UnAufgefordert Nr. 46

19
46 Die Studentenzeitung der Humboldt-Uni zu Berlin 5. Jahrgang 50 Pfennig (Nichtstudenten 1 DM) Kiosk 70 Pfennig

description

Das ist Ausgabe Nummer 46 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 17. Mai 1993.

Transcript of UnAufgefordert Nr. 46

Page 1: UnAufgefordert Nr. 46

46Die Studentenzeitung der Humboldt-Uni zu Berlin 5. Jahrgang

50 Pfennig (Nichtstudenten 1 DM) Kiosk 70 Pfennig

Page 2: UnAufgefordert Nr. 46

EditorialAnfang März tauchte in der Redaktion ein Flugblatt von der Kontaktstelle Antifa der FU auf, das mit der Überschrift:"Bahros 'Grüne Adolfs' - Die 'Neue Rechte' an der Humboldt-Uni" versehen war. Rudolf Bahro, Dissident unddeshalbalsmoralische Aufwertungfürdie Humboldt-Unimiteinem eigenen Lehrstuhlversehen, sollein "Ökofaschist"seinl UnA uf machte sich auf die Suche nach der 'Neuen Rechten' bei Humboldts und befragte Herrn Bahro nachseiner Meinung zu den Vorwürfen. Was wir fanden und was Bahro sagte lest bitte auf den Selten 4-9.Eine der Hauptaufgaben des Studentenparlamentes ist das Verteilen der Gelder für die Studentenschaft. Damitman im nächsten Semester gut dafür gerüstet ist, ging es auf der zweiten Runde des StuPa am 5. Mai um dieFinanzen. Warum die Finanzgrundlage trotz vierstündiger Diskussion und letztlich positiver Abstimmung einewacklige bleibt, steht auf Seite 3.Am 10. Mai ist es genau 60 Jahre her, daß Studenten der Humboldt-Universität anstatt Bücher zu lesen, dieseverbrannten. Was hier vor 60 Jahren geschah und warum es nach dieser Zeit noch immer Probleme im Umgangdamit gibt - Seite 12.Jedes Jahr mit schöner Regelmäßigkeit freuen sich Autonome und Polizei auf den 1. Mai. Endlichmal 'rausausdemMief der besetzten Häuser und Amtsstubenl Und jedes Mal fragt sich der interessierte Statistiker, wieviele Schaufen-ster dieses Mal zu Bruch gehen werden. Die andere Form des Volxsportes findet Ihr auf Seite 15.Karl Marx war immerhin ein nicht ganz unbedeutender Student dieser unserer Universität. Vor 7 75 Jahren geborenundseit 110 Jahren tot, fängt das Idol Marx an zu stinken - warum esZeitist, den Menschen Karl Marx zu entdecken,steht auf den Selten 19/20.Wieviele "Palazzo Prozzos" (braucht das Land? An der Konstruktion eines neuen, teuren Prestige-Palast in Berlin wirdgewerkelt, erste Entwürfe sind im ehem. Staatsratsgebäude zu sehen - noch als billige Modelle allerdings. Auf denSelten 17/18 zeigen wir,daß wir auch nicht wissen, wer das bezahlen soll. Wie man billiger bauen kann, zeigt unserBasteibogen auf Seite 20.

Inhalt

Geld & StuPa Seite 3

Bahro & Faschismus Seite 4-9

Kunst & Kultur Seite 10/11

.Studenten & BücherverbrennungSeite 12-14

Autonome & Bullen Seite 15

Computer & OS/2 Seite 16

Reichstag & Paläste Seite 17/18

Kinder & Autos Seite 18

Karl Marx & Outing Seite 19/20

Basteibogen & Wohnung Seite 20

ReAKTIONEN+++ReAKTIONEN+++ReAKTIONEN

zum Artikel: "Es ist alles kommissarischhier!"(UnAuf45)In ihrer Ausgabe vom 30. April 1993berichtete die taz unter der Überschrift"Liebe zum Studentenrat" über die StuPa-Wahlen an der HUB, nur schade, daß wir argverkürzt zitiert wurden, dafür durften wirgleich viermal unseren Namen lesen...

"...WiedieStudentenzeitung£//iAM/ge/o/Yfertberichtet, habe es eine Reihe von Unregel-mäßigkeiten gegeben. In Geschichte undPhilosophie habe jeder wählen dürfen, egalob zum Fachbereich gehörend oder nicht.'Ein Wunder', heißt es bei UnAuf-gefordert, 'daß diese Wahlen noch nicht fürungültig erklärt wurden.'

...Zwischen der Studentenzeitung UnAuf-gefordert und dem Parlament scheint imübrigen keine gute Stimmung zu herrschen.Der Artikel über die konstituierende Sitzungmokiert sich darüber, daß 'alles kom-missarisch' ist. 'Über die vielen unsinnigenDiskussionen zu berichten, wäre unfair',schreiben die Leute von UnAufgefordert..."

So schlecht ist unser Verhältnis zum StuPaübrigens nicht, es ist vielmehr momentannicht existent. Eines jedoch ist klar, wir sindnicht gegen das StuPa eingestellt, sondernversuchen, seine Arbeit öffentlich zu ma-chen. Daß dabei auch die Pannen benanntwerden, ist logisch! Und wir werden auchweiterhin nicht nur darüber berichten.

ImpressumUnAUFGEFORDERT Die Studentenzeitung der Berliner Humboldt-Uni. Erstmals erschleneft am 17. November 1989.Redaktion:!nao Bach, Jens Schley, Sven-Uwe-Schmldt, Stefan Söhnchen (leitende Redakteure), Franziska Ahles, Arlett Albrecht,Juliane Kerber, Gerhard Kienast, Alexandra Kolle, Ulrich Miksch, Rudi Neick;Redaktion Niederlande: Hannah Lund Redaktion USA: Stefan Deutscher, Uwe Tigör Korrespondent Iran: Oliver BastKontakt: Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 0-1086 Berlin; Hauptgebäude Raum 3022, Tel.: 2093 2288, fax: 2093 2770Redaktionsschluß: 10. Mall993Satz: Ingo Bach Druck: Contrast, Tempelhofer Damm 210 1 /42 gedruckt auf Recycling-PapierNachdruck, auch auszugsweise, Ist ausdrücklich erwünscht. Wir bitten aber um Quellenangabe und Belegexemplar.Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendarstellung In amgemessenen Umfang. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht InJedem Fall die Meinung der Redaktion wider. Kürzel werden nur von Redaktionsmitglledern verwendet.Die nächste Ausgabe erscheint am 07.Juni 1993 Die Redaktionssitzungen sind öffentlich, jeden Donnerstag 18.00Uhr, HG 3022.Nächste am 27. Mal 1993.RedaktlonsschluB für die nächste Nummer: 10.Mall 993Konto: Hannah Lund, Berliner Sparkasse, Kto.: 0104002514, BLZ 10050000

Page 3: UnAufgefordert Nr. 46

Das Studentenparlament der Humboldt-Uniwahrt Kontinuität: schien es auf seiner erstenSitzung (UnAUF 45) noch den Titel "Es istalles kommissarisch hier"anzustreben, soschwebte bei der zweiten am 5. Mai unsicht-bar die Maxime "Das ist nur vorläufig" überden Studierendenvertretern.Diesmal ging es vor allem um's Geld, und dadie Finanzen im Wahlkampf eine zentraleRolle gespielt hatten, waren Kontroversenvorprogrammiert. Die Arbeitsgruppe für Fi-nanzen, die auf der ersten Sitzung desStudentenparlamentes mit der Erarbeitungeiner Finanz- und Beitragsordnung sowieeinem Nachtragshaushalt für das laufendeSemester beauftragt worden war, hatte eini-ges geleistet. Die entsprechenden Entwürfe,deren Erstellung einiges an Zeit und Nervengekostet habendürfte, standenzur Beschluß-fassung. KatrinWerlichvondergenannten AGwar sichtlich be-müht, Druck zumachen: zu-nächst mit demHinweis darauf,daß die Finanzordnung unbedingt sofort ver-abschiedet werden müsse, um nach Passie-ren der diversen Genehmigungsinstanzenpünktlich zum Wintersemester '93 in Krafttreten zu können. Das meiste sei durch dieLandeshaushaltsordnungvorgeschriebenundnicht mehr änderbar und außerdem sei dasganze ohne Satzung sowieso nur vorläufig.Die Argumente schienen ein gutes Funda-ment für eine schnelle Verabschiedung zusein.Es blieb beim Schein, denn als es um denAbstimmungsmodus ging, wurde ein Grund-stein gänzlich entgegengesetzter Natur ge-legt. Zwei Drittel Ja-Stimmen der gewähltenMitglieder des StuPa sollten zur Beschluß-fassung notwendig sein, das hieß in derEndkonsequenz bei den gerade mal anwe-senden 39 Mitgliedern (von 58) Ein-stimmigkeit.Und so nahm das Desaster sei-nen Lauf, das selbst das schon fast verzwei-felt klingende "Ich appeliere an alle!" unddie Bitte um einen "Vertrauensvorschuß"von Katrin nicht verhindern konnte. AmEnde der Abstimmung standen drei Gegen-stimmen im Protokoll und die Verzweiflungin den Gesichtern der Finanz-AG - allesumsonst? Die wütende Forderung nach so-fortiger Erklärung der Gründe für die Ableh-nung wurde ebenso wütend abgeschmettert,die Bitte um Auszeit dankbar angenommen.Nach der Auszeit einigte man sich auf "einekleine Rechtsbeugung", wie es ein StuPa-Mitglied ausdrückte: Beschlüsse sollten von

nun an mit Unterstützung von zwei Drittelnder anwesenden Mitglieder angenommenwerden können und die Abstimmung zurFinanzordnung wiederholt werden. So ge-schah es dann auch, ob dies j edoch das letzteWort zur vorläufigen Finanzordnung ist,wird sich zeigen. Verlangt doch das Berli-ner Hochschulgesetz (BerlHG), daß die Auf-stellung und Ausführung des Haushaltplanes,sowie Kontrolle der Haushaltführung undBeitragsordnung auf Grundlage der verab-schiedeten Satzung zu beschließen ist (§ 19,Abs. 2;3)). Da diese Grundlage nicht vor-handen ist, hat nun die Präsidentin denschwarzen Peter, denn sie muß die Finanz-und Beitragsordnung bestätigenDie Beitragsordnung, also die Festlegungder zu zahlenden Beiträge der Studenten für

Ich appelliere an Alle!StuPa: Klappe, die zweite

die Studentenschaft pro Semester, standebenfalls unter Zeitdruck. Schließlich soll-te die Kasse pünktlich zum Wintersemestergefüllt sein. Der (schließlich auch verab-schiedete) Entwurf sah 10 DM vor, was

c ü

summa summarum mehr als 200 000 DMausmacht. Als (übrigens recht dürf-tige)Begründung wurde die Tatsache ange-führt, daß diesen Betrag die meisten ost-deutschen Hochschulen erhöben und der imWesten noch höher sei. Wäre es da nichtsinnvoller und vor allem glaubwürdigergewesen, sich erst über die zu erwartendenAusgaben klar zu werden (z. B. anhand desStuRa-Haushaltes) und dann den dafür not-wendigen Beitrag festzulegen. Das BerlHGist da eindeutig:"Die Höhe der Beiträge istauf das Maß zu beschränken, das zur Er-

füllung der Aufgaben... nach den Grundsät-zen der sparsamen Haushaltführung erfor-derlich ist."(§20).Regelrecht gestritten wurde, als es um denNachtragshaushalt für das laufende Semesterging. Immerhin standen 53000 DM zur De-batte, die vom StuRa übernommen werdensollten. Streitpunkt waren vor allem die alsPersonalkosten ausgewiesenen 18 000 DM.Katrin Werlich, die wohl als einzige denvollen Durchblick hatte, war nicht mehr an-wesend, und so waren die Informationen zudiesem Thema spärlich. Einzig der Bedarfder Bafög-Beratung in Höhe von 4 000 DMschien einleuchtend, der Rest blieb imDunkeln. Und die Bemerkungen von altenStuRa-Kämpen über ihre Erfahrungen ("Wirbrauchen eine Halbtagskraft zum Post abho-

len, Müll auf-räumen, Ge-schirr abwa-schen und vorallem Über-blickbehalten,sonst könnenwir das Büronach wenigenWochen we-gen Verdrek-

kens dicht machen.") trugen wenig zur Erhei-terung bei, weil sie ernst gemeint waren alsErklärung der veranschlagten 10 000 DM füreine Halbtagskraft.Am Ende der Diskussion stand die alte Fas-sung, wohl auch deshalb, weil nach dreiein-halb Stunden keiner mehr so richtig Lusthatte, sich für die Änderungsanträge, die u. a.die Umlegung eines Teiles der Personalkostenauf die Fachschaftsunterstützung forderte(jetzt mit 15 000 DM vorgesehen), stark zumachen.Die Bilanz dieser knapp vierstündigen zwei-ten Sitzung des StuPa ist trotz, oder wegen,der langen und heftigen Diskussionen nichtso schlecht, wie befürchtet. Offenbar zählenArgumente immer noch mehr als Ideologien,denn der Parteien- und Listenclinch blieb aus.Es wurde einander zugehört, aus den Wortenwar zumeist Engagement zu spüren.Wenndie Finanzordnung trotz der oben genanntenProbleme in Kraft tritt, existiert eine wesent-liche Arbeitsgrundlage für das StuPa. Ande-rerseits gibt es noch immer keine Satzung,ebensowenig ein AstA, geschweige denn funk-tionierende Strukturen. Fehlten beim erstenMal "nur" zehn der Studentenveöreter, sowaren es diesmal schon zwanzig, wievielwerden das nächste Mal, also am 25. Maiwegtreten statt zu vertreten?Welche der beiden Tendenzen die Oberhandgewinnen wird, ist noch nicht absehbar. Undschon deshalb kann auch diese Bilanz nureine vorläufige sein.. .ojoff

Page 4: UnAufgefordert Nr. 46

"Eine solche Reaktionist einigermaßen paranoid!"

