jahr 1915 mit der Versenkung der «Lusitania», einem Aktder Vernichtung, dessen Ausmaß nur drei Jahre zuvor, im Fall der «Titanic», nochmit einer Naturkatastrophe verglichen worden war. Mit den Angaben hoher Ver-senkungszahlen (April 1917 amtlich 1 Million BRT, tatsächlich 840 000 BRT)69

und die dadurch angefachte Stimmung im Volk häuften sich die Kriegsdarstellun-gen im Lande, wie etwa die «Deutsche Kriegsausstellung – Unsere Kampfplätzedargestellt in Riesenreliefs». Vermehrt wurden 1917 an das Deutsche MuseumInteressen herangetragen, Modelle und Anschauungsmaterial zum U-Bootkriegzur Verfügung zu stellen.70 Die Zahl derjenigen, die bisher, im Gegensatz etwa zuLokomotiven oder Automobilen, ein U-Boot aus nächster Nähe gesehen hatten,dürfte sehr klein gewesen sein. U-Bootdarstellungen waren nun auch als aufklapp-bare Papiermodelle in technischen Modellatlanten zu finden, die Begeisterung fürdie Technik «gleichermaßen demonstrieren wie wecken sollten».71

Dieses Interesse am Kriegsgeschehen blieb nicht ohne Einfluss auf die Mu-seumsplanung. Oskar von Miller, damit befasst, «Episoden aus den letzten See-schlachten» zu sammeln72, geriet hierbei an Hans von Koester, der als «Exerzier-meister der Flotte» galt und Mitglied des Vorstandsrats des Museums war. Dieserwar bestrebt, den Einsatz der Flotte am Skagerrak in dramatisch konzipierten Dio-ramen zu inszenieren: «ein sinkendes oder brennendes Schiff dürfte das Interesseerhöhen». Ebenso regte von Koester, noch unsicher über von Millers Reaktion, imReichs-Marine-Amt die Überlassung eines kleinen, sogenannten «Flandern-U-Bootes» für das Museum an, das speziell für den Transport auf der Eisenbahn be-messen war. Von Miller griff diesen Vorschlag ohne Zögern, ja offenbar begeistert

196 Jobst Broelmann

67 Max Valentiner: U 38. Wikingerfahrten eines deutschen U-Bootes. Berlin 1936; Herzog(Fußn. 1), S. 24 u. S. 28.

68 Bauer (Fußn. 22), S. VII.69 Herzog 1968 (Fußn. 1), S. 111.70 «Kriegs-Luftfahrt-Ausstellung» an DM 19.6.17; «Deutsche Kriegsausstellung» an DM

14.12.1917; DMA, VA 1987.71 H. Blücher: Technischer Modellatlas. 15 zerlegbare Modelle aus den Gebieten der Maschinen-

und Verkehrstechnik mit gemeinverständlichen Erläuterungen. Leipzig 1915, Modell 12:Tauchboot der Germaniawerft. Fried. Krupp, Kiel-Gaarden; s. a. den Beitrag von Helmut Hilzin diesem Band.

72 Miller an Wittmer, 17.04.1917 DMA, VA 1987; s.a. DMA, VBer 1918, S. 13.

Page 20: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

auf und erweiterte ihn sogar mit dem Wunsch nach U 1 – «das erste in Deutschlandpraktisch erprobte U-Boot».73

Diese schnelle Entscheidung für U 1, ohne eine erkennbare Prüfung des Hinter-grundes, war sicher durch frühere Planungen des Museums für die Übernahme desTorpedobootes S 1 vorbereitet worden. Dieses hatte etwa gleiche Abmessungen ge-habt, seine Übernahme war jedoch nur in Einzelteilen zustande gekommen.74

Hier wiederholte sich der Bedeutungswechsel vom Torpedoboot zum „tauchfähi-gen Torpedoboot». Zweifellos war dies für Miller auch eine Gelegenheit, mit demMeereskundemuseum in Berlin gleichzuziehen und dem Brandtaucher und demdort aufgestellten «Germania»-Teil das erste deutsche U-Boot entgegenzusetzen.Der zusätzliche Wunsch nach U 1 konnte schließlich aber auch eine politische Re-lativierung und Mäßigung bedeuten, das Bestreben, über das aktuelle Kriegsge-schehen hinaus eine übergeordnete und unabhängige Position einzunehmen. DieBeharrlichkeit, mit der von Miller in dieser Zeit beispielsweise das Projekt einerDarstellung der Schlacht bei Salamis verfolgte, wirkte gegenüber der hitzigen Agi-tation nach der Skagerrakschlacht auffallend zurückhaltend und distanziert. U 1war zweifellos vielseitig und mehrdeutig, besaß einen historischen, jedoch auchunpolitischen Stellenwert, ganz anders als ihn z.B. U 9 dargestellt hätte.

