Ulrike Böhm - Ein Engel für Mr Darcy

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EIN ENGEL FÜRMR DARCY

Ulrike Böhm

roman

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© 2013 Jonas Plöttner Verlag Ug, leiPzig

1. Auflage

ISBN 978-3-95537-109-8

Reihengestaltung: Maike Hohmeier, hamburg

Coverbild: © Ulrike Böhm, unter Verwendung von:© Jan Engel – Fotolia.com, © crop – Fotolia.com, © Apple – Fotolia.comÜbersetzung der Zitate: Ulrike Böhm, aus: Austen, Jane: The Complete Novels of

Jane Austen. – Film & TV Tie-in ed. – London, Penguin Books, 1996. – 1336 p.

Satz & Layout: Jonas Plöttner

Gesetzt in der Adobe Garamond Pro

Druck: Korrekt Druckerei GmbH, eu

www.ploettner-verlag.de | www.scriptoriumsanctum.de/

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Für Rainer, ohne dessen

Geduld und Verständnis mein Traum

nicht wahr geworden wäre.

Für meine Eltern – danke für alles !

Und für Sabine Korsukéwitz, ohne die es

diesen Roman nicht geben würde. Danke für

die stetige Inspiration und Unterstützung.

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Es ist leichter, ein Atom zu spalten, als ein Vorurteil zu zerstören.

Albert Einstein

Es ist nur ein Roman … oder, kurz gesagt, nur ein Werk, in dem die großartigsten Fähigkeiten des Verstandes offenbart

werden, in dem die genaueste Kenntnis der menschlichen Natur, die glücklichste Darstellung ihrer Mannigfaltigkeit, das

lebendigste Verströmen von Esprit und Humor der Welt in der treffendsten Sprache vermittelt werden.

Jane Austen

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Prolog

Du musst dir einiges von meiner Lebensphilosophie abschauen: Denke nur insoweit an die Vergangenheit, als die

Erinnerung dir Vergnügen bereitet. Jane Austen

Stolz und Vorurteil

Im Frühjahr des Jahres 1980, innerhalb eines Zeitraums von nur fünf Wochen, verliebte ich mich gleich dreimal.

Das erste Objekt meiner Liebe entdeckte ich Ende März in der winzigen Gemeindebibliothek meines Heimatdorfes Stei-nau.

»Du hast aber auch ständig deine Nase in einem Buch«, sagte Frau Amthor, die Gemeindesekretärin, als sie mich an dem von vielen Büchern und Händen glatt polierten Eichenholztisch in der Mitte des Bibliotheksraumes in einem dicken Lexikon blät-tern sah. »Du könntest glatt meine Nachfolgerin werden.«

Das hatte ich zwar nicht vor, fühlte mich aber trotzdem ge-schmeichelt. Ich würde nach meinem Abitur eine richtige Bib-liothekarin werden und in einer richtigen Bibliothek mein Geld verdienen, anstatt ehrenamtlich den Steinauer Leseratten Bü-cher auszuleihen.

»Ich muss mir einen englischen Schriftsteller auswählen, des-sen Werke ich in meiner wissenschaftlich-praktischen Arbeit bespreche«, erzählte ich Frau Amthor. »Ich dachte an Charles Dickens oder George Eliot.«

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»Sie wären beide eine gute Wahl.« Frau Amthor nickte. »Aber eine Mammutaufgabe, denn sie haben jeder ein riesiges Werk hinterlassen.«Ich dachte nach. »Vielleicht William Makepeace Thackeray?«

Frau Amthor schaute mich nachdenklich an. »Hast du schon einmal etwas von Jane Austen gelesen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«Frau Amthor eilte davon und kehrte nach kurzer Zeit mit

einem Buch zurück. Ich besah mir den unscheinbaren grauen Bibliothekseinband mit der geprägten Goldschrift auf der Vor-derseite.

»Stolz und Vorurteil. Das ist aber ein blöder Titel !«»Trotzdem ist es die schönste Liebesgeschichte, die je in eng-

lischer Sprache geschrieben wurde. Außerdem hat Jane Austen nur sechs Romane geschrieben, was für dich eine überschaubare Aufgabe bedeutet.«

Ich schlug das Buch auf und blätterte bis zum Beginn des ersten Kapitels. Bereits sein Anfang brachte mich zum Schmun-zeln: Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass es einem le-digen Mann im Besitz eines schönen Vermögens an einem Eheweib mangeln muss.

Ich brauchte nur zwei Tage, um den Roman zu verschlingen, und streifte dabei mit Elizabeth Bennet durch die üppige grüne Natur von Hertfordshire und Kent, durchwanderte mit ihr die Berge und Moore Derbyshires und ging mit ihr und Tante und Onkel Gardiner auf Schlösserbesichtigungstour. Und ich ver-liebte mich gemeinsam mit Lizzy bis über beide Ohren in den reichen und arroganten Junggesellen Mr Darcy.