Rudolf Bahro über die Vorwürfe gegen seine Person."Bahros 'grüne Adolfs'", "Ökofaschist Bahro", "Auf dem Weg zur Ökodiktatur" - dieArtikel über einen angeblichen Rechtsruck des namhaften früheren DDR-Dissidentenwaren zahlreich in den letzten Monaten. Die "Antifa" an der Humboldt-Universitätwidmet Bahro und dem ehemaligen ÖDP-Vorsitzenden Gruhl gemeinsam eine Veran-staltung in ihrem "Antifaschistischen Seminar", das sächsische Innenministeriumprüfte das neue Projekt Bahros auf einem Bauernhof in Hochkirch bei Dresden wegenmöglicher Sektenbildung, an der Humboldt-Universität werden Stimmen laut, die nachSinn und Zweck des Institutes für Sozialökologie fragen - was ist los mit Rudolf Bahro?Er versteht die Aufregung um seine Person nicht, hat er doch keinen neuen Wegeingeschlagen; "1987 hat es doch auch keinen Eklat gegeben, als mein Buch 'LogikderRettung' erschien, und um die Ideen aus diesem Buch geht es, um nichts anderes." -meint Rudolf Bahro im Gespräch mit UnAUFGEFORDERT, das wir im folgenden inAuszügen abdrucken. Zweieinhalb Stunden lang unterhielten sich jot, Alex und GeckEnde April mit ihm in seiner Berliner Wohnung. Es ging um die Konzeption seinesInstituts, die Arbeit der Evaluierungskommission, die "Logik" und die von Bahroempfohlenen Schritte "der Rettung", um "Ökodiktatur" und den Vorwurf des"Ökofaschismus".

UnAUFGEFORDERT: Herr Bahro, auchzweieinhalb Jahrenach Beginn Ihrer Vor-lesung im Audimax ist Ihr Institut fürSozialökologie noch "in Gründung". ZurZeit tagt eine Kommission, die entschei-den soll, ob und wie das Institut zurHumboldt-Universität paßt. Steht derenErgebnis inzwischen fest?Rudolf Bahro: Nein, es gab schon vor eini-ger Zeit eine Sitzung der zuständigen Kom-mission, zu der ich eingeladen war, aber eineEinschätzung meiner Arbeit und damit eineEntscheidung für Fortbestand und Entwick-lung des Instituts fehlt noch.Die meiste Zeit ging es bei dem dortigenGespräch, u.a. mit Herrn Hofmann (Vizeprä-sident der HUB für den Bereich Geistes-wissenschaften - UnAUF), um Fragen deramtlichen Legitimierung. Aber davor undvor allem wollte man wissen: Was ist dennnun Sozialökologie? und davon unterschie-den: Was ist denn Ihre?

; PetcadenzphänomenJln der Wissenschaft

> *

Und ich sagte: Diese Unterscheidungsfragehätte man, als diese Universität begründetwurde, weder dem Fichte, noch demSchelling, noch später dem Hegel gestellt.Wenn hier Fichte Philosophie lehrt, dannlehrt er natürlich seine. Und wenn ich hierSozialökologie aufgezogen habe, dann ist

das natürlich meine.In der Konzeption habe ich das ganzeSpektrum der Fragen aufgeworfen und dasist in der Tat mehr, als ein Mensch beantwor-ten kann. (...) Wenn Studenten Interessehaben, sich mit Sozialökologie zu befassen,müßte es nicht die einzige Möglichkeit sein,zu Bahro zu gehen. DannwürdesichauchdieFrage ernstlich stellen: Warum soll mandenn das dem Bahro als Monokultur überlas-sen, wenn andere ganz anders darüber den-ken? Da gäbe es ganz andere Leute, Udo-Ernst Simonis z.B., der zu all den Punkten,die ich behandle mit Sicherheit auch eineMeinung hat. Auch ihm könnte man hiereinen Lehrstuhl anbieten.

Aber ich will ganz bewußt keine weiterenNamen nennen, denn ich bin hier außerhalbdes Vorschlagsrechts. Ich wüßte viele Na-men, aber vielleicht ist es schädlich, wennich die benenne. Und ich glaube, daß Frauenberufen werden müßten.

Was wird aus demFür Professor Rudolf Bahro steht fest: Dieherkömmliche Wissenschaft, die die Grundla-gen für industrielle Massenproduktion und dieLebensweise der modernen Zivilisation gelegthat, ist nicht in der Lage, die Störung desökologischen Gleichgewichtsauszugleichen, jabehindert die Menschheit gar auf der Suchenach einem Ausweg aus der schier un-entrinnbaren Katastrophe.Ein "Umweltschutz", der sich bloß"das Huhnnicht zu schlachten" traut, "das die goldenenEier legt" (Bahro), und höchstens das Gewissenberuhigt, ist für ihn nur noch das Siegel unterunserer Todesurkunde.Was liegt da näher, als an der Universität selbst,dem traditionellen Entstehungsort von Wissen-schaft, der Sozialisationsstätte der Akademikervon Morgen, dem trügerischen Fortschritt ent-gegenzuwirken und Menschen zu werben, diebereit sind, sich "mit der Erde und sich selbstwiederzuversöhnen".Dies und nicht weniger ist die Zielstellung vonBahros "Institut für Sozialökologie".Seine Geschichte begann eigentlich schon imNovember 1989. Gerade vierzehn Tage warenseit dem Fall der Mauer vergangen, als Bahro indie DDR zurückkehrte und den damaligen Pro-rektor für Gesellschaftswissenschaften DieterKlein um Erlaubnis bat, an der Humboldt-Universität zu lehren.Als "Institut in Gründung" mit nur einemLehrstuhlinhaber firmiert die Einrichtung seitdem Wintersemester 1990/91, als auch die ersteSerie von "Montags-Veranstaltungen" begann.Die Universitäts-Leitung unter Heinrich Finkwie unter Marlis Dürkop (vgl. UnAuf41 /S.6)verfolgte die dort geleistete Arbeit mit Wohl-wollen, sah sich aber außerstande, seine wis-senschaftliche Basis durch weitere Berufungenzu verbreitern.So wird sich, wenn die nach einer Sitzung nochunentschiedene Evaluierungskommission Bahrogrünes Licht für eine weitere Lehrtätigkeit gibt,bald die Frage stellen, welchen Platz sein Lehr-stuhl innerhalb des Unibetriebs einnimmt.Im Zuge der Verwaltungs-Umstrukturierung,an deren Ende die Universität in nur noch neunFachbereiche gegliedert sein soll, wird an eineAnbindung des "Instituts für Sozialökologie"an die FB "Sozialwissenschaften", "Kultur-

Page 5: UnAufgefordert Nr. 46

In Ihrer 1990 für das Institut erstelltenKonzeption heißt es u.a.: "Dabei darfnicht vergessen werden, daß der Gegen-stand ursprünglich eher religiös, künstle-risch, philosophisch ergriffen wurde unddas er schwerlich ohne Bio- und Sozial-anthropologie sowie vergleichendeKulturgeschichte behandelbar ist." Glau-ben Sie eine Disziplin, in die so vieleGegenstandsbereiche hineinwirken, kön-ne Grundstein für eine wirklich inter-disziplinäre Auseinandersetzung sein?Nein. Die Interdisziplinarität, von der hierimmer die Rede ist, ist eine Fiktion, behaup-

te ich. Dabei handelt es sich, in der Regeljedenfalls, um eine Art Diplomatie zwischen...- jetzt will ich den Ausdruck doch vermei-den, der mir gerade auf der Zunge lag - ...zwischenFachbeschränktheiten. Der Versuch,Wissen zu ergänzen, ist schon richtig, aberwehe, jemand äußert irgendetwas auf einemGebiet, worin er eigentlich kein Diplom er-worben hat - ich halte das für ein Dekadenz-phänomen in der Wissenschaft.Was sagt denn die Evaluierungskommissionzu solchen Ansichten?Ich habe dort mit dieser Meinung nicht hinterdem Berg gehalten, sie haben sich das halt

Institut für Sozialökologie?Wissenschaften" oder "Philosophie" nachge-dacht.Andere, Bahros Intentionen näherstehende Vor-schläge des ausgeschiedenen ProrektorsSchmidt, einen FB "Humanwissenschaften"aus Psychologie, Sozialökologie und Karl-Fried-rich Wessels Humanontologie zu gründen, oderder Präsidentin, die gerne einen FB gesehenhätte, der sich von verschiedenen Seiten m it derUmwelt und ihrer Zerstörung auseinandersetzt,haben dagegen kaum noch Aussicht auf Ver-wirklichung.Bahro selbst erscheint diese Diskussion alsnebensächlich. Erwünschte sich weitere Beru-fungen von Männern und Frauen, die auf ande-rem Wege zu den in seinem Institutsentwurfaufgeworfenen Fragen gelangt sind, und räumtein, daß seine Behandlung des Themas einesehr spezielle ist (vgl. Interview).Hat schon die "Selbstausrottungs-Logik", dieer unserer Welt attestiert, den Charakter einesGlaubenssatzes, so zielen auch die Methoden,mit denen er ihr beizukommen hofft, auf dasSpirituelle. Manches erinnert mehr an Kircheals an Universität, doch innerhalb seiner Argu-mentation erscheint das schlüssig: Wenn ein"falsches Bewußtsein" die Wurzel des Übelsist, und die von ihm bestimmte Wissenschaftund Technik nur mittelbare Ursache, muß die"ganze psychische Existenz umgestimmt" wer-den.Im Gespräch mit UnAuf denkt der Professorder "Sozialökologie" die Rolle zu, die die Theo-logische Fakultät an der alten Universität inne-hatte. "Nicht im Sinne einer herrschenden Leh-re", wie sie dort damals verbreitet wurde, "son-dern der Vermittlung mit dem Ganzen wegen",beeilt er sich zu versichern.Doch würde seine Lehrtätigkeit keinen Sinnmachen, hätte Bahro nicht die Hoffnung, "denallgemeinen Konsensumschlag" vorzubereiten(so auch im offiziellen Entwurf des Institutsformuliert).Diese Vision trägt Bahro Verdächtigungen vonverschiedenen Seiten ein; Der Vorwurf des"ökofaschismus" gehört ebenso hierher wieder, der frühere überzeugte Marxist wolle nuneine "Sekte" gründen.Ob dieses Mißtrauen begründet ist, kann jederin den Lehrveranstaltungen des "Instituts für

Sozialökologie" überprüfen. Sie sind Teil des"Studium Generale"-Angebots, aus dem Studie-rende der HUB bis zu ihrer Abschlußprüfungsechs Semesterwochenstunden bestreiten sollenund das außerdem Vorlesungen und Seminareaus 22 anderen Instituten und Fach-bereichen sounterschiedlicher Ausrichtung wieWirtschaftswissenschaften, Philosophie und In-formatik enthält. Eine Einschreibung erfolgtnicht, Prüfungen finden nicht statt, akademischeGrade werden keine vergeben.Darüber hinaus bietet Bahro an, die Diplom-arbeiten von Studierenden, egal welcher Diszi-plin, die sich ein Semester lang mit Sozial-ökologie auseinandergesetzt haben, unter sei-nem Gesichtspunkt mitzubetreuen.Darin und in dem "Angebot an die Hörer allerFakultäten" sieht er die "Interdisziplinarität"seines Instituts. Einer "Interdisziplinarität" imSinne einer Ergänzung des Wissens verschiede-ner Disziplinen und fachübergreifendenDiskurses räumt er kaum Chancen ein, da sichdie wenigsten Wissenschaftler Widerspruch vonjemandem gefallen lassen, der auf einem ande-ren Gebiet sein Diplom erworben hat (vgl. Inter-view).Interessant wäre es zu sehen, wie sich Bahroverhält, wenn sein Ansatz durch eine oder meh-rere Professuren, die sich gleichberechtigt nebenihm mit der "Wechselwirkung des gesellschaft-lichen Menschen mit der Natur" beschäftigen, instärkere Diskussion gerät.Im Gespräch hieß er solche "Konkurrenz" will-kommen und verneinte einen Anspruch auf dieLeitung (und damit Meinungsführerschaft) ei-nes so vergrößerten Instituts. Eine derartige Ent-wicklung könnte einerseits die verwaltungstech-nische Frage nach einer Anbindung der Sozial-ökologie an einen FB hinfällig werden lassen, dadas gesteigerte Gewicht des Instituts dann eineweitere Eigenständigkeit rechtfertigen würde.Andererseits müßten Vorwürfe der Selbstherr-lichkeit und antidemokratischer Einstellung ver-stummen, wenn Rudolf Bahro nach außen hinsichtbar mit anderen über einen Ausweg aus derKatastrophe "streitet" ohne den Eindruck zuvermitteln, selber schon den einzig gangbarengefunden zu haben.