Wie schnell in wenigen Jahren ein technisch-politischer Werteverfall eintretenkonnte, zeigte für die Flotte bereits das von Miller zuvor als Muster- und Modell-beispiel eingeworbene Linienschiff Rheinland. Es war im Krieg überwiegend untä-tig geblieben, hatte «Unbotmäßigkeiten an Bord» erlebt – ein Werteverfall beson-derer Art –, war 1918 auf Grund gelaufen und zur Gewichtserleichterung entwaff-net worden. Mit diesen Schiffen war jetzt kein Staat mehr zu machen. Im Mu-seumsführer wurde es in die historische Entwicklungsreihe zurückgestuft, andersals die Unterseeboote, die aus dem Weltkrieg «noch in frischer Erinnerungseien».75

U 1 behielt in alle Zukunft die Einzigartigkeit des ersten Produktes einer Ent-wicklungsreihe. Klar erkennbar – jedenfalls für den Fachmann - verzichtete vonMiller dafür auf den letzten Stand der Technik oder ein «Meisterwerk», da das zu-sätzliche Flandern-U-Boot, das tauchfähig vorgeführt werden sollte76, als Projektnicht weiterverfolgt wurde. Intern wurde von Berling die Wahl von U 1 als «deut-sches» U-Boot für das Museum kritisiert, der bedauerte, dass U 1 und nicht U 2oder U 9 aufgestellt wurden.77 Auch die Werft konstatierte, dass die Reste von U 1,

197U1 – Die unsichtbare Waffe

73 11.02.1918, 22.07.1918. DMA VA 1987; Miller an Koester, 07.08.1918. DMA, VA 1987.74 S. z.B. die Lageskizze eines Kriegsschiffes im Grundrissplan des Museums, DMA, VBer 1904,

S. 27; in einer Verwaltungsratsbesprechung am 2. u. 3. März 1916 wird dann auch U 1 als an-zustrebendes Objekt erwähnt. DMA, VA 3970.

75 DMA, VBer 1923, S. 22; Deutsches Museum, Amtlicher Führer, 2. Aufl. München 1928, S. 173u. S. 179.

76 Auch diese Demonstrationstechnik war keineswegs neu, sondern bereits in «Marinespielen»vorgeführt worden, s. Florian Dering: Heute Hinrichtung. Jahrmarkts- und Varietéattraktionender Schausteller-Dynastie Schichtl. München 1990.

77 Herzog (Fußn. 1), S. 14; «für Berling ein Witz, denn das Ding [U 1] wurde an der Kieler Werft

Page 21: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

dessen Abwracken bereits weit fortgeschritten war, sich für Museumszwecke nichtmehr eigneten und es sich «bestenfalls um die Aufstellung eines Torso» handelnkönne.78

Im Nachkriegsjahr 1919 war U 1 längst keine aggressive Waffe mehr, sonderneine Reliquie, die nach außen verteidigt werden musste gegen das Diktat der Alli-ierten – in der Konkurrenz zum Meereskundemuseum dann auch intern eine «Tro-phäe» von Millers.79 Das Reichs-Marine-Amt, das eine Aufstellung von U 1 in Ber-lin favorisierte, plädierte dabei gegen die Germaniawerft und Krupp, Vorsitzenderdes Verwaltungsrats des Deutschen Museums, der dann aber durch einen Kaufüber den strittigen Gegenstand oder dessen Reste verfügte. Bei den Verhandlungendes Reichs-Marine-Amts mit den Alliierten wurde argumentiert, dass das «Abwra-cken des Bootes bereits soweit vorgeschritten sei, dass es für Museumszwecke nicht

198 Jobst Broelmann

von einem angeblich im Ubootbau erfahrenen Spanier gebaut ... das wirkliche erste DeutscheTauchboot U 2 wurde wie alle anderen uns nach Versailles genommen»: Frieda Berling überdie Aussage ihres Bruders, an DM 25.10.1939; DMA Schifffahrt.

78 Krupp an Miller, 10.07.1919; DMA, VA 1988.79 U 1 wurde am 19.02.1919 aus der Liste der Kriegsschiffe gestrichen, am 22.10.1921 von Krupp

gekauft: Herzog (Fußn.1), S. 14.

Abb. 8: «Monstrum horrendum» – U1 als Trophäe. DMA, BN 730.