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Drei Wochen später begegnete mir Objekt Nummer zwei im Grundelwäldchen hinter meinem Elternhaus.

Ich hatte meine ein Jahr ältere Schwester Sophie zu einem abendlichen Trainingslauf am Waldrand überredet. Es hatte während des Tages geregnet. Überall standen Pfützen auf dem Weg.

Sophie bohrte die Spitze ihres Schuhs in den Matsch. »Das meinst du doch nicht ernst, oder? Man versinkt ja fast bis zu den Knöcheln im Schlamm.«

»Dann laufe ich eben allein.« Ich setzte zum Sprint an. »Unter den Bäumen ist es trockener.«

Sophie hielt mich zurück. »Wollen wir nicht lieber auf den Sportplatz gehen?«

»Schlimm genug, dass man mich den fetten Engel nennt«, schnaubte ich, »da muss ich mich nicht noch öffentlich zum Affen machen!«

»Wer hat es gewagt–?«»Rüdiger. Tatsächlich hat der Blödmann sogar schneckenfetter

Engel zu mir gesagt!«»Nein!«, rief Sophie. »Den fand ich immer so nett.«»Du findest doch immer alle nett.« Ich machte ein paar Knie-

beugen. »Aber dich mag er scheinbar. Er nannte dich den be-zaubernden Engel.«

»Ich lach’ mich tot.«Ich hielt mit meinen Aufwärmübungen inne und fauchte:

»Du hast gut lachen. Ich bin immer nur das plumpe Entlein.«»Nun übertreib’ nicht, Lisa. Ich werde mir Rüdiger vorknöp-

fen.«

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»Untersteh’ dich!«Sophie rannte los und rief mir über ihre Schulter zu: »Wozu

sonst sind große Schwestern da?«Ich folgte ihr in den Wald. Wir waren noch nicht weit gekom-

men, da raschelte es plötzlich ungewöhnlich laut in den dich-ten Fichtenzweigen über uns. Augenblicke später purzelte mir ein rot-weiß getigertes Fellbündel vor die Füße. Es knurrte und fauchte und ich versuchte, es zu beruhigen.

»Hab keine Angst, Miez, wir tun dir nichts.«Sophie war inzwischen umgekehrt und zu mir zurückgelau-

fen. »Wenn er dir mal diese Anrede nicht übel nimmt, Lisa. Er sieht mir nämlich ganz nach Kater aus.«

Der stand zwar immer noch mit angelegten Ohren, gesträub-tem Fell und zitterndem Schnurrbart vor uns und beäugte uns scharf, wich aber keinen Meter zurück, als ich mich ihm ein Stück näherte.

»Das Fangen von Piepmätzen ist nicht so dein Ding, was?«, fragte ich ihn und bekam ein brummiges »Biiirrr!« zur Antwort. Ich ging vor dem Tier in die Hocke und streckte die Hand aus. Der Kater ließ es zu, dass ich ihm sanft über den Kopf strei-chelte.

»Schau mal, Sophie, er hat ein grünes und ein blaues Auge!«»Der Arme sieht ziemlich verwildert aus«, sagte Sophie. »Aber

er ist recht gut genährt. Beim Mäusefangen stellt er sich offen-sichtlich geschickter an.«

Wir setzten unseren Waldlauf fort und der Kater trabte uns hinterdrein. Er überholte uns, blieb dann stehen und wartete, bis wir ihn überholt hatten. Als sich dieses Manöver zum dritten

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Mal wiederholte, hatte ich genug davon und hielt an. Sophie stoppte ebenfalls und lachte lauthals über den Kater, der vor uns mit erhobenem Schwanz über den Waldweg promenierte.

»Ist das nicht drollig, wie der umherstolziert? Er erinnert mich an Mr Darcy.«In meinen Augen war das ein großes Kompli-ment.

Sophie sah das ganz anders. »Nicht der schon wieder!«, stöhnte sie. Ich hatte ihr wohl einmal zu oft mit den Vorzügen dieses Edelmanns in den Ohren gelegen.