Geck

angehört.Am Ende wurden Hinweise dafür gesucht,wie die Sozialökologie sich denn einfügenkönnte. Herr Neidhardt (SBK-VorsitzendeFB Sozialwissenschaften - UnAUF), stelltemir die Frage, ob ich denn bereit wäre, aucheinmal "zu dienen", also z.B eine Ein-führungsvorlesung indie Sozialwissenschaftzu halten. Selbstverständlich, sagte ich. Ichwürde dann meinen Zugang zu denSozialwissenschaften entfalten. Herr Hof-mann bestätigte, dies sei dann mein selbst-verständliches Recht. Da bin ich wirklichgespannt, ob man mich dazu einladen wird,die ersten Semester zu "verderben", wie dasaus einer bestimmten Perspektive ja ausse-hen würde.

Zu meinen Identitätengehört nicht "Professor"

Mit der Frage nach Zusammenarbeithängt ja auch die einer zukünftigen An-gliederung Ihres Instituts an einen größe-ren Fachbereich zusammen. Gibt es dabereits Vorstellungen und wie bewertenSie die?Dieses Thema ist mir relativ egal. Ich denke,daß die Sozialökologie ihrer Natur nach zukeiner Fakultät gehört (...), aber wenn dieVerwaltungsstruktur wirklich ein Problemdarstellt, sollen sie mich eben irgendwo dazuordnen. Ich würde das akzeptieren. Fallsdiese Zuordnungsschwierigkeit, über dieschon so lange gesprochen wurde immernoch besteht, hielte ich das für einen Vor-wand.Einen Vorwand für was?Für einen Vorwand, hinter dem sich ver-birgt, man wäre es doch gerne los. (...) Inerster Linie geht es doch darum, ob ichernstlich gedenke, die Kunstregeln zu be-rücksichtigen. Weil die Sache wichtig ist,bin ich zu manchem bereit, was deren Ein-haltung betrifft. Wenn es aber daraufhinaus-läuft, daß ich mich im Sinne des üblichenUniversitätsbetriebs "normalisieren"soll, beidem geistig nichts übrigbleibt, der keinenkulturellen Überschuß mehr produziert, wer-de ich mich selbst rechtzeitig davon machen.Es gehört nicht so sehr zu meinen Identitä-ten, Professor zu sein. (...)Im Ökologischen Jahrbuch stand: "DerRudolf Bahro will an der Gesellschaftvorbei eine charismatische Gruppe set-zen, die über eine Ökodiktatur die Gesell-schaft verändert. Und die müßten ihre

Page 6: UnAufgefordert Nr. 46

eigenen Ideen durch-setzen, eben diktato-risch wirken."Meine "Logik der Ret-tung" dreht sich dies-bezüglich gerade umdie Frage, wie Ökodik-tatur als System ver-meidbar ist. Und an derGesellschaft vorbei dieGesellschaft retten wol-len - was für ein Un-sinn unterstellt manmir. Wahr ist nur, daßin Krisen wie dieserMenschen mit starkerAusstrahlung gefragtsind. Die Frage ist: Wowirgesellschaftlichste-hen. Ich sehe heute einesignifikante Analogiefür unseren Zustand:das ist der Untergang Roms, des vorigenwestlichen Imperiums. Die Formel der Chri-sten in Rom, war: "Mein Reich ist nicht vondieser Welt.", also nicht von der "Welt derHure Babylon" (wie es in der "Apokalypse"heißt), die für sie natürlich Rom war. Dierömische Intelligenzija dagegen wollte wei-terhin den Staat verbessern und hat aucheiniges humanisiert in spätrömischer Zeit.Aber für die Christen ging es nicht darum,sich mit Rom zu befassen. Sie haben Romempirisch beerbt, in dieser Beziehung warensie alles andere als außerweltlich.Aber die Christen haben im Endeffektgenau dasselbe getan wie Rom. Bestehtnicht die Gefahr, wenn Sie jetzt das Mo-dell unserer Gesellschaft ändern wollen,sei es auf eine Ökodiktatur hin, oder in-dem eine charismatische Gruppe morali-sche und spirituelle Vorgaben macht, daßwieder Unehrlichkeit aufgebaut wird, daßman die Fehler, die man nicht behebenkann, wieder mit Tabus verdeckt. Liegtder Vorwurf des "Ökofaschismus" viel-leicht hier begründet?

Igoismusder "Katheder-Linken"

Hunderte hängen an seinen Lippen..." Foto: Fisahn

Es gibt ein Interesse, mich so zu interpretie-ren. Ich erinnere an Frantz Fanon's Buch"Die Verdammten dieser Erde" über dasVolk der Dritten Welt. (F.F. 1925-1961,afro-amerikan. Schriftsteller der schwarzenBefreiung - UnAUF) Er hat gesagt, derFaschismus, den sich die reichen Völker zuihrem Entsetzen einmal leisten, ist in der

Dritten Welt der Alltag. Deshalb höre ichhinter dieser Art des Warnens immer wieder:Nochwichtiger als die Weltzu bewahren, ist,daß es auf die westlich gewohnte Weisedemokratisch zugeht dabei. Und das ist derEgoismus des weißen reichen Mannes undinsbesondereder"Katheder-Sozialisten",der"Katheder-Linken". Es könnte hier ja zuVerhältnissen kommen, wo es nicht mehr sobequem ist, an der Hochschule seinen Postenzu behaupten - das steckt mit dahinter. Dasist eine Verkehrung der Prioritäten. Imübrigen kann ich mir wünchen, daß wir unsdie Kultur diskursiver Auseinandersetzungbewahren. (...)Hans Mommsen hat mal in einem Vortraggesagt, wenn wir die Gesellschaft verän-dern wollen, wird das nur möglich seindurch ein "Umbrechen" bzw. eine Verän-derung der bestehenden Ethik und Moral,und zwar bei all ihren Mitgliedern. Stim-men Sie mit dieser Meinung fiberein?Ja, aber Ethik reicht j etzt nicht. Im Taoteking(auch Daodejing - Laotse zugeschriebeneAphorismensammlung, 3Jh.vJC - UnAUF),das mir von den spirituellen Traditionen amnächsten liegt, steht: "In Wirrnissen zerfielder Staat, der treue Minister entstand." DieReihenfolge ist bedeutsam: Erst wenn diegroße Ordnung gestört ist, kommt die Ethikund dann kommt sie zu spät, denn sie ist eineKompensation für die fehlende Ordnung vomGrunde her. Ethik heißt immer, daß man diepsychische Energie des Menschen zähmt.Wenn es nun zum Äußersten kommt - undder Zusammenbruch, den die westliche Zivi-lisation verursacht, wird fürchterlich - dannkann man sich auf nichts verlassen, als aufdas, was der Mensch wirklich ist, und keineEthik wird ausgleichen, was da fehlt.

Was ist wirklich?Ich meine damit diewirkliche Qualifi-kation des Individu-ums. Bin ich bereit,für das Stück Brot,das ich brauche, umnur einen Tag längerzu leben, einen Tot-schlag zu begehen?Da genügt keineEthik mehr. Wir lau-fen auf so eine Kon-stellation zu, unddeswegen sage ich,Ethik ist nicht genug.Natürlich bin ichbereit, mich wegeneines Stücks Brot zuschlagen, wenn ichweiß, ich muß sonstmorgen sterben,

dann werde ich zum Tier. Sind wir alsoverloren?So ja. Wir haben auf der Ebene unsererverstandesmäßigen, intellektuellen Qualifi-kation Sachen gemacht, die wir nicht mehrkontrollieren können, uns aber um Initiationnicht gekümmert. Unser ganzer Bildungs-prozeß ist Ablenkung von der Selbstwerdungdes Menschen. In dieser Krise müßten wiruns auf das konzentrieren, auf Initiation.Wer bringt uns dazu?Einerseits, ich sag's mal indisch, der Avatar(Sanskrit, eigentl. "Herabkunft", erwarteteWiederkehr dind Gottes Wischnu, der zu-letzt als Buddha erschien - UnA UF) - der binich nicht. Und andererseits die Katastrophe.Das sind die beiden Pole. Lehren kann da-zwischen etwas vermitteln.

AvatarundKatastrophe

Ethik könnte ebenfalls einer dieser Lehrersein, aber nur beschränkt. Ebenso Politik.Aber, da würde ich auf die Mentalität derLinken, wie ich sie momentan erlebe, keinenPfifferling geben. Durch die Zuspitzung dersozialen Frage hat sich das kulturelle Niveauder Auseinandersetzung enorm gesenkt.Man müßte jetzt etwas völlig anderes unter-nehmen, als "Faschisten-entlarven-gehen".Zum Beispiel?Die Hauptarbeit wäre, daß die jeweilige,aber nicht in sich abgeschlossene Minder-heit etwas tut, um weniger "Ich" zu sein undsich ein Stück weit in Richtung Avatar zubefreien. (...)

Page 7: UnAufgefordert Nr. 46

Außerdem müßte bald jemand antreten, derfür die politische Wende kandidiert.Und die-se Person wird Charisma haben. (Petra Kellyhatte auch Charisma.)Ist das der "grüne Adolf"?Wenn man diese Frage unbedingt auf denpolitischen Jahrmarkt tragen will, wo allesauf unterstem Niveau behandelt und in derSache meistens kopfgestellt wird. Ich habeden nicht empfohlen. Ich habe mir gesagt,bei einem linken Tischgespräch, man solltenicht vor der Tendenz im Volk erschrecken,die auf so eine Figur wartet.Aber Sie haben diesen Ausdruck ja zuerstverwendet. Solche Äußerungen zusammenmit der Einladung an Wolfgang Deppertvon der "Deutschen Unitarier-Religions-gemeinschaft" brachten Ihnen harscheKritik vor allem in linken und Antifa-Kreisen ein. Wie stellen Sie sich dazu, wasist dran am "Ökofaschisten" Bahro?

Die sind völlig' bescheuert!

Ich halte diese Politik des "Kästchen-machens" für schlecht: Was, der Bahro lädtsich den zur Vorlesung ein?, fragt manDeppert betreffend, weil er Unitarier ist (pro-

testantische Gruppe, die die Dreieinig-keitslehre ablehnt - UnAUF). Ich hab michüberhaupt nicht dafür interessiert, zu wemder Kontakt hat. Meine Methode ist nicht dieder Abgrenzung oder Distanzierung.Deppert hat hier kein einziges Wort geäu-ßert, das in irgendeiner Weise unter "braun"fällt, aber die Tatsache, daß er hier lesenkonnte, ist für manche Leute schon ein Ver-brechen. Und Sigrid Hunke, für deren Er-wähnung ich gescholten werde, war sicherals junges Mädchen im damaligen Kontext"braun". Darf ich deswegen ihr Buch "Allahist ganz anders" nicht loben, mit dem siegenau richtig liegt, was die Araber betrifft?Wenn ich's tue, bin ich "Faschist" oder"wahrscheinlich im braunen Netzwerk". Alsodie sind völlig bescheuert. Eine solche Reak-tion ist einigermaßen paranoid.Aber wie erklären Sie sich die? Auchehemalige "Weggefährten" aus Ihrer Zeitbei den Grünen, die Sie kennen sollten,äußern solche Vorwürfe?Der Erklärungszugang ist die jetzt zuge-spitzte Verlorenheit und Verwirrtheit deralten Li nken, hat mit ihrem Abgeschlagenseinzu tun und damit, daß sie keinen Ansatzfinden, ihre Niederlage wirklich zu bewälti-gen.Eine solche Niederlage, wie sie der Sozialis-mus und damit das ganze Konzept des anti-imperialistischen Kampfes erlitten hat, istnurzu verarbeiten, wenn man in die Tiefe der

"Bahros 'grüne Adolfs1 - Die 'Neue Rechte'an der Berliner Humboldt-Universität"

Im Herbst des vergangenen Jahres erschien in der Zeitschrift "Der Rechte Rand"(Sept./Okt. 1992) der Artikel "Bahros 'grüne Adolfs'-Die ^Neue Rechte'an der BerlinerHumboldt-Universität". Der Text wurde von der Kontaktstelle der Antif a der FU alsFlugblatt abgezogen und an den Berliner Unis verteilt.Der Artikel bezieht sich hauptsächlich auf Zitate aus Bahros Buch "Logik derRettung"von 1987, außerdem auf die 1990 zur Bundestagswahl von Frank Schumannherausgegebene "Streitschrift", wo zum ersten Mal vom "grünen Adolf die Redewar, und das Bahro-Interview für das "Neue Deutschland" vom Mai 1992.Der Verfasser Peter Kratz sieht in Bahros Konzept Parallelen zur "historischvölkischen Bewegung", allerdings mit spirituellem Ansatz. Er greift zurück aufBahros Äußerung: "Die Öko-Pax-Bewegung ist die erste deutsche Volksbewegungseit der Nazi-Bewegung." und stellt daraufhin Bahros Position an der Humboldt inFrage. "Eine traditionsreiche Hochschule (...) droht, zumindest in Teilen zu einerAusbildungsstätte der ^Konservativen Revolution'zu verkommen."Schlagwörter (und Totschlagewörter - Säzza) wie "Guru-Oligarchie" und"faschistische Geselbchafts-Modernisierung" und Aufzählungen von Vertreterndes rechten Flügels, die der Leiter des "Instituts für Sozialökologie" zitierte (SigridHunke), mit denen er Veranstaltungen organisierte (Wolfgang Deppert) und die mitdiesen in Verbindung stehen oder standen, durchziehen den Text.Nach Kratz hängen "Hunderte Studierende an (Bahros und Depperts) Lippen","fallenwieder Intellektuellereihenweise auf'dieahefaschistischeoder konservativ-revolutionäre Demagogie herein."Die Verteilung der Artikelkopien geschah mit der Absicht, auch und geradeStudierende der HUB vor Bahro und einer möglichen Verbreitung rechtenGedankenguts an unserer Uni zu warnen.