Page 22: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

mehr in Frage kommt.»80 Zur Bauplanung sandte Krupp unaufgefordert Zeich-nungen von U 1 nach München.81

Rekonstruktion als Demontage

Der Bahntransport von Teilen des U 1 und deren stückweise Einbringung in denMuseumsbau in den Jahren 1921 bis 1923 musste erneut daran erinnern, dass essich nurmehr um eine teilweise Nachbildung eines Originals handelte, die leidernicht durch eine möglichst lückenlose Plan-Dokumentation ergänzt wurde. Umsomehr konnte selbst ein Torso oder eine Rekonstruktion, die sich aus den aufgelis-teten Bauteilen in den Frachtbriefen ablesen lässt, den Effekt einer Demontagehaben und im Sinne des didaktischen Konzeptes des Museums zur Offenlegungder geheimnisvollen U-Boote beitragen.

Wie in der Fachliteratur, hauptsächlich einer Firmenschrift der Germaniawerft,wurde die Entstehungsgeschichte von U 1 also auch im Deutschen Museum ver-dunkelt. In einem schriftlich fixierten Führungs-Vortrag wurde dem Narval-Typ desFranzosen Laubeuf zwar die Initiierung einer «Periode der modernen Tauchboote»zuerkannt, jedoch festgestellt, dass der «Typ unserer deutschen U-Boote (...) einrein deutscher eigener Typ» sei, «den der Konstruktions-Ingenieur Equevilley nacheigenen Ideen verbessert» habe!82 Den Bedarf der Propaganda des nächsten Welt-krieges an heroischen Erfindern konnte dann die Gestalt eines Wilhelm Bauer eherbefriedigen als der dubiose Hintergrund von U 1, was Hans A. Thies veranlasste,Bauers Brandtaucher als das wahre deutsche U 1 einzustufen.83

Zu bezweifeln ist jedoch, ob der Besucher beim Bestaunen dieses Objektes je-mals auch diese Frage nach seiner Herkunft stellte. Die Zurschaustellung des riesi-gen, fremdartigen, in das Binnenland verbrachten Körpers erinnert eher an frühe-re Motive der volksfestartigen Besuche eines angeschwemmten Meeresfossils, eines«monstrum horrendum»84, stark eingeschränkt allerdings durch eine Architektur,die dieses Fossil weniger präsentierte, als vielmehr endgültig versenkte. Das Fehlen

199U1 – Die unsichtbare Waffe

80 Reichs-Marine-Amt an DM 21.03.1919, in: Aufstellung Vollmar 04.09.1961, DMA Schiff-fahrt.

81 (10 Blaupausen): Vorschiff, Ölmotorenraum, E.-Maschinenraum, Akkumulatoren-Raum,Turm, Mittl. Maschinenraum, Petrolleitungen in der Plattform, Druckluftleitungen in derPlattform, Lenzpumpe, Gebläse. Brief Krupp an Menck, 01.08.1919 DMA, VA 1988-15; dieseZeichnungen sind nicht bekannt; in den 1960er Jahre bemerkte Vollmar die schlechte Quel-lenlage zu U 1, wie so oft, zu spät. Notiz 18.11.1957, DMA, VA 2012.

82 Typoskript Menck, o. J., Führungs-Vortrag VI. Die historische und technische Entwicklung derUnterseeboote und das Theorem der Unterwasserfahrt. DMA, VA 6081, S. 11–12.

83 T.: Wilhelm Bauer – Ehrentag der Hauptstadt der Bewegung. In: Münchner Mosaik (1942), S.38–41; Hans Arthur Thies: U 1 – Ein Erfinderschicksal. München 1952 (Copyright 1943); Wil-helm Bauer Sonderschau in der Ausstellung «Großdeutschland und die See» sowie den Film«Geheimakte W. B. 1» im Ufa-Palast.

84 Richard Ellis: Mensch und Wal. München 1993, S. 327.

Page 23: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

200 Jobst Broelmann

Abb. 9: Teile des U 1 im Frachtbrief von Krupp: das Artefakt als Rohmaterial (Brief Krupp an DM16.02.1921). DMA, VA 1990.

Page 24: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

der zweiten äußeren Bootshaut und das Aufschneiden des inneren Druckkörpers,der Verzicht auf «das für den nichtfachmännischen Besucher ohnehin nur verwir-rende Vielerlei von Kabeln, Rohrleitungen und Gestängen»85 trug weiter dazu bei,einem Betrachter die Gewissheit zu geben, schon im Vorübergehen auf den Grunddes technischen Geheimnisses vorgestoßen zu sein.

Das Museum lieferte das Artefakt sozusagen als Rohmaterial, und überließ dieFiktion, die individuellen Projektionsmöglichkeiten eines möglichen Kontextes, jaselbst einen technischen Systemüberblick dem Besucher und einem möglicher-weise vorgeprägten Bewusstsein.