»Aber schau doch nur, wie er uns ständig beobachtet, dabei aber immer gebührenden Abstand hält – das ist Mr Darcy wie er leibt und lebt.«

»Lisa! Das ist doch nur ein Kater.«»Klar, das weiß ich doch. Aber sieh dir doch nur seinen vor-

nehmen Gang an!«»So ein Blödsinn.« Sophie setzte erneut zum Laufen an. »Komm,

weiter geht’s!«Ich hielt sie zurück. »Wir können Mr Darcy doch nicht ein-

fach hier zurücklassen.«»Mr Darcy?« »Ich habe beschlossen, ihn so zu nennen.« Ich nahm das

feuchte Fellbündel auf den Arm. Darauf hatte der Kater es of-fensichtlich angelegt. Er schmiegte sich an mich und schnurrte dröhnend. »Ich werde ihn mit nach Hause nehmen.«

»Aber klar doch!« Sophie schüttelte den Kopf. »Mama wird sicher vor Freude im Dreieck springen.«

Ich kraulte Mr Darcy hinter den Ohren und rief: »Warum denn nicht? Er kann sich in unserem alten Haus nützlich ma-

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chen. Stimmt’s, Mr Darcy?« Der Kater blinzelte mich aus halb geschlossenen Augen an und gurrte sein Einverständnis. »Schla-fen kann er in meinem Bett.«

Sophie zeigte mir einen Vogel. »Ehrlich, Lisa, du hast sie nicht mehr alle!«

Zwei Wochen später war ich es, die genau an meinem siebzehn-ten Geburtstag Kandidaten Nummer drei in der Bahn nach Dresden vor die Füße purzelte.

Ich war in ausgelassener Feierlaune. Geburtstag und Aussicht auf vier Tage Klassenfahrt zu haben – konnte es eine aufregen-dere Kombination geben? Dabei ging es schon gut los: Ramona, meine beste Freundin, hatte mich gleich nach Abfahrt des Zuges mit einer Flasche Bärenblut zum Anstoßen überrascht. Weil Al-kohol für die Dauer der Klassenfahrt auf dem Index stand, such-ten Ramona und ich Deckung hinter unseren neben den Sitzen hängenden Mänteln und tranken abwechselnd aus der Flasche.

Der Zug hatte noch nicht einmal Erfurt passiert, da war von dem schweren bulgarischen Rotwein nichts mehr übrig. Aller-dings auch nichts von meiner Euphorie. Die hatte sich in Übel-keit verwandelt. Die Erschütterungen des über die Gleise rat-ternden Zuges verschlimmerten sie noch.

Während Ramona, in ihren Mantel gekuschelt, selig schlief, torkelte ich den Gang des Abteils entlang und verlor vollends das Gleichgewicht, als der Zug über eine Weiche polterte. Ich wäre gestürzt, hätte mich nicht jemand in letzter Sekunde auf-gefangen. Ein dunkelhaariger Junge aus der Zwölften, die mit meiner elften Klasse zusammen nach Dresden unterwegs war,

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platzierte mich kurzerhand auf den freien Sitz neben sich, wo ich wie ein Häufchen Unglück kauerte, die Augen krampfhaft zusammenpresste, und meinen letzten Rest an Willenskraft mo-bilisierte, um mich nicht zu übergeben. Dann musste ich einge-schlafen sein, denn als ich wieder halbwegs zu mir kam, hatte der Zug bereits Jena passiert.

»Danke für deine Hilfe, aber ich wäre auch allein klargekom-men«, versuchte ich, die peinliche Situation zu überspielen.

Mein Retter musterte mich mit ernstem Gesicht. »Aber sicher doch. Ich habe nichts anderes behauptet.«

»Du gehst in die Zwölfte, stimmt’s?«»Haarscharf gefolgert, Sherlock.« Er griente. »Übrigens – ich

bin Frank. Frank Bartels.«»Und ich bin ein Engel«, stellte ich mich vor. Es machte mir

immer, wenn ich das sagte, höllischen Spaß, den verwirrten Ausdruck im Gesicht meines Gegenübers zu beobachten. Aber Frank fiel nicht darauf herein.

»Ein Engel? Und da kannst du nicht besser auf dich achtgeben?«Ich lachte. »Nö. Ich heiße nur so. Lisa Engel.«Der Zug ratterte abermals über eine Weiche. Draußen vor

dem Abteilfenster flogen Häuser, Felder, Wiesen und Bäume vorbei und verursachten mir neue Übelkeit. Das Stimmenge-wirr im Abteil und die lauten Fahrgeräusche des Zuges dröhn-ten in meinem Kopf.

»Du hast nicht zufällig eine Kopfschmerztablette einstecken?«, erkundigte ich mich bei Frank.

»Wer nicht hören will, muss fühlen, hat meine Oma immer gesagt.«

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»Ich habe heute Geburtstag, da wird man doch mal anstoßen dürfen!«, verteidigte ich mich.

»Na, wenn das so ist – Glückwunsch!« Frank stand auf und langte über sich in den Gepäckträger. »Tabletten habe ich nicht, aber etwas anderes.«

Er holte seine Reisetasche auf den Sitz herunter, kramte darin herum und hielt mir schließlich eine Tüte Salzstangen hin.