NjuhsNC-Zahlen WS 1993 (Entwurf)

Am 18.05. wird der Akademische Senat derHUB überdie Satzung derzulassungsbegrenz-ten Studiengänge und die Festlegung derZulassungszahlen für das WS 1993/94 ent-scheiden. UnAuf war mal wieder schneller.Exklusiv nun die dem am 27. April verab-schiedeten Rohentwurf der Präsidentin derHUB entnommenen Hochrechnungen.Neben den bundesweit zulassungsbeschränktenStudiengängen (a)gibt es an der HUB weitereStudiengänge, deren FB sowie Struktur- undBerufungskommissionen eine Zulassungs-begrenzung beantragt haben(b). Und schließ-lich gibtes daneben noch weitere Studiengängean der HUB, die offiziell noch nicht eingestelltworden sind, bei denen sich aber bereits ab-zeichnet, daß sie zukünftig keine Studentenmehr immatrikulieren sollen oder können(c).Mehr als55 Zulassungen zum Biologiestudiumsoll es zum WS 93/94 nicht geben. Die BWLerbieten 200 Plätze für Erstsemester. DenInformatikern sind 166 Erstsemester imDiplomstudiengang und 98 im Nebenfach will-kommen. Geradezu sensationell mutet derGrenzwert der Juristen an. Sage und schreibe500 (!) Plätze sollen zur Verfügung stehen.Der vorklinische Studienabschnitt für zukünf-tige Mediziner sieht 404 Plätze, der klinischeStudienabschnitt 340 vor. Auch hier fragt mansich, wie das funktionieren soll. Die Pharma-zeutiker stellen 43 Plätze bereit, die Psycho-logen 104 Plätze, die Stomatologen 77 undlast but not least volle 100 die VWLer.Im FB Asien- und Afrikawissenschaften istgegenwärtig eine Neudefinition aller Magister-teilstudiengänge im Gange. Immatrikulatio-nen für das WS sind generell nicht vorgese-hen. Genauso sieht es in den beiden Diplom-Studiengängen Übersetzen und Dolmetschenaus. Konkret betrifft das folgende Sprachen:Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Persischund Vietnamesisch. Auslaufende Studiengängesind die Elektrotechnik, Lehramtstudiengängein Kunst und Musik, die Meteorologie, Tech-nik / Arbeitslehre, die Sozialtherapie und wiegehabt die Kristallographie.Im folgenden im groben Überblick die vorge-sehene Festsetzung der Zulassungszahlen fürzulassungsbegrenzte Studiengänge: Biblio-thekswissenschaft 65; Deutsch (L) 180;Germanistik, Deutsche Literatur der Neuzeit51/ 25 (MA, NF), Germanistische Linguistik27 /13, Deutsche Sprache und Literatur desMittelalters II 3, Deutsch als Fremdsprache23; Kunstgeschichte 46 (MA); Sonderschul-pädagogik 174; Politikwissenschaft 20;Sozialwisssenschaft 180; Soziologie 20;Theaterwissenschaft/Kulturelle Kommunika-tion 33; Dolmetschen/ Übersetzen Englisch30/60, Französisch und Spanisch 20/40. Wastatsächlich beschlossen werden wird, bleibtabzuwarten! soest

Page 8: UnAufgefordert Nr. 46

Sache geht. (...) Ich empfinde solche An-würfe als absurd. Es gibt offenbar nichtgenug Faschisten, keine wirkliche Rechte...Als 1987 meine "Logik der Rettung" er-schienen ist, hat das Buch keinen Eklat her-vorgerufen und obwohl ich doch annehme,daß auch Jutta Ditfurth sie schon zu diesenZeiten gelesen hat, hat sie sich damals nichtempört. Ich habe darin einen anderen Um-gang mit der Faschismus-Gefahr vorgeschla-gen und die des "alten" Antifaschismus füraussichtslos erklärt.Der Haken liegt schonbei der Vorsilbe "Anti".Warum?Daß man gegen Faschismus ist, ist eineSelbstverständlichkeit, die überall auch beimir "mitschwimmt", aber unter meinenSelbstdefinitionen kommt "Antifaschist"nicht vor.

HRudi, machdas nicht!"

Vielleicht kann ich meine Einstellung ambesten durch eine Geschichte kenntlich ma-chen, die sich 1980 auf der l.SozialistischenKonferenz in Kassel zutrug: Es war eine Zeitdes Bundestagswahlkampfes, indem Franz-Josef Strauß für die Kanzlerschaft kandidier-te, und andererseits hatte gerade das "GrüneProjekt" angefangen. Auf der Konferenzwurde befürchtet, die grünen Stimmen könn-ten beim ersten Anlauf verloren gehen, derSPD fehlen und Franz-Josef Strauß zur

Anzeige

DERFLUGTICKETSPEZIALIST

AUCH SPEZIALTICKETSFÜR STUDENTEN

LONDON ABATHEN ABDUBLIN ABNEW YORK ABMIAMI AB

299,- DM519,- DM495,- DM599,- DM975,- DM

LOSANGELESAB 1.125,- DMMONTREAL AB 859,- DMTORONTO ABMEXIKO ABBANGKOK ABPEKING ABSINGAPOREAB 1.299,- DMSYDNEY AB 1.749,- DMRIO AB 1.489,- DM

SPRACHREISENSTUDENTENAUSWEISE

FERIENWOHNUNGEN UNDHOTELS IN BULGARIEN

UND DAS BUNTEy^-"S PROGRAMM

NAMHAFTERALTER.

750,- DM1.299,- DM1.199,- DM1.249,- DM

REISESERVICEMARIENSTR. 250-1040 BERLIN

Kanzlerschaft verhelfen. Oskar Negt, demich viel verdanke, warnte damals mit aufge-rissenen Augen: "Rudi! Mach das nicht jetztmit den Grünen!" Zum Entsetzen sehr vielerder Anwesenden sagte ich damals: "Ich habekeine Angst vor Franz-Josef Strauß!" Ichfügte hinzu, denn man hat ja so seine Tradi-tionen: "Lenin hat gesagt: * Für die Maus gibtes kein größeres Tier als die Katze.'Und diese Art Antifaschismus, wie er heutegroßteils betrieben wird, betet sich den Feindgroß. Das ist eine Art Götzenkult! JuttaDitfurth denkt z.B., ich wäre geeignet, einVordenker der Neuen Rechten zu sein. Sie istnoch nicht so weit entfernt vom geistigenBereich, daß sie nicht wüßte, was es bedeu-ten würde, hätten die Leute, die heute dasRessentiment mobilisieren, eine weiterge-hende Konzeption. Ich machte ihnen damalsden Vorschlag, der Rechten gerade nicht wiegehabt zu begegnen, sondern davon auszu-gehen, daß die ökologische Krise eine ande-re Möglichkeit ergibt, mit dieser Gefahrumzugehen. Ein Hirnriß ist es, wenn siedenken, daß das, was sich jetzt "braun", alsoan elementar Rechtem äußert, etwas mitmeinen Äußerungen in der "Logik der Ret-tung" oder in der "Streitschrift" zu tun hat.Sie verbreiten diese Formel vom "grünenAdolf, als hätte ich sie als Losung ausgege-ben statt für eine innerlinke Diskussion.Die Faschisten sind noch nicht bei mir gewe-sen und haben gesagt: "Du bist unser Mann!"oder mich zu einer Kundgebung eingeladen.Das haben die wohl versäumt. Wenn sie estäten und ich ginge hin - Ah, wie schönkönnte man sich da entrüsten!Ich halte diese Art von "Antifaschismus" fürhilflos: Weil er versucht, angesichts einerviel tieferen Krise als in den ZwanzigerJahren noch einmal zu praktizieren, womitman schon gegen die Nazis verloren hatte.

Schwulenressort bei der Volksuni

Seit 1980 findet in Berlin zu Pfingsten ein "Wis-senschaftliches Volksfest" statt mit Vor-lesungen und Diskussionen zur linken Sichtder Dinge.Träger dieser "Volksuni" sindEinzelpersonen wie Gewerkschafterinnen,Wissenschaftler! nnen und Kulturschaffende -also keine Organisationen. Erstmals wurde Indiesem Jahr auch ein Schwulenressort ein-gerichtet, der den ThemenschwerpunktSchwule mit in das Programm einbrachte.Neun Veranstaltungen wird es zum Themageben.Den Anfang macht am Freitag, den 28. Maium 21 Uhreine Podiumsdiskussion im Schwuz(Hasenhelde 54) zum Thema "Pfeifen auf dieErbschaft. Schwule Lebensentwürfe im altenund neuen Deutschland."Alle weiteren Veranstaltungen, die in dreithematische Blöcke gegliedert sind, findenin der Humboldt-Uni statt."Das schwule Subjekt?':Samstag, 29. Mai:12-14 Uhr; "Aber in meinem Herzen spracheine Stimme so laut", Vortrag zur Etablierungder schwulen Identität im 19. Jh.15-17 Uhr; "Homosexualität als Widerscheinder Norm", Vortrag zur notwendigen Rolleder Homosexualität für die Verfestigungheterosexueller Muster17-19 Uhr; Diskussion zu Thema "Be- und Erfor-schung homosexueller Männer"17-19 Uhr; Bildbetrachtung über "Die Ge-schichte des Todes und der Trauer. Der Zu-stand der gegenwärtigen Trauerkultur undMöglichkeiten ihrer Gestaltung"

•Schwule als Objekte?':Sonntag, 30. Mai10-12 Uhr, Diskussion zu den verschiedenenThesen über den Zusammenhang von HIVund AIDS15-17 Uhr, Vortrag zum Thema "AntischwuleGewalt - neue Untersuchungsergebnisse"17-19 Uhr, "So schwul wie der Im Fernsehenwirst Du nie" Diskussion über das neue Interes-se der Medien an den Schwulen

•Duett. Lesben und Schwule':Sonntag. 30. Mai15-17 Uhr, "Mitdenen nie!", Lesben und Schwu-le reden m iteinander über den kleinen Unter-schied und die großen FolgenMontag. 31. Mai15-17 Uhr, Gespräch zu lesbischen undschwulen Bewegungen und Identitäten

Teilnahmebeitraa für alle Veranstaltungen:45,- DM (erm. 25,- DM)Programmbuch: 3,- DM

Auskünfte und Programme:Volksuni Büro

Oranienburger Str. 46/47Tel.: (030) 45 599 98 Od. 28 239 31

Page 9: UnAufgefordert Nr. 46

Leben in AufruhrDie unplanmäßige Karriere des Rudolf Bahro

Es ist Montag im laufenden Semester. Nunschon im 6. Semester versammeln sich Stu-denten, aber auch andere Wißbegierige, Su-chende zu abendlicher Stunde bei RudolfBahro und seinen Montagsveranstaltungenim Audimax der Uni-versität. Obwohl derSchrei der Entrüstungüber "die JüngerBahros", den medita-tiven Unfug oder dasGebaren einer neuenrechten Sekte (was istdas eigentlich?) durcheinige Zeitschriftenschallte und auch an-derswo artikuliert wur-de, gibt es doch eineerstaunliche Kontinui-tät, was dasimmer wie-der aufflackernde In-teresse am Sozial-ökologie-Thema an-geht und was zu inter-essierter Beteiligungvieler Ostdeutscher,vorallem Studenten,

Rudolf Bahro 1der Retti"

11 evkunn dieApdkah,< // tjludten ? Ein Versudt('(IHT die (Grundlagenr'ii.'olin'iwinr Politik

flikt mit den Herrschenden in der DDR.Auch wenn er 1979 nach internationalenProtesten freigelassen wurde und in denWesten ging, blieb sein Aufbegehren ge-gen die bestehenden Verhältnisse in Ost

und West Programm.Die Suche nach einerAlternative zu dem ei-nen "nichtkapital-istischen Entwick-lungsweg", machtenihn für die Linke in derBundesrepublik inter-essant. Seine These,daß der nichtkapital-istische Entwick-lungsweg auf der Weltnicht, wie vielfach be-hauptet wurde, vonMarx und seinen Ide-en kommt, sondernseine Ursache in eineranderen Gesell-schaftskonstitution -der despotischen Or-ganisationsform vonStaaten hat, und dem-

führt. Oder ist es (nur?) ein unübersehbaresInteresse an der Person Rudolf Bahro, dieimmer für etwas "anderes" eintrat?Für das letztere scheint es genügend Gründezu geben. Bahro, geboren 1935 in BadFlinsberg/Isergebirge, studierte in den 50erJahren an der Humboldt-Uni Philosophieundmachte im folgenden eine "planmäßige"Karriere: 1960-62 war er Redakteur bei derUniversitätszeitung in Greifswald, 1962-65war er beim Zentralvorstand der Gewerk-schaft Wissenschaft tätig und von 1965 bis1967 stellvertretender Chefredakteur derZeitschrift "Forum"; bis zum großenErfahrungseinschnitt: Die Panzer des War-schauer Vertrags zerschlugen den PragerFrühling im August 1968. Bahro erhält hierden entscheidenden Anstoß für eine Kritikam real-existierenden Sozialismus.Er geht nach Halle, arbeitet in einem Betriebund schreibt an der "Alternative", das Buch,dessen Erscheinen im Westen zur Verhaf-tung Bahros 1977 durch die Staatssicherheitführte und ihm 1978 eine Verurteilung zuacht Jahren Freiheitsentzug eintrug.Der Versuch, in der "Alternative" die realeGesellschaftsstruktur des östlichen Blocksbzw. des Sozialismus zu analysieren und zuhinterfragen, brachte Bahro in direkten Kon-

zufolge die Vergesellschaftung im real-existierende Sozialismus nichts anderes alseine universale Verstaatlichung ist, die sichnur als eine neue/alte Entfremdung derMenschen zu ihrer Arbeit darstellt,machte ihn zu einem Vorreiter einer,leider von außen und zu spät her-eingetragenen Diskussion über mög-liche andere Wege des Sozialismus inder DDR.Die aus dieser Analyse der östlichenGesellschaft kommende Suche nachneuen Wegen für eine andere Welt,hat Bahro nicht mehr losgelassen.Sein Intermezzo bei den Grünen biszum Jahre 1985 und seine Hinweiseauf die "ökologische Katastrophe",die kommen wird, können nur ausdiesem Ansatz der Weltbetrachtung,die in der "Alternative" bereitshervorscheint, verstanden werden. DieEnttäuschung über die GRÜNEN unddie Suche nach einem Ausweg ausder von ihm postulierten gesellschaft-lichen Krise ("materielle Über-formung") brachte ihn Mitte derachtziger Jahre auch zur New-Age-Bewegung, ein vierwöchiger Aufent-halt bei einer Bhagwan-Sekte in den