Die restliche verbliebene Materialität des derart reduzierten Artefakts, die an dieinhaltliche Reduktion der Zerstörung des Demonstrationsmodells durch WilhelmBauer erinnert, ließ wenig von einer ursprünglichen Funktionalität erkennen. Soversäumte das Museum neben einer möglichst umfassenden Plandokumentation,die zur Zeit der Akquisition noch möglich, allerdings kaum üblich war, die Wahr-nehmung eines Artefakts als Verkörperung eines technischen Systems, wie es wohlzum ersten Mal in diesem umfassenden Neuanspruch im U-Boot verkörpertwurde. Zugehörige Einzelteile wie Sehrohre und Kompasse86 oder physikalisch er-klärende Funktionsvorgänge wurden daher in getrennten Demonstrationen vorge-führt.

Die verschiedenen möglichen Bedeutungsebenen des Artefaktes lassen sich inFotografien aus der Museumsgeschichte erkennen. Sie zeigen entweder U 1 mit derFlagge der kaiserlichen Marine oder, mit großen Hinweistafeln auf die Lieferfir-men, als Industrieprodukt im Stile der Objektkultur der Weltausstellungen.87 DerMuseumsführer präsentierte einen Architekturentwurf des Untergeschosses derAbteilung im Stil einer Ehrenhalle, in dem das Boot eine mythische Ausstrahlungerhält und pries die «Großtaten deutscher Schiffbaukunst und deutschen Helden-tums». Dies war zweifellos von anregender Bedeutung in einer Zeit, als Marine-Eh-renmale wie jenes in Laboe entworfen wurden. Der Entwurf der Ehrenhalle vonLaboe scheint in den Proportionen ihrer Säulenreihe diese Skizze übernommen zuhaben.88

Wenn es dem Betrachter um den Bezug des ausgestellten Museumsobjektes zueinem menschlichen Kontext ging, waren zuerst die Insassen des Bootes als seineBewohner gemeint, denn eine die Phantasie zu einem Aktionsszenario provozie-rende Kommandozentrale war dem Betrachter weitgehend verborgen. Dagegenkonnten die Unterkünfte und hygienischen Einrichtungen wie Toiletten vom Be-

201U1 – Die unsichtbare Waffe

85 Brief Krupp an DM 23.08.1920, in einer Aufstellung von Vollmar 04.09.1961, DM, Abt.Schifffahrt.

86 Sehrohr von Voigtländer, DME, Inv.-Nr. 7279; U-Boot-Magnetkompass mit Fernübertragung,DME, Inv.-Nr. 47785.

87 Deutsches Museum. Amtlicher Führer, 2. Aufl. München 1928.88 Deutsches Museum. Das Deutsche Museum. Geschichte–Aufgaben–Ziele. 3. Aufl. München

1933, S. 162, s. a. Abb. 10; bereits 1918 wird im Museum der Wunsch nach einem «Ehren-raum» für die Unterseeboote ausgesprochen. DMA, VBer 1918,13.

Page 25: U-Boot U 1 - deutsches-museum.de · Jobst Broelmann U1– Die unsichtbare Waffe Die Wandlungsfähigkeit des Unterseebootes bis zur Unsichtbarkeit – zuerst eine Idealvorstellung

sucher unmittelbar mit den häuslichen Verhältnissen verglichen werden. Zunächstwar hierzu auch ein Betreten des Bootes möglich.89 Die räumliche Enge und diedamit verbundenen Entsagungen waren daher auch das verbindende Erlebnis, dasder Museumsführer herzustellen versuchte: «Die Enge des Raumes ruft die leb-hafteste Bewunderung wach für die Mutigen, die in solchen Fahrzeugen für ihr Va-terland ihr Leben wagten».90 Ein Motiv, das in einer Zeit der Wiederbewaffnungnach dem Ersten Weltkrieg, als ein neues technisches Großprojekt der Marine, das«Panzerschiff A» diskutiert wurde, der Simplizissimus sofort aufgriff: «Ick wohn’ jagern’n bisken eng – wenn ma bloß’n scheen’ Panzerkreuzer kriejen, wodruff malunser Junge’n stolzen Heldentod sterben kann.»91

202 Jobst Broelmann

Abb. 10: Ein Ehrenmal im Deutschen Museum. Deutsches Museum (Fußn. 88). DMA, BN CD518485.

89 Deutsches Museum – Sonderbeilage zur Bay. Staatszeit. 6.5.1925.90 Deutsches Museum 1928 (Fußn. 87), S. 179.91 Erich Schilling: Bildunterschrift zu einer Grafik in Simplizissimus 33 (1928), Nr. 23, S. 297.