»Wo hast du die denn her?« Mir lief trotz Übelkeit das Wasser im Mund zusammen.

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich aus dem Delikat.« Er sagte das, als ob es die normalste Sache der Welt war, im

Delikat-Laden einzukaufen. Meine Eltern konnten sich die ge-pfefferten Preise dort nicht leisten, obwohl beide nicht schlecht verdienten. Alles überschüssige Geld fraß die Erhaltung unseres alten Hauses.

Frank reichte mir eine Flasche Vita-Cola. »Trink das und dann isst du mindestens die Hälfte der Salzstangen.«

Ich schaute ihn zweifelnd an. »Und das soll gegen Kopf-schmerzen helfen?«

»Du wirst schon sehen.«Ich riss die Tüte auf und knabberte Stange für Stange, ganz

langsam und genießerisch.»Du magst die Dinger wohl?«»Mmmmm.« Deutlicher konnte ich nicht sprechen aus Angst,

dass mir die trockenen Krümel aus dem Mund flogen.»Ich überhaupt nicht. Kannst alle haben.« Er hielt mir wieder

die Cola hin. »Nun trink schon. Nur Salzstangen allein wirken nicht.«

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Kurze Zeit später waren meine Kopfschmerzen tatsächlich ver-schwunden. »Du solltest Arzt werden«, empfahl ich ihm, »deine erste Patientin hast du schon kuriert.«

Eine verdächtige Röte kroch über seine Stirn in den Haaran-satz. »Genau das habe ich vor. Ich habe meinen Studienplatz schon in der Tasche.«

»Tatsächlich? Gratuliere!« Ich wusste von Sophie, die eigent-lich auch Medizin studieren wollte, wie schwer es war, dafür einen Studienplatz zu ergattern. Frank musste richtig gut sein.

»Und was willst du nach dem Abi machen?«, wollte er von mir wissen.

»Ach, bis dahin ist noch lange Zeit.« Ich redete nicht gern über meine Pläne, Bibliothekarin zu werden.

»Jetzt sag schon!« Er nickte mir aufmunternd zu. Zögernd zog ich ihn ins Vertrauen und wurde nicht ent-

täuscht: Frank hatte nichts an meinem Berufswunsch auszu-setzen.

»Aber die meisten sind der Meinung, ich würde das Abi um-sonst machen«, vertraute ich ihm an. »Sie sagen, an einer Fach-schule wie der für Bibliothekare könnte man auch mit einem Zehnklassenabschluss studieren.«

»Wer weiß schon, wofür du das später mal brauchen kannst. Wenn du unbedingt Bibliothekarin werden willst, dann mache das und lasse dich nicht zu irgendwas überreden, was dir gar nicht liegt.« Frank zog eine verächtliche Grimasse. »Mein Vater hätte es gern, dass ich in seine Fußstapfen trete und Physiker werde. Mir sind jedoch seine Mikroskope und Kameras, und womit er sich sonst noch beschäftigt, schnurzpiepegal. Ich will Chirurg werden.«

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Wir unterhielten uns, nein, wir philosophierten über alles Mög-liche – über die Schule, unsere Eltern, die Lehrer, das Leben im Allgemeinen und unseres im Besonderen, über Musik, Filme und Bücher, und merkten darüber gar nicht, wie die Zeit ver-ging. Frank war ein interessanter Typ, er wusste so viele Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte. Nur einen einzigen Minus-punkt musste ich an ihn vergeben: Er kannte Stolz und Vorurteil nicht.

Ich erzählte ihm von Mr Darcy, dem Findeltier, und Frank wurde ganz neidisch. »Meine Mutter mag keine Katzen, des-halb sind sie bei uns tabu. Eigentlich mag sie gar keine Tiere. Hunde sind zu laut, Vögel machen zu viel Dreck, Meerschwein-chen kriegen dauernd Junge und stinken, Hamster sind nacht-aktiv – um Ausreden, keine Tiere in unserem Haus zuzulassen, ist sie nie verlegen.«

Er schaute sehnsüchtig aus dem Fenster und tat mir in diesem Moment richtig leid. »Kannst ja mal bei mir vorbeikommen und Mr Darcy besuchen«, bot ich ihm an, biss mir dann aber sofort auf die Zunge.

Du kannst dich doch nicht einfach so anbiedern, schimpfte die Stimme in meinem Hinterkopf, die sich seit einiger Zeit im-mer dann ungebeten zu Wort meldete, wenn sie meinte, ich ver-zapfte gerade Blödsinn. Er wird noch denken, du hättest dich in ihn verknallt.