USA prägen seinen Alltag wohl noch bisheute.Nach dem Fall der Mauer ist Bahro sofortauch wieder in der DDR, hält hier eine 30-minütige Rede auf dem "Gründungs-parteitag" der SED/PDS und ist im Januar1990 schon bei Vorlesungen an der HUBanzutreffen.Inwiefern Bahro mit seinem zweitem Buch,der "Logik der Rettung" und dem von vorn-herein postulierten Dogma des Untergangsder Welt, der nur durch Bewußtseins-veränderung großen Stils abgewendet wer-den kann, wirklichproduktivbleibt fürnach-denkliche, kritische Menschen, die sich derKrise in der Welt wohl bewußt sind, hängtnicht zuletzt davon ab, ob mit dem WirkenBahros an unserer Universität eine offeneund kritische Auseinandersetzung mit ihmund eine Hinterfragbarkeit seiner Thesenverbunden ist.Das Genannte hängt von ihm ab. Ob RudolfBahro jedoch überhaupt die Chance behält,an dieser Universität zu wirken, ist abhängigvon der Offenheit der Universitätsleitungund/oder dem Wissenschaftssenat.

Ulli

QAnzeige

UNIDATA-WORKSHOPam U-Bhf.Rosenthaler Platz

Wilhelm-Pieck-Str. 138 + 144

COPY-DISCOUNTmit Montage & Binderaum

niedrige Mengenstaffel...

7Pfg./A412Pfg./A3

bereits ab 300 Kopien!

A2-A1-A0Qualität zu Tiefpreisen

Laser-FarbkopienPreisstaffel

einzeln: 2.--/A4; 3.--/A3bis 1,--/A4;1,50/A3

Ermäßigung um eine Staffelgruppe bei Vorlage desStudienausweises!

Großer Papiermarktalle Formate & Farben

SCHREIBBÜRO & KLEINOFFSET-DRUCKBewerbungen, Dissertationen für jeden Geldbeutel!Desktop-Publishing / Windows / Designer / CorelSatz und Gestaltung, Druck- und Kopiervorlagen,

Sofort-Binden - Laminieren -MASCHINENBENUTZUNG für SELBSTSCHREIBER

und COMPUTER-OPERATORTel.: 282 50 67 & 281 73 35; FAX: 282 44 42 .

Page 10: UnAufgefordert Nr. 46

Ja,ja,fi

ich liebe Dich!

Komm steh auf, Fischkäufen^

drüben an der Poleschajewskaja ist er heute billig

drüben am horizont

verschwindet eine landschaft

ein schnitt in die brüst ist der abschied-an _

doch diesmal fallt er aus

Und wenn Du zurückkommst,

sieh zu, daß Du etwas Brot bekommst,

und bring irgendwas von Maria mit.

V [Übrigens könntest Du versuchen, Deine Bücher

zu verkaufen/^ ^ ^ ™ - " ^ —

ich lese sie nicht

jWenn Ljuschkow nachher kommt,

sagihrn,

er soll von der Müllkippe

ein paar Spritzen mitbringen^

Ich brauche sie]

Heute Nacht.M*

ich will mehr für dich sein

'als einTschleusenbekanntschaft

^diesmal kommst du mit

doch, wie tausende von möwen

nach abfall gieren

£ ' •

Und wenn Du Zeit hast,

geh schauen, was Wadim macht,

er ist schließlich_u_nser Sohn.Maria meint,

er wäre in Kunze wo dabeigewesen,

letzte Woche m[Und wenn Du gehst,

mach das Licht aus.

Im Klo.

Ja, ja

ich liebe Dich^ • Und jetzt steh auf,Noch. • dummer kleiner Mann.

jot

ein schiff

vor uns liegt die see

dahinter liegt new york

ein schäum sprüht frech zu uns heran

wie von tausend meeren

diesmal kommst du mit

wird dir auch schlechtüber die reeling

{halte ich dich gerneein ritt auf tausend tonnen stahl

i fordert seinen preis

• • » . •

und alt wie der menschlist die seimsucht nachTerferne

diesmal kommst du mit

niemand ist gern allein1 %-- . ...»ii

mitten im atlantikdiesmal kommst du mit

i»: K;irhi Nek-k

Page 11: UnAufgefordert Nr. 46

"Wider den undeutschen Geist."Studenten verbrennen Bücher

Am 10. Mai 1933 wurden in Berlin und anderen Universitätsstädten Deutschlands Bücher verbrannt. DieseBücherverbrennungen waren Höhepunkt einer vierwöchigen Aktion des "Hauptamtes für Presse und Propaganda derDeutschen Studentenschaft", welche am 12. April 1933 begann und als "Aufklärungsfeldzug 'Wider den undeutschenGeist'" bezeichnet wurde. Daß diese Aktion von Studenten organisiert wurde und die Bücherverbrennung in Berlin zumBeispiel ausschließlich von Studenten durchgeführt wurde (im Beisein von Joseph Goebbels), wird von denGeschichtsschreibern deutscher Universitäten gern verschwiegen; die angeblich "entpolitisierten Universitäten" derJahre 33 bis 45 waren doch auch Ort nationalsozialistischer Ideologie und Politik - gerade auch unter den Studenten.1

0as Vorspiel.

Anfang April 1933 gab es eine Unterredungzwischen dem "Kampfbund für DeutscheKultur", einer 1928 gegründeten national-sozialistischen Organisation mit direkterVerbindung zur NSDAP, und der "Deut-schen Studentenschaft", einem Zusammen-schluß der Allgemeinenstudentenausschüsseder deutschen Hochschulen. Es ging um die"Vernichtung undeutschen Geistes". In ei-ner gemeinsamen Aktion, unter Ägide desPropagandaministeriums sollten nach und

nach Bücher von jüdischen Autoren undAutoren, deren Anschauungen dem Natio-nalsozialismus widersprachen, aus Biblio-theken, Büchereien und Buchhandlungenentfernt werden. Ab 12. April wurden anallen Hochschulen Anschläge angebracht{"Zwölf Sätze der Studentenschaft"): "Wir... fordern vom deutschen Studenten denWillen und die Fähigkeit zur Überwindungdes jüdischen Intellektualismus und der da-mit verbundenen liberalen Verfallser-scheinungen im deutschen Geistesleben..."Dem folgten Listen, in denen die Büchertitelder verfemten Schriftsteller verzeichnet wa-ren, diese Listen wurden ebenfalls an allenUniversitäten verteilt. Vertreter der Deut-schen Studentenschaft, also die ASten derjeweiligen Hochschule, hatten den Auftrag,die aufgeführten Bücher aus den Bibliothe-ken zu entfernen und zunächst zu sammeln,

strafrechtliche Folgen wurden insgeheimausgeschlossen. In diesem Zusammenhangentstand auch die Idee, die Bücher öffentlichzu verbrennen und dem Aufruf folgte eineAnkündigung derauf denlO.Mai festgesetz-ten Bücherverbrennungen, die größte solltein Berlin stattfinden.Die NSDAP bzw. auch die Regierung (hierinsbesondere Joseph Goebbels) hielt sichwährend des ganzen Zeitraums betont imHintergrund, das ganze sollte nach einerAktion ausschließlich von Studenten ausse-hen, die Einflußnahme war über den NS-Studentenbund garantiert, der ab 1932 in derDeutschen Studentenschaft das Sagen hatte.Eingebettet war die Aktion "Wider denundeutschen Geist" aber in ein ganzes Bün-del von Maßnahmen, die der "Gleich-schaltung des deutschen Kulturlebens" dien-ten.Der Bücherverbrennung fielen insgesamtungefähr 12.400 Titel zum Opfer, einigegingen unwiederbringlich verloren. In Ber-lin wurden am lO.Mai 1933 ca. 20.000 Bü-cherverbrannt. Der Bücherverbrennung folg-te die Aberkennung der deutschen Staats-bürgerschaft für viele der geächteten Auto-ren, ihre Namen wurden in den Zeitungenveröffentlicht.Daß die Bücherverbrennung in ihrer maka-bren Ausführung ein einmaliges Spektakelim Rahmen der "Säuberungsmaßnahmen"der Nazis geblieben ist, liegt wohl zum einenan der ausländischen Presse, die über die"mittelalterlichen Zustände" in Deutschlandberichtete, zum anderen auch an einem Ef-fekt, den die Nationalsozialisten gewiß nichtwollten. Die Tatsache, daß die Bücher be-stimmter Autoren verbrannt wurden, ver-schaffte diesen Eingang in die Weltliteraturoder aber zumindest ein hohes Maß vonAnerkennung außerhalb Deutschlands.Oskar Maria Graf, dessen Bücher 1933 nichtverbrannt wurden, schrieb Ende Mai 1933an das Propagandaministerium in Berlin:"Bitte verbrennt mich! Ihr könnt mich dochnicht vergessen."

Page 12: UnAufgefordert Nr. 46

1. Rufer: Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft undidealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marxund Kautsky.

2. Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte inFamilie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann,Ernst Glaeser und Erich Kästner.

3. Kiiler: Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe anVolk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften vofi.Friedrich WilhelmFörster. . # '*"'" ... " -• *i

* f f4. Kuler: Gegeiiseeleiizerfasernde l berschätz.ungdes Trieblebens, für den Adelder menscfißcnW^mle! le&Mkrgebe der Flamme die Schäften des Siegmuttdm

5. Rufer: Gegen Verfälschung unserer Gesellgni/ign Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vet$SH!£ß'nluil.' Ich übe.Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann.

' ' " • • • # » < • »

6. Huivv: Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung,für verantwortungsvolle Mitarbeit am Werk des nationalen Auf haus! Ichübergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolffund Georg Bernhard,

7. Kufer: Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erzie-lt tifig des Volkes im Geist deftyahrhajiigkeit! Ich übergebe der Flamme diesAriften von Erich Maria Remaniue.ffl

«S. Ruflr: Gegen dünkelhafteVerhunzung derdeutschen Sprüche, fürPflege deskostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergehe der Flamme die Schriften vonAlfred Kerr.^

'). Rufer: Gegen Frechheit undAnmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor demunsterblichen (fg/jtschen \Olksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriftender Tucholsky und Ossictz.ki! k

BÖe&erverbrennung

Prof. Dr. Alfred Baeumler, Inhaber des Lehr-stuhls für "Politische Pädagogik" an derFriedrich-Wilhelms-Universität Berlin warfrohen Mutes am Abend des lO.Mai 1933.Seine Vorlesungzur"nationalsozialistischenRevolution und ihren geistigen und philoso-phischen Grundbedingungen" war gut be-sucht, ja sogar überfüllt. Entlang den Wän-den des Hörsaales 38 der Universität (unge-fähr dort, wo sich heute der Kinosaal befin-det), standen Studenten in SA-Uniform, zuBeginn seiner Vorlesung war eine studenti-sche Fahnenabordnung des Allgemeinen

Studentenausschusses der Universität miteiner Hakenkreuzfahne in den Saal einmar-schiert, die nun links und rechts des Profes-sors Wache hielten. Baeumler, am 02. Mai1933 von der TH Dresden nach Berlin an diephilosophische Fakultät gewechselt, be-schäftitge sich in seiner Vorlesung mit dernoch ausstehenden "geistigen und sozialenRevolution" und den "Studenten alsrevolutionäres Element der nationalsoz-ialistischen Bewegung". Es war seine ersteVorlesung an der Berliner Uni, und der Tagdieser Antrittsvorlesung schien nicht zufäl-lig gewählt:Nach Ende der Vorlesung versammelten sichdie Studenten auf dem Hegelplatz und mar-schierten dann mit Herrn Baeumler an derSpitze über den Kupfergraben zum Studen-tenhaus in der Oranienburger Straße (diesesHaus stand m.W. zwischen Tucholskystr.