Aber genau das war passiert, ich hatte es bloß noch nicht gemerkt. Ich verliebte mich während dieser Klassenfahrt so gründlich in Frank, dass es mir fast das Herz zerriss, als wir uns nach unserer Heimkehr am Bahnhof trennten. Dabei machte

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ich mir keine Illusionen. Ich hatte keine Chance – ein smarter Typ wie er verliebte sich nicht in eine fette, tollpatschige und hinterwäldlerische Person wie mich.

Und doch stand Frank drei Tage später auf unserem Hof. Er machte die Bekanntschaft meiner Eltern, die begeistert von ihm waren, von Mr Darcy, der es nicht war und ihn nach Katzenart ignorierte, und meiner Lippen, was, wie er später zugab, der ei-gentliche Grund für sein Kommen gewesen war.

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Erstes Kapitel

Außer verheiratet zu sein, mag es ein Mädchen ab und an durchaus einmal, unglücklich verliebt zu sein. Das ist etwas,

worüber es nachdenken kann, und was es auf eine gewisse Art von seinen Freundinnen unterscheidet.

Jane Austen Stolz und Vorurteil

N euneinhalb Jahre später war ich Bibliothekarin und So-phie Psychologin. Frank war Chirurg, so wie er es ge-

plant hatte, und hatte promoviert. Wir waren alle drei nach unserem Studium in unsere Heimat zurückgekehrt und arbei-teten im Kreiskrankenhaus von Greifenhagen.

Beruflich standen wir also da, wo wir sein wollten, privat lief es nicht so gut. Sophie war immer noch solo, aber ganz zufrie-den mit ihrer Situation. Im Gegensatz zu mir. Ich war bereits ein Drittel meines Lebens mit Frank verbandelt und in den Augen der Welt, insbesondere der meiner Mutter, waren wir so gut wie verheiratet, hatten nur noch nicht den passenden Termin für die Hochzeit gefunden. Wir wohnten jedoch noch immer getrennt – ich in meiner eigenen kleinen Wohnung, er in seinem Elternhaus. Er war glücklich mit dem Stand der Dinge, ich dagegen wollte endlich mit ihm zusammenleben und eine Familie gründen. Mit oder ohne Trauschein, war mir dabei völlig gleich.

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Ich saß an meinem Schreibtisch in der Bibliothek unterm Dach des Krankenhauses über einem Stapel Fernleihbestellungen. Weil ich immer noch über den vergangenen Abend nachgrü-belte, konnte ich mich nicht so recht darauf konzentrieren. Ich hatte vorgehabt, Frank endlich ein Ultimatum zu stellen, das war allerdings gründlich schief gegangen.

Mit voller Wucht flog plötzlich die Tür zur Bibliothek auf, im Türrahmen stand Sophie. Sie trug ihr langes, glattes Haar wie immer offen, sodass es ihr ebenmäßiges Gesicht wie das ei-ner Madonna umrahmte. Sie war mit ihren klassischen Zügen und ihrer eleganten Erscheinung das Ebenbild von Oma En-gel. Ich dagegen hatte die barocke Figur, die Sommersprossen und die tizianrote Lockenmähne von Tante Luzie geerbt, der Schwester meiner Mutter.

Fremde hielten uns gewöhnlich für beste Freundinnen und wunderten sich, wenn sie erfuhren, dass wir Schwestern waren. Der Scherz, dass wir sicher verschiedene Väter hätten, hing uns schon lange zum Hals heraus.

»Sag bloß, du weißt noch von nichts?«, schnaufte Sophie und hielt sich am Türrahmen fest.

»Du liebe Güte, Sophie, was ist denn los?«, rief ich und schnellte von meinem Stuhl hoch. Mit einer geistesgegenwär-tigen Bewegung konnte ich gerade noch einen Stapel Bücher festhalten.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Derart aufgelöst hatte ich Sophie nur ein einziges Mal erlebt. Da war sie im letzten Winter mit ihrem Dreielfer Wartburg, der nur ein Jahr jünger war als sie selbst, bei schönstem Sonnen-

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schein auf schneeglatter Fahrbahn ins Schlittern geraten und in einen tief verschneiten Straßengraben gerutscht.

Sophie stand mittlerweile auf der anderen Seite meines Schreibtisches und warf mir einen ungläubigen Blick zu. »Hast du denn heute deine Post noch nicht abgeholt ?«

Nein, hatte ich nicht. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, einer gewissen Person über den Weg zu laufen, deshalb hatte ich auf meinen vormittäglichen Gang in die Poststelle verzich-tet.

Es musste etwas wirklich Außergewöhnliches passiert sein, sonst wäre Sophie nicht während der Arbeitszeit die vier steilen Treppen von ihrer neurologischen Abteilung zu mir heraufge-stiegen. Der Fahrstuhl fuhr zwar noch bis in die Etage unter mir, aber in der Zeit, die man auf ihn warten musste, war man dreimal die Treppen gelaufen.

Ich zuckte mit den Achseln. »Wovon weiß ich nichts? Was ist denn so wichtig, dass es nicht bis zum Mittagessen Zeit gehabt hätte ?« Wir aßen gewöhnlich gemeinsam, wobei mich Sophie mit all den Gesprächsthemen und Gerüchten versorgte, die an-sonsten nur selten den Weg zu mir unters Dach fanden.

Sophie zog sich einen der gepolsterten Benutzerstühle an den Schreibtisch heran und setzte sich. »Diese Treppen !«, schnaufte sie, »ich muss erst mal zu Luft kommen.«

Das war so typisch – es machte ihr Spaß, mich zappeln zu lassen. Langsam wurde ich ärgerlich. »Sophie Engel, wenn du mir nicht sofort sagst, was los ist, kannst du gleich wieder zu deinen Psychos verschwinden. Ich habe, offensichtlich im Ge-gensatz zu dir, eine Menge Arbeit zu erledigen.«

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»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Um Sophies Mundwinkel zeigte sich ein zaghaftes Lächeln. »Wo bleibt ei-gentlich dein Stoßgebet, dass du froh und glücklich über diese Treppen bist, weil du noch fetter wärst, wenn du sie nicht jeden Tag ein paarmal herauf- und wieder hinunterlaufen müsstest ?« Sie blickte sich suchend um. »Wo ist ein Kalender, in den man das rot eintragen kann?«

»Dumme Kuh!«Sophie streckte mir die Zunge heraus. »Besser als fette Kuh!« Das beunruhigende Gefühl in meiner Magengrube verflüch-

tigte sich. Wenn Sophie solche Scherze machte, dann würde die Neuigkeit, wegen der sie gekommen war, nicht verheerend sein. Ich konnte also Hoffnung haben, dass unsere Eltern kei-nen tödlichen Autounfall gehabt hatten und dass auch Mr Darcy nicht auf irgendeinem Baum hockte, von dem er sich ohne Unterstützung der Feuerwehr nicht herunter traute.

Ich setzte mich wieder und massierte mir geistesabwesend die Schläfen. Kompetente Psychologin hin oder her – Sophie kapierte einfach nicht, dass ich mir mit meiner Figur von eher Rubens’schen Ausmaßen neben ihrer gazellenartigen Erschei-nung vorkam wie ein Flusspferd auf dem Trockenen. In ihren Augen war ich ganz normal gebaut, aber sie sah mich ja auch mit dem Wohlwollen einer großen Schwester.

»Was ist denn nun?«, startete ich einen weiteren Versuch, sie zum Reden zu bringen. Am Ende meiner Geduld angelangt, trommelte ich mit den Fingern meiner rechten Hand den Ra-detzkymarsch. »Sag bloß, die Grenze ist auf ?«

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So ausgeschlossen wie noch vor einem Vierteljahr war das gar nicht mehr. Neuerdings wusste man nie so recht, was wohl als Nächstes geschehen würde. Perestroika und Glasnost hatten endlich auch in der DDR den Mief weggeblasen und jeder Tag brachte neue Überraschungen – positive wie negative –, auf die uns der Staatsbürgerkundeunterricht nicht vorbereitet hatte. Mittlerweile hatten sich unter die Forderungen der Montagsde-monstranten nach mehr Demokratie auch unüberhörbare Rufe nach Reisefreiheit gemischt.

»Schön wär’s.« Sophie lachte bitter auf und hielt sich ächzend die Seiten. Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Der Teufel ist los ! Vier Ärzte sind heute nicht zum Dienst erschienen«, ließ sie endlich die Bombe platzen. »Auf Station herrscht das blanke Chaos.«

Mir lief es eiskalt über den Rücken. »Aber das ist ja entsetzlich!«In den vergangenen drei Monaten hatte das Krankenhaus be-

reits etliche Ärzte verloren, die sich über die seit Wochen offene deutsch-ungarische Grenze abgesetzt hatten. Dadurch wurde es immer schwieriger, die Patienten auf den Stationen medizi-nisch zu betreuen. Gleich vier Ärzte weniger würden es schier unmöglich machen, die Dienste ausreichend zu besetzen.

»Ist auch jemand aus der Chirurgie dabei?«Doppelschichten waren dort schon seit Wochen an der Ta-

gesordnung. Ich bekam die Auswirkungen hautnah zu spüren, denn Frank hatte nun noch weniger Zeit für mich.