und Monbijoustr. und wurde im 2. Weltkriegzerstört - jot). Dort wurden Fackeln verteiltund auf fünf Bücherwagen Bücher aufgela-den. Gegen 21.30Uhr traf ein weiterer Zuguniformierter Studenten, Burschenschaftlerund "ganz normaler" Studenten ein, beglei-tet von zwei Musikkapellen der SA. Mitihnen erschien Fritz Hipler, Leiter des NS-Studentenbundes Brandenburg, hielt einekurze Rede ("Es gilt jetzt, aus den Herzenund Hirnen alles Krankhafte auszumerzen!")und marschierte danach gemeinsam mitBaeumler an der Spitze des durch denFackelschein gespenstisch anmutenden Zu-ges über die Oranienburger, Hannoversche,Hessische und Invalidenstraße zum Bran-denburger Tor und vom diesen zumOpernplatz. An der LandwirtschaftlichenHochschule (Invalidenstraße) kamen nocheinmal drei Bücherwagen zum Zug. Und erstjetzt entschied sich Joseph Goebbels, infor-miert über die große Anzahl der beteiligtenStudenten, an der Bücherverbrennungteilzunehmen, eine Rede wird er allerdingsnicht halten! Um 23.00Uhr begann auf demOpernplatz ein merkwürdiges, an das Mittel-alter erinnerndes Theater: Zu Beginn las derStudent Herbert Gutjahr noch einmal die"Zwölf Sätze der Studentenschaft" vor, wäh-rend die ankommenden Studenten ihre Fak-keln in einen vorher errichteteten riesigenScheiterhaufen warfen. Sie stellten sich dannzu einer Kette im Halbkreis auf. Eine weitereKette ging von dem. Scheiterhaufen zu denBücherwagen, von denen die Bücher biszum Feuer weitergereicht wurden. Jedes-mal, wenn ein neuer Bücherstapel eines be-stimmten Literaturgebietes in das Feuer ge-worfen wurde, ertönte einer der neun Rufer(siehe Bild), die auf einer Art Bühne links desScheiterhaufens standen. Während der gan-zen Zeremonie spielten drei SA- und SS-Kapellen "vaterländische Weisen undMarschlieder"fJVeMAd///ier Tageblatt), dasganze wurde nach einer Anweisung vonGoebbels im Rundfunk direkt übertragen.Zeitgleich gab es auch in München(Königsplatz), Dresden (Bismarck-Säule)und Breslau (Schloßplatz) Bücherver-brennungen, die Masse der vernichtetenBücher betrug allein in Breslau 40 Zentner.Die offizielle "Chronik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin" schwiegzudiesen Vorgängen. Unter der RubrikStudentenschaft steht für das Jahr 1933: "EinBericht der Studentenschaft der Universitätliegt nicht vor". Und in dem 1985 erschienenBand "Humboldt-Universität zu Berlin, Do-kumente." steht zur Bücherverbrennung keinWort, zwischen 1933 und 1945, so läßt dieAuswahl der Dokumente schließen, schienes Unter den Linden nur AntifaschistischenWiderstandskampf zu geben.

Page 13: UnAufgefordert Nr. 46

Sechzig Jahre später •die Unfähigkeit,initGeschichte umzu-

Auf dem "Plenum" der Antifa-Gruppe in derHumboldt-Universität herrschte Aufregung.Die Leitung der Universität, so hatten dieStudenten in Erfahrung gebracht, wolle den10.Mai 1993 tatenlos verstreichen lassen,nicht an die Vorgänge vor sechzig Jahrenerinnern. "Da müssen wir eine Aktion star-ten", war das Fazit der j ungen Antifaschisten.Von einer Demonstration war die Rede, voneiner Gedenkveranstaltung - und auch voneinerBÜCHER VERBRENNUNG. "Warumnicht die Bücher faschistischer Autoren ver-brennen, z.B. die des Ökofaschisten Bahro(siehe Artikel in diesem Heft) oder die desHerrn Gruhl", so ein Mitglied der Antifa.Nach kurzer erregter Diskussion wurde vondiesem Vorhaben wieder Abstand genom-men, eine Idee, wie mit diesem Datum um-zugehen sei, kam aber auch nicht mehr. Manbeschloß einen Aushang zu machen undStudenten "mit guten Ideen" einzuladen,"denn irgendwas müssen wir ja machen!"Nun ist es nicht wahr, daß die Leitung derUniversität keine Veranstaltungen anläßlichdes 10. Mai 1933 durchführen wollte. Am3.Mai hat eine Lesung mehrerer Schriftstel-ler stattgefunden und am lO.Mai folgte einegroße Veranstaltung direkt auf demOpernplatz. Doch scheinen auch dies alles"Aktionen" zu sein, um überhaupt etwas zumachen.

. An dieser Stelle nur eine Frage: Am O8.April1992 beschloß das Konzil der HUB, über dasInstitut für Geschichte eine Fallstudie zurBücherverbrennung erstellenzulassen. Nach-fragen beim Lehrstuhlinhaber für NeuesteGeschichte, Prof. L. Herbst, erbrachten nurahnungsloses Achselzucken. Was ist darausgeworden?Erinnern, so heißt es, ist strukturiertes Ver-gessen. Wann, an wen und ob überhaupterinnert wird, entscheiden Menschen nachihren Interessen. Vergessen wiederum istdas Festschreiben von moralischen Katego-rien, die vorschreiben, wie an wen oderetwas erinnert werden kann. Genauso, wieman an einem festlich geschmücktenKaffeetisch bemüht ist, beim verschlingender Torte möglichst keine Krümel über denTellerrand hinaus zu hinterlassen, ist es wich-tig, an bestimmten Tagen eine Gedenk-veranstaltung durchzuführen, einfach, umden Formen des Anstands und der Moralgenüge zu tun. Warum eigentlich, ist hier

1933. Weimar, am Goethe-Schiller-Denkmal

bereits uninteressant, hauptsache, es wirdetwas getan: Eine Aktion gegen dieBücherverbrennung, denn sie war schlecht!Eine Aktion gegen die Progromnacht, dennsie war schlecht!Wir haben unsere Geschichte, besonders diezwischen 1933 und 1945, mit Tabus belegt,die wir hüten als Garantie für eine beweisba-re Moral. Und eine große Angst beherrschtdieses Land, irgendjemand könnte dieseTabus anrühren, sie hinterfragen. "Es ist eineArt Götzenkult", sagte Rudolf Bahro imGespräch mit UnAUFGEFORDERT überdie Antifaschistische Bewegung in Deutsch-land. "Die brauchen ihre schlimme deutscheGeschichte, um existieren zu können." Nunsollten wir nicht gleich wieder in das andereExtrem verfallen, und die Geschichte, be-sonders die zwischen 1933 und 1945, verges-sen. Wir sollten nur ehrlicher mit ihr umge-hen, auch lernen, mit ihr zu leben. Nur so istes vielleicht möglich, der gegenwärtigenErscheinung eines sich verbreiterndenRechtsextremismus entgegenzutreten: Mankann nicht etwas aufhalten, was man nochnicht einmal erklären kann.Vor vierzehn Tagen standen Vertreter vonBerliner Burschenschaften auf dem Hof derUniversität und verteilten Informations-material über ihre Arbeit und ihre Ansichten.Sie wurden nach einer Stunde durch denVizepräsidenten der Universität, Prof. BerndBank, des Hofes verwiesen mit der Begrün-dung, es gäbe einen Beschluß des Akademi-

schen Senates der Universität, der denBurschenschaften jegliche Art von Betäti-gung auf dem Gelände der Universität ver-bietet.Es ist schon seltsam, daß die Leitung dieserUniversität glaubt, ihren Studenten vorschrei-benzu müssen, über was diese sich informie-ren dürfen und worüber nicht. Es ist nochseltsamer, daß die Leitung dieser Universi-tät glaubt, durch ein Verbot ein Problem zulösen, nämlich das die Burschenschaftengrößtenteils extrem rechtsgerichtete Ansich-ten vertreten. Wäre es nicht ehrlicher undauch klüger, Vertreter der Burschenschaftenzu einer Diskussionsveranstaltung einzula-den und mit ihnen über ihre Ansichten zureden und so die Frage zu beantworten,warum Studenten, und immer mehr in Ost-deutschland, Mitglieder von Burschen-schaften werden? Oder hat die Leitung die-ser Universität vor solcherart Umgang mitProblemen Angst, weil sie bisher oft deneinfacheren Weg, nämlich den des Verbotsund des Festschreibens vom Umgang mit-einander, gewählt hat?

1 Wer sich näher mit dem Thema "Universitäten imDritten Reich" beschäftigen will, dem seien die beidenbisher erschienen Bände von Helmut Heiber, "Universi-tät unterm Hakenkreuz" empfohlen, erschienen beiK.G.Saur München 1992 (der dritte folgt voraussicht-lich 1995).

Page 14: UnAufgefordert Nr. 46

"Die Bullen sollen sich endlichverpissen!" -Und dann?

Der 1. Mai in Berlin: eine etwas andere Art, Sport zu treiben.

Es ist gut, daß es die Kapitalisten gibt! Esist noch besser, daß die Kapitalisten zuStaatsimperialisten wurden! Unüber-trefflich schön aber bleibt die Tatsache,daß die Staatsimperialisten in Form derPolizisten Gestalt annahmen! So sind siebekämpfbar, und besonders zahlreich inBerlin, am l.Mai!Er ist eine Art Sport geworden, der"revolutionäre l.Mai" in Berlin. Seitnunmehr sieben Jahren prügeln sie sich,die Vermummten mit der schwarz-rotenFahne und die Weiß-Behelmten mit denkomischen Bezeichnungen Cl, B2 oderEl um Schaufenster, Straßenzüge, Au-tos und Straßenbarrikaden. Beide fahrensie jedesmal schweres Geschütz auf: dieeinen erscheinen mit Molotowcocktails,Farbbeuteln, Steinen, leeren Flaschenund ganz schnellen Beinen auf der Arena,die anderen kommen mit Schlagstöcken,gepanzerten Westen, Tränengaspistolen,Räumpanzern, Wasserwerfern und et-was trägem Verstand. Beide Mannschaf-ten treffen sich jedes Jahr pünktlichlO.OOUhr am Oranienplatz im scheiden-den SO36 (diesmal am Rosa-Luxem-burg-Platz im Prenzlauer Berg), mu-stern sich kritisch mit fairem Blick, dieeinen dürfen die anderen getrennt nachMännlein und Frauleindurchsuchen, unddann ziehen sie los, um irgendwo zwi-schen Lychener, Dimitroff, Warschauerund Oranienstraße westwärts zueinan-der zu finden, geeint im Spaß an derFaszination von Tränengaswolken, heu-lenden Sirenen, splitternden Scheibenund geehrt durch viele, viele Zuschauer.Die waren bisher meist in Kreuzberg zufinden, ab diesem Jahr ging es aber auchnächtlich im Prenzlauer Berg hart zur Sa-che, rund um den Helmholtzplatz zwischenDuncker- und Lychenerstraße. Die vielenGaffer, die aus den Fenstern, Kneipen undvom Straßenrand gespannt an- und ab-rollende Polizeiautos beobachteten undsichgegenseitig mit geübtem Blick auf die ko-mischen, Fahnen schwingenden Wesen aufden Häuserdächern hinwiesen, erinnertenschon sehr an jenen berühmten Menschenaus Rostock-Lichtenhagen, es fehlte nurder nach oben gestreckte Arm und die

feuchte Jogginghose: endlich einmal Realtiy-TV live im eigenen Wohnbezirk.Den Polizisten und autonomen Demonstran-ten schien auch dieses Jahr die Vernunft schonam Vormittag irgendwo zwischen Schwar-zem Block und Ausrufung des revolutionärenersten Mai's abhanden gekommen zu sein:Wann endlich begreift Ihr, liebe Grünröcke,daß gerade Eure Anwesenheit eine Straßen-

Damais, als die Fahnen noch Winkelemente hießen .

schlacht erst lohnend macht? Habt Ihr dennnicht gehört, wie sie Euch "Feiglinge" schimp-fen, wenn Ihr Euch zurückziehen wollt? Oderkommt Ihr gerade deswegen zurück und prü-gelt Euch noch ein bißchen? Weil es Euchsolchen Spaß macht? Wo Ihr doch sonst nur inEuren Bereitschaftskasernen sind? Endlichdürft Ihr mal raus!Und wann endlich merkt Ihr, liebe Autono-men, Antifaschisten oder grundsätzlichrevolutionären Wesen, daß Ihr mit Eurer inGewalt umgewandelten Blödheit nur dieSensationsgier der Medien befriedigt und Euchvor den vielen Zuschauern einfach zum Affenmacht, die im Zoo interessiert betrachtet, aber

sowieso nicht ernstgenommen werden? Oderist es gerade das, was Ihr wollt: einmal auchnur irgendwo erwähnt zu werden?Der l.Mai in Berlin, das ist eine komische,teilweise makabre Vorstellung politischerKultur in diesem Land. Dazu zählt ein"Schwarzer Block" in einer linken Demon-stration, dessen "Oi! Oi! Oi!" - Rufe seltsam

merkwürdig an die kurzgeschorenenChaoten aus der rechten Ecke erinnern,ebenso wie eine Einheit des Bundesgrenz-schutzes, die, das "Horst-Wessel-Lied"intonierend, durch das nächtliche Kreuz-berg zieht. In Ostberlin zu Ostzeiten wirk-te der 1. Mai mit den Winkelementen undden winkenden Greisen wie ein lebendi-ges Wachsfigurenkabinett, jetzt erscheintdas ganze als Kabarett der idiotischenSprüche mit anschließender sportlicherAuseinandersetzung (Vielleicht sollte dieStadt Berlin am ersten Maitage dasOlympiastadion zur Verfügung stellen:eine Hälfte bekommen die Polizisten, dieanderen die Autonomen, dann darf jimbeide gekämpft werden und wer am Endedie meisten Helme bzw. Vermum-mungstücher erbeutet hat, wird offizieller1.-Mai-Sieger, die Exklusivübertra-gungsrechte sollte der SFB aus lokal-patriotischen Gründen behalten dürfen.).Politische Inhalte werden an diesem Tag,zumindest in Berlin auf der revolutionären1.-Mai-Demonstration, sowieso nichtmehr vertreten und es wird auch kaum

noch wirklich für etwas demonstriert. Esgeht um die Action und die Erwartung aneinen 1. Mai in Berlin, der eben kämpferischsein muß. Und so werden auch die dar-gebotenen Sprüche und Transparente immersinnloser und wirken einfach nur noch idio-tisch doof. Letztes Jahr war auf dem großemTransparent des "Lesben- und Schwülen-Blocks" erstaunliches zu lesen: "Homo-sexualität - unser Beitrag zur Weltrevolu-tion!". Dieses Jahr wurde es noch besser:"Alle linken Wichser in den Mixer!" Jawoll- es lebe der erste Mai!