Sophie warf mir einen bekümmerten Blick zu. Mich über-kam schon wieder diese dumpfe Vorahnung von vorhin.

»Es heißt, einer der Abgängigen sei Frank.«

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Der Schock landete erst als Faustschlag in meiner Magengrube und fuhr von dort siedend heiß in meine Eingeweide. Ich schnappte nach Luft und hielt mich an der Schreibtischkante fest, um nicht vom Stuhl zu rutschen.

Frank sollte abgehauen sein? Ohne ein Wort gegangen sein? Nicht nur mich, sondern auch seine Eltern und seine Patien-ten im Stich gelassen haben? Das konnte nicht sein ! Nein, ich glaubte einfach nicht, dass er so gewissenlos war.

Ich legte meinen Kopf auf den Schreibtisch und fühlte die Kühle des Holzes wohltuend an meiner Stirn. Die Ereignisse des vergangenen Abends, die mich in den Schlaf verfolgt und den ganzen Vormittag über beschäftigt hatten, bekamen nun eine ganz andere Bedeutung.

Sophie riss mich aus meiner Grübelei. Sie war an meine Vor-räte gegangen und hatte eine Kanne von meinem kostbaren Earl Grey Tea gebrüht. Zu jeder anderen Zeit hätte ich sie we-gen Verschwendung gerügt, jetzt aber hielt ich mich an meiner dickbauchigen Tasse fest. Ihre Wärme strahlte in meine Hände, so sehr, dass ich mich beinahe verbrannte, aber trotzdem ließ ich sie nicht los. Es war besser, den äußerlichen Schmerz zu fühlen, als sich mit Selbstvorwürfen zu plagen.

Sophie servierte den Tee mit einer Packung Othello-Keksen und ein paar Riegeln Bitterschokolade, meinem Notfallvorrat für besonders stressige Situationen. Ich stürzte mich wie eine Verhungernde darauf.

»Meine Güte, du verschlingst die Schokolade einfach so? Ohne dich vorher wegen der vielen Kalorien zu kasteien?«, neckte mich Sophie. »Du machst mir wirklich Angst.«

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Ich ignorierte diesen gut gemeinten Versuch, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich hatte im Moment andere Probleme als ein paar überflüssige Pfunde.

»Vielleicht hat er sich krankgemeldet ?«, murmelte ich und kaute dabei auf dem letzten Rest Schokolade herum.

»Hat er nicht«, erstickte Sophie diese Hoffnung schon im Keim. »Hätte mich auch gewundert. Frank ist nie krank. Wir ha-

ben uns gestern Abend gesehen, da war er völlig in Ordnung.« Ich seufzte. »Außer dass wir uns nicht im besten Einvernehmen getrennt haben.«

»Habt ihr euch gestritten?«»Das gerade nicht.« Mit Frank konnte man sich nicht strei-

ten. Jedenfalls ich nicht. Entweder ignorierte er mich oder er wechselte gekonnt das Thema.

»Was war denn los, Lisa ?«»Wir waren tanzen. In dieser stinkfeinen Tanzbar in Suhl, wo

er mich immer hinschleppt.«Sophie pfiff durch die Zähne. »Es gibt weiß Gott schlimmere

Schicksale.«»Aber nicht für mich. Ich bin nun mal nicht dafür geschaf-

fen, übers Parkett zu schweben.«»Du musst die einzige Frau auf der großen, weiten Welt sein,

die es hasst, von ihrem Partner zum Tanzen ausgeführt zu wer-den«, lachte Sophie.

»Ha, ha !«, erwiderte ich beleidigt. »Mir macht Tanzen eben keinen Spaß. Frank weiß das genau, aber er besteht darauf.«

Erst recht war es ätzend, jedes Mal, wenn ich meine zwei oder drei Anstandstänze hinter mich gebracht und mich an die Bar

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verzogen hatte, Frank von dort aus dabei zuschauen zu müssen, wie er mit anderen Frauen eine Runde nach der anderen drehte.

Nun lachte Sophie nicht mehr. Sie beugte sich vor und strich mir tröstend übers Haar. An dieser Stelle übermannte mich ein Anflug von Selbstmitleid. Tränenbäche kullerten meine Wan-gen hinunter und zu allem Überdruss setzte noch ein plötzli-cher Schluckauf ein, an dem ich zu ersticken drohte.

»Gestern Abend«, schluchzte ich, als ich nach dem Wein-krampf wieder einigermaßen Luft bekam, »wollte ich Frank vor die Wahl stellen: Entweder wir suchen uns eine gemein-same Wohnung oder wir trennen uns. Ich habe das Alleinsein satt. Ich möchte so gern eine eigene Familie.«

»Du bist doch nicht allein, du hast mich.« Sophie nahm meine Hände und drückte sie ganz fest.