jot

Page 15: UnAufgefordert Nr. 46

Zeit für den Absprung?Das neue Computerbetriebssystem OS/2

Es bezweifelt hoffentlich niemand, daß DOSkein adäquates Betriebssystem für einenmodernen Personalcomputer mit 386er oder486er Prozessor ist, wenngleich auch derSoftwaremoloch Microsoft seit wenigenTagen die Version 6.0dieses Betriebssystemsverkauft, um damit in den nächsten Monatenweit mehr als eine Milliarde Dollar zu ver-dienen. Grundlegend Neues wird man inMS-DOS 6.0 vergeblichsuchen, obwohl lan-ge Zeit vor der Veröffentlichung ausrei-chend Gerüchte darüber kursierten. Man hates nach wie vor mit dem "guten alten DOS"zu tun, etwas teurer zwar, aber sonst... DerVorteil von DOS ist zweifelsohne seineAbwärtskompatibilität, die es erlaubt, aucheinen PC der ersten Generation, die 1981 vonIBM vorgestellt wurde, genauso, nur langsa-mer, wie die modernsten Rechenboliden zubetreiben. Der Nachteil von MS-DOS istebenso zweifellos seine Abwärtskomp-atibilität. Ich wage zu behaupten, daß sie diegrößte Innovationsbremse im PC-Markt ist.Hat doch die Marktstellung von MS-DOS bisheute verhindert, daß sich ein Betriebssys temdurchsetzen konnte, was die Ressourcen mo-dernster PC's ausnutzt. Wer betreibt heutenoch einen 8086,8088 oder 80286-PC? Undwenn, wen von diesen störte es, bei demreichen Softwarebestand für DOS, wenn die,die ein neueres Modell ihr Eigen nennen, nunauch ein moderneres Betriebssys tem benutz-ten? Allein die Begrenzung des direktadressierbaren Hauptspeichers auf 640Kilobyte ist schon trotz aller Gewöhnungschlicht nicht hinnehmbar.Doch welche Alternativen hat man eigent-lich? Abgesehen von NeXTStep 486, wel-ches 115 Megabyte auf der Festplatte belegt,einen 486er Prozessor mit 33MHz Taktbraucht, minimal 24 MB Hauptspeicher be-nötigt und in der billigsten Version.1500DM kostet, bleibt eigentlich nur OS/2Sicher, auch Windows ist seit seinerVersion 3.0 in Mode gekommen, dochda es nurauf DOS aufgesetzt ist (ohne 'DOS kein Windows), krankt es auchan dessen Grundmängeln. Es erlaubtkein echtes Multitasking (gleichzei-tiges Ablaufen mehrerer Program-me) und nutzt nicht die 32 bit breitenDatenpfade moderner Prozessoren.Genau dies tut aber OS/2. Es dürftemit Erscheinen dieses Artikels in sei-ner Version 2.1 vorliegen. Es enthältzusätzlich ein komplettes DOS und einkomplettes Windows, so daß man nicht seine

bisher genutzte Software verschrotten müß-te, sondern bis zum kompletten Umstiegnoch weiter benutzen kann. Der größte Man-gel von OS/2 ist nach wie vor die geringeAuswahl an Software. Doch bereits für die-ses Jahr haben einige Marktführer (Lotus,Borland, WordPerfect, Corel) Versionen ih-rer Programme für dieses Betriebssystemangekündigt oder solche bereits veröffent-licht.Das Arbeiten unter OS/2 erfordert sicheretwas Einarbeitung, doch dann geht es umsozügiger vonstatten: Während man an seinerStrafrechtshausarbeit tippt, formatiert derComputer eine Diskette, eine Sicherungs-kopie der Festplatte läuft auf Band und viel-leicht sucht der Computer auch gerade imHintergrund nach Viren, weil man ihm dieseAufgabe für jeden Tag 16.30 Uhr gestellthat. Und ist es nicht auch einfach angenehm,wenn eine Datei nicht "STRGHAD1.TXT"sondern "Große Straf rechts hausarbeit,Deckblatt/1. Version" heißen kann? Undaußerdem entfällt ein Gutteil der beiWindows obligaten Warterei. Für ein Um-steigen gäbe es also in der Tat Gründe. Dochwarum haben es bisher so wenige getan?Als IBM am 2. April 1987 ihr neuesBetriebssystem OS/2 ankündigte, warenExperten wie Laien dem Trugschluß er-legen, eine revolutionäre Technik alleinwürde genügen, den Anwenderzum Umstei-gen zu bewegen. Mitnichten. Als 1990 derErfolg von Windows 3.0 selbst die optimi-stischsten Verkaufsprognosen überflügelte,schienen die Tage von OS/2 gezählt. Dochmit dem Erscheinen der 486erProzessorenam Markt wur-de der Aufholbedarfder Soft-

ware gegenüber der Hardware einmal mehrdeutlich. Inzwischen bastelt auch Microsoftan einem 32 bittigen Betriebssystem mitNamen Windows NT. Offenbar setzt mandarauf, daß der Anwender sich an den Na-men Windows gewöhnt hat (immerhin läuftauf 74% aller deutschen PC's Windows).Wenn es Ende des Jahres verfügbar seinsollte, krankt es sicher noch an den üblichenAnfangsfehlern. OS/2 brauchte beispiels-weise bis zu seiner Version 2.0 von 1991, umein einigermaßen ausgereiftes Produkt zuwerden, und erst Version 2.1 wird mit einerakzeptablen, wenn auch nicht vollends be-friedigenden Unterstützung von Grafik-zusatzhardware und Soundkarten aufwarten.Der technologische Vorsprung beträgt alsoimmerhin einige Jahre. Außerdem ist auchnicht zu wünschen, daß Microsoft seine All-macht im Softwaremarkt (die Bill Gates 6,3Milliarden Dollar Privatvermögen einbrach-te) behält. Andererseits konnte man geradeaufatmen, daß Big Blue (IBM) im Angesichtverschiedener Schwierigkeiten damit auf-hörte, seine Produkte zu Irrsinnspreisenzuzuteilen und anfing, eine etwas moderatereMarktpolitik zu fahren. So gesehen aber istjede Kaufentscheidung ein Fehler, denn beimKauf eines Betriebssystem ist man schondeshalb auf einen Marktführer beschränkt,weil man sonst keine passende Software amMarkt findet und selbst das beste Betriebs-system für sich allein nichts taugt.Für diejenigen, die tatsächlich Interesse ha-ben: OS/2 2.0 kostet 75 DM mit versproche-ner Umsteigemöglichkeit auf Version 2.1für 175 Mark, erhältlich bei IBM (0511/5163630). Zum Vergleich: MS-DOS 6.0kostet minimal 139 DM, Version 5.0 istvielleicht noch für 89 DM zu haben, Windows

kostet extra um die 200 DM, doch be-kommt man beides heutzutage als ko-

stenlose Zugabe, wenn man einenneuen Rechner kauft, und in OS/2

sind ohnehin beide enthalten. DerAdobe Type Manager, der in OS/

2 enthalten ist, kostete aller-dings auch noch einmal um

die 180 DM.

Georg Linde

ü

Page 16: UnAufgefordert Nr. 46

Hoffnungsvoll hoffnungsloseFortsetzung der Vergangenheit ?

"Schön ist es nicht, einen Sinn hat es auch nicht - also wozu das ganze?"Foto u. Montag«: Soest

Die Kulisse, die Wim Wenders jüngst noch seinem amexo-card-Clubfoto diente, sollsich demnächst grundlegend ändern. So wollen es die Hauptstadtplaner. Ein Jahrnachdem der Deutsche Bundestag beschlossen hatte, den Regierungssitz des vereinig-ten Deutschland nach Beriin zu verlegen, schrieben sie im Juni 1992 den internationa-len städtebaulichen Wettbewerb Spreebogen aus. Der Reichstag am Platz der Repu-blik soll zum Deutschen Bundestag umgebaut werden.

Die Ausstellung im ehemaligen Staats-ratsgebäude der ehemaligen DDR, am nochimmer nach Marx und Engels benanntenPark- und Rummelplatz, präsentiert, was mitund um den Reichstag in Zukunft passierenkönnte. Die Projekteder Gewinner des Wett-bewerbs (insgesamt wurden drei erste Preisevergeben) müssen nicht unbedingt in die Tatumgesetzt werden. In dem Sinne bewegt sichalles im Rahmen einer l'art pour l'artexhibition. Letztlich stellten die Veranstal-ter die Ausstellung unter das Motto: "EineKunst, die Leben in sich hat, restauriert dieWerke der Vergangenheit nicht, sondernsetzt sie fort." Für diese Worte verantwort-lichzeichnet ein Mann, der es wissen mußte:Auguste Rodin. Klar, daß so mögliche Argu-mente hinsichtlich des Widersinns der Ein-beziehung des Reichstags und dem dazuge-hörigen Präsidentenpalais entkräftet werdensollen. Armer Augustin!Angabeninbezug auf konkrete Bauvorhaben,deren Beginn, deren Ende und deren vor-aussichtliche Kosten, bringt die Ausstellungnicht. Da darf man in Zukunft gespannt sein.Feststeht, daß Wenders visionärer Blick mitMauersegment und Reichstag im Rücken

eines Tages, so Gott allen Beteiligten hilft,von vielsagend nichtssagendem Polit-Klim-Bim aufgesogen werden wird. HurraDeutschland!Die Wettbewerbsauf gäbe umfaßte mehrereForderungen. Unter Einbeziehung der hi-storischen Rudimente Reichstag und Palais,die zusammen 17 000 qm der insgesamt185000 qm benötigten Fläche für den Bun-destag abdecken werden, soll das Wett-bewerbsgebiet in mehreren Bauphasen einneues Antlitz erhalten. Dieses Gebiet um-faßt weitere 65 000 qm, die für Neubautenfür das Bundeskanzleramt, für Büros derverschiedensten Fraktionen und Auschüssesowie MdBs, die Bundespressekonferenz,den Presseklub usw. usf. vorgesehen sind.Sogar den Bundestag hat man in der Pla-nung nicht vergessen. Die Struktur der an-grenzenden Gebiete Friedrich- undDorotheenstadt sollte Berücksichtgung fin-den, um so großflächig den historischenKern Berlin-Mitte mit den benachbartenStadtteilen Tiergarten und Moabitarchitek-tonisch erneut zu verbinden. Die Rahmen-bedingungen der Ausschreibung wurdendurch Forderungen hinsichtich der security

der MdBs und der ökologischen Verträglich-keit der Bauvorhaben abgerundet. Mit ande-ren Worten, man verlieh dem Projekt vonvornherein den Grünen Punkt; daß das einemSchuß in den Ofen gleichkommt, darauf mußman einen denkenden Menschen nicht hin-weisen.Bis zum Dezember des vergangenen Jahresgingen 835 Vorschläge von Architekten ausaller Welt ein. Der "Internationale Städte-bauliche Ideenwettbewerb Spreebogen" stelltsomit den größten Wettbewerb dieser Art dar.Alle eingereichten Arbeiten sind bis zum 21.Juni 1993 einsehbar.Es wurden zwei Jurorenkommitees gebildet.Einerseits wurde über die eingereichten Vor-schläge zur Umgestaltung des Reichstags unddessen Präsidentenpalais befunden. Ande-rerseits lobte man sich über die Ideen zurgroßräumigen Gestaltung des gesamtenTerrains aus.Allein das erhaltengebliebene Interieur desehemaligen Staatsratsgebäudes macht denBesuch der Ausstellung zu einem Erlebnis.Im Lichte der sozialistisch-realistisch deko-rierten Fenster kommt es zu einem gelunge-nen Korrespondieren zwischen textiler Nach-kriegstapete ä la Nordkorea und robusterTaigaholz Vertäfelung. Um sich an den wei-teren informell-mitarbeitenden und real exi-stierenden Accessoirs des Gebäudes zuergötzen, gönne man sich eine Verschnauf-pause auf einem der lieblichen Sitzmöbel-polster in Jungpionierblau.Im Erdgeschoß wird sehr anschaulich doku-mentiert, wie es dem Reichstag seit seinemBestehen erging und daß die Spree um ihneinen Bogen macht. Im ersten Geschoß sinddie Arbeiten der Preisträger zu besichtigen.Geradezu unüberschaubar und nur für Aus-dauernde wartet dann das zweite Geschoß mitden übrigen rund 800 verschiedenen Vor-schlägen auf. Inwieweit überzeugendearchitektonische Lösungsvorschläge vorlie-gen, mache jeder mit sich selber aus.Hoffnungslos hoffnungsfroh stimmt die Be-merkung des Preisgerichts in bezug auf denUmgestaltungsvorschlag für den Reichstagder 1. Preisgruppe N. Foster and PartnerLondon. Da heißt es, daß "das Gebäude (...) inein offenes und zugängliches Forum für dasdeutsche Volk" transformiert werden wird.Wie auch immer, mit konstant ignorantemOptimismus ist dann weiter unten zu lesen,daß "die Wiedergeburt eines neuen Deutsch-land inmitten eines neuen Europas" hier

Page 17: UnAufgefordert Nr. 46

J lri /^

signalisiert werde. Um den zweifelsohneästhetisch gelungenen Entwurf der Londo-ner nicht zu disqualifizieren, sei darauf ver-wiesen, daß unter den Ju-roren auch Politiker waren.Unter den ernsthaften Vor-schlägen des Wettbewerbswird der eine oder andere,den vor Jahren schon vonChristo gemachten Vor-schlag vermissen, denReichstag einzupacken undzu verschnüren. Stiefmüt-terlich ist er nur am Randeerwähnt.Bei aller Achtung vor denzahlreich eingereichten Ar-beiten, die Frage nach demSinn des Projektes bleibt.Klar, Bauen macht Spaß, da DDR-Nostalgie

sieht man, was man hat. Angesichts der Not-stände in Ostdeutschland und seiner Nach-barstaaten, ökologischer Bedenken und an-

derem sollten andere Prioritäten gesetztewerden. Die Umgestaltung des Reichstags-geländes ist neben Olympia eine weitere

Welle des gewohnten kol-lektiven Größenwahns indiesem Land. In Bonn ist imletztenJahr einluftiges, demZeitgeist entsprechendesBundestagsgebäude fertig-gestellt worden. Ein neuesGebäude ist nicht dringend.Politik- und Demokratie-verdrossenheit, möglicheVorstufen des Extrem-ismus, behebt man nichtam Reißbrett.

Foto: Soest

Soest

Als Autos wichtiger als Kinder wurdenAusstellung: "Kinderspielräume in Berlin"

Es war einmal eine Stadt, die noch gar keinewar, es war einmal ein Berlin, das noch imWald lag und zu diesem Wald gehörtenspielende Kinder genauso wie Schmetterlin-ge und zwitschernde Vögel. Solch naiv-romantisches Märchen kommt einem in denSinn, wenn man die Ausstellung "HimmelHölle Gummitwist" betritt. Ein hohler Baum,Sagenfiguren schweben über den Köpfen -so könnten Kinderspielräume im Mittelalterausgesehen haben. Doch das Mittelalter warnicht so romantisch und die Natur blieb esnicht, bald wurde sie von der großen Stadtbesiegt und die Kinder mußten sich einrich-ten. Sie überlisteten die Stadt, auch zwischenall den Steinen fanden sie Bächlein für ihrePapierboote, die Rinnsteine wurden zugefahrvollen Strömen in die Ferne. Die Men-schen in der Stadt aber erfanden die Sauber-keit und die stinkenden Rinnsale flössen vonnun an unter der Erde, die Stadt wurde immergrößer, die Straßen grauer, die Hinterhöfedunkler - die Kinder aber ließen sich nichtunterkriegen, noch gehörte ihnen die Straße,sie erdachten einfach neue Spiele. Da wurdejedoch das Auto erfunden, die Straße wurdegefährlich und gefährlicher, bis sie endlichzum Parkplatz geworden war und die Er-wachsenen nun den Kindern Spiele gaben,die sie in der kleinsten Wohnung spielenkonnten und Gameboy und Computerfessel-ten das letzte störende Gelächter ... Halt,halt, so traurig lassen Kinder doch kein Mär-

chen enden und so eroberten sie einfach alleZeiten, spielten in der Baumhöhle und aufder Bordsteinkante und zeigten allem Phan-tasie-Verfall und allem Pessimusmus einelange Nase.In der Galerie am Körnerpark kann man indie Geschichte des Kinderspiels und in

Kindheiten eintauchen - Künstler lassen ver-gangene Spielräume wiedererstehen, in denKulissen eines Bühnenbildners kann manhopsen und trieseln wie 1920 oder einePlasteratte aus dem Rinnsteig fischen wievor 100 Jahren (ein Hauptspaß für Abenteu-rer zwischen 5 und 10). Wer das aber lieberdoch den Kindern überlassen will und gernseriöse Schautafeln mit viel Informations-gehalt liest, der wird sehen, wie Erwachseneimmer wieder in Kinderwelten eingreifenund versuchen, ihre Opfer nach ihren Vor-stellungen zu prägen - ob das Kind nuntugendhaft oderkriegsbegeistert werdensoll.Wer sich immer ein bißchen nach den Zeitensehnt, in denen fast nichts langweilig undgrau aussah, weil alles eine Entdeckung war,der kann in dieser Ausstellung vielleichtwieder eine etwas buntere Welt finden.Noch ein Tip: Wenn ihr irgendwie könnt,geht mit Kindern hin, denn ein Geheimniskönnen die Großen nie enthüllen - wie es indem Zeittunnel aussieht, der im hohlen Baumbeginnt und in einem Raumschiff endet.

JK

2, April- 11. Juni 1993Dienstag - Sonntag 11 -18 UhrGalerie am KörnerparkSchierker Str. 8, 1/44

Page 18: UnAufgefordert Nr. 46

Karl Marx geoutet!Unwürdige Würdigung eines 175. Geburtstages

"Die marxistische Theorie (ist) nichts als Schaum und eineandere Art Opium fürs Volk. Keine Regierung, die je versuchthat, sie anzuwenden, war jemals in der Lage, sie in die PraxisUmzusetzen. Marx muß als unwissenschaftlicher Visionär vonctemnen gejagt werden."

Laurence J. Peter & Raymond Hüll in "Das Peter-Prinzip"

viel für die übliche Praxis in der ehem. DDR- Marx hab' sie seelig.Weitergehende Ehrungen blieben derHumboldt-Uni erspart, obwohl der NameKarl-Marx-Universität nahegelegen hätte,schließlich weilte Marx 6 Jahre hier, von1836 bis 1841, um die hohe Kunst derJurisprudenz zu treiben. Das es nicht dazukam, lag wohl daran, daß man den anderen(bedeutenderen?) Gelehrten unrecht getanhätte und vor allem aus Rücksicht auf dieinternationale Reputation der BerlinerUniversität. Statt dessen erwischte es dieauch nicht ganz unbedeutende Leipziger Uni.Und nun ist er out. Marx würde im Graberotieren, wäre er nicht Atheist und somitsterblich gewesen, wüßte er, daß man ihnschon wieder totsagt.Das tun vor allem die, die seine "Idee" unter"Führung der marxistisch-leninistischenPartei" verwirklichen sollten. Statt desverheißenen Paradieses fanden diese einensozial-goldenen, ansonsten sehr realen Käfigvor. Marx, der eigentlich die Befreiung derArbeiterklasse auf seine Fahne geschriebenhatte, mußte mitseiner Idee zur Legitimierungder Unfreiheit herhalten. Er, der immer vonder Religion als Opium für das Volk sprach,wurde posthum zum (nach Buddha, Jesusund Mohamed) viertgrößten Religionsstifterder Menschheit umfunktioniert - vom Pauluszum Saulus, vom Streetworker zum Dealer.Und das nach bewährtem Rezept. Im Hand-buch für Diktatoren steht unter GrundregelNr.l folgendes: "Wähle ein Idol aus undsetze ihm Denkmäler, größer, steinerner undsomit unmenschlicher!" Grundregel Nr.2besagt: "Verkünde im Namen dieses Idolseine Lehre und zwinge die Menschen, diesezu wiederholen, auf daß sie ihren Sinnverliere! So bringst Du die Idole zumSchweigen." Und schließlich GrundregelNr.3: "Begründe die Lehre mit Glaubens-grundsätzen! Was die Menschen glauben,das wollen sie nicht wissen. So macht man

Die Outing-Welle rollt weiter. Vor geraumerZeit hat es sich angedeutet, als über "Tut mirleid Jungs, war halt nur so 'ne Idee von mir!"noch viele lachten und es anderen im Halsestecken blieb. Nun haben wir Gewißheit:Karl Marx ist endgültig geoutet worden,sozusagen mega-geoutet, wie dieser Tage anverschiedenen Stellen in der Uni nachzulesenwar. Am 5. Mai jährte sich zum 175. Mal derTag, an dem er - nein, nicht in einer Krippe,sondern im Bett seiner Mutter - das Licht derWelt erblickte. Und so luden "Unbeleerbare"unter der Überschrift "Marx ist mega-aut"zur Geburtstagsparty ins Audi-Max.Noch ein anderer Unbelehrbarer erachteteden Anlaß für bedeutend genug, um zurFeder zu greifen (oder zu lassen) und sich mitMarxens Thesen auseinanderzusetzen -Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (!). Zudiesem Zwecke wählte er den stockkon-servativen, strenggläubigen "RheinischenMerkur" (18/93), um ja nicht das Risikoeinzugehen, seine Arbeit würde womöglichvon Atheisten, Linken gar, gelesen. Diesewürden dann vielleicht über die blümscheVision stolpern, eine historische Chancegeschaut zu haben. Der Marxismus sei vonder Geschichte widerlegt worden, derKapitalismus schicke sich an, gleich ihm diehistorisch Bühne zu verlassen. Schluß-folgerung Blüms: Die "christlich-soziale.Be->vegH/jg"niüsse ihre Chance ergreifen! Wozusie diese nutzen soll, bleibt allerdings offen.Selbst die Humboldt-Uni ist noch immerHort marxistischen Ungeistes: im Foyer derHumboldt-Uni prangt im blätternden Patinader marxsche Spruch, der DDR-Nostalgikemund auf DDR-Exotik erpichten TouristeneinFoto wert ist.Dies ist die letzte Spur eines bekanntenStudenten dieser Universität. Früher war danoch mehr: neben einer längst entferntenBüste vordem Senatssaal eine längst getilgteNamenspatenschaft über das Audi-Max,geteilt mit Friedrich Engels. Eigentlich nicht

Dogmen undiskutierbar und somit unan-greifbar."Die alte Eliten - im Sinne von biologischalten und räumlich vom Restvolk getrenntenParia, die zum Vordenken nicht taugten -erwiesen sich als schlampige Schüler. DieUmsetzung der Regel Nr.l war noch daseinfachste: mehr oder weniger scheußlicheMarxdenkmäler und -büsten auf mehr oderweniger hohen Sockeln allerorten.Regel Nr.2 war da schon schwieriger und nurunter Einsatz aller Mittel einer autoritärerMacht umsetzbar. Im Kindergarten fing esan, als wir mit piepsigen Stimmen hersagten,daß "Karl Marx ein guter Mann war, der dieKinder liebte." Durch Schule und Universitätzog sich Staatsbürgerkunde und Marxismus/Leninismus als tiefrotes Band, in jedertheoretischen Arbeit wurden zur Bewertungdie Marx-Zitate gezählt.Grundregel Nr.3 jedoch fordert ein so hohes

Fortsetzung S. 20

"Von Kohl lernen heißt, aussitzen lernenl"

Page 19: UnAufgefordert Nr. 46

Fortsetzung von Seite 19

Maß an zynischer Kreativität, die auf-zubringen im Klima von Selbstzensur undvorauseilendem Gehorsam unmöglich war.Die Masse der ehem. DDR-Bürger war zusatt, um noch glauben zu können. Wenigeleugneten Marx öffentlich, viele trieben dieKunst der gespaltenen Zunge zu höchsterBlüte. Das Gespenst der Marx-Bigotterieging um.Das System zerbrach, Hammer und Sichelmachten dem Hammer und Meißel derMauerspechte Platz. Neue Idole traten an dieStelle der alten, an die zu glauben leichterfiel: Geld und Mallorca. Die alten Denkmälerwerden, so fern man ihnen einen kultur-historischen Wert zubilligt, geduldet, anderewerden auf Sondergeschichtsmülldeponienentsorgt.Die Gelegenheit ist also günstig, unter demSchutt der Denkmäler den Menschen Marxaufzuspüren: den Studenten, der dasStudentenleben und -lieben voll auskostete,den liebenden Vater, der nicht nur mit Hilfeder eigenen Frau Kinder in die Welt setzte,den scharfsinnigen Analytiker, dem dasverständliche Artikulieren der Thesen nurmitderHilfeseines Freundes Friedrich Engelsgelang, den gefährlichsten Kritiker desKapitalismus, der nur durch die privat-kapitalistischen Gewinne aus der engelsschenFabrik überleben konnte...Widersprüche, wiesie den Menschen eigen sind, denn nur Idolesind fehlerlos - und langweilig!Der Mensch Karl Marx ist nicht nur vor 175Jahren geboren worden, sondern auch seit110 Jahren tot. Das Idol Marx fängt auchschon mächtig an zu stinken.Was kommt danach - Langeweile?

ojoff

Karl Marx, Anno 1836

Der fröhliche Bastelspaß!Heute basteln wir uns etwas ganz praktisches, denn dieLösung für das Wohnungsproblem ist so einfach:Die eigenen vier Wände leicht gemacht!