»An der Bar hat mich ein junger Mann angesprochen«, be-richtete ich weiter. »Während er mir eine lustige Anekdote nach der anderen über seine Katze erzählte, habe ich mich zum ers-ten Mal an diesem Abend richtig wohl gefühlt. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich ihn dazu benutzen könnte, Frank eifersüchtig zu machen«, gestand ich. »Aber das brauchte ich gar nicht mehr.«

»Wie denn das?«»Er war es bereits. Hat er zwar nicht gesagt, aber ich habe

ihm angemerkt, wie aufgebracht er war. Als die Tanzrunde vor-bei war, kam er zu uns an die Bar. Er sagte in dem leisen Ton, den er immer drauf hat, wenn er besonders ärgerlich ist, dass er morgen – also heute – bei einer schwierigen Bypass-Opera-tion zu assistieren hätte und deshalb früher gehen müsste. Ich

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könnte seinetwegen aber ruhig noch ein bisschen bleiben, wo ich mich doch gerade so nett unterhielt.«

Sophies Kinnlade war nach unten geklappt. »Wie bitte ?«Ich trank einen Schluck Tee und bemühte mich, ruhig weiter-

zusprechen. »Ich kam mir vor wie ein unmündiges Kind. Ich war so wütend auf Frank! Mich derart zu blamieren.« Die Erinnerung an das zynische Lächeln des Fremden, als ich mich von ihm ver-abschiedete, ließ mir erneut die Hitze ins Gesicht steigen.

»Ich glaube, ich wäre geblieben.«»Wäre ich am liebsten auch. Aber ich will Frank doch nicht

verlieren !«Sophie zog ihre Stirn in Falten. »Vielleicht ist er doch nicht so

perfekt, wie du ihn immer darstellst.«Ich begriff nicht, wieso sie das sagte. Sie verstand sich doch

gut mit Frank. Außerdem – wer war schon perfekt ?»Noch nie zuvor habe ich ihn so erlebt«, verteidigte ich mich

und ihn. »Jedenfalls war ich gestern ziemlich sauer und habe ihn das auf der Heimfahrt auch spüren lassen.«

»Also habt ihr euch doch noch gestritten?«»Im Gegenteil. Keiner von uns hat ein Wort gesagt.« Dass

Frank davongefahren war, ohne mir zum Abschied einen Kuss gegeben zu haben, hatte dem ganzen Elend die Krone aufge-setzt. »Ich glaube, er ist böse auf mich. Vielleicht ist er deswe-gen–« Ich spürte wieder diesen Kloß im Hals und den Stein in meinem Magen.

»Es gibt ganz bestimmt eine andere Erklärung, warum er nicht zur Arbeit gekommen ist«, widersprach mir meine Schwester. »Warum rufst du nicht seine Eltern an?«

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Klar doch. Ich werde zum Telefonhörer greifen und Herrn Pro-fessor oder – noch schlimmer – Angelina B., die begnadete Ma-lerin, anrufen. Aber Sophie meinte es gut, sie wusste es ja nicht besser.

»Lieber beiße ich mir die Zungenspitze ab, als dass ich Franks Eltern frage ! Du weißt doch, dass ich seit Jahren zu ihnen kei-nen Kontakt mehr habe.«

»Ja, aber du hast heute immerhin einen wichtigen Grund.« »Trotzdem. Sie verachten mich. Ich bin ihnen nicht fein ge-

nug«, seufzte ich und starrte aus dem Fenster auf die Dächer der gegenüberliegenden Häuserfront.

Der Himmel zeigte schon seit Tagen spätherbstliches Grau. Kalt war es geworden. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Gott, wie ich den ewigen Nebel hasste ! Ich sehnte die Vorweih-nachtszeit herbei, mit ihren Lichtern, Liedern und ganz viel Schokolade. Dann würde sich auch meine Stimmung wieder aufhellen. Der Advent war schließlich die einzige Zeit im Jahr, in der man Süßes ohne Gewissensbisse essen durfte, weil alle es taten.

»Nicht fein genug? Haben Franks Eltern das etwa gesagt? So eine Frechheit!«, rief Sophie.

»Quatsch, dazu sind sie viel zu diskret. Wenn man sie aber genauer kennt, dann merkt man schnell, woran man bei ihnen ist.«

»Das hast du dir bestimmt nur eingebildet, Lisa. Du bist zu empfindlich.«

»Der Herr Super-Physiker hatte sogar an meinem Entschluss, Bibliothekarin zu werden, etwas zu bemängeln.« Ich setzte mich